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Lebensweg - typisch Frau

 

Lebensweg - typisch Frau

 

Alle denken, ich bekäme eine hohe Rente, weil ich Lehrerin war. Aber weit gefehlt! Wenn ich die Wahrheit sage, will es keiner glauben.

Ich bin Lyrischa, geboren 1936 in Eisenach. Aufgewachsen und zur Schule gegangen bin ich auf dem Lande.

Unser Grundstück lag an der Straße nach Waltershausen. Hier konnte ich ältere Schüler den Weg zur Realschule, einer „höheren“ Schule nehmen sehen. Unter ihnen auch meine Großcousine.

Am Tag meiner Schuleinführung erzählte ich stolz meinem Onkel, dass ich mich auf die Schule freue und auch einmal auf die „höhere“ Schule gehen und danach studieren wolle.

„Studieren willst du? Dass ich nicht lache! Heiraten wirst du, sonst gar nichts.“

Damit hatte er mich zutiefst getroffen. Ich verstummte.

 

In der 7. Klasse besuchte mein Klassenlehrer unsere Familie. Er legte meinen Eltern dar, dass ich mit meinen Fähigkeiten unbedingt eine weiterführende Schule besuchen müsse. Da aber in der Dorfschule zu jener Zeit verschiedene Fächer gar nicht vorkamen, schickte man mich in der 8. Klasse zur Vorbereitung in eine Internatsschule.

Die Abschlussprüfung dort bestand ich mit „Sehr gut“, und der Weg zur Oberschule – wieder ein Internat - war frei.

 

Zielstrebig steuerte ich Richtung Abitur, welches ich 1955 mit „Gut“ abschloss.

Da ich für ein Auslandsstudium in der SU vorgesehen war, erhielt ich verstärkt Russischunterricht.

Diese Tatsache engte allerdings nach dem Abitur meine Studienauswahl ein. Es kam nur das Slawistikstudium für den Lehrberuf in Frage.

Dieses absolvierte ich fünf Jahre bis 1960 an der Universität in Greifswald mit dem Diplom als Abschluss.

Jetzt folgte der Berufseinsatz an einer polytechnischen Oberschule in einer Thüringer Kleinstadt.

 

Als ich schwanger wurde, hatte ich weder meine Familie in der Nähe, noch bekam ich im ersten Jahr einen Krippenplatz. Als das Baby nicht mehr im Bettchen liegen blieb, nahm ich kurzzeitig eine Heimarbeit an – für wenig Geld. Im Jahr darauf erhielt ich den Krippenplatz und konnte mich intensiv meinem Beruf widmen.

Nach drei Jahren – inzwischen hatte ich geheiratet – kam das zweite Kind, und die Suche nach einer Kinderbetreuung begann erneut. Stundenweise übernahm eine Nachbarin die Aufsicht über das Neugeborene. Allerdings hatte ich jetzt – neben der beruflichen Herausforderung - einen Vier- Personen-Haushalt zu bewältigen; putzen, waschen, kochen, einkaufen, die Kinder in die Einrichtungen bringen und wieder abholen. Ein Auto besaßen wir damals nicht.

 

Wenn eines der Kinder krank war und ich zu Hause bleiben musste, gab es Ärger an der Arbeitsstelle.

„Haben Sie denn keine Oma, die das übernehmen kann?“ -

„Nein, habe ich nicht!“

 

Mein Mann kam für Kinderbetreuung und Hilfe im Haushalt nicht in Betracht: Sein Arbeitstag als Berufskraftfahrer begann, wenn die Nacht zu Ende ging, und endete, wenn es Nacht wurde. Vor Arbeitsbeginn brachte ich den Älteren in den Kindergarten, den Jüngeren in die Tageskrippe. Später den Jüngeren in den Kindergarten, und nachmittags überwachte ich die Hausaufgaben des Älteren. Die Belastung war gewaltig. Deshalb verkürzte ich meine Arbeitszeit auf 60%.

 

Nach weiteren sechs Jahren folgte das dritte Kind. Um den beruflichen Anschluss nicht zu verlieren und weil wir das Geld dringend brauchten, gab ich meine Tätigkeit nicht vollständig auf. Ich arbeitete weiterhin zwei Tage pro Woche. An diesen Tagen brachte ich den Säugling vor Unterrichtsbeginn mit dem Bus zu einer Tagesmutter und nahm ihn am Nachmittag wieder mit nach Hause. Es war ein ständiger Stress, und ich hatte oft ein schlechtes Gewissen. Etwas kam immer zu kurz: entweder die Familie oder die Unterrichtsvorbereitungen.

Meine sogenannte Teilzeitarbeit - drei bis vier Tage pro Woche - dauerte etwa bis die Söhne aus der Schule kamen. Zum Geldverdienen blieben danach nur noch ein paar Jahre.

Meine heutige Rente, die sich am früheren Arbeitseinkommen orientiert, beträgt vielleicht halb so viel wie die meiner männlichen Kollegen!

 

Daran zweifelt ihr ?

 

Marlies Kühr

Impressum

Texte: All rights by Marlies Kühr
Bildmaterialien: All rights by Marlies Kühr
Tag der Veröffentlichung: 19.03.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinen mitleidenden Kolleginnen Rentnerinnen!

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