Die eingebrockte Suppe
Der Anfang dieser Geschichte, den mir meine Mutter auf dem Nachhauseweg vom Alten- und Pflegeheim, in welchem wir gemeinsam meine Großmutter besucht hatten, erzählte, liegt sechs, sieben Monate vor meiner Geburt.
Meine Mutter - damals fünfundzwanzigjährig - hatte vor wenigen Monaten ihr Studium an der Uni erfolgreich beendet und mit dem Diplom in der Tasche den Schuldienst in der angesehenen Gesamtschule einer Thüringer Kleinstadt begonnen.
Das Band zur Vergangenheit, zur herrlichen Studentenzeit, zu einzigartigen Erlebnissen und mannigfaltigen Irrungen und Wirrungen, denen man sich immer wieder mit Leichtigkeit und der allgegenwärtigen Hilfe einer besten Freundin entwunden hatte, war scharf und endgültig durchschnitten. Undurchdringlich, unüberschaubar das tägliche und wöchentliche Dickicht von Aufgaben. Nirgendwo offene Arme, in die man hätte flüchten können. Sicher - freundlich, aber doch fremd die Umgebung, unklar alles, was von einem erwartet wurde, und ungewiss jedes anvisierte Ergebnis. So fühlte man sich als Nichtschwimmer im eiskalten Wasser!
In ein über Jahre gewachsenes Netz von Funktionen, Beziehungen, Verpflichtungen wurde man hineingesetzt und hatte zu funktionieren.
Alle Blicke von allen Seiten auf einen gerichtet! Und plötzlich trifft dein Blick auf einen anderen, verliert sich weit hinter der blauen Regenbogenhaut, zwischen der hervor jener gekommen war, den du jetzt tief in deinem Innern spürst! Und auf einmal ist alles klar, das, was unmittelbar bevorstünde und die ganze nächste Zukunft! Ja, so war es passiert mit meiner Mutter und mit meiner Entstehung.
Inzwischen waren Schulferien und meine Mutter besuchte ihre Eltern, ihr Elternhaus in dem kleinen Dorf, in welchem sie aufgewachsen war.
Nun war Familienplanung zu jener Zeit kein Thema, eben so wenig wie die Pille, und Schwangerschaftsabbruch war neben dem Gesundheitsrisiko für die Frau ein mit hoher Freiheitsstrafe belegtes Verbrechen.
Aber ein uneheliches Kind zu bekommen, kam fast jenem Verbrechen gleich, zumindest in den Auswirkungen und besonders auf dem Lande: Es bedeutete Ächtung und Jahre lang Spießrutenlauf.
Und jetzt stand sie in der elterlichen Küche, bügelte die Wäsche der Familie und beichtete.
"Diese Schande! So eine Schande über uns zu bringen! Alle werden über uns herfallen. Man kann sich ja gar nicht mehr ins Dorf wagen. Wie soll ich den Leuten nur noch in die Augen sehn?" erregte sich die ungewollt werdende Großmutter.
"So ein Schwachsinn" empörte sich jetzt die sonst sehr vorsichtige und gegenüber ihren Eltern immer zurückhaltende Tochter, "hast du vielleicht etwas verbrochen oder schuldest du den Leuten was, dass du glaubst ihnen nicht mehr in die Augen sehen zu können?"
"Du...du wagst es...Womit hab ich das nur verdient? Wenn du hier fertig bist, packst du deine Koffer und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: All rigths by Marlies Kühr
Bildmaterialien: Bookrix.de
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2013
ISBN: 978-3-7309-1432-8
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Meinen Söhnen