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Lucifer's Plague - Leseprobe

*

Charlie

 

Die Menge johlt, schreit und kreischt. Singt Texte mit von Blut und Kriegen, von denen keiner von den kleinen Menschen da unten eine Ahnung hat. Nur ich und Mac wissen, dass in unseren Texten nicht von imaginären Ereignissen die Rede ist. Die Welt ist ein einziger Kriegsschauplatz und die heftigsten Kämpfe finden bei Weitem nicht in den offensichtlichen Krisengebieten wie Namibia oder Mali statt. Noch nicht einmal in den geheimen Hinterzimmern der NSA oder dem Secret Service. Sondern in den Straßen auf der ganzen Welt.

Die Menschen, die zu mir auf die Bühne aufsehen, ahnen nicht einmal etwas davon, dass erbitterte Revierkämpfe zwischen den Clans meiner Art geführt werden. Dass sie jederzeit Opfer davon werden könnten. Wenn tatsächlich etwas Derartiges in die Schlagzeilen gerät, hört man gerne von Bandenkriegen oder islamistischen Terroristen. Die Wahrheit ist um einiges schrecklicher.

Für die meisten von uns sind die menschlichen Bewohner der Erde nichts anderes als Ungeziefer, im besten Fall als Diener und Kanonenfutter zu gebrauchen. Oder eben als Nahrungsquelle.

Während ich meinen Gedanken nachhänge, ist das Lied zu Ende gegangen, ich habe es kaum bemerkt. Begeisterte Fans skandieren unseren Bandnamen Lucifer’s Plague und die Schreie erfüllen die Konzerthalle. Ein erhebendes Gefühl. Ich zwinkere Lynette, der Bassistin, zu, ebenso Morten, der noch immer den hypnotisierenden Schlusston des Songs auf seiner E-Gitarre hält. Mac nimmt einen neuen Rhythmus am Schlagzeug auf und Morten legt mit einem Solo los, das die Menge zu Begeisterungsstürmen hinreißt.

Ich blicke derweil aufmerksam in die Menge. Die Damen kreischen, obwohl seit Jahren bekannt ist, dass ich eher dem männlichen Geschlecht zugeneigt bin. Gleich kommt mein Lieblingsmoment der ganzen Show: Gemäß einer Tradition von mir hole ich gegen Ende des Konzerts einen hübschen jungen Mann auf die Bühne, der einen meiner Songs mit mir singen darf. Ich stecke dem Glücklichen dann einen Backstagepass zu, und wenn er sich traut, darf er ein paar lustvolle Stunden mit mir verbringen. Die meisten trauen sich.

Heute habe ich mir einen typischen französischen Jüngling ausgesucht, schließlich gastieren wir in Paris. Er singt zwar grottig, aber bei dem Körper kann ich das entschuldigen.

 

Natürlich traut der kleine Franzose sich und ich ziehe mich mit ihm in meine Garderobe zurück und genieße seinen weichen Körper an mir.

„Je t'adore ...“, raunt der Lockenkopf auf dem Weg über meinen Körper.

Oh ja! Ein Stöhnen entfährt mir. Ganz ehrlich, ich stehe auf Fremdsprachen. Ein bisschen Liebesgesäusel in einer anderen Sprache und ich werde hart.

Die schlanken Finger meines heutigen Favoriten schließen sich um meinen Schwanz.

Er haucht „Je t'aime“, bevor seine Lippen sich auf meine legen. Er schmeckt gut. Der Kuss macht mich noch schärfer als zuvor, unsere Zungen fechten einen heißen Kampf aus, aus dem natürlich ich als Sieger hervorgehe.

„J’ai envie de toi …“ Ich brauche nicht zu überlegen, was das nun heißt, dass er mich will, ist offensichtlich. Damit ich ihn auch sicher verstehe, präsentiert er mir seinen Hintern auf allen vieren. Mit geröteten Wangen und glühenden Augen sieht er mich über seine Schulter an. Mein Schwanz zuckt vorfreudig.

„Prends moi!“

Nur zu gerne, Kleiner!, denke ich und lecke mir über die Lippen. Ich glaube, ich werde heute so schnell kommen, wie schon lange nicht mehr.

 

Nachdem ich mit dem kleinen Franzosen durch bin, reicht es mir. Meinetwegen kann er noch ein paar Fotos machen und kriegt ein Autogramm, aber das war es dann endgültig. Ich sehne mich nach einer Blutkonserve aus dem kleinen Kühlschrank und es wäre wohl wenig förderlich, wenn mein Favorit des Tages sehen würde, was ich da so zu mir nehme.

Ein letztes gehauchtes „Je t’aime“, dann ist der Lockenkopf aus der Tür. War heiß mit ihm, aber eine Wiederholung ist ausgeschlossen - aus vielerlei Gründen.

Mein Herz gehört nur mir und ich werde den Teufel tun und es jemandem schenken!

Gestärkt mit einer Ladung Blutgruppe 0 aus dem Kühlschrank, der laut Vertrag in jeder meiner Garderoben zu stehen hat, verlasse ich den Raum.

Oh, was sehe ich denn da? Bei diesem knackigen Hintern sammelt sich doch schon glatt das Blut wieder in meinem Schwanz.

Tom, einer der Roadies, die uns auf der Tour begleiten, ist gebeugt über eine Kiste, vollkommen beschäftigt mit einem Teil der Ausrüstung. Wenn sein Hintern in der Jeans schon so unwiderstehlich aussieht, wie mag er dann ohne Klamotten aussehen? Unwillkürlich lecke ich mir über die Lippen. Er hat mich immer noch nicht bemerkt, wühlt in dieser Kiste rum, als hinge sein Leben davon ab.

Mit einem Klatschen landet meine Hand auf einer seiner Pobacken.

„Hey, was soll der Scheiß?“ Tom richtet sich auf, dreht sich um und steht nur Zentimeter von mir entfernt. Er ist fast gleich groß wie ich, seine braunen Augen sind zu kleinen Schlitzen verengt.

„Fertig gefickt?“, fragt er unverblümt. „Ging ja erstaunlich schnell. Du hattest es ja anscheinend richtig nötig.“ Ich bemerke Wut in seiner Stimme und etwas anderes, dass ich schlecht zuordnen kann. Menschliche Gefühle sind nicht gerade mein Spezialgebiet.

„Oh ja, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie geil der Kleine war. Ich habe ihn richtig schön rangenommen“, raune ich. Der Atem, den ich nicht benötige, aber gewohnheitsmäßig in meine Lungen pumpe, lässt ihn erzittern. „Wenn du willst, darfst du das nächste Mal zusehen …“

„Du bist ein perverses Arschloch, Charlie!“, zischt er plötzlich wütend und schiebt mich von sich. „Geh mir aus dem Weg, es gibt Leute, die müssen noch was arbeiten!“

Mit schnellen Schritten entfernt er sich von mir. Verwirrt sehe ich ihm nach. Was ist mit dem Typen eigentlich los? Ich habe seine Erregung praktisch gerochen!

Aber wie gesagt, menschliche Gefühle sind nicht gerade mein Spezialgebiet.

 

Auf dem Gang kommt mir Mac Fraser entgegen, der rothaarige Drummer der Band und seit vielen Jahren mein bester Freund.

„Hey, Charlie! Bock auf einen Drink mit Blick über die Stadt?“ Mac grinst mich vielsagend an. Ich kann mir bereits denken, was er vorhat. Kein Ausflug nach Paris ohne die Besteigung des Eiffelturms. Das ist eine Tradition, die wir seit der Eröffnung der Weltausstellung 1889 pflegen.

Mittlerweile ist es spät geworden und der Turm ist für Besucher geschlossen, aber wann hätte so etwas uns je aufgehalten? Den größeren Teil des Weges legen wir mit dem Taxi zurück, doch dann hält mich nichts mehr. Während Mac den Fahrer bezahlt, hangle ich mich schon im Schutz einer Nebenstraße an Efeuranken auf das Dach eines Hauses hoch, das vielleicht 2 Kilometer entfernt von unserem Ziel liegt. Ein Katzensprung.

Ich genieße das Gefühl meines Blutes, das langsam auf Hochtouren kommt. Wen interessiert es, wie viel ich davon verbrenne, als ich beginne zu rennen und förmlich über die Dächer zu fliegen? Ich fühle mich lebendig, obwohl das, rein physisch gesehen, natürlich Schwachsinn ist. Würde es schlagen, würde mein Herz jetzt rasen vor Freude an der Geschwindigkeit. Auch wenn die Luft nicht mehr riecht wie früher.

Früher roch man förmlich das Abenteuer, heute wird alles überdeckt vom Geruch der Zivilisation und den Abgasen der Autos.

Mac zischt wie ein Blitz neben mir her, ich sehe ihn schemenhaft, seine roten Haare lodern wie Feuer. Fast gleichzeitig erreichen wir den Eiffelturm. Mit jedem Meter, den wir weiter nach oben klettern, geht es mir besser. Nein, ich brauche kein Seil, das mich hält und der Blick nach unten bringt mich nicht ins Schwindeln - ich kenne keinen meiner Art, der je Höhenangst gehabt hätte. Ich hangle mich mühelos an den Stahlstreben nach oben, lege immer mehr an Tempo zu, auch wenn ich dadurch überflüssigerweise Energie verbrauche, die ich nachher unweigerlich wieder zuführen muss. Man lebt nur einmal! Innerlich muss ich über meine manchmal doch sehr menschliche Art zu denken lachen.

Schließlich sitzen Mac und ich einträchtig auf einer Querstrebe hoch über den Dächern von Paris und schlürfen Blutkonserven. Wir kennen uns an die dreihundert Jahre und Mac ist der einzige Freund, den ich habe. Ohne ihn hätte ich es vielleicht nicht durchgezogen, mich von meinem Vater Lucifer loszusagen und ihn zu verlassen. Im Nachhinein die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.

„Irgendwo da unten kämpft der Sabbat um die Vorherrschaft in den Straßen“, sagt Mac. „Kaum zu glauben, dass es niemand mitbekommt.“

Ich zucke nur mit den Schultern. Politik hat mich noch nie interessiert. Was der Sabbat treibt und die Alten, all das ist für mich Zeitverschwendung. Aber natürlich haben Kreaturen meiner Art gerade davon mehr als genug.

„Ich gedenke meine Nächte besser zu nutzen.“

„Amen. Darauf trinke ich!“ Mac hebt den Beutel mit Blut hoch, als wäre er ein Kelch aus Silber.

„Santé mon ami!“

„Schade, dass wir morgen schon wieder abreisen. Ich hätte nichts gegen eine Verlängerung.“

„Wirst du etwa auf deine jungen Tage schon sesshaft, Mac?“, stichle ich. „Was gibt es Besseres, als jeden Tag eine neue Stadt, neues Hotel …“

„… neuer Fick?“, vollendet Mac meinen Satz trocken.

„Neidisch?“

„Sicher nicht.“

Das stimmt. Ich kann mich nicht erinnern, dass Mac in all den Jahren sexuelles Interesse an irgendjemandem gezeigt hätte. Weder Mensch, noch Vampir. Weder Mann noch Frau. Im Gegensatz zu mir. Sexuelles Interesse habe ich potenziell an jedem Mann. Wenn es nicht gerade ein Tattergreis ist, der am Stock geht, versteht sich. Und es wäre auch nett, wenn man sich nicht erschrecken müsste, wenn man versehentlich das Licht anmacht.

Ansonsten bin ich wenig wählerisch. Etwas gibt es an jedem Mann, mit dem ich das Bett geteilt habe. Ein Herz, das schlägt. Ein Leben, das irgendwann endet. Dinge, die ich verloren habe.

„Ich denke, ich werde dem Sabbat eines oder zwei seiner potenziellen Opfer wegschnappen. Kommst du mit?“

„Nein, geh‘ du mal. Ich jage anderweitig, das weißt du doch.“

„Oh ja. Ich frage mich, wann es dir endlich langweilig werden wird.“

„Langweilig wird es nur, wenn es nicht auch Herausforderungen gibt, mein Lieber. Ich arbeite gerade an einem harten Fall.“ Schokobraune Augen tauchen in meinen Gedanken auf.

„Versuchst du etwa noch immer diesen Tom rumzukriegen?“ Mac sieht mich feixend an. „Wenn du ihn willst, brauchst du ihm noch nur einmal tief in die Augen zu sehen und er macht, was du willst.“

„Es ist nicht das Gleiche, Mac. Es macht nur Spaß, wenn er es freiwillig tut.“

„Ich glaube, wir könnten noch einmal hundert Jahre zusammen verbringen und ich würde dich immer noch nicht verstehen, Charlie.“ Mac macht sich daran hinunterzusteigen.

„Pass‘ auf dich auf da unten.“

„Wir sehen uns im Tourbus. Bis später!“

Ich bleibe sitzen und verfolge, wie Macs Gestalt immer kleiner wird, doch sein roter Schopf ist unverkennbar, als er über den großen Platz vor dem Eiffelturm geht und sich seine Mahlzeit sucht.

Gedankenverloren summe ich die Marseillaise. Der Text könnte ebenso eine Hymne für den Sabbat sein.

 

Aux armes, citoyens,                         Zu den Waffen, Bürger!

Formez vos bataillons,                       Formt Eure Schlachtreihen,

Marchons, marchons!                         Marschieren wir, marschieren wir!

Qu’un sang impur                              Bis unreines Blut

Abreuve nos sillons!                          unserer Äcker Furchen tränkt!

 

Plötzlich schwirrt eine Melodie durch meinen Kopf. Formen sich Akkorde und Rhythmen. Meine Hände sehnen sich nach dem warmen Hals meiner Gitarre. Ein freudiges Kribbeln durchläuft mich beim Gedanken an mein geliebtes Instrument.

In Windeseile steige ich ab und schnappe mir das nächste Taxi. Es gibt so viel wichtigere Dinge, als den Hunger nach Blut.

 

*

 

Zu dieser späten Stunde ist die Konzerthalle längst leer. Unsere Instrumente sind sorgfältig verstaut im Tourbus, die zusätzliche Ausrüstung unserer Bühnenshow ebenfalls in einen Kleinlaster verladen. Ich leuchte mit einem einzelnen Scheinwerfer auf die Bühne, suche mir einen Stuhl und setze mich mitsamt Gitarre auf den kleinen erleuchteten Fleck.

Die Melodie von vorhin drängt sich mir wieder auf und wie von selbst beginnen meine Finger zu zupfen. Ich schließe die Augen, höre schon den martialischen Chor, der den Refrain der Marseillaise schmettert, den Rhythmus, den Mac mir dann geben wird, den Bass, der direkt in den Magen fährt. Und dann die durchdringenden Klänge der E-Gitarre über allem. Ein eindrucksvolles Intro für den Song. In meinem Kopf ist der Anfang schon fertig. Den Text ersetze ich durch einfache Silben, das kann ich noch auf später verschieben, meine Stimme fügt sich in das Gebilde in meinem Kopf ein und es gefällt mir.

 

Ich stelle mir vor, wie die Fans toben und mein Vater das Gesicht schmerzvoll verzieht, wenn er den Song hört.

Und ich weiß, dass er sich jeden meiner Songs anhört. Allein der Name meiner Band muss wie ein Dorn in seinem Herzen sitzen. Lucifer’s Plague. Ja, ich bin die Plage, die er selbst erschaffen hat und nun muss er damit leben.

Mich zu vernichten, wagt er nicht.

Eher will er mich an sich binden, damit ich ihm komplett unterworfen bin, wie er es sich von Anfang an gewünscht hat.

Als glühender Anhänger des Sabbats hat Lucifer sein Leben dem Aufbau eines kleinen Imperiums verschrieben. Zu lange Jahre war ich gezwungen, ihm zu folgen, erlebte, wie er meine anderen Geschwister erschuf und ich begriff, dass ich nur ein Spielzeug in einem ewigen nicht enden wollenden und vor allem sinnlosen Krieg, war. Sinnlos, weil er nur für sich selbst kämpfte.

Ich blieb eigensinnig und war nicht bereit mich Lucifer weiter zu unterwerfen und seine perversen Spiele mitzumachen, egal wie oft er mich brach. Mein Problem war, dass ich nicht kaputt ging, was Lucifer reizte, immer weiter zu machen.

In dieser Zeit lernte ich Mac kennen, der ebenfalls nichts von den Clans und ihren Kämpfen wissen wollte. Zusammen mit ihm bereiste ich die Welt. Dreh – und Angelpunkt war immer wieder Paris. In dieser Stadt erlebte ich ein paar der erhebendsten Momente meines Lebens, wenn das der angebrachte Begriff ist. Ich hatte die Ehre fantastische Musiker ihrer Zeit spielen zu hören, wahre Teufelsgeiger.

Ich setzte es mir von da an in den Kopf, Musik zu studieren. Für Geld war damals wie heute alles zu bekommen und so war es keine Schwierigkeit, einen Lehrer ins Haus zu bestellen, der mich ausschließlich nachts unterrichtete. Die Geige war nur der Anfang. Ich behaupte von mir, dass es kein Instrument gibt, dass ich nicht wenigstens versucht habe zu spielen.

Als der Rock n Roll langsam Formen annahm, schaffte ich es endlich auch Mac für die Musik zu begeistern. Wir hörten die Beatles live und tummelten uns bei Mondlicht bei Woodstock.

Am Ende dieses Weges steht Lucifer’s Plague. Mein Lebenswerk. Mein ganzer Stolz.

Wichtiger als jede Eroberung, die ich je gemacht habe.

Zu Beginn stand alle Nase lang eines meiner Geschwister auf der Matte, um mich in den Schoß der Familie zurückzuholen. Nach einigen Jahren fiel es mir leichter, sie abzuweisen. Die Bindung an Lucifer wurde mit der Zeit schwächer und die Besuche seltener. Der letzte Besuch liegt bestimmt fünf Jahre zurück. Aber ich bin nicht vergessen. Mein Vater Lucifer vergisst nie.

 

Schon seit einer Weile herrscht Stille. Der letzte Ton ist irgendwann verklungen, als ich angefangen habe, über meinen Vater nachzudenken. Der Vater, der keiner war.

„Die Halle wird jetzt dann geschlossen“, sagt jemand von unten. Tom.

Er sieht mich forschend an. Wie lange ist er schon hier und beobachtet mich? Ich habe seine Schritte nicht gehört, war zu verloren in der Musik und meinen Erinnerungen. Sein Blick ist nicht so feindselig wie vorher.

„Ich bin gleich weg“, antworte ich leise, packe meine Gitarre und den Stuhl. Ich bin heute nicht mehr in der Stimmung zu streiten oder meine Jagd auf den attraktiven Mann fortzusetzen. Die Nacht dauert nicht mehr lange, es wird Zeit, mich rechtzeitig in den sonnensicheren Bereich des Tourbusses zu verziehen, den ich aufwendig habe ausstatten lassen. Morgen reisen wir weiter. Ich weiß im Moment noch nicht einmal wohin.

In weiche Kissen vergraben, grinse ich. Die melancholische Stimmung von vorher ist vergessen und der Vorfreude gewichen.

Neue Stadt, neues Hotel, neuer Fick. Klingt doch nach einem guten Plan, oder?

 

*

 

Meine innere Uhr funktioniert ganz gut. Trotzdem habe ich heute tatsächlich den Sonnenuntergang verschlafen. Wobei ich außer einer langweiligen Busfahrt wohl auch nichts verpasst habe.

Kaum habe ich die Augen aufgeschlagen, hämmert jemand sehr unsanft an der Tür zu meiner sonnenfreien Zone.

„Aufwachen, Charlie! Du kannst dann im Hotel weiterpennen!“, ruft mich Lynette.

Einchecken erst nach Sonnenuntergang, Soundchecks um Mitternacht sind nur zwei Beispiele meiner Sonderwünsche. In der Branche hat man so natürlich den Ruf einer Diva weg. Aber da Lucifer’s Plague und ich nun einmal sichere Zuschauermagneten sind, machen mir die wenigsten Konzertveranstalter Probleme.

Und wenn doch einer nicht spurt, besuche ich ihn eben nachts und erzwinge einen einsichtigen Anruf bei unserem Manager am nächsten Tag.

Natürlich war das nicht immer so. Auch mit Lucifer’s Plague habe ich mir den Erfolg erarbeiten müssen. Klar kann man sich Radiosendezeit kaufen, aber im Musikbusiness ist es wie mit meinen Liebschaften. Mir alles selbst zu erarbeiten ist einfach weitaus befriedigender.

Mein erster Blick, als ich aus dem Tourbus steige, trifft Tom, der mich genervt ansieht. Er flüstert etwas zu seinem Nebenmann. Ich verstehe nur „Extrawurst“. Die beiden lachen leise.

Grimmig knirsche ich mit den Zähnen und gehe in Richtung Hotel. Absichtlich gehe ich so nahe an Tom vorbei, dass ich ihn mit der Schulter streife. Ich blicke herausfordernd zu ihm zurück. Ein wütender Blick bohrt sich in mich und ich werde hart. Gott, ich liebe es, wenn er sauer ist! Provokativ lecke ich mir über die Lippen und grinse ihn an. Sein Körper spannt sich an, als wolle er sich gleich auf mich stürzen. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, aber vor den Paparazzi nicht so sehr von Vorteil.

„Lass es gut sein, Duplo“, raunt sein Kollege ihm zu und legt eine Hand auf seine Schulter.

Tom knurrt etwas Unverständliches und wendet sich wieder dem Equipment zu.

Meine Hose spannt und ich brauche meine ganze Willensstärke, um meinen Schwanz zum Erschlaffen zu bringen.

Ich muss ihn einfach haben! Egal wie!

 

Später genieße ich ein Tröpfchen ausgezeichnetes Blut und lümmle mich in einen der Sessel. Ich lasse die Momente von vorher noch einmal in meinem Kopf auftauchen und gleich ist die Erregung auch wieder da. Frustriert stöhne ich auf. Selbstbefriedigung ist erst recht keine Lösung.

„Na, mal wieder abgeblitzt bei deinem Roadie?“ Mac kommt über die Balkontür rein und gesellt sich zu mir.

Ich zucke mit den Schultern.

„Du willst ihn doch sowieso nur, weil er dich nicht will. Würde er dir die Füße küssen, würdest du dich nicht für ihn interessieren.“ Mac grinst vielsagend. „Er reizt dich nur, weil du ihn nicht haben kannst.“

Ich knurre. „Was ist denn daran verwerflich? Außerdem kann ich jeden haben, den ich will“, behaupte ich herablassend.

Mac lacht wieder.

Natürlich hat er recht. Er kennt mich viel zu gut. Selbstredend bin ich viel zu stolz, zuzugeben, dass er goldrichtig liegt. Es ist dieses alte „Ich-bin-nicht-leicht-zu-haben“-Spiel, das Tom für mich unwiderstehlich machen lässt.

Die meisten Männer im Publikum beten mich förmlich an. Keine Herausforderung.

Aber der unnahbare Tom hat meinen Jagdinstinkt geweckt. Und er wird nicht nachlassen, bis ich meine Gier an ihm gestillt habe.

 

*

Tom

 

Ich habe wirklich Mühe, meine Wut unter Kontrolle zu halten. Verdammt, wann kriege ich das endlich in den Griff?

Ich weiß doch, dass ich keine Chance habe. Nicht so, wie ich sie gerne hätte.

Außerdem spiele ich nicht in seiner Liga. Den Franzosen, den er letztens abgeschleppt hat, war wirklich niedlich, das muss ich schon zugeben.

Nichtsdestotrotz bin ich eifersüchtig. Gut, ich könnte Charlie für eine Nacht oder vielleicht auch zwei haben, aber das reicht mir nicht. Ich will mehr. Viel mehr.

Ich habe mich in diesen Drecksack verliebt. Ich wollte das nicht, es ist einfach im Laufe der Zeit passiert.

Ich liege in meinem Hotelzimmer und überlege bestimmt zum hundertsten Mal, einfach zu kündigen und zu verschwinden. Lange mache ich das nicht mehr mit.

Ich drehe mich auf die Seite und starre in die Morgendämmerung. Die Nacht war lang und arbeitsreich mit dem Konzert, dem Auf- und Abbau, Einpacken des Equipments und was sonst noch so an Arbeiten anfallen. Nur noch ein Konzert, dann geht es weiter.

Ausnahmsweise verbringen wir die Nacht in der Stadt in einem Hotel, statt im Bus zu pennen. Ein seltener Luxus.

Die Band ist wirklich arbeitswütig. Ein Konzert nach dem anderen, kleine oder große Hallen, egal, die Band ist immer dabei.

Sie haben sich im Laufe der Jahre einen großen Namen gemacht, was am Anfang niemand geglaubt hat. Ich bin schon einige Zeit dabei und habe viele meiner Kollegen kommen und gehen sehen, aber ich bin geblieben, aus unerfüllter Sehnsucht nach dem einen, den ich nicht haben kann.

Ich bin kein Spielzeug und lasse mich auch zu keinem machen. Dafür ist mir der Job auch zu wichtig. Ich brauche das Geld nun mal und ich werde gut bezahlt.

Meine Schwester ist krank und ich muss dringend unser Haus umbauen, deswegen brauche ich auch das Geld, um sie zu unterstützen. Ich kann also nicht auf diesen Job verzichten.

Verdammt, ich finde einfach keinen Schlaf. Ob es das wirklich wert ist, deswegen bei der Band zu bleiben?

Frustriert stehe ich auf und trete an die Balkontür, beobachte den Sonnenaufgang. Wir werden erst heute Abend weiter fahren.

Charlie ist schon seltsam in seinen Angewohnheiten, keine Frage. Aber als erfolgreicher Musiker darf er exzentrisch sein. Nur nachts unterwegs, tagsüber habe ich ihn noch nie gesehen. So kann man sich auch einen geheimnisvollen Ruf aufbauen.

Kurz entschlossen steige ich unter die Dusche. Vielleicht hilft mir ja etwas Entspannung. Ich nehme meinen Schwanz in die Hand und massiere ihn. Erhöhe den Druck. Stelle mir vor, wie Charlie ihn in den Mund nimmt und saugt. Mich dabei ansieht. Und nur mich. Dass ich der Eine bin.

Ich stöhne, lehne mich gegen die geflieste Wand, schließe die Augen und überlasse mich meiner Fantasie. Charlie, wie er seine Hand um meine Hoden legt und sanft massiert. Wie er mich anschaut!

Mit einem leisen Aufschrei komme ich zum Orgasmus.

Diese kleine Fantasie schafft es jedes Mal, mich innerhalb kürzester Zeit in den Himmel zu katapultieren.

Vielleicht sollte ich doch losziehen und mir einen anderen suchen, nur so zum Druckabbau. Ich kann mich ehrlich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal jemanden flach gelegt habe oder flachgelegt wurde.

Meine Hand ist auf Dauer eben kein adäquater Ersatz. Es bleibt immer so ein kleines hohles Gefühl zurück.

Seufzend trockne ich mich ab, ziehe mich an und gehe nach unten zu frühstücken. An Schlaf ist erst einmal wirklich nicht zu denken.

In der Lobby begegne ich Randy, einen Kollegen, der ebenfalls schon eine Weile dabei ist. Gemeinsam gehen wir frühstücken.

„Sag mal, wieso reagierst du immer so gereizt auf Charlie?“, will er wissen und beißt in sein Brötchen.

„Weil er mir auf den Sack geht!“, erkläre ich und werfe einen tödlichen Blick zu Randy. Ich will mich eigentlich ablenken und garantiert nicht über Charlie tratschen. Das wäre der Abschuss heute. Und für meine Laune nicht förderlich.

„Ist ja gut. Was machst du heute noch?“, lenkt er ein und beobachtet mich aus halb geschlossenen Augen. Ich weiß, dass er scharf auf mich ist, aber ich fange nie etwas mit Kollegen an. Nie. Das kann einfach nicht gut gehen. Ja, Randy ist ein Sahnestück und bisexuell, was ihm eine reiche Auswahl beschert, aber ich gehöre nicht dazu. Mein bescheuertes Herz sehnt sich nach einem anderen, auch wenn ich den nicht haben kann.

„Keine Ahnung, ich schlendere vielleicht ein bisschen durch die Stadt oder so“, antworte ich und schiebe mir den letzten Rest vom Frühstück in den Mund. Vielleicht hilft mir ein bisschen Bewegung, um doch noch etwas Schlaf abzubekommen.

„Kann ich mitkommen? Mir ist langweilig. Und schlafen will ich nicht“, bittet Randy und ich zucke mit den Schultern. Mir kann‘s egal sein, solange er mich nicht anbaggert.

Vielleicht werde ich so endlich von Charlie abgelenkt.

Eine Stunde später stehen wir in einem Museum und sehen uns skeptisch um.

„Wessen Idee war das eigentlich?“, murre ich und beäuge die moderne Kunst, die mir so gar nicht zusagt. Da hat ja ein Kind mehr Talent, wie ich finde.

„Meine war es nicht!“, feixt Randy und schlendert durch den Ausstellungssaal.

Also machen wir uns einen Scherz daraus, Vermutungen anzustellen, was sich die Künstler bei den verschiedenen Objekten gedacht haben könnte.

Wir halten uns nicht lange auf und verlassen das Museum nach kurzer Zeit wieder. Ehrlich, wie kann man so was Kunst nennen?

Wenigstens war ich eine Weile abgelenkt, immerhin.

So langsam macht sich auch Müdigkeit bei mir breit und wir kehren ins Hotel zurück. Heute Abend ist noch ein Konzert und danach geht es weiter.

 

Die Menge tobt und Charlie sucht sich wieder einen aus, der mit ihm auf der Bühne singen darf. Und der anschließend vernascht wird.

Meine Wut steigert sich und ich knalle die Kabelrolle, die ich gerade in der Hand halte, einfach ins Eck und verziehe mich nach draußen, um einmal tief durchzuatmen.

Nur mit Mühe reiße ich mich zusammen, denke an Susan und mache mich wieder an die Arbeit, schalte auf Autopilot.

Das Konzert geht schnell seinem Ende zu und wir müssen zusammenpacken, weil es weitergeht. Ich weiß nicht, wie lange ich Charlie noch standhalten kann. Ich weiß nur eines sicher: Wenn ich ihm nachgebe, werde ich kündigen. Denn eine Zusammenarbeit wird danach nicht mehr möglich sein.

Ich sehe Charlie, wie er mit seinem heutigen Favoriten Backstage verschwindet, während sich die Halle langsam leert.

Verdammt, mein Magen ist ein einziger Stein.

Aber es darf einfach nicht passieren.

Randy arbeitet Hand in Hand mit mir und stellt mir keine Fragen oder nervt mich mit irgendwelchen Sprüchen, wofür ich ihm dankbar bin.

Die anderen Kollegen haben es inzwischen aufgegeben, mit mir zu sprechen, wenn ich in so einer Stimmung wie gerade eben bin.

Vier Stunden brauchen wir, aber ich begrüße die Arbeit, lenkt sie mich doch ein wenig ab.

 

*

Charlie

 

Ich weiß nicht, wer diese Tour geplant hat, aber Köpfchen hatte derjenige nicht. Erst Frankreich – jetzt Deutschland. Karlsruhe um genau zu sein. Danach wieder Frankreich. Aber es ist mein Job und deshalb beschwere ich mich nicht.

Während die Roadies schon in der Halle sind, um unsere Bühnenshow für morgen vorzubereiten, hat mein Manager ein paar Interviewtermine organisiert. Immerhin etwas.

Ich treffe an diesem Abend drei Reporterinnen an drei verschiedenen Orten in drei verschiedenen Outfits – wegen der Fotos. Doch ihre Fragen sind immer das Gleiche.

„Wie kommst du mit dem Erfolg zurecht?“

„Wie sieht es in deinem Liebesleben aus?“

„Wie versteht sich die Band, wenn man so lange auf Tour ist?“

Lauter Nichtigkeiten.

Ich würde lieber über meine Musik sprechen, denn nichts tue ich lieber. Natürlich stehe ich auch gerne im Rampenlicht. Ich würde lügen, wenn es nicht so wäre. Aber die Musik ist es, die mich antreibt. Und sie ist alles, was mich ausmacht. Ohne Musik wäre ich nur eine leere – zugegebenermaßen hübsche – Hülle.

Ich lasse die drei Damen nicht merken, dass ich mich nicht die Bohne für ihre nebensächlichen Fragen interessiere. Stattdessen bin ich der charmante, arrogante Rockstar, den jeder zu kennen glaubt. Mehr soll niemand von mir sehen.

Gegen 23 Uhr schießt meine letzte Interviewpartnerin das letzte Foto und schüttelt mir so schwungvoll die Hand, dass sie mir das halb volle Rotweinglas über Hemd und Hose kippt. Während sie sich wortreich entschuldigt und anbietet, alles schnell zu säubern, winke ich ab und marschiere zur Restauranttoilette. Hoffentlich kann ich die Designerjeans noch retten. Wäre schade darum, denn ich mag sie echt gern. Natürlich könnte ich mir leicht eine neue kaufen, aber darum geht es dabei nicht.

„So ein Mist aber auch“, fluche ich.

Ich nehme mir eins der Papierhandtücher und mache es nass, damit ich den Fleck rausreiben kann, als mir auffällt, dass noch jemand anders im Raum ist.

Ich achte nicht weiter auf den anderen Mann, als ich versuche, diese Sauerei aus meinem Hemd zu reiben. Aber ich mache damit alles eher noch schlimmer. Meine Klamotten gebe ich wohl besser in eine Reinigung. Das wird nichts mehr.

Ich fange Blicke von der Seite auf - der Kerl scheint ein Fan von mir zu sein. Oder wenigstens scheint er mich zu kennen. Was mir natürlich schmeichelt, auch wenn es mir natürlich oft genug passiert. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Vielleicht hat das Missgeschick der Dame auch etwas Gutes für mich. Das, was ich von dem Mann sehe, gefällt mir. Glänzende blonde Haare, grüne Augen, schöne Lippen.

Ein unterdrücktes Knurren entfleucht ihm, scheinbar ist er sogar ziemlich interessiert. Um ihm Gelegenheit zu geben, mich ausgiebig zu bewundern, drehe ich mich zu ihm.

Überraschend schlägt mein Instinkt Alarm. Der Kerl ist mir plötzlich unheimlich. Er sieht jetzt aus, als wolle er mich gleich anfallen. Dabei hat er so sanfte Augen. Und er hat etwas an sich, das schwer zu beschreiben ist. Aristokratisch, vielleicht.

Der nächste misstrauische Blick trifft mich und mich überkommt eine Ahnung. Ich hole den Teil aus mir hervor, den ich nur selten nutze. Weil es mir zuwider ist, eine Gabe zu nutzen, die Lucifer mich gelehrt hat. Trotz allem war es vermutlich das einzig nützliche, dass er mir je beigebracht hat.

Ich brauche nicht viel Blut, damit sich die Aura wie eine zweite Haut um den Körper des Mannes legt. Fahl. Tot.

Shit!, fluche ich innerlich. Er ist ein Vampir. Und somit bin ich in Gefahr.

Meine Gesichtszüge entgleiten mir für einen Moment und ich weiß, dass er es bemerkt hat. Dass ich ihn erkannt habe. Oder zumindest irgendetwas erkannt habe.

Das darf doch alles nicht wahr sein! Wieso jetzt, wieso gerade heute? Ich bin immer verdammt vorsichtig gewesen und habe, seit es Blutkonserven gibt, nicht einmal mehr gejagt … nur um nicht einen von ihnen zu treffen. Ich bin keiner von ihnen, war es nie und will es niemals sein. All die Jahre ist es mir geglückt, mich vor ihnen zu verbergen oder wenigstens nicht aufzufallen. Es ist doch wirklich zum Kotzen!

Alles in mir spannt sich an. Ich habe keine Ahnung, wer der Kerl ist und welche Macht er hat. Ich wage nicht zu atmen, bin starr vor Schock und Angst.

Der Gesichtsausdruck des Mannes ändert sich von einer Sekunde zur nächsten von misstrauisch zu tödlich.

Mit einem Satz ist er bei mir, packt mich am Hemd und er schleudert mich von sich fort.

Ich krache donnernd an die geflieste Wand – kein Mensch hätte diesen Angriff überlebt, aber ich stehe auf. Verdammt! Der Typ ist richtig richtig stark! Musste ich gerade auf dieses Exemplar meiner Spezies treffen? Bei meinem Glück hätte mir das eigentlich klar sein müssen …

Mein Herz hämmert. Blut wird durch meinen Körper gepumpt. Ob mir das hilft? Ich weiß es nicht.

Der Mann kommt mit gefletschten Zähnen auf mich zu.

Ich bin nicht gut im Verteidigen und so stelle ich mich breitbeinig hin und erwarte den nächsten Angriff. Wenn ich schon vernichtet werde, dann wenigstens nicht kampflos.

„Wer bist du? Was willst du?“, herrscht er mich an. Wieder kommt er einen Schritt näher. Meine Hände zittern, ich verstecke sie hinter meinem Rücken. Ich will ihn nicht spüren lassen, wie sehr ich mich fürchte, aber vermutlich hat das keinen Sinn.

"Ich bin Charlie Marshal, Leadsänger der Band "Lucifer's Plague" – Sie haben bestimmt schon von uns gehört." Automatisch falle ich in meinen Diva-Tonfall. Hinter ihm kann ich mich verbergen, wann immer ich will.

Kälte kriecht in mir hoch. Ich hatte immer geglaubt, dass mich eines meiner Geschwister irgendwann vernichten würde. Was soll ich gegen diese Kraft und Erfahrung ausrichten? Dem habe ich nichts entgegenzusetzen. Ich spüre, dass mir die Situation entgleitet. Der Kerl ist mir eindeutig nicht wohlgesinnt, egal was ich jetzt noch tue.

"Nein, habe ich nicht“, faucht er, dann hält er inne. Überlegt für eine Sekunde "Ich denke, das ist unnötig, nicht wahr? Sie wissen, wer ich bin." Jetzt ist seine Stimme samtig, wohltönend und freundlich.

Okay, jetzt ist es amtlich. Der Typ scheint nicht alle beisammen zu haben. Vermutlich schizophren oder etwas Derartiges.

"Woher sollte ich wissen, wer Sie sind? Ich sehe Sie zum ersten Mal!", sage ich eine Spur aggressiver, als ich will. Ein weiterer Fehler, denn der Kerl knurrt mich heftig an und das Zittern meiner Hände überträgt sich auf meinen ganzen Körper.

Die Stimme wird noch sanfter und für mich noch bedrohlicher "Oh, hätte ich besser sagen sollen: Was ich bin?"

Mir läuft es kalt den Rücken runter. Sein Tonfall bringt mich doch glatt dazu zu denken, er hätte mir etwas zu sagen. Als müsse ich mich ihm unterwerfen. Das wäre vermutlich auch gar nicht so eine schlechte Idee.

Was will der Typ nur von mir? Schließlich habe ich ihn in keinem Moment bedroht. Im Gegenteil, er hat mich angegriffen. Ich verfluche die Reporterin und ihre Ungeschicklichkeit. Ohne sie wäre ich nicht in dieser wirklich bescheuerten Situation.

„Also nochmal. Wer sind Sie wirklich? Sie kennen die Regeln der Etikette!“, weist der Mann mich an. Seine Fangzähne zieht er immerhin wieder ein.

Etikette? Regeln? Ich lache innerlich. Die einzige Regel, die ich bei Lucifer gelernt habe, war die, dass Sklaven zu gehorchen haben ... Wovon zum Teufel spricht er?

Meine Verwirrung muss offensichtlich sein.

"Ich habe bereits gesagt, wer ich bin. Charlie Marshal", sage ich nachdrücklich.

"Schön, Charlie Marshal", sagt er höhnisch und lässt wieder seine Fangzähne sehen "das ist aber kaum alles. Und du weißt das, nicht wahr?" Er funkelt mich aus diesen Augen an, die mir vorher so sanft vorkamen. Was für ein Trugschluss. "Jeder vernünftige Vampir weiß, wie er sich seinesgleichen vorzustellen hat."

Gut, das heißt nun eindeutig, dass ich kein vernünftiger Vampir bin. Das ahnte ich zwar bereits, nun bin ich jedoch sicher.

"Ich bin gewöhnlich nicht unter meinesgleichen", sage ich leise. Das stimmt. Ich meide die Straßen und ihre Jagdgebiete schon seit langem. „Mac ist er einzige Vampir, mit dem ich verkehre“, murmle ich mehr zu mir, als zu dem Fremden. Hallo! Ich könnte mich selbst ohrfeigen. Warum erzähle ich das einem Wildfremden, der bis vor wenigen Sekunden noch nicht wusste, ob er mich vernichten will oder nicht?

"Nun wohl.“ Der Mann räuspert sich und zieht die Fangzähne ein. „Hhhmmmm – oh.“ Er ringt irgendwie mit sich. Was für ein schräger Typ. „Ihr ... dann ist dieser Mac Euer Erzeuger? Wo kann ich ihn treffen?“

"Nein, Mac ist nicht mein Erzeuger." Ich seufze. "Mein Erzeuger heißt Lucifer.

Der Blick, der mich trifft, ist unergründlich. "Ihr wisst tatsächlich nicht, wie man sich korrekt vorstellt? Seid Ihr Euch denn nicht bewusst, wie essenziell dies unter unseresgleichen ist?" Er spricht mit mir wie mit einem Schuljungen und gerade fühle ich mich auch wie einer. Dieser Typ weiß mehr, kann mehr und steht eindeutig über mir.

"Offensichtlich nicht", rutscht mir heraus.

Der Kerl lächelt plötzlich. Und mit einem Mal scheint er der freundlichste Mann auf Erden zu sein. Unwillkürlich verlässt mich die Anspannung. Ich bin nicht mehr in Gefahr, signalisiert mir seine ganze Körperhaltung.

„Mein Name ist Cardon Wârtain. Mein Mentor ist Juan Valor Murillo Rodrigo Santiago, Ahn vom Clan Lasombra antitribu."

„Mein Erzeuger ist Lucifer vom Clan der Toreador, ich bekleide keinen Stand.“ Langsam hört das Zittern auf und ich beginne wieder zu atmen. Ich bin dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen, wie es scheint.

"Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Gehen wir doch in das Restaurant zurück, wo wir uns in Ruhe unterhalten können", sagt Cardon mit einer Selbstverständlichkeit, dabei war er gerade eben noch bereit dazu, mich in die ewigen Jagdgründe zu befördern.

"Gerne" Ich erwidere das lächeln, obwohl ich innerlich über mich nur den Kopf schütteln kann. Alles in mir schreit, dass ich die Gelegenheit nutzen sollte, um abzuhauen.

Stattdessen gehe ich voran in das Nebenzimmer, wo ich vorher mit der Reporterin war. Die aufgeregte Menge hat sich weitestgehend aufgelöst.

Jetzt scheint auch die letzte Anspannung aus meinem neuen Bekannten zu weichen. Anscheinend fühlt er sich unter Menschen nicht so wirklich wohl. Und trotzdem ist er hier – das macht mich neugierig. Er scheint nicht so zu sein, wie die anderen meiner Art, die ich kenne. Vielleicht hat sich auch die Vampirwelt gewandelt in all den Jahren. Vielleicht lohnt es sich, mehr darüber zu erfahren.

"Wollen wir uns setzen?", frage ich lächelnd.

"Oh ja, gerne". Er wählt sich einen Platz mit Blick auf die Tür, weit weg von irgendwelchen Fenstern. Der Gute hat wohl eine Art Verfolgungswahn.

"Darf ich fragen, was Sie hierher geführt hat?" Denn wegen mir ist er ja offensichtlich nicht da, so schade das auch ist.

Wieder lächelt er gewinnend und schafft es, mich für sich einzunehmen. Ich lehne mich entspannt im Stuhl zurück.

„In ein Restaurant? Nun, üblicherweise möchte man hier gemütlich speisen. Dass ich einen Artgenossen treffen würde, dass wusste ich allerdings vorher nicht.“

"Sie wollten allein hier essen?",frage ich.

Er lächelt wieder. "Nun, jeder findet Nahrung auf unterschiedliche Weisen. In einem Restaurant ist das recht gebräuchlich, nicht wahr? Aber wir waren bei der Vorstellung stehen geblieben. Üblicherweise stellt man sich mit Erzeuger, Stand und Clan vor. Das haben Sie vorher ja schon ganz gut gemeistert. Offensichtlich ein Naturtalent.“

Cardon scheint zufrieden mit mir.

Und ich könnte mir in den Arsch treten, aber ich kann nicht anders, ich fühle mich einfach wohl in seiner Gegenwart.

„Sie waren also lange nicht hier im Lande?“, fragt Cardon nach und meint damit doch eigentlich etwas ganz anderes. Doch er ist diskret genug, nicht direkt zu fragen, warum ich nicht unter seinesgleichen weile.

„Ich bin oft hier und dort, meine Band und ich sind gerade auf Tour. Heute Karlsruhe, morgen wieder Frankreich.“

„Ah, dann ist Musik also Ihre Leidenschaft?“ Er klingt ehrlich interessiert.

Damit hat er mich endgültig für sich eingenommen.

Ohne weiter darüber nachzudenken – und obwohl mein Kopf mir rät, besser nicht zu viel zu sagen – fange ich an zu reden. Über die Musik, die Band. Alles, was mir in den Sinn kommt.

Das Gespräch ist intensiv und ich habe das Gefühl, eine Art Seelenverwandten gefunden zu haben. Noch andere Freunde zu haben neben Mac, bei denen ich so sein kann, wie ich bin … ich wusste nicht, dass ich mich danach gesehnt habe.

Der Abend endet damit, dass ich Cardon zu unserem morgigen Konzert einlade und ihm eine Karte mitsamt Backstagepass schenke.

Und ich habe definitiv kein schlechtes Gefühl bei dieser Sache.

 

*

 

Ich stehe wieder auf der Bühne, fühle mich in meinem Element. Genug gegrübelt. Ich sollte mich nicht von diesem Tom aus der Ruhe bringen lassen. Da unten sind schließlich Tausende Kerle, die nur darauf warten, dass ich sie mir nehme. Vielleicht hat Mac recht und ich sollte meine Niederlage akzeptieren. Doch dann taucht wieder Toms glühender Blick vor meinen Augen auf und all meine Vorsätze lösen sich in Luft auf.

Ein Knurren entfährt mir, das auf allen Lautsprechern übertragen wird. Die Menge tobt.

Alle dort unten wissen, dass jetzt der Moment gekommen ist. Der Favorit des Tages wird erwählt. Die Spannung ist fast greifbar.

„Du da“, flüstere ich ins Mikro und deute auf einen netten jungen Mann mit tätowiertem Arm. „Komm und sing mit mir!“

Ein ungläubiges Lächeln erscheint auf seinem Gesicht und ich strecke ihm die Hand entgegen. Während die Security ihn auf die Bühne hebt, fällt mein Blick auf Tom, der am Rand der Bühne an einer Box lehnt. Er fixiert mich, runzelt die Stirn und hat die Hände zu Fäusten geballt. Wieso nur bekomme ich ihn nicht in mein Bett? Dass er mich will, ist doch wirklich kaum zu übersehen?

Mittlerweile ist der Mann auf die Bühne gekommen. Ich greife nach seiner Hand und frage ihn, welches Lied er singen will. Als ich noch einmal kurz über die Schulter sehe, ist Tom nicht mehr da.

 

„Komm und sing mit mir!“, ätzt Tom, als ich vor meiner Garderobe auf meinen neuesten Fang warte. Wieder dieser glühende Blick. Erregung durchströmt mich. „Sei doch wenigstens so ehrlich zu dir und den Fans zu sagen: Komm und fick mit mir!“

„Eifersüchtig?“, frage ich provozierend.

„Im Traum nicht!“, zischt Tom.

Über seine Schulter hinweg entdecke ich meinen heutigen Favoriten. Ich grinse.

„Das Angebot zum Zuschauen steht noch ...“, flüstere ich ganz nah an seinem Ohr.

Toms Augen werden plötzlich zu Schlitzen. „Du bist ein verdammtes Arschloch!“

Seine Faust landet in meinem Gesicht, aber ich lache nur und winke den jungen Mann in meine Garderobe.

Obwohl der Tattoo-Mann sich nach Kräften bemüht, ich komme nicht richtig in Fahrt.

Die Begegnung mit Tom hat mich mal wieder ins Grübeln gebracht. Gut, ich provoziere ihn einzig und allein, weil es mir Spaß macht. Aber die Erregung, die er mir gegenüber spürt, bilde ich mir doch nicht ein oder? Warum nur sträubt er sich so sehr dagegen, sich mir hinzugeben? Es wäre ja nicht so, als würde es ihm nicht auch gefallen.

Während mein heutiger Begleiter meinen Schwanz bearbeitet, stelle ich mir vor, wie ich Tom ausziehe, wie ich ihn verwöhnen würde, wenn er mich ließe. Möglicherweise könnte ich bei ihm sogar meine goldene „Nur-eine-Nacht“-Regel über Bord werfen.

Immerhin macht mich dieses Gedankenspiel soweit an, dass sich der Tattoo-Mann nicht vollkommen bescheuert fühlen muss.

Heute ist es tatsächlich bloße Pflichterfüllung, dass ich ihn nehme. Zugegebenermaßen hatte ich schon mal mehr Spaß an der Sache, aber ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren.

Zum Glück ist mein Favorit viel zu aufgeregt, um meine fehlende Begeisterung zu bemerken. Als ich erstmal in ihm stecke, dauert es nur wenige Minuten und dann ist alles vorbei. Die üblichen Liebesschwüre lasse ich über mich ergehen, dann herrscht endlich Stille.

„Schon wieder fertig? Das geht ja immer schneller bei dir.“ Mac ist reingekommen, ohne dass ich es bemerkt habe. Er sieht mich forschend an.

„Fang du nicht auch noch damit an!“, fauche ich. Aus meinen Männergeschichten, wenn die ständigen One-Night-Stands überhaupt diesen Namen verdienen, hält sich Mac normalerweise raus. Ich frage ihn auch nicht danach, wie vielen Menschen er das Blut aussaugt.

„War ein guter Schlag von deinem Tom. Ich bin mir sicher, dass er dir demnächst aus der Hand fressen wird.“ Er lacht, was selten genug vorkommt, aber darüber freuen kann ich mich nicht. Ich bin schließlich das Opfer seines Spotts.

„Vielleicht solltest du ihn – anstatt ihn bis aufs Blut zu reizen – mal mit deinem Charme betören?“, schlägt Mac versöhnlich vor.

„Soll ich ihm etwa Blumen schicken oder was?“, grummle ich missmutig.

„Warum nicht? Romantik ist zeitlos.“

Nachdem Mac gegangen ist, google ich nach einem 24-Stunden Blumen Lieferservice.

 

*

 

Nach dem Zusammenstoß mit Tom und Mac habe ich eigentlich keine große Lust mehr, noch weiter Backstage herumzuhängen.

Cardon kann ich auch nicht entdecken, vielleicht ist ihm etwas dazwischen gekommen, ich weiß ja sonst noch nicht besonders viel von ihm.

Schulterzuckend beschließe ich, noch ein wenig draußen spazieren zu gehen. Vielleicht ergibt sich ja noch etwas Erfreuliches an diesem Abend.

Macs Kommentar bezüglich Romantik kommt mir wieder in den Sinn? Ob das was bringt? Diese Kratzbürste Tom bräuchte höchstens eine Tracht Prügel, damit er zur Vernunft kommt. Erst eine Tracht Prügel und danach wilden Sex in meinem Hotelzimmer …

Genervt fahre ich mir durch die Haare. Warum läuft eigentlich zur Zeit nichts so, wie es soll?

„Stress, Charlie?“

Ich fahre herum.

Cardon ist praktisch aus dem Nichts erschienen und sieht mich feixend an.

„Du bist ja doch gekommen!“ Mein Ärger ist auf wundersame Weise verflogen. Cardon hat eine so beruhigende Wirkung auf mich.

„Leider hatte ich noch einen wichtigen Termin, das hatte ich fast vergessen“, entschuldigt er sich und lächelt.

Ich kann ihm kaum böse sein. Nicht, wenn er mich so anlächelt und wahrscheinlich auch sonst nicht. Ich mag ihn. Fühle mich wohl, wenn er da ist.

„Lass‘ uns etwas trinken gehen“, schlägt Cardon vor. „Ich habe noch so viele Fragen an dich.“

„Zum Beispiel?“, frage ich, während wir weiter spazieren. Keine Menschenseele in der Nähe. Ich kann es mir erlauben, ich selbst zu sein.

„Wie bringst du dich unter Kontrolle? Ich habe gehört, du bist ein großer Casanova? Bedienst du dich an deinen Favoriten?“

„Nein. Ich ernähre mich ausschließlich von Blutkonserven.“

„Du hast dein Tier echt so perfekt in der Gewalt?“, fragt er erstaunt?

„Naja, bisher schon.“ Für mich ist das nichts besonderes. Ich habe jeden Tag mit Menschen zu tun. Ich reduziere sie nicht darauf, wie ihr Blut schmecken könnte.

Cardon wirkt nachdenklich. „Wie hast du das eigentlich gelernt? Hat Lucifer darauf so viel Wert gelegt?“

„Er hat sich nicht darum gekümmert.“ Ich zucke mit den Schultern. „Die Beherrschung kommt allein durch viel Übung.“

„Übungen?“, hakt er interessiert nach.

„Ehrlich gesagt, hat früher keiner meiner Lover die Nacht überlebt.“

„Uups.“ Cardon lacht glockenhell.

„Irgendwann habe ich mich dann endlich unter Kontrolle gebracht ... hat viele Jahre gedauert“

„Und du hast das immer vertuscht bekommen?“ Er wirkt beeindruckt und ich fühle mich geschmeichelt.

Ich halte Cardon die Tür zu einer Kneipe auf, die von außen recht gemütlich wirkt „Naja, Serienkiller sind immer gute Sündenböcke ...“

 

*

Die ganze Geschichte könnt ihr hier nachlesen ...

 

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Mobi: https://p.sellboxhq.com/l/AkLS/MOBI-Lucifer-s-Plaque-Juan-Santiago-Celine-Blue-Eve-Flavian

Epub: https://p.sellboxhq.com/l/AkL5/Lucifer-s-Plaque-Juan-Santiago-Celine-Blue-Eve-Flavian

Impressum

Texte: Eve Flavian / Celine Blue / Juan Santiago
Bildmaterialien: © CURAphotography / © Viorel Sima
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2014

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