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Säbelzahntigerchen

 

 

 

Ihr werdet es nicht für möglich halten, aber ich habe kürzlich etwas erlebt, das erscheint selbst mir unglaublich. Vielleicht sollte ich darum die Geschichte für mich behalten, aber man müsste wenigstens alle Postboten warnen, denn sie leben mancherorts wirklich sehr gefährlich, auch wenn das vielleicht verrückt klingt.

 

Wir trafen uns beim Fischen am Fluss, unterhalb der Schleuse, gar nicht weit von hier. Er kam geradewegs auf mich zu und setzte sich einfach zu mir ans Wasser. Ein seltsames Wesen, nicht groß und nicht klein, im ersten Moment konnte man denken, es sei ein junger Tiger. Seine oberen Eckzähne aber reichten bis weit unter sein Kinn. Das Fell war grau-braun und dicht. Streifen konnte ich keine sehen, aber ich habe ihn auch nicht angestarrt, sondern so getan, als sei alles ganz normal, eben so, wie immer. Ich konnte ihn nur kurz mustern. Oben an seinen Ohren standen Haarbüschel aufrecht wie Pinsel und an Stelle eines langen Schwanzes, wie bei normalen Katzen, befand sich bei ihm ein kleiner Stummelschwanz. Ein gewöhnlicher Tiger war das nicht, soviel stand fest!
,,Petri“, hörte ich aus seiner Richtung,,,na, schon was gefangen?“ Dabei hickste er, kam mir ganz nah, wobei sein Atem nach frischem Fisch roch. Augenblicklich begriff ich, dass mein Besucher ein kleiner Säbelzahntiger war und zuckte vor Schreck zusammen. Zuerst schwieg ich und traute mich keinen Mucks von mir zu geben, aber dann schwand meine Angst allmählich, denn er saß ganz still neben mir. Gemeinsam schauten wir auf den Schwimmer meiner Angel, der etwa 5 Meter vom Ufer entfernt in der Strömung trieb, um anzuzeigen, ob ein Fisch den Köder nimmt.
,,Ich habe nur ein paar Plötze gefangen“, antwortete ich, hier gibt es nichts Besseres.“
,,Nichts Besseres?", staunte er mich an, ,,Plötze sind doch die aller leckersten Fische, mein Leibgericht. Von denen kann ich nie genug bekommen. Man muss sie allerdings richtig zubereiten."
Der Säbelzahntiger schien zumindest im Moment friedfertig zu sein, also hoffte ich das Beste und entschloss mich ganz ungezwungen mit ihm zu plaudern. Aber was redet man mit einem Säbelzahntiger? Man weiß ja nicht, wo seine Interessen liegen und ob er überhaupt an einer Unterhaltung interessiert ist. Da er mich allerdings auf Fische ansprach, fragte ich einfach:,,Und wie bereitest du Plötze zu, wenn ich fragen darf?“ Insgeheim hoffte ich nämlich, dass er so lange friedlich sein würde, solange ich ihn durch ein Gespräch ablenken konnte.
,,Man muss alles entfernen, was nicht gut schmeckt“, antwortete der kleine Säbelzahntiger,,, falls man genug Plötze hat. Falls nicht, schluckt man sie im Ganzen. Aber wenn man genug hat, isst man eben nur die leckeren Köpfe.“
,,Die Köpfe?“ fragte ich erstaunt.
,,Ja, das ist schließlich das Beste vom Plötz." Der kleine Säbelzahntiger leckte sich über die Lippen, weil ihm wohl gerade das Wasser im Munde zusammenlief.
,,Ich mag am liebsten Plötze und Postboten“, fuhr er fort, ,,noch vorgestern habe ich mir einen gefangen. Ist ganz einfach. Man geht ihm nach und sagt irgendwann 'Miau'. Dann bückt er sich, um einem das Fell zu streicheln und schon hat man ihn.“
,,Aber das ist doch Mord“, hörte ich mich entsetzt sagen.
,,Wenn ich ihn essen will, muss ich ihn doch vorher zerkauen, oder?“ Der Säbelzahntiger gähnte gelangweilt.
,,Und außerdem fange ich ja nur die Alten, Kranken und Schwachen.“
,,Ich...w-w-weiß ja nicht“, stotterte ich verlegen, kannst du denn stattdessen keine Mohrrüben oder Spinat essen?“
,,Igitt“, schüttelte sich der Säbelzahntiger,,,ich bin ein Tiger und kein Hamster.
Schau mal, da hat einer angebissen", sagte er und zeigte mit seiner Tatze auf den Schwimmer, der erst zuckte und dann abtauchte.
,,Los, zieh ihn raus, ich helfe dir.“
Ich tat, wie mir befohlen und zog einen Zweipfünder ans Ufer. Der Tiger ging hinunter zum Wasser, packte ihn mit seiner Tatze und warf ihn vor meine Füße.
,,Wenn du magst, kannst du jetzt schon das Beste essen, ich begnüge mich mit dem Rest“, sagte ich. Der kleine Säbelzahntiger sah mich überrascht an und antwortete:
,,Au fein!“ Dann schnappte er sich den zappelnden Plötz und biss den Kopf ab.,,Lecker!“, sagte er und kaute mit offenem Maul. Dabei wehte mich sein fischiger Atem an.
,,Wollen wir noch weiter angeln und uns vom Fang ein Abendessen kochen“?, fragte er und sah mich begeistert an,,,von den Plötzen könnte ich nämlich noch mehr vertragen. Ich nickte und sagte:,, Ja gern, vielleicht haben wir Glück und sie beißen heute gut.“
Wir saßen noch den ganzen Nachmittag am Ufer unterhalb der Schleuse und fingen mehr als fünfzehn Plötze. Als die Dämmerung anbrach, packten wir zusammen und gingen zu meiner Gartenlaube, um das Essen zuzubereiten. Ich machte Feuer für zwei Töpfe, im einen kochten die Köpfe für den Tiger und im anderen alles, was er nicht so gern mochte. Als der Fisch gar war, aßen wir gemütlich und wärmten uns am Feuer.
,,Ich habe dir gegenüber ein schlechtes Gewissen“, sagte der kleine Säbelzahntiger und schaute mich an.
,,Ich habe das Beste von den Fischen bekommen und für dich blieb nur der Abfall.“ Darauf versicherte ich, dass mir sowas nicht wichtig sei, da wir doch nun Freunde geworden sind. In Wahrheit aber war ich heilfroh, dass er mich nicht gefressen hat, denn obwohl er noch ein junger Säbelzahntiger war, wirkte er doch recht kräftig, wenn man dicht neben ihm saß.
,,Dafür sind Freunde da, einem Freund überlässt man gern mal Leckerbissen“ versuchte ich seine Sorge zu beschwichtigen. Aber dann hab ich mich verplappert, denn ich fügte hinzu, dass sich Freunde auf gar keinen Fall gegenseitig essen sollten. Mein neuer Freund schaute mich verwundert an und sprach:,, Sag mal, du hast Angst, ich könnte dich essen, stimmt's?“ Dabei blickte mir der kleine Säbelzahntiger tief in die Augen.
,,Wenn ich ehrlich bin, ja“, antwortete ich. Um ihn nicht zu verärgern, sagte ich:,,Du bist aus der Nähe betrachtet doch viel größer als von weitem. Es ist wahr, ich habe Angst. Frisst du mich jetzt?“ Ich senkte den Blick und war auf das Schlimmste gefasst.
,,Quatsch“, sagte der kleine Säbelzahntiger,,,wir sind doch Freunde. Die beschützt man und isst sie nicht. Du weißt ja gar nichts über Säbelzahntiger.“ Dann legte er seine Tatzen auf meine Schulter und drückte mich fest an sich. Sein warmes Fell kitzelte in meiner Nase und sein Atem duftete nach frischen Plötzen und großer Freundschaft.
Alle Angst war verflogen, denn nun waren wir echte Freunde. Erleichtert und froh legte ich mich auf mein Sofa und der Säbelzahntiger machte es sich daneben bequem.
,,Kann es sein, dass du in Wahrheit auch die Fischköpfe nicht isst, sondern vielleicht sogar wegwirfst?", fragte er.
Eigentlich wollte ich so tun, als seien Fischköpfe ebenfalls mein Lieblingsgericht, aber ich ließ es, denn er hatte mich ja längst beim Schwindeln erwischt und sicher alles durchschaut.
,,Du hast Recht“, sagte ich beschämt, ,,ich werfe Fischköpfe normalerweise weg, wenn nicht gerade ein Säbelzahntiger zu Besuch ist.
Das Feuer war inzwischen heruntergebrannt und die letzten Flammen flackerten als Widerschein in seinen Augen. Dann sahen wir uns an und lachten. Als das Feuer erlosch und das Innere der Laube langsam einer behaglichen Dunkelheit wich, strich ich über sein weiches Fell.
,,Sag mal Tiger, wo ist eigentlich deine Mutter?“
,,Meine Mutter wohnt im Himmel und alle anderen auch“, sagte er scheinbar gleichgültig, wobei ich bemerkte, dass sich hinter seinen Worten Traurigkeit verbarg.
,,Dann bist du ja ganz allein“, sagte ich gerührt.,,Überhaupt dachte ich, Säbelzahntiger sind längst ausgestorben.“
,,Ich lebe doch, wie du siehst. Und solange mir die Plötze schmecken, wird sich daran auch nichts ändern. “
,,Wenn du willst, wohn doch bei mir“, schlug ich vor. ,,Meine Mutter ist auch im Himmel und wer weiß, vielleicht kennen sich die beiden und schauen jetzt in diesem Moment auf uns herab!“
,,Ja, wenn ich dich nicht störe, möchte ich wohl ein paar Tage bei dir wohnen“, vernahm ich seine sanfte Stimme aus dem Dunkeln.,,Aber es ist nicht gut, wenn mich andere Menschen sehen.“
Der kleine Säbelzahntiger und ich wohnten eine Zeit lang in meiner Gartenlaube.Tagsüber war er fort und kam erst nach Anbruch der Dunkelheit. Ich kochte dann Plötze für uns. Aber er besuchte mich nicht mehr oft. Meistens schlief ich abends allein ein und wachte manchmal nachts neben ihm auf, wenn er sich zu mir legte.
,,Du würdest mir nie etwas zuleide tun, Säbelzahntigerchen, nicht wahr?“
,,Nein“, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit, ,,dir würde ich nie etwas antun, ich beschütze dich!“
,,Säbelzahntigerchen, ich hab dich so lieb!“

Seine Besuche werden allerdings seltener. Manchmal, wenn ich abends durch die Schrebergärten spaziere, höre ich ein Knacken und Rascheln im Gebüsch. Vielleicht ist er es ja, denke ich dann und hat ein Auge auf mich, damit mir nichts geschieht. Es ist nun schon lange her, dass wir uns zum letzten Mal sahen.
Ich bin übrigens sicher, dass er seit kurzem wieder in der Nähe ist und mich besuchen wird. Die Tür meiner Laube lasse ich heute Nacht nur angelehnt, damit er sich zu mir legen kann. Und auf dem Herd bereite ich Plötze zu.
Ihr wollt wissen, woher ich weiß, dass er mich besuchen wird?
Die Post kam heute morgen nicht, nicht bei mir und auch nicht bei meinen Nachbarn.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.02.2019

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