Aventures sur la Côte d'Azur
Verliebt in Monaco
Powerfrau in Nöten
Claude Bennoir
Roman
2. verbesserte Auflage
Inhalt
In Monaco an der Côte d'Azur erleben wir die aufregendsten Sachen.
Die Powerfrau, Studentin und Juniorchefin eines Roboterunternehmens gerät in Nöte. Alles läuft schief in ihrem Leben und in der Firma. Bis Jean-François auf wundersame Weise in ihr Leben einfällt.
Sie schlägt ihn nieder auf dem Golfplatz von Monte-Carlo.
Das hält ihn nicht davon ab, dabei zu helfen, ihre vielen Probleme in den Griff zu kriegen.
›Geht nicht gibt’s nicht!‹
Eigentlich wollen sie die emotionale Nähe nicht zulassen.
Unverliebt, wie sie behaupten, bestehen sie im Dreierteam Rettungsaktionen zusammen mit der charmanten Freundin MaSo.
Hoch droben oberhalb Monacos gleich neben dem Anwesen der Fürstenfamilie von Monaco wohnen die drei im zauberhaften Landhaus ihres Papas. Umgeben von mediterraner Natur.
Es gelingt ihnen nicht immer, sich der Gefühle zueinander zu wehren. Oft stürzen sie ins emotionale Chaos – keine Chance.
Im Unternehmen geht es drunter und drüber. Anschuldigungen, Erpressungen: Die Existenz der Firma steht auf der Kippe.
Schließlich wird Marie von Erpressern auf einer italienischen Luxusjacht im Hafen von Monte-Carlo entführt. Die Rettung entlang der Côte d'Azur findet erst in der Bucht von Cannes ihr Ende, als die Powerfrau Marie im Sturm das Schiff lahmlegt und damit den Entführern entkommt. Das ist das Aus für die Bösewichte.
Sind damit alle Probleme gelöst? Schaffen es die beiden Unverliebten zueinander zu finden?
Die Geschichte spielt an Schauplätzen der Côte d'Azur. Am Meer und im Gebirge. Alle Orte und Handlungen sind echt: nur die Personen sind etwas frei erfunden.
Lassen sie sich ein auf die Abenteuer an der französischen Riviera und in Monaco!
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Teil 1
1. Kopf-Ball im Monte-Carlo Golfclub
2. Pflege im Landhaus am Mont Agel
3. Erste Hilfe am Morgen
4. Der Crash
5. Planschmiederei
6. Besichtigung der Firma
7. Anbahnungen
8. Jean-François auf neuen Wegen
9. Maries und MaSos Kinderpläne
10. Nacht-und-Nebel-Aktion
11. Preis des Tages
12. Ein ernstes Gespräch
13. Maries Geständnis
14. La femme de beauté
15. Opéra de Monte Carlo
16. Aussprache
17. Deutschland-Vorfreude
18. ... und weg sind sie alle
19. Im Schwäbischen
20. Das Weinfest
21. Erfolg in Schwaben
22. Undurchsichtige Aktionen
Teil 2
23. Wanderung im Gebirge
24. Verschwörung des Geschäftsführers
25. Die Vernissage
26. Rettung im Gebirge
27. Anschuldigung gegen JF
28. Das Design der Roboter
29. Besuch der Messe
30. Der Consulting-Vertrag
31. Die Analyse des Unternehmens
32. Chaos in der Bank
33. Chaos im Unternehmen
Teil 3
34. Entführung
35. Rettungsaktion Port Hercule
36. Il Capitano
37. Anlegen in Fontvieille
38. Entführung, merde, che sfiga!
39. Im Mast vor Port Beaulieu
40. Der Officiale
41. Das Signal
42. JF denkt an Marie
43. Maschine stopp!
44. Abtauchgang
45. Überwachungsarbeiten
46. Die Capitainerie
47. Club Nautique, Monte-Carlo
48. Neue Aufgaben im Unternehmen
49. MaSos Geheimnis
50. Vertrautes Gespräch
51. Ende gut, oder?
Die Abenteuer an der Côte d’Azur gehen weiter …
Über den Autor
Impressum
Teil 1
1. Kopf-Ball im Monte-Carlo Golfclub
Etwas Schwarzes fliegt auf mich zu. Ich spüre den harten Schlag, mir wird schwarz vor Augen, ich sinke zu Boden, falle dann auf Felsgestein und einen Abhang hinunter.
Es wird dunkel um mich oder genauer: Ich sehe nichts mehr, nur ein dumpfer Ton dröhnt in meinen Ohren. Dann herrscht Stille.
Ich spüre, wie sich mir eine Hand entgegenstreckt, um mir auf die Beine zu helfen. Aber meine Beine gehorchen mir noch nicht, ich bin einfach zu benommen.
Dann sehe ich nur Schemenhaftes: Kopf mit wuscheligen Haaren, ein erschrecktes Gesicht, weit aufgerissene Augen. Ein Mädchen, das mir helfen will.
»Il a survécu, je ne l’ai pas tué.« Meine Retterin hockt sich zu mir auf das kurze Gras des Golfplatzes und wischt sich einige Tränen aus den Augen. Vor Erleichterung will sie sich an mich drücken, aber so gern ich das zulassen würde – mir ist nicht danach. Sie scheint erschrocken und lässt mich doch lieber wieder los. Sie schmerzt, die Stelle am Kopf, an der ich getroffen zu sein scheine. Warum liege ich hier im kurz geschnittenen Golfgras? Mir ist schwindelig zumute und ich ertaste eine Beule. Er brummt und schmerzt, mein Kopf. Aber ich werde umsorgt von einem zarten Mädchen, das seinen Busen weich an meinen Kopf drückt. Unter anderen Umständen könnte mir das gefallen. Im Moment aber denke ich an nichts Weiches, sondern nur an die harte Realität: Ich möchte jetzt nichts anderes, als die Übersicht zurückgewinnen und überleben.
Meine Lebensretterin traut sich kaum, Luft zu holen. Sie atmet flach, sie ist völlig durcheinander, keucht etwas und ruft um Hilfe. Ich lasse meinen undefinierten Zustand erst mal zu, ich muss mich ja hoffentlich nicht gleich entscheiden, wie ich mich fühlen soll.
Sie streichelt mir die andere Stirnseite, stützt mich ab, damit ich sitzen kann, und redet sanft vor sich hin oder mit mir. Ich höre es, aber ich nehme ihr besorgtes Gemurmel nicht auf. Sie hat eine nette Stimme, denke ich, stöhne ein wenig, weil ich glaube, dass ein gequält klingender Laut meinem Zustand angemessen sein dürfte. Sie erschrickt daraufhin, hält inne, atmet tief aus und schaut auf meinen blutigen Kopf. »Je l’ai presque tué, je suis une meurtrière.« Ich verstehe zwar nicht genau, was sie sagt ... so was wie … dass sie mich beinahe getötet hätte und … Mörderin. Aber sollte ich sie nun trösten oder soll ich lieber umsorgtes Opfer bleiben. Ich entscheide mich für Letzteres, es scheint mir angemessener.
Im Dahindämmern beobachte ich mich dabei, wie ich mit dem offenen Auge – das andere ist nicht nur geschwollen, sondern auch blutverklebt – ihre Beine bewundere. Den schönen Rest kann ich aus dieser Lage und in meinem Zustand nicht erkennen. Es würde mich umhauen, wenn ich nicht längst liegen würde: solche Beine, ein solcher Ausblick von den zierlichen Zehen angefangen, über das Knie bis zu den Schenkeln. Ich werde schwach, dem natürlichen Zustand in meiner Lage, und traue mich, die braun gebrannten, wohlgeformten Beine zu bewundern. Na ja, sehen kann ich nicht viel! Nur so verschwommen nehme ich alles wahr.
Wir bleiben nicht lange in unserer Zweisamkeit. In der Ferne höre ich aufgeregte Stimmen, sie kommen heran. Sie scharen sich um uns herum und sprechen aufgeregt miteinander.
»Was für ein Glück, er lebt ja noch. Das hätte schlimm ausgehen können, so wie er ins Geröll hinunter gestürzt ist.«
Ein Herr im mittleren Alter und im schicken Golfer-Outfit, soweit ich das aus meiner Lage sehen und überhaupt beurteilen kann, sagt nur den einen Satz: »Was hast du nun wieder angestellt, Marie?«
Es scheint ihr Vater zu sein; nur so spricht ein Vater mit seiner Tochter. Ich glaube, diese Person zu kennen. Könnte das Eduard sein, der aus Deutschland? Der, den ich besuchen wollte? Aber in meinem Zustand bin ich mir da nicht sicher.
»Ich kümmere mich sofort um den Arzt und die Unterbringung des Verletzten. Marie, du bleibst hier und hilfst ihm zu überleben, bis der Arzt kommt. Ich habe Kunden aus China und komme, wenn möglich, später noch dazu.«
Ich sollte mich ordnungsgemäß vorstellen, artig verbeugen und »enchanté!« sagen. Es gelingt mir nicht, nicht mal im Ansatz. Ich komme nicht auf die Beine, ich kann nur verschwommen sehen, zudem kommt, des lädierten Hirns wegen, nur ein Krächzen aus meinem Mund. Höflichkeiten muss ich mir für später aufsparen. Man wird deswegen ja nicht gleich von mir abrücken und mich allein liegen lassen, wo ich doch offensichtlich nur so überlebt habe.
Man diskutiert hin und her auf Französisch, auf Englisch und Italienisch und man hat längst nach einem toubib gesucht und geschickt. Es liegt auf der Hand, dass auf jedem Golfplatz, der ein gewisses Niveau aufweist, auch ein Arzt unter den Spielern oder Besuchern zu finden ist.
Bis dahin schaut man auf mich Schwerverletzten in großer Besorgnis und angemessenem Respekt. Man würdigt, dass ich immer noch lebe und die Absicht erkennen lasse, überleben zu wollen.
Wenn ich ehrlich sein soll: Die Situation kann nur besser werden und um mich herum sind einige interessante und durchaus charmante Golfer. Insbesondere meine Retterin.
Sie hält mich immer noch wunderbar fest, damit ich bequem sitzen kann. Zuvor hat sie ihr weiches Sportjackett unter meinen Po geschoben. Ich finde, trotz des Brummschädels, lässt es sich vorerst so aushalten, bis der Arzt mich hoffentlich als überlebensfähig einstufen wird, denke ich mal.
Nun schickt jemand nach Tee, meine ich zu verstehen. Eine grün und blau karierte Decke wird um mich herum ausgebreitet, ein Schmuckstück englischer Country-Art.
Artig nehme ich diese Geste des guten Willens an und lege mich mit Maries Hilfe mitten drauf. Sie wird von ihrem Papa angewiesen, sich in meinen Rücken zu setzen, damit ich nicht zur Seite kippe und um es mir bequem zu machen. Ach, ich liebe es, so umsorgt zu werden. Was könnte schöner sein, als der warme Rücken eines zauberhaften Mädchens. Noch kenne ich sie ja nicht, ich habe sie noch nicht mal sehen können, nur ihre verschreckte, aber liebliche Stimme hat mich gewärmt.
»Und … wo bleibt der Picknickkorb?«, fragt der Vater.
»Komme schon, musste nur die Kuchen und Keksauswahl ein wenig aufstocken, denn wir wollen ja alle was davon abhaben«, ruft einer der Golfspieler. Als das andere hören, lassen sie sich auf der Decke und auf ihren Pullovern nieder, weil die Gelegenheit zu einem gemütlichen Picknick mitten auf dem Golfplatz wahrgenommen werden muss. Normalerweise ist das eher verpönt, höre ich so heraus. Weil … das könnte ja jeder machen und ein Golfplatz ist zum Spielen da und nicht zum Nichtstun, also zum Quatschen und Saufen auf dem Golfrasen.
Aber wir haben ja einen guten Grund hier zu bleiben, weil erstens der Doktor auf sich warten lässt, und zweitens der Schwergeschädigte nicht transportfähig ist. Wenn also Picknick, dann gehts nur hier und mit mir, dem Opfer der Golf-Spielsucht.
Der Tee wird in eleganten silbernen Thermosbechern serviert, dazu Milch und Zucker auf die feine englische Art.
Jetzt lässt meine Anspannung nach, weil ich als Golfball-Opfer offensichtlich keine Anstalten mache, dahinzuscheiden, wilde Drohungen auszustoßen oder aber Regressforderungen zu stellen. Sondern weil das Opfer sich den Tee und die kleinen, aber außerordentlich feinen tartes schmecken lässt. Wie alle anderen auch.
Ein gutes Zeichen. Das wird anerkennend festgestellt, noble Gesinnung, hartes Bürschchen. Ein jeder entdeckt eine andere positive Eigenschaft an mir. Um mich moralisch zu unterstützen, denke ich. Es geht mir gut, ich genieße es, genieße das Vertrauen. Ich habe plötzlich viele neue Freunde, ich werde aufgenommen in ihren Kreis und gehöre von Stund an dazu, wie ich später, Tage später feststellen kann.
Immer mehr Golfspieler versammeln sich um den Picknick-Platz. Sie setzen sich auf die Decke, wo immer ein Plätzchen frei ist, oder nur vorsichtig daneben ins kurze Gras und genießen die Picknick-Fete: welch ein schönes Bild!
»Hey, was geht hier ab, ist hier ’ne Demo?« Jemand, den offensichtlich alle kennen, gesellt sich zu uns und will teilhaben an der Demo.
Es ist der Docteur, der toubib, der immer noch nicht mitbekommen hat, dass er einen Schwerverletzten retten soll.
»Hey, Doc, wo hast du deine Überlebensausrüstung, willst du etwa den niedergestreckten Golfer mit bloßen Händen retten. Tu endlich was, um einen Todesfall auf dem Green zu verhindern«, wird er von den Spielern empfangen.
»Mir sagt ja keiner was, ich weiß wirklich von nichts. Wo ist das Opfer denn?«
»Setz deine Brille auf, dann siehst du die Blutlache, Marie hält ihn versteckt, den Niedergestreckten, sie hält ihn aufrecht und damit vorläufig am Leben.«
»Oh, mein Gott, da ist er ja! Die ersten zehn Minuten entscheiden über Leben und Tod. Drei Minuten haben wir schon vertan.« Er kniet sich vor mich Verletzten, stellt keineswegs die überflüssige Frage, wie es denn gehe. Das weiß der hingegossen Liegende ja nicht und natürlich geht’s ihm beschissen, um es deutlich zu sagen. Gewohnheitsmäßig drückt Monsieur le Docteur an meiner Unterarm-Arterie um festzustellen, ob und wie stark ich noch lebe, beobachtet die Pupillen, die blutende Wunde und noch viel mehr. Aber da kennen wir uns gewöhnlich Sterblichen nicht mit aus. Der Doc aber umso mehr. Er konstatiert die hohe Überlebenschance, lässt nach seiner Arzttasche und dem Erste-Hilfe-Koffer schicken, lagert mich Verletzten ordnungsgemäß. Er beginnt mit seinen Gerätschaften die Wunde provisorisch zu verarzten, um die Blutung zu stoppen. Verabreicht Blutstillendes und Schmerzmittel, prüft den Blutdruck und die Herzfrequenz. Danach verordnet erst einmal absolute Ruhe in der Liegeposition, um den Kreislauf zu stabilisieren.
»Ich empfehle dringend, den Verletzten nicht weit zu transportieren. Am besten zu Eduard. Wie ich erfahren habe, ist er ein Bekannter von ihm. Und das Anwesen ist doch gleich um die Ecke. Dort sollte er sich vorerst erholen und die Nacht überleben.«
Zustimmung von allen Seiten, ein Lächeln kehrt wieder auf die Gesichter zurück.
»Was sind wir froh, dass es so vergleichsweise glimpflich ausgegangen ist, nun können wir ja weiterfeiern. Am besten sollte jemand mal härtere Drogen herschaffen. Mit Kaffee und Tee kommen wir nicht sehr weit hinsichtlich der anzustrebenden überbordenden Fröhlichkeit«, sagt Raymond, ein Freund von Eduard. Er fügt hinzu:
»Ich geb schon gleich mal eine Runde vom Roten aus.«
Einer der jugendlichen Golfer fühlt sich angesprochen.
»Meinst du den ›Château de Bellet‹ aus Nizza oder lieber den ›Cuvée du Pressoir Romain‹ aus Saint-Jeannet, nur eine Meile weiter über das Var-Tal hinaus nach Westen. Nah genug? Ich weiß ja, du bevorzugst regionale Bioweine.«
»Genau in dieser Reihenfolge: Ich habe zufällig ein paar Flaschen im Auto.« Er zwinkert dem jungen Golfer zu. »Hier mein Schlüssel für den grünen Landrover. Unterm Vordersitz versteckt. Bringe alle Flaschen mit. Ich schmeiße eine Runde. Allein zu trinken ist ja Verschwendung von Lebensfreude, sag ich mal so.«
Das ist der Startschuss, nun fühlen sich auch die anderen angeregt, ihren ›zufälligen‹ Vorrat an Getränken oder Amuse-Gueules heranzuschaffen. Die Golfjugend macht das wie immer gern, die Picknick-Decke mit Köstlichkeiten zu füllen. Immerhin fällt für sie ja auch was ab, auch die Freundschaft der Golfer, ihre unausgesprochenen Vorbilder.
Raymond ist es gewohnt alles zu organisieren: »Wenn ihr noch Gläser aus dem resteau, dem Golfrestaurant, mitbringt, dann geb ich den Startschuss für die erste und ungewöhnlichste Fete des Jahres. Ich hab Durst, ich glaube, da bin ich nicht allein.« Allgemeines Nicken.
Und es geht laut los, nachdem die erste Runde an Rotem ausgetrunken ist, wird das Ereignis sinnigerweise in ›Rekonvaleszenz-Fete‹ umgetauft. Nach dem Motto ›Viel hilft viel‹ stößt die Truppe Runde um Runde auf die Genesung meiner verschiedenen beschädigten und unbeschädigten Körperteile an. Dann auf die Retterin Marie, dann auf Eduard, der das Haus für die Genesung zur Verfügung stellt und dann … ja, dann wird es turbulent und das gepflegte Besäufnis nimmt seinen Lauf in gepflegter golfgrüner Umgebung auf neunhundert Metern Höhe mit Blick aufs Meer und Monaco, nach Ventimiglia in Italien, und zur anderen Seite über Nizza, Cannes bis nach Saint-Tropez, im Dunst gerade noch zu sehen.
Jean-François nimmt von all dem Trubel nicht viel wahr und genießt es, in seinem Zustand nicht mitfeiern zu müssen. Obwohl er ja im Mittelpunkt steht. Er darf sich ausruhen, wird liebevoll gehegt und gepflegt, soweit er das überhaupt mitbekommt. Dann ist er einfach weggedämmert, um sich zu erholen.
Marie kann am Trubel auch nicht teilnehmen. Sie sitzt ziemlich unglücklich neben dem Verletzten und überlegt, was nun zu tun sei.
Sie braucht unbedingt die Unterstützung von ihrer Freundin MaSo - Marlen-Sophie. Der wird es besser gelingen, diese Untat zu verarbeiten. Sie wird ihr beistehen. Was weiß sie, wie ihr Papa darauf reagieren wird? Er wird sie zusammenfalten und mit berechtigten Vorwürfen überhäufen.
Erst mal muss der Verletzte nach dem Rat von Doc Filou sofort ins Landhaus gebracht werden. Am besten in ihr eigenes Zimmer. Da ist das Bett schön breit und da scheint morgens die Sonne ins Fenster. Sie wird ins Gästezimmer gleich nebenan einziehen, um in Rufweite des Verletzten zu bleiben. MaSo wird ihr sicher helfen, ihn zu pflegen. Ihren Papa darf sie damit nicht belasten, er hat mit der Firma schon genug zu tun.
»Also packen wir es an!« sagt Marie entschlossen zu einigen Golferfreunden.
»In ein großes Auto mit dem Verletzten. Meine Nuckelpinne ist für diesen Transport nicht groß genug.
Und ab ins Landhaus und ab ins Bett. Der Doc wird morgen gleich wieder nach dem Rechten schauen, das hat er ihr versprochen!«
2. Pflege im Landhaus am Mont Agel
Am Morgen war JF erstaunt, in einem ihm unbekannten Zimmer von der aufgehenden Sonne geweckt zu werden. Jemand, den er im Halbdunkel zwar nicht sehen, aber dessen Stimme er wiedererkannte, sprach ihn angenehm leise an.
»Wie gehts Ihnen, heute Morgen, Jean-François, schon besser? Was macht der Kopf«, fragte Marie. Die hatte ihn auf dem Golfplatz umsorgt, gestern auf der Golf-Fete nach dem schlimmen Unfall, der ihn umgehauen und zu Boden geschickt hatte. Er versuchte, sich Klarheit über seinen Zustand zu verschaffen. Der Kopf brummte, die Augen waren verquollen und verklebt. Er traute sich nicht, sie zu öffnen. Ihm taten allerlei Knochen weh, die Rippen schmerzten an der rechten Seite und die linke Hand zog heftig, sie schien gebrochen zu sein. Oder war sie nur verstaucht? Er versuchte, sie zu bewegen. Es tat heftig weh, also ließ er es lieber.
»Bonjour, Marie, wo bin ich hier eigentlich, c’est la maison d’Eduard au dessus de Monaco?« Er wechselte ins Französische, denn hier im Süden sprach man nicht Deutsch. Diese Frage kam eher als Röcheln aus seinem trockenen Mund.
Sie nickte. »Oui, c’est la maison d’Eduard, mon papa.« Ja, das war das Haus von Eduard oberhalb von Monaco. Auf dem Golf hatte er mitbekommen, dass seine Erste Hilfe und nun Pflegerin Marie hieß, und die Tochter seines Freundes Eduard war. Mehr wusste er allerdings nicht.
»J’ai soif, un peu d’eau s’il te plaît, Marie.« Er bat sie kaum hörbar, um etwas zu trinken. Sie reichte ihm sofort ein Glas Wasser, das sie offensichtlich schon bereitgestellt hatte.
»Je peux vous aider.« Sie rückte ans Bett heran, stellte das Kopfteil ein wenig hoch, um ihm beim Trinken zu helfen. Er nahm ihre Hilfe mit einem dankbaren Kopfnicken an. Seine Hände zitterten, er hätte das Glas nicht halten können.
Offensichtlich war er auf Hilfe angewiesen, aber freuen konnte er sich nicht über die Betreuerin mit der sanften und besorgten Stimme, dazu war er noch viel zu durcheinander und hatte überall Schmerzen.
JF versuchte, seine Situation zu rekapitulieren: Er hatte einer lange ausgesprochenen Einladung Eduards entsprochen, ohne diesem seinen Besuch im Detail anzukündigen. Am Telefon des Büros hatte man ihn darauf hingewiesen, dass Monsieur Eduard nicht im Haus oder in der Firma war, sondern oben auf dem Golfplatz von Monte-Carlo zusammen mit seiner Tochter Marie.
Da er noch keine Vorstellung hatte, wo er sich einquartieren sollte in den nächsten Wochen, war er einfach nach oben zum Golf gefahren, um nach Eduard zu fragen. Alles Weitere würde sich schon ergeben.
Dass er von jemandem umgehauen und beinahe ins Jenseits befördert worden war, war erstens nicht richtig nett und zweitens hatte er dadurch Eduard nicht finden können und drittens war die Frage der Unterkunft auf besondere Weise geklärt, wie er nun feststellte. Einschließlich des Pflegepersonals mit der lieblichen Stimme. Bisher hatte er das Mädchen noch nicht richtig gesehen, weil er, so derangiert wie er immer noch war, alles nur schemenhaft wahrnehmen konnte.
Nach den Fakten nun die Vermutungen, die ihm wirr durch den lädierten Kopf gingen: War er bewusst umgehauen worden oder durch unglücklichen Zufall? Hatte Marie etwas damit zu tun, da sie ihn ja sofort umsorgt hatte? Und waren ihre Haare so blond wie in seiner Vorstellung? Hatte Eduard schon von ihm erfahren oder sollte er ihn informieren lassen? Stand sein Cabrio mit den Sachen noch auf dem Golfparkplatz? Wer hatte ihn hierher transportiert und noch spannender: Wer hatte ihn ausgezogen und mit frischer Schlafkleidung versorgt? War das die liebliche Marie? Ihm wurde warm bei dem Gedanken.
»Salut, le malade, vous êtes déjà réveillé? Moi je suis Docteur Phillippe, aber meine Freunde nennen mich ›Doc Filou‹, warum auch immer.« Der eben Eingetretene begrüßte den Kranken freundlich. Er verlor keine Zeit mit überflüssigem Gerede, sondern kümmerte sich um seine medizinische Versorgung. JF brachte zwar kein verständliches Wort heraus, versuchte aber ein Lächeln und Nicken, um anzudeuten, dass er ihn, den Docteur, verstanden hatte, ob er schon aufgewacht wäre.
»Wie ich von Eduard gestern erfahren habe, sind sie sein Freund aus Deutschland, der ihn aus großer Not gerettet hat.« JF nickte nur.
»Sie haben bestimmt Schmerzen, ich gebe Ihnen gleich mal was dagegen. Marie kann Ihnen das verabreichen, sie scheint ja nun Ihre persönliche Pflegerin zu sein. Monsieur, Sie könnten es schlechter getroffen haben, nach diesem Knock-out. So eine zauberhafte Krankenschwester.« Er blinzelte ihnen beiden zu, deckte die Schlafdecke auf und zog die Schlafjacke aus, um ihn vollständig nach versteckten Schäden zu untersuchen.
»Oh je, Sie haben ja eine Menge blaue Flecke, nicht nur am Schädel. Sind wohl unglücklich gestürzt. Was macht die Hand? Sie halten sie unnatürlich hoch, soll ich mal?« JF stöhnte auf und wagte vor Schmerz kaum zu atmen, als der Docteur die Hand hin und her bewegte. Aber im Beisein jenes schönen Mädchens konnte er sich nicht gehen lassen, um tierische Schreie auszustoßen – danach war ihm eigentlich.
»Nein, nicht gebrochen, definitiv nicht und die Beweglichkeit ist ja auch gegeben. Wird schon wieder! Sie können wieder Luft holen, sonst laufen Sie mir noch blau an, vor Sauerstoffmangel. Würde Ihnen nicht stehen.«
Nachdem die Kopfwunde und die Abschürfungen versorgt waren, versprach der Doc, morgen erneut nach dem Rechten zu schauen.
»Stellen Sie bis dahin keinen Unsinn an, Sie beiden. Monsieur Jean-François ist noch nicht voll einsatzfähig!«
Marie errötete, weil sie wusste, wie der Doc es meinte. Als ob sie über JF herfallen würde in dessen Zustand, welch verrückte Idee!
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie ein bisschen herrichte, ich meine, ein wenig wasche, am Kopf … ja und die Hände und die Beine … und so,« fragte sie ihn.
»Und der Rest soll dreckig bleiben?«, krächzte JF.
»Darf ich dich bitten, mich möglichst ganzheitlich abzuwaschen, s’il te plaît, wenn möglich. Ich kann mir leider nicht selbst helfen. Und die Augen sind immer noch verklebt, ich würde dich gern mal von Aug zu Aug sehen, bisher kenne ich nur deine liebliche Stimme, Marie.«
Marie errötete wiederum, holte die Waschschüssel und einige Handtücher und Waschlappen und Duschgel.
»So bitte, platt auf den Bauch legen! Kommen Sie, ich helfe Ihnen, beim Umdrehen.« Sie krabbelte mit den Knien aufs Bett und schob und zog an ihm herum.
»Was machen Sie mit mir, nun kann ich Sie ja erst recht nicht mehr sehen, wer hat denn was von Popoputzen gesagt, na ja, gut, also den Rücken kannst du ja waschen und die Beine und was alles noch aus den Boxershorts herausschaut.« Er gab sich dem Unvermeidlichen hin, wehren konnte er sich sowieso noch nicht.
»Fais pas la prude!« Auf Deutsch klang das lustiger: Sei nicht so zimperlich. Sie sagte das bestimmend und rieb sanft, auf seinem Alabasterkörper herum, um den gröbsten Schmutz abzuwaschen. Na ja, natürlich auch, damit er fein duftete. Sie kicherte in sich hinein.
Ich würde ja einige Stellen lieber sauberlecken, dachte sie. Aber das verbot sich wohl im Moment. Als sie die Boxer-shorts ein wenig herunterzog, um zum Putzen an seinen knackigen Popo zu gelangen, wurde ihm doch ein wenig mulmig.
Ihre Zweisamkeit wurde jäh unterbrochen, die Tür flog auf.
»Was macht ihr denn hier, störe ich beim Sex? Oder wieso reitest du auf seinem knackigen Arsch herum? Man kann dich nicht mal ein paar Minuten allein lassen, dann stellst du schon wieder was an.«
Es war Marlene-Sophie, kurz MaSo genannt. Sie stürmte herein mit wehendem Haarwuschel der Art ›Gerade-aufgestanden-und-noch-nicht-geputzt‹. Sie hatte noch rote Wangen vom Schlaf und war auf der linken Seite zerknittert vom Kopfkissen.
»Und wer ist dieses Mannsbild, das du in dein Bett geschleppt hast. Ich dachte, du stehst seit deiner letzten Niederlage nicht mehr auf Männer? Oder störe ich gerade? Obwohl es mir egal ist, bin ich doch zu neugierig, wen du dir da eingefangen hast. Wenn ich ihn mir angeschaut habe, könnt ihr ja weitermachen, mit euren Spielchen. Versprochen!«
Sie ging in die Knie, um einen Blick von der Vorderseite des muskulösen Mannes zu erhaschen. Sehen konnte man aber nichts Rechtes, weil er tief eingesunken war in das weiche Federbett.
»Kannst dich nützlich machen, wenn du schon beim morgendlichen Ritual des Aufstehens störst. Fass mal vorsichtig an, damit wir das schwere Mannsbild wieder umdrehen können. Ich muss die Vorderseite auch noch waschen und abrubbeln.«
MaSo guckte sie erstaunt an. »Wie das? Hast du ihn hingeworfen, ist er kaputt und nicht mehr Herr seines athletischen Körpers? Wer ist das überhaupt, wo kommt er her, soll er hierbleiben?«
»Quatsch jetzt nicht! Nimm mal die rechte Schulter vorsichtig hoch und dreh ihn herum. Ich fasse ihn hier unten an. Eins, zwei und hauruck und herum.«
JF stöhnte leicht auf; die Drehung gelang ihnen zu zweit.
»Also die Knochen sind bestimmt nicht so schwer, das sind sicher die Muskeln«, sagte MaSo anerkennend, als sie endlich die muskulöse Vorderseite betrachten konnte.
»Also, ich würde nun ja gern eine detaillierte Einschätzung von mir geben. Spricht er Französisch oder kann ich hemmungslos reden?«
»Unterstehe dich, so etwas gehört sich sowieso nicht, egal in welcher Sprache. Er kann sich überhaupt nicht wehren. Da verbietet sich so was.«
JF konnte zwar immer noch nichts Rechtes sehen, weil die Säuberung der Augen noch nicht an der Reihe war, aber er nahm den Geruch eines weiteren Mädchens wahr und eine lustige Stimme. Sie plapperte munter und hatte offensichtlich Marie beim Umdrehen geholfen. Jetzt, wo die Schmerzen durch die Pillen unterdrückt waren, genoss er es beinahe, von zwei großen Mädchen mit lieblich klingenden Stimmen körperlich versorgt zu werden.
»Augen zu, sonst brennt’s von der Seife.« Vorsichtig wusch Marie ihm die Augen und trocknete sie. Wenn er schon hilflos war, sollte er wenigstens zuschauen können, was man so mit ihm anstellte.
»Woauuuu … « JF schnalzte mit der Zunge, als er die beiden schönen jungen Frauen endlich bewundern konnte. Er mochte es kaum glauben, aber dass zwei so hübsche Weibsbilder an ihm herummachten, das hatte was. Er murmelte seine Anerkennung. Beide waren sportliche Schönheiten, die der Temperatur gemäß knapp angezogen waren. Marie hatte einen wuscheligen, beinahe blonden Lockenkopf. Ihre vollen Lippen waren nicht geschminkt. Mit ausdrucksstarken blaugrünen Augen sah sie ihn fragend an, als er sie voller Bewunderung musterte. Sie hatte kleine Grübchen, wenn sie schmunzelte – nur nach Lachen war ihr offensichtlich nicht zumute. Warum auch immer.
Ihre dynamische Freundin Marlen-Sophie hingegen schaute ihn mit ihren dunklen kurzen Haaren genauso interessiert und voller Bewunderung an. Sie war ebenso schlank wie Marie. Ihre ellenlangen braun gebrannten Beine konnte man unter den kurzen Shorts bewundern. Sie hatte offensichtlich den Schalk im Nacken und versuchte mit ihm zu flirten. Leider war ihm in seinem Zustand nicht danach.
»Was haben sie gesagt, Monsieur? In welcher Sprache wollen Sie uns etwas mitteilen?« Marie guckte ihm in die Augen.
»Können Sie wieder alles sehen? Ich bin Marie und das hier«, sie zog ihre Freundin zu sich heran, »das ist Marlen-Sophie, meine engste Freundin. Sie wohnt auch hier oben, am Mont Agel, wenigstens für eine Weile. Aber sie lässt sich lieber mit MaSo ansprechen.« MaSo nickte heftig und schmachtete ihn an.
»Komm, gib dem JF Pfötchen, aber die linke Hand, weil seine Rechte nicht benutzbar ist, wenigstens eine Weile. Stimmt doch, oder?«
Er nickte und wedelt mit der linken Hand zunächst Marie zu sich heran, griff ihren Nacken und gab ihr ein bisou rechts und dann links. Er liebte diese französische Begrüßung, darauf hatte er sich schon lange gefreut, weit im Norden war das nicht so üblich – außer unter engen Freunden.
»Et moi je m’appelle Jean-François et pour mes amis JF - ich heiße Jean-François und für meine Freunde JF.«
»Und nun ich!« MaSo schob Marie zur Seite, um JF auch auf dieselbe Weise zu begrüßen. »Enchanté – sehr erfreut!«
»Enchanté«, erwiderte JF.
Ach tat das gut! JF wusste jetzt schon: Er würde schnell gesunden in einem solch anregenden Pflegeheim.
»Darf ich Jean-François vorstellen: Er ist ein Freund, vielleicht auch Geschäftsfreund von Papa. Er wird für einige Zeit hier an der Côte und in Monaco wohnen, wie ich von Papa erfahren habe.«
»Du bist also die Tochter, das konnte ich ja nicht wissen, obwohl ich es ja ahnen konnte, aber in meinem Zustand ahnt es sich nicht so gut. Bitte, du musst mich unbedingt duzen und MaSo natürlich auch. Dieses Du-Sie ist mir ja peinlich.«
»Was ist Du-Sie? In welcher Sprache?«
»Wenn ein Gesprächspartner Du sagt und der andere Sie, logisch, oder? Jetzt gebietet die Höflichkeit aber auch, dass wir uns einen Bruderkuss geben, sonst gilt das nicht.«
»Und wie geht das nun vonstatten, ich dachte, so was gibts nur in den sozialistischen Bruderländern, habe ich gelesen.« Marie legte ihre Stirn in zierliche Falten und hob die Augenbrauen.
»Da musst du schon etwas näher kommen, dann zeige ich dir, wie es geht, das kann man nicht erzählen, das kann man nur körperlich erleben.« Er zog sie mit der gesunden Hand erneut an sich und busselte sie genüsslich ab. Da er stärker war als sie, gelang es ihr nicht, sich zu wehren. Sie zappelte herum, um sich aus seiner Umklammerung zu befreien. Er genoss das Ritual und beabsichtigte nicht, es zeitig zu beenden. Er liebte diese intime Geste, der sie sich nicht so einfach entziehen konnte, denn die Höflichkeit erforderte eine angemessene Kusslänge. Und was angemessen war, bestimmte der mutigere Kusspartner.
»Augen zu, sonst ist der Bruderkuss nicht gültig und muss wiederholt werden.« JF ließ sie frei, auch wenn unklar war, ob Marie die Regel eingehalten hatte.
»Hab ich gemacht, ich küsse immer mit geschlossenen Augen. Das soll mir keiner vorwerfen.«
»Wenn ihr noch länger herummacht, komme ich gar nicht mehr an die Reihe, ich musste mich ohnehin schon hinten anstellen, jetzt bin ich auch mal dran.« MaSo hatte ein Faible für dieses gesellschaftlich anerkannte Ritual. Wo gab es sie sonst noch, die Kusspflicht? Ach ja, unterm Mistelzweig, auf jeden Fall in England, wie sie wusste.
»Komm endlich ans Bett, du willst dich doch deiner Pflicht als höflicher Mensch nicht entziehen!« JF lachte, nachdem er Marie loslassen musste, weil sie herumgequengelt hatte, um sich des Bruderschaftrituals zu entziehen.
»Na, ich doch nicht, ich stehe auf Küssen, unabhängig von Kusspflichten auch ohne zeitliche Begrenzung.«
JF schmatzte auch sie lauthals ab und drückt sie an sich. »Hach, tut das gut, ich könnte mich daran gewöhnen!«
»Jetzt ist aber genug, ihr müsst auch mal wieder Luft holen, außerdem wollen wir endlich Frühstück machen.«
Marie zog die beiden Bruderkusspartner auseinander. Sie ertappte sich dabei: Es war ihr durchaus nicht recht, dass er länger mit ihrer Freundin Küsse ausgetauscht hatte. Aber, wenn sie ehrlich war, hatte sie ja selbst den Bruderkuss vorzeitig abgebrochen, weil ihr etwas mulmig geworden war, ob das auch seine Richtigkeit hatte, mit dem Ritual.
Aber schön war es schon gewesen. Man müsste das Ritual des Öfteren wiederholen, damit man nicht wieder ins ›Sie‹ zurückfiele. Sie sollte das vorsichtshalber mal ansprechen bei Gelegenheit.
»Und du, MaSo, zieh dir endlich was an, wir haben Herrenbesuch im Hause, da kannst du nicht so halb nackt herumlaufen. Da wird er vor Schreck oder Erregung ohnmächtig. Wir dürfen ihn in seinem Zustand nicht aufregen. Ich werde gleich mal den Blutdruck messen und den Puls.«
MaSo trottete schmollend aus dem Zimmer, nicht ohne vorher auszurufen: »Pah! Ich bin hier im Urlaub, und da habe ich ein Recht auf bequeme und leichte Kleidung. Wer sagt denn, dass ich vor dem Frühstück schon ordnungsgemäß bekleidet sein muss? Immerhin habe ich oben was an und auch ein Höschen. Was soll ich denn noch anziehen, bei diesem Wetter!«
Marie rollte die Augen, sie kannte dieses Argument schon. Bisher war es ja egal gewesen, weil sie allein im Haus wohnten und auf niemanden Rücksicht nehmen mussten.
Zugegeben, viel hatte sie auch nicht angezogen, dazu war es bereits morgens zu warm: Ein kurzes T-Shirt und weite Boxershorts bedeckten sie hinreichend. Draußen am piscine hatten sie beide in der Regel noch weniger an. Fürs Schwimmen und Sonnenbaden reichte der knappste Bikini, wenn sie überhaupt etwas zum Sonnen oder Baden anzogen. Sie waren beide nahtlos braun.
JF kuschelte sich unter die leichte Sommerdecke. Er musste in seinem Zustand (was immer das ist) nicht mithelfen, das Essen zuzubereiten. JF freute sich trotz seiner Schmerzen auf das Frühstück im Bett, und die beiden Mädchen freuten sich, ihm Gesellschaft zu leisten, als Pflegepersonal versteht sich.
»Wie viele Personen wollt ihr denn beköstigen? Das reicht ja für eine kleine Fußballmannschaft«, scherzte er, als das erste Tablett mitten auf seinem Bett abgestellt wurde. Marie kicherte: »Das ist noch nicht alles, die gebratenen Sachen folgen gleich. Wir machen so etwas wie einen Brunch, dann brauchen wir nicht Mittagessen zu kochen. Ist dir das recht, oder hat der Herr andere Pläne? Will Monsieur vielleicht auswärts dinieren?«
Nein, JF liebte es, tatenlos im Bett bleiben zu dürfen, ihm war alles recht, solange er so reizende Gesellschaft bei seiner Rekonvaleszenz in Anspruch nehmen durfte. Laut sagte er: »Ich kann mich ja leider nicht wehren, da könnt ihr beide leicht über mich verfügen, also füge ich mich lieber freiwillig. Ich hab ein schweres Los. Wenn ich nur könnte …«
Marie versicherte ihm eindringlich, dass sie sich beide intensiv um ihn kümmern würden, damit es seiner Herrschaft an nichts mangelte. Ob das ihm recht wäre?
Und ob ihm das recht war, er konnte sich nichts Besseres wünschen.
MaSo brachte pigeon rôti auf einem zweiten großen Tablett herein. Genau genommen waren es keine Flugtiere, sondern allerlei gebratene Würstchen, Rührei und andere Köstlichkeiten, die er aber nicht erkennen konnte.
»Oh, wie das duftet, mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ob der Arzt das auch erlaubt hat?«
»Was soll er erlaubt haben? Das kräftige Frühstück oder Frühstück im Bett?«
Marie beteuerte, der Doc habe ausdrücklich jede nur erdenkliche Pflege angeordnet und ein strenges Verbleiben im Bett. Von allein im Bett oder zu dritt war nicht die Rede gewesen. Und bei der Gestaltung der Pflegemaßnahmen hatte er ihnen freie Hand gelassen und dabei Marie mit lachenden Augen zugezwinkert.
Die beiden Schönen machten es sich auf seinem Bett bequem, versuchten, ihm sein Kopfkissen zu klauen, was er aber tapfer verteidigte, und stellten das Kopfteil in die Höhe. Sie wollten es ja alle bequem haben. Denn eines war ihm klar, das opulente Essen würde sich hinziehen. Mit oder ohne das lustige Geplänkel der drei jungen Leute, die nun unter einer Decke steckten, wie Marie richtig anmerkte.
»Ich dachte immer, wenn drei unter einer Decke stecken, handelt es sich um eine anrüchige Verschwörung … oder so«, bemerkte Marie.
»Nun was nicht ist, kann ja noch werden, ich verschwöre mich gern mit euch, so harmlos, wie ihr beide ausseht.«
MaSo prustete beinahe in ihren heißen Tee und gluckste »Wenn du nur wüsstest!«
»Habe ich bei meinem Schönheitsschlaf etwas verpasst, das ihr angestellt habt? Oder habt ihr geheime Pläne geschmiedet, von denen ich nichts wissen darf?«
»Vielleicht beides. In deinem Zustand sollst du nicht alles wissen. Das könnte dich nur aufregen und der Gesundung entgegenstehen. Das sollen wir nach ärztlichem Rat dringend vermeiden.« Marie lachte ihn an.
»Sei sicher, wir werden uns liebevoll um dich kümmern. Versprochen.«
Die beiden Verschwörerinnen zwinkerten sich zu. Obwohl Marie nicht zum Lachen zumute war, beileibe nicht. Warum? Das wollte sie aber jetzt nicht verraten. Vielleicht später, wenn man sich besser kennengelernt hatte.
Das Frühstück zu dritt, das schworen sich alle drei, sollte zu einer festen Einrichtung werden. Sie genossen die Nähe, auch wenn Marie nicht so ausgelassen und fröhlich war, wie es nahe gelegen hätte: Denn alle drei machten Urlaub in dieser schönen Gegend auf dem wunderbaren Anwesen, das JF gern kennenlernen wollte, sowie er sich aus dem Bett bewegen könnte. Die beiden Hübschen hatten sich Urlaub genehmigt, jetzt in den Semesterferien. Marie seufzte immer mal wieder, wenn sie nicht als Pflegerin gefordert war und Zeit zum Nachdenken hatte.
»Marie, du schaust so traurig drein, haben wir etwas verkehrt gemacht oder können wir dir helfen. Du hast ganz offensichtlich Kummer, man sieht es dir an.«
JF war im Moment eher auf fremde Hilfe angewiesen, als dass er jemand anderem helfen könnte. »Wenn es dir hilft, kannst du gern mit mir reden, wir kennen uns fast gar nicht, also sollten wir die Gelegenheit zum Kennenlernen nutzen, wo wir sowieso unter einer Decke stecken. Ich gehe mal davon aus, dass MaSo dich und deine Sorgen in- und auswendig kennt?«
»MaSo und ich wir sind erst kurz wieder zusammen, um hier auf dem Mont Agel Ferien von unseren Sorgen zu machen. Aber wir kennen uns natürlich seit vielen Jahrzehnten. Sozusagen von Kindesbeinen an.«
»Also Jahrzehnte kann ja wohl nicht sein, meine Schöne. So jung wie ihr seid, reicht das nur für ein Jahrzehnt und ein paar Krümel.«
»Wolltest du damit etwa sagen: Du gibst dich mit so jungen Dingern wie uns nicht ab? Mein Großer.«
»Au weia, deine zarte Jugend macht dir wohl zu schaffen. Sei froh, alt und schrumpelig wirst du noch von alleine. Aber um offen zu sein, ihr seid mir alt genug und unterliegt nicht mehr dem Schutz Minderjähriger, sonst hätte ich euch nicht so leicht bekleidet unter meine Decke gelassen.«
»Wer ist hier nun leicht bekleidet? Wir haben ja wohl alle drei genug an, ich meine, um wenigstens die Blößen zu verdecken. Wobei MaSo mal wieder haarscharf die Grenze des Schicklichen überschreitet.«
»Du meinst, unterschreitet, was den Stoffverbrauch anbelangt.«
»Ihr seid beide ja nur neidisch, weil ihr euch nicht traut, eure Reize herzuzeigen«, gluckste MaSo.
»Mich kannst du nicht meinen, ich traue mich, oben ohne im Bett zu liegen. Da ich unter der Decke bleiben muss, könnte ich noch weniger anhaben, ohne dass es jemand bemerken würde. Und vor euch bin ich ja sicher, ihr habt vorhin versprochen, mich pfleglich zu behandeln und nicht über mich herzufallen.«
MaSo kicherte. »Ich glaube, das war voreilig, das Versprechen, dich schonend zu behandeln, du halb nacktes Mannsbild, um es deutlich zu sagen.«
»Stimmt das wirklich, du bist wenig oder gar nicht bekleidet?« Marie langte mit der Hand unter die Decke, um das Ausmaß der Bekleidung zu überprüfen. Sie streichelte JF vorsichtig über seinen nackten Oberkörper und zwickte ihm leicht die zierlichen Brustwarzen. »Aua, das tut man nicht mit kranken Männern, du sollst mich nicht aufregen, hat der Doc gesagt!«
»Ja, hier oben ist er wirklich nackt, das ist ja erstaunlich.« Ihre zarte Hand rutscht über den flachen, muskulösen Bauch bis zu den Boxershorts.
»Schluss, das reicht, nicht anfassen, das ist nichts für Mädchen, Finger weg!«
»Ich tue dir doch nichts«, gickelte Marie, um die Entdeckungstour auf den Oberschenkeln fortzusetzen. JF zappelte mit den Beinen, weil es ihn kitzelte, so zart, wie Marie ihn streichelte, kaum dass sie seine Haut berührte.
»Woow, du hast sexy nackte Knie, aber Knieschoner hat er nicht an, will ich mal bemerken. Und auch keine Socken, obwohl die zierlichen Zehen leicht als erogene Zonen gelten können und einen Sichtschutz bräuchten.«
»Will auch!« MaSo schnappt sich den anderen Fuß, um die Zehen laut abzuzählen und jeden einzeln zu streicheln.
»Aufhören! Ich bin kitzlig an den Füßen. Das erkläre ich jetzt zur erogenen Zone, und da dürft ihr nicht … das ist zu intim.«
»Wer hat denn gesagt, intim sei nicht erlaubt. Der Doc hat davon nichts gesagt. Um es zu betonen: Wir sollen dich ausdrücklich gut und pfleglich behandeln. Dies ist Fußpflege, also erlaubt.«
JF wurde warm, bei dem Gedanken, dass die Mädels, seine Pflegerinnen, mit den Streicheleinheiten nicht mal bei den eher als harmlos geltenden erogenen Zehen Halt machten.
»Warum hast du es für erstaunlich gehalten, dass ich kein Hemd anhabe, bei der Wärme ist das doch normal.« Marie wird es mulmig zumute. Eigentlich wollte sie es nicht ansprechen, aber offensichtlich war JF gestern nach der Gehirnerschütterung weggetreten und hatte nicht mitbekommen, wie er hier ins Haus und ins Bett und seine Schlafsachen gelangt war.
»Also, mich musst du nicht fragen, ich habe sowieso keine Bettsachen an, mir ist das zu warm, ich schlafe lieber nackt«, sagte MaSo.
»Gut zu wissen, damit ich nicht erschrecke, wenn ich dich mal zum Frühstück oder so aus dem Bett scheuchen sollte.«
»Also, was ist nun mit meinem fehlenden T-Shirt? Dürfen Männer ihre Brust nicht freizügig herzeigen? Bis heute war das immer noch erlaubt. Oder ist das in Monaco anders?«
Marie druckste herum, sie hatte ganz andere Probleme: JF würde früher oder später wissen wollen, wie er von der Golfplatzfete bis ins Bett gelangt war und vor allem, wer ihn umgehauen und schwer verletzt hatte.
»Du weißt es wirklich nicht?« JF schüttelte seinen Kopf. »Autsch, das sollte ich nicht tun, ich sollte den Schädel ruhig halten, er ist immer noch empfindlich.
Also, meine Erinnerung nach dem Schlag auf den Kopf von unbekannt ist: Du hast dich sofort um mich gekümmert. Dann hat der Doc mein Überleben für sehr wahrscheinlich gehalten und Maßnahmen eingeleitet. Dann haben alle Golfer sich um uns auf eine Decke geschart und die eigentlich verbotene Fete mit viel Alkohol, wie ich vage wahrgenommen habe, gefeiert.«
Marie war froh, dass er die Fahrt hierher und den ganzen mühseligen Prozess des Bettganges nicht mitbekommen hatte. Auf dem Golfplatz hatten ihr ja noch viele Golfer geholfen, JF in ein großes Auto zu verfrachten, um ihn nach kurzer Fahrt hier in ihrem Schlafzimmer abzuladen. MaSo war zum Glück zur selben Zeit aufgetaucht. So konnten sie gemeinsam dem Hilfebedürftigen die blutige Kleidung Stück um Stück ausziehen.
Denn das Blut von seiner Schädelverletzung klebte überall. Mit einer großen Waschschüssel und jede mit einem großen Waschlappen bewaffnet, hatten Sie zunächst die blutigen Haare, den Kopf, das Gesicht den Hals und den Rücken sauber gerubbelt. Und jeder eines der langen haarigen Beine.
Trockenrubbeln, Shirt und Boxershorts anziehen und ab unter die Decke. JF hatte zwar einige Male geschnauft und versucht, sich zu wehren und zusammenzurollen, aber aufgewacht war er nicht. Das war ihnen auch lieber gewesen.
Marie hatte sich im Zimmer zum Schlafen auf zwei Sesseln eingerichtet – so gut es eben ging. Auch wenn MaSo sie bedrängt hatte, im Gästebett nebenan zu schlafen: Marie war nicht davon abzubringen, bei dem Verletzten zu bleiben, um ihm jederzeit beistehen zu können. Das war sie sich schuldig, wo sie ihn doch umgehauen hatte.
Der Gedanke daran machte ihr zu schaffen. Wie würde er darauf reagieren, wenn er es erführe? Sie wagte nicht, darüber nachzudenken. Insbesondere, wo ihr Vater JF doch eingeladen hatte.
Marie war seit dem Tod ihrer Mutter sehr verletzlich geworden. Sie hatte ein wunderbares Verhältnis zu ihren Eltern, auch wenn ihr Vater als Firmenchef viel zu wenig Zeit für die Familie aufbringen konnte. Allerdings hatten Marie in ihrer Kindheit Geschwister gefehlt. Auch gab es keinen Kontakt zu Cousinen oder Cousins, weil es keinen familiären Zusammenhalt zu den Geschwistern ihrer Eltern gab. Auch seltene Treffen mit ihren Tanten und Onkeln. Nur einmal zu einer Beerdigung, aber das durfte man ja nicht zählen.
Marie hatte in ihrer Jugend nur wenige Freunde gehabt. Weder aus der Schule, noch aus dem Tanzclub, noch aus dem Golfklub. Allein die Freundschaft zu MaSo war ihr geblieben. Die genossen beide.
Die Kontakte zu ihren Mitschülern hatten immer darunter gelitten, dass man sie als Unternehmertochter für etwas Besseres gehalten hatte, zu der man lieber auf Distanz ging. Die einzige ernsthafte Beziehung zu einem Mann, dem Exfreund Pièrre, ist vor drei Monaten kläglich in die Brüche gegangen. Er hatte sich als hundsgemeiner Erbschleicher herausgestellt. Sie litt auch heute noch unter diesem Bruch, besonders weil sie in ihrer Unerfahrenheit schwer verliebt gewesen war und die wahren Absichten deshalb nicht bemerkt hatte.
Marie war eine Schönheit. Das stand einer neuen Beziehung eher im Wege, weil sie junge Männer durch ihre elegante Ausstrahlung eher einschüchterte als sie anzuziehen. Sie sehnte sich nach Zuneigung und Anerkennung. Insbesondere, seit dem der Tod ihrer lieben Mutter eine unausgefüllte Leere hinterlassen hatte.
Dazu kamen schwerwiegende Probleme mit der Firma ihres Vaters. Ziemlich kompliziert, aber in wenigen Worten gesagt: Es ging dem Unternehmen nach Einschätzung des kaufmännischen Geschäftsführers finanziell nicht gut. Er hatte schon vor Monaten Marie vertraulich davon in Kenntnis gesetzt und bestand darauf, dies nicht ihrem Papa zu berichten. Der wäre doch offensichtlich gesundheitlich überfordert und könne nicht noch mehr Aufregung gebrauchen. Man arbeitete an der Gesundung der Firma. Bis dahin sollte sie strengstes Schweigen waren – gegen jedermann!
Marie war tief verunsichert, zu allen alten Problemen war nun auch noch diese Untat dazu gekommen. Auch wenn ihr jeder auf dem Golfplatz versichert hatte, dass es wirklich nur ein Unfall gewesen war und sie sich nicht schuldig fühlen sollte. Das hätte jedem anderen auch passieren können. Genau genommen hatte dieser Unfall nur passieren können, weil Jean-François ein Neuling auf dem Golfterrain war und die Gefahren nicht hatte richtig einschätzen können.
Wenn nun dieser Jean-François, der Freund von ihrem Papa, dauerhafte Folgen des Schlages davontragen würde? So starke Verletzungen am Kopf konnten auch bleibende Schäden nach sich ziehen. Sie sollte unbedingt Doc Filou genauer nach dem Risiko von Spätfolgen befragen.
Zurzeit war sie sowieso nicht belastbar. In den letzten Jahren war so viel schiefgelaufen. Zu allem Überfluss konnte sie sich nicht vertrauensvoll an ihren Papa wenden – ihrem großen Freund, wie sie zu sagen pflegte –, weil das Vertrauen zu ihm auch gestört war. Es waren Beschuldigungen seiner eigenen Mitarbeiter, die schwer wogen und an ihr nagten. Wie käme sie da wieder raus, aus dem Schlamassel, wenn sie der wichtigsten Vertrauensperson in ihrem Leben auch nicht mehr vertrauen konnte? Mit MaSo konnte sie wenigstens alle persönlichen Probleme und Herzensangelegenheiten bereden, seitdem sie wieder für mehrere Monate hier oben im Landhaus lebten.
Es drohte noch ein weiteres Ungemach, das sie ihrem Vater lieber nicht erzählt hatte: Ihr Studium des Industriedesigns war abgeschlossen. Es fehlte nur noch die Diplomarbeit und ein dazu gehörendes Kolloquium. Die Arbeit hatte sie fertig geschrieben und alle Entwürfe waren vollständig. Aber vor lauter persönlichen Problemen hatte sie den Abgabetermin nicht eingehalten, deshalb war alles in der Schwebe. Die Annahme und Beurteilung der Arbeit durch den betreuenden Professor würde kein Problem sein. Der war ihr wohlgesonnen – da war sie sich sicher. Und sie hatte auch keine Bedenken wegen der Qualität ihrer Arbeit. Aber die Prüfungsregularien setzten das Okay des Prüfungsausschusses voraus. Und das genau war unsicher und zog sich bis ins nächste Semester hin, denn im Moment passierte gar nichts, weil die Vorlesungszeit vorbei war.
Wenn sie die Liste ihrer Probleme Revue passieren ließ, kam sie sich wie ein Versager vor, wie jemand, der sein Leben nicht im Griff hatte. Und das war sie nicht, denn bisher war alles gradlinig und erfolgreich in ihrem Leben verlaufen. Und sie wollte doch stark sein! Und sie wollte doch mit ihrem Papa das Unternehmen voranbringen. Dazu fühlte sie sich, bisher wenigstens, gut gewappnet. Mentale Stärke, eine hervorragende Ausbildung und ein halbwegs sonniges Gemüt. Wo war sie nur hingeraten? Ins Abseits, aus dem sie sich offensichtlich nicht wieder zurück ins Leben befreien konnte.
Jean-François wollte es doch genauer wissen, was seit dem Unfall auf dem Golfplatz mit ihm geschehen war.
»Also soll ich daraus schließen, dass ihr beiden Hübschen euch allein um mich Verletzten gekümmert, ausgezogen und ins Bett geschleppt habt?«
»Gewaschen, hast du vergessen! Gewaschen haben wir dich auch noch, auch wenn du dich dagegen gewehrt hast. Aber du warst sozusagen blutbesudelt«, fügte MaSo hinzu.
»Und die Schlafklamotten?«
»Die sind von meinem Vater, er wohnt hier ja auch ab und zu mal, wenn er sich von der Firma loseist. Was selten genug vorkommt. Leider!«
»Dann kann ich mich ja bei euch bedanken. Zum Glück habt ihr mich ja nicht überfallen und sexuell missbraucht. Davon gehe ich mal aus. Ich habe keine Kratz- oder Bissspuren bei mir erkennen können.«
Die Mädchen lachten laut. »Welche Idee, darauf sind wir gar nicht gekommen. Du bringst uns auf Ideen.«
»War ganz schön anstrengend, die Prozedur. Du bist ein ganz schön schwerer Junge. Das müssen wohl die Muskeln sein, Speck ist es jedenfalls nicht.«
Sie stellten die beiden Tabletts mit den Frühstücksresten zur Seite und freuten sich, gemeinsam mit ihm das gleiche Bett teilen und ihren Gedanken nachgehen zu können.
JF war erschöpft vom Essen und dämmerte bald weg. Die beiden Krankenpflegerinnen rollten sich wie junge Hunde, jede an eine Seite, und legten vertraulich einen Arm, eine den Linken, eine den Rechten, auf seine Brust und schlummerten auch bald weg. Welch friedliches Bild im morgendlichen Sonnenschein, der sie alle drei erwärmte.
Eduard
Der Kies knirschte draußen in der Einfahrt, ein Auto fuhr vor den Haupteingang, das Schloss wurde geöffnet. Jemand, der sich auskannte und hierher gehörte, kam die Treppe hoch, legte seine Tasche in eines der Schlafzimmer. Er schaute in das geöffnete Gästezimmer.
»Nichts zu sehen, keiner hier. Das kann ja wohl nicht sein, in seinem Zustand sollte Jean-François das Haus nicht verlassen«, murmelte er zu sich selbst.
Er klopfte leise an das Zimmer seiner Tochter Marie und rief leise »Marie, bist du da?«
Keine Antwort. Er öffnete die Tür. Was er sah, hatte er nicht erwartet: Der Kranke war von beiden Seiten von den beiden hübschen jungen Frauen umgeben, die ihn in ihre Mitte genommen hatten. Alle drei schliefen offensichtlich so fest, dass sie ihn nicht gehört hatten.
Eduard schmunzelte ob dieser harmlosen ménage à trois. Ihm war nicht in den Sinn gekommen, darin einen erotischen Akt zu sehen, so unschuldig, wie sie dasselbe Bett teilten.
Leise schloss er die Tür, er wollte keine peinliche Situation heraufbeschwören, obwohl die drei jungen Leute, die Situation unspektakulär normal fanden. Sie waren schließlich in einem Pflegeverhältnis zum Verletzten, der das Bett hüten musste. So hüteten sie aus Sympathie alle drei dasselbe Bett, oder genauer: Beide Mädchen hüten wohl intensiv den Kranken. Wie man wollte.
Eduard goss sich in der Küche ein sprudelndes Wasser ein, öffnete die Tür zur Terrasse und ließ sich auf einen der bequemen Rohrsessel nieder. Er genoss die Stille hier oben, atmete tief durch und legte die Beine auf die Fußstützen. Er schüttelte seine Schuhe ab, krempelte seine lange Hose bis zu den Knien auf. Hier oben konnte er er selbst sein. Er hatte es sich verdient, nach der anstrengenden Woche sich endlich zu entspannen. Und er freute sich schon auf seine Tochter und auf Jean-François, den Angeschlagenen, dem er so viel zu verdanken hatte.
Diese Woche hatte es mal wieder in sich gehabt. Er spürte das an seinem Kreislauf, genauer an seinem Herzschlag und am unregelmäßigen Puls. Das ist neu für ihn. Eduard war bisher immer absolut gesund gewesen, hatte mäßig Sport betrieben und war nicht darauf vorbereitet, dass sich das ändern konnte. Er musste im Alter etwas kürzertreten. Bisher hatte er auf seine Gesundheit keine Rücksicht genommen, aber nun spürte er die kleinen Unzulänglichkeiten des Alters. In seinem Alter waren Männer manchmal schon im Ruhestand und machten halblang mit Rücksicht auf den Kreislauf oder wegen anderer Zipperlein.
Der Crash, den er in Deutschland erlebt hatte, war ein Warnsignal. Er war in dieser Nacht regelrecht zusammengeklappt, ja sogar ins Koma gefallen, unfähig sich selbst zu helfen. Nur durch JFs Hilfe war er heil aus der fatalen Situation herausgekommen. Er hatte das zwar nie öffentlich zugegeben, aber ihm war seitdem bewusst: Er konnte so nicht weitermachen. Er musste über eine Lösung nachdenken, die ihm mehr Freiräume als jemals zuvor geben würde, um sich zu schonen. Wenn das so einfach wäre!
Zudem bereiteten ihm die finanziellen Probleme der Firma immer mehr Sorgen. Er hatte das nie für möglich gehalten, dass sein florierendes Unternehmen in finanzielle Probleme rutschen könnte. Sein kaufmännischer Geschäftsführer hatte ihm zwar erläutert, diese leichte Schieflage wäre temporärer Natur. Aber so richtig glauben konnte er das nicht, weil der finanzielle Notstand schon viel zu lange anhielt.
Er müsste auch in die betriebswirtschaftlichen Belange des Unternehmens tiefer einsteigen. Bisher hatte er sich immer nur auf die Tätigkeit und das Urteil seines Kaufmanns verlassen. Ein Gefühl sagte ihm: Vertrauen ist ja gut, aber Kontrolle eben auch vonnöten. Nur ihm fehlten dafür neben den technischen Aufgaben und dem Vertrieb und der Kundenbetreuung die Zeit und, wenn er ehrlich war, auch der Antrieb und die Kraft. Wenn Marie endlich in die Firma einstiege, dann könnten sie sich die Aufgaben aufteilen. Zudem könnte sie neuen Schwung in den Laden bringen.
»Ja, die finanziellen Probleme«, seufzte er. »Irgendwas stimmt da nicht, nur wo anfangen?«
Es gab nicht viele Anwesen hier oben am Mont Agel, aber die gehörten begüterten Familien oder der Familie des Fürsten von Monaco. Eduard liebte die Aussicht auf das Meer und die raue, steile, felsige Küste unterhalb des Anwesens. Ein Paradies in großer Höhe oberhalb der geschäftigen Welt.
Die Fahrt hier hinauf war kurvig und sportlich zu befahren. Er brauchte über Beausoleil und die Moyen Corniche mehr als eine halbe Stunde, aber auch wenn man im Fahrstil der ›Rallye Monte-Carlo‹ fuhr, liessen sich kaum vier Minuten herausschinden. Eduard hatte mal mitgezählt; die Strecke kam auf zweiundzwanzig Haarnadelkurven. Da war kein Tempo zu machen, ohne alle dreißig Sekunden vor der nächsten Kurve im Rallye-Stil voll in die Bremsen zu gehen. Nicht seine Welt …
Besser: nicht mehr seine Welt! Als junger Mensch war er mehrmals durchaus mit Erfolg im Februar die ›Monte Carlo‹ gefahren. Jetzt reizte ihn der Nervenkitzel nicht mehr. Sein Cabrio, das er immer hier hinauf benutzte, war wegen der Schaltautomatik und anderer elektronischer Hilfen höchst bequem, sicher und schnell zu fahren. Genauso schnell wie die Rallye-Renner der damaligen Zeit.
3. Erste Hilfe am Morgen
»Da ist jemand im Haus, ich spüre es, vielleicht ein Räuber oder Einbrecher. Wir sollten mal nachsehen.« Marie schreckte vom Bett hoch. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Ihr Herzschlag war in die Höhe geschnellt. Vor allem, wenn Sie bedachte, dass kein wehrfähiger Mann im Hause war; bewaffnet waren sie auch nicht. Ja höchstens mit den wunderbaren Reizen einer Frau. Nur das würde in diesem Fall nichts nützen. MaSo war nicht so schreckhaft, sie nahm Marie bei der Hand, Marie versteckte sich hinter ihr und so gingen sie auf Zehenspitzen auf die Suche nach dem Eindringling.
»Hier ist keiner im Salon, auch nicht in den anderen Zimmern, vielleicht ist er ja schon geflohen, was meinst du, sollen wir draußen nach dem Rechten sehen?«
Mit angehaltenem Atem trauten sich nun beide auf die Terrasse. Die Sonne war schon höher gestiegen, sie spiegelte sich im Meer. Der sanfte Wind umschmeichelte ihre nackten Beine. Wenn die Situation nicht so aufregend gewesen wäre, hätten sie es genießen können.
»Bonjour, mes belles, bien dormi?«
Sie zuckten zusammen. Sie hörten die Stimme, aber sehen konnte man niemanden. Aber die Begrüßung war freundlich und deutete nicht auf einen Bösewicht hin, der Puls
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Claude Bennoir
Bildmaterialien: Wolf Thiele
Cover: Wolf Thiele
Lektorat: Michael Lohmann, www.worttaten.de
Tag der Veröffentlichung: 02.03.2018
ISBN: 978-3-7438-5906-7
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