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„Ich bin froh, wieder hier zu sein!“ sagte ich glücklich zu Lia, mit der ich mir ein Zimmer teilte.
„Deine Eltern werden auch froh sein, endlich wieder Platz in ihrer Wohnung zu haben.“ Antwortet Lia.
Wie Recht sie hatte.
Da meine Geschwister und ich alle nicht daheim wohnten, empfanden es meine Eltern als viel sinnvoller das große Haus zu verkaufen und sich eine schöne Stadtwohnung zu kaufen. Meine Mutter war keine Freundin des Putzens und im hauseigenen Garten wollte sie auch nicht graben, um sich auf diese Weise ihre Maniküre, in die sie viel Geld investierte, zu ruinieren. Papa, musste ja arbeiten.
Alle Ferien kommen wir nach Hause und verbringen die Zeit zusammen. Manchmal fahren wir in den Urlaub, wir feiern sämtliche Feste und besuchten Verwandte und alte Freunde der Familie. Dieses Mal war es Weihnachten gewesen.
Zu Weihnachten ist meine Mutter größtenteils unerträglich, da sie entsetzlich gestresst durch die Gegend lief, kochte, saubermachte und alles bis in die Perfektion treiben wollte.
So sehr sie sich darum sorgte, es jedem Recht machen zu können, jedem eine unvergessliche Zeit zu Hause bereiten zu können, desto mehr trieb sie den Rest der Familie in den Wahnsinn. Letztendlich verbringen wir aber immer sehr schöne Tage miteinander.
„Wahrscheinlich wird Papa mir demnächst erzählen, dass Mama täglich bis 12 schläft und in Selbstmitleid versinkt, weil sie sich fragt, warum sie sich immer so übernehmen muss. Es ist jedes Jahr dasselbe.“
„Du kannst ja deiner Mutter mal vorschlagen, es zu machen wie wir!“
„Schön wär’s. Sie legt Wert auf Tradition und nicht auf 5 Sterne Hotels.“ Lachte ich.
„Ich glaube, wir müssen morgen mal meinen Schrank ausmisten. Ich hab in Südafrika so viele Sachen gekauft, dass ich mittlerweile glaube, sie gar nicht alle in meinem Schrank unterzukriegen.“
„Du spinnst auch. Warum kaufst du immer so viel? So einen Berg Klamotten braucht kein Mensch!“
„Doch, ich brauche das! Ich glaube, ich packe ein Paket und schicke es heim. Also, Klamotten, die ich nicht mehr so häufig trage. Vermutlich werde ich eine Liste anlegen.
Außerdem, du brauchst gar nichts sagen, mit deinen Traumfängern über dem Bett!“
Ich streckte ihr nur die Zunge raus, während sie auf ihrem Schreibtisch-Chaos nach einem Block suchte, auf dem sie ihre Liste verfassen würde.
Ich streckte mich auf meinem Bett aus. Viel gemütlicher, als das Gästebett bei meinen Eltern. Außerdem hatte ich meine Kissen und Traumfänger hier.
Ich wohnte in einem teuren Privatinternat, dem ein Gymnasium angeschlossen war. Dem Luise-Van-Helsen-Gymnasium – kurz LVHG. Dort gingen nur die Internatsschüler zur Schule. Es waren somit kleine Klassen und jeder wurde optimal gefördert. Zusammen mit Lia hatte ich ein Zimmer im zweiten Stock des Internatsgebäudes. Gegenüber unserer Tür war die Tür zu dem Zimmer unserer besten Freundinnen Jasmin und Isabella, die alle Isobello nannten.
Wir durften unsere Zimmer beliebig einrichten. Nicht streichen, nur einrichten. Aber Bilder durften wir an die Wände hängen und ich somit meine Traumfänger, Lia dafür ihre Modebilder. Sie war leidenschaftliche Fashionista und manchmal nähte sie auch selbst. Zu diesem Zwecke stand in unserem Zimmer auch ein originaler Vintage-Nähtisch, auf den Lia sehr stolz war. Während sie jedoch ansonsten weniger Wert auf die Einrichtung ihrer Zimmerhälfte legte, da sie sich mehr um die Einrichtung ihres Kleiderschrankes sorgte, liebte ich es umso mehr, meine Hälfte des Zimmers so originell und gemütlich wie möglich zu gestalten. Die kleinen Dinge waren es, die meinen Stil ausmachten. Zum Beispiel die bunte Lichterkette, die ich um das Eisengerüste meines Bettes gewickelt hatte und die vielen Kissen darin. Rot und Weiß waren meine Farben. Blumenmuster liebte ich, zumindest in der Einrichtung.
Meine andere Leidenschaft war die Fotografie. Deswegen hingen an unseren Zimmerwänden auch so viele Bilder von uns Vieren. Der ganze Stolz meiner Wenigkeit waren eine Spiegelreflexkamera und eine Polaroid.
„Ach so ein verdammter Mist, ich hab meinen Block glaub ich zu Hause vergessen. Kann ich deinen haben, Flora?“
„Nur ein Blatt. Ich brauch ihn doch selber. Oder kauf dir einen bei Merid.“
„Morgen oder so. Und hast du meinen rosa Stift gesehen?“
„Den hast du dir in den Dutt gesteckt“ sagte ich seufzend. Sie war so unglaublich schusselig, das konnte ihr kein Mensch der Welt nachmachen. Aber sie war dennoch unglaublich liebenswert.
„Sind die anderen überhaupt schon wieder da?“ fragte ich Lia.
„Die sind schon längst vor dir gekommen. Du warst die Letzte, wie immer. Isobello ist gleich in die Stadt gerannt, weil sie ihr Raumspray vergessen hat und sie sich einbildet, ohne den Duft von Lavendel auf ihrem Kissen nicht einschlafen zu können. Jedenfalls will sie eines kaufen. Aber ich glaub nicht, dass sie ihr tolles Wässerchen bekommt.“
„Lässt sie das nicht immer aus Paris importieren? Warum haben alle meine Freundinnen einen Schlag?“
„Geht’s noch? Schau dir mal deinen Schuhschrank an und dann sag das nochmal.“
In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Jasmin kam hereingestürmt. Ihre Haare leuchteten rot.
„Ich glaub ich muss Isobello umbringen!“
„Hat sie ihren Raumduft nicht bekommen?“ fragte Lia, ohne von ihrer Liste hochzusehen.
„Nein, und deswegen hat sie 10 andere mitgebracht, weil es keinen einzigen gab, der nach Lavendel duftet! Dafür Tausend andere. Unser Zimmer riecht wie ein Obstsalat! Zum Glück ist sie nochmal los, weil sie noch was vergessen hatte. Räucherstäbchen oder so“
Lia und ich brachen in wilde Gelächter aus. Zum Glück hatte Lia einen Klamottentick und keine Probleme mit schlechten Gerüchen, dachte ich ziemlich froh.
„Das. Ist. Nicht. Witzig“ sagte Jasmin verärgert und warf sich neben mich auf mein Bett.
„Seit wann hast du rote Haare?“ fragte ich sie „Sie sehen super aus!“
„Danke. Seit einer Woche. Aber die Farbe verblasst viel zu schnell, glaube ich. Eigentlich habe ich sie rotbraun getönt, aber mit meinen blonden Naturhaaren hält so eine Farbe nicht lange. Und jetzt sind sie schon richtig rot! Bald werden sie kupferfarben. Ich glaube, ich muss mir ein anderes Shampoo kaufen und nachtönen.“
„Na dann hoffe ich mal, dass du euren Badezimmerteppich nicht gleich mittönst“ meldete Lia sich zu Wort.
Hatte ich erwähnt, dass jedes Zimmer auch über ein Bad verfügte? Für diesen Luxus zahlten unsere Eltern natürlich dementsprechend.
„Wann ist Isobello eigentlich losgegangen?“ fragte ich die anderen beiden.
„Vor einer halben Stunde. Da hat sie sich zumindest bei Merid abgemeldet. Ich war in der Zeit bei ihr im Laden und habe mir die Shampoos angesehen. Nichts Brauchbares. Aber ich wollte auf dich warten, ansonsten wäre ich wahrscheinlich mit Iso in die Stadt gegangen.“
Ich nickte und sah zu, wie Jasmin sich meine Kamera nahm und die Bilder von unserer Weihnachtsfeier durchsah.
Der Laden, von dem Jasmin gesprochen hatte, gehörte Merid und man konnte dort einige Schreibwaren, Kosmetikprodukte und Zeitschriften kaufen. Er befand sich in der Lobby des Internates, direkt neben unserem Schülercafé. Außerdem musste man sich bei Merid abmelden, wenn man das Gebäude verlassen wollte und anschließend, kehrte man zurück, wieder anmelden.
„Hat Merid die neue Vogue?“ fragte Lia Jasmin aufgeregt. Lia liebte die Vogue. Sie schnitt sich liebend gerne Looks aus und hängte sie an freie Stellen in ihrer Zimmerhälfte: an den Spiegel, den Schrank, auf Collagen an der Wand neben ihrem Bett. Auch auf ihren Schulsachen waren Vogueartikel zu finden.
„Nein, ich habe extra geschaut, weil ich ein paar von den Haarzeitschriften für Friseure gekauft habe. Ich muss mich genauestens über meine roten Haare informieren, damit ich gegen alles gewappnet bin. Habt ihr gewusst, dass Henna deutlich weniger aggressiv ist? Vielleicht sehe ich mir das mal näher an, wer weiß.“
Lia war sichtlich enttäuscht und setzte sich auf ihr Bett. Dabei fiel ihre Handtasche herunter und ein Päckchen kullerte heraus.
„Oh, ich Schussel. Das hab ich ja ganz vergessen! Ich habe euch was aus Südafrika mitgebracht! Aber ich gebe es euch erst später, wenn Iso wieder da ist!“
„Lia, du bist zwar ein Schussel, …“
„… aber dafür sehr süß!“ beendete Jasmin meinen Satz.
Und Lia steckte sich grinsend eine irrer wirren Locken mit einer Haarnadel weg.
„Na, Mädels! Habt ihr alle schon fertig ausgepackt? Bald gibt es Abendessen und direkt danach ist eine Vollversammlung bei der wie jedes Jahr nach Weihnachten sämtliche neue Veranstaltungen, Neuzugänge und so weiter vorgestellt werden. Aber euch brauch ich das ja nicht erzählen.“
Das war Marva, unsere Betreuerin. Sie ist für unsere Etage verantwortlich und kümmert sich um alles, was nicht mit Schule zu tun hat. Für uns ist sie Ansprechpartnerin bei allen Problemen und Aufsichtsperson, damit auch jedes Zimmer zu der bekannten Uhrzeit die Nachtruhe einhält und keiner alkoholische Getränke oder Drogen auf dem Zimmer bewahrt.
Bezüglich der Nachtruhevorschrift, welche besagt, dass nach 22.00 Uhr Ruhe herrschen und sich möglichst jeder auf seinem eigenem Zimmer befinden soll, haben wir einen kleinen Deal mit ihr. Lia, Jasmin, Iso und ich durften auch nach 22.00 Uhr noch in ein Zimmer der jeweils anderen. Der Grund dafür war mein Bruder. Aber dazu später mehr.
„Alles klar, Marva. Wie waren deine Ferien?“ fragte ich.
„Urlaub bei meinen Großeltern in Österreich, verschneite Abende vor dem Kamin, äußerst entspannender als mit euch“ grinste sie, aber wir wussten, dass sie es nicht ernst meinte.
Außerdem bekommt sie nur von uns Neuigkeiten über meinen Bruder. Marva ist nämlich nicht die allererfahrenste im Umgang mit Jungs und sie versucht sich deshalb über mich an ihn ranzumachen, nachdem sie ihn auf der Sommerfeier kennengelernt hatte, zu der er mich besucht hatte, bevor er nach Finnland gegangen ist. Auch dazu später mehr.
In dem Moment ertönte ein Kreischen aus Jasmins und Isobellos Nachbarzimmer.
Wir sahen uns an und verdrehten die Augen. Die Walden-Jones Zwillinge Fiona und Allison. Sie legten sehr viel Wert darauf, dass sie aus einer alten englischen Adelsfamilie stammten und zogen sich auch so an. In ihrem Schrank bewahrten sie einige Tausend Euro auf. Allerdings in Form von Kleidern. Chanelkostümen, um genau zu sein.
Wir hassten sie alle. Seit wir denken konnten. Der Grund dafür war wohl, als Allison sich einmal über Lias extravaganten Kleidungsstil beschwert hatte. Sie wolle nicht mit einer solchen Person in einer Klasse unterrichtet werden.
Und Isobello, die nie die Klappe halten konnte, sprang natürlich gleich auf und hielt ihr eine Predigt. So wie immer, wenn es ihrer Meinung nach nicht gerecht zuging.
Marva verdrehte auch die Augen, bevor sie hinüberhechtete.
„Was haben diese Spinnerinnen denn nun schon wieder? Hoffentlich ist Allison ihr speziell angefertigtes iPhone ins Klo gefallen. Hey, Flora, auch endlich da?“ lästerte Iso als sie endlich von ihrem Stadttrip zurückgekommen war.
„Hey, Iso! Oder Fiona hat sich ihren pinken Nagellack über das weiße Chanelkostüm gekippt!“ grinste ich.
„ Hast du noch mehr Luftverpester mitgebracht?“ wollte Jasmin mürrisch wissen.
„Ich hab da so ganz tolle Räucherstäbchen mit Lavendelduft gefunden. Die ganz ich zwar nicht aufs Kopfkissen sprühen, aber dafür hab ich ja 15 andere. Irgendeines werde ich schon finden, zu dem ich schlafen kann.“
„15?! Ich dachte das waren nur 10! Du spinnst, Iso, willst du mich umbringen?“
„Ich dachte, du wolltest sie umbringen?“ warf Lia ein.
„Stell dich nicht so an, so schlimm ist es nicht und wenn wir das Fenster über Nacht offenstehen lassen, zieht auch der Dunst raus“
Jasmin klappte der Unterkiefer nach unten.
„Welcher Dunst?“ wollte sie hysterisch wissen.
„Ähm, der von, also ein paar Düfte musste man, also die funktionieren nur gut, wenn die Luftfeuchtigkeit höher ist, dann verteilen sich ihre Duftstoffe besser und dann hab ich halt“
„WAS HAST DU GETAN?“
„Man Jasmin, jetzt reg‘ dich doch nicht gleich so auf. Du solltest dich mal hören. Ich hab die Dusche auf heiß gestellt und die Badezimmertür aufgelassen, damit der Dunst in unser Zimmer zieht“
„Entschuldigung, ich stehe aber nicht darauf, in den nach Obstsalat stinkenden Tropen schlafen zu müssen! Und außerdem ist das auch mein Zimmer. Ich habe auch einen Anspruch und ein Recht auf ein Leben in Würde und Gerechtigkeit. Das ist doch auch dein Spezialgebiet, oder nicht?“
„Ich sag doch, der Dunst zieht raus, wenn wir über Nacht…“
„Du machst das Fenster sofort auf und sorgst dafür, dass der Dunst rauszieht, oder, oder ich schlafe heute Nacht hier“
„Ist ja gut, ist ja gut. Ich regle das schon, keine Sorge“
Sie setzte mich mit zu mir auf das Bett. Sie setzten sich immer zu mir aufs Bett, da Lias zu unordentlich war.
„Also, Leute, ich habe einen Mordshunger. Wollen wir schon mal vorgehen?“ fragte ich.
Die anderen stimmten einstimmig zu.


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Tag der Veröffentlichung: 10.09.2011

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