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Seit Tagen lag er nur noch mit ausdrucksloser Mine in seinem Bett. Sein Lieblingsmotiv was er die ganze Zeit anstarrte, war die Decke über ihn. In seinem Zimmer herrschte totales Chaos. Kleidungsstücke lagen überall verstreut. Pfandflaschen und ein paar Teller wo Essen drauf war standen auf seinem kleinen Couchtisch. Das Essen hatte er nicht angerührt. Seine Mutter machte sich große Sorgen um ihn. Sein Vater fand das alles noch nicht Besorgnis erregend. „Der kriegt sich schon wider ein!“ sagte er immer.
Warum darf unsere Liebe nicht überleben?

, fragte er sich betrübt. Oh, jetzt ist mein Glück wohl für immer verloren. Ich werde sterben ohne sie.


Er neigte den Kopf zur Seite und sah das kleine weiße Ding, dass dafür verantwortlich war das er jetzt am Leben so anteilnahmslos war. Ich darf diesen Brief nicht lesen, denn mit diesem Brief nimmt sie Abschied von mir. Mit dem öffnen dieses Briefes sterben wir.

, er seufzte. Langsam setzte er sich auf und fuhr sich mit der Hand durchs zerzauste Haar. Er nahm den Brief in die Hand und betrachtete ihn unglücklich. Ihn zu öffnen wagte er einfach nicht. Warum sind wir nicht einfach abgehauen? Irgendwohin wo uns niemand findet! Dann wäre alles gut!


Es klopfte und seine Mutter trat herein. Ihr Blick ruhte besorgt auf ihn. „Andrej...wie geht es dir?“ fragte sie und schaute ihren Sohn mit einem sanften Blick an.
Er schaute auf und lächelte leicht. „Ganz okay.“ Sie ging näher zu ihm und setzte sich auf seinem Bett. Er lehnte den Kopf an ihre Schulter und sie streichelte ihm liebevoll übers Haar.
„Liebe ist ein Massenmörder und wir sind ihre Opfer.“ sagte er tonlos.
„Ach Andrej.“ sie legte ihren Arm um seine Schulter und drückte ihn fest an sich. Er vergrub sein Gesicht in ihre Haare, ein paar Tränen liefen ihm über das Gesicht.
„Warum verbietet er unsere Liebe?“ fragte er.
„Ich weiß nicht warum Aylas Vater so grausam ist.“ sagte sie betroffen.
„Nur weil ich Russe bin und sie Türkin? Was ist denn daran so schlimm, wenn ein Russe mit einer Türkin zusammen ist?“ fragte er wider und seine Stimme klang belegt.
Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Er scheint einfach ziemlich engstirnig zu sein. Das hat glaube ich damit gar nichts zu tun das du russischer Abstammung bist. Er will einfach nur das seine Tochter mit einem Türken zusammen ist. Das liegt glaube ich an der Kultur. Bei vielen türkischen Familien ist es noch vorbestimmt das die Tochter mit einem türkischen Mann verheiratet wird, ob sie will oder nicht.“ erklärte sie ihm.
„Ihre Mutter war aber eigentlich nicht dagegen. Wieso kann sich ihr Vater da nicht einfach anschließen?“
„Die Mutter scheint dort nicht viel sagen zu dürfen. Der Vater scheint dort das sagen zu haben.“
„Ja, aber das ist doch diskriminierend! Schließlich hatte sie die Schmerzen bei der Geburt und er nur fünf Minuten Spass und dann führt der sich so auf! Ich verstehe das einfach nicht!“
„Ich auch nicht.“ sagte sie und gab ihm ein Kuss auf das Haar, dann sah sie den Brief. „Ist es der Brief, an den ich denke?“ Andrej nickte und löste sich dann aus der Umarmung von seiner Mutter. Er seufzte. „Ich werde ein bisschen nach draußen gehen und vielleicht den Brief lesen.“
Seine Mutter nickte. „Mach aber bitte keine Dummheiten, okay? Versprich es mir!“ schaute sie ihn besorgt und eindringlich zu gleich an.
Er nickte halbherzig. Dann stand er auf und ging zu seinem Kleiderschrank um ein paar Sachen heraus zu holen.
„Versprich es mir!“ drängte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie daran dachte was er alles machen könnte, wenn er draußen war.
Andrej drehte sich zu ihr um und lächelte leicht. „Ja, ich verspreche es!“ Sie fing an zu lächeln, stand auf, ging zu ihm und drückte ihm ein Kuss auf die Stirn. Danach ging sie zur Tür. „Ich verlasse mich darauf!“ dann ging sie raus.


Andrej suchte sich einige Kleidungstücke heraus, ging aus seinem Zimmer und in das gegenüberliegende Bad. Dort zog er sich aus, schmiss seine getragenen Klamotten in den Wäschekorb und stieg in die Dusche. Er schaltete das Wasser an und ließ es sich über das Gesicht und dann seinen Körper rieseln. Es tat gut, befreite ihn aber dennoch nicht.
Nachdem er mit dem duschen fertig geworden war stieg er aus der Dusche trocknete sich ab und zog sich an. Er fand das er es wie ein Roboter machte, ziemlich emotionslos. Das Kämmen der Haare ging genauso von statten. Danach ging er wider in seinem Zimmer zog seine Jacke und Schuhe an, nahm sein Schlüsselbund vom Schreibtisch und verließ mit nassen Haaren das Haus.
Die Temperaturen an der frischen Luft waren zwar nicht besonders kalt aber warm auch nicht. Es war erst Frühling.
Seine Mutter beobachtete ihn als er vom Gründstück wegging. Ach mein kleiner Schatz, es wird schon alles wider gut werden., dachte sie hoffnungsvoll und in ihren Augen blitzte eine Idee auf.


Andrej ging die Straßen entlang. Sein Blick, seine ganze Haltung war leblos. Wenn er Freunden begegnete versuchte er sich bei einem kurzen Gespräch nichts anmerken zu lassen. Doch seine Freunde wären dumm gewesen wenn sie nichts mitbekommen hätten, das es ihm alles andere als gut ginge. Sie wollten aber nichts sagen. Mit befangenem Gefühl ließen sie ihn weiter ziehen.
Sein Weg führte ihn zu einem kleinen See, an dem er immer mit seiner Ayla war. Der See war mit etwas Sand vom Strand verziert worden, damit man im Sommer etwas Strandfeeling bekam, falls man nicht in den Urlaub fliegen konnte.
Ein kleines Lächeln huschte auf seinen Lippen als er daran dachte wie sich hier immer heimlich getroffen hatten und als sie hier auch miteinander geschlafen hatten. Es war wunderschön gewesen. Schöner hatte er diesen Akt noch nie empfunden. Und als sie hier ihre kleinen Picknicke abgehalten hatten, hatte sie türkische Spezialitäten mitgebracht und er russische. Er hatte sie mit seinen Spezialitäten gefüttert und sie mit ihren.
Doch als er dann daran dachte wie sie sich hier zum letzten Mal trafen und sie ihm den Brief gab, versetzte das seinem Herzen einen schmerzhaften Stich.
Andrej ging näher zum Ministrand hin und setzte sich in den Sand. Eine Weile lang schaute er einfach nur auf den See und beobachtete die leichten Wellen, die von dem angenehmen Wind verursacht wurden, die auf ihm zu kamen und kurz vor seinen Schuhen halt machten.
Er holte den Brief aus der Jackentasche und starrte ihn an. Angst und Schmerz vermischten sich in seinen grasgrünen Augen. Er schien es immer noch nicht über das Herz zu bringen, den Brief zu öffnen. Innerlich völlig zerrissen von dieser Situation, den Brief zu öffnen und das schmerzhafte Wissen über den endgültigen Abschied oder es noch weiter vorsich hinzu schieben und so tun als ob sich alles noch zum Guten wenden würde. Doch leider wusste er das es nicht so war. Aylas Vater würde seine Meinung nicht ändern und Ayla würde sich dem fügen, egal wie sehr sie leiden würde.
Andrej seufzte schwer und fing an den Briefumschlag langsam zu öffnen. Nachdem er den Brief heraus geholt hatte, roch er daran. Er roch nach ihr. Nach ihrem blumigen Duft, der so süchtig machte.
Er holte tief Luft, schloß dabei kurz die Augen und faltete dann den Brief auseinander. Mit dem Finger fuhr er, ohne es sich dabei durch zu lesen, über ihr geschriebenes. Sie hatte so eine schöne geschwungene Schrift und manchen Buchstaben hatte sie verspielte Schnörkel gemalt. Wenn man ihre Buchstaben und Wörter sah, konnte man sagen das das Schreiben eine richtige Kunst für sie war.
Er begann zu lesen:

Mein liebster Andrej,

Ich weiß nicht was ich sagen beziehungsweise schreiben soll.
Bin vor Not und Trauer ganz stumm.
Das was wir befürchtet hatten ist leider geschehen,
und es wirft mich gnadenlos um.
Mein Vater ist ganz unbeirrbar.
Er droht mir einfach alles an,
womit man mir Angst einjagen und mich vollkommen lähmen kann.
Ich weiß einfach nicht mehr, wie es weitergehen soll.
Kenne keinen Weg heraus.
Ich bete nur das mich die schwere Prüfung,
nicht vollkommen auslöschen wird.
Und dich auch nicht,
ganz besonders dich nicht.
Es tut mir alles so unendlich leid.
Bitte verzeih mir.

In bedingungsloser und ewiger Liebe zu dir, deine Ayla.




Tränen die ihm schon während des Lesens über die Wangen liefen, wurden stärker. Er legte sich in den Sand und drückte den Brief fest an seine Brust, dort wo sein Herz ruhte. Dabei zerknitterte der Brief etwas. Andrej schaute zum grauen Himmel hinauf, der perfekt zu seiner Stimmung passte.
Er schloß die Augen und begann ein paar Textzeilen eines schönen Liedes, das sehr gut zu der Situation passte leise zu singen. „...ohne diese Liebe kann ich nicht leben...und ohne ihre Nähe...kann ich nicht mehr...“ Dabei begann es zu regnen und der Regen vermischte sich mit seinen neu aufkommenden Tränen.


Andrej bemerkte nicht wie ein hübsches Mädchen mit braunem langem welligem Haar und großen braunen Augen näher zu dem See kam. Sie riss die Augen auf, als sie ihn so regungslos dort liegen sah, sie wollte hinrennen um zu sehen ob sich ihr schrecklicher Verdacht bestätigt hatte, doch dann sah sie, als sie noch einen Augenblick länger hinschaute, dass er Atmete. Sie lächelte erleichtert. Ganz leise schlich sie sich näher heran und als sie hörte was er da leise vorsich hin sang, kamen ihr die Tränen. Sie mochte es wenn er sang. Er hatte eine wunderschöne Singstimme. Vorsichtig und Geräuschlos kniete sie sich vor seinem Kopf hin. Langsam bückte sie sich zu ihm herunter und legte behutsam ihre Lippen auf seine. Sie fing an ihn zu küssen und nach kurzen zögern erwiderte er ihren Kuss. Denn er erkannte ihre weichen zarten Lippen. Bei dem Kuss spürte er ihre nassen warmen Wangen auf seine nassen kalten.
Sie löste sich von ihm, nahm sein Kopf sachte in ihre Hände und legte ihn in ihren Schoß. Sie lächelte ihn an, ihr Blick war dabei sanft, er lächelte zurück, wobei er verwirrt wirkte.
„Ayla...ich dachte...der Brief....du bist doch nicht etwa......“
„Schhhhh..“ machte sie nur, schüttelte leicht den Kopf und legte dabei einen ihrer zarten Finger auf seine weichen Lippen. „Es ist alles okay, mein süßer Schatz. Es wird uns keiner mehr trennen. Deine Mutter hatte ein langes Gespräch mit meinem Vater. Meine Brüder und meine Mutter standen uns ebenfalls bei. Nach langem überlegen, gab er dann endlich nach. Jetzt steht uns niemand mehr im Weg!“ lächelte sie jetzt und küsste ihn auf die Stirn.
Er lächelte zurück, seit Tagen endlich wider ein richtiges Lächeln, dass auch seine Augen erreichte. „Unsere Engel.“ sagte er leise, hob eine Hand und führte ihr Gesicht wider tiefer zu seinem damit er sie küssen konnte. Sie legte ihre Hände auf seinen Oberkörper. Ayla löste sich von ihm, blieb aber mit ihrem Gesicht über seines gebeugt. „Andrej, du bist ja ganz nass. Wie lange liegst du schon hier in diesem Regen?“ fragte sie ihn erschrocken und besorgt zu gleich, denn sie wusste wie schnell er krank werden konnte.
Er schüttelte nur den Kopf und grinste. „Weiß ich nicht, ist mir auch egal. Besonders jetzt. Ich mag diesen Ort sehr.“
Sie seufzte lächelnd. „Ich mag ihn auch sehr, sogar bei Regen, aber nicht wenn du hier klatsch nass liegst und dir eine schwere Erkältung einholst!“
„Werd ich nicht, du bist ja da.“ grinste er schelmisch. Sie wollte gerade etwas darauf sagen, als er diesmal einen Finger auf ihre Lippen legte. „Weißt du noch was wir immer sagten wenn wir hier im Sand lagen und unter uns die Wellen kamen?“
Sie lächelte wider. „Natürlich weiß ich das. Du sagtest das ich der schöne sanfte weiche Sand bin und der sich mit dem....“
„...stillen, tiefen und manchmal aufbrausendem Wasser verbindet!“ unterbrach er sie und vollendete den Satz.
„So sei es, bis auf ewig!“ flüsterte sie leise und sie küssten sich daraufhin wider.
Nachdem sie sich wider von einander gelöst hatten, sahen sie sich tief in die Augen und sprachen beide mit leiser Stimme „Strand, da wo sich das Wasser mit dem Sand verbindet!“


Impressum

Texte: Das Lied, dass Andrej am Ende der Geschichte singt, ist von Xavier Naidoo, es heißt Brief. Einige andere Ähnlichkeiten von diesem Lied werden in der Geschichte auch vorhanden sein, da mich dieses Lied dazu inspiriert hat. :)
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Kurzgeschichten allen, den es vielleicht so ähnlich ergeht und hoffe das sich am Ende alles zum Guten wenden wird. :)

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