Ein lautes klapperndes Geräusch erfüllte den winzigen Raum der Küche. Es war Andre, der sich mit den Tellern abmühte, die eigentlich schon längst hätten auf den Tischen sein sollen. Ich war froh, dass dieses Mal nicht ich dran war, denn ich hatte heute solche Kopfschmerzen, dass ich mich auf nichts mehr konzentrieren konnte. Meine Schläfen pochten wie verrückt bei jedem Schritt, den ich tat, während meine wackligen Beine durch das Gebäude trotteten.
Am Abend war der Saal, der noch vor ein paar Stunden von umher rennenden Angestellten nur so wimmelte, rappel voll. Kein einziger Stuhl blieb leer, außer natürlich der von Andrea Moors Mann, der wieder einmal nicht erschienen war. Aber ich wollte mich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen, denn solange ich am Ende des Monats eine Dreistellige Summe auf meinem Gehaltskonto sah, war es mir egal.
„Tisch eins und sechs. Krabben-Crostini, Lachs auf Kürbiskruste. Die Krabben krustig gebraten und den Lachs paniert! Und wo bleiben die fünf Schätze für Tisch Vier?“ rief ich quer durch die Küche, während ich mit meiner rechten Hand die vollen Teller balancierte.
„Die Krabben brauchen noch. Andre, wo bleibt die Soße, verdammt noch mal!“ schrie Pete, unser Küchenchef, hinter einer Reihe von Pfannen und Töpfen.
„Die ist ja schon da“, rief Andre zurück und übergoss den Lachs in meiner Hand noch beim Gehen. Aber sobald die Tür zur Küche geschlossen war, schlüpfte ich in einen klangvollen Rausch von leisen Stimmen, die sich für mich schon fast wie eine Melodie anhörten. Einen Moment vergaß ich die Hektik, den Schweiß auf meiner Stirn und anscheinend auch meine Manieren, denn gerade als ich zum nächsten Tisch kam blickte ich in Mrs. Moors Gesicht, gefolgt von fünf weiteren ausdruckslosen Mienen der Gruppe. Mein Blick huschte durch die Runde und erkannte eine ältere Frau mit grauen Haaren, einen Mann mit einer mit dicken Rändern umrandeten Brille und eine Frau, die hochnäsig durch mich hindurchzusehen schien statt auf mich. Als Letztes sah ich einen etwas grimmig aussehenden jungen Kerl, der mich gänzlich ignorierte. Er hatte dunkle, fast schwarze Haare, die stark auf die Seite gekämmt waren, eine spitze Nase und kaum ausgeprägte Wangenknochen, die ihn etwas kindlich erschienen ließen. Eigentlich war an seinem Gesicht nichts angst Einflößendes, es war eher der Blick, der kalt und ausdruckslos war.
„Könnten Sie meinem Sohn bitte statt des ausgemachten Menüs den Fisch bringen und wir hätten gerne zu dem Lammkarree einen schönen kalten Rotwein,“ weiste mich Mrs.Moor an.
„Wünschen Sie das Ihnen unser Sommelier einen Rotwein empfiehlt?“ Sie überlegte kurz und antwortete entschieden.
„Überraschen Sie uns einfach.“ Ihr Lächeln konnte sogar ihren wütenden Sitznachbar überstrahlen. Mrs. Moor war aufgefallen, wie ich ihn musterte. Entschuldigend klopfte sie ihrem Sohn auf die Schulter.
„Bitte verzeihen Sie das Verhalten meines Sohnes. Er ist nur wütend mit uns Erwachsenen an einem Tisch festzusitzen.„ Alle am Tisch fingen an zu lachen und auch auf mein Gesicht schlich sich ein kleines Lächeln, das gleich wieder verschwand, als ich den Gesichtsausdruck von ihrem Sohn sah. Falls er mich vorhin nicht bemerkt hatte so tat er es jedenfalls jetzt und froh darüber war ich ganz bestimmt nicht. Er sah nämlich so aus als würde er mich gerne zum Teufel jagen. Deshalb ging ich schnell wieder und widmete mich den übrigen Tischen. Die Gäste lachten, amüsierten sich und aßen Gerichte, die sich kein normaler Mensch leisten konnte.
Nachdem ich meine Runden gedreht hatte und schließlich wieder an Mrs. Moors Tisch kam bemerkte ich, dass ihr Sohn mich argwöhnisch musterte, so als ob er wütend auf mich wäre. Es konnte mir eigentlich egal sein, weshalb sich dieser Idiot aufregte, wenn da nicht eine Sache wäre, die mich selbst wütend gemacht hätte. Ich ging an Mrs. Moor vorbei und stellte mich zur Rechten ihres Sohnes, aber eher der Teller den Tisch berühren konnte stieß er mich mit dem Bein an, ohne dass es jemand sehen konnte. Der Inhalt des Tellers wackelte heftig in meiner Hand, bis es schließlich ganz überschwappte. Der Kerl schrie auf als die heiße Soße auf seine Hose tröpfelte. Er fuchtelte mit den Händen herum als würde ihn ein Schwarm Bienen angreifen.
„Es tut mir leid, ich habe nicht aufgepasst“, entschuldigte ich mich bei ihm, obwohl ich genau wusste, dass er mir ein Bein gestellt hatte.
„Du Idiot, das ist eine Designerhose!“, schimpfte er. Die weiße Serviette, die in seinem Schoß lag, färbte sich auf seiner Hose Braun.
“So etwas passiert, kein Problem“, sagte Mrs. Moor und reichte ihrem Sohn eine Serviette.
„Bitte verzeihen Sie mir. Ich werde mich sofort darum kümmern“, entschuldigte ich mich nochmals.
„Das ist nicht nötig. Eric regelt das Selbst, nicht wahr?“ antwortete sie eher er etwas erwidern konnte. Die anderen Gäste beobachteten neugierig unsere Auseinandersetzung, so als ob sie nur darauf gewartet hätten, sich über etwas das Maul zu zerreißen. Eigentlich war ich nicht halb so wütend auf ihn, wie ich es hätte sein sollen. Ich war auf solche Situationen vorbereitet.
Den nun mehr halb vollen Teller nahm ich mit und tauschte ihn gegen einen Neuen. In der Küche wurde ich dabei skeptisch von Pete beäugt. Er hasste Probleme jeglicher Art, mied sie bis aufs Blut, und wenn ihn jemand nach seiner Meinung fragte, dann sagte er, er mische sich nie in fremde Angelegenheiten ein.
Als ich wieder an ihren Tisch kam, war Eric verschwunden und ich kriegte ihn für den Rest des Abends auch nicht mehr zu Gesicht. Zumindest nicht, bis alle Gäste gegangen waren.
„Du bist zu bemitleiden Chris. Eric ist die absolute Pest“, rief Andre quer durch die Küche.
„Du kennst ihn?“, fragte ich interessiert und setzte mich zum ersten Mal an diesem Abend auf einen Stuhl.
„Glaub mir, ich wünschte wirklich ich täte es nicht aber, leider hatten wir schon das Vergnügen. Das war aber noch alles vor deiner Zeit, Kleiner.“ Thomas, ein weiterer Kellner, prustete los wie eine Dampflok.
„Was ist passiert?“ fragte ich in die Runde und schlürfte an einem Orangensaft.
„Er hat...“, fing Thomas an, aber Andre unterbrach ihn mit einem seltsamen Laut, der sich so ähnlich wie ein Knurren anhhörte. Er begann stillschweigend das schmutzige Geschirr in die Maschine zu stellen, als wäre die Sache damit erledigt. Ich hätte gerne nachgehakt, aber ich wollte die Stimmung nicht noch mehr runter ziehen. Also holte ich ein Kartenspiel aus meiner Hosentasche und bot es Pete, der bisher unauffällig in der Gegend gestanden hatte, an. Er lehnte ab, deponierte seine Mütze und Schürze auf dem Tisch und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Nach einer Weile gingen Thomas und Andre und überließen mir den Rest. Den Rotwein, den Andre offen auf dem Tisch stehen ließ, stellte ich wieder in den Kühlschrank, wischte über die Tische und lockerte den Bund meiner schwarzen Krawatte, die mich schon den ganzen Tag zuschnürte. Ich betätigte den Lichtschalter und war im Begriff zu gehen, als mich jemand plötzlich unsanft nach hinten schubste. Ich taumelte in der Dunkelheit und hielt mich am Küchentisch fest.
„Wer zum Teufel war das?“ schrie ich laut. Das Licht ging an. Es war Eric, der sich wie ein Riese vor mir aufbaute. Neben ihm sah ich wirklich aus wie ein schlaffer Sack. Erics Schultern waren breit gebaut, sein Hals war stämmig. Das Einzige, was so gar nicht zu seinem Erscheinungsbild passen wollte, war sein bubenhaftes Gesicht.
Er kam so nah an mich heran, dass ich reflexartig zurückwich. „Du hast heute ganz großes Pech, weist du das?“
„Inwiefern?“
„Wegen dir wurde ich herumkommandiert wie ein Hund.“ Ich rümpfte die Nase, als er mit seinem Gesicht immer näher kam und ich den Geruch von Qualm und Alkohol vernahm.
„Das war nicht meine Schuld und das weist du“, antwortete ich grimmig.
„Und wie es deine Schuld war, du Trottel“, grinste er arrogant. Vielleicht würde er sich beruhigen, wenn ich nachgab.
„Okay, vermutlich war es meine Schuld und was willst du jetzt machen?“ Er ließ eine Minute verstreichen, zog eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Der trübe Rauch kam wie eine Giftwolke aus seinem Mund und ließ mich die Luft anhalten. Ich mochte den Geruch von Tabak nicht sonderlich und noch weniger gefiel es mir von ihm benebelt zu werden. Ich musste husten.
„Du solltest mich nicht noch mehr aufregen, davon wird es nur noch schlimmer.“
„Tut mir leid, aber du bist ein verwöhntes kleines Kind und ich kann nicht anders. Also geh jetzt spielen und lass mich einfach meine Arbeit machen.“ Für einen Moment sah er wirklich überrascht aus, aber dann nahm seine Miene wieder denselben kalten Ausdruck an wie zuvor.
„Die Worte wirst du noch bereuen“, sagte Eric Zähne knirschend, als müsste er sich beherrschen nicht die Fassung zu verlieren.
Er ging eher er seine Zigarette fertig geraucht hatte und alles was ich als letztes dachte war nur, wie wenig die Zigarette zu seinem Erscheinungsbild passte.
Es war kein besonderer Tag. Im Grunde war er genauso wie alle anderen auch. Andre wurde kurzfristig zum Pagen degradiert und ich half Sam, dem Rezeptionisten, in der Lobby. Sam hatte lockige, schwarze Haare, die ihm ständig ins Gesicht fielen, was er so sehr hasste, dass er sich am liebsten den Kopf kahl rasiert hätte. Er beteuerte jedoch, dass Frauen längere Haare viel anziehender finden und bewarte deshalb die Beherrschung.
„Hey, hast du Aline heute schon gesehen? Dieser sexy Knackarsch watschelt hier durch die Gegend als wäre er auf einem Laufsteg. Wie soll man da bitte arbeiten können“, sagte er. Ich stütze mich mit den Ellbogen an der Theke ab.
„Schau einfach nicht hin.“ Er sah mich perplex an.
„Genauso gut könntest du einem Moslem sagen, iss doch heute mal Schweinefleisch. Wie soll das den gehen. Ich bin immerhin ein Mann und kein Roboter. Lässt dich das etwa kalt?“
„So etwas nennt man Selbstbeherrschung.“ Ich schnappte mir eins der Broschüren auf der Theke und fing an darin herumzublättern. Sam seufzte laut und sah wieder zu Aline, die in der Lobby gerade die eingetrockneten Blumen gegen frische austauschte. Sein verzweifelter Gesichtsausdruck sprach Bände.
Die Lobby war beinah menschenleer. Nur eine einzige Person saß in einer Nische auf einem gepolstertem Mahagoni Sessel. Eric. Er hatte sein Handy herausgeholt und tippte hektisch etwas ein. Er schien mich gar nicht zu bemerken. Nach seiner Drohung von gestern hätte ich zumindest einen bösen Blick erwartet, aber das war schon beinah lächerlich. Ich entschied ihn ebenfalls zu ignorieren und wandte mich wieder Sam zu, der mich von der Seite merkwürdig musterte.
„Hab ich irgendwo Spinat zwischen den Zähnen oder warum starrst du mich so an?“ fragte ich ihn lachend. Plötzlich kam er hinter der Rezeption hervor und stellte sich vor mich.
„Dein Hemd guckt aus deiner Hose raus.“ Eher ich reagieren konnte griff er nach dem Bund meiner Hose und stopfte das zerknitterte Hemd hinein. Ich wurde rot. „Hey, ich bin kein Kind mehr, das kann ich auch selbst machen.“
„Schon erledigt, gern geschehen“, antwortete Sam und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Ich drehte mich instinktiv von ihm weg und beobachtete die Leute, die rein und raus gingen. Mr.Russow, ein älterer Herr, der nie etwas sagte, lass Zeitung und schlürfte seinen morgendlichen Espresso, während eine junge Frau sich hastig eine Schicht Puder auftrug. Mein Blick durchquerte unbemerkt die Lobby, aber von Eric keine Spur. Wieso kümmerte mich dieser Idiot überhaupt. Weil er mir gedroht hat? Nein, ich hatte keine Angst vor ihm. Feuern konnte er mich schließlich nicht. Aber irgendwas stimmte mit dem Kerl einfach nicht.
Mittags wurde im Speisesaal das Essen serviert und normalerweise war ich für Tisch sechs verantwortlich gewesen, aber weil heute Steve Vandom den Dienstplan durcheinandergebracht hat, ging es in der Küche zu wie in einem wild gewordenen Zoo. Niemand wusste, wer wofür zuständig war. Deshalb hatte Pete kurzerhand selbst die Einweisung gemacht hatte und so kam es, dass er mir damit einen riesen Gefallen getan hat. Denn zu dieser Zeit hat sich an dem besagten Tisch eine Gruppe versammelt, die eindeutig auf Krawall aus war.
Andre kam aus dem Saal marschiert. Sein Gesicht war puterrot wie ein Krebs. „Das wars, der Typ kriegt jetzt Rattengift in sein Essen“, schrie er und lief zum Herd. Petes Augen weiteten sich. Er kam auf Andre zu und versuchte ihn zu beruhigen.
„Komm wieder runter. Hier wird niemand vergiftet.“ Andre schlug Petes Hand weg.
„Es wird Zeit, dass jemand was gegen diesen Bastard unternimmt.“ Vollkommen Aufgewühlt lief er durch die Küche, während wir ihn neugierig dabei beobachteten. Jeder wusste, von wem er sprach.
„Was hat Eric zu dir gesagt?“ Auf einmal hatte jeder mit seiner Arbeit aufgehört. Andre wurde wieder rot. „Lohnt sich nicht es zu wiederholen.“
„Für uns lohnt sich das auf jeden Fall“, lachte Thomas. Andres wütender Blick traf ihn wie ein Blitz und er wurde still.
„Geht alle wieder an die Arbeit!“, rief Pete und scheuchte mich und Andre wieder in den Saal.
Für einen Bruchteil der Sekunde hatte ich wirklich gedacht, so etwas wie Unentschlossenheit in seinem Gesicht gesehen zu haben. Ob er wirklich darüber nachgedacht hat Eric zu vergiften?
Jeder schien ihn zu hassen. Ich fragte mich, mit was er Pete auf die Palme gebracht hat. Konnte man das überhaupt? Ich hatte Pete immer für unangreifbar gehalten, weil von ihm eine Energie ausging, dessen Stärke niemand anzweifeln würde.
Im Saal angekommen lief ich zwischen Tisch sechs und vier vorbei und spürte, wie Eric mich von der Seite aus beobachtete. Nicht nur er. Auch seine zwei Begleiter. Als wäre Eric ihr Anführer ahmten sie seine Bewegungen nach und so wie es aussah, war ich ihr nächstes Ziel. Ich nahm Bestellungen auf, kassierte ab und räumte schmutzige Teller vom Tisch weg. Ich konnte sehen wie Andre ins Schwitzen kam. Eric hatte ihn ganz schön durcheinandergebracht.
Auf dem Weg in die Küche sah ich gerade noch wie Eric Andres Hand festhielt und dabei sein Gesicht zu einer Grimasse verzog, eher ich hinter der Stahltür verschwand. Ich war zu sehr in Eile um die zwei Begleiter an dem Tisch richtig sehen zu können, aber wenn sie Erics Freunde waren dann kam bestimmt nichts Gutes dabei heraus.
Es dauerte nicht lange, bis die Leute fertig mit ihrem Essen waren und Andre und ich uns endlich entspannen konnten. Er wirkte immer noch abwesend.
„Hey, bist du noch da?“ Ich rüttelte leicht an seiner Schulter, während wir beide in der Küche saßen. Er schlug die Hand weg.
„Bin ich und jetzt lass mich in Ruhe“, antwortete Andre bissig, stand auf und ging.
„Nimm es ihm nicht übel. Wenn er sauer ist, dann lässt er niemanden an sich ran.“ Petes Stimme drang von der hintersten Ecke der Küche zu mir rüber. Die Töpfe und Pfannen hatte er mittlerweile alle sauber verstaut und ordentlich aufgeräumt. Ich überlegte mir, ob ich die freie Zeit nützen und an die frische Luft gehen sollte. Diese ganzen Vorfälle mit Eric trieben mich in den Wahnsinn. Er schadete mir auch wenn er nicht in der Nähe war.
Die Sonne stand oben im Zenit und brannte warm auf mein Gesicht. In dem Hemd und der schwarzen Weste schwitzte ich wie ein Wahnsinniger. Kein Mensch weit und breit. Ich knöpfte die Weste ganz auf und lockerte die Krawatte. Der Kies knirschte unter meinen schwarzen Lacklederschuhen, sobald ich mich bewegte, und übertönte die Stille. Ich dachte an meine Mutter. Es tat mir nicht gut an sie zu denken – weil ich wusste, ich konnte ihr nicht helfen – aber sie war überall. Ich sah sie in den prachtvollen Tulpen des Gartens, hörte ihre Stimme in jeder Melodie und roch sie sogar in der Luft, die ich einatmete. Ich lebte für sie und sie lebte für mich.
Der Tod meines Vaters hätte uns beide fast auseinandergerissen, wenn ich in ihren Augen nicht etwas gesehen hätte, wovon ich dachte, es wäre für immer verloren.
Hoffnung.
Meine Pause war seit fünf Minuten vorüber und ich wollte wieder an die Arbeit gehen, aber als ich mich umdrehte, sah ich wie Eric langsam auf mich zukam – gefolgt von zwei weiteren Typen. Der Eine war rothaarig und noch dünner und kleiner als ich, der Andere eine Statur wie ich es bisher bei noch keinem Mann gesehen hatte.
Eric trug dieses Mal eine einfache Baumwollhose und ein weißes Hemd, das er sich bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hatte. Ich wusste er kam nicht um die wunderbare Aussicht zu genießen, er kam meinetwegen.
„Hatte ich dich nicht gewarnt?“ sagte er, als er mir gegenüberstand. Ich zuckte mit den Schultern und überflog die Warnung in seiner Stimme.
„Dann muss ich eben deutlicher werden. Matthew, komm her.“ Eric kam auf mich zu und packte mich am Kragen.
„Ich hab neulich dich und Sam gesehen, wie nah ihr beide euch wart, so vertraut. Sag mal gefällt dir sowas.“ Mit seinem Gesicht kam er ganz nah an meine Wange, sodass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren konnte.
„Für Schwule haben wir nämlich nichts übrig“, meldete sich Matthew plötzlich und kam hinter Eric hervor.
Eric drehte sich kurz um, sah Matthew ins Gesicht und wandte sich wieder mir zu.
„Für jemanden, der solche Leute hasst, ist er aber sehr anhänglich“, antwortete ich etwas trocken. Eric ließ los, meine Worte schienen ihn zu entmudigen. Sein Gesicht wurde ernst und als er gerade etwas sagen wollte, drehte Matthew ihn von mir weg und schlug direkt in mein Gesicht. Eric erstarrte. Ich fiel auf die Erde, eine große Staubwolke stieg empor und ich musste auf einmal husten. Meine Nase war nass vom Blut dass mir hinunter rann. Mein Schädel pochte wie verrückt vom Aufprall. Ich sah zu Eric, der noch immer wie eine Statue dastand. Matthew musste seine ganze Kraft in diesen Schlag gesetzt haben, er keuchte laut. Gerade als ich dachte er würde mir wieder einen verpassen sagte Eric etwas, aber ich konnte nicht genau verstehen was, weil ich nur das Rauschen meines Blutes in den Ohren hörte. Ich nahm an er wollte gehen, aber als ich mich aufrappelte, sah ich gerade noch seinen irritierten Blick eher er im Haus verschwand. Fast so als wollte er sichergehen, dass ich okay war, was unmöglich sein konnte.
Was für ein Mist, dachte ich, als ich am Waschbecken der Küche meine Nase abwischte. Das Taschentuch färbte sich rot. Dieser Matthew hatte was von einem Grizzlybär. Au, schrie ich, als ich meine Nase betastete und merkte, wie hart es mich getroffen hatte. Plötzlich hörte ich hinter mir etwas zu Boden fallen.
„Hallo?“ rief ich, drehte mich um und sah Eric in der Tür stehen, der mir beiläufig zunickte. „Was willst du?“
„Wegen vorhin...ich hätte nicht gedacht, dass der zuschlägt“, sagte Eric und kam langsam auf mich zu. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und die Schultern hochgezogen wie ein Kind, dass Ärger gemacht hat.
„Ja, hättest du am liebsten selbst getan, stimmts?“ Ich setzte mich auf einen Stuhl und drückte mir das Taschentuch auf die Nase. Eric sah für einen Moment unschlüssig aus, aber schließlich entschied er neben mir Platz zu nehmen. Diese Nähe überraschte und erschreckte mich zu gleich. Sein Gesichtsausdruck hatte nichts mit dem Eric von vorhin gemeinsam. Dieser Eric sah plötzlich mitleidig aus.
„Dann bring mich nicht auf die Palme.“
„Ich hab dir nichts getan, absolut gar nichts.“ Ich fixierte ihn mit meinen Augen und vergrub meine Fingernägel in dem massiven Holz der Stuhlunterseite. Diese Arroganz, die in seiner Stimme lag, ließ mich wütend werden. Eric griff unbeeindruckt in seine Hosentasche und holte eine Packung Zigaretten heraus – eine Marke, die ich noch nie gesehen hatte.
„Du darfst hier nicht rauchen“, sagte ich brüsk. Er starrte mich irritiert an.
„Oh, ich darf hier machen, was ich will. Weist du auch wieso?“ Er zündete eine Zigarette an und nahm einen langen Zug davon.
„Weil es in ein paar Monaten mir gehören wird. Naja, auf dem Papier zumindest. Jeder einzelne Millimeter dieses stinkigen, alten Gemäuers.“ Eric lehnte sich auf dem Stuhl zurück, sodass der Küchentisch seinen breiten Rücken stützte. Völlig gelassen saß er da und bildete sich ein die Welt zu besitzen. Wie konnte jemand zu so einem Menschen werden – arrogant, selbstgefällig, herablassend, kalt. Gab es für solche Menschen überhaupt noch Hoffnung sich zu ändern?
„In ein paar Monaten sagst du?“ Ich überlegte gespielt.
“Das müsste reichen, um einen neuen Job zu finden.“ Plötzlich fand ich es unglaublich komisch, obwohl es mein todernst war. Er würde mich sowieso feuern, da konnte ich ihm auch genauso gut zuvorkommen.
Er neigte den Kopf, sah dabei nachdenklich zur Decke und grinste, als wäre ihm gerade ein Licht aufgegangen.
„Eine bessere Arbeit findest du nicht so schnell und du brauchst das Geld. Glaub ja nicht, ich wüsste von nichts. Ich bin kein Idiot.“ Die Verwunderung in meinem Gesicht ließ ihn lächeln.
„Hast du gedacht, ich würde dich rausschmeißen? So herzlos bin nicht mal ich.“ Ich presste meine Lippen aufeinander. Eric drückte die Zigarette auf dem Küchentisch aus und ließ sie dort liegen. Ich kämpfte gegen den Drang sie sofort in den Mülleimer zu werfen.
„Dann ist unser Gespräch jetzt wohl zu Ende“, sagte ich stumpf und richtete mich auf. Dabei glättete ich mein vom Sitzen zerknittertes Hemd, das aus meinem Hosenbund hervorblitzte. Ich bemerkte, wie Eric mir dabei zusah.
„Nicht ganz“, sagte er und ich musste ihn automatisch ansehen.
„Ich will dir ein befristetes Geschäft vorschlagen. Es bleibt dir überlassen, ob du es annimmst oder nicht.“
„Sorry, aber ich bin nicht interessiert.“
Ich drehte mich um und warf das blutige Taschentuch in den Mülleimer. Hinter mir hörte ich, wie auch Eric aufstand und sich in der Küche nach etwas umsah. Als er es schließlich fand, stützte er seine Hände am Küchentisch ab und begann zu schreiben. Fragend sah ich in seine Richtung, während das leise Geräusch des Kugelschreibers die Stille zwischen uns durchbrach. Eric blickte kühl auf, betrachtete das Blatt zufrieden und schob es mir rüber. Vorsichtig kam ich näher und sah, was er geschrieben hatte.
„Das ist das, was du von mir bekommen würdest, wenn du für mich arbeitest“, antwortete er mir auf meine unausgesprochene Frage. Mein Atem stockte, in mir verkrampfte sich alles und mir wurde schlecht so eine Summe überhaupt zu sehen. Alles in mir sträubte sich dagegen zuzusagen, weil ich genau wusste, wie mein Leben dann aussehen würde. Aber dieses Geld war dreimal so viel wie das, dass ich in einem halben Jahr verdiente. Nach kurzem Zögern stellte ich ihm schließlich die Frage, die ihn lächeln ließ.
„Für wie lange?“
Er grinste wie ein Kind, das seinen Willen gekriegt hatte. Diese eine Frage war meine stille Einverständniserklärung, auf die er gewartet hatte. In seinem Gesicht lag etwas, was mich verwirrte. Es war nicht das Übliche kalte, egoistische, das einem Angst einjagte und auch kein Triumph über mich, den er durchaus ebenso genoss. Es war Freude. Aufrichtige, herzliche Freude, die für eine Sekunde andauerte und dann wieder in der dunkelsten Ecke seiner Existenz verschwand.
Perth lag exakt 155 km von Cantal village entfernt - einem überschaubaren kleinen Ort, wo sich kaum ein Tourist verirren würde. Die einzigen Gäste, die das Hotel besuchten, waren alles Einheimische, besser gesagt Leute aus einem exklusiven Wirkungskreis oder solche, die sich gerne dafürhielten. Es war eins der wenigen Orte, wo die Leute mit Prahlerei um sich warfen wie warme Brötchen.
Ich war noch nie in Perth, die Straßen sahen für mich vollkommen gleich aus und nichtsdestotrotz kämpfte ich mich durch den Abendverkehr, der zu meiner Überraschung weit lebhafter war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das Auto, ein Oldtimer Mustang, hatte zu meinem Bedauern ein Handicap, das mich wahnsinnig machte. Die Kopflehne des Sessels ließ sich nicht richtig verstellen, sodass ich gekrümmt wie eine Schildkröte da saß. Mein Nacken schmerzte und die Kupplung machte mir wieder mal zu schaffen. Alles Probleme die ich hätte vermeiden können, indem ich gestern abgelehnt hätte, aber nun saß ich hier fest, mitten im Straßenverkehr, neben mir ein kleines Päckchen mit einem ungewissen Inhalt. Ich konnte nicht anders als ständig auf den Beifahrersitz zu schielen und mir vorstellen, was wohl drinnen sein könnte. Schmuck, Geld, Wertpapiere oder etwas so banales wie ein Buch? Ich konnte mir nicht vorstellen, das Eric mich dafür bezahlte ein Buch herumzukutschieren. Der Gedanke war einfach zu absurd.
Bei der roten Ampel an der Kreuzung holte ich das Stück Papier mit der Adresse heraus, las es noch einmal und nahm es in die rechte Hand des Lenkrads. Ich hatte das Fenster geöffnet, es zog etwas. Das Stück Papier flatterte in meinen Fingern wie Espenlaub. Ob ich bei der Heimfahrt noch ein Spirituosen Geschäft finden würde? Sam hatte in einer Woche Geburtstag und ich wollte die Gelegenheit nutzen, um ihm einen richtig guten Cognac zu kaufen, aber alles was ich bisher erblickte waren ein Schreibwarenbedarf, eine Schusterei, mehrere Blumengeschäfte und Lebensmittelläden. Mein Blick huschte vom Papier zu den Straßenschildern, als ich das Ziel endlich fand und direkt in die Gasse einbog. Es war das Haus mit der rötlichen Fassade, deren Fenster mit dunklen Vorhängen verhüllt, waren. Da es mittlerweile angefangen hatte zu dämmern konnte man trotzdem ein paar Lichtstrahlen erkennen.
Ich parkte den Mustang ein paar Schritte vom Haus entfernt. Die Gasse schien kein Ort zu sein, wo sich Menschen gern aufhielten. Alles drum herum wirkte trostlos und unscheinbar. Das Päckchen nahm ich in meine linke Hand, weil ich in der rechten immer noch das Stück Papier festhielt. Die Kälte ließ mich frösteln, besonders weil ich immer noch die Arbeitsuniform trug und mein Hemd dünner war als ein Pharmaschinken. Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, wessen Haus das war. Meine Hand drückte mechanisch auf die Klingel und wartete. Von drinnen hörte ich lautes Gelächter. Nach langem Warten öffnete jemand die Tür und ich konnte einen Blick ins Innere erhaschen. Eigentlich wollte ich nicht neugierig sein, aber etwas ließ mich auf einmal nervös werden. Hinter dem Dünen Kerl, der von der Tür zur Hälfte verdeckt wurde, standen zwei Männer, die mich ebenso ansahen. Verlegen blickte ich wieder weg und sah wieder zur Tür. Der sehr schmächtige und blasse Kerl vor mir war sehr jung, wahrscheinlich sogar jünger als ich.
„Ich habe eine Lieferung für Charles Paatil.“ Der Junge blickte mich fragend an.
„Natürlich.“, sagte er entschieden, als ob er sich wieder an etwas erinnert hätte. Ich reichte ihm das leichte Päckchen, das aus einer schlichten, rechteckigen, braunen Verpackung bestand. Der Junge begutachtete es ohne das Paket zu öffnen. Er wirkte zufrieden.
„Ist alles in Ordnung?“fragte ich.
„Ja, danke.“ Einen Moment verharrte der Junge in der Tür, unschlüssig, ob er mir was geben soll oder nicht. Als ich aber schon am Umkehren war hielt er mich zurück und gab mir einen Fünfer in die Hand und verschwand wieder hinter der Tür. Die Situation war befremdlich, obwohl ich sie schon so oft erlebt hatte. Anständige Leute gaben Trinkgeld, nur das ich das Gefühl hatte, dass das hier nicht normal war.
Etwas zögerlich drehte ich mich noch mal um und sah nach oben, gerade rechtzeitig um einen der Vorhänge flattern zu sehen, so als ob sich jemand dahinter versteckte. Mich durchzuckte ein Schauer. Ich hatte das Gefühl beobachtet zu werden.
Ich stieg wieder in das Auto und schloss die Tür. In den Laden würde ich heute sicher nicht mehr schaffen. Es war dunkel geworden, kein Geschäft hatte mehr auf und ich musste mich beeilen um nicht zu spät zur Arbeit zukommen. Denn obwohl Eric mich für all dies bezahlte musste ich weiter arbeiten als wäre nichts gewesen.
Ich wusste es zu dem Zeitpunkt noch nicht und mir wäre es auch nicht in den Sinn gekommen, aber das hier war ein Ort mit unendlichen Begriffen, alle mit derselben krankhaften Bedeutung, die es in sich trug. Wenn ich nur geahnt hätte, was es in Wirklichkeit war.
Als ich zum Abend im Hotel ankam, war es bereits nach 12. Andre und Pete waren schon längst mit allem fertig und ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich sie im Stich gelassen hatte. Morgen früh würde ich mich dafür revanchieren, sagte ich mir und ging an die Rezeption. Sam war gerade dabei zugehen, als er mich sah und mir zu lächelte.
„Wo warst du den ganzen Tag?“ Ich kratzte mir verlegen die Stirn.
„Musste was erledigen.“
„Aha, und was?“ Sam kam hinter der Rezeption hervor und stellte sich vor mich.
„Nichts Besonderes. War nur in der Stadt. Sorry, dass ich...ähm, dir nicht Bescheid gesagt habe.“
Er tätschelte meine Schulter.
„Brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich würde auch am liebsten die Fliege machen, aber wovon sollte ich sonst leben? Ein Privatleben habe ich ja nicht. Die denken hier alle wir wären ihr Eigentum.“ scherzte er. Sein Lächeln steckte mich an. Das Telefon der Rezeption klingelte und wir sahen beide auf. „Wer zum Kuckuck ist das den jetzt?! Langsam denke ich wirklich die Leute haben Spaß daran mich herum zu scheuchen wie einen Gaul.“
„Hey, entspann dich, ich mach das. Geh du schon mal.“ Das Telefon klingelte weiter und ließ den Raum dadurch erbeben. Als ich abnahm, wollte ich mich dafür entschuldigen so spät abgehoben zu haben, aber die Stimme am Telefon kam mir zuvor.
„Ich will mit Chris sprechen.“, sagte Eric energisch. Automatisch musste ich zusammenzucken, obwohl es dazu keinen Grund gab. Allein seine tonangebende Stimme machte mich nervös, sodass ich jedes Mal aufspringen könnte, wenn ich sie hörte.
„Am Apparat.“ Stille.
„Komm in mein Zimmer, sofort.“ Kaum dass ich was dagegen sagen konnte, legte er auf und ich konnte wieder nicht anders als meine Finger in der Schnur des Telefons zu vergraben, die sich um meine Finger gewickelte hatte. Ich war wütend, erschrocken, irritiert – alles auf einmal. Allein die Vorstellung mit Eric in einem Raum zu sein...und das auch noch allein mit ihm – so etwas war schon nicht mehr normal. Der Typ war pures Gift für mich und nichtsdestotrotz folgte ich ihm aufs Wort und bewegte meine müden Beine direkt bis zu seiner Zimmertür, die ihm dritten Stock lag. Kurz davor klopfte ich zaghaft. Mein Herz raste und ich wusste nicht mal warum.
Die Tür ging auf und ein etwas benebelter Eric kam zum Vorschein. Sein blütenweißes Hemd war wie eine Lampe. Ich kniff die Augen zusammen und musste zu Boden schauen. Eric war barfuß.
„Komm rein.“, sagte er und schloss die Tür hinter mir. Das Zimmer war nicht so groß, wie ich es mir gedacht hatte. Ein riesiges Bett stand in der Mitte des Raumes, umspielt von zwei dunklen Nachtkästen, auf denen ebenfalls zwei Lampen standen. Ich bemerkte einen etwas zu klein geratenen, verzierten Schrank zu meiner Rechten und eine mit Stoff bezogene Couch, die an der Wand lehnte. Es gab sogar eine kleine Leseecke mit einem Bücherregal. Ich fragte mich, wozu ein Mensch wie Eric Bücher brauchte.
„Hast du alles erledigt?“, fragte er schließlich und kam mit den Händen in den Hosentaschen auf mich zu.
„Ja.“ Er grinste und machte noch einen Schritt nach vor. Ich traute mich nicht nach hinten zu treten, weil ich wusste, dass würde ihn nur noch mehr anstacheln. Stocksteif stand ich da und sah dabei zu, wie er mit seinen breiten Schultern immer näher kam.
„Dann können wir zu dem anderen Teil des Geschäfts kommen. „Ich musste auf ihn ziemlich lächerlich gewirkt haben, als ich ihn irritiert ansah. „Zieh dich aus.“
Er stand wie ein Riese vor mir und blickte auf mich herab. Es wunderte mich, wie er das anstellte, weil ich nur eine Handbreit kleiner war als er. In mir verkrampfte sich alles.
„Wie bitte?“
„Du hast mich schon verstanden. Mach. Jetzt. Sofort.“ sagte er etwas wütender, nahm seine Hände jedoch nicht aus den Hosentaschen. Eric bückte sich zu meinem Ohr. „Denk dran was ich dir dafür zahle und schon gezahlt habe.“ Sofort dachte ich an den Umschlag, den er mir heute Morgen zusammen mit dem Päckchen in die Hand gedrückt hatte. Ich hatte keine Wahl. Besorgt, dass jemand mich sehen könnte, wanderte mein Blick durch den Raum. Sicher. Es war doch nur...was war das hier eigentlich wirklich? Ein Spiel? Stand er auf Männer? Ich wagte nicht danach zu fragen. Plötzlich wurde mir klar wie leicht es war mich zum Schweigen zu bringen und das erstaunlich war: Ich ließ es zu, obwohl ich immer noch nein sagen könnte. Ich könnte das Geld zurückgeben und ihn zum Teufel jagen. Aber ich tat es nicht. Wenn ich an meine Mutter dachte, an ihre und meine Zukunft, dann wurde mir klar, dass das alles, was ich mir ausgemalt hatte noch in ferner Zukunft lag. Wie konnte sie zu ihrem normalen Leben zurückkehren, wenn es nichts gab, wofür es sich lohnte. Unser Haus wurde nach dem Tod meines Vaters eingezogen. Die Hypothek war zu hoch und das abzubezahlen würde mich...uns kaputtmachen.
Erics Blick durchdrang mich schon fast, in ihm steckte zu viel Machthunger. Ich wusste wie sehr er es genoss Macht über jemanden zu haben. Es machte mich wütend und verzweifelt zugleich, dass er das ausgerechnet mit mir tat. Ich lockerte meine Krawatte und öffnete den ersten Knopf meines Hemdes. Eric beobachtete jede meiner Bewegungen. Die schwarze Weste fiel schnell zu Boden und auch die Krawatte war kein Problem. Meine Finger zitterten gerade so, dass er es nicht bemerkte oder zumindest hoffte ich, dass er es nicht tat. Ich werkelte viel zu lange an den Knöpfen des Hemdes herum und brauchte eine Ewigkeit, bis es schließlich ebenfalls auf den Boden fiel. Ich öffnete mit beiden Händen den Knopf meiner Hose und zog den Reißverschluss nach unten, in der Hoffnung er möge es mir nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon war. Die Situation war zu bizarr und peinlich. Ich bückte mich, um mir die Hose abzustreifen und bemerkte dass ich immer noch Schuhe und Socken anhatte. Vermutlich sah ich aus wie ein Idiot – mit der Unterhose und den Lederschuhen, aus denen schwarze Socken hervor blitzten. Ich sah zu Eric, dessen Blick an dem wichtigsten Punkt verharrte und mich dazu zwang weiter zu machen. Mit nackten Füßen stand ich auf dem kalten Parkettboden und setzte meine Finger an dem Bund der Unterhose an, schwankte kurz – dies wäre der letzte Moment, um aufzuhören, aber ich zog sie hinunter wie die Hose. Jetzt war alles aus, dachte ich. Ich konnte Eric nicht ins Gesicht sehen, aber ich wusste, dass er mich ansah. Eine Ewigkeit schien mir verging. Ich wusste nicht, was nun folgte und wurde noch nervöser. Nackt vor jemandem zu stehen war für mich keine große Sache, ich hatte schon andere Sachen gemacht. Allerdings war es etwas vollkommen anderes vor jemandem zu stehen, den man nicht leiden konnte, noch dazu, wenn derjenige einen mustert, als wäre man auf einem Fleischmarkt.
Eric griff mit der Hand in meinen Schritt. Ich atmete tief ein. Was würde er mit mir tun? Was wollte er mit mir tun? Seine Hand massierte sacht mein Glied. Ich errötete. Ich beobachtete ihn bei jedem was er tat und mir fiel auf, dass er mir in dieser Zeit kein Einziges Mal in die Augen sah. Er wirkte bei seiner Tätigkeit sehr konzentriert. Plötzlich wurde mir heiß, die Härchen auf meinen Armen richteten sich auf und ich wurde hart. Eric zog seine Hand wieder weg und sah meinen Penis an. Für mich war mein Körper nichts Besonderes, aber für ihn schien er so amüsant zu sein das er lächeln musste. Nicht dieses Arrogante Lächeln, sondern ein wirkliches. Ich gab zu, es war schwer zu unterscheiden. Noch nie wurde ich von einem Mann berührt und ich wollte es auch nie ausprobieren. Vielleicht wollte Eric aber genau das, experimentieren? Nein. Sein Blick war zu vertraut mit dem, was er sah, zu selbstsicher. Ich war davon überzeugt, dass es nicht sein erstes Mal war.
„Stehst du darauf?“ Überrascht von mir selbst, hörte ich, wie ich meine Lippen zu einer Frage formte und ihn ansah.
„Hm.“ Er fuhr mit der Zunge über seine Oberlippe. „Ich hab meinen Spaß, sagen wirs mal so.“
„Ich habe aber keinen Spaß“ Wie konnte ich den Mut aufbringen in so einer Situation so etwas wie Selbstsicherheit auszustrahlen. Immerhin hatte er noch seine Kleidung an und ich stand mit steifem Penis vor ihm wie eine Statue. Er grinste mich höhnisch an.
„Das ist genau das, was mich anmacht, wenn ich Leute dazu zwingen muss etwas zu tun, was sie nicht wollen. Ich breche jeden irgendwann.“ Eric deutete mit dem Kopf zum Bett. „Setzt dich. Mal sehen, was du so kannst.“ Etwas zögerlich bewegte ich mich auf das riesige Bett zu, dessen weißer Bezug mir quälend entgegen lächelte. Ich setzte mich an deren Kante, meine Hände schwitzten. Die ganze Situation brachte mich zur Verzweiflung. Ich versuchte mir immer wieder einzureden, dass nichts dabei war, wofür ich mich zu schämen brauchte. Ich hatte nichts das Eric nicht auch besaß. Dieser Gedanke ließ meine Röte in Rauch aufgehen.
Eric stellte sich vor mich, zog Hemd und Hose aus und beförderte das letzte Stück Stoff, das seinen Unterleib bedeckte, auf den Boden. Er war hart und blickte mir mit all seiner Größe entgegen. Ich wusste was Eric wollte und es ekelte mich über die Maßen an. Mein Blick huschte zu Boden. Ich wollte es nicht tun, mal ganz zu schweigen davon das ich keinen Schimmer hatte wie. Man könnte meinen als Kerl müsste man wissen wie so was geht, aber die Wirklichkeit sah anders aus.
Eric kam noch ein Schritt näher. Jetzt hatte ich keine Chance mehr auch nur meine Beine zu bewegen, weil er sie wie eine Zange fest mit seinen umklammerte. Der Raum lud sich immer mehr auf. Erics Präsenz war überall zu spüren. Ich begriff ich hatte keine Wahl. Ich musste es zu Ende bringen, es einfach über mich ergehen zu lassen. Mit meiner rechten Hand packte ich grob seinen Penis und zog ihn etwas hoch, damit ich mit dem Mund besser ran kam. Etwas zaghaft öffnete ich meinen Mund und schob ihn hinein. Seine Größe füllte jeden Millimeter meiner Mundhöhle. Ich musste würgen. Aber Eric griff mit beiden Händen meinen Kopf und verkrallte sich in meine kurzen Haare, hinderte mich daran loszulassen. Ich versuchte ihn mit meinen Händen wegzudrücken. Als Eric merkte ich hatte genug ließ er locker und glitt aus mir. Mir rann Speichel aus dem Mund und ich würgte erneut. „Weiter“, sagte er und drückte meinen Kopf auf seinen Penis. Ich wünschte mir den Moment herbei, als er mir das Angebot gemacht hatte und ich noch die Chance hatte abzulehnen. Ich schob ihn wieder in den Mund, dieses Mal selbstsicherer, und bewegte meinen Kopf. Immer wieder spürte ich ihn hart gegen meinen Rachen kommen. Der Würgereflex ließ meine Augen tränen. Ich konnte nicht sehen ob Eric es sah. Selbst wenn er es sah, würde er nicht aufhören. Ich brauchte eine Pause, aber er ließ mich nicht. Seine Hände versteiften sich in meinem Haar, zogen daran und verursachten auf meiner Kopfhaut starke Schmerzen. Auf einmal fing Eric laut an zu keuchen, was für mich eine baldige Erlösung bedeuten sollte, aber als es endlich soweit war verstärkte er seinen Griff und kam direkt in meinem Mund. Ich drückte ihn weg und würgte den Inhalt aus. Klare, weiße Flüssigkeit, die sich mit meinem Speichel vermengt hatte, rann aus meinem Mund auf den Boden. Eric trat einen Schritt zurück. Ich verfluchte ihn für all das. Völlig außer Atem blickte ich zu seinem zufriedenen Gesicht. Auf seiner Haut hatten sich winzige Schweißtropfen gebildet, die jetzt leicht schimmerten. Er schnappte sich erneut ein Büschel meiner Haare und zog meinen Kopf in meinen Nacken, sodass ich ihn ansehen musste.
„Na also war doch gar nicht so schwer.“ Mein ganzer Körper ekelte mich an. Ich empfand nichts als Abscheu - auf ihn, auf mich, auf die ganze Welt. Mein roter Kopf hing schlaff herunter, die feuchten Haare klebten an meiner Stirn wie Zuckerwatte.
Eric sah mich kurz an, ging ins Bad und warf mir ein weißes Handtuch zu.“Kannst dich wieder anziehen.“ Das Handtuch landete in meinem Schoß und es dauerte einen Moment bis ich es zu meinem Mund heranzog und mir damit das Gesicht abwischte. Ich sah auf die Uhr am Nachttisch und musste unter Tränen lachen. Das Ganze hatte nicht mal eine halbe Stunde gedauert. Das bedeutete, dass ich mich so wie ich war, in meinen Albträumen wieder finden würde, mit Eric als Zerberus an meiner Seite. Nein, das würde ich nicht ertragen. Die Wut brodelte in mir, stieg weiter auf, aber es war vorbei. Es war endlich vorbei.
Die Sonne blendete mich und ich sah nicht mehr, wohin ich ging. Jemand sollte gefälligst diese Vorhänge zumachen, nuschelte ich im vorbei laufen. Sam sah mich irritiert an und grinste breit.
„Soll ich fragen?“
„Nein.“ Meine Laune war am Tiefpunkt. Ich wollte, dass mich jeder einfach in Ruhe ließ, aber in einem vollen Haus hatte ich meine Gebete an den Falschen geschickt. Gott hatte mit all dem nichts zu tun. Der Einzige der mir helfen konnte war Mrs.Moor und genau deshalb bewegte ich mich auf ihr Büro, dass ich seit meiner Anstellung nur einmal zu Gesicht bekommen hatte, zu. Eigentlich war es mir unangenehm sie darum zu bitten, weil ich sowieso schon zu viel verlangt hatte, aber die Umstände ließen mir keine Wahl. Erics Gesicht tauchte vor mir auf wie ein Gespenst. Ich bekam ihn nicht aus dem Kopf.
Vor dem Büro hielt ich noch mal kurz inne und klopfte schließlich doch. Mrs.Moors Stimme klang in dem Raum sehr streng, so als hätte sie nur darauf gewartet mich fertigzumachen. Ich öffnete leise die Tür und steckte meinen Kopf hinein, was wohl ziemlich idiotisch ausgesehen haben musste, den sie lächelte. „Ja, was kann ich für Sie tun?“, fragte sie bestimmt und verschränkte ihre Finger auf dem großen Schreibtisch, dessen Fläche übersät mit weißen Blättern war. Mrs.Moor wirkte nachdenklich, aber wie immer professionell.
„Kann ich mit Ihnen sprechen?“ Ich betrat den Raum und setzte mich auf einen Stuhl vor ihr.“ Der Raum hatte eigentlich nichts Einschüchterndes an sich – die Möbel wirkten deplatziert und wollten einfach nicht zusammenpassen. Ein alter Arbeitstisch, ein großer moderner Schrank mit blauen Türen und lose Holzbretter, die als Regale dienten, ließen jeden Innendesigner schmunzeln.
Mrs. Moor beobachtete mich neugierig, während ich mit meinen Augen durch den Raum wanderte.
„Das Büro hatte mein Mann eingerichtet.“, sagte sie entschuldigend. „Wenn Sie über meinen Sohn reden wollen, dann muss ich ihnen mitteilen, dass schon vor ihnen Andere da waren, die bereits alles gesagt haben, was es über ihn zu sagen gibt. Sie haben förmlich alle Wörter dieses Universums ausgeschöpft.“ Sie lachte auf, jetzt fühlte ich mich nicht mehr so nervös wie vorher. Mrs. Moor strahlte förmlich, als sie das sagte. Die Tatsache, dass sie sich mit mir unterhielt als wären wir gleichgestellt, freute mich ein bisschen.
„Ich würde mir für heute gerne freinehmen.“ Sie schmunzelte darüber und ich schwankte bei meinen Worten. „Wenn es nicht möglich ist, dann verstehe ich das...“
„Sie möchten Ihre Mutter besuchen, nicht?“ unterbrach sie mich.
„Ja“ Mrs.Moor kannte meine Situation genau. Deshalb war ich ihr auch so dankbar, dass sie mir nicht wie alle anderen, mitleidig ins Gesicht blickte.
„Bitte sehen Sie es nicht so an als wäre das hier nur ein Job. Wir sind eine große Familie und das schon sehr lange. Hier kennt jeder jeden, auch wenn es manchmal drunter und drüber geht. Ich möchte, dass Sie sich genauso als Teil unserer Familie sehen wie alle Anderen.“
„Das würde ich sehr gerne.“ Ohne es zu merken, klang der Satz nach einem Widerspruch. Ich wollte eigentlich sagen, dass ich das schon längst war, aber wenn sie wüsste wieso ich mich unwohl fühlte, dann würde alles anders verlaufen.
Sofort nachdem Gespräch stieg ich in den Bus Richtung Calland. Ich saß in den hintersten Reihen und lehnte meine Wange an die Fensterscheibe. Es war sonnig, kein Wölkchen zu sehen. Eine Zeit lang fühlte ich mich schwerelos. Zu beobachten, wie sich die grüne Landschaft in ein Meer aus Farben verwandelte, während der Bus immer weiter fuhr, machte mich glücklich, weil ich mich Cantal village mit jedem Meter entfernte. Für eine Weile war es gut, zu glauben ich könne vor meinen Problemen davon laufen, nur war das keine Lösung. Für keins von ihnen.
Als der Bus hielt, hatte ich fast vergessen, wo ich überhaupt war. Die Stadt, in der ich aufgewachsen war, strahlte mir in vollen Zügen entgegen, aber ich strich mir nur müde übers Gesicht und ignorierte die Erinnerungen, die mir entgegen wehten. Alles gehörte der Vergangenheit an.
Vor meinem Besuch in der Pflegeeinrichtung hatte ich mir noch beim Blumenladen einen Strauß, dessen innere eine große Sonnenblume zierte, gekauft. Meine Mutter liebte Sonnenblumen. Sie erinnerten sie an die große Sonnenblumen Plantage aus ihrer Kindheit. Früher hatte sie nämlich noch im sonnigen Teil Englands gelebt, bis sie meinen Vater kennengelernt hatte und mit ihm hierher zog. Calland hatte sich seit zehn Jahren kaum verändert. Jedes Mal wenn ich durch die vertrauten Straßen lief, erinnerte ich mich an Sachen von früher. Meine erste Straßenschlägerei zum Beispiel. Damals war ich noch sehr stolz auf mein blaues Auge gewesen, mein Vater allerdings hatte mich dafür bitter ausgeschimpft und gemeint, dass es nur zeigte, wie kindisch ich mich verhalten hätte. Die besten Kämpfe waren die, die man vermeiden konnte, meinte er. Heute war ich gänzlich anderer Meinung.
Die Pflegeeinrichtung in der meine Mutter untergebracht war, hatte einen großen Empfangsraum, in dem es meistens relativ ruhig zuging. Heute allerdings herrschte in dem Raum großes Treiben. Die Leute unterhielten sich laut, lachten, während die Angestellten dabei waren Sachen einzuräumen, Spiele auszuteilen oder die Besucher darauf aufmerksam zu machen, dass scharfe und gefährdende Gegenstände verboten waren. Meiner Mutter hätte ich auch ohne ihre Ansprache nie etwas hergebracht, dass sie verletzen könnte. Sie war nicht wie alle anderen Patienten. Ihr Zustand basierte nicht auf eine angeborene psychische Krankheit, einen Unfall oder Selbstmordgedanken. Sie befand sich in einem Schock Zustand, der seit dem Tod meines Vaters andauerte. Die Ärzte meinten, dass der Vorfall sie so mitgenommen hat, dass ihr Körper sich weigerte, dies zu akzeptieren. Ich wünschte ich könnte das auch. Wenn sie wüsste, wie allein ich mich fühlte, wie hilflos ohne jemanden an meiner Seite. Sie war doch alles, was ich hatte, warum tat sie mir das an?
Ich betrat den Raum und entdeckte meine Mutter an einem Tisch, wo sich neben ihr zwei Leute unterhielten. Als ich an den Tisch kam, erkannte ich die Karten, die vor ihr lagen. Sie sah zu mir auf und lächelte. „Sie meinten das Spiel würde helfen, aber es ist albern.“ Ich setzte mich auf den Stuhl ihr gegenüber.
„Wenn sie das sagen, dann muss es wohl stimmen.“
„Hast du gewusst, dass Amerika einen Schwarzen als Präsident gewählt hat.“ Ich seufzte laut.
„Nein, hab ich nicht. Es ist endlich an der Zeit, meinst du nicht auch.“
„Dasselbe habe ich gestern deinem Vater auch gesagt. Er ist aber der Meinung wir sollten uns gefälligst darum kümmern, was in diesem Land passiert. Nun, du wirst verstehen können, warum ich so wütend auf ihn war. Dieser Esel hatte mich einfach im Stich gelassen.“ Tief in meinem Inneren hatte ich es so satt, so unendlich satt mir diese Geschichten anhören zu müssen. Sie sprach von ihm als wäre er noch hier und tat mir damit mehr weh als sich selbst. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihr helfen konnte.
„Ich habe dir deine Lieblingsblumen mitgebracht.“ Sie klatschte in die Hände und nahm sie an sich. Dann rief sie eine Pflegerin und erteilte ihr den Auftrag sie in eine Vase zu stellen. Die Frau lächelte mir aufmunternd zu und ging wieder mit den Blumen in der Hand.
„Spielen wir?“ Ich deutete auf die Memorierten vor ihr.
„Warum nicht. Schließlich kommt mein Sohn mich nicht jeden Tag besuchen.“ Ich war mir nicht sicher, ob es ein Vorwurf war, aber es klang kurz nach einem. Einmal in zwei Wochen nahm ich mir für sie frei und musste immer wieder diese Hölle ertragen und jedes Mal wenn ich wiederkam, musste ich mir dieselbe Frage stellen. Erkennt sie mich heute überhaupt wieder. Ich fürchtete mich vor dem Tag an dem es passierte und ich wusste das es irgendwann der Fall sein würde.
Ich verteilte die Karten verdeckt auf dem Tisch und begann die ersten zwei aufzudecken. Es waren keine richtigen Bilder, sondern Muster. Mich erinnerten sie an diese weihnachtlichen Tischdecken.
Meine Mutter hatte ihren Zug gemacht und versuchte angestrengt sich die beiden zu merken, während ich weiter spielte. Es war eigentlich sehr langweilig, aber es schien ihr Spaß zu machen. Zumindest bis sich in ihrem Gesicht auf einmal etwas veränderte. Sie starrte auf die Karte, die ich gerade aufgedeckt hatte, als sehe sie ein Gespenst. Sie zitterte. Ich griff über den Tisch und tätschelte ihr auf die Schulter. “Ist alles in Ordnung?“ Sie reagierte nicht, starrte unentwegt mit geweiteten Augen auf die Karte. „Das Zimmer...“ Ich blickte auf die Karte. Meine Mutter griff sich mit beiden Händen an den Kopf und kniff die Augen zusammen. „Das Zimmer, das Zimmer, das Zimmer..“, sang sie laut, sodass es jeder hören konnte. Ich verstand nicht, was los war. Die Pflegerin kam herein und versuchte meine Mutter zu beruhigen, aber sie sang weiter.
„Ich glaube es ist besser, wenn sie gehen.“, sagte die Pflegerin an mich gerichtet. Meine Mutter hatte aufgehört und sich die Karte gegriffen. Die Pflegerin nahm sie ihr aus der Hand und warf sie zu Boden. „Das Zimmer, das Zimmer, das Zimmer..“ Meine Mutter wurde von der Frau vom Stuhl gehoben und weggeführt. Sie sah zu mir und wiederholte ihren Gesang. Ich hob die Karte auf und sah sie mir genau an. Dieses Muster. Es sah genauso aus wie die Tapete...unseres Wohnzimmer, wo mein Vater den Schlaganfall hatte. Dieselben Farben, nur das auf der Karte statt der Tupfer zwischen den Verschnörkelungen kleine gestachelte Punkte waren. Wenn bloß diese Erinnerung sie so aufwühlte, was würde geschehen, wenn sie sich wieder an alles erinnerte. In diesem Moment war ich nicht mehr sicher, ob es Hoffnung für uns zwei gab.
Die Pflegeeinrichtung wirkte auf mich sehr monströs. Ich sah noch mal nach oben zur Fassade und fragte mich, was meine Mutter in ihrem Inneren wohl dachte. War die Person, die ich so liebte immer noch da? Ich wusste es nicht.
Die Straße war fest befahren und ich musste lange warten, bis ich sie überqueren konnte. Es gab lautes Gehupe, als ein Auto hinter mir angefahren kam und ich schnell über den Bordstein flüchtete.
Eine Weile blieb ich stehen und beobachtete einfach nur die Straße, die Leute. Ich bezweifelte, dass sie mit denselben Problemen zu kämpfen hatten wie ich. Plötzlich wünschte ich mir einfach nur das mich jemand verstand, mir zuhörte. In meinem Kopf schrie ich den Passanten zu: Bitte schau mich an. Bitte sag mir das alles gut wird. Aber niemand nahm Notiz von mir. Einzig ein Verkäufer des Lebensmittelladens kam heraus und fragte mich ob ich, was vom Gemüsestand kaufen wollte.
Eine Hupe löste meine Erstarrung. Ich sah mich um, ob ich auch ja richtig stand. Das Auto vor mir jedoch kam plötzlich vor mir zum stehen, obwohl weit und breit keine Parkzone war und sich hinter dem Mustang ein Auto nach dem Anderen anreihte. Ich kannte das Auto.
„Steig ein.“, rief Eric gelassen. Seine Sonnenbrille verdeckte seine Augen, weshalb ich nicht sehen konnte, ob er mich ansah oder nicht. Ich zögerte. Ein Mann steckte seinen Kopf aus der Fensterscheibe seines Wagens und schimpfte wild. Eric blieb ruhig. „Steig ein.“ wiederholte er stattdessen. Ich tat wie gesagt und ließ mich auf den Beifahrersitz nieder. Im Rückspiegel sah ich wie die lange Schlange sich in Bewegung setzte. Ich atmete auf. Mein Blick richtete sich wieder nach vorne zu Eric. „Was tust du hier?“
„Dich suchen.“
„Ich habe mir freigenommen.“
„Nein hast du nicht, nicht bei mir.“ Eric fuhr weiter Richtung Perth. Ich merkte dass wir in Kürze die Stadtgrenze überqueren würden. „Dann tue ich das eben Jetzt.“ Irgendwie verhielt sich Eric anders als sonst. Er war ruhiger, entspannter. Aber immer noch kalt wie Eis.
„Ich erlaube es dir aber nicht und jetzt halt die Klappe, bis wir ankommen. Du nervst.“ Er nahm seine Sonnenbrille und legte sie auf das Armaturenbrett.
„Ach ja? Als ich mich vor dir ausgezogen hatte, habe ich dich nicht genervt.“ schrie ich. Wir waren mittlerweile aus der Stadt raus. Weit und breit war nur grünes Land, das hier und da ein paar Hügel aufwies. Eric wurde langsamer und stoppte seitlich von der Straße. Ich sah gerade noch wie uns ein Auto im hohen Bogen überholte, eher Eric sich abgeschnallt hatte und sich zu mir herüber beugte.
„Jetzt hörst du mir mal genau zu. Entweder du befolgst meine Anweisungen oder ich zieh dich nackt aus und lasse dich hier in der Landschaft zurück.“ Als ich zur Antwort ansetzten wollte, griff er an den Gürtel meiner Hose und wollte seine Drohung wahr machen. Ich hielt den Mund. Eric war so schnell gewesen, dass mein Gürtel jetzt offen raus hing. Er sah an mich herunter, verharrte kurz darauf und schnallte sich wieder an, während ich mit zittrigen Fingern meinen Gürtel wieder schloss.
Wir fuhren eine Stunde durch die Landschaft. Ich erkannte nichts mehr wieder und musste mich fragen, wohin wir eigentlich fuhren. Am liebsten hätte ich ihn das direkt gefragt aber dann traute ich mich doch nicht. Kurz sah ich zu ihm rüber und beobachtete sein Profil. Mir war nicht aufgefallen, wie gerade seine Nase war und wie voll die Lippen. Mir war klar ihm entging nicht das ich ihn anstarrte.
Als wir schließlich ankamen, war ich etwas irritiert, den es gab weit und breit keine Häuser, gar nichts. Eric hatte lediglich den Wagen auf ein Stück Grün gelenkt und es dort zum stehen gebracht.
Ich verschränkte die Arme. „Was soll das? Willst du mich kalt machen?“ Eric ignorierte mich und stieg aus. Der Wind wehte durch die geöffnete Wagentür und blies mir eine Haarsträhne ins Gesicht. Vom Auto aus beobachtete ich Eric genau, aber er stand nur da, bewegte sich nicht. Ich entschied mich dazu doch auszusteigen. Er beachtete mich nicht weiter und legte sich auf das Gras. Seine Arme hatte er über dem Kopf verschränkt und blickte zum Himmel. So eine Tiefgründigkeit hätte ich ihm gar nicht zugetraut. „Warum hast du mich hierher gebracht?“
„Jammer nicht und genieße es.“ Eric schloss die Augen.
„Was genau soll ich genießen? Mit einem Arschloch zusammen in der Landschaft zu hocken?“
„Nein, die Stille.“ Als er das sagte, musste ich automatisch aufhorchen – er hatte recht. Da kein Auto an uns vorbei fuhr, gab es nur den Wind, der durch das Gras wehte.
„Ich muss aufs Klo.“
„Dann geh.“
„Und wo? Hier gibt es ja nichts. „ Eric deutete auf den winzigen Stück Busch ein paar Meter entfernt. Ich seufzte. Ob ich in seiner Anwesenheit überhaupt pinkeln konnte? Eine Zeit lang schwankte ich hin und her, dann jedoch sprang ich auf und lief zum Busch. Ich stellte mich absichtlich mit dem Rücken zu Eric, der noch immer tot da lag. Ich gab zu die Stille gefiel mir, kein Pete, der mich anschreit, keine Leute, die sich über das Essen beschwerten, nichts.
Als ich fertig war, machte ich mich wieder auf den Weg, aber noch während ich mich umdrehte sah ich, dass Eric nicht mehr da war. Stattdessen stand er ein Schritt von mir entfernt und beobachtete mich. Ich erschrak. „Hey, bleib locker, kein Grund so nervös zu sein. “ Er kam auf mich zu, blieb vor mir stehen und klatschte mir sacht mit der Handfläche auf die Wange, als wäre ich irgendein Kind. Das gefiel mir gar nicht. Wütend schubste ich ihn weg. Er torkelte leicht, fing sich aber wieder und stürmte zu meinem Bedauern auf mich zu. Beide landeten wir auf der Erde. Eigentlich sollte das hier nicht so laufen, ich wollte keine Schlägerei. Es war eher eine Sauerei, denn sein weißes Hemd und mein T-shirt waren voller Gras, als wir zusammen durch die Gegend rollten und versuchten den Anderen unter sich zu begraben.Erics überraschtes Gesicht machte mich froh, froh darüber, dass er jetzt weiß, dass ich doch nicht so schwach war, wie er gedacht hatte. Nach langem Durcheinander siegte jedoch er. Keuchend blieb er einfach auf mir sitzen, fuhr sich durch die zerzausten Haare und lächelte. Eric fing an zu lachen. „Das hat Spaß gemacht.“ Er lehnte sich nach vor zu mir und drückte mich mit seinem ganzen Gewicht zu Boden. Für einen Moment dachte ich er würde mich wieder so demütigen wie gestern Nacht, aber stattdessen wanderte er mit der Hand langsam über meine Brust, immer tiefer bis zum Bund meiner Jeans. Er öffnete den Gürtel und die Hose. Ohne Scheu griff er unter meine Unterhose und beobachtete meine Reaktion. Ich wusste was ihn anmachte und das würde er nicht von mir kriegen. Ich verkrampfte mich und blieb reglos. Er bewegte seine Hand in meiner Hose, rieb immer heftiger. Ich sah ihm dabei fest in die Augen. Meine Gelassenheit stachelte ihn noch mehr an und ich wusste genau, wenn er so weiter machte dann konnte sogar meine gute Selbstbeherrschung da nicht mithalten. Ich schnappte mir seine Hand, zog sie aus meiner Hose und setzte mich auf. Er grinste mir breit ins Gesicht. Ein Gesicht des Triumphs. „Du bist gut. Aber ich bin besser. „ sagte er und stand auf. Das Gras an meinen Sachen war doch hartnäckiger als ich dachte. Deshalb musste ich mich wohl oder übel genauso wie ich war in den Wagen setzen, aber das Wissen, dass es Eric nicht besser erging, entschädigte mich dafür.
„Du hast deine Mutter besucht?“, fragte er mich später während der Fahrt zurück nach Cantal village.
Ich ignorierte seine Frage, drehte mich mit dem Gesicht zum Fenster und starrte hinaus. Es war genau so wie heute früh, nur das dieses Auto mich wieder zurück in den Käfig beförderte, in dem ich nicht mehr ich war.
Den Rest des freien Tages verbrachte ich damit mir Sams unglaubliche Geschichte anzuhören wie Andre sich an Aline ran gemacht hatte, weshalb er jetzt wütend in dem Kalender herumkritzelte. Ich sah ihm lange dabei zu, hörte ihn an und seufzte beiläufig, weil ich außerstande war etwas anderes zu sagen.
„Wenn wir gemeinsam in der Küche arbeiten würden, befände sich sein Stroh dummer Kopf in einem Spülbecken. Ich schwöre, ich würde es tun.“plapperte Sam unentwegt weiter.
„Sag doch auch mal was.“
„Hm...“
„Was, hm? Ich komm mir albern vor, Selbstgespräche zu führen. Was ist bloß mit dir los?“
Ich rutschte nervös auf meinem Stuhl herum. Eric hatte nach der Fahrt angekündigt er wolle mich später noch mal sehen. Ich wusste dabei kam wieder nichts Gutes raus.
„Ich bin nur müde.“
„Du siehst aber nicht müde aus.“
„Wie sehe ich den aus?“ Er starrte mich an und überlegte.
„Na wie jemand der gerade kurz vor einer Prüfung steht.“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Hat es was mit Eric zu tun?“ Ich konnte sehen, wie sich sein Mund zu einem Bingo verzog. Sam wurde ernst. „Wenn er dir wieder blöd kommt, dann sag es mir, ich schlag ihn nieder.“ lachte er. Ich befürchtete er meinte es wirklich ernst. Allein die Vorstellung wie mich Sam vor Eric verteidigte ließ mich erzittern.
„Nein, misch dich da nicht ein. Es ist..erträglich.“
„Erträglich? Nicht mal Andre kann ihm Stand halten und im Gegensatz zu dir ist er nicht so nah am Wasser gebaut. Versteh mich nicht Falsch, aber du bist eben sensibel und Eric weiß das ganz genau. Er nutzt deine Schwäche aus.“ Nein Sam, das war nicht meine Schwäche, antwortete ich ihm in Gedanken.
„Wenn du mir wirklich helfen willst, dann halte dich aus der Sache raus.“, sagte ich ihm und verzog mich in mein Zimmer. Ich wünschte ich könnte ihm die Wahrheit sagen, aber jedes Mal wenn ich es wollte, dann kam es mir nicht über die Lippen. Wenn ich darüber nachdachte, dann kannte ich keinen der Angestellten gut, nicht mal Sam. Ich hatte immer das Gefühl zwischen mir und den Anderen befand sich eine große Wand aus Glas.
Da ich mich hingelegt hatte und eingenickt war, merkte ich nicht, wie spät es geworden war. Als ich benommen auf die Uhr blickte, stand der Zeiger auf kurz vor 12. Das durfte nicht wahr sein. Ich rappelte mich auf, richtete meine Kleidung und ging hinauf. Wütend hatte Eric die Tür geöffnet. „Wo zum Scheiß Teufel warst du?“, brüllte er mich fast an, als er jedoch bemerkte, wie laut er wurde, sah er sich im Gang um und zog mich herein. „Ich war eingeschlafen.“ Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, aber es brachte ja doch nichts.
Eric fasste sich an die Stirn und schloss die Augen. Eine Zeit lang sagte er nichts. Ich stand nur da, wartete – hoffte, dass er es sich anders überlegt hatte. Aber als er prompt die Augen öffnete, lag in seinem Gesicht eine Entschlossenheit, wie ich sie bei ihm noch nie gesehen hatte. Wenn der beherrschende Eric vorhin nervös gewirkt hatte, so war das jetzt vorbei. Er kam auf mich zu und schnupperte an mir. „Du muffelst.“ Ich grinste über beide Ohren, weil er mich gerade auf eine sensationelle Idee gebracht hatte wie ich dem entkommen konnte. Wenn ich mich nicht wusch, dann konnte er mich auch nicht anfassen. „Geh duschen.“, sagte er dann aber plötzlich unerwartet.
„Jetzt?“ Ich starrte ihn perplex an.
„Im Bad sind Handtücher. „Das war nicht sein ernst. Unsere Blicke trafen sich, Eric sah abwartend zu mir, während ich unschlüssig da stand wie bestellt und nicht abgeholt. Ich schüttelte energisch den Kopf und sah wie sich seine Augen zu Schlitzen verzogen. Ich wiederholte den Vorgang, er wirkte dabei sehr gelassen, beinah amüsiert. Mir fiel auf, dass seine Haare nicht mehr so ordentlich aussahen wie heute Vormittag, sie standen ihm leicht vom Kopf ab, als hätte er sich irgendwo hin und her gewälzt. Für einen winzigen Bruchteil der Sekunde dachte ich etwas, das ich nie über ihn denken sollte. Ich verbrannte mich beinah am Gedanken daran, Eric sympathisch zu finden. Mit der unordentlichen Frisur wirkte er einfach viel lockerer.
Auf einmal machte er einen Schritt auf mich zu und beförderte mich in das kleine Bad. So schnell wie er das tat konnte ich gar nicht reagieren und kam das ich mich versah stand ich vor ihm. Etwas zu schnell zog er mir die Kleidung vom Körper, er wirkte zufrieden, als er auf sein Werk hinunter sah. Meine Wangen färbten sich puterrot und als ich erschreckt sah wie er sich ebenfalls entkleidete
glühten sie förmlich. Eric bugsierte mich unsanft in die Kabine, die eindeutig zu klein für zwei Kerle war, aber ihm schien es nichts auszumachen. „Ich kann mich selbst waschen.“
„Halt die Klappe.“ Damit brachte er mich endgültig zum Schweigen. Das warme Wasser tat zu meiner Bewunderung sehr gut, für einen Moment vergaß ich sogar den nackten Eric neben mir. Bemerkbar machte er sich erst dann, als ich mich zum Duschkopf umdrehte und er plötzlich anfing mit den Händen meinen Rücken entlang zu fahren. Ich wagte nicht ihm ins Gesicht zu sehen. Bestimmt folgte er meiner Wirbelsäule nach unten zu meinem Gesäß und massierte ihn. Ich stützte mich mit beiden Händen an der Wand ab und keuchte leise – hoffentlich bemerkte er nicht wie erregt ich war. Dieses Gefühl machte mir Angst. Schließlich war es Eric, der dies alles tat und den ich so verabscheute. Er umklammerte mich von hinten mit seinen Armen – mit dem Einen glitt er immer tiefer und mit den Anderen schloss er seine Finger um eine meiner Brustwarzen. Ich wusste nicht, was schmerzhafter war, sein harter Kniff oder die Tatsache, dass ich das alles eigentlich abstoßend finden müsste. Mein Penis versteifte sich unter seiner Berührung.
„Stöhne für mich.“ Nie im Leben. Das konnte er vergessen. Wenn ich das tat, dann könnte ich niemanden dem in die Augen sehen, ohne dabei an diese Szene zu denken. Er würde dann wissen, dass es mir gefiel und ich wollte nicht, dass es so war. Mein Atem wurde schneller, mein Herz raste. Erics Bewegung an meinem Glied wurde immer heftiger, er rieb, keuchte selbst und wiederholte dabei flüsternd seine Worte. Ich konnte es nicht mehr zurückhalten und das Widerwärtige war, ich wollte es auch nicht. Im Gegenteil, ich wollte das er nicht aufhörte. Sei Penis rieb an meinem Gesäß und versteifte sich immer mehr. Dieser intime Körperkontakt war zu viel – bei so etwas konnte doch kein Mensch beherrscht sein? Gleich war es soweit, ich spürte, wie Erics Grinsen immer diabolischer wurde. Zum Glück stand mit dem Rücken zu ihm – sein Gesicht konnte ich jetzt einfach nicht sehen. Von einer Sekunde auf die Andere explodierte sich alles in mir und ich stöhnte laut auf, aber Eric hörte nicht auf. Er genoss den Triumph über mich und meinen Körper. Mein Keuchen wurde heftiger, verschmolz mit meinen stöhnen und wurde Eins. Ich war wie ein Tier. Eric hatte mich tatsächlich dazu gebracht mich wie eins zu fühlen. Eine Träne kullerte mir die Wange hinunter, aber wegen dem warmen Wasser ging sie unter und niemand würde etwas bemerken.
Als Eric der Meinung war es sei genug, nahm er seine Hände wieder weg und zwang mich, mich zu ihm umzudrehen. Wie erleichtert ich über die Dusche war, die meine wahren Gefühle verbarg.
Eric sah sehr zufrieden aus, auch wenn es anders verlaufen war, wie ich es mir ausgemalt hatte.
„Danke.“ Seine Worte überraschten mich so sehr, dass ich ihn mit geweiteten Augen anstarrte. Eric entschied es nicht weiter zu argumentieren, trat aus der Dusche und schnappte sich ein Handtuch. Eigentlich dachte ich er würde es selbst benutzen, aber stattdessen trocknete er zuerst mich und dann sich selbst ab. „Ist das alles?“
„Für heute ja, willst du noch bleiben?“ grinste er spöttisch in mein rotes Gesicht. Ich schüttelte energisch den Kopf und ging ins Schlafzimmer. Ich wunderte mich darüber, wie schnell ich mich an Erics nackten Körper gewöhnte – oder besser gesagt den Gedanken an seinen und meinen nackten Körper, die gemeinsam...eben das alles taten. Der Anblick errötete mich nicht so schnell. Während ich meine Unterhose suchte, war Eric längst aus dem Bad zurück und hatte sich auf sein Bett gelegt. Er seufzte laut und ich fragte mich, ob er mich vergessen hatte.
„Wieso ist deine Mutter dort?“, fragte er mich plötzlich. Ich hielt in meiner Bewegung inne und verharrte mit den Sachen in der Hand. Ich seufzte. Eigentlich schuldete ich ihm keine Erklärung, aber ich wollte es einfach nur jemandem erzählen, selbst wenn es der kalte Eric war.
„Sie ist nicht...sie selbst.“
„Ja, das ist eine nette Umschreibung für jemanden der nicht mehr alle Nadeln an der Tanne hatte.“
„Das ist nicht wahr!“ Eric richtete sich auf, stützte sich mit deinen Ellbogen an dem Bett ab. Ich senkte den Kopf und kam näher. „Sie ist immer noch da, nur...“ Eric hörte mir gebannt zu. Immer noch unbekleidet setzte ich mich an die Kante seines Bettes. Ich wollte noch etwas hinzufügen, aber dann blieben mir die Worte im Hals stecken. Die Wahrheit über ihren Zustand, der von Tag zu Tag schlimmer wird, war unerträglich.
„Warum interessierst du dich so sehr dafür?“ Er überlegte kurz und hob die Schultern. „Du interessierst dich doch für gar nichts.“ Eric richtete sich ganz auf, wir waren genau auf Augenhöhe.
„Das stimmt nicht.“ Seine Haare waren nass und tropften ein wenig. Ich sah ihn fragend an, aber als er begriff, dass er die Antwort begründen musste, blieb er still.
Ich ließ mich locker nach hinten Fallen und begegnete dabei seinem nachdenklichen Blick. Jetzt wo ein Eric neben mir saß, der völlig neben der Spur war, fand ich ihn nicht mehr so abstoßend. Im Gegenteil, er gab nicht nur vor mir zuzuhören, wie es bei manch anderen der Fall war, sondern tat es auch aufrichtig – wenn auch nur für eine begrenzte Zeit.
Warum musste er Menschen wehtun, um sich gut zu fühlen?
Wenn Eric so war wie jetzt, dann wäre alles anders. Unter Umständen würden wir uns sogar gut verstehen. Jedoch war ich mir sicher, dass er überhaupt nicht anders konnte. Etwas zwang ihn dazu, das spürte ich.
Langsam öffnete ich meine verschlafenen Augen und erkannte ein hell erleuchtetes Zimmer, dessen Licht mich so sehr blendete, dass ich die Augen wieder zukniff. Ich lag in einem großen Bett und war bis zum Bauch in ein weißes Bettlaken eingewickelt. Meine Füße hatten sich praktisch in dem Stoff verheddert. Mein Oberkörper war nackt und ich spürte etwas auf mir liegen. Ich sah nach unten und erkannte eine große bleiche Hand, die mich umklammert hielt. Erics Hand. An gestern Abend konnte ich mich nur Bruchstückweise erinnern, da ich noch ganz verschlafen war. Wir hatten geredet und irgendwann war ich wohl eingeschlafen. Dass Eric mich nicht rausgeworfen hatte war ein Wunder gewesen, dachte ich mir und versuchte seinen Arm vorsichtig von mir zu nehmen. Erics leises atmen bestätigte mir, dass er felsenfest schlief. Nachdem ich mich aus seiner Umarmung befreit hatte, richtete ich mich benommen auf. Das Zimmer sah genauso unordentlich aus wie zuvor. Meine Kleidung lag immer noch am Boden zerstreut und neben dem Bett auf dem Teppich befand sich ein nasses Handtuch, dass Eric achtlos darauf geworfen hatte. Ich befühlte mein kurzen Haare, die immer noch etwas feucht waren und sah zu Eric. Erics halbes Gesicht lag bäuchlings auf dem Kissen, er hatte beide Hände in voller Länge von sich gestreckt. Wenn er schlief, sah er fast aus wie ein Kind. Erst jetzt erkannte ich die etwas runden Backen – ein kleiner Teil von mir wollte über sie fahren. Seine Haut sah weich und rein aus, während meine unscheinbar und grau wirkte. Ich fragte mich, was er an mir fand, oder tat er es in Wirklichkeit gar nicht? Ich schüttelte den Kopf und fing an mich wieder anzuziehen. Eric rührte sich immer noch nicht. Vielleicht war es auch gut so. Ich wollte nicht hier sein, wenn er aufwachte. Ich sah auf die Uhr und versuchte rechtzeitig zum Frühstück da zu sein.
Unten angekommen hörte ich schon lautes Lachen und Knallen von Töpfen und Pfannen. Es herrschte hoch Betrieb. In der Eile hatte ich ganz vergessen wie ich aussah und erntete deshalb mies mutige Blicke von den Anderen. In der Küche war Pete der Einzige der mich nicht beachtet hatte und weiter seiner Arbeit nach ging.“Na, wer kommt den da? Unser Dornröschen.“ pfiff Andre.
„Sag einfach nichts.“, knurrte ich ihn an und fuhr mir immer noch verschlafen mit der Hand übers Gesicht.
„Du kennst mich doch, ich bin die Spaßkanone hier. Ohne mich würde hier Totenstille herrschen. Nicht war, Pete?“ Andre hob die Nase zu ihm und grinste höhnisch, während er zwei Teller balancierte. Pete hatte keine Notiz von ihm genommen. „Na kommt schon Leute, wo bleibt euer Sinn für Humor. “ Ich ignorierte Andre und schnappte mir ein paar fertige Teller mit Wurst und Käse. Thomas blickte mich fragend an. „Du willst so doch nicht rausgehen?“ Ich verstand erst dann was er genau meinte, als ich an mich herunter sah. Ich hatte noch immer die Jeans und das T-shirt von gestern. „Lass mal, Andre und ich machen das schon. Geh dich umziehen.“ Andres Blick sprach Bände. Man sah ihm an, dass er keine Lust hatte mit Thomas das Trinkgeld zu teilen.
Ich verließ die Küche genau zu dem Zeitpunkt, als schon alle Gäste im Salon waren um zu frühstücken. Die Lobby war leer, nur Sam saß an seinem vertrauten Platz und tippte etwas in den Pc ein. Er blickte kaum auf, als ich mich zu ihm gesellte. „Schlecht geschlafen?“
„Nein, einfach nicht genug geschlafen.“ Ich ging zu ihm hinter die Rezeption und setzte mich auf einen freien Stuhl. Er sah auf.
„Musst du jetzt nicht arbeiten?“ Ich deutete auf meine Kleidung, er lachte.
„Ich wünschte ich könnte mit dir tauschen. Ich sitzte hier schon seit 6 Uhr herum. Dieser Alte, den du so nett fandest, hat dir übrigens einen Umschlag mit Trinkgeld gegeben. Er wollte dir für die nächtliche Mühe danken. Lief da was, was ich nicht weiß?“
„Was? Nein, das war nur, weil ich ihm eine Unterlage für sein Bett gebracht habe. Er hatte ins Bett gemacht.“ Sam prustete los.
„Musstest du ihm auch das Bettzeug wechseln?“ Ich konnte ihn durch sein Gekicher nur schwer verstehen.
„Ja. Das ist nicht witzig, stell dir vor dir passiert mal so was.“
„Bis dahin hab ich aber noch ein Weilchen. Ein großes Weilchen.“ Er kriegte sich vor Lachen gar nicht mehr ein. Ich hätte ihn einfach anlügen sollen. Sam lag mit dem Kopf halb auf der Pc Tastatur und verschwand vollkommen unter dem Tisch. Ich schüttelte genervt den Kopf.
„Hey.“, hörte ich eine Stimme sagen, während ich in Gedanken noch ganz woanders war. Eric stand in einem neuen Hemd und Hose da. Ich nickte ihm zu. „Du hast noch Zeit um zu frühstücken.“ ,sagte ich ihm und in demselben Moment richtete sich Sam auf und blickte dem überrumpeltem Eric entgegen. „Was kann ich für dich tun?“, fragte Sam zu sarkastisch. Erics Ausdruck gefror zu einem Eisblock. Er wirkte genervt. „Hab ich etwa mit dir geredet?“ giftete er Sam an und sah dabei zu mir. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte uns beide aneinander geklatscht. So wie er jetzt aussah, wollte ich ihm nicht entgegen treten.
„Lass Chris in Ruhe.“ Sam stand nun auf Erics Augenhöhe. Sie funkelten sich gegenseitig böse an. Ich war ebenfalls aufgestanden und versuchte den angriffslustigen Sam zu beruhigen. „Hör auf Sam.“, sagte ich und packte seinen Arm, eher er etwas tat, was später bereute. Sam wandte den Blick von Eric ab und blickte mich irritiert an. Ich versuchte ihn still an meine Worte zu erinnern, dass er sich aus der Sache raus halten soll. Er brauchte zu lange um zu kapieren, aber schließlich gab er mir nach. Eric beobachte mich interessiert, sein Blick verharrte an meiner Hand, die immer noch Erics Arm umklammert hielt. „Du verpasst das Frühstück.“sagte Sam gespielt höflich.
„Ich kann mir was aufs Zimmer bringen lassen.“ Dabei sah er wieder mich an. Diese Anspielung war nicht zu überhören, aber zum Glück verstand sie Sam nicht. „Einen schönen Tag euch beiden.“ verabschiedete sich Eric endlich und ich atmete erleichtert auf.
„Tue das nie wieder.“, sagte ich bissig als Eric außer Sichtweite war. Sam sah mich an als hätte ich ihm eine geknallt. Er wirkte traurig. „Sorry.“
Nachdem diese Angelegenheit erst mal vom Tisch war, ging ich in mein Zimmer und wechselte meine Sachen. Mittlerweile war das Frühstück schon vorbei und es brach Ruhe herein. Im ganzen Haus hörte man nur hier und da Gespräche, die mich nicht sonderlich interessierten. Andre machte seine Pause, während Pete, Thomas und ich alles fürs Mittagessen zurechtmachten. Für die nächsten Stunden hatte ich Andre angeboten ihn abzulösen, aber er lehnte lachend ab, mit den Worten, dass er ich nur zu gerne sein Trinkgeld einkassieren würde. Andre änderte sich nie. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl Eric vor mir zu haben, denn Andre war von Zeit zu Zeit genauso eingebildet – mit dem kleinen Unterschied, dass Andre es gespielt anging, während man bei Eric nie sicher sein konnte.
Während der Arbeit schweifte ich mit meinen Gedanken so oft ab, dass mich Pete öfters ermahnen musste nicht einzuschlafen und selbst der Clown Andre fragte mich ernst was los war. Ich erzählte ihnen dasselbe was ich jedem erzählte, wenn man mich danach fragte – es war nicht mein Tag. Das war es tatsächlich nicht. Dauernd dachte ich an meine Mutter, dann wieder an Eric und zum Schluss quetschte ich auch noch meine Sorge über Sams Geburtstag hinein, der ja bald bevorstand und dessen Planung noch nicht mal annähernd fertig war. Andre meinte neulich zu Pete, er soll Sam ein 5-Sterne Menü servieren, aber daraufhin wurde er so wütend, dass ihm niemand mehr ansprechen wollte. Ich wusste, er freute sich ein bisschen auf die Feier und ich konnte mir kaum vorstellen, dass er die ganze Zeit in der Küche stehen wollte um uns zu bedienen. Er tat mir leid. Schließlich war er hier der Älteste und trotzdem nahm ihn Andre nicht ernst.
„Hey, Chris, da ist eine Bestellung für Zimmer 2, irgendwas mit Wein und – du wirst es nicht glauben – Schlagsahne. Der Typ hat ja nerven.“
„Kannst du das nicht machen?“, fragte ich ihn im vorbei gehen. Meine Hände waren vollgeladen mit schmutzigen Tellern vom Mittagsessen.
„Ne, hab zu tun.“ Das hatte ich auch und trotzdem musste ich dafür herhalten. Wo war Zimmer 2 überhaupt, ich konnte mich nicht erinnern schon mal dort gewesen zu sein.
„Dann räume meine Tische weg und weh du wirfst wieder die ganzen Krümel wieder auf den Boden wie letztes Mal.“
„Was regst du dich so auf, musst ja nicht selbst aufräumen.“ Ich schüttelte nur abwertend den Kopf, schnappte mir die Bestellung und machte mich auf den Weg. Andres lautes Gelächter entfernte sich von mir, als ich das Erdgeschoss betrat. Zimmer 2, wo war das noch mal...Am Ende des Ganges strahlte mir ein Ziffernblatt entgegen, die Sonne schien darauf. Zimmer 2. Ich rümpfte die Nase. Ein undefinierbarer Geruch kam mir entgegen, so als hätte da drin schon lange niemand mehr geputzt. Ich klopfte zaghaft. „Bestellung für Zimmer 2.“ Die Tür öffnete sich ohne das ich jemanden sehen konnte. Schaurig, dachte ich und kam herein. Die Tür fiel in demselben Moment zu in dem ich die Türschwelle betrat. „Hallo? Hier ist ihre Bestellung, Sir.“
„Diese Anrede gefällt mir. Kannst du mich immer so nennen?“ Eric lehnte mit verschränkten Armen an der Tür. Es war wieder da – dieses diabolische Grinsen, von dem mir übel und gleichzeitig heiß wurde. „Du bist heute Morgen schnell gegangen.“
„Ich musste arbeiten.“ Dieses Zimmer war echt winzig, dachte ich, während ich noch das Tablett in den Händen hielt.
„Wirklich? Nicht etwa weil du Angst vor mir hast?“ Er traf ins Schwarze, aber unter die Nase reiben würde ich es ihm nicht. Selbstsicher stellte ich das Tablett auf irgendeine Oberfläche und kam einen Schritt auf ihn zu.
„Sehe ich für dich so aus als hätte ich Angst vor dir.“ Er legte den Kopf zur Seite und überlegte. Womöglich glaubte er mir nicht. „Wie auch immer, eigentlich wollte ich mit dir reden.“
„Das ist mal ganz was Neues. Kein Vorspiel, du kommst gleich zur Sache.“ sagte ich schnippisch.
„Eigentlich wollte ich mich von dir verabschieden.“ Ich stockte. Mir blieb das Lachen im Hals stehen und in meinem Inneren fühlte es sich so an als spießte mich jemand auf. Dieses Gefühl war mir neu. „Ich werde für zwei Tage nicht hier sein. Du darfst dich freuen.“ Als er sah, dass ich nicht lachte wurde er nachdenklich. Mir konnte es doch egal sein, ob er ging, warum fühlte ich dann plötzlich so leer.
„Aha, und wohin?“
„Wenn alles gut läuft, nehme ich dich sogar dorthin mit.“ Ich starrte ihn misstrauisch an. Ich verstand kein Wort von dem, was aus seinem Mund kam. Ehrlich gesagt dachte ich in dem Moment auch nicht nach, seine Worte kümmerten mich nicht, ich beobachtete nur, wie sich seine Gesichtszüge veränderten – in der Hoffnung etwas wieder zu finden, was ich schon mal bei ihm gesehen hatte. Plötzlich hatte ich eine Idee. Es war vollkommen verrückt, aber ich tat es trotzdem. Ich griff mit zwei Fingern in die Schüssel mit der Schlagsahne, kam auf ihn zu und strich sie ihm behutsam auf den Hals. Eric rührte sich nicht. Vermutlich war er zu perplex um irgendwas dagegen zu tun. Ich wollte den Spieß dieses Mal umdrehen, ihn zu meinem Spielball machen. Mit meiner Zunge leckte ich über die Stelle, wo ich die Schlagsahne verteilt hatte. Sie schmeckte milchig süß. Ich spürte Erics Atem an meiner Wange, während ich dies tat. Wenn er wirklich auf Kerle stand, dann katapultierte ihn diese Aktion gerade bestimmt nach Timbuktu. Zum krönenden Abschluss schob ich mir die zwei Finger mit der übrigen Schlagsahne so langsam in den Mund, dass ich mir sicher war, er würde davon steif werden. Ich sah ihm dabei fest in die Augen, beobachtete seine Reaktion genau. Jetzt verstand ich allmählich, wieso Eric sich immer so gut dabei fühlte, dieser Triumph über seinen Körper war atemberaubend schön. Ich sah, wie Eric sich mit den Zähnen leicht auf die Unterlippe biss. Langsam aber sicher kam ich in Fahrt. Ich tunkte dieselben zwei Finger wieder in die Schale und schob sie ihm halb in den Mund. Seine Zunge bewegte sich und leckte über meine Fingerkuppen. Ich schob sie weiter hinein und drückte sie hinunter. Mit meinem Gesicht kam ich ganz nah an seine Wange und fuhr mit der Nasenspitze darüber. Ich befand mich in einem Rausch der Sinne und es machte mich ganz benommen – ich war erregt. „Ist es das, was du immer von mir wolltest?“, hauchte ich ihm ins Ohr. Ich spürte, wie sich der Speichel in seinem Mund ansammelte. Er wollte etwas sagen, aber mit meinen Fingern im Mund ließ sich das schwer bewerkstelligen. Also nahm ich sie raus und trocknete sie an meiner Hose ab. „Schwachkopf“ sagte er schwer atmend. Mit der Hand wischte er sich die Spucke von den Mundwinkeln und lächelte.
„Das war nicht annähernd das was ich von dir wollte, aber es ist ein Anfang.“ ich stützte mich mit einem Ellenbogen an der Tür ab und leckte noch mal über seinen Hals. Ich spürte wie er seinen Kiefer verkrampfte,so als ob er mit sich rang. Eigentlich hätte er mich ganz leicht aufhalten können wenn er gewollt hätte. Aber anscheinend gefiel es ihm irgendwie doch und ich machte weiter. Mit der anderen freien Hand griff ich in seinen Nacken und zog seinen Hals weiter zu meinem Mund. Er keuchte. Ich musste aufhören, sagte ich, aber mein Körper wollte nicht gehorchen. Ich saugte weiter an seinem Hals, fuhr mit meiner Hand unter sein Hemd und als ich mich schon fragte ob er mich überhaupt aufhalten wollte, schubste er mich einfach weg wie nichts. „Das reicht.“ Sein Gesicht färbte sich nicht rot wie bei mir immer, aber er sah sichtlich mitgenommen aus. Sein Blick huschte von mir zu der Schlagsahne. „Schade“ sagte er ohne von ihr aufzusehen. Ich verstand nicht was er damit meinte.
„Wir sehen uns in zwei Tagen.“ war das letzte was ich von ihm hörte eher er das Zimmer verließ. Ich stand wie benebelt da, immer noch in dem Rausch den ich jetzt nicht ausleben konnte. Ich gestand es mir vielleicht selbst nicht ein, aber Eric machte mich wahnsinnig. Er hatte mich mit seiner Perversion angesteckt, so einfach war das. Ich war unschuldig. Wieder dachte ich an seine Berührungen, die so hart waren, dass sie mich schon fast anmachten. Was war bloß mit mir los?
Eric war ein Idiot, wieso verbrachte ich dann meine halbe Zeit damit an ihn zu denken. Plötzlich wünschte ich mir unsere erste Nacht zurück. Ich hätte sogar am liebsten ganz andere Sachen mit ihm gemacht als er damals mit mir. Ich wollte ihn.
Nervös tippte ich mit dem Bleistift auf den Kalender der Rezeption und dachte an alles andere nur nicht an Sams Geburtstag. Ich schämte mich fast für meine schamlosen Gedanken, die den Raum ausfüllten. Eric hatte das Hotel vor genau 40 Stunden verlassen und übrig blieben nur mehr 8. Also sollte ich doch in der Lage sein mich eine Minute hinzusetzen und mich zu konzentrieren. Ich sah zu Sam rüber, der in einem gemütlichen Sessel saß und in einer Zeitschrift blätterte. Ab und an lachte er dabei. Ich wäre gerne ein bisschen in der Gegend herumspaziert oder hätte Andre beim zubereiten des Essens geholfen, wenn mich nicht jeder dazu überredet hatte Wache zu schieben. Ich durfte Sam keine Sekunde aus den Augen lassen, während der Vorbereitung. Nachdem Abendessen, als auch die letzten Gäste gegangen waren, hatten wir – mit Mrs.Moors Einverständnisses – alles hergerichtet, nur das essen fehlte noch. Eigentlich herrschte zwischen Sam und mir seit seiner kleinen Konfrontation mit Eric Funkstille, aber ich war mir sicher die intime Feier würde ihn wieder auflockern.
Es war Punkt 12 und ich verbog Beine und Arme um Sam daran zu hindern in sein Zimmer zu gehen. Aus dem Saal ertönte ein lautes Poltern, sodass es bestimmt Einige Gäste mitbekamen. Sam horchte auf und ging hinein. Ich atmete erleichtert aus. Noch eine Minute und er hätte mich erschlagen. Als Sam den Salon betrat stürmte auch schon Andre auf ihn zu und umarmte ihn.
„Happy Birthday, du Glückskind. „ Sam war vollkommen überrumpelt. Ihm fehlten schlicht die Worte, aber als er sich wieder fing, blickte er mich mit wütender und gleichzeitig strahlender Miene an. „Du! Ich wusste es, ich hab´s gewusst!“
„Wir wissen doch alle dass Chris nicht zum Lügner geboren ist.“ rief Thomas fröhlich mit einer Flasche Sekt in der Hand. Er hatte sie sich von einem großen, runden Tisch in der Mitte des Raumes gekrallt.
„Dafür, dass es so lange gedauert hat, sieht es hier aber ziemlich lau aus.“ grinste Sam hoch erfreut.
„Hey, beschwere dich nicht. Wir haben uns Mühe gegeben.“ antwortete Pete etwas grimmig und goss sich in ein Glas Wein ein. Auch Aline, eine sehr schlanke, attraktive, junge Angestellte kam Sam mit einer Umarmung entgegen um ihm zu gratulieren. Ich stand eher Abseits von der Umarmungsarie und beobachte wie sie tranken und lachten, bis Sam selbst auf mich zu kam und mich zu sich zog. „Danke, Kleiner.“
„Hey, ich war das ja nicht allein.“ lächelte ich unter seiner Umarmung und tätschelte ihm den Rücken. „Wie fühlt es sich an 26 zu sein?“
„Alt, besonders wenn ich mit dir zusammen bin.“
„Pete schlägt uns beide locker. „scherzte ich und gesellte mich dann doch zu den Anderen an den Tisch. Andre hatte sich an seinem Essen verschluckt und musste sich von Thomas auf den Rücken schlagen lassen. Aline sah den Beiden dabei zu und nippte dabei immer wieder an ihrem Sekt. Pete war der Einzige, der eine Flasche Rotwein geöffnet hatte.
„Hast du das gehört, Pete? Niemand macht dir den Posten streitig.“ lallte Andre und goss sich dabei noch mehr Sekt ein. Wir hatten alle seit einer ganzen Weile nicht mehr getrunken. Deshalb überraschte es mich nicht, dass Andre nach drei Gläsern schlapp machte. Sam bot mir auch etwas an , aber ich lehnte höflich ab, ich wollte mich nicht so dämlich benehmen wie das Ehepaar, dass gerade anfing miteinander Walzer zu tanzen.
Es vergingen nicht mal 30 Minuten und schon herrschte vollkommenes Chaos und dafür waren allein die zweit Trottel verantwortlich, die mit ihrem Gehüpfer einige Stühle umgeworfen hatten. „Pssst!“ zischte Sam und lachte dabei selbst so laut wie die zwei. Ich musste Sam stützen damit er vor Lachen nicht umfiel. „Chris, du bist echt ein netter, wusstest du das?“ lallte er und alle außer Pete, der nicht zu solchen Späßen aufgelegt war, stimmten mit ein. Irgendwie machte es mich wütend dass mich jeder immer für einen Musterknaben hielt, das war ich nämlich ganz und gar nicht und beinah hätte ich es Sam auch ins Ohr geschrien, wenn wir nicht beide auf etwas nassem ausgerutscht und auf den harten Boden gefallen wären. Sam fand die Aktion aber total spaßig und sah auch keinen Grund seinen robusten Körper von mir zu bewegen. „Sollen wir euch allein lassen ihr zwei?“ erklang es von Thomas.
„Sam, geh bitte von mir runter, du bist Sau schwer!“ schimpfte ich, aber er rührte sich nicht.
„Sam?“ rief ich wieder. Als er sich immer noch nicht rührte befürchtete ich schon das schlimmste, aber sobald ich sein leises schnarchen vernahm, blickte ich erleichtert zu dem irritierten Pete. Allerdings war er, wie ich entsetzt feststellte, nicht wegen uns beiden besorgt. Er starrte an uns vorbei auf die Tür. Da mich Sams überdimensionaler Kopf behinderte konnte ich nicht sehen was da vor sich ging. Ich streckte mich, aber keine Chance, erst als jemand den schlafenden Sam aufrappelte erkannte ich die weichen Gesichtszüge. Eric hatte Sam aufgehoben und dessen Arm über seine Schulter geworfen. Sam öffnete benommen die Augen und sah ihn an. Ich war mir nicht sicher ob Sam ihn erkennen konnte. Eric sah an mich herunter und ich erinnerte mich wieder, dass ich immer noch auf dem Boden lag. „Lass Chris in Ruhe.“ lallte Sam unter Erics Griff.
Als ich mich erhob sah ich kurz zu Pete und dann zu Andre und Thomas, die alle samt da standen wie drei Zwerge im Wald. Niemand wagte etwas zu sagen – außer mir.
„Danke“ Er zuckte mit den Schultern.
„Wohin?“ fragte er Pete.
„Lass ihn einfach hier liegen.“scherzte Andre, der durch Erics überraschten Auftritt am ausnüchtern war. Eric schüttelte den Kopf und sah zu mir. „Ich mach das schon.“ antwortete ich ihm.
„Zeig mir einfach den Weg.“ Ich freute mich so sehr über ihn, dass ich glatt vergaß wie man einen Fuß vor den anderen setzte. Aber nach langem zögern hatte ich mich schließlich soweit, dass er mir folgen konnte. Wir kümmerten uns nicht um den übrigen Verein im Salon, sondern liefen weiter in den ersten Stock. Die Treppe verwandelte sich in einen unerklimmbaren Hügel, Eric schwächelte ein wenig. Am liebsten hätte ich Sam hier liegen lassen und Eric um den Hals gefallen. Nein, ich durfte jetzt nicht daran denken.
Als wir bei der Tür ankamen, holte ich aus Sams Hosentasche die Schlüsseln und entriegelte das Schloss. Weil ich so nervös war vielen sie mir auf den Boden und ich musste sie aufheben eher Eric sich an mir vorbei quetschen konnte um Sam aufs Bett zu werfen. „Hätte nicht gedacht dass der so schwer ist.“ sagte er und beobachtete wie Sams Brust sich hob und sank. Sichtlich entspannter wendete er sich an mich. „Hast du auch was getrunken?“
„Nein“ Eric wirkte enttäuscht. „Aber ich hatte eine Menge Spaß.“
„Das hab ich gesehen.“antwortete Eric mürrisch und fuhr sich durch die Haare.
„Eifersüchtig?“ Ich ließ den schlafenden Sam links liegen und stellte mich neben Eric, der mich mit einem schiefen lächeln ansah.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und strich Eric mit meiner Hand entlang seiner harten Brust. Der Stoff seines Hemdes war dünn und weich.
„Willst du..“ setzte ich an, aber er unterbrach mich.
„Nein“ Natürlich, wie konnte ich nur glauben er würde auf meine Annäherung eingehen. Ich war so blöd. Ich versuchte mir meine Niedergeschlagenheit nicht anmerken zu lassen. Eric war kein Typ der Mitleid empfand und schon gar kein der andere tröstet. Mein Kiefer schmerzte, weil ich die Zähne fest aufeinander Biss um gegen die Versuchung Eric zu berühren anzukämpfen. Mein ganzer Körper schreite nach Zuwendung, nach Händen die ihn streichelten und ihn zum stöhnen brachten.
Eric beobachtete mich angestrengt und schien über etwas nachzudenken. In dem Zimmer hörte man nur Sams lautes Schnarchen. „Aber“ setzte Eric plötzlich an und fuhr mir durch die Haare als wäre ich ein kleines Kind. „ Morgen“ Mein Herz klopfte wie wild, in meinen Fingerspitzen kribbelte es. Ich war zu sehr in meine eigene Welt vertieft und merkte nicht wie abhängig mich dieser Typ machte, mit jedem Tag etwas mehr. Der Wunsch ihm nah zu sein, ihn mit Haut und Haaren zu besitzen, war unerträglich.
Langsam merkte ich wie der alte Chris hinter einer Maske verschwand. Stattdessen trat eine Person an seine Stelle, die eine vollkommen Andere war.
„Wohin fahren wir?“ fragte ich Eric, der eine Hand aus dem offenen Fenster des Mustangs ausgestreckt hatte um die Asche seiner Zigarette loszuwerden. Er wusste, dass ich den Geruch nicht leiden konnte. Ab und an nahm er sich einen Zug davon und blies den Rauch im hohen Bogen wieder raus. Trotz der aufgesetzten Sonnenbrille wirkte Eric müde. Nachdenklich musterte ich ihn. „Keine Angst, es wird dir gefallen.“
„Das kannst du gar nicht wissen.“ Er schmiss den Stummel aus dem Fenster und kurbelte das Fenster wieder hoch. Er lächelte.
„Schnall dich gefälligst an.“ Ich ignorierte ihn einfach.
„Muss ich erst das Auto anhalten?“ Ich fand die Idee nicht schlecht, immerhin war es eine Ewigkeit her seit wir... naja. Ich wusste nicht warum Eric so distanziert war, aber es machte mich ganz hibbelig und die Tatsache, dass seine Hand an der Schaltung lag, sodass ich ihn hätte leicht streifen können, machte es auch nicht besser.
„Eric?“
„Hm..“ brummte er.
„Mit wie vielen Männern hast du schon geschlafen?“ Er sah mich überrascht an. Mittlerweile war ich sozusagen immun gegen die Schamröte.
„Zu vielen. Warum willst du das plötzlich wissen?“
„Nur so.“ Ich drehte mich zum Fenster und beobachtete mich selbst im Spiegelbild. Da es dunkel geworden war gab es nichts Anderes was ich hätte sonst ansehen können. Mir wurde kalt, ich entledigte mich meiner Schuhe und zog die Beine auf den Sitz.
„Kannst du mir einen gefallen tun und das nicht mehr machen.“
„Was?“
„So auszusehen als würde ich dich zu alldem zwingen.“
„Aber du bezahlst mich genau dafür.“ entgegnete ich zögerlich und musste mich schon fast zwingen sich an unser Geschäft zu erinnern.
„Falsch, bezahlen tue ich dich dafür, dass du dich für mich ausziehst. Du kannst immer noch aussteigen.“ Ich seufzte laut.
„Zu spät.“ Längst zu spät. Ich wollte mehr. Viel mehr und das wusste er ganz genau.
In meinen Gedanken malte ich mir aus was er mit mir wohl anstellen würde. Verschmitzt drehte ich mein Gesicht weg von ihm, während wir in eine dunkle Gasse einbogen. Ich war zu aufgeregt um einfach still zu sitzen, aber wir waren ohnehin fast da. Also sah ich mir die Gegend mal genauer an.
Das Haus kam mir bekannt vor, dass sich wie ein Riese vor uns aufbaute. Es war genau das Haus wo...Eric stieg aus und schlug die Tür hinter sich zu. Ich folgte ihm hastig. „Das ist es etwa..“ Er nickte und steuerte auf die Tür zu. Plötzlich wurde ich doch nervös. Ich konnte mich noch genau an meinen Auftrag hier erinnern, auch wenn ich nicht wusste weshalb. Dieses schaurige Gefühl das ich dabei hatte, lies mich auch jetzt nicht mehr los. Schüchtern folgte ich Eric, der selbstsicher an die Tür klopfte. Es dauerte eine Weile bis uns jemand aufmachte, aber Eric schien gelassen. Es war wieder der junge, schmächtige Kerl, der Eric anlächelte. Er schien mich nicht wieder zuerkennen.
„Sind sie schon da?“ fragte Eric ihn. Ich schluckte. Was meinte er mit Sie?
Der Junge nickte und begleitete uns ins Haus Innere. Zögernd blieb ich hinter Eric etwas zurück, aber er drehte sich nicht nach mir um, sondern ging einfach weiter. Was ging hier eigentlich vor?
Das Haus war nicht groß und auch nicht außergewöhnlich prachtvoll, eigentlich genau wie viele Andere, aber etwas störte mich daran. Ich hatte das Gefühl hier stimmte was nicht.
Eric und der Junge betraten zuerst den Hauptraum des Hauses, ich blieb schüchtern hinter den Beiden. Da sie mir die Halbe Sicht versperrten, konnte ich nicht sehen was da im Zimmer war, erst als Eric sich zu mir umdrehte und mich nach vor schob. Zitternd trat ich in den Raum und blickte in fünf männliche Gesichter, die im Raum verteilt waren. Sie sahen alle aus, als hätte sie ein Haarspray ausgespuckt, mit Anzügen und weißen Hemden. Ich bekam ein mulmiges Gefühl als sie mich ohne Scheu musterten. Nur einer von ihnen, ein Kerl der dicht am Fenster lehnte, lächelte mich an als würde er mich ewig kennen. Oder nicht mich, sondern Eric? Nein, er sah eindeutig in meine Augen.
Ich wusste nicht ob ich zurück lächeln oder eher schreiend davon laufen sollte. Die Situation überforderte mich.
„Das ist Chris.“ sagte Eric und legte den Arm um meine Hüfte. Unter Anderen Umständen wäre ich vor Freude im Kreis herum gelaufen, aber hier und jetzt fühlte es sich gar nicht mehr gut an.
„Interessant“ sagte ein blonder Kerl an der Couch. Er hatte ein Glas in der Hand.
„Hi“ kam es von einem weiteren, dessen Augen eine wirklich merkwürdige Farbe hatten. Ich entschied, dass er der sympathischste aus der Gruppe war. Eric schob mich weiter vor, sodass er unmittelbar hinter mir stand. Mein irritierter Blick traf seinen, aber er grinste nur. Ich erschrak und erkannte den alten Eric. Der Kerl am Fenster kam auf mich zu. Sein Hemd war halb offen, aber sein Körper interessierte mich nicht. „Du bist süß.“ sagte dieser grinsend und berührte meine Wange. Ich zuckte zurück wie vor einem Stromschlag und wurde prompt von Eric aufgehalten. „Was soll das?“ sagte ich wütend.
„Hey, ganz ruhig, wir sind hier alle unter uns.“ Der Kerl kam noch näher und fuhr mit seiner Zunge über meinen Hals. Ich wollte ausweichen, aber Eric griff meine Arme und hielt sie fest. „Entspann dich.“ flüsterte er mir ins Ohr. Was? Ich sollte es einfach zulassen. Ich sollte zulassen, dass er mich anfasste. Erwartete Eric das wirklich von mir? Allein die Vorstellung jemand Anderen zu berühren als ihn ekelte mich an. „Ich will nicht.“ sagte ich weinerlich und alle im Raum fingen an zu lachen. Wie konnte Eric mir das antun. Wie konnte er nur mit ansehen wie sie mich...Ich dachte er mochte mich. Wie dumm ich gewesen bin. Wie unbeschreiblich dumm.
Die Übrigen taten nichts als uns drein zuzuschauen. War das ein krankhaftes Ritual hier? Einer hatte seinen Spaß und die Übrigen amüsierten sich. Ich versuchte meine Tränen zu unterdrücken. Ich durfte nicht ängstlich sein, sonst war ich verloren, oder war ich das bereits schon?
„Kannst du ihm das Hemd ausziehen.“ sagte der Kerl vor mir und fing an die Knöpfe meines Hemdes aufzumachen. „Hör sofort auf! Ich sagte doch ich will das nicht.“
„Warum siehst du nicht ein, dass es hier niemanden kümmert was du willst und was nicht.“ flüsterte er mir ins Ohr. Ich war mir sicher Eric hatte es gehört und umso mehr schockierte mich seine Reaktion. Tief im Inneren hatte ich Eric noch nicht aufgegeben. Es war noch nicht zu spät.
Ohne auch nur zu ahnen welche Folgen das haben würde, spuckte ich meinem Gegenüber ins Gesicht. Wie auf Knopfdruck griff er in mein Haar und zog so fest daran, dass ich aufschrie. Ich versuchte mich aus Erics Umklammerung zu befreien, aber es war hoffnungslos.
„Hast du das gesehen Eric? Er hat mich angespuckt!“ Ich würde dir sogar die Nase brechen wenn ich es könnte, sagte ich stumm.
„Wann geht’s den endlich los Glen?“ sagte jemand den ich von meiner Position nicht sehen konnte.
„Weist du Kleiner, irgendwie törnt mich deine Aktion gerade total an. Ich glaube ich muss mich bei dir bedanken. Aber zu aller erst..“ Glen wischte sich mit den Fingern mein Werk weg und schob mir diese in dem Mund. Der widerliche Geschmack nach Salz und Moder ließ mich würgen. Ich biss zu.
Unbeeindruckt zog er sie wieder heraus und wischte sie an meiner Hose ab. „Irgendwie gefällst du mir. Kann ich mit ihm für zehn Minuten allein sein?“ Er richtete die Frage an Eric, als ob ich sein Eigentum wäre. Eric schien zu überlegen.
„Nein“
„Komm schon, ich zahle auch dafür.“
„Ich sagte nein.“ bellte Eric ihn an wie ein Hund. Eigentlich wäre es mir lieber gewesen mit Glen allein zu sein als mich von der Gruppe demütigen zu lassen. Wahrscheinlich hasste mich Eric so sehr, dass er mich leiden sehen wollte und das vor allen.
„Schade“ Glen war bereits am Ende seiner Arbeit angekommen und zog mir das Hemd von den Schultern. Weil Eric mich an den Handgelenken festhielt hing es an ihnen herunter. Glen störte es wenig. Er schnappte sich meine Brustwarzen und drehte sie wie eine Schraube. Ich schrie wieder auf. Im Vergleich zu Glen war Eric ein kuscheliges Häschen bei dieser Prozedur. Keuchend ließ ich mich nach vorne fallen. Eric knickte meine Knie ein, sodass ich mit ihnen auf dem Boden stand.
„Hast du ihm nichts beigebracht. Der ist ja jetzt schon schlapp.“ Erleichtert darüber dass ich Erics Gesicht nicht sehen konnte, blickte ich in Glen Skelett artiges Gesicht. Hasserfüllt wie ich war versuchte ich meine Wut in Selbstsicherheit zu verwandeln. Glen sah mich teilnahmslos an, als wäre ich ein Ding und gerade als ich dachte er wollte mich schlagen öffnete er den Reißverschluss seiner Hose. Ich schluckte heftig. Nein, bitte nicht! Mein Ekel spiegelte sich in meinem Gesicht wieder. Glen grinste zufrieden. „Kleiner, du musst noch eine Menge vom Leben lernen. Die Starken werden zu Königen und die Schwachen zu ihren Sklaven.“ Brutal wie er war, stieß er sein Glied in meinen Mund. Es erstickte meinen Schrei, Tränen liefen mir übers Gesicht. Immer wieder stieß er in mich. Ich wollte wieder zu beißen, aber ich fürchtete mich zu sehr vor dem was er danach mit mir machen würde. Eric hielt mich während dessen fest. Inzwischen brodelte in meinem Inneren purer Hass auf ihn. Von den Gefühlen die ich empfand war nichts mehr übrig geblieben, gar nichts. Das bisschen Essenz was noch da war wurde von Glen gnadenlos niedergewalzt.
Es war eine scheinbar endlose Tortur. Ich fühlte mich wie ein Spielzeug, eine Sache, der man wehtun konnte. Von wir selbst war nichts mehr geblieben – außer der winzigen Hoffnung heil hier raus zu kommen. Ich musste an meine Mutter denken. Wofür das Ganze? Warum tat ich das alles für sie? Langsam fing die Hoffnung für sie in meinem Herzen an zu erlöschen.
Als Glen fertig war sah er sichtlich zufrieden aus. Die Anderen, die sich noch im Raum befanden, waren mir inzwischen egal. „Hey, kannst du ihn mal umdrehen.“ sagte Glen plötzlich. Er zog an meiner Hose. Ich wollte schreien, aber es blieb mir einfach in der Kehle stecken. Mein Körper fühlte sich schlapp an, er reagierte jetzt auf alle seine Befehle. Ich stand immer noch mit meinem Gesicht ihm zugewandt. Glen zog mir die Hose herunter und versuchte mich umzudrehen. Eric hielt ihn zurück. „Es reicht.“ Eigentlich war es mir egal was jetzt passierte. Eric war mir egal. Wenn ich darüber nachdachte, hatte er mich von Anfang an so behandelt. Warum machte er also nicht damit weiter.
„Nein und jetzt tu was ich sage!“ brüllte Glen. Eric ließ mich los und ich fiel auf den Boden. Er versperrte mit seinem breiten Körper den Weg. Eine Zeitlang schienen sie einander anzubellen, auch wenn niemand von ihnen zuschlug, aber schließlich entfernte sich Glen von mir.
Ich bekam nicht mehr viel von dem mit was dann geschah. Mein Körper war zu erschöpft. Ich wollte nicht weg kippen und in diesem Haus liegen bleiben wie etwas, dass man auf den Müll geworfen hatte, aber ich hatte keine Wahl. Blinzelnd hob ich kurz meinen Kopf und fiel wieder auf den Boden.
Alles wurde schwarz.
Das Aufwachen war körperlich wie seelisch genauso schmerzhaft. Ich wusste nicht was schlimmer war, mein zermürbter Kiefer oder der Gedanke daran was Eric mir angetan hatte.
Ich lag angezogen bäuchlings in Erics Bett. Hemd und Hose hatte jemand sorgfältig geschlossen, obwohl beides jetzt völlig zerknittert vom Schlaf war. Ich fühlte mich schrecklich.
Als ich mich langsam auf den Rücken drehte hatte ich meine Augen geschlossen. Ich wusste wer auf der Kante des Bettes saß. Eric in die Augen zu sehen, die ihn mein verheultes und schamvolles Gesicht sahen ertrug ich einfach nicht. Nicht jetzt. Schmerz, Erniedrigung und nicht zuletzt Erics Zurückweisung zerrten an mir, fesselten mich, durchbrachen mein Innerstes. Ich wusste nicht ob ich ihn hasste, ob ich es trotz dem wirklich tun könnte, aber was er mir angetan hatte konnte ich nicht vergessen. Er hatte mich benutzt – wie er jeden benutzte.
Mit geschlossenen Augen nahm ich eine Bewegung wahr und gerade als ich dachte Eric würde mich zwingen ihn anzusehen geschah nichts. Im Zimmer war es totenstill. Ich öffnete die Augen und sah wie Eric mit zusammengefalteten Händen auf den Oberschenkeln wie eine Statue da saß und sich nicht rührte. Er schien auf etwas zu warten. Ohne sich zu mir umzudrehen seufzte er laut und durchbrach die Stille. „Es tut mir leid.“ Er vergrub die Hände in seinen Haaren.
„Ich ...ich weiß nicht warum ich das getan habe.“
Ich konnte nur sein Profil erkennen, weil er mich nicht ansah, aber für einen Moment hatte ich gedacht er würde weinen. Eric besaß meinen Körper, meinen Willen und für einen Augenblick auch mein Herz, aber Mitleid war das Einzige was ich ihm nicht geben konnte. Ich wollte etwas sagen, aber als ich den Mund aufmachte kam kein Ton heraus.
„Bitte schweig mich nicht an.“sagte er flehentlich. Ich konnte ihm ansehen wie er sich abmühte mit mir Augenkontakt zu halten und das ich mich ständig von ihm wegdrehte machte es auch nicht besser. Ich wäre am liebsten aufgesprungen und davon gerannt, die Nacht einfach vergessen – ihn vergessen. Aber wenn ich jetzt ging, dann würde ich nie erfahren warum das alles passiert war. Ich musste ihn anhören, egal wie schmerzvoll es war ihm gegenüber zu sitzen.
„Warum?“ Eric sah plötzlich vom Boden auf und sah mich überrascht und traurig zugleich an. Vermutlich hatte er nicht erwartet meine Stimme zu hören.
„Ich..ich war..verdammt!“ wütend fuhr er sich erneut durch die Haare und vergrub das Gesicht in den Händen. Nein, wenigstens das war er mir schuldig. Ich würde nicht eher aufstehen bis ich den Grund dafür erfahren hatte. Eric rang mit sich als er schließlich nach langem zögern antwortete.
„Ich war wütend auf dich, weil du mit Sam...“ Ich sah ihn ungerührt an und wartete bis er weitersprach.“Ich war wütend auf die Beziehung die ihr beiden habt. Dieses ständige lachen, die Vertrautheit. Glaub nicht ich würde es nicht sehen. Am Abend seiner Geburtstagsfeier, als ich euch zusammen sah, hätte ich ihm am liebsten...“ Er unterbrach sich. „Nachdem du gegangen bist, hätte ich ihn am liebsten im Schlaf erwürgt.“ Eric biss die Zähne fest aufeinander, dann drehte er sich zu mir und stütze sich mit beiden Händen an meinem Kopfkissen ab. So nah war ich ihm schon lange nicht mehr. „Ich wollte dir begreiflich machen, dass du nur mir gehörst.“ Erics Blick war so intensiv, dass ich zurück schrecken musste. Wieder diese Nähe, die zum falschen Zeitpunkt kam und mich einschüchterte. Wenn das seine Rechtfertigung war dann verstand ich sie nicht. War er eifersüchtig? Ein winziger Teil von mir – tief in meinem Herzen – freute sich darüber, dass er mich doch nicht hasste, aber mein Kopf sagte mir er war wahnsinnig. Genauso wahnsinnig wie meine Mutter. Ich begriff, dass ich ihn Wahrheit niemandem etwa bedeutete. Meine Mutter kämpfte mit ihrem zweiten ich – der Vergangenheit – und Eric war einfach nur darauf aus mich zu ficken. Eigentlich bedeute ich keinem von beiden etwas. Wäre dem nämlich so, dann wäre meine Mutter nicht so selbstsüchtig und hätte sich in ihr Innerstes verkrochen und mich im Stich gelassen.
Erics abwartender, fast drohender Blick wickelte sich wie eine Schlange um meinen Hals. Er schien sich sicher zu sein, dass seine Worte ausreichen würden um alles wieder ins Lot zu bringen. Aber das taten sie nicht. Wie konnte er denken, er könne mich zuerst für etwas bestrafen wofür ich nichts konnte und dann denken, dass zwischen uns alles wieder okay wäre. Am liebsten hätte ich auf der Stelle zu heulen angefangen, aber meine Tränen waren versiegt. Es kam kein Einziger Tropfen heraus.
Eric verharrte in seiner Stellung und wartete ab bis ich etwas sagte. Seine Muskeln hatten sich angespannt. Mit seinen Händen verkrallte er sich in das Bettlacken neben mir. Es war nicht zu leugnen, dass ich ihn immer noch nach alldem wollte. Wie gut es sich anfühlen würde seine nackte Haut auf meiner zu spüren, seine Zunge, die meinen Hals hinab gleitet. Ich musste mich zwingen diese Vorstellung loszulassen, denn das würde es nicht mehr geben. Ich würde es nicht zu lassen.
Es würde wehtun, mehr als ich befürchtet hatte, aber ich musste es tun. Ein endgültiger Schlussstrich. Ich beugte mich zu ihm bis unsere Nasenspitzen sich fast berührten. Erics Augen wanderten entschlossen über mein Gesicht und gerade als er dachte ich wollte genau dasselbe wie er, küsste ich ihn nur auf die Wange. „Mir tut es auch leid.“ flüsterte ich und schob seine Hand die mich am aufstehen hinderte weg, stand auf und verließ sein Zimmer. Ich spürte wie eine Träne meine Wange hinunter lief und ich wusste, sie würde die Letzte sein.
Eric
Sobald die Tür zufiel schmiss ich das Kopfkissen vom Bett, zerrte wutentbrannt an dem Lacken und wirbelte es mit einem Ruck herum bis es mich in der Luft wie ein Wolkenschleier einhüllte. Die Wut auf mich selbst, aber auch auf Chris´s Reaktion kochte in mir und doch wusste ich, dass ich das verdient hatte. Ich wusste weder ein noch aus. Ich wollte schreien, weinen, mein Kopf gegen eine Wand schlagen. Wieder hatte ich es geschafft der Person, die mir was bedeutete, wehzutun. Immer und immer wieder. Warum hörte es nicht auf?
Hatte ich mich nicht schon genug bestraft? Niemand verstand mich. Wie sollten sie auch. Ich machte keinem einen Vorwurf, denn ich war selbst Schuld. Jahrelang versteckte ich mich, verbarg meine Gefühle in der Angst sie würde jemand sehen. Die Leute würden sehen wie kaputt ich in Wahrheit war. Sie würden mich ansehen und ihre Gedanken bestätigen. Ich hasste es. Noch mehr als mich selbst, hasste ich das Gefühl, dass solche Leute in mir wachriefen. Diese verkorkste, eingebildete Gesellschaft aus Arschlöchern, die mich wie ein Tier in die Ecke drangen. Wenn Chris doch nur...nein, das würde nie passieren. Ich konnte es ihm nicht sagen. Das durfte niemand erfahren. Niemals.
Ich röchelte als ich herunter sah. Der Boden war weiß bedeckt wie Schnee. Mein erster Impuls war aufzustehen und die Unordnung zu beseitigen, die ich angerichtet hatte, aber stattdessen ging ich ohne nachzudenken auf die Tür zu. Warum ich ausgerechnet jetzt dorthin ging konnte ich nicht erklären. Etwas zog mich an. Das letzte Mal als ich dort war war mit meiner Mutter. Seitdem hatte ich mich einfach nicht getraut. Ich war ein Arsch, anders konnte ich es nicht ausdrücken.
Jeder hatte seine eigenen Probleme und musste auf seine Weise damit umgehen, aber ich hatte mich zu dem Zeitpunkt dazu entschieden sie zu ignorieren.
Seit ich Chris zum Hotel gefahren hatte war es mir unmöglich gewesen einzuschlafen. Die Müdigkeit hatte mich fest im Griff. Ich musste mir die Augen reiben um zu sehen wohin ich ging. Der Wind blies mir ins Gesicht, es dämmerte langsam. Ich musste mich beeilen.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell hier wieder auftauche.“ lachte ich trüb in mich hinein.
„Du hast es wahrscheinlich schon geahnt warum ich hier bin.“ sagte ich meinem Bruder und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Das Denkmal war in dem bepflanzten, kleinen Garten versteckt, wo es unmöglich jemand sehen würde, es sei denn er lehnte sich direkt davor. Eigentlich war es meinem Bruder nicht annähernd gerecht, aber ich wollte auch nicht ständig daran erinnert werden wenn ich hier war. Meine Mutter meinte eine kleine Messing Plakette würde ausreichen um an ihn zu denken. Ich brauchte kein Denkmal um mich an meinen Bruder zu erinnern. Ich kam nur hierher wenn ich mit ihm direkt sprechen wollte. Am Anfang kam es mir dämlich vor Selbstgespräche zu führen, aber dann wurde es von Mal zu Mal zur Routine. Niemand wusste, dass ich das tat. Vermutlich hätte man mich dafür sogar ausgelacht.
„Chris hasst mich. Du hattest unrecht, ich bin ein schwuler Arschloch. Wenn du mich damals doch nur dafür verprügelt hättest. Stattdessen hast du mir beigestanden als ich nicht weiter wusste, hast mich von unserem Vater in Schutz genommen um mich dann später zu verlassen. Du hast mich einfach mit ihm allein gelassen.“ Ich lies mich auf die kalte Erde fallen, sodass ich den kyrillischen Schriftzug nicht mehr sah. Ich hätte geweint, wenn er es mir nicht verboten hätte. Ich schüttelte frustriert den Kopf. „Du Idiot.“ sagte ich ihm. Er hasste es im Mittelpunkt zu stehen. Mein großer Bruder, dem ich immer vertrauen konnte, der zu bescheiden war um einzugestehen wie viel gutes er getan hatte. Von allen Menschen auf dieser Erde musste sich Gott ausgerechnet ihn aussuchen. Warum? Wieso konnte er mir das bisschen Glück, das mir geblieben war, mit Gewalt nehmen.
„Ich weiß nicht was ich tun soll, Michael.“ flüsterte ich. Wenn er mir doch nur antworten könnte.
Ich wusste nicht wann und wie ich ins Bett gekommen war. Anscheinend hatte ich mich doch dazu durch gerungen auf einer Matratze zu schlafen als auf kalter, dreckiger Erde. Mittlerweile war es Nachmittag und ich hatte absolut keine Lust aufzustehen. Chris hetzte irgendwo im Haus herum und wenn ich ihm begegnete, dann würde ich es nicht aushalten. Ihn zu sehen, aber nicht anfassen zu können, war als würde mir jemand Medizin verweigern. Denn das war er für mich – meine persönliche Medizin.
Es klopfte an der Tür. „Wer auch immer das ist, du sollst dich verpissen.“ schrie ich und hörte wie die Schritte sich zögerlich von mir entfernten. Scheiß drauf. Ich sank mit dem Gesicht in die Kissen, die so weich waren, dass ich am liebsten gleich wieder eingeschlafen wäre. Mich würde unten sowieso niemand vermissen. Sie wären doch alle froh mich loszuwerden.
Den Rest des Tages verbrachte ich in meinem Zimmer. Essen tat ich nur noch alleine und was Chris anging, so musste ich mich mit seiner Entscheidung abfinden. Alles was ich zu tun brauchte war nicht an ihn zu denken, aber um das zu schaffen musste ich mich so sehr konzentrieren, dass mir vom Zähne beißen der Kiefer wehtat. Wenn er nur wüsste wie ich litt.
Die ganze Woche war die Hölle auf Erden für mich. Ich konnte nicht essen, schlafen, nicht mal richtig geduscht hatte ich mich. Alles woran ich denken konnte war er. Tag für Tag, jede Stunde, jede Sekunde. Ich fühlte mich wie ein Junkie auf Radikal Entzug. Ich dachte, wenn ich nur mehr Zeit hätte würde es von selbst weggehen, aber stattdessen wurde es noch schlimmer. Der Wunsch nach Nähe war größer als ich je gespürt hatte. Chris lies mir keine Wahl. Wenn er mich nicht mehr wollte, dann musste ich woanders hin. An einen Ort wo ich diese Nähe bekam, wo es keine Konsequenzen dafür gibt und wo keiner Fragen stellen würde.
Zum ersten Mal in dieser Woche setzte ich einen Fuß über meine Türschwelle. Ich musste vorsichtig sein um niemandem zu begegnen. Das Stockwerk war leer und so schlich ich schon beinah zur Treppe, der ich leise nach unten folgte. Eigentlich war es lächerlich.
Als ich einen Blick auf die Lobby warf sah ich Sam an der Rezeption, der lauthals mit jemanden telefonierte. Eine Angestellte – ich glaubte sie hieß Aline – huschte an ihm vorbei und er sah ihr grinsend nach. Sein Telefon Gespräch schien ihn nicht mehr zu interessieren. Ich beschloss einfach raus zu meinem Wagen zu spazieren als wäre nichts gewesen, als hätte ich mir nicht die ganze Woche wegen einem Kerl den Kopf zerrissen. Zum Teufel, ich war immer noch derselbe Eric und das sollten alle gefälligst akzeptieren.
Entschlossenen Schrittes ging ich in die Lobby. Sam fixierte mich kurz, sah aber dann wieder weg. Das war leichter als gedacht. Zu spät bemerkte ich wie sich eine Gestalt aus seiner gebückten Haltung erhob und mir in die Augen sah. Warum stand Chris genau vor der Eingangstür?
Sein kalter, nichts sagender Blick traf mich wie ein Blitzschlag. Mein Gesicht wurde Kreide bleich. Was sollte ich jetzt machen? Mal abgesehen davon, dass ich ihn am liebsten an die Wand gedrückt hätte und über ihn hergefallen wäre. Aber als ich seine vereisten Augen sah, seine ausdruckslose Miene, musste ich den Kopf senken. Chris ging einfach an mir vorbei. Er hatte die Trauer, die Verzweiflung, die mich quälten, nicht gesehen. Vielleicht wollte er sie gar nicht sehen. Weshalb sollte er auch? Ich war derjenige, der ihn verletzt hatte nicht umgekehrt. Ich hatte es vermasselt.
Ich musste mich zwingen vorwärts zu gehen und ihm nicht hinterher zu sehen. Aber als ich schon draußen war musste ich mich einfach umdrehen. Chris stand an der Rezeption mit dem Rücken zu mir. Bitte, dreh dich um, flehte ich. Aber das tat er nicht. Er ging einfach nur weiter.
„Ist das gut? Gefällt es dir?“
„Ja, mach weiter.“ sagte ich desinteressiert auf dem Rücken liegend. Ein Junge, den ich nicht kannte, streichelte meinen Körper und leckte an meinem steifem Penis. Harten, gefühllosen Sex war alles was ich wollte, was ich eigentlich immer wollte.
„Du bist ein Stammkunde, sagte man mir. „
„Hm“ Er hatte sich mehr zu mir nach unten gebeugt und hatte mein Glied in seinen Mund genommen.
„ Hast du Vorlieben?“ Ich sah kurz auf ihn herunter. Seine Selbstsicherheit kotzte mich an.
„Sei still“
Er wirkte nicht überrascht und machte mit seiner Tätigkeit weiter. Mit den, hinter dem Kopf verschränkten Armen, genoss ich das Gefühl der sofortigen Erfüllung, aber es reichte mir nicht. Ich richtete mich auf und befahl dem Jungen sich auf alle Vieren auf das Bett zu legen. Kurz vor dem Rausch postierte ich mich vor ihm und drang hart in ihn ein. Er schrie auf. „Hey, sachte. Ich hab noch andere Kunden.“ Wenn ich ihn ficken wollte, dann tat ich es auch und das konnte niemand verhindern. Ich fühlte mich gut dabei ihn zu unterwerfen. Das war meine Natur. Doch tief in mir hatte ich noch ein ganz anderes Verlangen. Eigentlich tat ich das nie mit Männern, absolut nie.
Nicht das ich es nicht schon mal ausprobiert hätte, aber es gefiel mir einfach nicht.
Ich zog meinen Penis aus ihm heraus, drehte ihn auf den Rücken und legte mich auf ihn.
„Küss mich.“ Ich wollte wissen wie es sich anfühlte, ob es überhaupt Wert war. Der Junge starrte mich perplex an. „Ist das dein ernst?“ Ich nickte grimmig und er tat wie befohlen. Mit geöffneten Lippen erwartete ich dieses eklige Gefühl, dass ich früher verspürt hatte. Ich wusste nicht was Leute an Küssen toll fanden. Ich empfand dabei gar nichts. Weniger als Nichts. Deshalb vermied ich es auch, nur jetzt, unter diesen Umständen, wollte ich es unbedingt spüren.
Seine Lippen trafen auf meine und ich kam nicht drum herum an Chris zu denken. Wie sein Mund auf meinem lag, wie unsere Zungen miteinander verschmolzen. Aber es war nicht das Gleiche, der Junge war nicht Chris. Vielleicht würde dies das Einzige sein, was mir noch von ihm blieb. Die Erinnerung.
Seit dem Abend, an dem ich Eric verlassen hatte, schwirrten so viele Fragen in meinem Kopf herum, dass ich mich auf nichts mehr konzentrieren konnte. Mich interessierten Andres Albereien nicht, das Kartenspielen mit Pete reizte mich kaum und Sam hörte ich nur zu um so zu tun als würde es mir gut gehen. Eigentlich war keinem meine schlechte Laune aufgefallen und es war okay so, denn dann müsste ich sie belügen und das konnte ich nicht.
Eric.
Überall bildete ich mir ein diesen Namen zu hören – als ob sich auf einmal jeder entschieden hätte so zu heißen. Egal wohin ich ging oder was ich tat, verfolgte er mich. Ich konnte nichts dagegen tun.
Wäre Eric doch bloß nicht gestern vor mir aufgetaucht, dann käme ich vermutlich über ihn hinweg.
Wem log ich was vor? Er bedeutete mir immer noch was. Es nützte nichts sich selbst was vorzumachen. Aber einfach zu ihm zu gehen und mich auf ihn werfen konnte ich ja nicht. Das würde nämlich bedeuten, dass ich das, was er mit mir gemacht hatte, akzeptierte. Er hatte mich verletzt. Konnte ich einfach darüber hinweg sehen?
„Hallo? Chris?“ schrie Sam mir ins Ohr.
„Du musst nicht so schreien. Ich höre dich sehr gut.“ sagte ich gereizt.
„Und was sagst du dazu?“ Er starrte mich erwartungsvoll an. Ich hatte keinen Schimmer was er mich gerade gefragt hatte.
„Zu was nochmal?“
„Du hast mir ja doch nicht zugehört! Ich habe dir gesagt, dass ich gestern bei Eric war um mich bei ihm wegen – du weist schon was – zu bedanken.“
„Du hast was?! Was hat er gesagt? Hat er nach mir gefragt?“ Ich wurde so panisch, dass Sam vor mir zurück wich.
„Hey, komm wieder runter. Ich hab bei ihm angeklopft, aber er war...etwas gereizt. Warum sollte er überhaupt nach dir fragen, ich dachte ihr hasst euch.“
„Was meinst du damit?“ fragte ich skeptisch und zupfte an dem Bund meiner Hose herum. Ich durfte mir nichts anmerken lassen.
„Eigentlich war da ja nichts besonderes, warum mach ich überhaupt so ein Riesen Ding daraus.“
korrigierte Sam sich und fing an etwas in den Computer einzutippen.
„Sag mir einfach nur was er zu dir gesagt hat.“ Meine Nerven spannten sich an wie Klavierseiten, bereit jede Sekunde zu reißen.
„Ich soll mich verpissen. Er hat nicht mal die Tür aufgemacht, so ein Idiot. Da will ich was gutes tun und dann. Ich werde das nicht nochmal machen, wenn dann sag du´s ihm. Ich mach mich doch nicht zum Affen...“ Sam redete unaufhörlich weiter, aber ich hörte ihm schon längst nicht mehr zu. Alleine von Eric zu hören war wie Musik in meinen Ohren.
„Ich hab den Trottel schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Vermutlich ist er auf und davon.“
„Sag das nicht!“ Mir war nicht aufgefallen wie ich mit der Handfläche auf den Tisch aufgeschlagen hatte. Dabei hatte ich Sam so erschreckt, dass seine Augen Kugelrund wurden und mich entsetzt anstarrten. Ich versuchte mich wieder zu fangen, eher es noch schlimmer wurde. Allein die Vorstellung, dass Eric nicht mehr da sein würde, machte mir Angst. Ich hatte sogar auf einmal das Gefühl, dass ich ohne ihn hier nichts mehr Wert war. „Verdammt.“ Ich fuhr mir mit der Hand durch meine Haare. Kleine Schweißperlen begannen sich an meiner Stirn zu sammeln. Er war ein Kerl. Warum rastete ich dann so aus? Selbst wenn ich so viel für ihn empfand und es ihm sagen würde, dann würde er mich auslachen. Nein, ich durfte es nicht eingestehen. Es war Falsch.
Am Nachmittag, nachdem die gröbste Arbeit getan war und ich mich enttäuscht, dass ich wieder über Eric nachdenken musste, in einen Sessel fallen ließ, rief mich Mrs.Moor in ihr Büro. Ich hatte solche Angst davor, dass ich förmlich spüren konnte wie meine Haare sich grau färbten. Es war nun mal so, dass sie mich nie – und damit meinte ich nie – zu sich rief. Schon gar nicht in solchem formellen und ernsten Ton.
Mrs. Moor hatte ihre Finger verschränkt und wartete schon auf mich als ich herein trat. Ihr blonder Bob war wie immer perfekt gemacht und sah beinah wie aufgesetzt aus. Untypisch war an ihr einzig der trübe Blick, der durch mich hindurch zu sehen schien. Es hätte mich nicht überrascht wenn sie hochnäsig getan hätte, obwohl das nie der Fall war, aber jetzt stand in ihrer Miene etwas eigenartiges. Etwas was meine volle Aufmerksamkeit auf sich zog, während ich mich hinsetzte.
„Es ist schön sie so wohl auf zu sehen, vor allem bei dem Hochbetrieb.“ lächelte sie und formte anschließend ihre Lippen zu einer gerade Linie.
„Ich glaube ich habe nicht genug Zeit um darüber nachzudenken ob ich traurig oder glücklich bin, Miss. „
„Ich habe heute einen Anruf aus dem St. Luis Sanatorium erhalten. Ihre Mutter musste auf eine andere Station verlegt werden.“
„Was heißt das genau?“ Sie beugte sich etwas vor als befürchte sie jemand könnte uns belauschen. Ihre Stimme zitterte, aber ich hing wie gebannt an ihren Lippen.
„Nun, diese Station ist auf besonders schwierige Patienten spezialisiert. Der Tagesplan unterscheidet sich aber nicht groß von dem, der anderen Patienten. Betrachten sie es als eine Art zusätzliche Betreuung.“
„Wollen sie damit sagen, dass meine Mutter zu den Irren verlegt wurde?“ Meine Stimme verlor den sonst höflichen Ton und wurde immer wütender.
„Nein, so dürfen sie das nicht sehen...“
„Sie gehört dort nicht hin!“ Meine Mutter war nicht verrückt. Sie verhielt sich genau wie alle anderen auch, nur eben...Ja, eben anders. Entsetzt stellte ich fest, dass ich genau dieselbe Umschreibung verwendet hatte wie Dr. Reed. Er war einer der Ärzte, der für diese Station verantwortlich war. Er hatte diese Worte nur gewählt um nicht das auszusprechen was offensichtlich war. Nämlich, dass meine Mutter psychisch krank war.
„Das Sanatorium hat mir ein Schreiben gefaxt das ich ihnen geben soll.“ Sie hielt es in ihren Händen und starrte unentschlossen darauf. Sie war unsicher ob sie es mir übergeben sollte oder nicht.
„Lesen sie es mir vor.“ Ich wusste ungefähr was dort stehen würde, die Üblichen formellen Begriffe, die mich milder stimmen sollten. Aber ich hörte ihr trotzdem zu, als Mrs.Moor anfing vorzulesen. Augenblicklich fragte ich mich warum sie das alles für mich tat. Sie war weder für mich noch für meine Mutter verantwortlich.
Sehr geehrter Mr.Beleck,
Auf Grund von Vorfällen, die den Aufenthalt anderer Patienten gefährdete, hat Dr.Reed eine Verlegung für Portia Beleck angeordnet. Der Verlegungstermin findet am 12 des Monats statt und gilt für eine unbestimmte Zeit. Der Verbleib in dieser Station dauert bis zum Ende der Genesungszeit und kann nicht abgebrochen werden, es sei den der/die Angehörige/r beantragt eine Stationsverlegung nach einer Besserung bzw. Fortschritts der Genesung. Der Besuch des Patienten in den ersten Zwei Wochen ab Beginn der Verlegung ist untersagt und kann nur auf Anordnung des zuständigen Arztes erteilt werden.
Eine Erhöhung der monatlichen Gebühren werden für Sie nicht anfallen.
Für weitere Fragen bezüglich unseres Programms bitten wir Sie sich telefonisch an unsere Direktion zu wenden.
Mit freundlichen Grüßen
…..............
Eine Zeitlang saß ich nur da und hörte dem Wind zu, der durch das offene Fenster herein blies. Mrs.Moor hatte schon lange aufgehört zu lesen, aber es war mir einfach nicht aufgefallen. Ich hatte plötzlich Lust zu lachen, weil es schon sehr ironisch war, wie mein Leben gerade verlief. Bis jetzt gab es nicht eine Einzige glückliche Zeit seit dem Tod meines Vaters. Was hatte ich nur getan um all dies zu verdienen?
„Kann ich sie etwas fragen?“ Ich richtete mich mit gesenktem Kopf an Mrs.Moor, die das Fax auf den Tisch gelegt hatte.
„Ja?“
„Warum tun sie das für mich?“ Sie überlegte kurz.
„Ich glaube ich bin einfach ein Mensch der nicht wegsehen kann. Schon gar nicht wenn es um die Familie geht.“ Ich wusste genau was sie meinte, aber es wollte mir nicht in den Kopf gehen, dass sie mich auch als ihre Familie betrachtete. „Sie sind schon zwei Jahre bei uns und es schmerzt mich immer noch, dass sie sich nicht als Teil davon sehen. „
„Verstehen sie das nicht falsch, aber ich kann mich an den Gedanken nur schwer gewöhnen. Ich schätze ich bin einfach...nicht für Gemeinschaften diesen Ausmaßes geeignet. Ich habe alles verloren, meine Mutter ist in einer Psychiatrischen Klinik und ich weis nicht ob sie da jemals wieder raus kommt. Alles worauf ich mich verlassen kann ist, dass Morgen wieder derselbe Arbeitstag ist. „
Plötzlich nahm Mrs.Moor meine Hand in ihre.
„Geben sie nicht auf.“ Sie lächelte mich so an als wüsste sie etwas und ich nicht. Ihr Gesicht strahlte und zog mich wie ein Magnet an. Sie war nie nur meine Vorgesetzte. Sie war meine Vertraute. Ich wusste nur nicht warum ich so empfand oder warum sie sich dazu entschlossen hatte mir so viel Aufmerksamkeit zu schenken.
Für den Moment war ich froh, dass Mrs.Moor so bemüht war mir beizustehen. Aber ich wusste, dass dieser Moment nicht andauern würde, denn irgendwann ging auch die schönste Zeit vorbei und alles was dann noch übrig bleiben würde war Einsamkeit.
Eigentlich hätte ich mich nicht so aufregen sollen, was war schon dabei. Ich wusste doch, dass mich früher oder später die Wahrheit einholen würde. Die ganze Zeit hatte ich mir was vorgemacht. War ich im ernst so dumm zu denken wir könnten wieder eine Familie werden? Ich konnte mir doch kaum selbst helfen. Ich glaubte nicht an Gott, nicht wirklich, aber in solchen einsamen Momenten wünschte ich wirklich, dass es ihn gäbe. Damit ich ihn bitten konnte alles zurückzuspulen. Einfach die Taste zu drücken und wieder zum Ursprung zurück zu kehren. Zu dem Moment als ich noch ich war und mein Vater noch lebte. Aber dann wäre ich Eric vermutlich niemals begegnet. Ich musste lange überlegen, ob es schlecht oder gut war, denn schließlich hatte ich mein Gefühlschaos ihm zu verdanken.
Nachdem ich Mrs.Moors Büro verließ, versuchte ich jedem aus dem Weg zu gehen und einfach nur meine Arbeit zu machen. Selbst Sam machte einen Bogen um mich, obwohl ich mir sicher war, dass es einen anderen Grund hatte. Nämlich den, dass ich ihm ständig auswich. Sam durchschaute Menschen sehr schnell und ich war sozusagen ein offenes Buch für ihn gewesen, zumindest bis Eric aufgetaucht war. Er war schlicht weg sauer auf mich, dass ich mich immer mehr zurückzog. Konnten mich nicht alle mal in Ruhe lassen!
Der einzige Mensch der mir nie auf die Nerven ging war Pete. Er war wie stilles Wasser, er wusste wann man sich besser zurück zog. Auch wenn Pete immer so aussah als wäre er auf irgendwen wütend, so hielt ich von ihm ziemlich viel. Ich wusste nicht woher er kam oder was er früher gemacht hatte, aber für mich war er ein sehr tiefgründiger Mensch. Seine Gegenwart wirkte sehr beruhigend, so als ob ich mich nur neben ihn zu stellen brauchte und alle Probleme lösten sich in Luft auf.
„Hast du schon mal etwas aufgeben müssen woran du fest geglaubt hast?“ fragte ich Pete am Abend, als keiner mehr in der Küche war.
Er hatte mittlerweile aufgehört abzuwischen und sich zu mir umgedreht. Sein Blick war wie immer ernst. Pete verzog den Mund als würde er krampfhaft über etwas nachdenken. Ich war mir nicht sicher ob er mir darauf antworten würde, aber schließlich öffnete er doch den Mund.
„Willst du damit auf etwas bestimmtes eingehen?“ Pete verschränkte die Arme.
Er wusste, dass mich etwas beschäftigte, das sah ich ihm an, aber er fragte nicht nach.
„Ich denke es gibt viele Dinge, die man in seinem Leben bereut oder sich wünscht sie besser gemacht zu haben. Aber aufgeben ist wie das anspannen einen Klavierseite. Es fängt mit ganz banalen Dingen an, bis dann nur eine Sache ausreicht um sie zu zerreißen. Bis man nicht mal mehr an sich selbst glaubt.„
„Aber wenn man keine Wahl hat. Wenn man an etwas festhält um dann festzustellen, dass es schon lange verloren war?“ Pete seufzte laut.
„Dann muss dein Glaube stärker sein als die Angst. In jedem Fall heißt aufgeben auch Schwäche. Glaubst du, dass du schwach bist, Chris?“ Diese Frage musste ich nicht beantworten. Ich war schon mein ganzes Leben lang ein Schwächling. Jemand, der sich vor Verantwortung drückte und sich immer auf andere verlassen hatte, statt auf sich selbst. Ich hatte immer darauf gesetzt, dass meine Mutter den Weg zu sich selbst alleine findet. Nicht ein Mal hatte ich versucht ihr dabei zu helfen. Ich war so verzweifelt, weil ich nicht wusste wie ich ihr helfen konnte. Dabei war die Antwort ganz einfach. Tief in mir hatte ich nur Angst davor. Angst, dass ich alles nur schlimmer machen würde. Aber nichts zu tun und nur abzuwarten war noch viel schlimmer.
Pete beobachtete mich mit Argusaugen, so als ob er befürchtete ich würde etwas unüberlegtes tun und er hatte tatsächlich Recht. In mir brodelte ein Gedanke, dass jede Minute zu explodieren drohte.
„Danke“ sagte ich und sah ihm tief in die Augen. Zum ersten Mal lächelte er mich aufrichtig an. Pete ging zu mir rüber und tätschelte mir väterlich die Schulter. Aber meine Aufmerksamkeit galt etwas völlig anderem. Auf einem Hacken neben dem Telefon hing ein Bund Schlüssel, die Pete sorgfältig jeden Abend dort hin hängte, weil er befürchtete sie zu verlieren. Das wusste ich nur zu gut. In Gedanken zählte ich schon die Minuten, die ich haben würde bevor Pete ihr verschwinden bemerken würde. Ich hasste mich selbst dafür, weil Pete immer für da war, aber ich hatte keine Wahl. Sein Auto befand sich sehr abgelegen auf der Rechten Seite der Fassade, weil Pete nur selten in die Stadt fuhr. Also bräuchte ich maximal fünf Minuten um zu starten.
„Entschuldige ich hatte vorhin völlig vergessen, dass Steven einen neuen Dienstplan erstellt hat. Er wollte, dass du ihn noch vor Morgen Früh siehst.“ Ich schämte mich sehr für meine klägliche Lüge.
„Hm, dann muss ich wohl. Aber dreh noch nichts ab, ich muss noch eine Kleinigkeit erledigen.“ Pete kratzte sich beiläufig am Hinterkopf und machte sich auf den Weg. Kaum sah ich wie auch sein linkes Bein die Küche verließ, schnappte ich mir die Autoschlüssel und hetzte zum Hinterausgang. Ich stolperte dabei fast über meine eigenen Füße. Die Angst mischte sich mit Nervosität und Adrenalin. Es überraschte mich selbst, dass ich das tatsächlich tun wollte.
Mein Gehirn hatte völlig ausgesetzt und konnte an nichts mehr anderes denken als zu rennen. Mein Herz raste wie noch nie zuvor und meine Füße wirbelten vom laufen Staub auf. Der Kies war wie Sand. Dauernd rutschte ich mit meinen Lederschuhen ab und drohte zu stolpern. Angst. Wut. Trauer. Ich war emotionsgeladen. Jedes meiner Härchen hatte sich aufgerichtet. Ich war am Limit.
Vom weiten sah ich schon die schattenhafte Silhouette des Wagens und steuerte entschlossen darauf zu. Ziemlich bald ging mir die Puste aus, aber ich rannte einfach weiter im Wissen, dass ich nicht gerade leise vorging. Mir war alles egal. Die Leute. Das Hotel. Einfach alles.
Mit zittrigen Fingern erreichte ich die Wagentür und wurde prompt von etwas zu Boden gerissen. Ich hatte im Fallen die Hände von mir gestreckt um den Sturz abzufedern. Ich würde es nicht zulassen, dass mich Pete aufhielt. Was war aus seinen Worten von eben geworden? Er sprach vom Glaube und dem ganzen Mist, aber stattdessen jagte er mir nach.
Die Schlüsseln waren mir aus den Händen gerutscht und lagen nun unter der Karosserie. Hustend griff ich mit der Hand darunter, fester Überzeugung Pete die Stirn zu bieten, aber als ich mich mit den Schlüsseln in der Hand im liegen umdrehte blickte ich in Erics müdes Gesicht. Seine Finger hatten sich in mein Hosenbein verkrallt, sodass ich mich nicht aufrichten konnte. Ich versuchte ihn mit dem Fuß abzuschütteln, aber er ließ nicht locker. „Was glaubst du was du da tust?“ schrie er mich an.
„Das ist meine Sache. Halt dich gefälligst da raus!“ Ich schaffte es mich auf alle Viere aufzurichten und meine Hand an dem Griff der Autotür zu fixieren. Eric hatte mein Bein losgelassen, aber nur um mich von hinten zu packen und mit sich zu Boden zu reißen. Ich lag praktisch mit dem Rücken auf ihm und wedelte wie eine Schildkröte mit den Armen in der Luft.
„Wenn du mich ignorierst ist mir das egal, aber nicht wenn du dich selbst verletzt!“ Eric drehte sich mit mir um, sodass ich zwischen ihm und dem Boden gefangen war. Mein Gesicht war inzwischen voller Staub. Ich atmete abgehackt. Erics massiger Körper wog schwer auf meinem Rücken.
„Das geht dich einen Scheiß an. Jetzt geh von mir runter!“
„Zwing mich doch dazu.“ Ich versuchte mit meinen Händen vom Boden weg zu stoßen, aber Eric war stärker. Ich war gefangen.
„Arschloch!“
„Weist du, mir Schimpfwörter an den Kopf zu werfen, bringt dich auch nicht besonders weit.“
„Die hast du alle verdient.“ Eric wurde still. Ich hatte ihn an einem Punkt getroffen, wo er sich selbst hin geritten hatte.
„Du hast Recht, aber ich werde dich trotzdem nicht gehen lassen.“ Ich wusste nicht was ich machen sollte. Ich war zu schwach um mich zu befreien. Zumindest musste ich Eric nicht in die Augen sehen, dachte ich. Bewundernswert, dass ich in Anbetracht dieser Nähe zwischen uns kein Herz flattern verspürte. Vielleicht lag es an meiner Wut über mich selbst oder aber an meinem starken Willen. Ich dachte an meine Mutter. Ich dachte daran, dass ich sie wieder im Stich ließ.
Ich legte meinen Kopf auf die Seite und starrte auf einen Autoreifen. Als Eric bemerkte, dass ich mich nicht rührte, richtete er sich auf und brachte mich dazu mich umzudrehen. Mein Blick blieb regungslos. Meine Hände hatte ich von mir gestreckt und lag einfach nur da. Am liebsten wollte ich für immer so liegen bleiben. Eine Träne rann mir die Wange hinunter, wie erbärmlich. Ich wollte in Erics Anwesenheit nicht heulen. Ich wollte nicht, dass er sah wie schwach und verletzt ich war.
„Hey, ist ja schon gut.“ versuchte Eric mich zu beschwichtigen. Man konnte ihm ansehen, dass er etwas nervös war. Vermutlich musste er in seinem ganzen Leben noch nie jemanden trösten.
„Komm hoch.“ befahl Eric fast ärgerlich. Ich hatte keine Lust auf ihn zu hören. Als mein Körper sich nicht rührte griff er unter meine Achseln und beförderte mich unsanft wieder auf meine Füße. Als wäre ich nichts weiter als ein Reiskorn. Erst jetzt schaffte ich es ihn anzusehen. Eric wirkte nachdenklich und unentschlossen. Sein Blick ging über meine Schulter zum Haus und dann wieder zu mir. Die Kälte bohrte sich in meine dünne Haut. Ich fröstelte.
Auf einmal, ohne Vorwarnung, schnappte Eric sich die am Boden liegenden Schlüssel, griff nach meiner Hand und beförderte mich auf den Beifahrersitz des Wagens. Ich protestierte erst gar nicht, weil er sowieso tat was er wollte. Aber irgendwie verhielt er sich anders. Ich lehnte meinen Kopf an das Fenster. Die Dunkelheit umhüllte mich. Erst nach einer Weile fiel mir auf, dass der Wagen sich in Bewegung gesetzt hatte. Ich seufzte laut.
„Was wolltest du damit erreichen?“ fragte er mich ohne den Blick von der Straße zu werfen.
„Womit?“
„Das Auto zu klauen.“ Ich richtete mich im Sitz gerade auf und sah ihn emotionslos an.
„Ich wollte zu meiner Mutter.“
„Mitten in der Nacht?“ Warum erzählte ich ihm das überhaupt. Ich schuldete keinem eine Rechtfertigung. Eric drehte sich um und traf meine kalten Augen. Ich sah wie sein Körper sich bei meinem Anblick anspannte. „Willst du darüber reden?“
„Nein.“ erwiderte ich prompt und drehte mich mich wieder zum Fenster. Ich spürte wie Erics Blick an mir haftete. Da ich ihm die kalte Schulter gezeigt hatte, sagte er nichts darauf und konzentrierte sich allein auf das fahren. Es war ungewohnt Eric neben mir zu haben. Ich verschränkte die Arme um nicht zu zittern. Jetzt wusste ich warum ich es mied ihn anzusehen, weil dann wieder die alte Sehnsucht aufleuchten würde und ich mich dann nicht mehr beherrschen könnte. Ich würde unweigerlich etwas dummes tun. Deshalb entschied ich die ganze Fahrt über zu schweigen.
Eric lenkte den Wagen von einer Gasse zur nächsten, bis ich überhaupt nicht mehr wusste wo wir waren. Er jedoch schien entschlossen. Die Atmosphäre im Wagen wurde für mich immer bedrückender. Nicht zwangsläufig wegen der Nähe, sondern weil er die ganze Zeit über geschwiegen hatte. Ich wollte unbedingt wissen was er dachte. Es machte mich so nervös, dass ich angefangen hatte auf meinem Sitz hin und her zu rutschen. Ich wollte etwas sagen, aber ich wusste nicht wie ich hätte anfangen sollen. Gerade als ich den Mund aufmachen wollte, stoppte er den Wagen und hielt vor einer großen Eingangstür. Ich starrte auf die schicke Fassade des Hauses, die trotz der Dunkelheit sehr edel wirkte.
Eric war ausgestiegen, um das Auto herum gegangen und hatte die Beifahrertür geöffnet. Er gab mir zu verstehen, dass ich aussteigen soll, aber ich blieb sitzen. Diese Situation weckte Erinnerungen.
„Bitte“ sagte Eric. Als ich mich immer noch nicht rührte, seufzte er. „Sie ist eine gute Freundin von mir. Ich dachte du würdest ein bisschen Freiraum brauchen.“ erklärte er. Ich war immer noch skeptisch, aber ich folgte ihm schließlich doch.
Es war mitten in der Nacht, aber das dürre, blonde junge Mädchen an der Haustür hatte Eric zugelächelt und uns herein gelassen ohne zu fragen. Ich sah wie sich die beiden Blicke zuwarfen, die mir ganz und gar nicht gefielen. Wer war sie? Wie lange kannten sie sich schon? Fragen, die ich nicht hätte stellen dürfen. Aber als wir in einem etwas zu klein geratenem Zimmer alleine waren stellte ich sie doch. Eric war aufgefallen wie ich an die Tür gelehnt stehen blieb.
„Magst du sie?“ Eric hatte sich zu mir umgedreht und war ein paar Schritte auf mich zugegangen.
„Natürlich mag ich sie.“ lächelte er als wäre es das offensichtlichste auf der Welt. Ich senkte den Blick. „Hatte ich nicht gesagt, dass sie eine gute Freundin ist.“
Eric kam noch einen Schritt näher, bis sich unsere Nasenspitzen fast berührten. „Eifersüchtig?“
Ich wurde ungewollt rot. Eric lächelte und zeigte seine Strahlen weißen Zähne. Mein Herz schlug so heftig, dass ich befürchtete Eric könnte es ebenfalls hören. „Nicht die Bohne.“ sagte ich grimmig und drehte meinen Kopf wie ein trotziges Kind zur Seite. Ich war mir sicher er würde das als Herausforderung sehen, aber statt etwas unüberlegtes zu tun, trat er einen Schritt zurück. Ich sah ihn überrascht an. Eric war so distanziert, dass ich ihn am liebsten angeschrien hätte. Jetzt, wo ich wollte, dass er mich anfasste, tat er genau das Gegenteil. Ich brauchte dringend ein kaltes Bad, in das ich untertauchen konnte.
Eric war vollkommen gelassen und fing an sein Hemd aufzuknöpfen. Ich beobachtete ihn dabei genau. „Was soll das werden?“
„Ich zieh mich aus. In den Sachen kann ich wohl schlecht schlafen.“ Seine Miene war wieder einmal unergründlich.
„Ich werde ganz sicher nicht mit dir in einem Bett schlafen.“ Ich merkte nicht wie laut meine Stimme geworden war. Das tat ich erst, als Eric wieder ernst, beinah traurig, in meine Augen sah. Ich fürchtete mich vor der Nähe, der ich verfallen wäre.
„Dir bleibt keine Wahl, außer du bevorzugst den Boden. „ Sein Hemd landete auf dem Teppich und entblößte die bleiche, nackte Brust. Ich drehte mich schnell weg. Kaum hörbar löste Eric den Reißverschluss seiner Jeans. Ich verfluchte ihn innerlich dafür mich hergebracht zu haben.
Einmal durchatmen und ich würde mich umdrehen als hätte ich nicht gerade etwas unanständiges gedacht, sagte ich mir. Doch als ich das schließlich tat lag Eric schon ausgestreckt und mit nichts weiter bekleidet als dem weißen Lacken auf dem Bett. Jetzt war ich mir sicher er wollte es darauf ankommen lassen. Er wusste genau wie er auf andere wirkte und wie er sich präsentieren musste um seinen Willen zu kriegen. Schön, wenn er es unbedingt so haben wollte.
Ich griff an meine Arbeitsuniform, die immer noch voller Erde war, und begann sie wütend aufzuknöpfen wie Eric zuvor. Dabei versuchte ich so wenig wie möglich daran zu denken, dass wir zum ersten Mal richtig in einem Bett schlafen würden. Ich versuchte nicht an das Gefühl von seiner nackten Haut auf meiner zu denken, denn dann würde er buchstäblich sehen können wie mir zumute war. Mein Körper würde mich verraten.
Als meine Unterhose den Weg nach unten fand und ich nur in Socken dastand, hätte ich zu gerne Erics Blick gesehen. Obwohl mein Gesicht dem Boden zugeneigt war, konnte ich ihn auf mir spüren. Selbstbewusst trafen ihn meine Augen. Eric wirkte mit den am Kopf verschränkten Armen nicht gerade überrascht oder ertappt. Im Gegenteil. Er sah desinteressiert und unbeeindruckt aus. So ein Idiot!
Zu schnell ging ich auf das zu klein geratene Bett zu und schmiss mich darauf wie ein Sack Mehl. Eric zeigte immer noch keine Regung, was mich noch wütender machte als zuvor. Hatte er mich inzwischen satt? Interessierte er sich jetzt nicht mal mehr für meinen Körper? Allein der Gedanke war furchtbar.
Ich schnappte mir das Bettlacken, warf es über mich und drehte mich von Eric weg auf die Seite, sodass ich jetzt nur die Tür im Visier hatte. Es hatte mir einen Stich versetzt, dass er sich nicht mehr für mich interessierte. Kein Wunder, dass er genug von mir hatte, ich war einfach...nichts besonderes. Wer war ich den schon um ihm überhaupt wichtig zu sein. Wahrscheinlich schaffte ich es nicht mal unter die Top Hundert. Ich fing an leicht zu zittern. „Licht aus.“ schrie ich fast und er tat es ohne zu zögern.
Ich versuchte diese Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen und ruhig einzuschlafen, aber es gelang mir nicht wirklich. Immer wieder machte ich die Augen auf und starrte in die Dunkelheit.
Das Gefühl der Leere breitete sich in mir aus wie ein Lauffeuer. Ich hätte geweint wenn noch Tränen übrig geblieben wären. So blieb mir nur die stille Trauer meines einsamen Ichs.
Ich drehte mich vorsichtig um und starrte auf Erics breiten Rücken. Ich war froh, dass er mich nicht sehen konnte. In Ruhe konnte ich ungeniert beobachten wie sich seine markanten Schulterblätter vom Körper abzeichneten . Ich hatte noch nie die Gelegenheit dazu gehabt. Eric schlief wohl tief und fest. Sein Atmen ging regelmäßig. Ob ich es wirklich wagen konnte? Es war ja nichts dabei, nur eine kleine Berührung.
Kaum hatte ich den Gedanken ausgesprochen begaben sich meine schmalen Finger auf Wanderschaft. Zaghaft strich ich über Erics Nacken. Wie Magnete zog sich sein und mein Körper an und verursachte bei jeder Berührung kleine Stromschläge, die mich zur Erregung brachten. Es war fast wie ein knistern, dass jede meiner Fasern vibrieren lies. Mit meinen Fingerspitzen fuhr ich seinen Rückgrat hinunter. Die Zeit schien still zu stehen, nur wir beide zählten. Natürlich war ich im klaren, dass Eric nichts davon mitbekam und vermutlich war es auch gut so, aber dennoch wünschte ich sein Gesicht zu sehen.
Als ob Eric meine Gedanken gelesen hatte drehte er sich um, aber seine Augen waren geschlossen und er atmete tief. Wenn man ihn so sah würde niemand glauben, dass er so kalt sein konnte.
Gerade setzte ich meine Finger auch schon an seiner Wange an als Eric plötzlich die Augen öffnete. Ich erstarrte in meiner Bewegung. Seine Augen trafen meine, obwohl das bei der Dunkelheit überhaupt nicht sein konnte. Konnte er die Erregung in meinen Augen wirklich sehen, die Begierde, die mich durchströmte?
Meine Hand ruhte auf seiner Wange als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Es fühlte sich einfach richtig an. Ich konnte sehen wie sich seine Augenlider hoben und sanken. Er wirkte nicht verschlafen, sondern wie jemand der auf etwas wartete.
„Tut mir leid...“ stotterte ich und nahm meine Hand hastig weg, als hätte ich mich an ihm verbrannt.
Eigentlich hatte ich gehofft er würde mich davon abhalten meine Hand von seiner Wange zu nehmen, aber das tat er nicht. Ich war so ein Idiot.
„Ich wollte nicht...sorry nochmal.“ beendete ich das Gespräch und kehrte ihm wieder den Rücken zu. Am liebsten hätte ich mir selber dafür eine geknallt.
Eine Zeitlang passierte nichts, aber dann trafen seine kalten Finger meine Schulter. Das tat er nicht wirklich, das bildete ich mir doch bloß ein. Eric schmiegte sich ganz nah an mich und streifte mit seinen Lippen meinen Hals. Er küsste ihn nicht, sondern fuhr mit ihnen hinauf und hinunter. Mein Körper erbebte. „Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben.“ sagte er. Ich konnte spüren wie er die Worte auf meiner Haut formte.
„Was?“ Ich wollte den Augenblick nicht zerstören, es war das letzte was ich tun wollte, aber mein Mund war wieder schneller als mein Gehirn. Eric hielt inne.
„Ich dachte du hasst mich.“ Wie vom Blitz getroffen drehte ich mich um und stieß beinah mit ihm zusammen. „Das ...“ eigentlich wollte ich sagen, dass ich das früher tat, aber als ich sein schattenhaftes Gesicht und die dunklen Augen sah, konnte ich es doch nicht. War es nicht inzwischen egal?
„Es ist okay, wenn du das immer noch tust, aber kann ich, nur für hier und jetzt, bei dir so liegen bleiben?“ Zum ersten Mal verspürte ich das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen. Er hatte, ob unbewusst oder nicht, mir zum ersten Mal das Gefühl gegeben ich müsste ihn in Watte hüllen damit er nicht an seinen eigenen Worten zerbrach. Es tat weh ihn so zittern zu hören, es passte nicht zum starken Eric den ich kannte. Das Verlangen ihm so nah zu sein wie noch nie zuvor wuchs in mir mehr und mehr. Und als ob ich es schon tausend mal gemacht hatte, senkte ich meinen Kopf zu ihm und legte behutsam meine Lippen auf seine. Zaghaft strich ich über seinen geschlossenen Mund, der sich aus Erstaunen nicht rührte. In dieser Sache schien er wie verloren. Es war nicht einmal ein richtiger Kuss, nur ein berühren und necken der Lippen, aber schon allein das hatte ausgereicht um mich in einen tiefen Rausch zu versetzen. Einmal, Zweimal, dreimal, hauchte ich seinen Lippen Leben ein und er fing an schüchtern die meinen zu suchen. Ich streckte meine Hand nach seinem Gesicht aus und fuhr mit meinen Fingern über seinen Mund, der nach mehr verlangte. Aber ich wollte diesen Moment auskosten, ihn in mir aufsaugen und in meinem Gedächtnis einbrennen bis in meinem Inneren es nur noch ihn gab.
Mit meinen Fingern griff ich unter sein Kinn und öffnete seinen Mund. Sein warmer Atem traf auf meinen. Ich konnte nicht länger warten, es war unmöglich für mich. Stürmisch drang ich mit meiner Zunge ihn seinen Mund ein und ließ auch die letzte Barriere zwischen uns fallen. Ich hatte das Gefühl in sein Innerstes zu sehen, so intensiv war diese eine Berührung. Es war ein Spiel, dass mich dazu animierte mit meiner Zunge immer tiefer zu gleiten und ihn stöhnen zu lassen.
Mit beiden Händen umschlang ich sein Gesicht um Eric noch enger an mich zu ziehen. Ich wollte in ihm sein, er und ich in einer Materie, in einem Körper.
Jede meiner Muskeln war angespannt. Der Kuss hatte mich dazu ermutigt weiterzugehen, noch tiefer in die ungewissen Regionen, die ich vorher nie erkundet hatte. Ich zog das Bettlacken weg und legte mich auf Erics starren Körper, der noch immer nicht in der Lage war die Oberhand gegen mich zu ergreifen wie sonst auch. In dieser Nacht war ich der Führer.
Mit kreisenden Bewegungen rieb ich meinen Unterleib an seinen und brachte ihn damit heftig zum keuchen. Ich konnte unter mir spüren wie sein Glied steif wurde und gegen meinen stieß.
„Ich. Will. Dich.“ sagte ich mit abgehackten Worten, die durch Erics keuchen seine Wirkung verstärkten. Ich ließ von seinem Mund ab und wanderte mit meiner Zunge seinen Hals entlang. Erics Finger krallten sich in das Bettlacken unter ihm. Eric genoss sichtlich meine Führung. „Mehr“ stöhnte er. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Mit meinem Mund glitt ich über seine harten Brustwarzen immer weiter nach unten. Ich sah Eric kurz in die Augen und bekam genau die Bestätigung auf die ich gewartet hatte. Ich winkelte seine Beine etwas an und postierte mich vor ihm. Erics keuchen wurde immer lauter. Zunächst ganz langsam drang ich ihn in ein und hörte wie Eric die Luft anhielt. Mein Blick traf den seinen. Er nickte. Ich begann mich in ihm zu bewegen, erst etwas zaghaft, dann immer schneller und schneller. Eric streckte den Arm nach mir aus und zog mich an ihn heran. Ich hielt in der Bewegung inne. Es waren nur ein paar Sekunden, aber ich hatte das Gefühl als wären wir eine Person, als wären wir unendlich. Dieses mal hatte Eric die Initiative ergriffen und meinen Mund gesucht. Er war wieder da, sein dominierendes und starkes ich, dass mich um den Verstand brachte. Er ergriff meine Pobacken und drückte sie noch enger an sich, wodurch wir beide aufstöhnten. „Schneller“ befahl er und ich beschleunigte mein Tempo. Eric griff an sein eigenes Glied und massierte es, während ich mit meinem Penis immer wieder in ihn stieß. Das Gefühl war unglaublich, atemberaubend schön und gleichzeitig auch verrucht und wild.
Mein lautes Stöhnen erhellte den Raum. Zum ersten Mal empfand ich keine Scham, denn ich gehörte ihm und er mir. Wir beide waren eins.
Die Sonne hatte sich ihren Weg durch das Fenster bis in die dunkelste Ecke des Zimmers gesucht und ließ meine Augen mit flatterhaften Lidern umher wandern, während mein Kopf noch auf dem Kissen ruhte. Ich fühlte mich etwas gerädert und immer noch sehr schlapp, aber dennoch unheimlich glücklich.
Verschlafen streckte ich die Hände aus, bis diese statt dem ersehnten warmen Körper nur das kalte Laken erfassten. Ich drehte mich auf die Seite und beobachtete den leeren Platz neben mir. Eric war weg. Ich richtete mich so schnell auf, dass mir schwindelig wurde und ich meine Augen reiben musste. Als ich mich im sitzen umsah, lag meine Kleidung auf einem kleinen Haufen neben der Kommode, das Einzige was nicht zum Zimmer gehörte. Es war fast so als wäre Eric nie hier gewesen, als hätte ich mir alles nur eingebildet. Aber meine Gedanken waren noch nie klarer gewesen und ich wusste genau, dass wir gestern miteinander geschlafen hatten.
Betrübt ließ ich mich wieder in die weichen Kissen sinken. Eigentlich wäre ich gerne noch etwas länger geblieben und den Tag blau gemacht, wenn ich gekonnt hätte.
Bald stand ich roboterhaft auf und streifte mir wieder die Sachen über, die zu meinem Bedauern noch ganz dreckig waren.
Etwas unsicher ging ich die Treppe hinunter und erhaschte einen Blick auf eine Blonde Gestalt, die sich in der Küche mit jemandem unterhielt. Erst als ich mich ihr näherte erkannte ich, dass Eric mit einer Tasse Kaffee in der Hand, auf einem Barhocker saß und ihr zu lächelte. Mich packte ungewollt wieder dieses Gefühl der Eifersucht. Eric sah von dem Mädchen auf und blickte in meine verschlafenen Augen. Sein Lächeln erstarb.
„Guten Morgen! „ sagte das Mädchen und stellte sich mir gegenüber, sodass Eric aus meiner Sicht verschwand. Ich sah auf die Uhr, die über ihrem Kopf auf einer Wand hing, und schmunzelte. Das Mädchen schien sehr herzlich und zuvorkommend und trotzdem konnte ich ihr Lächeln nicht so erwidern wie ich gewollt hätte. „Ich heiße Anabelle und du musst Chris sein. „ Ihr Händeschütteln war stärker als ich es erwartet hatte. Instinktiv erwiderte ich es. „Ja.“
„Ich habe französischen Toast gemacht. Willst du auch einen?“ fragte sie mich und widmete sich wieder dem Herd zu, auf dem eine kleine Pfanne vor sich hin knisterte. „Ähm ja bitte“
Ich stand dar wie angewurzelt, unschlüssig ob ich lieber stehen oder mich doch zu Eric setzen sollte. Wie verhielt man sich in solchen Situationen. Nach langem überlegen steuerte ich auf den Platz neben Eric zu und setzte mich. Ich tat so als wäre es das normalste auf der Welt. Schüchtern schielte ich zu ihm rüber und ertappte ihn dabei wie er schnell den Kopf wieder auf seine Tasse richtete. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Sache von gestern ihn so nervös machte. Schließlich hatte er schon mit dutzenden geschlafen. Für ihn war es bestimmt nichts besonderes.
„Ihr sitzt ja da wie zwei Trauerklöße! War die gestrige Nacht so unromantisch gewesen?“ fragte Anabelle lächelnd und erwischte mich dabei wie ich rot anlief. Ich wagte es nicht von dem Tresen aufzusehen.
„Na ihr zwei seit mir ja welche. Tja, starke Kerle werden immer sanft wie Kätzchen wenn man weiß wie man mit ihnen umgeht. Das müsstest du Eric...“
„Kannst du einfach nur den Toast machen und still sein!“ Erics barsche Stimme lies mich aufsehen. Anabelle rümpfte die Nase und drehte sich wieder zur Pfanne. Eric wirkte gereizt, was eigentlich nichts neues war, allerdings hatte ich insgeheim doch gehofft, dass er mich nach der Nacht anders behandeln würde. Wie sehr man sich täuschen konnte. Eigentlich sollte es mich nicht überraschen. Immerhin bin ich nur einer von vielen und wenn ich es recht bedachte, dann hatte er nicht gesagt, dass er mich liebte. Vielleicht war es nur eine Nacht wie jede andere für ihn?
Ich nahm meinen Mut zusammen und sprach ihn einfach an. „Hast du gut geschlafen?“ Ich versuchte ihn anzulächeln, aber die Angst über seine Reaktion ließ meine Mundwinkel gefrieren.
Eric nahm mit geschlossenen Augen einen Schluck aus seiner Tasse und sah mich an.
„Wie immer“ Er schien gar nicht zu bemerken was er mit seiner Gefühllosen Art bei mir auslöste. Langsam aber sicher fing ich wirklich an zu glauben, dass ihm jeder gleichgültig war. Er hatte ja nicht mal gefragt wie es mir ging. Er wollte mich doch von Anfang an nur als sein Spielzeug, seinen Fußabtreter.
„Hey, Anabelle, ich glaube ich will doch nichts.“ Sie drehte sich mit ihrer langen Mähne überrascht um.
„Aber hast du den kein Hunger?“
„Nein, aber danke für die Mühe und danke auch, dass ich heute hier übernachten durfte. Es ist Zeit nachhause zu fahren.“ Was Eric in diesem Augenblick tat sah ich nicht, aber er hielt mich nicht auf. Diese tatenlose Stille war schlimmer als alles was er hätte in dieser Situation sagen können.
„Soll ich ein Taxi rufen?“ fragte sie. Ich schaute an mir herunter und stutzte. Ich hatte weder Brieftasche, noch sonst irgendwas mitgenommen. „Naja, ich habe kein Geld um...“
Plötzlich meldete Eric sich. „Das Auto steht vor der Tür. Du kannst es bei Gelegenheit auch dem Koch zurückgeben.“ Eric rutschte von dem Sessel runter, ging auf mich zu und ließ den Autoschlüssel in meine offene Hand fallen. Wie mechanisch hatte ich sie ihm entgegen gestreckt. Fein, wenn er wollte, dass ich die gestrige Nacht ignorierte, dann konnte er das haben.
Ich sah mich ein letztes Mal nach ihm um, aber es schien ihm nichts auszumachen, das ich ging. Also öffnete ich die Eingangstür und lief in die frische, kühle Luft, die mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht blies und mich zwang die Augen zuzukneifen. Das Auto stand, wie ein Henker, einen Wagen weiter vom Haus entfernt und wartete darauf mich zu meinem alten Leben zurück zu führen. Aber trotz der Demütigung hoffte ich immer noch Eric würde plötzlich aus der Tür stürmen und mich am fahren hindern. Mir sagen, dass er mich wollte. Doch nichts dergleichen geschah. Minuten vergingen, ehe ich schließlich die Wagentür öffnete und die Straße, das Haus und ihn hinter mir ließ.
Die Neuigkeit über meinen plötzlichen Ausbruch hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, sodass mich jeder entgeistert ansah, als ich wieder im Hotel war. Pete machte mir keine Vorwürfe, das ich seinen Wagen geklaut hatte, worüber ich mich noch mehr schämte als vor der Tat selbst. Ich hatte gehofft er würde mich anschreien, sodass ich endlich kapierte, was für ein Depp ich war. Mit einer freundlichen Begrüßung war ich vollkommen überfordert und zog mich deshalb für die nächsten Stunden in mein Zimmer zurück. Ich wusste, dass ich es nicht verdiente mich zu bemitleiden und erst recht nicht mich auszuruhen während die Anderen schufteten. Aber mein Körper fühlte sich so an, als ob jegliches Leben aus ihm gewichen war. Meine Herz schlug wie wild und durchbrach die Stille. Dabei dachte ich es sei für immer verstummt, eingefroren, versteinert – erneut. Dieses Gefühl der erneuten Enttäuschung war zu viel. Warum wurden Menschen mit Gefühlen geboren? Warum gab es keinen Knopf zum ausschalten? Ich täte jetzt alles dafür diesen Schmerz in meiner Brust zum verstummen zu bringen. „Hört auf!“ schrie ich und fasste mir mit beiden Fäusten an die Schläfen. „Hört doch endlich auf!“ Alles was ich wollte war Frieden, von Eric, von der Welt und vor mir selbst.
Eric
„Sag jetzt nichts. Das will ich nicht hören.“ sagte ich barsch zu Anabelle, die mit verschränkten Armen neben dem Herd stand. Die Pfanne hatte ihre Geräusche eingestellt und ruhte leise vor sich hin. Ich war auf so eine Situation nicht vorbereitet. Chris schien etwas von mir zu erwarten, worüber sich mein Körper sträubte. Vielleicht konnte ich ja nur auf diese Weise mit jemandem zusammen sein. Ohne Verpflichtungen.
„Deine Mutter hat angerufen.“ Anabelles Stimme hatte wieder ihren freundlichen Ton angenommen. Es war schlau von ihr das Thema zu wechseln.
„Du sollst sie zurückrufen.“ Meine Mutter wusste schon immer wo sie mich finden konnte. Es kotzte mich langsam an. Ich nahm meine Tasse, stellte sie in das Waschbecken und war im Begriff zu gehen. „Jetzt sofort.“ Anabelle nahm die Rolle einer Anstandsdame viel zu wörtlich. Als ich mich umdrehte war ich sichtlich überrascht, denn sie hielt mir mit ausgestreckter Hand ihr Telefon vor die Nase und wartete ungeduldig darauf, dass ich es ihr abnahm. Ich rümpfte mürrisch die Nase und wählte mechanisch die Tasten. „Geh.“ sagte ich ihr befehlshaberisch, was sie zu meiner Überraschung auch tat.
„Hallo?“ ertönte die Stimme meiner Mutter am anderen Ende der Leitung.
„Dein Timing ist wiedermal perfekt.“ Ich bugsierte das Telefon in meine rechte Hand und setzte mich wieder auf den Barhocker an der Anrichte.
„Es passt dir nie, egal wann ich anrufe. Ich wollte dich nochmal daran erinnern, dass du am Freitag zu erscheinen hast. Keine Ausreden, plötzlichen Unfälle oder Stellvertreter. Ich will das du da bist. Hast du mich verstanden?“ Den letzten Satz hatte sie förmlich heraus geknurrt und das veranlasste mich dazu ihr genauso entgegen zu kommen.
„Warum sollte ich ausgerechnet jetzt kommen? Hast du vergessen was er damals getan hat? Wenn ja, dann will ich dich ebenfalls an etwas erinnern. Nämlich daran, dass mein Vater ein beschissenes Arschloch ist und sich nie, nie für das interessierte, was ich zusagen habe, geschweige den dafür, ob ich da bin oder nicht. Also lass diesen Blödsinn mit der glücklichen Versöhnung. Damit kommst du etliche Jahre zu spät. Außerdem habe ich noch eine wichtige Sache zu erledigen.“
„Was kann wichtiger sein als deine Familie?“ Ich ließ diesen Satz abermals in meinen Ohren erklingen.
„Von welcher Familie redest du?“ schrie ich fast ins Telefon. Sofort wurde mir klar, dass ich ihr keinen Vorwurf machen durfte, denn eigentlich war sie diejenige, die das letzte bisschen zusammen gehalten hatte.
„Erik, ich ...“ fing sie an und stockte kurz. Ich nutzte diese Pause zwischen uns aus.
„Es gibt sie doch schon lange nicht mehr.“ sagte ich so leise, dass sie es hätte leicht überhören können, und legte auf. Ich war froh, dass sie meine Niedergeschlagenheit nicht sehen konnte. Es würde mich noch wütender machen, wenn sie mich so sah oder überhaupt irgend jemand. Plötzlich tauchte Chris vor meinen Augen auf. Ich wusste ganz genau warum ich ihn so sehr mochte, was auch ein Grund dafür war, warum ich ihn abwies. Seine ganze Art, das Lächeln, die Wärme, die er ausstrahlte, war schlicht weg zu gut. Ich kam mir vor wie ein Monster, dass ihn mit sich in den Abgrund zog. Alles was ich wollte war ein Stück seines Lichts in mir aufzunehmen, aber stattdessen saugte ich es Stück für Stück aus ihm heraus – wie ein riesiges schwarzes Loch. Mir wurde bewusst, dass ich derjenige war, der ihm schadete und deshalb musste ich mich von ihm fernhalten. Auch wenn es noch so schmerzhaft war, ohne mich käme er besser zurecht.
Den restlichen Tag verbrachte ich bei Anabelle, die rücksichtsvoll genug war, um mich in dieser Zeit nicht anzusprechen. Sie kannte mich gut genug und wusste, in welchen Situationen sie mit mir reden konnte und in welchen sie es lieber sein lassen sollte. Doch heute hatte sie gegen diese goldene Regel verstoßen und sich zu mir auf den Fenstersims gesetzt. Dadurch, dass ich meine Beine angewinkelt und sie mit meinen Händen umschlungen hatte, blieb für Anabelle nicht viel Platz. Ich beobachtete wie sie sich abmühte eine bequeme Sitzposition zu finden. Als sie mich schließlich ansah, drehte ich meinen Kopf mechanisch zur Seite und starrte auf die Straße.
„Nicht zu fassen, dass du noch auf diesen Fenstersims rauf passt.“ versuchte sie die Distanz zwischen uns aufzulockern, aber als ich nicht antwortete, seufzte sie laut. „Also wenn es um Chris geht, dann..“
„Wie kommst du darauf, dass ich mich um ihn den Kopf zerbreche.“ knurrte ich zurück und sah ihr dabei in die Augen. „Das hat nichts mit Chris zu tun.“
„Wirklich nicht?“ Anabelle hatte die Hände in ihrem Schoß zusammengefaltet und sich mit dem Rücken nach hinten auf die Glasscheibe fallen lassen. Sie drehte den Kopf und sah mich an. „Du bist ein verdammter Masochist, Eric.“
„Was?“ rief ich verärgert zurück. Ich stellte einen Fuß wieder auf den Boden und nahm meine übliche Kampfhaltung ein. Anabelle wich etwas zurück, aber ich sah in ihren Augen, die mich böse an funkelten, dass sie entschlossen war.
„Du verletzt dich selbst, mal wieder. Aber dieses Mal werde ich nicht dabei zusehen. Wie kannst du nur von mir verlangen, dass ich da tatenlos daneben sitze. Wir kennen uns schon viel zu lange und glaub mir, ich merke alles, auch wenn ich meine Gedanken nicht immer laut ausspreche. Ich weis, dass dich dieser Unfall immer noch mitnimmt und..“ Sie versuchte nach meiner Hand zu greifen, aber ich ließ sie nicht.
„Es war kein Unfall und dein Mitleid brauche ich nicht. Ich brauche niemanden, verstehst du!“ schrie ich sie an. Ich wusste, dass sie mir nur helfen wollte, aber ich brauchte sie nicht. Warum glaubte jeder mit mir stimmte etwas nicht?
Ich erhob mich vom Fenstersims und wollte einfach nur gehen. Dieses Gespräch war absolut sinnlos. Anabelle griff hastig nach meinem Unterarm und sah mich mit traurigen Augen an.
„Bitte, Eric, lass dir doch von mir helfen!“ Ich schüttelte ihre Hand ab.
„Das sagt ausgerechnet eine, die Antidepressiva nimmt.“ Anabelles Augen wurden glasig. Sie sah bedrückt zu Boden. „Es tut mir leid, das hätte ich dir nicht vorwerfen dürfen.“ Ich wusste, dass sie das am meisten verletzen würde. Vermutlich war das auch der Grund, wieso ich das überhaupt gesagt hatte. Ich setzte mich wieder zurück an meinen Platz und sah ebenfalls zu Boden.
„Du bist alles was ich noch von Michael habe und es tut mir weh dich leiden zu sehen. Ich weis, ich sollte das nicht sagen, aber dein Bruder hätte sicher nicht gewollt, dass du so ein Leben führst.“
Ich wurde gleich wütend, als ich sie Michaels Namen sagen hörte. Wenn Anabelle ihn aussprach, hörte es sich für mich an, als wäre er bereits weit fort. Aber, obwohl ich diese innere Wut gegen alles und jeden verspürte, wusste ich, dass sie recht hatte.
„Sag nicht mehr seinen Namen, bitte. Es tut zu sehr weh.“ Sie führte ihre Hand vorsichtig zu meiner und dieses mal nahm ich sie nicht wieder weg.
„Du musst ihn endlich loslassen.“ Ich drückte fest ihre Hand.
„Kannst du ihn den so einfach loslassen?“ sagte ich barsch und senkte gleich wieder meine Stimme.
Anabelle schüttelte zaghaft den Kopf. Ich wollte begründen, dass sie nicht zur Familie gehörte und deshalb ihr Leben weiter leben konnte, aber eigentlich war sie es doch. Sie gehörte schon immer dazu. Ich schämte mich für meine achtlosen Gedanken.
„Ich habe Michael versprochen, dass ich auf dich acht gebe, und das werde ich auch tun, ganz egal was du sagst. Davon wirst du mich nicht abhalten können.“
„Du sagst es so als bräuchte ich einen Babysitter. Ganz schön hartnäckig.“ sagte ich, aber ich wusste, was sie damit meinte. Ich ließ ihre Hand los und platzierte sie auf meinen Knien.
„Deshalb..“ sie machte eine Pause. „...wirst du Chris alles erzählen müssen.“ Sie kniff die Augen zusammen, so als ob sie einen Schlag erwarten würde.
„Das ist unmöglich! „ Der Boden unter meinen Füßen fühlte sich plötzlich weich an. Mir wurde schon beim Gedanken schlecht.
„Wärst du ihm nicht wichtig, dann hättet ihr ganz sicher nicht...du weist schon was getan. Er würde..“
„Würde er nicht! Er hat genug andere Probleme. Das würde nichts ändern.“ den letzten Satz sprach ich im Flüsterton, sodass sie es hätte leicht überhören können. Anabelle seufzte laut und stand abrupt auf. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt.
„Liebst du ihn?“
„Was?“
„Eine ganz einfache Frage, liebst du Chris?“ Anabelle hatte sich zu mir umgedreht und starrte mich erwartungsvoll an. Im Raum war es still, beinah beängstigend. Eigentlich musste ich nicht überlegen, um die Frage beantworten zu können, aber ich hatte Angst es auszusprechen. Meine Hände wurden kalt und meine Füße fühlten sich an wie zwei Beton Klötze.
„Ich weis es nicht.“ sagte ich schließlich.
Anabelles Augen weiteten sich. Ihr Gesichtsausdruck wurde hart. Sie sah mich ein paar Sekunden lang an und drehte sich dann um, um zu gehen. Aber auf halber Strecke blieb sie stehen und sagte: „Wenn du nicht weist was du willst, dann hast du kein Recht mit den Gefühlen anderer zu spielen. Hast du dich den ein einziges Mal gefragt, wie Chris sich bei alldem fühlt?“ Im Raum fühlte es sich auf einmal sehr stickig an und zum ersten Mal schnitten mir Anabelles Worte tief in die Haut.
„Verzeihen Sie?“ weckte mich der blasse Mann aus meinem Tagtraum. Ich sah ihn mit müden Augen an und nickte. Er sah genervt aus, aber es störte mich nicht, ganz im Gegenteil. Denn je wütender die Leute auf mich waren, desto besser fühlte ich mich.
„Sie müssen nicht so schreien. Ich höre Sie sehr gut.“ antwortete ich trotzig und sah, wie die Augen des Mannes sich weiteten. Aber bevor er auch nur einen Finger in die Luft erheben konnte, beschloss ich einfach zu gehen.
In der Küche war es laut und stickig. Mir stiegen tausende von Gerüchen in die Nase, bei denen ich mich am liebsten übergeben hätte. Für einen Moment hatte ich wirklich gedacht einfach umzukippen, aber dann lenkte mich mein Kreislauf wieder in die richtige Bahn. Seit drei Tagen versuchte ich so etwas wie einen Tagesablauf zu finden, denn seit Eric nicht mehr da war hatte sich mein Leben in eine leere Hülle verwandelt. Ich war gefangen, und doch frei. Ich wusste, ich durfte mir um Eric keine Gedanken machen, denn seit diesem einen Abend war ich für ihn abgeschrieben. Naja, eigentlich hatte er das von mir bekommen, was er schon immer wollte und deshalb war ich uninteressant für ihn geworden. Ich kam mir so dreckig dabei vor, dass ich am liebsten wieder geheult hätte.
„Hey, steh nicht einfach so da und arbeite!“ rief Andre. Er balancierte vier volle Teller in den Händen und sah dabei so genervt aus, dass ich ihm lieber aus dem Weg gegangen wäre. Ich stemmte beide Fäuste an den Tisch, wo Pete die nächsten Teller aufgereiht hatte.
„Sorry, mir geht’s nicht so gut und..“
„Dir geht’s doch immer beschissen! Warum kannst du dich eigentlich ausruhen und wir dürfen für dich die Schichten schieben?“ schrie Andre. Thomas kam in die Küche herein und weitete die Augen.
„Bist du verrückt, so herumzuschreien?“ sagte er zu Andre und nahm ihm zwei der Teller aus der Hand. Man spürte wie sich die Atmosphäre auflud. Für eine Sekunde wurde es, trotz der knisternden Pfanne im Hintergrund, ganz still. Ich sah von Thomas zu Andre. Sie hatten ja recht.
„Es tut mir leid, wirklich. Mehr kann ich nicht tun, als mich zu entschuldigen.“ Thomas sah mich mitleidig an und verschwand dann in den Speisesaal.
„Doch kannst du.“ Andre kam zu mir rüber, stellte die zwei übrigen Teller auf den Tisch und ging davon.“ Ich starrte ihm mit offenem Mund hinterher. Bei der ganzen Sache mit Eric hatte ich nicht bedacht, dass es hier auch Leute gab, die mich brauchten und denen ich was schuldig war. Immerhin waren sie für mich da gewesen, die ganze Zeit. Genauso gut hätte mich Andre auch als absoluten Egoisten bezeichnen können, denn das war ich in Wahrheit. Aber damit war Schluss! Ich musste Prioritäten setzen und mich um die Menschen bemühen, die mich wirklich mochten und denen ich wichtig war.
Nach der Arbeit hatte ich mir drei Dinge vorgenommen. Erstens, mich wieder mit Andre zu versöhnen, denn er schien der Einzige zu sein, der mich, wegen der Sache von neulich, schief ansah. Zweitens, mich damit abzufinden wie die Dinge um meine Mutter stehen. Ich wusste, es hörte sich so an als würde ich aufgeben, aber es ist ja nicht so, dass ich eine Wahl hätte.
Und drittens, zwischen Eric und mir einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen.
Die Sache mit Andre kam mir nicht allzu schwierig vor, den ich kannte ihn und wusste, dass er erst richtig Dampf ablassen musste bevor er mich wieder in den Arm schließen konnte. Mehr Sorgen hatte ich wegen Eric, falls er sich überhaupt nochmal hier blicken ließ. Ich musste zugeben, dass ich etwas Angst davor hatte ihm gegenüber zu treten, und das musste ich irgendwann tun. Aber eines nach dem anderen.
Am späten Abend, als alle ihre Arbeit verrichtet hatten und sich mit anderen Dingen beschäftigten, beschloss ich, dass es der passende Zeitpunkt war. Vorher achtete ich penibel darauf, dass Andre seine Zigarette geraucht hatte, um von dem langen Arbeitstag runterzukommen. Wenn man nämlich mit ihm ein vernünftiges Gespräch führen wollte, dann unter den besten Bedingungen, wenn er ruhig und entspannt war.
Ich erspähte ihn draußen, auf einer Bank liegend. Er hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und die Beine überkreuzt. Sein Blick richtete sich in den Himmel, als würde er nach etwas Ausschau halten. Ich trat ganz nah an ihn heran, sodass er mich im Visier hatte. Andre drehte seinen Kopf und seufzte genervt.
„Hast du mich also gefunden.“ sagte er monoton.
„Eigentlich wusste ich auch so, dass du hier bist. Sein nicht sauer, aber du bist eben ein Gewohnheitstier.“ Andre richtete sich auf sah zu mir nach oben. Er stützte sich mit den Händen an der Bank ab. „Hab vergessen, dass du ein Klugscheißer bist.“ Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen und steckte dabei beide Hände in die Hosentaschen. Es war schon recht dunkel geworden, nur die gelbliche Außenbeleuchtung spendete noch Licht. Vor lauter Nervosität hatte ich tatsächlich die Sprache verloren. Ich wusste nicht mehr wie ich anfangen sollte.Was für ein Mist!
Ich würde ihm einfach die Wahrheit sagen.
„Ich will mich dafür entschuldigen wie ich mich die letzten Wochen euch allen gegenüber verhalten habe. Es lag nie in meiner Absicht irgendwen zur Weißglut zu bringen, ehrlich nicht. Ich bin kein Mensch, dem immer alles egal ist. Aber...“ Andre hatte sich aufrecht aufgesetzt und beide Füße auf den Boden gestellt. „Ich weiß nicht wieso, aber in meinem Kopf hat sich die Vorstellung eingebrannt, dass ich niemanden vertrauen kann, am wenigsten euch allen hier. Ich rede mir ein, dass ich für euch nicht wichtig bin, schließlich sind wir nur Arbeitskollegen und ich sollte mich nicht wie ein pubertärer Jugendlicher verhalten. Manchmal komme ich mir wirklich vor wie ein kleines dummes Kind.“
„Hey, du...“ unterbrach mich Andre, aber ich hielt ihn zurück. „Nein, ich bin noch nicht fertig.“
Ich durfte jetzt ja nicht anfangen zu heulen, ich hatte mich schon genug blamiert.
„Ich weiß, dass ich schwach bin und niemandem so richtig die Meinung sagen kann, aber es ist mir wichtig, dass ihr alle wisst, wie mir die ganze Zeit zu Mute war.“ Mir war etwas heiß geworden und mein Atmen ging unregelmäßig. Kein Wunder, schließlich hatte ich sozusagen gerade mein Herz ausgeschüttet. Es lief irgendwie so gar nicht wie ich es geplant hatte. Andre erhob sich und blickte mir direkt in die Augen. Er seufzte.
„Du bist wirklich dumm, das muss man echt mal sagen. Wie immer hast du dir da was zusammen gesponnen, dass völliger Schwachsinn ist. Ich mein, sehe ich für dich aus wie ein Arschloch?“
Andre grinste über seine eigene Wortwahl, den er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Außerdem bist du alles andere als schwach. Ich hab noch nie jemanden gekannt, der so viel Selbstbeherrschung besaß wie du. Mich verträgt man nur in kleinen Dosen und Pete ist so ein Miesepeter, dass sicher niemand in seine Nähe traut.“ Auf einmal tat Andre etwas sehr unerwartetes . Er nahm mich in den Arm. Kaum zu glauben, dass das tatsächlich gerade passiert.
„Hör gefälligst auf mit dem beschissenen Selbstzweifel“ Ich drückte ihn fest und wollte auch schon anfangen zu heulen, aber er wurde wieder der Alte.
„Und jetzt lass die Flossen von meinem Hemd. „ sagte er lachend. Ich gehorchte und trat einen Schritt von ihm weg. Ich lächelte.
„Du weist echt wie man einen aufbaut.“
„Klar, ich bin auch der Beste.“ Trotz seines Übersteigertem Egos, hatte Andre es geschafft mich wieder besser zu fühlen. Um ehrlich zu sein, war er der letzte, dem ich das zugetraut hätte.
Andre verabschiedete sich von mir mit einem kurzen Nicken und rief mir noch vom weitem zu: „Wehe, du kommst morgen zu spät zur Arbeit!“ Meine Mundwinkel formten sich zu einem Lächeln. Wie von Andre kaum anders erwartet, sagte ich zu mir selbst und starrte ihm hinterher. Irgendwie konnte ich es immer noch nicht so recht glauben, was ich da alles zu ihm gesagt hatte. Wie auf Knopfdruck färbten sich meine Wangen rot, es war mir im nach hinein doch peinlich. Ich musste mich das nächste mal besser unter Kontrolle haben.
Völlig unerwartet hatte mich jemand von hinten an der Schulter gepackt. Ich erschrak so sehr, dass ich beinah auf meine vier Buchstaben gefallen wäre, hätte derjenige mich nicht am Arm festgehalten. Überrascht und wütend zugleich starrte ich die Gestalt an, die im Schatten der Dunkelheit seine dunklen Augen in meine bohrte. Eric entwickelte langsam ein Faible für dramatische Auftritte. Ich schüttelte seine Hand ab, die immer noch meinen Arm umklammert hielt, und ging einen Schritt zurück, sodass ich ihm besser ins Gesicht sehen konnte. Erics Haut wirkte sehr blass, die Haare standen ihm von allen Seiten ab und die Kleidung hatte ihre typische ordentliche, glatt gebügelte Oberfläche verloren. Um ehrlich zu sein, sah er sehr mitgenommen aus.
„Du hast mich zu Tode erschreckt!“ sagte ich.
„Tut mir leid, war nicht meine Absicht. Aber ich muss mit dir reden.“ entgegnete er trüb.
„Und was ist wenn ich nicht mit dir reden will?“ Ich verlagerte mein Gewicht vom linken Bein aufs rechte.
„Dann wirst du eben nur zu hören.“ Ich musste mir das nicht anhören. Ich drehte mich von ihm weg und war im Begriff zu gehen, aber Eric griff erneut nach meiner Schulter. Er wollte etwas sagen, aber ich kam ihm zuvor, indem ich mich direkt zu ihm umdrehte und ihn ansah.
„Warum sollte ich das tun? Du hast mich benutzt, gedemütigt – mir mein Herz herausgerissen und auf ihm herumgetrampelt, obwohl du ganz genau wusstest, was ich für dich empfand.“ Ich hatte es ihm nie ins Gesicht gesagt, aber man hätte schon Stroh dumm sein müssen, um das nicht zu kapieren. „Aber ich hab es satt! Ich will nicht mehr und kann es auch nicht länger durch machen.“
„Ich bin hergekommen um dir alles zu erklären, damit du verstehst, weshalb ich mich immer so verhalten habe, und ich bitte dich nur um eins, mir zuzuhören.“ Eric blickte mir tief in die Augen, wartete auf meine Reaktion, auf mein Einverständnis. Aber in mir sträubte sich alles dagegen ihm auch nur ein einziges Wort zu glauben, was er von sich gab.
„Nichts könnte das rechtfertigen, was du mit mir gemacht hast.“
„Bitte! Ich bin nicht...ich bin es nicht gewohnt, dass sich jemanden um mich bemüht. Deshalb ist es mir lieber wenn ich die Leute auf Abstand halte, um nicht selbst verletzt zu werden. Das ist ...“
„Das ist einfach nur egoistisch! Statt dich selbst, verletzt du also lieber mich? „ unterbrach ich ihn. Ich war noch nie so wütend gewesen. Am liebsten hätte ich auf irgendwas eingeschlagen.
„Es geht mir nicht gut, Chris. Ich habe Dinge getan auf die ich nicht stolz bin und die du nicht über mich weißt. Ich bin kein guter Mensch und ich verdiene es nicht überhaupt etwas zu verlangen, aber ich will, dass du die Wahrheit kennst. Alles von mir. “ Ich sah in sein bemitleidenswertes Gesicht und erkannte, dass ich dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte. Da war er genauso niedergeschlagen, wütend. Ja, ich sah Wut in seinen Augen. Nicht nur Traurigkeit. Konnte ich ihm das wirklich alles glauben? Oder versuchte er mich wieder zu besänftigen, damit ich wieder zu ihm an gekrochen komme?
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles über dich wissen will.“ Eric wirkte geschockt. Vermutlich war er nicht darauf vorbereitet, dass ich ihn bei so einem Geständnis abwies.
„Du hast keine Ahnung wie schwer es mir fällt mich dir anzuvertrauen. Bitte, ich brauche dich!“ Es fiel mir schwer mich auf den Beinen zu halten, denn das ganze Spektrum an Gefühlen, das in diesem Augenblick auf mich eindrang, war nicht auszuhalten. In mir tobte ein Gewissenskrieg. Ich wusste einfach nicht was ich tun sollte. Eric brauchte mich. Aber konnte ich ihm das glauben? Was ist wenn er es jedoch ernst meinte und ich gerade der Idiot war, der ihm unrecht tat? Mir platzte gleich der Kopf! Ich konnte einfach nicht mehr. Es war zu viel.
Eric trat zu mir und versuchte mich zu umarmen, aber ich wich schnell zur Seite.
„Fass mich jetzt bitte nicht an. Das halte ich nicht aus.“ Er sah zu Boden und wartete bis ich weiterfuhr. „Ich glaube wir sind beide sehr kaputt, Eric. Wir brauchen jemanden an unserer Seite, der mit sich im reinen ist und ...“
„Du willst jemanden normalen als Freund.“ er hatte meinen Satz fortgeführt. Ich wartete eine Sekunde und nickte dann.
„Warum glaubst du den, dass du nicht normal bist?“ fragte er mich und versteckte beide Hände in den Hosentaschen. Eric hatte seine Schultern hoch gezogen, wie ein erschrecktes Reh.
„Weil ich eine schwache Psyche habe. Ich gleiche da wohl meiner Mutter. Krankheiten sind vererbbar wie du weist.“ Eric sah überrascht auf und kam so plötzlich ganz nah an mich, dass ich keine Zeit zum reagieren hatte. Er legte mir behutsam seine Hand auf die Wange und lächelte.
„Wenn das so ist, dann hätte ich sie auch gerne, diese Krankheit. Für mich bist du nämlich der gutmütigste Mensch auf Erden.“ Langsam strich er mit seinem Daumen die Konturen meiner Lippen entlang. Seine Haut war weich und warm und überall spürte ich ein Kribbeln, aber das durfte kein Dauerzustand werden. Sonst würde ich für immer in dem selben Teufelskreis festsitzen.
Ich griff nach seiner Hand und löste sie von meiner Wange. Er sah enttäuscht aus.
„Ich will nicht, dass es so weiter geht. Dafür ist zu viel passiert, was nicht wieder gut zu machen ist. Du kannst nicht einfach hierherkommen und auf einen Schlag alles wieder gut machen. Das geht nicht.“
In Erics Augen blitzte es auf und ich sah, dass seine Miene sich auf einmal veränderte, so als ob er etwas begriffen hätte. Er ging hastig ein paar Schritte zurück, sodass uns drei Armlängen voneinander trennten und lächelte.
„Du hast recht. Ich weis nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ähm, ich werde dann besser gehen und dich in Ruhe lassen. Ist ja furchtbar was für ein Stalker ich bin.“ Jetzt lachte er laut in die Dunkelheit hinein. Dadurch, dass er sich immer weiter von mir entfernte, konnte ich sein Gesicht nicht richtig sehen, aber für einen Moment dachte ich er würde weinen.
Langsam wurde der Raum, in dem ich aufgewacht war, immer heller. Die Sonne stahl sich ihren Weg durch die winzige Spalte zwischen dem Vorhang, der das Zimmer abdunkelte. In mir war es vollkommen ruhig. Die Welt fühlte sich nicht mehr so schwer an wie zuvor, meine Beine und Arme waren angenehm warm und meine Augen hatten aufgehört ständig in die Ferne zu starren, als ob es da etwas zu sehen gab, dass mich faszinierte. Der Schatten hinter mir war verschwunden.
Es schockte mich, dass ich über Erics verschwinden so erleichtert war, oder besser gesagt, dass sich mein Körper so erleichtert fühlen würde. Auf einmal gab es keine Grenzen mehr für mich, als könnte ich alles tun was ich schon immer wollte.
Es war ein sehr ruhiger Tag, so ruhig, dass ich mich fragen musste, ob es nicht an unseren geklärten Verhältnissen lag? Aber es stimmte, jeder schien glücklich und zufrieden, ein seltenes Glück, dass man besser ausnutzen sollte. Direkt nach dem Frühstück hatte ich mir ein schönes Plätzchen im Garten gesucht und mich auf das warme, frisch gemähte Grass gelegt.
„Hallo, Einsiedler!“, sah Sam auf mich herunter und versperrte mir mit seinem großen Kopf die Sonne. „Hi“
„Wenn du noch länger hier liegst, kriegst du einen Sonnenbrand, Kleiner.“, kicherte er und stemmte beiden Fäuste in die Hüfte.
„Ach was. Heute ist so ein schöner Tag.“ Sam hockte sich neben mich hin und starrte mich von der Seite aus an. Ich schielte mit halb offenen Augen zu ihm rüber und erkannte sein herzhaftes Lächeln.
„Weist du, ich habe dich schon lange nicht mehr so fröhlich gesehen. Ich dachte schon ich würde den alten Chris nie wieder zu Gesicht bekommen.“ Ich richtete mich auf und sah ihn fragend an.
„Habe ich mich den so sehr verändert?“ Sams Mundwinkel senkten sich, er schien lange zu überlegen, bevor er antwortete.
„Mehr als du ahnst. Du hast praktisch eine 180 Grad Drehung gemacht. „ Ich konnte mir denken von was er redete. Ich sah betrübt zu meinen verschränkten Füßen und wagte nicht aufzusehen.
„Ich meine, ich mag ja den neuen, selbstsicheren und taffen Chris, aber...ohne dein Lächeln bist du einfach nicht mehr du.“ Seine Worte überraschte mich so sehr, dass ich mit meiner Hand ausgerutscht und nach hinten gefallen war. Sam lachte laut auf.
„Ich muss mich korrigieren: diese Tollpatschigkeit darf natürlich auch nicht fehlen.“ Wir sahen uns beide eine Zeit lang an und prusteten los. Ich musste mir sogar von dem vielen Lachen den Mund zuhalten, um überhaupt aufhören zu können. Diese Zeit mit Sam hatte ich wirklich vermisst.
„Wo wir schon beim Thema sind, kann ich dich etwas persönliches fragen?“ Sam hatte mit dem lachen aufgehört und sah mich jetzt etwas ernster an. Gespannt wanderte mein Blick auf sein zu Boden gerichtetes Gesicht.
„Was läuft da zwischen dir und Eric?“ Mein Kopf wurde, ohne das ich es wollte, puterrot.
„Nichts, wieso?“
„Na weil ich euch zwei gestern Abend gesehen habe und so wie es aussah...“ Er stockte und ich dachte mir: Bitte sag es nicht, bitte, um Himmels Willen! „...ich könnte mich natürlich auch irren, aber es sah so aus, als wärt ihr beide zusammen.“ Ich verwandelte mich von Kopf bis zu den Zehen in eine Marmorstatue. Mein wunderbarer Tag war dahin, endgültig. Nein, es war noch nicht zu spät! Ich konnte alles noch gerade biegen. Ich fing an zu lachen.
„Was für eine Haarsträubende Theorie, die du da hast, Sam. Also wirklich! Ich bin nicht schwul und selbst wenn ich es wäre, wäre Eric der letzte Mensch auf diesem Planeten, mit dem ich was anfangen würde.“ Ich schielte unbemerkt zu Sam rüber. Er wirkte ernst, meine gekünstelte Miene schien ihn nicht zu überzeugen.
„Ist das so?“, seine Augen blitzten auf wie zwei große Murmeln. Auf einmal war er nicht mehr der nette Sam.
„Wenn ich es doch sage, ich bin ganz sicher nicht schwul.“
„Hm, hast du was dagegen wenn ich das kurz mal teste...“ Plötzlich hatte Sam sich über mich gebeugt und seine Lippen auf meine gelegt. Er hatte mich so sehr überrumpelt, dass ich keine Zeit hatte, um ihn von mir zustoßen und als ich gerade meine Hand heben wollte, drückte er sie wieder auf das Gras zurück und griff unachtsam in meinen Schritt. Ich stöhnte auf und bemerkte, dass meine Hose plötzlich unangenehm spannte. Dass ich so schnell hart wurde, konnte ich mir nur so erklären, dass es einfach schon viel zu lange her war, seit Eric mich dort berührt hatte. Aber das war falsch, es war Sam. Der nette, hilfsbereite und zuvorkommende Sam, der das tat. Ich sammelte mich und stieß ihn mit all meiner Kraft von mir.
„Was zum Teufel soll das?!“ schrie ich wütend. Sam war nach hinten gefallen und lag jetzt mit abgestützten Armen ausgestreckt auf dem Boden. Er grinste.
„Ich musste doch irgendwie feststellen ob dus bist oder nicht.“
„Du bist ein Mistkerl!“ Sam entspannte sich. Ihn schien es gar nicht zu stören, dass ich aufgebracht mit den Armen herumfuchtelte und ihn beschimpfte.
„Jedenfalls weis ich jetzt was Sache ist.“ Er deutete auf meine Hose, die wohl kaum etwas deutlicheres sagen könnte. Ich zog die Beine an, um meinen Ständer zu verstecken.
„Das werde ich dir nicht verzeihen!“ Mein Anblick musste wirklich merkwürdig ausgesehen haben, denn Sam lachte laut auf.
„Doch wirst du. Komm schon, sei nicht so verdammt prüde. Du warst derjenige, der mich angelogen hat, nicht umgekehrt.“
„Ach ja? Das sagt mir ausgerechnet einer, der mir nichts von seinem Phabel für Männer erzählt hat.“ Sam stockte.
„Warte mal, du denkst doch nicht, dass ich...oh nein, kleiner. Ich bin hetero.“
„Warum hast du mich dann geküsst?!“ Ich war stock sauer auf ihn, aber er fand es einfach nur belustigend.
„Das sagte ich doch, ich wollte mich davon selbst überzeugen und naja, ich wollte dich auch etwas aufziehen.“ grinste er breit.
„Wag es nicht das nochmal zu tun!“
„Okay, okay, versprochen.“ Sam hob kapitulierend die Hände in die Höhe. Ich stand hastig auf, denn noch länger in seiner Nähe zu sitzen war mir schlicht zu riskant. Nicht nur, weil ich noch so eine Aktion von ihm ganz sicher nicht überleben würde ohne mich in Grund und Boden zu schämen, sondern auch weil meine Pause längst vorbei war und ich seit der Sache mit Andre noch viel wieder gut zu machen habe.
Sam sah etwas irritiert in meine Richtung, drehte sich dann aber wieder nach vorne und lächelte. Er folgte mir nicht.
Nachdem ich meine Schicht beendet hatte und so gut es ging versucht hatte Sam weder anzusprechen noch anzusehen, weil mir die Sache von vorhin immer noch peinlich war, setzte ich mich in einen der Ledersessel in der Lobby. So weit von Sam entfernt wie es nur ging. Natürlich wusste ich, dass er mich ständig beobachtete und darauf wartete bis ich mich wieder beruhigt hatte, aber er wusste auch, dass ich so schnell nicht klein bei gab und er mich lieber in Ruhe ließ. Eigentlich war es nicht mal eine so große Sache gewesen. Ich war nicht ernsthaft sauer auf ihn, nur beleidigt.
Draußen hatte es zu regnen begonnen, weshalb sich einige Gäste im Salon oder in der Lobby versammelt hatten, statt im Garten einen gemütlichen Spaziergang zu machen. Mich störte es nicht. Ich hatte es mir mit meinem Buch im Sessel bequem gemacht und lauschte dem Klang der Regentropfen, die gegen das Fensterglas schlugen. Das Geräusch war sehr beruhigend. So beruhigend, dass mir gar nicht aufgefallen war, dass sich eine triff nasse Gestalt über die Rezeption gebeugt hatte und nach kurzem Kopfnicken von Sam in meine Richtung sah.
Es war Anabelle.
Überrascht wie ich war, legte ich mein Buch zur Seite und trottete etwas unbeholfen zu ihr. Mir gingen die merkwürdigsten Sachen im Kopf herum, die jedoch allesamt um ein und dieselbe Frage kreisten: War Eric etwas passiert? Mein Herz schlug immer schneller, je näher ich ihr kam und obwohl sie mich freundlich anlächelte, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Etwas stimmte nicht.
„Hallo Chris.“ sagte Anabelle. Ihre hübschen blonden Haare waren klitschnass und klebten an ihrem Hals und Gesicht. Sie zitterte.
„Hallo“ lächelte ich so gut ich konnte zurück. Ihr Anblick war schon beinah mitleiderregend, sodass ich am liebsten sie in die Arme genommen hätte um die Kälte zu vertreiben. Allerdings wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie nicht deshalb zitterte.
„Du bist ja klatsch nass. Bist du zu Fuß hierher gekommen?“ fragte ich. Sie strich sich behutsam die nasse Strähne aus dem Gesicht.
„Ähm, nein... naja irgendwie schon. Eigentlich ist es auch nicht so wichtig. Eric braucht dich!“ Ich starrte sie für eine Weile regungslos an, bis ich mich nach kurzer Zeit aus meiner Starre löste und Sam anwies für Anabelle ein Handtuch und einen Bademantel zu holen. Nicht nur, weil sie mit diesen glasigen Augen schrecklich aussah und sich durch die Nässe den Tod holen könnte, sondern auch, weil ich vor Sam nicht über meine Beziehung zu Eric sprechen wollte.
„Wir wissen beide, dass Eric niemanden braucht außer sich selbst.“ sagte ich als Sam verschwunden war.
„Weil du ihn nicht kennst. Zumindest nicht die Seite von ihm, die er so verzweifelt versucht zu verbergen. Er hat mir viel von dir erzählt und glaub mir er empfindet viel mehr für dich als er zugibt. Sehr viel mehr. Gleich nach unserem Gespräch ist er zu dir gefahren und wollte mit dir über alles reden und ...“
„Ja, er war bei mir.“ Anabelles Augen weiteten sich. Sie griff nach meinem Arm und sah mir tief in die Augen.
„Und weshalb bist du immer noch hier?! Er steht das alleine nicht durch und ich bin ihm eine noch größere Last als irgend jemand sonst. Ich bin nicht in der Lage zu helfen.“ Sie ließ meinen Arm los und sah betrübt zu Boden. Ob sie weinte oder nicht konnte ich nicht sehen, weil der Regen überall an ihrer Haut haftete.
„Was genau ist passiert?“ langsam breitete sich in mir die Art von Angst aus, vor der ich mich immer gefürchtet hatte. Nämlich die Sorge einen wichtigen Menschen zu verlieren.
„Hat er dir nichts erzählt?“ Anabelle starrte mich entgeistert an, als wäre ich ein völlig fremder Mensch.
„Was erzählt?“ Als sie begriff, dass ich keine Ahnung hatte von was sie sprach, fing sie plötzlich an zu lachen. Die Gäste hatten sich zu uns umgedreht und begannen von allen Seiten zu murmeln. Auch Sam war mit den Sachen in der Hand stehen geblieben um unauffällig zu lauschen. Mir wurde klar, dass es keine geeignete Umgebung war um ein privates Gespräch zu führen. Ich nahm Sam das Handtuch und den Bademantel aus der Hand und forderte Anabelle auf mir in mein Zimmer zu folgen.
Als sie fertig abgetrocknet mit nichts als einem Bademantel bekleidet auf meinem Bett saß, hatte sie einfach nur mit dem Kopf geschüttelt. Ihr Seufzen erklang laut in den kleinen vier Wänden.
„Er hat es dir also wirklich nicht erzählt. Dieser Feigling.“ Mir wurde plötzlich bewusst, dass Eric mir tatsächlich etwas sagen wollte, aber ich Dummkopf hatte ihn nicht gelassen.
„Kannst du es mir erzählen?“ Ich lehnte an der gegenüber liegenden Wand und sah ihr bittend in die Augen. Sie war sich sehr unsicher, aber schließlich gab sie nach.
„Es war vor zwei Jahren. Noch bevor Eric so wurde wie er jetzt ist. Ich weis nicht ob du es damals vielleicht mitverfolgt hast, aber in der Zeitung wurde von einem Autounfall berichtet, indem ein Mann umgekommen war. Der Fahrer des Wagens hatte den Unfall überlebt, aber der andere war gleich am Unfallort verstorben. Der Tote hieß Michael. Er war Erics Bruder. „ Ich hatte mich langsam an der Wand zu Boden sinken lassen. Ich starrte ins Leere. Was? Erics Bruder? Das konnte doch nicht...er hatte nie von ihm gesprochen. Vermutlich wollte er mir genau das anvertrauen und ich hatte ihn abgewiesen. Er wollte mir sein Vertrauen schenken und ich habe...Ich war der schrecklichste Mensch auf der Welt. Wie konnte ich ihm das antun!
„Chris? „ Ich hatte nicht gehört wie mich Anabelle gerufen hatte, so zerschlagen war ich. Ich konnte ihr nicht mal in die Augen sehen, weil ich so beschämt war. Wüsste sie wie ich mich an dem Tag verhalten hatte, würde sie mich hassen. Ich hatte mein Beine angewinkelt und zu mir herangezogen.
„Eric wird wütend sein, weil ich es dir erzählt habe, aber im Moment ist mir nur wichtig, dass es ihm gut geht. Weist du, ich dachte er hätte sich nach dem Unfall erholt, aber stattdessen wird es immer schlimmer mit ihm. Michael und ich …. wir waren frühen ein paar, vor dem Unfall. Und danach war ich selbst so niedergeschlagen, dass Eric auf mich acht geben musste statt umgekehrt. Er hat sich um mich gekümmert, als er eigentlich hätte trauern müssen, aber er hat sich lieber um andere gesorgt. Aber jetzt, wo alles halbwegs wieder normal ist, hat er angefangen sich immer mehr abzuschotten und lässt jetzt absolut niemanden an sich ran...Niemanden außer dir.“ Dieses Gefühl kannte ich. Ich hatte es selbst erlebt. Nach dem mein Vater gestorben war, hatte ich nur eine Priorität als meine eigene Trauer, nämlich meine Mutter. Ich war so sehr damit beschäftigt gewesen sie davon abzuhalten in die Tiefe zu fallen, dass ich meine Gefühle völlig an den Rand schob. Ich bin nie wirklich darüber hinweg gekommen und jetzt machte Eric genau dasselbe durch wie ich. Wenn es stimmte, was Anabelle sagte, dann war er auf dem besten Weg seine eigene Existenz auszurotten. Das versetzte mir einen noch viel schlimmeren Dolch ins Herz als damals bei mir selbst. Ich wollte nicht, dass er sich so fühlte, einsam, missverstanden und von der Welt abgeschottet. Das durfte ich nicht zulassen.
Eric
Was tat ich eigentlich? Betrübt richtete ich meinen Blick auf den Beifahrersitz, auf dem ein pechschwarzer Smoking lag.
Er gehörte Michael.
Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie er ihn zum letzten Mal getragen hatte. Es war der 50 Geburtstag unseres Vaters und es waren unzählige Leute gekommen um ihm ihre Glückwünsche zu überbringen. Erst viel später wurde mir bewusst, dass es wieder nur einer seiner Promotionsfeiern war und zum ersten Mal hatte er auch Michael in seine Geschäfte miteinbezogen. Ich würde nie seinen stolzen Gesichtsausdruck vergessen, in dem er Michael wie eine Schachfigur durch sein Spielfeld von Börsenmaklern und Aktionären geschoben hatte als wäre er sein neues Produkt. Sein Gesicht hatte den ganzen Abend über nur eine Miene gekannt, sein falsches und aufgesetztes Lächeln. In Wahrheit war mein Vater nämlich nicht dazu in der Lage aufrichtige Freude zu zeigen oder zu empfinden. Michael war viel zu gut um seine Scharade in Frage zu stellen. Er wich keine Sekunde von der Seite unseres Vaters, wie ein vorbildlicher Sohn es tun würde. Ich wusste nicht, ob ich damals neidisch auf Michael war, weil er von ihm bevorzugt wurde oder ob, ich mir einfach nur Sorgen gemacht hatte er könne am Ende so werden wie er. Alles was ich von diesem Abend wusste, war die Wut, die still in den Augen meines Vaters loderte, in dem Moment, als ich ihn vor seinen Kunden und Freunden beschämt hatte. Ich hatte nicht daran gedacht, welche Konsequenzen es nach sich ziehen würde. Ich tat es einfach.
Ich küsste vor aller Augen einen Jungen, den ich zu der Feier mitgenommen hatte.
Ab dem Moment war ich in seinen Augen ein Taugenichts, der den Ruf seiner Firma schadete. Ein Insekt, dass lästig über seinem Kopf kreiste und das er nicht einfach zerquetschen konnte.
Ich starrte auf den Smoking als wäre es eine goldene Trophäe, die ich gewonnen hatte. Eine Eintrittskarte in seine Gesellschaft. Aber war das alles wirklich ich? Es gab einen Moment, in dem ich wünschte mein Vater würde mich so wie ich war akzeptieren, mit all meinen Fehlern. Aber war es nicht langsam an der Zeit einzusehen, dass dieser Moment nie kommen würde? Michael war tot. Ich lebte. Mein Vater hatte es damals anders ausgedrückt, aber dasselbe gemeint: Ich hätte an Michaels Stelle sterben sollen.
Ich öffnete abrupt die Fahrerseite, schnappte mir den in Schutzfolie gehüllten Anzug und stieg aus. An einer Kreuzung stand ein nicht allzu großes Ortsschild, denn ich leicht erreichen konnte. Darauf standen zwei Pfeile, einer nach rechts und einer nach links. Ich überlegte lange, als ich vor dem Schild stand und nahm schließlich ich den Anzug aus seiner Schutzhülle. Er sah wie neu aus. Keiner würde vermuten, dass er einen Abend voller Tränen überstanden hatte.
Es tut mir leid Michael, flüsterte ich leise.
Ich wusste jetzt genau wo ich hin wollte. Entschlossen setzte ich mich wieder in meinen Wagen und sah auf das Schild, auf dem jetzt Michaels schwarzer Smoking im Wind umher flatterte. Noch ein kurzer Blick auf die Uhr, ein paar Sekunden der Stille und das Auto setzte sich in Bewegung.
Tag der Veröffentlichung: 12.03.2014
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