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Prolog

Mein Fuß rutschte auf dem schmalen, steinigen Pfad ab und mit einem unwirschen Fluch landete ich auf meinem Hintern. Ein stechender Schmerz fuhr mir vom Fußknöchel hinauf bis zur Hüfte und ich packte meinen Oberschenkel mit beiden Händen, die Zähne so fest zusammen gebissen, dass sie hörbar knirschten, um keinen weiteren Laut von mir zu geben.

Damit fing mein Urlaub in Schottland ja schon mal gut an. Mein zweiter Tag in den Highlands und schon hatte ich es geschafft, mir Schmerzen einzuhandeln. Ein ganzes Jahr lang hatte ich gespart, um mir drei Wochen in der hügeligen Landschaft dieses alten und traditionsreichen Landes zu gönnen. Als Pferdewirt auf der grünsten aller Inseln, Irland, verdiente ich nicht viel, aber ich ging meiner Leidenschaft nach und für mich war das schon immer am Wichtigsten gewesen. Den Gedanken an meine Chefin, die nun gar nicht begeistert von meinem Urlaub war, schob ich energisch beiseite, ebenso wie den an meine vierbeinigen Schützlinge. Jetzt wollte ich nur noch entspannen und mal etwas anderes genießen, als immer nur die Eintönigkeit meines restlichen Lebens.

Es musste doch etwas zwischen aufstehen, im Stall arbeiten und schlafen geben. Ein kleiner Leckerbissen, ein winziges Abenteuer. Meines war dieser Urlaub und den wollte ich ohne Verletzungen verbringen. 

Mürrisch rieb ich mein Bein, während der Schmerz langsam nachließ und stand vorsichtig auf. Noch zog es etwas in meiner Kniekehle, aber ein wenig laufen brachte das auch sicher wieder in Ordnung.

Von meinem Fenster in der kleinen, sehr ländlich gelegenen Herberge hatte ich das schillernde blau eines Sees entdeckt und einen kleinen Spaziergang dorthin unternehmen wollen. Der Weg war länger als anfangs vermutet und führte über einen schmalen, mit losen Steinen bedeckten Pfad, den ich nicht mal als solchen bezeichnen würde. Immerhin löste er sich unter meinen Füßen in Geröll auf.

Energisch klopfte ich Dreck, Staub und getrocknete Grashalme von meiner verwaschenen Jeans, die eine Nummer zu groß locker auf meinen schmalen Hüften saß und ging deutlich langsamer und vorsichtiger weiter.

Die Umgebung war fantastisch und jeden Pfennig wert, den ich dafür zahlte. Unter dem hier scheinbar doch seltenen Sonnenschein schweifte mein Blick über die großzügigen Hügeln, die mit dichtem, grünen Gras bewachsen waren, zwischen dem immer wieder ganze Flächen von Wildblumen hervor guckten.

Tief sog ich die nach Blumen und auch Heu riechende Luft ein und genoss die Wärme auf meiner bleichen Haut. Von Natur aus wurde ich selten braun, außer ich handelte mir einen Sonnenbrand ein, nach dem ich Angst vor Hautkrebs hatte. Vom ersten Augenblick an hatte ich mich in diese Gegend verliebt und bereute es jetzt schon ein wenig, wieder fahren zu müssen.

Plötzlich drang ein lautes Platschen an meine Ohren, als wäre etwas schweres ins Wasser gefallen. Die erstickten Laute, die beinahe sofort folgten, jagten mir einen Schrecken ein. Es klang, als würde jemand ertrinken. Sofort waren die Schmerzen in meinem Bein vollkommen vergessen und ich rannte los, der Pfad unter mir löste sich in seine Bestandteile auf. 

Stolpernd und fluchend kürzte ich den Weg zum Ufer durch ein paar niedriger Büsche ab, Dornen stachen durch meine Kleidung und zerkratzten mir die Haut. Dreck und kleine Steine spritzen ins Wasser, als ich schlitternd am steinigen Ufer zum Stehen kam und mich suchend nach der Quelle der Geräusche umsah.

Es war kein Mensch, der zu ertrinken drohte, sondern ein Pferd, ein ausgesprochen hübsches Pferd sogar, dass beinahe bis zum Widerrist im dunkelblauen Wasser stand und allem Anschein nach weder vor noch zurück konnte. Hinter ein paar fluffigen, weißen Wolken brach die Sonne hervor und schickte ihre Strahlen zu Boden, ließ die Wasseroberfläche glitzern und brachte das rotgoldene Fell der Stute zum Leuchten. So eine Farbe hatte ich noch nie gesehen, sie erinnerte mich an wilden Honig, auch wenn sie durch die Nässe verdunkelt wurde.

Mir zog sich das Herz in der Brust zusammen und in mir stieg das Verlangen auf, dem Tier zu helfen. Panische, abgehackte Laute drangen aus seinen Nüstern und sie schlug immer wieder mit dem Kopf, Schaum tropfte von ihrem Maul.

Eilig zog ich mein Handy aus der Tasche und streifte die Uhr von meine mageren Handgelenk, um sie auf einen größeren, dafür aber ziemlich flachen Stein zu legen.

Beides war nicht wasserfest und neu kaufen wollte ich es auch nicht unbedingt. 

Meine schwarze Sweatjacke folgte genau wie der Schlüssel zu meinem Zimmer in der Herberge auf dem Fuß, bis ich nur noch in Jeans, T Shirt und meinen heiß geliebten kirschroten Sneakern, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatten, am See stand.

Langsam tappte ich ins Wasser und prallte beinahe augenblicklich wieder zurück. Obwohl das Wasser einladend glitzerte, war es kalt wie Eis und meine Muskeln zogen sich schon beinahe schmerzhaft zusammen. 

Zischend sog ich die Luft zwischen den klappernden Zähnen ein und ballte die zitternden Hände zu Fäusten, wie konnte man Tiere nur so sehr lieben?

Immer wieder stockte mir der Atem in der Kehle und ich biss mir fluchend auf die Unterlippe, während meine Füße sich den Weg über den sandigen Boden bahnten. Ich konnte nicht sehen, wo genau ich hintrat und musste mich auf mein zweifelhaftes Glück verlassen.

Als ich so nahe bei dem Pferd stand, dass ich das Weiße in den panisch aufgerissenen Augen sehen konnte, reichte das Wasser mir knapp bis zur Brust und meine Beine fühlten sich taub an. 

"Ganz ruhig, Hübsche", flüsterte ich leise und hob eine bebende Hand, um sie auf den fein geschnittenen Kopf zu legen. Schnaubend riss sie den Kopf hoch, die Zügel ihres Zaumzeugs peitschen durch das Wasser und ich zog schnell die Hand zurück.

Ich hatte die Angewohnheit, allen Tieren Namen zu geben, in Gedanken hatte ich sie schon Honey genannt.

Lockend schnalzte ich mit der Zunge und startete einen zweiten Versuch, die Zügel zu ergreifen.

"Komm schon, Honey, ganz ruhig. Ich tue dir nichts. Ist doch viel zu kalt hier im Wasser."

Mühsam kämpften sich die Worte durch meine klappernden Zähne hindurch und zum ersten Mal schob Honey mir ihre grauen Nüstern zu. Ihr warmer Atem strich über meine Haut und sachte berührte ich mit den Fingerspitzen den edel gewölbten Hals. Vielleicht hatte sich eine Schlingpflanze um ihren Hinterhuf gewickelt, eigentlich waren Pferde schlau genug, selbst aus einem See zu kommen. Die Finger meiner freien Hand schlossen sich um die Zügel.

Und mit einem Schlag änderte sich alles. Meine langjährige Erfahrung mit Pferden hatte mich blind für jegliche Gefahr werden lassen, auch wenn das, was als nächstes passierte, niemand hatte ahnen können.

Die nassen Strähnen ihrer brustlangen Mähne wickelten sich langsam wie Schlangen um mein Handgelenk, schnitten in meine Haut und hielten mich fest. Mein Herz sprang mir bis zur Kehle hinauf und mit einem leisen Schreckenslaut wich ich zurück, aber die Mähne hielt mich fest, egal wie sehr ich zog und zerrte.

Trotzdem hielt ich die Zügel weiter fest, als hinge mein Leben davon ab.

Plötzlich löste sich die Blockade, die meine Stimmbänder gelähmt hatte.

"Hilfe! Verdammt, ich brauche Hilfe!"

Aufgeschreckt von meinem gellenden Schrei schossen ein paar Vögel aus den Büschen am Ufer auf und verschwanden in Richtung der Hügel.

Doch in dieser Einöde war niemand, der meine Rufe hätte hören können.  So wenig bewegungsfreudig sich Honey eben noch gezeigt hatte, so schnell handelte sie jetzt. Bevor ich handeln, mich wehren konnte, riss sie mich nach vorne und sprang selbst zurück. Meine Füße verloren ihren sowieso schon fragwürdigen Halt auf dem losen Sand- und Steingemisch und mit einem lauten Klatschen durchbrach ich die Wasseroberfläche. Gähnende Stille umhüllte mich und die eisige Kälte drang durch meine Haut, fraß sich durch meine Adern und raubte mir den Atem. Ich war wie gelähmt in dieser Schwerelosigkeit und konnte nichts anderes zu tun, als hilflos zu fühlen, wie es mich in die schwarze Tiefe zog. 

Das alles hier ging weit über meinen Verstand hinaus. Ein Pferd, ein scheinbar normales Pferd zog mich in die Untiefen eines Sees, meine Hilfsbereitschaft würde mir diesmal das Leben kosten.

 

1. Kapitel

Doch ich starb nicht. Meine Knie stießen plötzlich auf steinigen Untergrund, scharfkantig bohrten sich die Steine in meine Haut und in einem letzten verzweifelten Akt der Hoffnung hob ich den Kopf.

Kühle, lebensspendende Luft strich über meine Haut und ich spuckte hustend und würgend Wasser aus.

Meine Lungen brannten und zogen sich krampfhaft zusammen, während das Wasser in Strömen aus meinen Haaren und meiner Kleidung lief.

"Verdammt!", fluchte ich und meine Kehle zog sich schmerzhaft zusammen. Das alles war doch kaum zu glauben.

Blinzelnd öffnete ich die Augen und sah mich um,  noch immer nach Luft ringend.

Vor mir erstreckte sich ein schmales Stück Waldlichtung, das in ein seichtes Stück Ufer über ging. Hinter der Lichtung erhoben sich die Bäume zum Himmel und schluckten das Licht der Sonne.

Verwirrt erhob ich mich und stolperte aus dem nur noch knöcheltiefen Wasser. Hinter mir hörte ich Honey leise Schnauben und warf ihr einen wütenden Blick über die Schulter hinweg zu.

"Das hier ist alles deine Schuld!"

Anklagend blickte ich sie noch einen Moment lang an, bevor ich mich wieder umsah, nach einem Zeichen für Zivilisation oder zumindest einem Zeichen, wo genau ich war.

Diese Umgebung war mir völlig fremd und ich konnte mich auch nicht daran erinnern, in einen Fluss gefallen zu sein. Mit einer Hand wischte ich mir die schwarzen Haare aus den Augen und lief ein kleines Stück über die Lichtung, suchte weiter nach Anhaltspunkten, wo ich war, doch ich fand einfach keine.

Hier gab es nichts außer Honey, den Bäumen, dem schmalen Fluss, ein paar zwitschernder Vögel und mir. Ich war alleine und hilflos. Honey stiefelte zielstrebig ans Ufer und senkte gelassen den Kopf, um an ein paar Grashalmen zu zupfen. Nun wirkte sie vollkommen normal, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Was zum Teufel war sie nur? Ein normales Pferd konnte sie nicht sein, dass glaubte ich nicht. Kein normales Pferd hätte einen erwachsenen Mann auf einen Tauchgang mitgenommen.

Verzweifelt raufte ich mir die Haare und wandte den stattlichen Bäumen hinter mir den Rücken zu, ich musste Ruhe bewahren. Doch das war leichter gesagt als getan, während meine Hände zitterten, meine Lunge noch schmerzte und das Herz mir in die Gegend meiner Kehle sprang.

Zitternd biss ich mir auf die Unterlippe und mein Blick streifte erneut Honey. Für einen Moment hatte ich das irrationale Verlangen, der Stute eine Szene zu machen, immerhin war sie an der ganzen Situation überhaupt erst Schuld.

Das Schicksal schien mich an diesem Tag wirklich zu hassen, denn aus dem Nichts legte sich plötzlich ein starker Arm um meine Brust und hielt mich fest, während etwas kaltes und spitzes sich in die weiche Haut an meinem Hals bohrte. Ich erstarrte und hielt die Luft an, vor Schreck weiteten sich meine Augen und Eiswasser schien durch meine Adern zu fließen.

"Dé tha an t-ainm ort?", zischte mir eine fremde, deutlich männliche Stimme ins Ohr, warmer Atem strich über meine Wange und die Spitze der Klinge bohrte sich etwas tiefer in meinen Hals.

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich froh, ein waschechter Ire zu sein, der gälisch bereits mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Krampfhaft versuchte ich zu schlucken und leckte mir über die trockenen Lippen, während ich ergeben die Hände hob.

"Ich heiße Diarmid und wenn du mich überfallen möchtest, schön, aber bitte lass mich am Leben."

Meine Stimme kickste merklich beim Sprechen und ich zuckte zusammen, als das Metall noch einmal tiefer zu drückte.

Der Mann war in der deutlich besseren Situation, seine Hand mit dem Messer zitterte nicht, was mich darauf schließen ließ, dass er das hier schon öfters getan hatte.  Es brauchte nur eine falsche Bewegung von mir und mein Blut würde den Boden bedecken.

Innerlich flehte ich zu allen bekannten und unbekannten Göttern um mein Leben. 

"Ich will dich nicht bestehlen. Aber wenn jemand so nahe an unserem Lager herumstreunt, erweckt das mein Misstrauen. Was treibst du hier so allein im Wald, Diarmid?"

Ich hasste von der ersten Sekunde an, wie er meinen Namen betonte. Als wäre er eine schreckliche Beleidigung und ich verzog leicht das Gesicht. Dieser Tag war für mich ganz sicher gelaufen.

"Ich bin beinahe ertrunken, der Gaul ist daran Schuld", erwiderte ich leise und deutete mit einer Hand in Richtung Honey, die unschuldig neben dem Ufer stand.

Für einen Moment hielt der Mann mich noch in dieser Umklammerung, ehe er mich ruckartig los ließ und ich nach vorne taumelte.

Wimmernd rieb ich mir den Hals und drehte mich zu meinem Angreifer um. Vor Überraschung blieben mir die Worte im Hals stecken. Wir waren gleich groß, seine rotbraunen Haare fielen ihm zottig bis auf die Schultern. Bis dahin sah er normal aus, es war seine Kleidung, die mich stutzen ließ.

Vielleicht gehörte er einer Live- Rollenspielgruppe an, denn er trug traditionell keltische Kleidung, von den Stiefeln, über die weiten Wollhosen bis hin zum schweren, braunen Umhang.

Grinsend drehte er einen Dolch zwischen seinen Fingern und mir jagte ein kalter Schauder den Rücken hinab.

"Gibst du deinem Pferd an allem die Schuld? Ein schönes Tier, hast du es gestohlen oder ist es doch das deine?"

Anerkennend glitten seine grauen Augen über Honey, von dem fein geschnitten Kopf bis hin zur kräftigen Kruppe.

"Ich...nein, sie hat mich ins Wasser gezogen. Du kannst mir glauben, ich bin froh, nicht ertrunken zu sein."

Misstrauisch musterte ich ihn von oben bis unten, er musste doch sehen, dass ich nicht zum Spiel gehörte und Hilfe brauchte. Als hätte er meine Gedanken gelesen, fasste er plötzlich meine Kleidung ins Auge und deutete mit der Dolchspitze in meine Richtung.

"Was trägst du für Fetzen am Leib? Solche Stoffe habe ich noch nie gesehen."

Ein wenig beleidigt zog ich am Saum meines klatschnassen Shirts und schlang die Arme um mich. Langsam frischte der Wind auf und mir wurde in meinen Sachen kalt. Gerade er musste von komischer Kleidung reden. Trotzig schob ich das Kinn vor und zog die Augenbrauen zusammen.

"Tut mir leid, dass ich nicht bei eurem Live- Rollenspiel mitmache, ich will nur noch in die Herberge zurück."

Meine Worte schienen falsch gewesen zu sein, denn er bleckte wütend die Zähne und schüttelte den Kopf.

"Hast du einen Schaden erlitten, als du im Wasser warst? Wovon in der Götter Namen redest du?"

Maßlos verwirrt sah ich ihn an und öffnete ratlos den Mund. Was war hier los? Warum benahm er sich so seltsam, warum gab es kein Zeichen von Zivilisation hier? Nervös rieb ich mir die Hände und trat leicht auf der Stelle. Dies könnte der Naturpark sein, den es in der Nähe von Cannich gab, aber der war erschlossen und gepflegt. Alles hier sah dagegen verwildert aus.

"Wer bist du? Wo sind wir? Welche Zeit haben wir?"

"Du kannst mich Coll nennen und wir sind in den Wäldern Schottlands. Loch Beinn a'Mheadhain liegt ungefähr sieben Tagesritte von hier. Wir haben vor einer Weile Beltane begannen. Du scheinst mir sehr aufgewühlt zu sein."

Colls bis eben noch abweisende Miene wechselte schlagartig zu besorgt und er trat entschlossen einen Schritt auf mich zu. Der Dolch verschwand in einer Falte seines Mantels und er fasste energisch nach meinen Schultern, um mir suchend in die Augen zu sehen.

Sein intensiver Blick machte mich nervös und ich lehnte mich so weit zurück, wie es ging.

Die brennende Hitze seiner Haut war unangenehm auf meiner ausgekühlten Haut.

"Du hast eine interessante Augenfarbe", stellte Coll fest und ließ mich wieder los. Erleichtert atmete ich auf und rieb mir mit beiden Händen über die Arme.

"Gelb habe ich bei Menschen noch nie gesehen, nur bei einem Hund aus meiner Kindheit in Cúige Uladh. Wobei... obwohl du der gälischen Sprache mächtig bist, denke ich nicht, dass du von hier stammst. Du dürftest die Provinz unter dem Namen Ulster kennen."

Bei der Erwähnung meiner eigenen Heimat musste ich trotz der Umstände lächeln. In mir stieg jedoch bei der Erwähnung dieser historischen Provinz ein schrecklicher Verdacht auf, der schon eine Weile in meinem Hinterkopf herum spukte.

Es soll sie geben, die Welternwandler und Reisende in der Zeit, mich hatte immerhin ein Pferd unter Wasser gezogen, aufgetaucht war ich in einem Fluss, sieben Tagesritte von meinem Ausgangspunkte entfernt, dann Coll mit seiner Kleidung und der Kindheit in dem Bereich Irlands, den es so heute nicht mehr gab. Im Moment war ich bereit vieles zu glauben.

"Ich stamme ebenfalls aus Cúige Uladh, aus der Nähe von... Tir Chonail."

Gerade noch rechtzeitig fiel mir die alte Bezeichnung für die Grafschaft ein, aus der ich kam. Freudig leuchteten Colls Augen auf und er winkte mich zu sich.

"Ein Landsmann! Viele von uns stammen aus Eire. Komm, ich führe dich in unser Lager, wir haben sicher etwas zu essen und trockene Kleidung für dich."

Lachend trat Coll zwischen die Bäume, aus denen er eben so plötzlich erschienen war und ich beeilte mich ihm zu folgen. Niemand kümmerte sich um diesen Wald, wir folgten einem schmalen, mit Wurzeln durchzogenen Wildpfad, der mich immer wieder stolpern ließ.

Als hätte man Honey an mich gekettet, folgte sie uns in den Schatten der Bäume, immer einen Schritt hinter mir.

Immer tiefer gingen wir in den Wald und bei jedem Schritt wurde ich nervöser. Mein Puls beschleunigte sich von selbst, als aus der Dunkelheit heraus leise Stimmen zu uns vordrangen, begleitet vom Knistern eines Feuers.

Dies war weder meine Zeit, noch meine Welt und ohne Coll war ich mir sicher, würde ich schneller draufgehen, als mir selbst lieb war. 

Schutzsuchend griff ich hinter mich und nach Honeys Zügeln, sie war die letzte, schwache Verbindung zu meiner Realität, auch wenn ich im Moment noch sauer auf sie war.

Coll bog ein paar tief hängender Äste zur Seite und über seine Schulter hinweg erhaschte ich einen kurzen Blick auf eine Gruppe von vielleicht zehn Männern, die sich alle um ein Feuer geschart hatten.

"Ich habe jemanden aus Cúige Uladh am Fluss gefunden und ihm unsere Gastfreundschaft angeboten."

In seiner Stimme schwang ein Hauch Unsicherheit mit, der mich befürchten ließ, dass er unüberlegt gehandelt hatte. Würden sie mich vertreiben, hatte ich keine Ahnung, was ich tun sollte.

Nur einer der Männer am Feuer erhob sich ruckartig und streifte die Kapuze seines grauen Umhangs zurück, dabei enthüllte er eine wahre Löwenmähne an tiefschwarzen Locken, die bis zur fein geschwungenen Linie seines Kiefers reichten. Die Spitzen war ausgefranst und unterschiedlich lang, so als hätte er sie selbst mit einem stumpfen Messer geschnitten.

Begeistert war er nicht von mir, sein Blick sprach Bände, als er abwechselnd von Coll zu mir sah. Die anderen sahen schweigend zu, keiner machte Anstalten etwas zu sagen oder zu tun.

Förmlich aufgespießt von seinem Blick schaffte ich es nicht, ihn lange anzusehen, schließlich drehte ich den Kopf und sah zur Seite, bis ich nur noch Coll und Honey in meinem Blickfeld hatte. Die beiden wollten mich wenigstens nicht umbringen, jedenfalls Coll wollte es nicht.

"Du bringst immer die dahergelaufensten Straßenköter mit,  Coll. Du hast kein Recht, jemanden unsere Gastfreundschaft anzubieten. Jeder Fremde könnte uns das Leben kosten. Wir sind nirgendwo sicher und müssen vorsichtig sein, wir sind Fianna. Wer ist er überhaupt, was will er?"

Obwohl er uns die Worte förmlich entgegen spuckte, klang es wie eine Belehrung und Coll senkte beschämt den Kopf. Ich kannte die Fianna nur von Erzählungen her, früher waren es Kriegertruppen gewesen, Söldner, die durch's Land zogen. Ob er die Frage an mich oder Coll gerichtet hatte, wusste ich nicht, aber ich wollte ihm weiteren Ärger ersparen und antwortete so schnell, dass meine Stimme sich überschlug.

"Mein Name ist Diarmid, Coll hat mich nur gefunden. Ich will euch weder verraten, noch euch zur Last fallen."

"Er wäre nicht der Erste, dem wir unsere Hilfe anbieten würden. Du selbst hast gesagt, es wäre nur rechtens, Schwachen zu helfen, Cathal."

Zitternd leckte ich mir über die Lippen, als ich einen Blick auf Cathal warf und sah, wie sein Gesicht noch finsterer wurde. Seine ganze Ausstrahlung sprach von Abneigung und Aggressivität und jeder in seiner Nähe wusste sofort, ob er erwünscht war oder nicht. Und ich war es ganz sicher nicht.

Schließlich schnalzte Cathal gereizt mit der Zunge und ruckte leicht mit dem Kopf.

"Dein Pferd kannst du bei unseren anbinden. Da Coll sich so sehr für unsere Gastfreundschaft dir gegenüber ausgesprochen hat, kann er die Verantwortung für dich übernehmen."

Mit einem letzten, vernichtenden Blick auf mich, wandte Cathal sich um und ging, gefolgt von seinen Männern. Es blieben nur zwei Männer zurück, die sich von der Situation sichtlich erheitern ließen.

Erleichtert atmete Coll auf und ein leichtes Lächeln stahl sich wieder auf seine Lippen. Normalerweise hasste ich solche Frohnaturen, sie waren anstrengend und neben ihnen wurde ich nur noch schlechter gelaunt, aber er bildete da eine Ausnahme. Ich hielt den Kopf gesenkt, als ich Honey zu der kleinen Gruppe Pferde führte, die man abseits des Feuerscheins an die Bäume gebunden hatte. Sie sahen nicht einmal auf, als ich Honeys Zügel um einen stärkeren Ast schlang.

Ein letztes Mal strich ich über ihr helles Fell und ging unsicheren Schrittes zurück zum Feuer, an das sich Coll zu den anderen gesetzt hatte. Hier war ich der Fremde und mir graute es schon vor dem nächsten Tag.

"Hier, nimm und iss. Ich bin Padraick. Mach dir keine Gedanken, nicht jeder hier ist wie Cathal."

Ein schlaksiger, junger Mann mit spitzem Gesicht, vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als ich, hielt mir eine Holzschale entgegen. Noch wollten sich meine Stimmbänder nicht lösen, dass alles hier raubte mir die Stimme. Also schenkte ich ihm lediglich ein dankbares Lächeln, nahm den Napf entgegen und sank neben Coll zu Boden.

Ich fror entsetzlich in meinen nassen Klamotten, daran änderte das Feuer auch nicht viel. Sachte klapperte der Löffel am Rande der Schüssel, als ein weiterer Schauder über meinen Körper lief, und Coll musterte mich nachdenklich.

"Ein paar meiner Kleidungsstücke sollten dir passen. Du holst dir so nur den Tod."

Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob Coll sich und verschwand lautlos in der Dunkelheit. Kaum war er weg, nahm Padraick seinen Platz neben mir ein und schlang die Arme um die langen Beine, während ich widerwillig den Getreidebrei löffelte. Er war fade, füllte aber den Magen und er war warm, beides Dinge, die für ihn sprachen.

"Nimm Cathal sein Misstrauen nicht übel. Er hat uns allen geholfen, uns eine Familie und Aufgaben gegeben. Einen Platz im Leben. Die Zeiten sind auch keine guten für Fianna. Beinahe alle wollen uns töten, manchmal selbst jene, die uns bezahlen. Coll zum Beispiel hat seine ganze Familie an eine Seuche verloren, danach wollte er Heiler werden. Ihm fehlte die Geduld und am Ende landete er auf der Straße. Cathal hat ihn gefunden und aufgenommen."

Als hätte man seinen Namen einmal zu oft gesagt, erschien Coll hinter Padraick und trat ihm leicht in die Rippen, während er ein Bündel Stoff neben mir auf den Boden fallen ließ.

"Du solltest weniger reden. Manches muss man nicht gleich jedem offenbaren", knurrte Coll leise, während Padraick sich murrend die Seite hielt.

Ich ließ die Kabbelei der Beiden ungehört an mir vorbei ziehen und zog die Kleidung auf meine Beine. Unter meinen Fingern offenbarten sich Stiefel, ein paar wollender Hosen, ein grob gewebtes Hemd und sogar ein schwerer, dunkelbrauner Umhang. Eilig raffte ich die Kleidung an mich und stand auf. Padraick und Coll stritten noch immer und bemerkten nicht, wie ich aus dem Schein des Feuers trat, nur die Augen des dritten Mannes folgten mir schweigend.

Die Sterne funkelten am samtschwarzen Himmel und ein kühler Wind bewegte die Blätter an den Bäumen.

Ich wollte nur noch nach Hause, wollte nicht hier sein und mein altes Leben zurück. So ein Abenteuer hatte ich nicht gewollt.

Fröstelnd streifte ich das T Shirt ab und mein Blick blieb an meiner Tätowierung hängen. Das sie noch niemand entdeckt hatte, war wahrscheinlich nur ein Glücksfall.

Mit achtzehn Jahren hatte ich mir das Bild eines Raben auf den Unterarm tätowieren lassen, seine Schwanzfedern lösten sich in der Mitte meiner Handfläche in Rauchschwaden auf und die Spitzen seiner ausgebreiteten Flügel streiften meinen Oberarm.

Hielt ich die Arme vor der Brust verschränkt, war er schlechter zu sehen. Seufzend berührte ich das Tier mit den Fingerspitzen, bevor ich mir das Hemd über den Kopf zog. Der Stoff war rau, wärmte mich aber beinahe sofort. Meine Hose und Schuhe folgten dem Beispiel und schließlich zog ich mir den Umhang um die Schultern. Schon jetzt war mir bedeutend wärmer und ich ließ meine alte Kleidung einfach liegen, sie war einfach zu auffällig.

Schleichend machten sich die Strapazen des Tages bemerkbar, bleiernde Müdigkeit stieg in mir auf und ließ mich leicht schwanken.

Knurrend schüttelte ich den Kopf und fasste mir an die Schläfen. Schwankend tappte ich zurück zum Feuer, wo Coll und Padraick ihren Streit beendet hatten und der dritte Mann verschwunden war.

Lächelnd sah Coll mich an, als ich neben ihm zu Boden sank und den Umhang eng um mich zog. 

"Du siehst erschöpft aus, Diarmid", stellte er nüchtern fest und stieß Padraick den Ellbogen in die Rippen, als dieser den Mund öffnete, um wieder zu reden.

"Schlaf doch hier, Padraick und ich halten heute Nacht die Wache."

Ich nickte ergeben und rollte mich gähnend auf dem Boden zu einer festen Kugel aus Umhang und Körper zusammen, die Arme über dem Kopf verschränkt. Dumpf schlug mein Herz gegen meine Rippen, während ich mit jeder Sekunde müder wurde und mein Atem sanft mein Handgelenk streifte.

Der Schlaf senkte sich über mich und das Knistern des Feuers schwand ebenso wie die Sorgen aus meinem Bewusstsein. 

2. Kapitel

"Wir können ihn doch nicht einfach hier lassen, Cathal."

Es war Colls leise, drängende Stimme, die mich aus dem Schlaf riss. Mit einem Schlag war ich wach, aber ich hielt die Augen geschlossen. Um mich herum gab es leise Geräusche, schnelle Schritte, dass sanfte Schnauben und Stampfen der Pferde und das klappern von Sachen, die zusammen gepackt wurden.

Mein Atem stockte mir in der Kehle, als Cathal antwortete, er musste beinahe direkt neben mir stehen.

"Du weißt, wie ich über sowas denke. Über Fremde. Wer sagt dir, dass er keine Bedrohung ist? Und welchen Zweck sollte er hier erfüllen?"

Die Stimmen entfernten sich langsam, ob Coll antwortete und was, konnte ich schon nicht mehr hören.

Ganz vorsichtig öffnete ich die Augen und richtete mich blinzelnd auf. Es war bereits hell, die Strahlen der Sonne kämpften sich durch die Wipfel der Pinien, die uns vor der Außenwelt abschirmten.

Eifrig packten die Söldner ihre Sachen zusammen, Unterstände wurden abgeschlagen, die Spuren unseres Aufenthalts getilgt, selbst die Pferde waren bereit zum Aufbruch.

"Steh auf und hol dein Pferd, wir brechen auf."

Cathals kalte Stimme ließ mich frösteln und ich drehte mich noch im Sitzen zu ihm um. Hoch ragte er über mir auf, die Hände auf die Hüften gestützt und das von der Sonne gezeichnete Gesicht verschlossen wie immer. Stumm fragte ich mich, was ihn wohl so hatte werden lassen. Er war vielleicht dreiundzwanzig, vierundzwanzig und trug bereits die Bitterkeit eines ganzen, langen Lebens in sich.

"Was hast du mit mir vor?", fragte ich, meine Stimme klang so müde und resigniert, wie ich mich fühlte.

Mein Rücken schmerzte von der Nacht auf dem harten Erdboden und meine Muskeln hatten sich unangenehm verkrampft. Zitternd rieb ich mir über die Arme und wartete seine Antwort einfach ab. Würden sie mich im Wald zurück lassen, ohne Orientierung, ohne Chance zu überleben? Oder würden sie mich töten, mir dir Kehle durchschneiden und mich am Boden liegen lassen, den Blick leer und gebrochen zum Himmel erhoben, unfähig das klare blau eines Sommerhimmels zu sehen?

Plötzlich tat Cathal etwas, dass ich nie von ihn erwartet hatte: er kniete sich vor mir auf den Boden und sah mir in die Augen. Seine Augen waren grün, dass grün der Wiesen Irlands im Sommer und von einer erschreckenden Intensität.

"Ich stehe vor einem Problem, Diarmid. Ich kann dich nicht hier lassen, dafür hast du zu viel gesehen und gehört. Für solche Fälle gibt es einfache Methoden und Wege, wie sie sich lösen lassen... ein kundiger Daumen am Hals und ein wenig Druck, eine Schlinge oder ein scharfes Messer."

Während er die Arten aufzählten, wie er andere töten würde, blieb seine Stimme vollkommen ungerührt, gefühllos. Ein Schatten schien sich über uns zu legen, als mir klar wurde, dass er wirklich schon öfters getötet hatte. Für ihn war es vollkommen normal, für diese Zeit war es das.

Trotzdem wandte ich den Blick keine Sekunde von seinem Gesicht und wartete seine nächsten Worte ab. Er holte tief Luft und seufzte leise, seine Augen hoben sich auf einen Punkt irgendwo über meinem Kopf.

"Aber drei meiner Männer haben sich leidenschaftlich für dich ausgesprochen. Sie haben deutlich gemacht, dass ich nicht mit ihrer Hilfe rechnen kann, wenn ich dich töte. Auch nach deinem Tod nicht. Du genießt Achtung bei ihnen wegen dieses Zeichens."

Noch bevor ich verwirrt fragen konnte, was er damit meinte, schnellte seine Hand vor und packte mein Handgelenk, zog meinen linken Arm nach vorne und deutete auf mein Tattoo. Also hatte man es doch entdeckt.

"Krieger aus der Anderswelt, geschmückt mit Zeichen von Tieren, mit besonderen Kräften. Mir ist egal wer du bist oder für wen du dich hälst, wenn du uns in Gefahr bringst, wird es dir leid tun. Was kannst du?"

Sein abrupter Themenwechsel brachte mich für einen Moment aus dem Konzept und ich schluckte unwillkürlich. Da war sie, die Stunde der Wahrheit. Irgendetwas musste ich doch können, dass auch in dieser Zeit nützlich war. Etwas, dass mein Leben nachhaltig verlängern würde und Cathals Daumen und Waffen von meinem Hals fern hielten. "In... in meiner Jugend konnte ich mit einem Bogen umgehen, aber ich bin etwas aus der Übung."

Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe und sah mich um, auf der Suche nach etwas, dass meine Gedanken antrieb.

"Und ich kann mit Pferden umgehen", fügte ich selbstsicher hinzu, als ich beobachtete, wie die Männer ihr Hab und Gut auf die Pferde verteilten.

"Ich kann sie pflegen und kleinere Krankheiten behandeln, ich kann sie zähmen und einreiten, sie wendiger und ausdauernder machen."

Cathal nickte nachdenklich und hielt mein Handgelenk weiterhin fest, ich konnte die Schwielen auf seiner Hand spüren und seine Augen glitten über meine Tätowierung. 

"Ich bin ehrlich überrascht, dass du wirklich nützlich sein könntest. Du wirst dich um unsere Pferde kümmern, bis du wieder in Übung mit dem Bogen bist, wir haben zu wenig Jäger."

So schnell er eben mein Handgelenk gepackt hatte, so schnell ließ er es jetzt auch wieder los, erhob sich und ging davon. Seufzend blieb ich einen Moment sitzen, ehe ich auch auf stand und meine verkrampften Muskeln streckte, um sie zu lockern. 

Dafür blieb mir nicht viel Zeit, denn plötzlich warf Cathal mir einen Arm voll langer, glatter Stöcke in den Magen. Hustend beugte ich mich nach vorne und fing die Stöcke auf, ehe sie zu Boden fallen konnten. 

"Befestige die an einem Pferd."

Er deutete über seine Schulter auf eine kleine, mausbraune Stute und wandte sich nach diesem Befehl sofort jemand anderem zu, dem er Befehle erteilen konnte.

Zischend atmete ich durch die Zähne ein, so würde also mein Alltag ab heute aussehen, fand ich keinen Weg zurück in meine Welt.

Langsam trat ich an die Stute, die meine Anwesenheit mit einem sanften Stups an meiner Hüfte quittierte, und band die Stöcke so an ihrem Sattel fest, dass sie weder Reiter noch Pferd behindern würden.

Leise, beschwingte Schritte näherten sich mir und ich hob misstrauisch den Kopf. Den Mann hatte ich bereits gestern Abend gesehen, es war der große Schweigsame, der nun auf mich zu kam. Scheinbar redete er nie viel, denn auch jetzt schwieg er einfach, einen Stock ähnlich denen, die ich gerade festgebunden hatte, in der Hand und die dunklen Augen fest auf mich gerichtet.

Vielleicht wollte er mir einfach den Stock geben, damit ich ihn zu den anderen tat, aber damit lag ich falsch.

Denn plötzlich wirbelte er seine Waffe durch die Luft und zielte auf meine Rippen, es zischte unheilvoll und ich handelte instinktiv. Ich packte den Stock, den ich noch hielt fester und wich zur Seite aus. Knallend traf Holz auf Holz, die Wucht des Schlages vibrierte durch den Stock meine Arme hinauf, um sich als schmerzhafte Explosion in meiner Schulter zu entladen.

Tödliche Stille breitete sich über dem Lager aus und veranlasste alle dazu, ihre geordneten Aktivitäten für einen Moment ruhen zu lassen, um uns ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Von selbst hatte mein Atem sich beschleunigt und über die Stöcke hinweg starrte ich meinen Angreifer an. Ein wissendes Lächeln lag auf seinen Lippen, als hätte er meine Reaktion schon vor mir gewusst.

"Wie es scheint, kannst du auch kämpfen."

Seine Stimme war wie ein Donnerschlag in dieser Stille und wie ein Wesen wandten wir alle die Köpfe, um Cathal anzusehen. Sein Blick hingegen galt nur mir und er hatte die fein geschwungenen Augenbrauen leicht nach oben gezogen.

"Es war ein Instinkt", gab ich ehrlich zu und ließ die Arme sinken, als mein Gegenüber es auch tat. Der Anführer der Fianna schob leicht das Kinn vor und vollführte eine wegwerfende Handbewegung mit der linken Hand.

"Wir werden sehen, was daraus wird. Weitermachen."

Gehorsam gingen alle wieder ihren Beschäftigungen nach und auch ich knotete meinen Stock an den Sattel.

"Kämpfst gut. Ahnte ich, hast guten Körperbau, wie ein Krieger. Geschickter Krieger."

Grinsend reichte der Mann mir seinen Stock, er sprach nur gebrochen gälisch mit einem harten, fremden Akzent.

Seine Worten mussten wohl ein Kompliment gewesen sein und ich nickte nur lächelnd, während meine Finger an den Schnüren zupften, die die Stöcke hielten.

"Haben mit Cathal geredet, wollten dir eine Chance geben. Ein guter Mann tötet nicht Unschuldige, Hilflose. Du bist beides. Hast wie wir alle keine Familie, kein Zuhause. Vielleicht gehörst du zu den Fianna", redete er fröhlich weiter und klopfte dem Pferd auf die Kruppe. Unerklärlicherweise hatte ich bei seinen Worten einen Kloß im Hals und wandte schnell den Kopf ab. Recht hatte er, hier hatte ich keine Familie, keine Vergangenheit, ich hatte gar nichts. Ich war so allein, wie ich es noch nie in meinem Leben gewesen war.

Es kostete einige Überwindung, meine Hände am Zittern zu hindern und ich schob mich an dem Mann vorbei auf Honey zu. Jemand hatte sie gestriegelt und sie aufgesattelt. Diese kleine Geste hätte man als Freundlichkeit betrachten können, aber ich ahnte, dass Cathal einfach keine Zeit verlieren wollte.

Mit geübten Bewegungen schwang ich mich in den abgewetzten Sattel und nahm Honeys Zügel auf, neugierig, wohin es nun ging.

 

Wir legten ein mörderisches Tempo an den Tag, die Pferde galoppierten über kaum sichtbare Pfade durch den Wald. Wir mussten wie unheilbringende Schatten wirken, ein kurzes, helles Aufblitzen zwischen den hohen Bäumen, dass dumpfe Geräusch von Hufen auf weichem Boden, dass im Nichts verklang.

Es war wohl gut, dass ich lange Ritte gewöhnt war, denn trotz dieser Übung begannen meine Beine zu Schmerzen und meine Hände wurden taub, ich biss die Zähne zusammen, bis mein Kiefer unheilvoll knackte.

Wir machten keine Pausen und ich bat auch um keine, aber ich fragte mich, ob Cathal überhaupt ein Ziel im Kopf hatte.

Als sich der Abend wie ein Tuch über das Land senkte, hielt die Gruppe endlich. Erleichtert atmete ich auf und legte den Kopf in den Nacken. Aber Cathal wollte mein Leiden keineswegs beenden, er sah sich misstrauisch auf dem schmalen Weg um und hielt sein großes, schwarzes Pferd ruhig.

Von einem Baum zum anderen zuckte sein kritischer Blick und mir stellten sich die Nackenhaare auf. Es war ein Gefühl des beobachtet werdens, messerscharfe Blicke wie Dolche im Rücken. Honey schnaubte leise und ihre Ohren spielten nervös hin und her.

Coll lenkte sein Pferd neben mich und ich wandte ihm den Blick zu.

"Was ist los?", hauchte ich, leise wie ein Windhauch. Noch bevor Coll mir antworten konnte, wusste ich, dass wir in einen Hinterhalt geritten waren.

Aus den Schatten der Bäume stürzten bewaffnete Männer auf uns zu, schrille Kriegsschreie auf den Lippen. Honey stieß einen abgehackten Laut aus und wich zurück, ihre Hinterhufe gruben sich in den Boden und sie schlug beinahe rücklings hin. Trotz der Anstrengung des Tages konnte ich mich oben halten und sah mich hektisch um. Überall waren Kämpfe entbrannt und ich war noch immer unbewaffnet, was ich jetzt verfluchte.

Ein Mann rannte an mir vorbei auf Coll zu, dass blanke Schwert drohend erhoben. Waffen hatte ich keine, aber ich hatte ein Pferd. Ich wendete Honey und ließ sie herum wirbeln, bis ihre Hinterhand den Mann in den Rücken traf. Taumelnd ließ der Mann sein Schwert fallen und ging zu Boden. Coll stieß ein für diese Situation ungemein unpassendes, hämisches Lachen aus und für einen Augenblick grinste ich ihn an. Das hier machte mehr Spaß als es sollte.

Die anderen Kämpfer schienen gut selbst zurecht zu kommen... bis auf Cathal. Er stand mit dem Rücken zu seinem Pferd, welches sich keinen Millimeter bewegte und er konnte nicht weit genug mit dem Schwert ausholen um sich zu verteidigen, ohne auf Gefahr zu laufen sein Reittier zu verwunden. Sein Angreifer nutzte diese Schwäche aus und drang mit ungeheurer Brutalität auf ihn ein.

Erneut handelte ich instinktiv und schloss die Beine. Honey reagierte auf den Druck sofort und galoppierte an, wischte an den anderen vorbei und auf die Beiden zu. Doch ich zügelte sie nicht und so rammte sie den Mann mit ihrer Brust. Er wurde zu Boden geschleudert und seine Waffe flog im hohen Bogen in den Wald, verzweifelt streckte er die Arme aus, um sich zu schützen. Einer von Honeys Hufen traf auf seine Schulter und zertrümmerte mit einem ekelerregenden Geräusch die Knochen des Kerls, dass Knacken ging in seinem schrillen Schrei unter, der schließlich gurgelnd erstarb.

Zitternd holte ich Luft und traute mich nicht, zu ihm zu sehen. Bitte, lass ihn nicht tot sein. Ich konnte nicht getötet haben. Cathals Augen fanden meine und ich sah in seinen Augen Verwirrung und Überraschung.

Kopflos ritt ich weiter in den Wald, entsetzt von meiner eigenen Tat. Ich hatte den Mann einfach überritten, in Kauf genommen, dass er starb. Wahrscheinlich würde er sterben, in dieser Zeit bedeutete eine zersplitterte Schulter meist den Tod, oder ein Leben in Schmerzen.

Von selbst kam Honey an einer lichten Stelle des Waldes zum Stehen, den Kopf gesenkt und das Fell schweißbedeckt.

Fluchend glitt ich von ihrem Rücken zu Boden, meine Beine zitterten gefährlich und gaben schließlich unter mir nach. Stöhnend sank ich zu Boden und fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare, spürte ein schmerzhaftes Reißen an der Kopfhaut, als meine Finger auf Knoten stießen.

All das hier war im Moment einfach zu viel für mich.

"Warum hast du mich nur hergebracht?", fragte ich Honey, aber sie antwortete natürlich nicht.

Langsam beruhigten meine aufgewühlten Nerven sich, ich musste nur langsam atmen, ein und aus, bis der Druck auf meiner Brust und die Panik schwanden.

Seufzend lehnte ich mich zurück und schloss die Augen, ich bereute es bereits, mich von den Söldnern entfernt zu haben.

"Du bist leicht zu finden."

Erschrocken zuckte ich in die Höhe und riss die Augen auf, aber meine Muskeln protestieren und ich sank wieder zu Boden. Cathal schlängelte sich zwischen zwei niedrig stehenden Büschen hindurch und begrüßte Honey mit einer kurzen Berührung an der Flanke.

"Ich hatte gedacht, du wärst froh, mich los zu sein", sprach ich bissig meine Gedanken aus und sah zu ihm auf. Er wirkte seltsam amüsiert, vollkommen anders als ich ihn kannte.

"Glaub mir, dass wäre mir gar nicht so unangenehm. Aber du hast mein Leben gerettet... oder zumindest meine Gesundheit. Dafür stehe ich in deiner Schuld. Mein Angebot ist einfach: komm mit mir zurück und bleib eine Weile bei uns. Vielleicht verdienst du doch eine Chance."

Zum ersten Mal lächelte er, es war nicht mehr als ein sanftes Zucken der Mundwinkel, aber für mich war es ein gutes Zeichen.

"Danke Cathal. Du bist ein guter Mensch, irgendwo."

Der dumpfe Laut, der aus seiner Kehle drang klang bitter und verachtend, während seine Hand weiter über Honeys Flanke glitt.

"Wir sind keine Ungeheuer. Wir tun, was getan werden muss. Wir üben Gerechtigkeit in unserem Sinne aus, leben nach der Wahrheit, die uns das Leben gezeigt hat. Viele von uns haben schreckliches erlebt, vieles von Leuten verursacht, die eigentlich für ihre Sicherheit hätten sorgen sollen. Als Fianna haben sie einen Sinn im Leben, eine Aufgabe."

Wieder klang er wie ein Lehrer und ich fragte mich erneut, was er vor seinem Leben als Söldner getan hatte.

Plötzlich räusperte er sich und war wieder so kalt und abweisend wie immer.

"Kommst du mit zurück?"

Ich nickte zur Antwort nur und zog mich an Honeys Steigbügeln hoch, bis ich zitternd neben ihm stand. Knurrend verdrehte Cathal die Augen und hob mich mit spielender Leichtigkeit aufs Pferd. Peinlich berührt nahm ich die Zügel auf und wartete, bis Cathal wieder bei seinem eigenen Pferd war. Dieser Mann war und blieb ein Rätsel, oder vielleicht auch nur ein gewöhnlicher Irrer.

3. Kapitel

 Im Lager hatte ich keine freudige Begrüßung erwartet und ich bekam auch keine. Nur Coll und Padraick strahlten mich an, als ich mich von Honey zu ihnen schleppte.

Diesmal wirkte der Boden erstaunlich einladend, als ich mich aufatmend setzte. Erst als auch Cathal seinen Platz im Kreis der Männer um das knisternde Feuer herum gefunden hatte, reichten sie Essen und Bier herum. Er war der Punkt, um den sich alles drehte. Sie alle richteten sich nur nach ihm, es glich beinahe der Verehrung eines Gottes. Ich wusste noch nicht genau, was ich von ihm halten sollte. Er wechselte zwischen freundlich und psychopathisch, als hätte man einen Schalter umgelegt. Und mich beschlich der Verdacht, dass die Sicherung irgendwann durchbrennen würde und dann wollte ich so weit weg wie nur möglich von ihm sein.

Beim Anblick des harten Brots und Eintopf, den irgendjemand aus Gemüse und Fleisch zusammen gekocht hatte, vermisste ich mein Zuhause immer mehr. Für Kaffee und eine Pizza würde ich weiß Gott jetzt töten.

Trotzdem schlang ich gierig das Essen herunter, als wäre es meine letzte Mahlzeit. Besseres Bier hatte ich auf alle Fälle schon mal getrunken, aber das Essen war erstaunlich gut.

Keiner im Kreis redete, was für eine so große Gruppe von Männern wirklich ungewöhnlich war. Also wandte ich mich mit meiner Frage einfach an Coll, räusperte mich leise und versuchte so leise wie möglich zu reden.

"Sag mal, Coll... was weißt du über Weltenwandler?"

Trotz meiner Bemühung, leise zu sein drehten sich die meisten der Köpfe zu uns und Coll stellte die Schüssel auf den Boden. Er zog die Schultern hoch und die Augenbrauen zusammen, ehe er den Kopf von einer Seite zur anderen wiegte, als würde er abschätzen, wie viel er sagen kann.

"Nur das, was alle anderen auch wissen... sie können zwischen dieser und der Anderswelt wandeln. Dort soll die Zeit anders vergehen als hier. Du kannst nur eine Stunde dort sein und wenn du zurück kommst, ist ein ganzes Leben vergangen und alle die du kennst sind tot. Oder du verbringst dein ganzes Leben dort und warst nur eine Stunde weg. Man kann es nicht messen. Man will es nicht erleben. Es gibt viele Geschichten darüber."

Einige Männer nickten zustimmend und ich senkte den Blick. Mit jedem Wort und jeder Frage, die ich hier stellte, schwanden meine Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr mehr. 

"Wohin reiten wir?", fragte ich, diesmal lauter, denn immerhin belauschten mich sowieso alle. Vielleicht kamen wir doch noch an meinem ursprünglichen Ausgangspunkt vorbei. Dort fand ich vielleicht auch ein paar Antworten auf den ganzen Quatsch hier. Es war ein irrwitziger Funken der Hoffnung, den ich noch immer mit mir herum trug.

Mit jeder Minute, die ich länger hier verbrachte, fühlte ich mein Zuhause und meine Chancen auf eine Rückkehr schwinden.

"Zur Küste und von dort aus mit einem Boot nach Eire. Wir werden dort auf unseren neuen Auftraggeber stoßen."

Cathals Worte erstickten gnadenlosen den Funken der Hoffnung in mir und ich nickte geschlagen. Er würde für mich ganz sicher nicht von seiner Route abweichen und alleine kam ich nicht zurecht. Ich hatte nur Honey, keine Ahnung, wie ich mir etwas zu essen beschaffen konnte und bei einem Überfall wäre ich der in dieser Zeit mangelnden Gnade meiner Gegner ausgeliefert gewesen.

Seufzend stellte ich meine Schale zur Seite und rieb mir mit einer Hand den Nacken. Dieses Problem bereitete mir wirklich Kopfschmerzen.

"Connor, Hugh, die Wache heute Nacht gehört ganz euch."

Damit hatte Cathal die Runde aufgelöst und ich folgte Coll wie ein Hund zu dem provisorischen Unterschlupf.

 

Mit der Sonne aufzustehen war noch nie meins gewesen, obwohl ich es während meiner Ausbildung und Arbeit immer hatte tun müssen. Selbst da hatte ich mich nur mit Mühe aus dem Bett quälen können. 

Aber hier gab es auch etwas besseres als einen Wecker: Coll, der mir beharrlich mit einer Stiefelspitze in die Seite trat.

Mürrisch zog ich die grobe Decke von meinem Kopf und warf ihm einen genervten Blick zu.

"Lass das, Coll. Ich bin schon wach."

Sein hämisches Grinsen war schon beinahe zu viel und er trat mir zur Krönung noch einmal in die Rippen. Knurrend packte ich seinen Knöchel mit einer Hand und zog ihn so ruckartig nach vorne, dass Coll nach hinten kippte und auf seinem Bein im Dreck landete.

"Das hast du jetzt davon."

Jetzt war es an mir zu grinsen und ich streckte ihm die Zunge raus, als ich ihn los ließ. Die zweite Nacht auf dem Erdboden war genauso schlimm wie meine erste und ich stand gähnend auf. Draußen waren die meisten bereits beschäftigt und ich streckte die protestierende Muskeln, bis die Gelenke unheilvoll knackten und gönnte dem strahlenden Sonnenaufgang einen kurzen Blick. Der Himmel schien im reinsten blutrot aufzuflammen und ich vermisste wirklich den Geruch von gebratenem Speck und Kaffee am Morgen. Für Kaffee könnte ich jetzt töten.

Leise Stimmen wehten durch das Lager und neugierig geworden folgte ich ihnen am Feuer vorbei und steuerte auf die Quelle der Geräusche zu.

Wie immer lagerten die Fianna in der Nähe eines Baches, aber diesmal landete ich nicht selbst im Wasser.

Der Mann, der mich gestern mit dem Stock attackiert hatte, lieferte sich im Wasser stehenden einen Ringkampf mit einem der anderen Söldner.

Zuerst sah es so aus, als würde er kläglich verlieren, doch dann gab es eine Abfolge schneller Bewegungen und mit einem verdutzten Gesichtsausdruck saß sein Gegner im Wasser.

Lachend warf der Ausländer mir einen kurzen Blick zu und lächelte leicht.

"Hab vergessen mich vorzustellen. Ragnar."

Er kam über das kurze Stück steinigen Ufers auf mich zu, die Hand ausgestreckt und nach kurzem Zögern griff ich nach seinem Unterarm. Bei den Kelten war dies ein Zeichen von Respekt, ich sah ihn damit als Gleichgestellten und seine dunklen Augen leuchteten kurz auf. Trotzdem ließ ich ihn schnell wieder los.

"Cathal will dir Chance geben, finde ich gut. Was denkst du, Connor?"

Der Mann im Wasser rappelte sich auf und schüttelte sich kurz. Neben Ragnar , der sich eine Seite seines Schädels kahl rasiert hatte, wirkte er noch weniger auffällig. Seine Haut hatte die goldene Farbe von Pfefferminztee und die langen, von der Sonne ausgebleichten Haare hatte er zu unzähligen Zöpfen geflochten.

Connor bemerkte meinen prüfenden Blick und zog leicht die Mundwinkel nach oben.

"Aussehen und Namen passen nicht zusammen, ich weiß."

Etwas peinlich berührt wandte ich schnell den Blick ab und betrachtete stattdessen die offene Umgebung. Hier gab es nur vereinzelte Bäume, auf den weiten Wiesen standen die Pferde der Fianna und grasten friedlich am Fuße des Hügels, der sich hier in die Höhe erhob.

Auf dessen Spitze entdeckte ich sie, die stehenden Steine, die im Gesamten einen Kreis ergaben. Ein Steinkreis, es war ein verdammter Steinkreis, der seine Schatten über das Gras warf.

Unerklärlicherweise begann mein Herz zu rasen, mein ganzer Körper schien zu vibrieren und meine Fingernägel bohrten sich tief in meine Handflächen. Zitternd stolperte ich nach vorne.

"Diarmid?"

Connors leise Stimme streifte nur meine Ohren, als ich über den Bach sprang und mich beeilte, den Hügel hinauf zu kommen. Ruckartig hob Honey den Kopf, ein paar Grashalme hingen seitlich aus ihrem Maul und ihre Ohren schnellten neugierig nach vorne.

Auch sie beachtete ich nicht, für mich zählte nur noch der Steinkreis dort oben. Von unten hörte ich weitere Stimmen nach mir rufen. Auf dem nassen Gras rutschte ich aus und fiel auf die Knie, meine Finger bohrten sich in den weichen Boden. Aber etwas zog mich weiter, unwiderstehlich an, brachte mich sogar dazu, Connors Hand auf meinem Rücken abzuschütteln und weiter zu sprinten. Schließlich flog ich fast über die Grenze des Steinkreises. Um mich herum ragten die Steine in den Himmel, schon jetzt waren sie alt und vom Wetter gezeichnet.

Schwindel stieg in mir auf und die Steine schienen sich in einem wilden Tanz um mich herum zu drehen, der mir den Magen umdrehte.

"Connor, Coll, nein! Kommt zurück!"

Cathals scharfe Stimme wurde lauter und leiser, während die Umgebung zu grünen und grauen Schlieren verschwamm.

Vier Hände und Arme fingen mich auf, bevor ich auf dem Boden aufschlagen konnte, als ich fiel. Verwirrt blinzelte ich und versuchte mich umzusehen. Ich fing den Blick von Colls grauen Augen auf und seine schwarzen Pupillen schienen immer größer zu werden, bis sie mich in ihrer finsteren Schwärze verschlangen und mein Kopf in den Nacken fiel.

Würgend drehte ich mich um und lehnte die Stirn auf den kühlen Boden. Stoßweise holte ich Luft und krallte die Finger in meine Haare. Erst als das Zittern an meinem Körper nachließ, bemerkte ich, dass die anderen Söldner fehlten. Sie waren verschwunden.

Etwas raschelte leise um mich herum, federleichte Schritte die sich über Gras bewegten ohne den Boden wirklich zu berühren. Hauchdünner Stoff, der sich im Wind bewegte und dem Körper folgte, den er umhüllte. Langsam hob ich den Kopf und öffnete die Augen. Ich war umhüllt von dichtem, weißen Nebel, den ich mit Blicken nicht zu durchdringen vermochte. Er strich wie tausend kühle Finger über meine Haut und schien meinen Atem zu verschlucken.

Träge bewegte er sich und gab zwei leuchtende Punkte frei. Es waren Augen, flammende Augen, deren Farbe schwindelerregend schnell wechselte. Für einen kurzen Moment versuchte ich den Farben zu folgen, aber es war zu schnell, der Schwindel kehrte zurück. Blinzelnd konzentrierte ich mich auf einen Punkt genau über den Augen.

"Was willst du?", fragte ich barsch und straffte entschlossen die Schultern, obwohl meine Stimme vor Angst schwankte.

"Wir wollten mir dir reden, Diarmid. Du bist aus einem guten Grund hier. "

Ein leises Murren entschlüpfte meinen Lippen und ich legte den Kopf schief. Aus dem Nebel blitzte für einen kurzen Moment eine weiße, schlanke Hand hervor. Die Stimme war eindeutig weiblich und vibrierte förmlich vor Macht und Arroganz.

"Also hast du mich in diese Zeit gebracht? Schick mich zurück, sofort, ich will nach Hause!"

Ihr Lachen ließ mir die Haare zu Berge stehen und ich schauderte. Es lag nichts menschliches in diesem Lachen und es war erfüllt von Hohn und Spott, kein Mensch konnte diesen Laut hervor bringen.

"Du hast hier keine Forderungen zu stellen, Diarmid. Wir hätten dich niemals gebraucht, hätte man unsere Pläne nicht hinterhältig durchkreuzt. Wir brauchten einen Sohn Eires, gebunden an das Land durch seine Liebe, Treue und sein Blut, stark an Körper und Geist."

Für mich warfen ihre Worte einfach nur mehr Fragen auf, als dass sie mir Antworten gaben.

"Warum habt ihr nicht einen anderen geholt, jemanden aus dieser Zeit? Jemanden wie Cathal oder Coll?"

"Wir brauchten jemanden von deinem Blut und es gleicht einem Wunder, dass wir dich hier her holen konnten, über die Grenzen hinweg. Deshalb bist du hier. Dinge ändern sich, sehr schnell für uns, ihr spürt kaum, wie die Geschicke der Zeit sich ändern. Eure Leben sind nicht mehr als ein Atemzug für uns."

Grollend riss ich den Kopf hoch und hörte mein Genick von der ruckartigen Bewegung knacken. 

"Warum erledigt ihr dann eure Drecksarbeit nicht selbst? Ich gehöre hier nicht hin, Blut hin oder her."

Schon immer hatte ich es gehasst, die Arbeit von anderen erledigen zu sollen. Hierfür wollte ich gefälligst eine Belohnung, verdammt. Meine Gedanken kreisten wild in meinem Kopf, hier hatte ich eine echte Chance, nach Hause zu kommen.

Die Augen flammten bedrohlich auf und schienen mich verbrennen zu wollen. Unerschrocken starrte ich sie an und schob das Kinn vor. Hier saß ich am dezent längeren Hebel. Wenn sie mich und jemanden mit meinem Blut brauchten, würden sie mich kaum killen.

"Weil es Dinge gibt, die bedauerlicherweise von euch Sterblichen erledigt werden müssen. Auch wenn wir selbst es nicht verstehen. Ihr seit so leicht von eurem Weg abzubringen. Ihr habt eine Aufgabe, einen geraden Weg vor euch und nur ihr selbst legt euch Steine in diesen Weg. Ein sanftes Lächeln, ein kurzes Winken und ihr weicht blind von eurem Weg ab."

"Vielleicht wissen wir es einfach nicht besser?", fragte ich leise.

"Wir sind nicht mit der Gabe gesegnet, zu wissen, was unser Weg ist. Ihr wisst es, wir nicht."

Der Blick der flammenden Augen streifte mich kurz und ich erwiderte ihn triumphierend.

Aber das beflügelnde Gefühl der Überlegenheit verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war. Mir fiel ein, was sie mir angetan hatte.

"Ich mache, was ihr von mir wollt. Wenn ihr mich danach in meine Zeit zurück schickt. "

Nur höchst widerwillig gab ich nach und senkte geschlagen den Kopf. Was konnten sie denn bitte schon von mir wollen?

"Das Angebot steht. Erledige, wozu du hier bist und du kehrst heim, selbst wenn du es dann nicht mehr willst. Bleibe einfach bei Cathal. Er weist dir den Weg."

Die Augen verschwanden und für einen Moment war ich allein in diesem Nebel, ehe die Ohnmacht mich über kam.

 

"Aufwachen, komm schon!"

Die Worte kamen von mehr als nur einer Person. Zischend sog ich die warme Luft ein und öffnete ruckartig die Augen. Bunte Lichtpunkte tanzten fröhlich durch mein Sichtfeld und ich verzog das Gesicht.

Das ganze hin und her schlug mir auf den Magen. Jede andere Möglichkeit der Kommunikation war mir lieber.

"Na endlich."

Cathals knurrende Stimme war direkt an meinem linken Ohr und ich streckte tastend die Hand aus, um ihn von mir zu schieben. Wie immer war es Coll, der mir helfen wollte, als die Lichtflecken zu einer scharfen Umgebung wurden.

Die Söldner standen um den Steinkreis herum, sie trauten sich nicht ins Innere hinein. Nur Cathal, Connor und Coll standen bei mir. Selbst diese harten Kämpfer fürchteten diese Kultstätte. Eine Hand schien meine Eingeweide brutal zusammen zu drücken und ich beugte mich würgend vor. Keuchend erbrach ich mir mein eigenes Blut über die Hände und Beine. Dunkel und feucht bedeckte es meine bleiche Haut und meine Kleidung und schien die Welt für einen Moment zum Verstummen zu bringen. 

 

Impressum

Texte: Jessica Scholl
Bildmaterialien: ©2018 DesignerTalks über pixabay unter CCO Creative Commons Lizenz
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2018

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