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Ich ging wie jeden Abend eine Runde über die Felder spazieren. Zügig, damit es etwas bringt, wie mein Hausarzt immer mahnend betont. Mein Blutdruck ist etwas hoch und um die Tabletten komme ich nur mit reichlich Bewegung herum. Ich hasse Tabletten. Also hieß es jeden Abend losziehen, egal bei welchem Wetter. Heute Abend war ich etwas später dran, in einer Stunde war es sicher schon dunkel, also schnell in die Wanderschuhe, dünne Jacke um die Hüfte gebunden und los gings. Ich ging am liebsten querfeldein, über kleine, nicht geteerte Feldwege, manchmal Schleichwegen entlang. Jedes Mal entdeckte ich etwas, ein Mauseloch, ein neu gesätes Feld oder ich begegnete anderen Menschen, Wanderern wie ich oder Hundeausführern, einer streunenden Katze, es wurde nie langweilig. Auch die Jahreszeiten nahm ich durch meine täglichen Spaziergänge intensiver wahr als vorher. Im Moment begann der Herbst ins Land zu ziehen, noch vorsichtig, langsam, als traue er sich nicht so recht, die sanften Sommertage zu vertreiben. Der Wind rüttelte ein klein wenig an den Zweigen, das Gras wuchs nicht mehr so schnell, die Zugvögel beeilten sich, den langen Weg hinter sich zu bringen und auf den Wiesen lagen noch Äpfel im Gras. Heute Abend kam ich an einem Hochstand vorbei, nicht das erste Mal in diesem Jahr, aber neu war, dass dieses Mal jemand drin saß. Ein Jäger, dachte ich und grüßte höflich. „Grüß Gott!“ „Grüß Gott!“, kam es auch von oben. „Jagen Sie heute Abend?“, fragte ich. Eigentlich eine blöde Frage, denn nur die Aussicht würde er da oben wohl nicht bewundern. Smalltalk halt. „Nach was sieht es denn aus?“ Na, die Antwort hatte ich mir verdient. „Als ob Sie jagen!“, grinste ich und fragte weiter. „Was jagen Sie denn heute?“ Die Miene des Jägers wurde ein klein wenig freundlicher. „Es interessiert Sie wirklich, nicht wahr?“ Klar interessierte mich das, ich bin ein neugieriger Mensch und ich hatte noch nie einen echten Jäger auf dem Hochsitz getroffen. „Natürlich!“, sagte ich. „Na, dann kommen Sie einmal hoch!“ Das lies ich mir nicht zweimal sagen. Ich raffte meinen Rock und kletterte die hölzernen Stufen hoch. Hatte ich ja nicht zum ersten Mal gemacht, nur der Jäger oben hatte Neuheitswert. „Na, dann setzen Sie sich mal schön neben mich!“ Ich machte es mir auf meiner Jacke gemütlich, die ich von der Hüfte abband und schaute neugierig seine Waffe an. Sah aus wie eine Schrotflinte. „Eine Schrotflinte?“, fragte ich? „Ja, eine Schrotflinte! Ich will heute Hasen jagen.“ Süße kleine Hoppeltiere kamen mir in den Sinn, zuckende zarte Näschen, weiches Fell. Er musste mein Gesicht gesehen haben und fragte mich: „Sind Sie sicher, dass Sie hier bleiben wollen?“ „Warum muss man die kleinen Tierchen eigentlich jagen. Fängt der Fuchs nicht genug davon?“ Er lachte ein tiefes guturales Lachen. „Nein, Hasen vermehren sich viel zu schnell. Würde ich sie nicht jagen, dann würde auf den Feldern hier kein einziger Grashalm mehr wachsen! Da würden die Bauern schimpfen!“ Er erklärte mir so einiges, wie nahe die Hasen kommen mussten, wie weit die Flinte streute, dass er auch immer nach späten Spaziergängern wie mich Ausschau hielt, damit er nicht aus Versehen mal einen traf. „Danke!“, sagte ich hierzu und er lachte wieder. „Doch jetzt still! Die Dämmerung kommt und mit ihr die Hasen!“ Ich war mucksmäuschenstill und lauschte aufmerksam auf die Geräusche um mich herum. Meine Augen gewöhnten sich an die zunehmende Dunkelheit. Ich sah jemand, der seinen Hund ausführte, ich hörte Rascheln und Knacksen, aber ich sah für gut eine halbe Stunde keinen Hasen. Jäger sein bedeutete Geduld zu haben. Gerade fing ich an, leichte Langeweile zu verspüren, da bemerkte ich, wie der Jäger neben mir sich leise und sehr langsam bewegte, sein Gewehr in Anschlag nahm und ... Da sah ich sie: zwei Hasen, die langsam über die Felder hoppelten. Ich hielt meinen Instinkt zurück, laut zu schreien und sie zu verscheuchen, da knallte es auch schon und die Hasen machten noch ein paar große Sätze und lagen dann still da. „Also, das wird nicht mein Ding!“, sagte ich zum Jäger. „Aber ich danke Ihnen, dass Sie mich an diesem Erlebnis teilhaben ließen.“ „Gern geschehen! Auf dieser Erde ist halt nicht genug Platz für Milliarden von Hasen.“ Es klang entschuldigend. Ich verabschiedete mich und dachte über seinen letzten Satz nach. Milliarden von Menschen bevölkerten diesen Planeten, warum nicht auch Milliarden von Hasen? Ich beantwortete mir die Frage selber: Weil es sonst bald Billionen wären. Ich seufzte und lenkte meine Schritte heimwärts. Gut, dass ich kein Jäger war!

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Tag der Veröffentlichung: 05.02.2013

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