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eBook, erschienen Oktober 2016

Copyright © 2016 MAIN Verlag, Chattenweg 1b,

65929 Frankfurt

www.main-verlag.de

www.facebook.com/MAIN.Verlag

order@main-verlag.de

Text © Neela Faye & Eve Flavian

ISBN: 978-3-95949-102-0

1. Auflage

Umschlaggestaltung: Sabine Schulz

Umschlagmotiv: © Meer: photo-graphe; Pixabay.com / 1536432

Möwe: Sreamenteagle; Pixabay.com / 659344

Landkarte: selbst gezeichnet von Sabine Schulz

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Ein neuer Anfang

***

 

Sascha war eigentlich aus Deutschland auf die Insel in die USA gekommen, um sich mit Jo zu versöhnen, der vor ihm und seiner Spielsucht vor ein paar Jahren geflüchtet war. Er war seine letzte Hoffnung gewesen, denn weder Familie noch Freunde hatten ihm verzeihen können, was in der Heimat geschehen war, auch nicht, nachdem Sascha eine Therapie erfolgreich bestritten und einen Großteil der Schulden wieder abgetragen hatte.

Auf der Insel musste er jedoch feststellen, dass Jo sich ein neues Leben aufgebaut hatte und mit Brent eine neue Liebe gefunden hatte.

Sascha war am Ende seiner Reise angekommen. Doch nach seinem Versuch, sich von einer der Klippen in den Tod zu stürzen, lernte er Ethan kennen. Und verlor ihn noch am gleichen Tag, da dieser auf eine mehrmonatige Reise in die Badlands aufbrach und Sascha sich im Krankenhaus von seinen Verletzungen nach dem Sprung erholen musste. Da er wegen seines Vaters einen amerikanischen Pass besaß, beschloss zu bleiben und auf Ethans Rückkehr zu warten …

 

*

 

Ethan und Sascha

 

*

Sascha stand am Hafen und starrte aufs Wasser. Die Insel war noch immer so wunderschön wie bei seinem letzten Besuch, zumindest das, was er bisher gesehen hatte. Er hatte noch nicht viel Zeit gehabt, um sich gründlich umzusehen, nachdem er gestern Abend erst angekommen war. Ethan würde heute von seinem Praktikum zurückkehren und er wollte ihn überraschen. Seit Monaten führten sie eine Art „moderne Brieffreundschaft“ und nun würden sie sich endlich wiedersehen. Sein Herz pochte aufgeregt.

Trotzdem kamen Zweifel in ihm auf, als die Fähre in Sicht kam. Würde Ethan sich freuen? Oder wäre er genervt, gerade ihn hier zu sehen? Zwar hatte er in ihren Mails und SMS nie etwas Derartiges verlauten lassen, aber vielleicht war er auch nur höflich gewesen zu einem Mann, der versucht hatte, sich umzubringen.

 

Ethan stand an der Reling und schaute, wie seine Insel und der Hafen immer näherkamen. Die Zeit in den Badlands war toll gewesen und er hatte viel Neues gesehen. Trotzdem freute er sich auf zu Hause, auf sein einsames Haus. Zum Glück hatte er mit der Parkverwaltung eine Absprache getroffen und musste daher erst in zehn Tagen wieder mit dem Dienst beginnen. Momentan waren ohnehin nur wenige Touristen auf der Insel.

Als das Schiff endlich angelegt hatte, schnappte er sich seinen Rucksack und seine Reisetasche und verließ als einer der Ersten die Fähre. So gerne er das Wasser mochte, er war immer froh, wenn er nach einer Überfahrt wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Er schritt die Gangway herunter und stockte. Den Mann am Hafen kannte er doch. Aber wieso war er hier? War Sascha extra auf die Insel gekommen, um ihn abzuholen? Plötzlich schlug sein Herz schneller und er beeilte sich.

„Hey Sascha“, begrüßte er den anderen Mann und grinste breit. „Was machst du denn hier?“

„Hallo.“ Der andere lächelte schüchtern. „Ich wollte dich überraschen. Okay?“

„Super. Ich freu mich, dass du hier bist.“ Ethan stellte seine Taschen kurz ab und umarmte den anderen herzlich. „Wie geht‘s dir? Was macht das Bein?“

Saschas Herz machte einen kleinen Satz. Unvermittelt hatte er den Duft des anderen Mannes in der Nase. Die starken Arme gaben ihm ein Gefühl der Geborgenheit.

„Es geht ganz gut mit dem Bein“, murmelte er an der breiten Brust. „Und wie geht es dir?“

„Mir geht‘s auch soweit gut. Vor allem jetzt, wo ich endlich zu Hause bin und bei der netten Begrüßung ...“ Ethan lächelte.

Sascha errötete ein wenig. „Hattest du eine gute Reise?“

„Danke, ich kann nicht klagen. Aber es war eine ganz schön lange Tour. Was hältst du von was Essbarem?“

„Was möchtest du essen? Darf ich dich einladen?“

„Hmm? Ich habe richtig Hunger auf Burger. Hier im Café machen sie tolle. Wollen wir uns welche mitnehmen und sie auf 'ner Bank hier am Hafen essen?“ Ethan grinste, als im gleichen Moment sein Magen laut zu knurren anfing. „Eine Portion Pommes wären auch eine gute Idee, glaube ich.“

„Okay, ich hole uns die Sachen und du besetzt uns eine Bank“, meinte Sascha und lächelte. Das war plötzlich ganz leicht, weil Ethan da war. Er konnte sich kaum daran erinnern, in den letzten Monaten gelächelt zu haben, außer, wenn er mit ihm geschrieben hatte.

„Super, gleich da vorne?“ Er zeigte auf eine hölzerne Bank direkt an der Kaimauer, von der man eine gute Aussicht hatte.

„Perfekt. Bis gleich.“ Sascha machte sich auf in Richtung des Burgerladens. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um und lächelte Ethan noch einmal zu.

Währenddessen ließ dieser sich auf die Bank fallen und kramte in seinem Rucksack nach einer Flasche Wasser. Er nahm einen langen Schluck und schaute in die Richtung, in der Sascha bald hoffentlich mit ihrem Abendessen erschien. Ein bisschen wunderte er sich über dessen Erscheinen, aber er freute sich auch sehr.

Es dauerte nicht lange, bis Sascha mit einer Tüte voll Burger und Getränke wieder zurückgeschlendert kam. So ruhig und entspannt war er seit Monaten nicht gewesen. Er setzte sich neben den Älteren auf die Bank und fing an auszupacken. „Guten Appetit.“

„Guten Hunger und danke für die Einladung.“ Er nahm einen der angebotenen Burger und biss hinein. „Oh, sind die lecker“, stellte er kurz darauf fest. „Das hat mir echt gefehlt.“

„Ja, da hast du recht.“ Sascha genoss seinen Burger. Und die Gesellschaft. Das war etwas, dass er unschwer vor sich eingestehen konnte.

„Wie lange bist du schon hier?“, erkundigte sich Ethan nach einer Weile andächtigen Essens.

„Ich bin gestern angekommen“, sagte Sascha.

„Wo bist du untergekommen?“

„In der kleinen Pension vom letzten Mal. „Anna“ heißt die.“ Vielleicht war es komisch, dass er sich wieder dort einquartiert hatte, aber es war genauso gut oder schlecht, wie jede andere Pension.

„Schön, und wie lange willst du bleiben?“ Der Ranger lächelte ihn an.

„Das habe ich mir noch frei gehalten, erst mal eine Woche dachte ich.“ Verlegen lächelte er zurück.

„Super, ich habe auch noch ein bisschen frei, wenn du magst, können wir was zusammen unternehmen? Wandern vielleicht?“

„Gerne.“ Er zögerte einen Moment. „Können wir zu der Klippe gehen?“

„Ja, wenn du das möchtest.“ Nun sah Ethan den anderen prüfend an.

„Ich will die Stelle nochmal sehen.“ Sascha blickte ernst zurück.

„Okay, wenn du das wirklich willst.“

„Danke.“ Er unterdrückte das Bedürfnis, sich an die starke Schulter anzulehnen.

„Natürlich. Ich kann verstehen, dass du noch mal dorthin möchtest, und begleite dich gerne.“ Er nahm Saschas Hand und drückte sie kurz.

„Du warst all die Monate für mich da. Ich weiß gar nicht, wie ich das je wieder gutmachen kann.“

„Du musst gar nichts wieder gutmachen. Ich bin richtig froh, dass es dir jetzt wieder so viel besser geht.“

„Ich auch.“ Sascha seufzte leise und blickte versonnen in den Hafen. Am Horizont versank die Sonne und der Himmel färbte sich wundervoll rot.

Ethan warf einen Blick zwischen dem Jüngeren und dem Sonnenuntergang hin und her. „Ich habe das Meer in den letzten Wochen echt vermisst.“

„Kann ich mir vorstellen. Es ist schön hier.“ Sascha lächelte leicht. „Wann möchtest du denn wandern? Bestimmt willst du dich erst mal ein wenig ausruhen und wieder richtig ankommen.“

„Morgen muss ich tatsächlich erst mal einkaufen und mein Häuschen inspizieren. Aber wenn du magst, kannst du gerne nachmittags vorbei kommen. Wann wir zu der Klippe oder richtig wandern gehen, können wir dann vielleicht abmachen?“

„Wenn ich dich nicht störe, komme ich gerne“, meinte Sascha leise.

„Du störst mich nicht, und wenn ich dich einlade, dann meine ich das auch so.“

„Dann komme ich morgen vorbei. Wie kommst du denn nach Hause? Zu deiner Abreise bist du ja von deinem Haus bis zum Hafen gelaufen.“

„Ja, das habe ich heute auch vor. Ich habe zwar ein Auto, aber das nutze ich nur, wenn ich beruflich unterwegs bin und momentan steht es noch bei einem Kollegen. Das heißt, ich hoffe dass er es mir vor das Haus gestellt hat.“ Mit einem Zwinkern packte er die letzte Serviette in die Tüte des Cafés.

Sascha nahm die Tüte und warf alles in den Mülleimer. Unschlüssig blieb er vor Ethan stehen. „Dann sehen wir uns also morgen?“

„Magst du noch ein Stückchen mitkommen?“ Ethan sah ihn etwas unsicher an, hatte aber das Gefühl, dass der andere sich noch nicht verabschieden wollte und die Pension lag sowieso auf dem Weg.

„Ja gerne.“ Sascha war erleichtert. Die Einsamkeit war das Schlimmste gewesen in den letzten Monaten.

„Dann komm.“ Lächelnd griff er nach der Tasche, außer dem Rucksack sein einziges Gepäckstück, und sie machten sich gemeinsam auf den Weg.

 

*

 

Ethan trug seine letzten Einkäufe ins Haus, ausnahmsweise war er mit dem Auto ins Städtchen zum Einkaufen gefahren, und räumte sie ein. Eine Schachtel mit Cupcakes ließ er auf dem Tisch liegen. In ein paar Minuten würde Sascha auftauchen. Er freute sich auf einen schönen Nachmittag, obwohl er sich sonst nicht viel aus menschlicher Gesellschaft machte. Aber bei Sascha war das anders und der Heimweg gestern war noch richtig angenehm gewesen.

Das Haus seines Freunds war einsam gelegen, aber genauso rustikal, wie Sascha es sich vorgestellt hatte. Es wirkte einladend und gemütlich mit der Holzfassade. Er hatte den Spaziergang vom Parkplatz bis hierher genossen. Er strich noch einmal sein Hemd glatt und klopfte dann an.

„Komm rein. Es ist offen ...“ Ethan schaute sich noch mal um. Es war soweit aufgeräumt.

„Hallo.“ Vorsichtig trat Sascha ein. Das Äußere des Hauses hatte nicht zu viel versprochen. Die Holzmöbel luden ihn gleich zum Verweilen ein.

„Hey, schön, dass du da bist. Magst du einen Kaffee oder Tee?“

„Kaffee, danke.“ Sascha sah sich ein wenig weiter um und stand noch etwas wie versteinert herum. Er kam sich so unbeholfen vor, wollte nichts falsch machen und hatte gerade dadurch das Gefühl, dass er tatsächlich schon alles falsch machte.

„Gerne, kommt sofort. Setz dich doch. Wie geht‘s dir? Was hast du denn heute Vormittag gemacht?“ Ethan bedeutete ihn mit einem ermunternden Blick, dass er sich in der Sitzecke gemütlich machen sollte.

Sascha ließ sich auf dem weichen Sofa sinken. „Nur ein wenig am Strand spazieren.“

„Das ist doch schön“, rief Ethan aus der offenen Küche herüber. Dann kam er mit zwei Tassen dampfenden Kaffees ebenfalls zum Sofa und stellte sie auf dem Tisch ab, bevor er nochmal zurück in die Küche eilte.

„Ja, das ist es“, meinte Sascha unbeholfen. Gott, der andere musste ihn für einen totalen Volltrottel halten, so wie er sich hier anstellte.

Mit einem Teller voller Cupcakes und anderen Leckereien war die improvisierte Kaffeetafel komplett.

„Greif zu!“, meinte Ethan.

Der Aufforderung kam Sascha gerne nach. Er nahm sich einen Muffin mit Schokoglasur und biss hinein, schon allein, um sich nicht weiter in Verlegenheit zu bringen.

Gemeinsam ließen sie es sich schmecken. Ethan beobachtete Sascha, der die Süßigkeit sichtlich genoss, und konnte sich ein leises Lächeln nicht verkneifen.

„Lecker“, kommentierte dieser mit vollem Mund.

„Ja, das habe ich echt vermisst.“

Sascha lächelte und wusste nicht recht, was er sagen sollte. Wenn sie miteinander geschrieben hatten, war es immer wie von allein gegangen und jetzt hatte er dauernd Angst, etwas Falsches zu sagen oder seinen Freund zu langweilen.

„Alles Okay?“, fragte Ethan nach einer Weile und musterte den jungen Mann genau. Irgendwas schien ihn zu bedrücken.

„Ich ... ich ... es ist so seltsam, dich plötzlich vor mir zu haben. Ich bin so unsicher“, gestand er leise.

„Warum? Das war doch vorher nie ein Problem, wenn wir SMS geschrieben haben, oder?“ Ethan sah Sascha direkt an und lächelte.

„Ich weiß. Ich versteh mich gerade selbst nicht recht.“ Schüchtern erwiderte er das Lächeln.

„Du denkst zu viel. Genieß es einfach und wenn wir gegessen haben, dann gehen wir eine Runde raus. Hättest du Lust dazu? Ich würde mich gerne ein bisschen umsehen.“

„Ja natürlich.“

„Schön, ich freu mich.“

 

 

„Also dein Haus liegt wirklich traumhaft. Fast märchenhaft.“ Mitten im Wald fiel Sascha das Reden wieder leichter. Sie gingen langsam nebeneinander her. Diese Ruhe war schön, vor allem wenn er an die Stadt dachte, in der er jetzt in einem Einzimmerappartement lebte.

„Ja, mir gefällt es auch. Eigentlich ist es hier im Naturschutzgebiet gar nicht erlaubt zu bauen, aber na ja, als es gebaut wurde, waren die Regeln noch nicht so streng und mittlerweile gehört das Grundstück mir. Ich habe das Haus in den letzten Jahren in Ruhe renoviert. Die Gegend mag ich echt. Vor allem, wenn man hier noch ungefähr 500 m durch den Wald läuft, kommt man zu einer Klippe, von der man oft Delfine beobachten kann. Vielleicht haben wir ja Glück.“

„Delfine? Super ...“ Sascha wurde unwillkürlich etwas schneller. Bisher hatte er noch nie freilebende Delfine gesehen, aber gewünscht hatte er sich das schon seit seiner Kindheit.

Ethan bemerkte die plötzlich gelöste Miene und lächelte. „Falls wir heute kein Glück haben, dann kommen wir in den nächsten Tagen noch mal her.“

„Ich finde, Delfine sehen immer so aus, als würden sie lachen. Findest du nicht?“ Mit einem Mal war Sascha wirklich aufgeregt. Als Kind hatte er Tiere geliebt, vor allem Wale und Delfine. Damals hatte er sich gewünscht, mit den Meeressäugern zu schwimmen. Er hatte gar nicht gewusst, dass dieser Traum noch gar nicht vergessen war.

„Ja, ich mag sie auch sehr gerne. Hinter der Kurve dahinten kannst du die Klippe schon sehen.“ Die Freude war ansteckend und Ethan strahlte unwillkürlich mit ihm um die Wette.

Am liebsten wäre Sascha wie ein Kind einfach losgerannt, aber er hielt sich zurück. Als sich das Meer dann vor ihnen wie ein türkiser Teppich ausbreitete, war er für einen Moment ergriffen von dieser Schönheit. Er griff nach Ethans Hand und drückte sie.

Dieser erwiderte den Händedruck und genoss den Ausblick. Er ließ seinen Blick wandern, und als er weiter hinten eine Gruppe Tümmler entdeckte, grinste er zufrieden. Er zog den Kleineren zu sich und schlang einen Arm um ihn. „Schau mal, da ganz hinten. Siehst du das?“

„Wow ...“, staunte Sascha und verfolgte die Bewegung der großen Tiere. „Kommen die manchmal auch näher ran?“

„Ja, manchmal, aber dass ist selten.“ Er hielt Sascha noch immer in seinem Arm und das fühlte sich überraschend gut an, so dass er sich kaum lösen wollte, auch wenn es besser gewesen wäre, es zu tun.

„Schade. Aber schon das ist echt toll.“ Sascha lehnte seinen Kopf an die starke Schulter. Das war schön. „Danke.“

„Nichts zu danken. Ich bin gerne hier. Selbst wenn keine Delfine da sind, ist die Aussicht hier einfach sensationell, und weil die Stelle nur bei den Einheimischen bekannt ist, ist selten jemand da.“

Vorsichtig legte Sascha einen Arm um die Hüfte des anderen und drückte sich ein wenig an den starken Mann. Diese Nähe war so ungewohnt, aber genau das, was ihm gefehlt hatte. Wann hatte ihn das letzte Mal jemand in den Arm genommen? Er konnte sich gar nicht erinnern.

Ethan unterdrückte ein wohliges Erschaudern und hielt einfach still. Er konnte spüren, wie sich Sascha langsam entspannte und zur Ruhe kam. Auch der bedrückte Ausdruck, den der andere schon seit ihrem Wiedersehen um die Augen hatte, verschwand langsam.

Sascha lächelte sanft. Vor ein paar Monaten hätte er sich nicht vorstellen können, hier zu stehen und diesen Moment zu genießen. Das hier war ein Stück vom Glück.

„Darf ich vielleicht noch ein bisschen bleiben?“ Eigentlich hatten sie ja nur einen Nachmittagsbesuch ausgemacht, aber jetzt wieder allein ins Hotelzimmer? Das wollte er nicht.

„Klar, wir können uns auch gerne hier hinsetzen und einfach ein bisschen die Aussicht genießen.“

„Ja, das wäre schön.“

Mit einem zustimmenden Nicken löste Ethan sich aus der lockeren Umarmung und setzte sich hin.

Sascha ließ sich neben ihn sinken. Eigentlich hätte er sich gerne wieder angelehnt, aber er wusste nicht, wie der Ältere darauf reagieren würde. Es könnte schließlich sein, dass sein Freund das als unangenehm empfand. Er wusste ja nicht einmal, ob er nicht eine feste Freundin hatte, auch wenn es unwahrscheinlich war, denn der andere hatte nie etwas in dieser Richtung erwähnt.

Ethan genoss die Ruhe und sah auf das Wasser unter ihnen. In ein paar Stunden würde die Sonne untergehen, und wenn es nach ihm ginge, könnten sie gerne so lange sitzen bleiben. Sascha schien sich ebenfalls wohlzufühlen.

Das Geräusch der Wellen, die warme Sonne auf seiner Haut ... Sascha spürte, wie ihn all das in den Schlaf wiegte. Die Augen fielen ihm immer wieder zu. Das war ihm schon lange nicht mehr passiert. Meist wälzte er sich unruhig von einer Seite zur anderen.

Ethan sah wie Sascha gegen den Schlaf kämpfte. In diesem Moment gab es nichts mehr zu überlegen. Er schlang seinen Arm um ihn und zog ihn an sich. Sachte bettete er den Kopf an seinem Oberschenkel. „Ruh dich ein bisschen aus, okay?“, wisperte er und strich ihm die Haare aus der Stirn.

„Hm ...“, machte Sascha noch und war dann eingeschlafen.

 

 

Ethan sah auf den Schlafenden und wieder auf die Bucht. Mittlerweile ging die Sonne schon langsam unter und das Farbenspiel auf dem Wasser war wirklich sehenswert. Kurz überlegte er Sascha zu wecken, beschloss dann aber, ihm noch ein bisschen Zeit zu geben. Wenn er die Augenringe und die Andeutungen von ihm richtig deutete, dann gönnte er sich nicht wirklich oft eine richtige Atempause ohne Grübeleien und Zweifel. Aber zumindest das konnte er ändern, wenigstens für die Zeit, in der Sascha noch bei ihm auf der Insel war. Er nahm sich fest vor, ihm in den nächsten Tagen die Schönheiten der Insel zu zeigen und wenn er an Saschas Lächeln beim Anblick der Delfine dachte, reifte ein Plan in ihm heran. Später, in der Hütte, musste er unbedingt telefonieren.

Wie lange er geschlafen hatte, konnte Sascha nicht sagen. Aber er fühlte sich erholter als all die Nächte zuvor. Er öffnete langsam die Augen und blickte direkt in Ethans Gesicht. „Hey ... tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin.“

„Hey.“ Ethan schmunzelte. „Na? Gut geschlafen?“

„Ja, danke. Ist bequem, dein Schoß.“ Sascha lächelte verlegen und spürte, wie er rot wurde. Was redete er da nur?

„Schön, das freut mich. Kannst auch ruhig noch liegen bleiben. Du bist übrigens genau passend wach geworden. Schau mal.“ Ethan legte seine Hand auf Saschas Schulter und deutete mit der anderen zum Wasser. Dort versank die Sonne gerade prachtvoll im Meer.

Sascha setzte sich auf und blickte staunend auf den schillernden Himmel. „Wunderschön“, flüsterte er. Die Hand auf seiner Schulter war warm. Ethan war so gut zu ihm. Und gut für ihn.

„Ja, finde ich auch.“ Er sah das Blitzen in seinen Augen und freute sich. Sascha schien den Anblick wirklich zu genießen. Es tat ihm sichtbar gut.

Sascha nahm all seinen Mut zusammen und lehnte seinen Kopf an die fremde Schulter. Er hatte dieses Bedürfnis, ihm nahe zu sein.

Ohne groß darüber nachzudenken, schlang Ethan den Arm um seinen Freund. Es fühlte sich toll an und dieser schien sich noch ein bisschen mehr zu entspannen.

 

Saschas Herz schlug schneller, als er sich noch ein bisschen näher an den anderen drückte und seine Hand locker auf seinen Oberschenkel lag.

„Schön, oder?“ Mittlerweile war die Sonne kaum noch zu sehen, aber das Wasser schien orange zu glühen.

„Ich glaube, ich habe selten etwas Eindrucksvolleres gesehen.“ Sascha lächelte. „Aber ich sollte mich langsam auf den Heimweg machen, ich muss ja noch durch den Wald bis zum Auto laufen.“

„Ich bringe dich hin. Ich kenn da nämlich eine kleine Abkürzung.“ Ethan stand auf und hielt Sascha eine Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

„Danke.“ Er griff nach der angebotenen Hand.

„Gerne.“ Ethan lächelte. Zum einen wollte er noch Zeit mit Sascha verbringen und zum zweiten würde der offizielle Weg an der einen Klippe vorbei führen, an der der andere sich herunter gestürzt hatte und dort sollte er nicht einfach abends alleine langlaufen. Also würden sie jetzt über einen der Rangerschleichwege gehen, die nicht offiziell ausgezeichnet waren.

Ruhig gingen sie nebeneinander her. Immer wieder berührten sich ihre Hände und Sascha fühlte sich gerade richtig gut. Jedes Mal, wenn er die fremde Haut streifte, wurde ihm ein wenig wärmer und sein Herz flatterte.

Viel zu schnell kam der Parkplatz in Sicht. Ethan räusperte sich. „Danke Sascha, das war ein schöner Nachmittag.“

„Ja, das fand ich auch.“ Sascha lächelte. „Ich wünsch dir noch einen ruhigen Abend.“

„Das wünsche ich dir auch. Sag mal, was hast du morgen vor?“ Für einen Moment überlegte er, ihm war gerade eine Idee gekommen.

„Nichts.“ Ehrlich gesagt, konnte Sascha schon nicht einmal sagen, was er heute Abend machen würde. Wahrscheinlich ihre alten Mails lesen, wie jede Nacht, wenn er nicht schlafen konnte.

„Hast du Lust zum Frühstück zu kommen und dann machen wir eine Tagestour durch den Wald?“

„Das wäre toll. Soll ich uns was vom Bäcker mitbringen?“

„Oder ...“ Ethan war gerade ein noch viel besserer Einfall gekommen, doch vorher musste er sich noch versichern. „Wie geht es deinem Bein?“

„Ganz gut. Die letzten Tage spüre ich kaum etwas.“ Sascha lächelte.

„Gut, dann bring Wechselklamotten und einen Rucksack mit und sag in der Pension Bescheid, dass du über Nacht wegbleibst. Ich habe da eine tolle Idee. Wir gehen zu einer ganz speziellen Stelle und zelten da eine Nacht. Okay? Hast du Lust?“

„Wir gehen campen? Sehr gerne!“, freute sich Sascha.

„Ja, wir gehen campen und davor was vom Bäcker wäre super. Die Brownies sind lecker und eine prima Wegzehrung ...“

„Sonst noch was? Machen wir ein Lagerfeuer? Ich könnte uns Würstchen zum Grillen mitbringen.“ Sascha war Feuer und Flamme. Früher waren sein Vater und er immer in den Ferien ein paar Tage allein losgezogen. Das hatte er geliebt.

„Ja, wir gönnen uns das volle Programm und nein, du musst sonst nichts mitbringen. Ich habe alles da. Ein warmer Pulli oder eine Jacke wäre vielleicht nicht schlecht. Abends wird es ganz schön kalt.“ Ethan grinste über Saschas sichtbare Begeisterung, also hatte er mit seiner Idee goldrichtig gelegen.

„Okay, dann bis morgen. Ich freu mich.“ Übermütig stellte Sascha sich auf die Zehenspitzen und drückte Ethan einen Kuss auf die Wange, bevor er ins Auto stieg.

Dieser sah ihm grinsend hinterher, als er langsam vom Parkplatz fuhr. Dann machte er sich auf den Heimweg. Er musste unbedingt noch telefonieren und für morgen packen.

 

*

 

Sascha hatte die halbe Nacht nicht geschlafen. Ausnahmsweise aber nicht, weil er gegrübelt hatte. Obwohl ... Natürlich hatte er gegrübelt, aber er hatte sich auf heute gefreut und sich die Momente, als er Ethan nahe war, wieder und wieder ins Gedächtnis gerufen. Nun hatte er die duftenden Brownies im Rucksack mit den Schlafsachen und hielt am Parkplatz. Den kurzen Weg zu dem Haus mitten im Wald schwebte er beinahe über dem Boden.

Ethan hatte den Picknicktisch vor seinem Haus schon gedeckt und sein Rucksack, sowie Zelt und Schlafsäcke standen schon bereit. Er freute sich schon auf die Tour und war gespannt, was Sascha zu ihrem Zeltplatz sagen würde, nachdem er gestern schon von der Delfinbucht begeistert gewesen war.

„Guten Morgen!“ Sascha strahlte förmlich und hielt sich ziemlich zurück, nachdem er Ethan gestern so überfallen hatte. Ein wenig peinlich war ihm das schon, aber es war ihm so natürlich vorgekommen.

„Guten Morgen, da bist du ja schon.“ Ethan lächelte und trat einen Schritt auf Sascha zu und umarmte ihn flüchtig. Irgendwie hatte er das Gefühl, er sollte das tun. „Soll ich deinen Rucksack reinnehmen, dann kannst du dich setzen. Kaffee kommt sofort.“

„Danke.“ Sascha ließ sich auf der Bank nieder und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Genüsslich schloss er die Augen.

Ethan holte die Kanne mit dem dampfenden Gebräu und trat wieder an den Tisch. „Und? Bereit für die Tour?“, fragte er, während er den Kaffee in die Tasse goss.

„Auf jeden Fall. Ich bin schon gespannt, was du mit mir vorhast.“

„Kannst du auch sein ... Die Stelle, zu der wir gehen, ist traumhaft schön und einsam. Dort ist fast nie jemand. Genau richtig für eine schöne Zeit.“

„Jetzt bin ich erst recht neugierig.“ Sascha nahm einen Schluck von seinem Kaffee.

Geheimnisvoll grinsend nippte Ethan an seiner Tasse. „Lass dich überraschen.“

„Am liebsten würde ich gleich losgehen.“

„Lass uns eben essen, dann räumen wir ab und können los.“ Ethan freute sich über Saschas sichtliche Begeisterung. Noch nie hatte er den anderen so gelöst und fröhlich gesehen. Sämtliche Bedenken und Zweifel schienen in diesem Augenblick ganz weit weg zu sein.

 

 

Ethan warf einen Blick zu Sascha. Schon seit mehreren Stunden waren sie unterwegs und in wenigen Minuten würden sie die Stelle erreichen. Der Weg war erstaunlich angenehm gewesen, und obwohl sie kaum geredet hatten, war das Schweigen nicht seltsam gewesen. Er war gespannt, was Sascha zu dem Wasserfall sagen würde. Das leise Rauschen konnte man schon jetzt hören.

Langsam spürte Sascha, dass sein Bein nach dem schweren Absturz vor ein paar Monaten noch nicht wieder komplett hergestellt war. Bisher hatte es ihn kaum gestört auf dieser schönen Wanderung, aber allmählich schwanden seine Kräfte. Trotzdem ging er weiter. Leise hörte er erst ein Plätschern, dann ein Rauschen. Als sie schließlich vor dem Wasserfall ankamen, blieb Sascha staunend stehen.

„Na, was sagst du? Schön hier, oder?“ Ethan sah in Saschas staunendes Gesicht. Der Anblick des Wasserfalls war aber auch wirklich gigantisch. An dieser Stelle stürzte ein Bergbach über eine Felswand und sammelte sich unten in einem kleinen See, bevor er sich seinen Weg weiter abwärts bahnte. Um den See war eine Grasfläche, die an einen Wald angrenzte.

Ideal zum Zelten.

„Es ist atemberaubend. Danke“, hauchte Sascha ergriffen. Es war so malerisch und ein bisschen wie im Traum. „Und hier dürfen wir die ganze Nacht bleiben?“

„Na klar. Wir sind ja extra dafür hergekommen. Außerdem braucht dein Bein sicher eine Pause, oder?“ Ihm war das leichte Hinken nicht entgangen, das Sascha seit einer ganzen Weile zu überspielen versucht hatte. „Ich denke, wir bauen jetzt das Zelt auf und dann machen wir es uns hier gemütlich. Außerdem warten die Brownies ja noch immer in deinem Rucksack.“

„Ja, Pause hört sich gut an.“ Er rieb sich etwas über den verkrampften Oberschenkel.

„Dann setz dich doch schon mal.“ Ethan deutete auf einen der kleinen Felsen an der kleinen Feuerstelle, die er mit ein paar Kollegen vor einigen Jahren eingerichtet hatte.

„Ich hol uns ein bisschen Holz, damit wir uns einen Tee zu dem Kuchen machen können. Das Zelt können wir ja danach zusammen aufbauen.“ Klar konnte er das auch alleine, aber instinktiv spürte er, dass Sascha mithelfen wollte.

„Okay, das ist lieb. Ich bin gleich wieder fit.“ Dankbar setzte sich Sascha auf den angebotenen Platz und streckte das Bein aus. Das Zelt. Er hatte gar nicht daran gedacht, dass sie zu zweit darin schlafen würden. Ein warmer Schauer durchlief ihn.

Als das Wasser einige Zeit später kochte, nahm Ethan den kleinen Kessel und goss die dampfende Flüssigkeit in die Tassen. Eine reichte er Sascha.

„Geht es wieder oder hast du noch Schmerzen?“

„Es geht. So lange auf den Beinen bin ich noch nicht wieder gewohnt. Bin etwas aus dem Training. Wahrscheinlich habe ich morgen Muskelkater.“ Sascha lachte.

„Mist, es tut mir leid. Ich hätte mir denken können, dass der Weg vielleicht ein bisschen zu heftig ist, nach deiner Verletzung. Soll ich dich ein bisschen massieren?“

„Ach, so schlimm ist es nicht.“ Sascha zögerte einen Moment, als er über das Angebot nachdachte. „Würdest du das echt machen?“

„Ja klar. Sonst hätte ich es nicht angeboten ...“ Ethan nickte ernst und nahm sich einen Brownie aus der Tüte.

„Das wäre vielleicht ganz gut“, meinte Sascha leise und holte sich auch eine der süßen Leckereien.

„Kein Problem. Das machen wir nachher. Aber erst mal stärken.“

„Und das Zelt bauen wir auch vorher auf. Nicht, dass wir es in der Nacht aufbauen müssen.“

„Genau. Wir müssen auch noch mal ein bisschen Feuerholz suchen. Das kann ich sonst aber auch alleine machen, wenn es für dich zu anstrengend ist.“

„Es geht schon“, beeilte Sascha sich zu sagen. Er wollte jede Sekunde mit Ethan nutzen. Schon gestern hatte er es sich eingestehen müssen, dass er ihn einfach sehr gerne hatte.

„Okay, aber wenn es zu viel ist, sag Bescheid. Denk dran, wir müssen morgen den ganzen Weg zurück. Gut, dann geht es die meiste Zeit bergab, aber trotzdem, tragen kann ich dich nicht.“

Insgeheim nahm Ethan sich vor, Sascha noch ein bisschen mehr zu verwöhnen und vor allem das Bein später gründlich zu massieren, damit er wenigstens keine schlimmeren Schmerzen bekam. Er fühlte sich schuldig, weil er nicht daran gedacht hatte, dass er Weg eventuell zu anstrengend für ihn war.

„Ich pass auf mich auf, versprochen.“ Sascha erhob sich. „Von mir aus können wir los.“ Eigentlich war er weit entfernt von ausgeruht, aber er wollte vor seinem Freund nicht als Schwächling dastehen.

„Aber übertreib es nicht, versprochen?“ Ethan sah ihn ernst an und musterte ihn lang.

„Ich bin vorsichtig“, sagte Sascha. „Ich gehe sonst einfach früher zurück, okay?“

„Nein, wir gehen zusammen und ich dachte, dass wir die Zeit hier ausnutzen. Zur Not machen wir halt ein paar längere Pausen.“

Sascha war immer wieder überrascht, dass sich der Ältere so um ihn sorgte. Durch ihn fühlte er sich nicht mehr so allein und verloren.

 

 

Ende der Leseprobe

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.11.2016

Alle Rechte vorbehalten

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