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Lebensgefahr

„Florian! Bitte lass das.“, bettelte Lara ihren festen Freund noch einmal an. Sie hob seinen Ärmel fest und wollte nicht loslassen. Florian schaute ihr tief in die Augen, legte seine Hände auf ihre Schultern und sagte: „Es wird schon nichts passieren. Du machst dir zu große Sorgen.“
Lara kamen die Tränen. Sie fiel ihrem Freund um den Hals und fing an zu weinen. Er drückte sie mit dem einem Arm fest an sich und mit dem anderem Arm strich er ihr beruhigend über ihre blonden langen Haare. So standen beide einen kurzen Moment lang da.
Dann flüsterte Lara: „Muss das den sein? Können wir nicht deinen 18. Geburtstag einfach nur feiern? Ich will nicht das du das tust.“ Vorsichtig löste er sich wieder aus ihrem Griff. Er wendete sich ab und flüsterte: „Weißt du wie viel Geld ich gesetzt habe? Wenn ich gewinne haben wir dreimal so viel. Aber wenn ich verliere haben wir nichts mehr.“
„Das ist mir doch egal. Hier geht es nicht mehr ums Geld. Du setzt dein Leben aufs Spiel. Verstehst du das nicht?“, schrie jetzt Lara. Florian zuckte für einen kurzen Moment zusammen, fing sich aber gleich wieder und schwieg. Er konnte nicht antworten.
Sein Herz raste und am liebsten würde er auch wieder aussteigen. Aber wie sollte er das seinen Kollegen erklären? Sie hatten ausgemacht, dass man nicht mehr zurück treten kann und dass wenn man zurück tritt, es das gleiche bedeutet wie verloren. Sein Geld würde er dadurch nicht wieder bekommen. Denn er müsste fahren und er müsste dafür gewinnen. Auch wenn ihm unwohl dabei war und er seiner Freundin damit weh tun würde. Doch es ging nicht anders.
„Du kannst ja daheim bleiben und auf mich warten.“, flüsterte er. Lara schüttelte nur den Kopf. Sie verstand es nicht. Sie verstand es einfach nicht, wie man sein eigenes Leben für Geld aufs Spiel setzten konnte. Ihr liefen jetzt die Tränen einfach nur noch über die Wangen. Sie brachte es nicht einmal in Stande zu schluchzen.
Florian drehte sich zu ihr um und sagte mit zitternder Stimme: „Es wird mitten in der Nacht sein. Da sind nicht so viele Autofahrer unterwegs. So gut wie gar keine. Es wird schon nichts passieren.“ Er nahm seine Hände und wischte die Tränen von ihrem Gesicht.
Er mochte es nicht, wenn er Lara so weinen sah. Auch wenn er es süß fand sie so zu sehen, tat es ihm viel mehr weh, zu sehen, wie ihr kleines Herz solche Schmerzen erleiden musste. Schmerzen und Angst, die er ihr gerade beschert hatte. Florian bereute es in diesem Moment, dass er es seiner Freundin gesagt hatte. Doch Geheimnisse wollte er noch nie vor Lara haben und somit hatte er was das betrifft kein schlechtes Gewissen.
Lara wendete sich langsam von ihm ab und ging weinend ins Haus. Sie ließ ihn einfach so stehen, schmiss sich aufs Bett, weinte und hoffte, dass Florian nichts passieren würde.
Florian blieb noch für einen Moment an der Haustür stehen und schaute hinauf zum Fenster. Doch dieses Mal tauchte sie nicht, wie sonst, am Fenster auf, um sich zu verabschieden. Das wusste er und trotzdem hoffte er, dass es nicht so sein würde. Aber als er begriff, dass er ihr Gesicht heute nicht mehr sehen würde, drehte auch er sich um und ging.
Florian fuhr mit seinem Auto, das er von seinem Vater heute zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, auf den Parkplatz. Kaum war er angekommen, sah er auch schon Maike und Simon. Er stieg ganz gemütlich aus seinem Wagen und begrüßte die zwei. „Und? Seid ihr bereit?“, fragte Simon und grinste. „Immerhin geht es hier um 9.000 Euro.“ Maike nickte und grinste ebenfalls. Doch Florian gefiel das nicht. Lara hatte Recht, dachte er sich. Das was wir hier machen ist geisteskrank. „Was schaust du so Florian? Angst zu verlieren?“, fragte Maike. Er schaute Florian an und grinste nun nur noch breiter. Florian schüttelte den Kopf und sagte: „Nein. Wie sagt man zum so schön? Wer als letztes lacht, lacht am besten.“ Simon musste lachen. Jeder schaute sich die Autos von seinen Gegnern aus den Augenwinkeln an. Die Spielregeln hatten sie schon vor dem Wetteinsatz festgelegt. Das Rennen fand auf der Autobahn statt. Man musste in die falsche Richtung fahren und der, der es am längsten aushält und am weitesten fährt, hat gewonnen. Man musste fair fahren und darf seinen Gegner nicht ablenken, mit dem Licht blenden oder ihm hinten hinein fahren. Langsam wurde Florian nervöser und musste an die Worte von seiner Freundin denken. Was würde passieren, wenn ihnen ein Auto entgegen kommt in der eine Familie sitzt? Sie würden damit so viele Menschen in Gefahr bringen. Jetzt konnte er noch aussteigen. Aber er würde sein Geld nicht wieder bekommen. Dann wäre er pleite. Er verwarf alle seine Gedanken und sagte: „Kommt. Lassen wir es uns hinter uns bringen.“ Jeder stieg in sein Auto und gemeinsam fuhren sie auf die Autobahn. Danach gab jeder so viel Gas wie er konnte. Simon war ein kleines Stück vorne, Maike und Florian boten sich ein Kopf an Kopf rennen. Florian achtete immer wieder auf die Straße, in der Hoffnung, dass wirklich kein Auto innen entgegen kam. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen, die langsam hinunter rannen. Simon ließ sich Zeit und hatte es nicht wirklich eilig. Im war es nur wichtig, dass er ein kleines Stück weiter vorne war. Maike trat aufs Gas und ließ Florian und Simon nicht aus dem Auge. So rauschten sie mit 150 Kilometer in der Stunde über die Autobahn. Plötzlich tauchte ein Licht auf und es kam ihnen entgegen. Simon wich aus, Maike drehte das Lenkrad und machte eine scharfe Rechtskurve und fuhr dann weiter. Florian machte eine Vollbremsung und zitterte. Langsam drehte er sich um und bemerkte, dass es nur ein Motorradfahrer war. Als er realisierte, dass er aber gerade dabei war sein ganzes Geld zu verlieren, drückte er aufs Gas und nahm keine Rücksicht mehr. Schneller als Maike schauen konnte, war Florian wieder neben ihm und Maike verlor sein Grinsen. Simon der genauso überrascht war, trat jetzt noch mehr aufs Gas und wollte auf keinen Fall seinen Platz verlieren. Doch jetzt holte Florian auch ihn auf und überholte ihn. Sie rauschten an einer Laterne nach der anderen vorbei. Florian fuhr einfach nur noch gerade aus und bemerkte zu spät das Auto, dass ihm entgegen kam. Er drückte noch auf die Bremse. Doch es war zu spät. Es knallte laut und sein Auto überschlug sich. Die Scheibe zersprang und er spürte nur noch die Schmerzen die er auf einmal überall hatte. Als er die Augen wieder öffnete, sah er vor sich das kleine Auto. Er sah Feuer und ein paar verschwommene Gesichter. Er spürte sein warmes Blut und hörte wie seine Freunde nach ihm schien. Nach einiger Zeit hörte er noch die Sirene. Doch dann wurde ihm schwarz vor Augen und er verlor das Bewusstsein.
Es dauerte nicht lange und die Polizei war mit Sanitätern an der Unfallstelle. Simon und Maike hatten versucht Florian aus seinem Auto hinaus zu ziehen. Doch es gelang ihnen nicht. Florian steckte irgendwo fest. Deshalb ging Simon zu dem kleinerem Auto und versuchte dort zu helfen. Er konnte den Mann, der am Steuer saß hinaus ziehen. Doch die Frau klemmte genauso fest wie Florian. Als dann die Polizei und die Sanitäter auftauchten konnten sie Florian heraus holen. Maike erstarrte bei seinem Anblick und gab sich die Schuld an allem. Simon begriff jetzt erst, was sie da getan haben. Der unbekannte man war auch nicht bei Bewusstsein. Doch er atmete. Florian wurde direkt ins Krankenhaus gefahren. Nach einer weiteren Stunde hatten sie es endlich geschafft die Frau zu bergen. Sie hatte viel Blut verloren, war nicht bei Bewusstsein und hatte sich den ganzen Oberarm verdreht. Maike und Simon versprach es vor Schock die Sprache. „Schnell. Wir müssen sie ins Krankenhaus bringen. Ihr Puls ist schwach und sie ist schwanger.“, rief ein Sanitäter seinem Kollegen zu. Simon brach bei diesen Worten zusammen und krümmte sich auf dem Boden zusammen. „Wir haben vielleicht vier Menschen getötet. Wir sind daran Schuld.“, flüsterte er immer und immer wieder vor sich her. Auch als zwei Polizeibeamten und Sanitäter sich um die zwei Jungs gekümmert haben.
Lara hoffte darauf, dass sich Florian endlich bei ihr melden würde. Doch er meldete sich nicht. Mitten in der Nacht klingelte dann endlich ihr Handy. Als sie ran ging, hörte sie Florians jüngere Schwester weinen. Sie erzählte Lara, dass Florian einen schweren Autounfall gehabt hat und jetzt im Krankenhaus liegt. Lara dachte nicht lange darüber nach. Als sie den Namen des Krankenhaus hörte, legte sie auf, nahm ihre Jacke, zog ihre Schuhe an und machte sich auf dem schnellsten Weg zum Krankenhaus. Zwar war ihr Fahrrad nicht mehr das beste und schon sehr verrostet. Doch das störte sie jetzt auch nicht. Sie wollte einfach nur zu Florian. Nicht einmal ihre Tränen bemerkte sie.
Als Florian seine Augen wieder öffnete erkannte er für einen Augenblick nichts. Das Licht blendete ihn. Doch als er sich dann umschaute, sah er, dass er in einem schneeweißem Wald lag. Er setzte sich auf. Ihm war nicht kalt. Der Schnee war nicht kalt. Langsam stand er auf und sah, dass an seinem Kopfende ein kleines zartes Bäumchen gepflanzt war. Es hatte grüne Blätter und einen ganz dünnen Stamm. Plötzlich hörte er eine Stimme, die ein sanftes Lied vor sich her summte. Es klang wie ein langsames Schlaflied. Doch er sah niemanden. Florian folgte der Stimme. Mit jedem Schritt den er tat, hörte er seine Schritte im Schnee. Er kam der Stimme immer näher und auf der einen Seite war ihm nicht wohl dabei. Aber er wusste auch nicht, wo er war. Wie ist er hierher gekommen? Er konnte sich an nichts mehr erinnern. Außer an den Autounfall, den Aufprall und den ganzen Geräuschen. Doch er fühlte keine Schmerzen. Plötzlich hörte die Stimme auf zu summen. Florian blieb stehen. „Hallo?“, sagte er in einem lautem Ton. Doch er bekam keine Antwort. Stattdessen hörte er ein kichern. Wie das kichern eines Kindes, dass etwas vor hatte und es witzig fand, wenn man selbst davon nichts wusste. Er drehte sich um und fragte: „Ist hier jemand?“ Aber auch dieses Mal bekam er statt einer Antwort ein kichern zurück. Er drehte sich um und schaute in alle Richtungen. Doch er sah niemanden. Nur die kahlen Bäume, die schneebedeckt waren und einen schneebedeckten Boden. Florian sah sich den Boden an und sah kleine Fußspuren, die hinter einer dicken Eiche führten. Es waren die Fußspuren eines Kindes und jetzt fing er an zu Grinsen und spielte mit. „Na gut. Wenn hier niemand ist, kann ich ja wieder gehen.“, sagte er und drehte sich um. Kaum hatte er sich umgedreht, traf ihn auch schon ein Schneeball an der linken Schulter. Florian drehte sich um und schon hatte er einen Schneeball ins Gesicht bekommen. Er hörte wie ein kleines Kind lachte. „Na warte.“, flüsterte Florian, machte einen Schneeball und warf. Doch er traf nur den Baumstamm der Eiche. „Nicht getroffen.“, bekam er als Antwort und er erkannte, dass es sich hier um ein Mädchen handeln musste. Er bückte sich wieder und formte den Schnee zu einem Schneeball. Aber bevor er werfen konnte, traf ihn schon der dritte Schneeball am Bein. Daraufhin warf er wieder und schoss an der Eiche vorbei. „Das ist unfair. Du hast einen Schutz und ich nicht.“, sagte er zu der Kleinen. Er hatte sie bis jetzt noch nicht gesehen und er wollte sie aus ihrem Versteck locken. Das Mädchen kicherte und sagte: „Okay. Wir spielen beide ohne Schutz.“ Dann trat sie hervor.
Lara kam im Krankenhaus an und sah Florians jüngere Schwester vor dem Eingang stehen. Ihr Gesicht war total verheult. Sie stand da und rauchte eine Zigarette. Als sie Lara bemerkte, zwang sie sich ein Lächeln ab und bot ihr auch eine an. „Eigentlich habe ich ja aufgehört mit Rauchen.“, flüsterte sie Elena zu. Elena nickte und wollte die Zigaretten gerade wieder wegpacken. Als Lara dann doch eine nahm und sie anzündete. Dann fragte Lara, was den passiert sei. Elena blickte auf den Boden und erzählte: „Maike, Simon und Florian haben wahrscheinlich eine Art Autorennen gemacht. Florian hat wahrscheinlich das andere Auto, dass ihm entgegen kam nicht gesehen und hat zu spät abgebremst. Dabei hat sich sein Auto überschlagen. Simon und Maike sind nicht verletzt. Haben halt nur einen Schock erlitten und bekamen eine Beruhigungsspritze. Doch der Mann im anderem Auto ist schwer verletzt und seine schwangere Frau hat ihr Kind verloren und steht immer noch in Lebensgefahr.“ Sie flüsterte nur noch. Lara konnte es nicht glauben. „Und was ist mit Florian?“, fragte sie, als die Informationen bei ihr angekommen waren. Doch Elena fing an zu weinen und meinte, dass er innere Blutungen hätte und die Ärzte gerade versuchen sie zu stoppen. Lara konnte es nicht glauben. Sie ließ sich langsam auf ihre Knie sinken und zog den Zigarettenrauch tief ein. Ihre Hände zitterten und nun fing auch sie an zu weinen. Still und Leise.
Vor ihm stand ein kleines Mädchen, das dunkelblonde Haare und dunkelblaue Augen hatte. Ihre Haare waren lang und leicht lockig. Ihre Augen schauten Florian direkt an. Er hatte das Gefühl, dass diese Augen ihn durchbohrten und ihm bis auf den Grund seiner Seele schauten. Sie hatte ein kleine Stupsnase und feine Lippen. Das kleine Mädchen lächelte ihn an und da sah er die kleinen Grüppchen, die sie hatte. Sie trug eine weiße, dicke, kuschelige Kapuzenjacke. Darunter trug sie ein weißes Kleid, das bis zum Boden ging. „Wo sind eigentlich deine Eltern?“, fragte Florian sie. Doch sie lachte nur. Dann nahm sie eine Hand hinter ihrem Rücken hervor und warf wieder einen Schneeball. Florian wich geschickt aus und lachte. Danach fragte er: „Weißt du wo wir sind?“ „Das sieht man doch.“, antwortete das Mädchen. Dieses Mal bückte sie sich und formte einen Schneeball. Das wollte sich Florian nicht gefallen lassen und tat es ihr gleich. Dieses Mal war er schneller und er warf. Doch plötzlich sprang ein weißer Wolf vor das Mädchen und fing den Schneeball ab. Das Mädchen warf und traf Florian wieder. Daraufhin streckte sie ihm die Zunge hinaus und streichelte den Wolf. Florian blieb wie angewurzelt stehen. Das Mädchen hockte sich neben diesem Wolf hin und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Wolf legte ihr Gesicht ab und sie fing an zu kichern und dann zu summen. Diese Melodie, die er vorhin schon gehört hatte. „Gehört er zu dir?“, fragte Florian das kleine Mädchen. Sie nickte und stand auf. Sie ging auf Florian zu, reichte ihm ihre Hand und sagte: „Ich bring dich jetzt zurück.“ Florian verstand nicht, was sie damit meinte. Aber er nahm ihre Hand und lief mit ihr. Der Wolf blieb dicht neben der Kleinen und wich ihr nicht von der Seite. Dann blendete ihn ein helles Licht und er musste die Augen schließen.
Doch als er seine Augen wieder aufmachte, war das kleine Mädchen verschwunden. Genauso wie der Wald und der Schnee. Er sah seine Familie und Lara. Als er seinen Kopf heben wollte, um sich auf zusetzten, spürte er einen Schmerz in der Seite und er ließ sich wieder fallen. Er wollte fragen, was passiert sei und wo er jetzt ist. Doch ihm fehlte die Kraft. Lara legte ihm ihren Finger auf die Lippen und sagte, dass er still sein soll. Sie erklärten ihm, was passiert sei und wo er war. Er habe total lange geschlafen und war anscheinend nicht ansprechbar. Florian sah die Augenringe, die jeder bekommen hatte und die Erleichterung in den Augen von den meisten. „Wo ist das kleine Mädchen?“, fragte er. Doch daraufhin schauten sich alle verwirrt an. Lara fragte, welches kleine Mädchen er meinte. Aber dann winkte er ab und meinte, dass er das nur geträumt hat und noch ein bisschen verwirrt ist.
Eine Stunde später kam eine Schwester zu Florian ins Zimmer. Lara wollte ihnen zwei gerade etwas zu essen holen und die anderen gingen Spazieren im Park. Die Schwester lächelte und sagte: „Das hat jemand für Sie bei uns abgegeben.“ Sie stellte ihm einen kleinen Blumentopf auf den kleinen Tisch. Darin war ein kleines Bäumchen. Ein Bäumchen, wie aus seinem Traum. Der Blumentopf war bunt angemalt und sehr farbenfroh. „Wer hat das für mich abgegeben?“, wollte Florian wissen. Die Schwester antwortete, dass heute morgen eine alte Dame mit einem kleinem Kind da war. Florian wollte wissen, ob sie irgend einen Namen gesagt haben. Doch die Schwester schüttelte den Kopf und meinte, dass sie das nur abgegeben haben und dann gleich wieder gegangen seien. Florian wartete bis die Schwester gegangen war und schaute sich den Blumentopf nun genauer an. Er erkannte, dass ihn ein kleines Kind angemalt haben muss. Vielleicht war es ja das kleine Mädchen aus seinen Träumen.

Ich kann nicht mehr

 Tina stand vor ihrem Klassenzimmer. Sie fühlte sich ganz unwohl und wäre am liebsten Daheim geblieben. Doch ihre Mutter meinte, dass sie nicht bei jeder Kleinigkeit Zuhause bleiben konnte. So stand sie jetzt hier. Vor ihrem Klassenzimmer. Ihr Blick war gesenkt und ihre Haare fielen ihr vor ihr Gesicht. Aber lange war sie nicht allein. Diana kam die Treppen hinauf gewackelte. Sie bekam schon ein breites Grinsen, als sie Tina sah. Sie warf ihr blondes Haar nach hinten und steuerte den direkten Weg auf Tina zu. Ihr folgten ihre zwei Freundinnen Anastasia und Sabrina. „Na. Hast mal wieder deine Kleidung aus dem Müllcontainer geholt.“, sagte Diana. Anastasia und Sabrina fingen an zu kichern. Tina rührte sich nicht und versuchte die drei zu ignorieren. Doch die ließen sich davon nicht abbringen. Dann sagte Anastasia: „So wie die riechen, könnte man meinen, dass die Klamotten noch nie Wasser gesehen haben.“ Anastasia setzte ihren abschätzenden Blick auf und ließ ihn einmal von unten nach oben laufen. Sabrina verzog vor Ekel ihr Gesicht und hielt sich die Nase zu und Diana wedelte dazu noch mit der Hand. Dann sagte Diana in einem etwas lauterem Ton: „Dich nimmt auch nur ein Junge, der blind ist und der nichts mehr riechen kann.“ Die Klasse lachte. Doch Tina rührte sich immer noch nicht. Sie war es schon gewohnt und trotz dieser Gewohnheit war jedes Wort schmerzhaft. Am liebsten hätte sie geweint. Aber selbst dies konnte sie schon lange nicht mehr. Plötzlich kam der ober Macho Marco um die Ecke, griff nach Tinas Hand und drehte sich im Kreis. Tina stoß einen kurzen, leisen Schrei vor Schreck aus. Dann ließ Marco sie los und sie flog auf Franz drauf. Dieser schubste sie weg und schrie: „Wollt ihr etwa, dass ich genauso stinke wie die da?“ Wieder fing die ganze Klasse an zu lachen und Tina ließ es einfach über sich ergehen. Dann schmiss Anastasia ihre Tasche mit dem Fuß um und sagte: „Schaut euch mal das an. Nur Schulsachen und ein uraltes Handy. Geld hat sie wohl wirklich keins.“ „Wahrscheinlich geht sie täglich betteln um an Geld heran zu kommen.“, warf Franz ein. Marco holte ein Cent Stück aus seiner Hosentasche, schmiss es Tina vor die Füße und schrie: „Da kauf dir ein neues Leben.“ Wieder fingen alle an zu lachen und in diesem Moment kam ihr Geschichtslehrer und fragte, was den hier so lustig sei. Alle Schwiegen und gingen in das Klassenzimmer. Franz sagte zum Lehrer, dass Marco gerade etwas zeigen wollte und dabei hingefallen sei. Tina hob ihre Sachen unauffällig auf und setzte sich auf ihren Platz. Der Geschichtslehrer hatte nichts bemerkt. Ihr Platz war ganz hinten in der letzten Ecke. Die Plätze neben ihr waren frei. Doch das störte sie nicht. Denn dadurch hatte sie hin und wieder mal ruhe vor ihrer Klasse. Aber nur, wenn ihre Deutschlehrerin oder ihr Mathematiklehrer da waren. Dann fing ihr Lehrer auch schon mit dem Unterricht an. Marco und Franz saßen eine Reihe vor ihr und ließen sich diese Möglichkeit nicht entgehen. Sie formten Papierkügelchen und warfen Tina damit ab. Tina saß auf ihrem Stuhl und versuchte die Jungs zu ignorieren. Etwas anderes blieb ihr nämlich nicht übrig. Sie fühlte sich richtig schäbig und sie fühlte den Klos in ihrem Hals. Doch sie versuchte ihre Gefühle zu verdrängen und sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Vielleicht würden sie dann irgendwann damit aufhören. Tim, der neben Franz saß, drehte sich um, grinste und flüsterte zu Tina: „Du hast da was im Haar hängen.“ Tina reagierte nicht und die drei verkniffen sich ein Lachen. Danach flog ein Papierflieger durch das Klassenzimmer und landete genau vor ihr. In ganz großen Buchstaben stand darauf: <Öffnen>. Tina öffnete ihn und war auf alles vorbereitet. Doch auf das, was sie da jetzt zu sehen bekam und zum lesen, schockierte sie dann doch etwas. <Verdienst dein Geld wahrscheinlich damit, indem du dich verkaufst.>, stand darauf. Daneben war eine Skizze von ihr. Auf dem Bild tanzte sie in Unterwäsche an einer Stange. Neben ihr standen alte Männer und warfen ihr Geld zu. Über ihr stand ihr Name. Tina zerknüllte das Papier und legte es auf ihren Tisch. Wie sollte sie das nur noch drei ganze Jahre aushalten. Sie war doch jetzt schon mit den Nerven am Ende. Sie verkniff sich die Tränen, die ihr in den Augen standen. Nach zwei langen und qualvollen Stunden hatte sie endlich Pause. Doch auch dort wurde sie nicht in Ruhe gelassen. Anastasia, Diana und Sabrina kamen auf sie zu. Alle drei hatten einen Becher mit Saft in der Hand. Anastasia tat so als würde sie Tina nicht sehen, stoß an sie an und schüttete ihr den Inhalt des Bechers direkt über ihr Shirt. Alle drei kicherten. Anastasia sagte: „Oh. Entschuldigung. Das war meine Schult. Aber eine Dusche hast du auch mal gebraucht.“ Darauf lachten alle wieder. Tina stand da und war kurz davor los zu weinen. Sabrina schüttete ihr den anderen Inhalt direkt vor ihren Füßen aus. Tina sprang noch auf die Seite. Doch der Inhalt aus dem drittem Becher landete darauf direkt in ihrem Gesicht. Tina rannte in die Mädchentoilette, sperrte sich ein und fing lautlos an zu weinen. Als die Pause zu Ende war, blieb sie sitzen. Sie wollte nicht, dass sie so irgend jemand sah. Sie sah schlimm aus und schämte sich so dafür. Wieso konnte sie nicht einmal den Mund aufreißen, fragte sie sich immer und immer wieder. Sie fragte sich, was sie falsch gemacht hat und was mit ihr nicht stimmt. Denn irgend einen Grund musste es ja geben. Sie konnten sie ja nicht einfach so hassen. Tina wischte sich ihre Tränen aus dem Gesicht und holte aus ihrer Hosentasche eine Kette heraus. Diese Kette hatte sie vor zwei Jahren von ihrer Mutter zum Geburtstag bekommen. Vor einem Jahr starb aber ihre Mutter an Brustkrebs. Jetzt saß Tina hier und wünschte sich, dass ihre Mutter ihr helfen würde. Sie drehte die Kette in ihren Händen und ihre Sehnsucht wurde immer stärker.
Tina hörte, wie jemand in die Mädchentoilette herein kam. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, stand auf und schloss die Tür auf. Plötzlich standen Anastasia, Sabrina und Diana vor ihr. Sabrina und Anastasia hielten sie fest. Sie schlugen auf Tina ein. Tina versuchte sich zu wehren und sich aus den Griffen zu befreien. Doch sie hatte keine Chance. Sie schrie. Aber dafür bekam sie einen starken Schlag in die Magengrube. Sie fing an zu weinen und zu betteln. Sie wollte hier einfach nur noch weg. Dann fiel die Kette aus ihrer Tasche. Diana hob sie auf und betrachtete sie. „Eine echt schöne Kette hast du da.“, sagte sie. Nach diesen Worten ging sie in eine Kabine, warf die Kette in die Toilette und spülte sie hinunter. Das gab Tina den Rest. Sie werte sich nicht mehr. Sie weinte einfach nur noch. Anastasia sagte: „Ach. Hör doch auf zu weinen. Die dämliche Kette war doch sowieso mega hässlich.“ Sie schubsten Tina in die Ecke und traten immer weiter auf sie ein. Tina spürte die Schmerzen, die sie ihr zufügten. Doch ihr seelischer Schmerz war viel schlimmer. Sie hörte das Lachen, das die Drei von sich gaben. Sie hörte die Beleidigungen. Aber es interessierte sie nicht mehr. Sie stoß sie von sich weg, rannte aus den Toiletten und rannte in den obersten Stock. Tina öffnete das Fenster, hielt sich fest, kletterte hinüber und stand nun hier. Sie wollte gehen. Sie wollte nicht mehr. Das einzige, was sie wollte, war zu springen. Ein letzter Sprung in die Tiefe mit dem Wissen, dass sie ihn nicht überleben wird. Tränen liefen ihr über die Wangen. Die Schmerzen spürte sie kaum. Ein Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht, als sie daran dachte, gleich für immer weg zu sein. Dieser ganzen Hölle hier entwischt zu sein.
Sie ließ los und fiel. Sie fiel in die Tiefe und sie lachte dabei. Sie füllte sich frei und genoss diesen Flug.
Der Boden kam ihr immer näher. Doch das störte sie nicht. Auf einmal sah sie ein kleines Mädchen, dass ihr gegenüber war und mit ihr fiel. Dieses Mädchen hatte ihre kleinen Arme ausgestreckt und lächelte Tina an. Ihre zarte Finger bewegten sich zum Wind. Tina machte es ihr gleich und fing an zu Lachen. Das war ihr erstes Lachen, dass sie seit Jahren hatte und ihr letztes Lachen auf dieser Welt. Plötzlich blendete sie ein helles Licht und sie sah nur noch das.
Ein Lehrer wollte gerade in das Schulgebäude gehen, als er ein Mädchen am Fenster sah. Er fing an zu schreien: „Bitte tu das nicht.“ Doch es war zu spät. Das Mädchen ließ los, fiel und klatschte auf dem hartem Asphalt auf. Der Lehrer war geschockt und konnte es nicht glauben. Er hoffte, dass er nur eine Halluzination hat. Aber das war nicht so. Das Blut floss aus ihrem Kopf heraus. Der Körper war verdreht, beide Arme ausgestreckt und sie trug ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Kollegen kamen heraus und waren genauso schockiert. Einer meinte, dass man die Schüler nicht aus den Klassenzimmer lassen soll, weil man ihnen den Anblick ersparen wollte. So lag Tinas lebloser Körper vor dem Schulgebäude und wurde mit schockierenden Blicken beworfen.
Als Tina wieder die Augen öffnete, lag sie in einem schneeweißem Wald. Neben ihr saß das kleine Mädchen und auf ihrer anderen Seite lag ein Wolf, der ihr gerade über ihre Hand leckte. Sie hatte keine Schmerzen mehr und fragte das kleine Mädchen: „Wo bin ich hier?“ Die Kleine lächelte und sagte: „In Sicherheit.“ Tina verstand nicht und setzte sich auf. Sie ließ ihren Blick schweifen und zum Schluss viel ihr das kleine Bäumchen an ihrem Kopfende auf. Die Blätter waren braun und vielen ab. Langsam und eins nach dem anderem. „Das war dein kleines Bäumchen.“, flüsterte das kleine Mädchen. Tina schaute dem Mädchen in ihre blauen Augen. Dann flüsterte die Kleine: „Es war mal grün und mit ganz vielen Blättern. Doch jetzt sind die Blätter braun geworden und fallen ab. Das kleine Bäumchen wird sterben und dann wird ein neues Bäumchen kommen.“ Tina schaute sich um und sah, neben den großen Bäumen, ganz viele kleine. Manche sind größer und manche waren kleiner. Bei manchen sind die Blätter in einem zartem grün und bei manchen sah man, dass die Blätter braun wurden. „Wofür stehen die ganzen kleinen Bäume.“ Die Kleine lächelte wieder und flüsterte Tina dieses Mal direkt ins Ohr. „Jeder Baum steht für ein Leben. Das ist der deiner Mama.“ Sie zeigte mit dem Finger auf ein kahles, kleines Bäumchen, das nicht weit weg von Tina stand. Tina kamen die Tränen und sie glaubte zu Träumen. Doch das konnte kein Traum sein. Sie war gerade noch in der Schule und ist dann aus dem Fenster gesprungen. Das konnte kein Traum sein. Sie war tot und als sie das begriff fing sie wieder an zu lächeln. „Kennst du meine Mutter?“, fragte Tina. Das kleine Mädchen lächelte und nickte. Dann reichte sie Tina ihre kleinen zarten Hände. Tina nahm sie und sie gingen ein Stück. Irgendwann kamen sie an einem kleinem See an. Auf der anderen Seite war eine große Steinwand und man sah wie das Wasser herunter spritzte. Ein kleiner See mit einem Wasserfall. Das kleine Mädchen flüsterte, dass es gleich so wäre. Tina verstand nicht und schaute das kleine Mädchen an. Doch dieses schaute hinauf zum Sternenhimmel. Tina folgte ihrem Blick. Sie sah Milliarden von Sternen und einen großen, weißen Vollmond. Als dieser direkt über ihr war, fing das Wasser an in einem hellem blau zu leuchten. Im Wasserfall erschien ihre Mutter. Sie ging ins Wasser und war überrascht, dass es kein bisschen kalt war. Sie schwamm hinüber zu ihrer Mutter und weinte vor Freude. Sie konnte es nicht glauben. Endlich, sah sie ihre Mutter wieder. Sie schwamm immer schneller. Ihre Mutter lächelte sie an und streckte ihr die Hand entgegen. Tina drehte sich kurz vor dem Ziel noch einmal zu dem Mädchen um, winkte ihr und flüsterte: „Dankeschön.“ Danach nahm sie die Hand ihrer Mutter und verschwand im Wasserfall und in dem Licht. Dann erlosch das Licht und es war wieder ein ganz normaler Wasserfall. Das kleine Mädchen schaute dem fließendem Wasser noch ein bisschen zu, bis sie dann auch ihm den Rücken kehrte und sie sich wieder auf dem Weg nach Hause machte.

Wiedersehen

Christian saß in seinem kleinem Arbeitszimmer. Er malte, wie in jeder freien Minute, an seinen Bildern. Doch seid er 20 Jahre alt ist, hat er nur noch ein Motiv. Dieses Mädchen mit seiner kleinen Schwester und ihren Wolf. Er hatte schon ein Haufen an Gemälden gemalt und jedes war anders. Jedes einzelne hatte eine andere Atmosphäre. Christian konnte sich noch gut an diesen Tag zurück erinnern. Damals vor 64 Jahren. Er erinnerte sich noch genau an seine kleine Schwester Anna. Sie hatte pechschwarze Haare, die ihr bis zur Schulter gingen. Ihre braunen Rehaugen setzte sie immer ein, wenn sie etwas wollte. Sie wusste, dass sie Christian immer damit herum bekam. Diese zarten kleine Hände, die er so oft gehalten hat und ihr lachen. Dann dieser Brand. Es war Nacht gewesen und sie beide hatten geschlafen. In dieser Nacht passierte ein Gabelbrand in der unteren Wohnung. Christian hatte es zu spät bemerkt und als er mit Anna hinaus wollte, stand schon der ganze Flur in Flammen. Er hat zwar die Tür mit nassen Tüchern isoliert. Aber in der ganzen Wohnung war schon der Rauch. Anna hatte angefangen zu weinen und hatte sich an seinem Arm festgekrallt. Er ging mit ihr ans Fenster und hatte hinausgesehen. Die Feuerweh war schon da und er sah, wie Feuerwehrmänner ins Haus gingen. Sanft hatte er seine Schwester im Arm gehalten und sich auf den Boden gesetzt. Er hatte Anna noch ihr Lieblingslied vorgesungen, um sie zu beruhigen. Sie hatte angefangen zu husten und dann hatte sie das Bewusstsein verloren. Auch er hatte husten müssen und hatte das Bewusstsein verloren. Plötzlich war er in einem schneeweißem Wald und hatte ein kleines Mädchen vor sich. Ein Mädchen mit blonden Haaren und blauen Augen. Sie machte gerade einen Schneemann. Neben ihr saß ein weißer Wolf und schaute ihr zu. Er wusste zwar nicht mehr, was sie damals zu ihm gesagt hatte. Er konnte sich nur noch an den Wolf, das kleine Bäumchen an seinem Kopf und ihrem Gesicht erinnern. Als er wieder aufwachte und er sich in der Realität befand, hatte man ihm gesagt, dass seine kleine Schwester nicht überlebt habe. Christian war am Boden zerstört. Denn sie war erst sechs Jahre alt gewesen. Ein Jahr später hat er angefangen zu malen und diese Motive zu nehmen.
Jetzt saß er hier und malte an seinem größten Werk. Er verwendete dafür Ölfarben und eine große Leinwand. Außen hatte er schon viele große, kahle Bäume gemalt. Der Wolf lag ganz ruhig auf der schneeweißen Landschaft. Seine kleine Schwester umarmte ihn und lächelte. Ihr Augen geschlossen. Ihre pechschwarzen Haare bildeten einen schönen Kontrast zu dem weißem Fell des Wolfes. Neben ihnen saß dieses kleine Mädchen hatte ihre Hand auf dem Rücken seiner Schwester gelegt. Ihre blauen Augen schauten sanft zu seiner Schwester und sie hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Ihre langen schwarzen Wimpern ließen ihre Augen noch mehr herausstechen. Ein paar Schneeflocken flogen hinab. Christian gab dem Bild noch den letzten Schliff. Er stand auf, ging ein Stück zurück und betrachtete sein Werk. An diesem Bild hatte er zehn Jahre lang verbracht und jetzt war es fertig.
Plötzlich liefen ein paar Tränen von seinem Gesicht. Er konnte es kaum fassen. Er strich seiner gemalten Schwester über die Wange und dann schaute er in die blaue Augen. Doch dann erkannte er, dass sich der Ausdruck in ihren Augen verändert hatte. Sie sahen traurig aus und dann passierte etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Die Augen, des fremden Mädchens schauten ihn an und eine Träne lief ihre Wange hinab. Dann spürte er einen stechenden Stich in seiner linken Brusthälfte, er bekam keine Luft mehr und verlor das Bewusstsein.
Als Christian wieder die Augen öffnete, sah er in eine klare Nacht. Der Vollmond schien und er sah tausende, strahlende Sterne. Er hatte noch nie so viele Sterne auf einmal gesehen. Es fing an zu schneien. Dicke, schwere Schneeflocken fielen auf ihn hinab. Doch er froh nicht. Verwundert drehte er seinen Kopf auf die linke Seite. Dort sah Christian eine schneeweiße Winterlandschaft. Seine Hand legte er auf seine Brust und er spürte keine Schmerzen mehr. Obwohl er gerade eben noch einen stechenden Schmerz spürte. Er drehte seinen Kopf auf die rechte Seite und traute seinen Augen nicht mehr. Denn dort standen seine kleine Schwester, das fremde Mädchen und der schneeweiße Wolf. Sie bauten an einem kleinem Schneemann und lachten gemeinsam. Er setzte sich auf und sah vor sich ein kleines Bäumchen, dass verwelkt war. Christian stand auf und lief langsam auf die zwei zu. Er rieb sich die Augen und fühlte sich wie in einem Traum. Seine Füße waren nicht mehr schwer wie Blei. Ganz im Gegenteil. Jeder einzelne Schritt fühlte sich so leicht an, wie eine Feder. Er zögerte keine Sekunde und kam ihnen immer näher. Seine kleine Schwester drehte ihren Kopf zu ihm, fing an zu grinsen und lief auf ihren großen Bruder zu. Sie öffnete ihre Arme und schrie: „Christian. Christian.“ Er öffnete seine Arme, ging in die Hocke und fing an zu weinen. Anna lief in seine Arme und fragte: „Wieso weinst du denn?“ Christian wischte sich seine Tränen aus dem Gesicht, lächelte sie an und flüsterte: „Ich bin einfach nur froh dich wiederzusehen.“ Daraufhin legte er seiner Schwester seinen Finger auf den Mund, um ihr zu zeigen, dass sie keine weiteren Fragen stellen sollte. „Komm mit. Ich will dir was zeigen.“, flüsterte Anna ihm ins Ohr. Sie nahm seine Hand und Christian folgte er ohne Widerrede. Das fremde Mädchen lief mit ihrem Wolf vor Christian und Anna und summte dabei leise eine ihm bekannte Melodie. Er bemerkte, dass sie keine Spuren im Schnee hinterließ. Dann kamen sie an einen kleinen Teich. Eine große Felswand stand dahinter und der Wasserfall machte das Panorama perfekt. Der Vollmond spiegelte sich in dem klaren blauem Wasser wieder und Christian wunderte sich, dass das Wasser nicht gefroren war. Eine Schneeflocke nach der anderen fiel hinein und löste sich auf. Als er genauer hinsah, sah er das Spiegelbild seiner Schwester und sein eigenes. Er war wieder so alt wie damals, als der Brand passiert ist. Er streckte seine Hand nach seinem Spiegelbild aus und ihm kamen die Tränen. Plötzlich fing das Wasser an zu leuchten und seine Schwester zog ihn über den Teich. Vor lauter Bewunderung bemerkte er nicht, dass er auf der Wasseroberfläche lief. Christian schaute zurück zu dem fremden Mädchen und sie lächelte ihn an. Zum Schluss verschwanden er und seine kleine Schwester Anna ihm Licht des Wasserfalls.  

Die Sterne

 An einem Abend saß in einer alten Blockhütte eine alte Frau in ihrem alten gemütlichen Sessel. Draußen stürmte der kalte Wind. Die Fensterscheiben waren schon bedeckt mit Eisblumen. Das Holz im Kamin knisterte und die wärme der Flammen durchströmte das Wohnzimmer. Die alte Dame kämmte das blonde Jahr eines kleinen Mädchens, die still und ruhig vor ihr, auf dem roten Teppich, saß. Auf dem Schoß des kleinen Mädchens lag ein weißer Wolfskopf. Die kleinen zarten Finger des Mädchens streichelten den Wolf und schauten gespannt dem Feuer zu.
„Oma? Wohin gehen die Menschen?“, fragte das kleine Mädchen ihre Oma und schaute nachdenklich in die Flammen. „Sie gehen an einen anderen Ort. Weit weg von unserem Ort.“, antwortete die alte Dame und kämmte weiter das blonde Haar. Doch dem kleinem Mädchen ließ es keine Ruhe. „Aber wieso gehen sie an einen anderen Ort? Hier ist es doch so schön. Oder?“, fragte sie daraufhin mit ihrer zarten Stimme. Die alte Dame nickte mit dem Kopf und sagte: „Natürlich ist es hier sehr schön. Aber diese Seelen können hier nicht wohnen. Das hier ist ein zwischen Ort. Sie müssen weiter ziehen und zurück nach Hause gehen.“ „Aber wo ist den ihr Zuhause?“, fragte daraufhin das Mädchen. Ihre Oma stand auf, holte einen Stift und ein Blattpapier. Sie malte ein paar Häuser, darüber ein paar Bäume und über die Bäume ganz viele Sterne. Dann zeigte sie auf die Sterne, dann auf die Häuser, ließ den Stift hoch zu den Bäumen wandern und wieder zurück zu den Sternen. Dazu erklärte sie: „Erst sind sie Sterne. Dann wandern die Seelen auf die Erde. In dieser Zeit wächst hier bei uns ein Lebensbaum einer Seele. Sobald dieser verwelkt kommen diese Seelen zu uns und dann ist jemand wie du da, der den armen Seelen zeigt wo sie hin müssen. Du zeigst ihnen den Weg und begleitest sie ein kleines Stück und dann werden die Seelen wieder zu Sternen. Danach geht das ganze wieder von vorne los.“ Das Mädchen schaute mit großen Augen auf das Blattpapier und lauschte den Worten ihrer Oma. Als diese fertig war, schaute das Mädchen ihre Oma und und fragte: „Aber wieso muss ich ihnen immer wieder den Weg zeigen, wenn die Seelen ihn so oft gehen?“ Die Oma schaute liebevoll zu ihrer Enkeltochter. Ihre alte, zitternde Hand strich dem Mädchen ruhig über den Kopf. „Weil sie als Sterne alles vergessen, was vorher passiert ist.“ Das kleine Mädchen schaute zurück in die Flammen. Doch dann stellte sie ihre letzte Frage. „Oma? Wieso heiße ich eigentlich Nagori?“ „Nagori ist ein japanischer Mädchenname und heißt <Abschied>. Deine Mutter hat dich so genannt, weil du mit den Seelen ihre letzten Schritte in einem Leben gehst. Diese Seelen verabschieden sich unbewusst, auf den Weg auf welchem du sie begleitest, von ihrem Leben, um ein neues Leben anzufangen.“ Leise fing die Oma an eine ruhige Melodie zu summen. Das Holz knisterte im Kamin und der Wind stürmte draußen immer weiter. Nagori stieg mit ein und so summten sie zusammen eine alte Melodie. Die Melodie des Abschieds und des Neuanfangs. 

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Tag der Veröffentlichung: 06.08.2015

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