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Spurenträger - die menschliche Leiche

Manfred Lukaschewski

 

 

Tote schweigen nicht

 

Spurenträger - Leichnam

 

 

Dr. Manfred Lukaschewski

Diplom-Physiker, Diplom-Kriminalist

 

 

 

 

Vorbemerkungen

 

Die strafprozesslich geforderte Hinzuziehung eines Arztes (Feststellung des Todes, gegebenfalls des Todeszeitpunktes etc.) hat aus kriminalistischer Sicht (leider) häufig zur Folge, dass durch die äußere Besichtigung und Untersuchung des Opfers durch den Arzt am Ereignisort erhebliche Störgrößen auf das Spurenpotential sowohl im Mikro- als auch im Makrobereich einwirken (können).

Dadurch setzt die staatsanwaltliche Leichenschau, die in der Regel von den vor Ort tätigen Kriminalisten stellvertretend vorgenommen werden muss, erst nach der Freigabe durch den Arzt ein.

Man muss dem Kriminalisten einer Morduntersuchung auf Grund seiner hohen Qualifikation (und diese muss auf Grund der Ausbildungsstandards in der Bundesrepublik zum gegenwärtigen Zeitpunkt im hohen Maße angezweifelt werden) zugestehen, bei Offensichtlichkeit des Todes (Leichenflecken, Totenstarre, Autolyse, Fäulniserscheinungen, Dekomposition), also dann, wenn ärztliche Hilfsmaßnahmen von vornherein ausgeschlossen werden können, den Einsatzzeitpunkt des Arztes festzulegen!

Die Zusammenarbeit zwischen Kriminalist und Arzt muss deshalb vor allem den tatsächlichen Bedingungen am Ereignisort Rechnung tragen.

 

Begleitende Erklärungen bezüglich

Schnittwunden

Stichwunden

Schnittwunden

 

Glatte Wundränder ohne Quetschung und Blutunterlaufung, glatte Durchtrennung bis zum Wundgrund einschließlich der Gefäße (profuse Blutung) ohne Gewebsbrücken, keilförmiger Querschnitt durch stärkere Retraktion der oberflächlichen Schicht.

→ Klaffen der Wunde (vitale Reaktion),

→ Schnittwunde linear,

aber:

bei Hautfalten Stufen im Verlauf und Stehenbleiben von Hautbrücken auch bei scharfem Tatwerkzeug!

Häufigste Schnittarten:

Halsschnitt,

so genannter Pulsaderschnitt,

 

Halsschnitt

Durch Muskelretraktion kann infolge Klaffens ein Herausschneiden von Weichteilen fälschlich angenommen werden. Das Klaffen ist eine typische vitale Reaktion.

Zu klärende Hauptfrage: Selbsttötung oder Tod durch fremde Hand?

Hinweise, die auf einen Suizid deuten:

Hals wird im Stehen oder Sitzen (häufig vor einem Spiegel) durchschnitten, die Blutablaufstraßen befinden sich an der Körpervorderseite, verlaufen ruhig, gleichmäßig und parallel.

Der Wundverlauf ist abhängig von der Händigkeit – beim Rechtshänder von links oben nach rechts unten zur Schnitthand absteigend.

Canutosche Probeschnitte.

Nebenverletzungen als Folge zaghafter Versuche.

Brechung des Schnittes – bei langsamem Durchtrennen retrahieren sich die durchschnittenen Muskeln und verziehen die darüberliegende Haut. Bei Fortführung des Schnitts oder neuem Schneiden sind nun anatomisch andere Ebenen vorhanden.

Schnittverletzungen nur an zugänglichen und unbedeckten Körperstellen (Schnittareal wird freigemacht!), Hände blutverschmiert.

 

Wichtig: Gerade wenig taugliche schneidende Werkzeuge und atypische Verletzungen sprechen im Zweifel mehr für Suizid.

Stärkstes Indiz für Suizid sind begleitende andere Schnittverletzungen an Stellen, an denen wichtige Arterien vermutet werden!

 

Hinweise, die auf Tod durch fremde Hand hinweisen:

 

Blutstraßen verlaufen unruhig, unregelmäßig und mehrfach unterbrochen.

Der Wundverlauf ist meist zirkulär, bei mehreren Wunden oft entgegengesetzt verlaufend (mit Überkreuzung). Keine Probierschnitte

Nebenverletzungen durch Gegenwehr des Opfers, oberflächliche und zufällige Verletzungen durch Ausweichen des Opfers.

Abwehrverletzungen.

Verletzung von Kleidern und durch Kleidungsstücke hindurch und an für das Opfer unzugänglichen Stellen (Rücken).

Handlungsfähigkeit kann trotz tödlicher Verletzung noch erhalten sein.

→ Veränderung des Tatortes, Beseitigen des Tatwerkzeugs, Verteilung von Blutspuren durch Ortsveränderung.

 

Achtung: Das Fehlen des Messers ist für den Tod durch fremde Hand nicht beweisend!

 

Stichwunden

Stichwunden sind glattrandig und schlitzförmig (auch bei den Tatwerkzeugen mit rundlichem Querschnitt, wie z.B. Schusterahlen oder Feilen, infolge der durch elastische Faserzüge anatomisch vorgegebenen Spaltbarkeit der Haut. Die Wunde ist beidseitig spitzwinklig, auch bei einschneidigem Messer!

Zu klärende Hauptfrage: Suizid oder Tod durch fremde Hand?

Erstechen ist als Suizid seltener als von fremder Hand.

Beim Suizid:

meist in die Herzgegend,

Halsstich,

Ellen- und Schenkelbeuge.

Entblößen der Stichstellen (Ausnahme Frauen bei Herzstich; Frauen durchstechen nicht die Mamma (weibliche Brust)!

Gruppenförmige Häufung begleitender oberflächlicher Stiche auf engerem Areal analog den Probeschnitten.

Zugängliche Körperpartien.

Blutablaufstraßen analog Schnitt.

 

Bei Tod durch fremde Hand:

wahllose Lokalisation,

durch Kleidung hindurch,

unzugängliche Körperpartien,

Abwehrverletzungen,

unregelmäßige Blutablaufstraßen.

 

Erkennung des Tatwerkzeugs

Schneidigkeit des Messers (Lage der Schneide bei der Stichführung) am so genannten Schwalbenschwanz:

Schwalbenschwanz: zwei Einschnitte im schneidenzugekehrten Wundwinkel vom Einstich

durch Herausziehen nach (unwillkürlicher) Drehung um Messerlängsachse.

Achtung:

Klingenbreite ist nicht gleich Wundlänge (Verlängerung infolge Sticherweiterung durch Schnitt bei nicht genau senkrechtem Einstich. Verkürzung durch Retraktion der beim Einstich gedehnten Haut. Vertrocknungen in nächster Umgebung der Stichwunde können auf Oberhautverlust durch den Griff hindeuten.

Klingenbreite gleich Wundlänge nur an platten Knochen (Schädel, Brustbein).

 

Faustregel:

Bei Stichmehrzahl kann eine mehrmals vorkommende Wundlänge als Klingenbreite angenommen werden.

 

Klingenlänge ist nicht gleich Stichkanallänge (Verlängerung durch Wucht der stoßführenden Hand mit Kompression der Weichteilschicht nach Überwindung des Widerstandes von Kleidung und Haut und leichtem Eindringen in die Tiefe).

 

 Begleitende Erklärung bezüglich

Leichenliegezeit

 

 Supravitale Reaktionen (Supravitalität = Überleben, überlebende Reaktionen)

Zur Todeszeitbestimmung geeignete supravitale Reaktionen lassen sich an der Muskulatur auf bestimmte Reize bestimmte Zeit nach dem Tod auslösen.

Zsakósche „Reflexe“

den gesamten Muskel einbeziehende idiomuskuläre Kontraktionen nach Anschlagen des Muskels:

bis 1,5 bis 2 h post mortem auslösbar: Anschlagen der Interossei am Handrücken,

Fingeradduktion (Heranführen der Finger),

Anschlag zwischen Schulterblättern und der Mittellinie mediale Annäherung der Schulterblätter.

 

Elektrische Reizbarkeit

galvanisch und faradisch (wirksamer):

galvanisch

Stromquelle Batterie. Zwei Elektroden werden im Abstand von zwei Zentimetern in (an) die

Muskulatur gebracht.

Bis max. 4 Stunden post mortem tritt eine Zuckung auf.

Faradisch – zerhackter Gleichstrom (zwei hintereinander geschaltete Batterien)

beste Reizpunkte: Augenlid, neben den Mundwinkel

faradisch bis 5 Stunden p.m. Sicher auslösbar.

 

Achtung: Bei adipösen (fettleibigen) Personen nicht immer auslösbar!

 

Pupillenreaktion

Einspritzen von Miotica (Pupillenerweiternd) oder Mydriatica (Pupillenverengend) in die vordere Augenkammer. Diese Methode ist natürlich für einen vor Ort tätigen Kriminalisten nicht durchführbar, allerdings kann z.B. ein entsprechender Hinweis an den Arzt (Notärzte sind nicht immer Kenner der spezifischen Materie) sehr hilfreich sein.

 

5 – 8h (sicher)

bis 15h häufig pharmakologisch spezifische Reaktion (Verengung bzw. Erweiterung)

bis 8h sicher auslösbar so genannte Doppelreaktion:

erst Mioticum, dann Mydriaticum...führt zu spezifischer Reizbeantwortung

Bei Einträufeln (z.B. von Atropin) entsprechende Reaktion bis 4h auslösbar.

 

Mechanische Erregbarkeit

Ein kurzer Schlag mit einem Gegenstand oder auch mit der Handkante auf einen Muskel ruft im getroffenen Areal Wulstbildung hervor

Bis 6 – 8h idiomuskulärer Wulst.

 

 

Begleitende Erklärung bezüglich

Leichentemperaturmessung

 

Nach dem Todeseintritt wird der Körper mit Unterbrechung des Temperaturregelkreislaufes poikilotherm und strebt schrittweise durch Entstehung eines

 

Temperatur-Potentials

 

zwischen Leicheninnentemperatur und Umgebung dem Gleichgewicht mit der Umgebungstemperatur zu.

Ausgleich erfolgt über die Haut durch:

- Wärmeabstrahlung von Hautoberfläche an die kälteren Gegenflächen der Umgebung,

- Verdunstung infolge Hautfeuchtigkeit (Evaporation),

- Wärmeableitung von der Grenzfläche der Haut durch die anschließende ruhende Luftschicht hindurch zur kälteren Umgebungsluft,

Die von der Leiche an die Umgebung abgegebenen Wärmeeinheiten verkleinern den Temperaturunterschied und damit das Gefälle.

 

Abkühlung erfolgt in drei Phasen:

Trägheit der Abkühlung des Körperinneren zu Beginn, da erst die Körperschale auskühlt, bevor die Wärme des Körperkerns abfließen kann.

„Initiale Hemmung“ 2-3h kann Sterbetemperatur erhalten bleiben (besonders bei bedeckten Leichen.

Nach der Entstehung des Temperaturgefälles Körperkern – Umgebungstemperatur durchschnittlich regelmäßiges Absinken der Körperwärme um 1º/h.

Die von der Leiche an die Umgebung abgegebenen Wärmeeinheiten verkleinern den Temperaturunterschied und damit das Gefälle.

„Terminale Verzögerung“ - 3-4h gleichbleibend bis Ausgleich.

 

Achtung:

Fettreichtum verzögert die Abkühlung.

 

Beispiel:

 

Auskühlung einer 70kg schweren Leiche, wenn die Leiche ausgestreckt und unbekleidet bei einer Umgebungstemperatur von 16ºC liegt.

 

mager durchschnittlich adipös

 

während der ersten

drei Stunden 0,75 0,55 0,45

in den nächsten

drei Stunden 1,45 1,10 0,9

in den nächsten

drei Stunden 1,30 1,10 0,9

in den nächsten

drei Stunden 0,9 0,8 0,75

zwischen 12 und

15h post mortem 0,75 0,55 0,75

 

Bei bekleidetem Körper wird der Auskühlungswert um 1/3 reduziert. Weitere zusätzliche Reduzierung um 1/4 bei zusammengekauerter Position.

 

Wichtig:

Festhalten der Umgebungstemperatur!

 

 

Begleitende Erklärung bezüglich

Zeichen des Todes

Leichenerscheinungen

 

Zeichen des Todes:

Unsichere Zeichen

Diese Zeichen beruhen ausnahmslos auf Atem- und Kreislaufstillstand!

Nichtbeschlagen eines vor Atemöffnungen gehaltenen Spiegels (Kondensierung des Wassergehalts in der Atemluft),

keine Bewegung einer vor Atemöffnungen gelegten Flaumfeder,

„Siegellackprobe“: Auftropfen von Siegellack - Erythembildung als vitale Reaktion,

Durchschneiden der Arteria radialis zur Prüfung noch vorhandener Zirkulation.

 

Alle (und ähnliche) diese Proben sind unzuverlässig, weil

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 26.05.2013
ISBN: 978-3-7309-2957-5

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