Ein Mann kauerte in einer dunklen Halle, die nur von einem fahlen Mondschein beleuchtet wurde. Die Gestallt am Boden sah erbärmlich aus und immer wieder entfuhr es ihr ein wehmütiger Klang. „Ihr habt es also immer noch nicht gefunden“, prasselte die Stimme von oben auf den Mann herab, „Ihr traut Euch tatsächlich zu mir zu kommen mit einer schlechten Nachricht? Ihr wagt es zu versagen?“ Der Mann wimmerte erneut: „Bitte Herr. Sie sind wie vom Erdboden verschluckt“. „Ihr sucht sein mehreren Monden und habt sie immer noch nicht gefunden!“ Seine Hand schlug vor Zorn auf den Stuhl auf dem er saß. „Ihr wisst was mit denen passiert, die mich wagen zu enttäuschen, doch ich muss sagen Ihr ward bisher immer ein getreuer Gefolgsmann“, er verlieh seiner Stimme einen beängstigenden süßen Ton, „steht auf und seht mir ins Gesicht!“ Die Gestallt auf dem Boden rührte sich und richtete sich langsam zu ihrer vollen Größe auf. Was als erstes an seinem Gesicht auffiel, war eine riesige Narbe, die sich von seinem linken Augenlied bis unter seinen rechten Mundwinkel zog. In dessen Augen spiegelte sich unverkennbar die Angst, die er hatte, als er in das Gesicht seines Herren blicken sollte. Der Mann auf dem Stuhl stand auf und trat in das Licht des Mondes. Sein Gesicht war makellos und jetzt musterten seine kalten, blauen Augen sein Gegenüber. Dieser schien unter dem gewaltigen Blick immer kleiner zu werden und suchte vergeblich nach einer Fluchtmöglichkeit, doch er wusste selbst, dass es aussichtslos war. Niemand war bisher aus dem Palast entkommen. Das Gesicht des Königs war jetzt nur noch einen Fingerbreit von seinem weg und er spürte seinen eisigen Atem. „Mein Sohn, Ihr wisst wie sehr ich Euch schätze. Ich bin untröstlich über diese prekäre Lage, in der wir beiden uns befinden. Denn so Leid es mir tut bin ich gezwungen zu handeln.“ Sein Gesicht verzog sich zu einem abscheulichen Grinsen und ein Laut, der fast an Lachen erinnerte entwisch seinen Lippen. „Wie gesagt ich bin untröstlich.“ Für einen Sekundenbruchteil blitze ein Messer auf und die dürre Gestallt röchelte. Dann fiel sie wie ein Kartenhaus in sich zusammen und rührte sich nicht mehr. Aus seinem Mund lief eine dunkelrote Blutspur die in der Nacht hinaus verschwand. Der Mann wendete sich von der am Boden liegenden Gestallt ab, dann befahl er dem Wächter rechts von sich: „Räumt ihn weg!“ und zu dem Wächter links von sich sagte er in einem sarkastischen Tonfall: „Herzlichen Glückwunsch, Ihr seid befördert.“ Dann schritt er nachdenklich aus seinen Hallen hinaus. Wo war es bloß? Das Licht von Cárn Armóng. Schon sein Vater und dessen Vater hatten nach diesem letzten großen Geheimnis der Menschheit gesucht. Der Unsterblichkeit. Niemand hatte es bisher gefunden. Wenn man den Sagen glauben schenken wollte, bewahren es die Elfen auf, doch dieses Volk hatte kein Mensch mehr seit hundert Jahren zu Gesicht bekommen. So konnte es auf jeden Fall nicht weitergehen. Seine Lebensuhr lief auch nicht ewig und er war nicht mehr der Jüngste. Schon seit einiger Zeit trachtete sein Neffe nach dem Onkels Thron. Das führte ihn zu einem weiteren Problem, da er keinen Nachfolger für seinen Thron hatte und so wenn seine Zeit gekommen war tatsächlich sein Neffe ihn beerben würde. Ihn schauderte es bei der Vorstellung.
Während er über all das nachdachte war er auf dem Weg zu dem Hexmeister Tráboricz, den er in letzter Zeit immer öfters aufsuchte und ihn um dessen Künste erbat. Das normale Volk meidet ihn für gewöhnlich, was man sofort nachvollziehen konnte, wenn man ihn mal von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand. Er hatte einen langen weißen Bart und trug stets einen langen grauen Umhang. Seine Nase war hakenförmig und ungewöhnlich lang. An ihrer spitze war eine riesige Warze, auf der bereits Haare wuchsen. Seine Augen waren bloß zwei Schlitze, die durch seine üppigen Augenbraun verdeckt wurden und genau dieser Greis öffnete dem König jetzt die Tür noch bevor er dagegen hämmern konnte. Er fragte erst gar nicht woher er wusste, dass dieser auf dem Weg zu ihm war. „Nur herein Eure Hoheit“, krächzte der Bucklige. Der König schritt über die Schwelle in die kleine Behausung des Hexers. Das erste was auffiel war der ätzende Geruch, der ihm in die Nase zog und der nach toter Materie roch. Die Behausung bestand aus zwei Zimmern, wobei das eine hinter einem von Motten zerfressenen Vorhang lag. In der Mitte des Zimmers, indem sie sich nun befanden, stand ein runder Tisch und an ihm lehnten zwei Stühle. Der Blick des Herrschers schweifte umher und blieb an einem Glas hängen indem eine runde Kugel wie zu schweben schien. Interessiert ging er näher heran und zuckte bei dem Anblick zurück. In dem Glas schien ein Auge eingelegt zu sein, dessen Pupille sich auch ohne den dazugehörigen Körper in alle Richtungen wand, so wie als wolle es alles Geschehene aufnehmen. Angewidert trat der Mann zurück und setzte sich auf einen der beiden Stühle. „Was wollt Ihr diesmal, Eure Hochwohlgeboren?“, krächzte der Hexer. „Meine Männer finden das Licht nicht. Eure Seherfähigkeiten scheint man zu überschätzen. Ihr seid nichts weiter als ein dummer alter Greis!“, entgegnete der König. „Ihr kommt her um mich zu beleidigen und erwartet dennoch meine Hilfe? Habt Ihr euch schon mal überlegt, dass diese Taktik nicht die sinnvollste ist? Ihr habt das Licht nicht gefunden, weil ihr blind vor Habsucht seid. Oder habt Ihr vergessen was die Prophezeiung lautete?“ „Diese Prophezeiung ist nichts weitere als stumpfsinniger Aberglaube und sie wurde von einem Narren verkündet!“ „Sie wurde vor unserer Zeit von einem meiner Ahnen prophezeit, dem Proauctor höchstpersönlich im Traum erschienen ist und er mit dessen Lippen die Botschaft den Sterblichen vermittelte. Sie lautete: Nur ein Mann wird fähig sein das Licht von Cárn Armóng zu finden. Er muss reinen Herzens sein und die Habgier als Feind ansehen. Derjenige der das Licht zu finden vermag wird auftauchen noch ehe das Blut des Letzten aus dem Geschlecht der Rháun versiegt ist.“ „Ammenmärchen!“, der König schlug mit seiner Faust auf den Tisch und dieser krachte bedenklich, „Wie soll man diesen Mann finden? Und was ist das für ein Mann, der Feind gegen die Habsucht ist und reinen Herzens!?“ „Ihr sicherlich nicht“, murmelte der Greis. „Wir holen schon seit jeher alle Jünglinge zu uns damit sie in der Armee zu Männern reifen. Doch einen Mann reinen Herzens habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen.“ „Habt Geduld. Wie ich mich entsinne seid Ihr der letzte der Rháun. So gesehen kann es nicht mehr viele Monde dauern bis er sich zu erkennen gibt.“ „ich hoffe mit Euch, dass Ihr Recht behalten werdet, weil andernfalls Ihr vor mir dahin scheiden werdet.“ Der König stand auf und der Hexer kniete vor ihm nieder: „Euer Besuch war wie immer eine Freude für mich. Beehrt mich bald wieder“, sagte der Hexer mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht. Dann küsste er den großen Rubin am Ringfinger des Königs und blickte demütig zu Boden. Erst als die Tür hinter dem Mantelsaum des Herrschers ins Schloss fiel stand er wieder auf und rieb seine vom Alter stark mitgenommenen Knie. „So ein Narr sollte kein Herrscher sein“, murmelte er vor sich hin und verschwand hinter dem löchrigen Vorhang.
Unterdessen wanderte König Crudélor durch die Flure seines Schlosses. Die allmählich aufgehende Sonne flutete die Gänge mit Licht und begann bereits die ersten Schatten hinter dem König und seinen Wachen zu werfen. Ihn trieb es in Richtung Balkon um die ersten Sonnenstrahlen aufzunehmen. Er stellte sich an das Geländer und blickte auf sein Reich hinunter. In den Gassen sah man bereits emsiges Treiben, doch all seine Macht wurde von einem riesigen schwarzen Schatten verdeckt. Denn seine Macht war nicht endlich, solange er nicht das Licht fand. Er war der Herrscher von allem, doch dieses eine blieb im verwehrt. Plötzlich drehte er sich zu den wachen um: „Findet mir einen Elfen! Egal wie ihr es anstellt und jetzt schert euch weg und tretet mir frühestens wieder unter die Augen, wenn ihr einen der Wichte gefangen habt!“ Die Wachen nickten und eilten weg, um die Nachricht zu verkünden. „Um das reine Herzen werde ich mich selber kümmern. Wo versteckst du dich bloß?“, dachte er.
Abermillionen von Regentropfen schlugen gegen das runde Fenster, das zum Meer hin ragte. Der Wind peitschte gegen die Wände des kleinen Holzhauses. Es war ein Wunder, dass es sich nicht wie ein riesiger Schirm in die Lüfte erhob und wegflog. An dem Tisch vor dem Fenster saß ein Junge in dem fahlen Licht einer einzelnen Lampe. Er hatte dunkelblondes Haar, das ihm über die Ohren fiel und seinen Nacken bedeckte. Immer wieder machte er eine kurze Bewegung mit seinem Kopf, um die Haare aus seinen saphirblauen Augen zu halten. Seine Körpergröße war schwer abzuschätzen, da er saß. Der Junge beobachtete die einzelnen Regentropfen, die am Fenster entlang liefen. Sie veranstalteten einen Wettlauf untereinander, wer der schnellste sei. Immer wieder rissen sie weitere Tropfen mit sich und bald hatte sich ein Strom gebildet, dem ein Käfer vergeblich versuchte zu entrinnen. Am fernen Horizont sah der Junge wie ein gezackter Blitz über den Himmel zuckte und kurz darauf donnerte es. Es war der Zorn der Götter, die dieses Unwetter heraufbeschworen hatten und der Donner war das Gelächter von ihnen - darüber wie hilflos doch die Menschen seien. Wie Ameisen wurden sie hinfort gespült. „Eric du Taugenichts. Was machst du da?“ Der Junge am Tisch schreckte bei seinem Namen auf. „Träumst du schon wieder?“ In einer Ecke des Zimmers regte sich jetzt etwas und ein großer Mann trat in den Schein der Lampe. Sein Gesicht war von einem wilden Bart bewachsen und sein Haar fiel ihm in wilden Strähnen vom Kopf auf die Schulter. Er ging jetzt auf Eric zu, der sich jedoch nicht vom Fleck bewegte. Der Mann hatte muskulöse Arme mit denen er jetzt die Lampe beiseite schob und Eric geradewegs ins Gesicht schaute. Mit seinen tiefblauen Augen, welche denen Erics glichen, musterte er ihn. „Ich habe nur den Sturm beobachtet“, begann dieser nun mit einer verträumten Stimme. „Während dein Bruder und ich das Haus abdichteten? Dein Bruder ist immer noch da draußen und du sitzt hier und träumst!“, antwortete sein Vater. „Komm mit und hilf uns.“ Eric stand auf und ging seinem Vater hinterher. Die Bodendielen knarrten als sie über diese gingen. Der Vater öffnete die Tür und trat ins Frei, Eric tat es ihm nach. Sofort blies der kalte Nordwind in sein Gesicht. Es fühlte sich an, wie tausend Nadelstiche und der Junge zuckte zurück. Langsam stapften sie durch das Unwetter um das Haus herum. Bereits nach kurzer Zeit hingen den beiden die Haare nass vom Kopf und Eric begann zu frieren. Doch beide gingen weiter. Auf der anderen Seite des Hauses, stand ein Mann auf einer hölzernen Leiter und versuchte angestrengt ein Loch im Dach zu flicken, doch immer wieder droht er umzufallen. „Nimm dir ein paar Bretter und reiche sie deinem Bruder an!“, versuchte der Vater nun den Wind zu übertönen und zeigte auf einen durchnässten Haufen Holz. Schnell griff sich Eric zwei Bretter und ging auf seinen Bruder zu. „Hier!“, schrie er jetzt ihn an und reichte ihm demonstrativ das Holz. Sein Bruder nickte nur und nahm beide entgegen. Die Leiter kippte wieder bedenklich und schnell ergriff Eric sie, damit der Mann nicht fiel. Eric legte seinen Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel hoch, doch man konnte den Himmel nicht mehr von der Erde trennen. Es war schwarz in schwarz. Wieder zuckte ein greller Lichtblitz über ihre Köpfe hinweg und kurz darauf erneut ein mächtiges Grollen. „Die Götter mussten heute aber sehr schlecht gelaunt sein“, dachte Eric und verfolgte noch einen weiteren Lichtblitz, den Fulmur den Menschen entgegen warf und Tornitrus stimmte ihm wieder donnernd zu. Eric genoss den prasselnden Regen auf seinem Gesicht und machte zum Spaß den Mund weit auf um all das in sich aufzunehmen. Dann fing er an zu lachen und spuckte all den Regen wieder aus, doch das ging im Sturm unter. „Du träumst schon wieder“, gelangte die Stimme seines Bruders aus weiter Ferne zu ihm durch, „Lass uns rein gehen.“ Er legte ihm eine Hand um die Schulter und sie stapften durch das Unwetter zum Hauseingang.
Die Flammen des Feuers im Kamin warfen Schatten an die Wand, die zu einer Melodie am Tanzen schienen. Es war ein faszinierender Anblick und Sekundenbruchteile war Eric wie gebannt davon. Dann ging er zu dem kleinen Holztisch in der Ecke und setzte sich auf einen der vier Stühle. Sein Bruder, Modred, setze sich ihm gegenüber. Er hatte schwarzes langes Haar und war muskulös. Seine Hände waren rau und voller kleinerer Verletzungen, die er sich auf dem Felde zugetragen hatte. Konrad kam und stellte drei Teller und drei Löffel auf den Tisch. Dann ging er wieder und kam mit einem Leib Brot und einer Schüssel dampfender Suppe zurück, die er in die Mitte des Tisches stellte, und setzte sich zwischen seine Söhne. Als er saß sagte keiner der Dreien ein Wort, sondern alle schauten auf den freien Stuhl, doch niemand kam und setzte sich. Schließlich brach Konrad das Schweigen: „Greift zu!“ Alle taten sich begierig Suppe auf ihre Teller und jeder brach sich ein Stück vom Leib Brot ab. Schweigend aßen sie. Es war eine einfache Gemüsebrühe, doch sie wärmte sie alle von innen. Konrad war Fischer, doch momentan lief es nicht so gut. Seit Tagen hielt dieses Unwetter nun schon an und er konnte nicht seine Netze auswerfen. „Langsam könnte Torm mal aufhören zu wüten und seinen Streit mit Amphitrite beilegen“, sagte Konrad langsam und schaute verärgert hinaus aufs offene Meer welches sich nicht vom Himmel unterscheiden lies. Torm und Amphitrite waren ein Götterpaar und befehligten den Wind und das Wasser. Sie hatten öfters Streit, weswegen die Familie oft mit Hochwasser zu kämpfen hatte. Vor einem halben Jahr war so die Frau von Konrad, Ivin, ums Leben gekommen und seitdem schauten die Drei bei jeder Mahlzeit immer wieder zu dem leeren Stuhl, doch er blieb leer. Amphitrite hatte sie damals verschlungen und sie nie wieder freigegeben. Jetzt weilte sie bei der Göttermutter Matrona, die über alle ins Jenseits gegangenen Frauen wachte.
Das weitere Abendmahl verlief schweigsam, das einzige Geräusch, dass man vernahm war das klirren von Löffeln auf Tellern. Dann stand Modred auf und räumte das Geschirr beiseite. Kurze Zeit später stand Kurt auf und murmelte so etwas, wie das er ins Bett gehe. Auch Eric erhob sich und ging auf die Treppe zu, die in das obere Stockwerk führte. Langsam zog er sich an dem Geländer die Treppenstufen hinauf. Die Balken ächzten unter seinen Füßen. In der oberen Etage zweigten zwei Türen vom Flur ab. Die eine Tür führte zu dem Speicher und die Andere zu seinem Zimmer, was er dann auch betrat. Es war ein kleines Zimmer. In einer Ecke stand ein kleiner schäbiger Schrank der bereits einige große Risse im Holz hatte. Unmittelbar daneben stand ein Tisch, auf dem ein paar grob geschnitzte Holzfiguren standen. In der anderen Hälfte des Zimmers lag ein unförmiger Haufen auf dem ein Bettlaken ausgebreitet war. Eric streifte sich eilig seine Kleidung ab und warf sich auf sein Bett, sodass er etwas einsank. So daliegend beobachtete er weiter das Unwetter durch ein Fenster, dass über seinem Bett angebracht worden war. Damals hatte sein Vater es extra für ihn angebracht, weil die Stürme ihn so faszinierten und so lag er, wie fast jeden Abend, auf dem Rücken und beobachtete gebannt das Naturschauspiel. Das Zimmer lag im Dunkeln, nur hin und wieder wurde es von Blitzen für kurze Zeit erhellt. Eric lächelte und er gähnte und ganz langsam fielen ihm die Augen zu.
Eric wurde von einer kühlen Windbriese, die vom Meer kam, geweckt und er verfluchte das kleine Loch in der Wand neben seinem Kopf. „Irgendwann werde ich es wohl stopfen müssen“, maulte er. Es kam ein zweiter Luftstoß und ihm standen alle Härchen zu Berge. Schnell schlüpfte er in seine Kleidung und ging aus seinem Zimmer, über die Treppe runter. Der Junge gähnte lauthals als er unten ankam. Sein Bruder saß bereits unten und wartete darauf, dass sein Vater ein Brot holen würde, doch der kam jetzt: „Wir haben nichts mehr zum Essen hier. Einer von euch beiden muss in die Stadt gehen.“ „Das mach ich!“, schoss es prompt aus Erics Mund. „Nun gut“, Kurt musterte ihn, dann kramte er in einer Schublade und holte ein Säckchen hervor. Daraus nahm er fünf Schillinge und legte sie auf Erics offene Handfläche.
Ein Windstoß zerzauste Erics Haare, als er ins Freie trat. Begierig sog er die, durch den Sturm gereinigte, Luft ein. Sie schmeckte etwas salzig. Der Himmel war strahlend blau und das die Meeresoberfläche kräuselte sich nur manchmal. Eric sah zwei Möwen über den Ozean fliegen und nach Fisch und Krabben Ausschau halten.
Der Weg, in das Dorf, war noch aufgeweicht und übersäht mit Pfützen. Der Junge macht
sich einen Spaß daraus, über sie hinweg zu springen. Eine ganze Zeit lang ging er so durch die Felder, der umliegenden Bauern. Hier und da standen ein paar vereinzelte Kühe, die man schon von weitem an ihrer Glocke um den Hals erkannte, die immer schlug, wenn sie sich bewegten.
Bald darauf kamen die ersten Häuser in Sicht. Aus ihren Schornsteinen kamen dicke Rauchwolken heraus. Eric ging durch die Häuserreihe. Wäscheleinen waren von Fenster zu Fenster aufgespannt worden und an ihnen baumelten jetzt alle möglichen Kleidungstücke. Eric erschrak als plötzlich eine alte Frau vor ihm kauerte und an seiner Hose zupft. „Bloß einen Schilling für eine alte hungrige Frau“, krächzte diese. Eric riss ihr den Zipfel seines Umhangs aus der Hand und stieß sie in den Schlamm. Mit raschen Schritten ging er weiter. Sein Vater hatte ihn vor solchen Bettlern gewarnt, denn es blieb nie nur bei einem Schilling, wenn sie merkten, dass jemand gutmütig war verfolgten sie ihn und brachten ihn sogar manchmal am Ende um. Eric hörte schon das laute Stimmengewirr vom Marktplatz. Er hörte wie jemand brüllte: „Frischer Fisch! Fangfrisch! Schauen Sie sich diese köstlichen Fische an!“ und ein anderer brüllte: „Delikates Fleisch! Schlagen Sie zu!“ Als der Junge um die Ecke ging sah er den Marktplatz vor lauter Menschen nicht mehr. Weiter hinten versuchte sich ein Ochsenkarren durch die Massen zu schlängeln und überall liefen Stadtwachen rum, um den Markt im Auge zu behalten. Eric schlängelte sich durch die Menschen, was sehr beschwerlich von statten ging. Obwohl er so groß gewachsen war, konnte er nicht ausmachen wo er sich gerade befand. Schließlich stellte er sich auf die Zehenspitzen und reckte sich in die Höhe. Nicht weit entfernt sah er das Zeichen der Bäckerzunft und schleunigst schlug er die Richtung ein, in der er die Bäckerei ausgemacht hatte. Ein Mann rempelte ihn von hinten an und verschwand wieder.
In der Bäckerei war Gott sei Dank nicht wirklich viel los. Nur eine alte gebückte Frau stand an der Theke. Sie war mit Tüchern vermummt und von ihr ging ein beißender Gestank aus, der die ganze Bäckerei erfüllte. Der Mann, der vor ihr stand hielt sich ein Tuch vor die Nase, doch das schien die Alte nicht zu interessieren. Als sie sich umdrehte lächelte sie Eric an und da sah er, dass sich in ihrem Mund kein einziger Zahn mehr befand. Deshalb kam es ihm komisch vor, wieso sie ein Brot gekauft hatte, wenn sie es sowieso nicht mehr kauen konnte. „Was willst du, Junge?“, wendete sich der Bäckermeister nun an ihn. Eric drehte sich gedankenverloren um und murmelte: „Nur ein Brot.“ Der Bäcker wickelte es in ein Tuch und gab es Eric, der sich umdrehte und gerade raus gehen wollte. „Du hast vergessen zu bezahlen“, kam es hinter ihm hergeschossen. Schnell kramte er drei Schillinge hervor und legte sie in die offene Handfläche des Bäckers, der seine Hand gierig wieder schloss. Danach verlies Eric die Bäckerstube. Einen Moment lang war er wie benommen von dem ohrenbetäubenden Lärm auf dem Marktplatz. Er presste seine Hände auf die Ohren und legte seinen Kopf auf die Brust. Ein paar Sekunden später ging es wieder und seine Ohren hatten sich an den immensen Lärmpegel gewöhnt. Am Rande des Platzes saß ein alter Mann um ein Feuer und um ihn herum einige Kinder die ihm, wie es den Anschein hatte, gebannt zuhörten. Eric setzte sich interessiert auf einen Stuhl in der Nähe des Greisen. „Früher gab es eine Zeit“, fing dieser an zu berichten“, wo Zwerge, Elfen und Menschen noch friedlich zusammenlebten. Als damals vor hunderten von Jahren, wir die Menschen als jüngstes aller Völker in Terravus ankamen, nahmen uns die Elfen und Zwerge mit offenen Armen auf und halfen uns bei einem Neuanfang. Sie gaben uns Land: Lancaster. Die Elfen und Zwerge waren hoch entwickelte Völker und die Menschen wurden erfüllt von Neid und Hass auf ihre übermächtigen Nachbarn. Der damalige Anführer der Menschen, König Wolf wie ihn viele nannten, ließ die anderen Völker ausspionieren, um den Menschen das Feuer zu bringen. Schnell entwickelten sich die Menschen und schlossen in so gut wie allen Belange zu den Elfen und Zwergen auf. Nur ein Punkt unterschied sie noch: Die Unsterblichkeit der Elfen. Es gab Krieg als die Urincola merkten, was die Menschen getan hatten. Schließlich wurden die Elfen gezwungen sich in die Wälder zurückzuziehen und die Zwerge verkrochen sich in ihren steinernen Höhlen. Seit dem wurden sie nimmer mehr gesehen. Dieses Verlangen nach Unsterblichkeit ist seit König Wolf in der Familie, bis zu unserem jetzigen Herrscher König Crudelor, der wie auch seine Vorfahren nach den Elfen sucht“. „Schweig, alter Mann“, ein Soldat war herangetreten uns hatte sein Schwert an den Hals des Alten gehalten, „Oder ich werde dir deinen Hals durchschneiden.“ „Als ob mich das noch kümmern würde“, erwiderte dieser und machte eine lächerliche Verbeugung vor dem Soldaten. Dieser schlug mit der flachen Seite seines Schwertes gegen die Wange des Mannes und dieser kippte zur Seite weg. Mittlerweile hatte sich eine Menschentraube um die beiden Männer gelegt. „Lasst euch das eine Lehre sein!“, drehte sich der Soldat um zu den Marktbesuchern. Der Greis regte sich und versuchte hochzukommen, doch der Soldat trat ihm ins Gesicht. Blut spritzte, eine Frau schrie und der alte Mann fiel zurück in den Dreck. Der Soldat grinste und setzte sich zurück zu seinen Kameraden. Diese lachten lauthals und schlugen ihrem Kameraden auf die Schulter. Ein Mann kam aus der Menschentraube und half dem Alten wieder auf die Beine zu kommen. Dieser stützte sich dankbar auf den Mann ab und humpelte mit ihm zu einer Wirtschaft. Als sie an Eric vorbeigingen zog der Greis eine abscheuliche Fratze, da sein Gesicht rot von Blut war, seine Nase in einem merkwürdigem Winkel abstand und ihm offensichtlich ein paar Zähne fehlten. Vermutlicht versuchte er zu lächeln, was ihm aber offenbar redlich misslang. Dann verschwanden beide Männer in einer Wirtsstube und die Menschentraube lichtete sich. Eric stand auf und machte sich auf den Heimweg. Zurück über den Marktplatz und an den Obstständen vorbei.
Einige Zeit war er in Gedanken verloren und seine Füße trugen ihn aus der Stadt hinaus, über die Heiden in Richtung Meer. Eric wunderte sich, dass er vor seiner Haustür stand, denn an das letzte was er sich erinnern konnte war dieses Mädchen gewesen. Ein kühler Lufthauch, der sein Haar zerzauste, riss ihn abermals aus seinen Gedanken. Plötzlich erschrak er als sich eine kühle Hand auf seine rechte Schulter legte. „Da bist du ja wieder“, kam die ihm wohlbekannte Stimme hinter ihm. Als er sich umdrehte stand sein Bruder vor ihm und musterte ihn. „Nun komm, ich will hinausfahren. Nur Amphitrite allein weiß wie lange das Meer noch ruhig bleibt“.
Kurze Zeit später stand Eric an Deck der Morgenröte und sortierte die Fangnetze. Sein Bruder überprüfte die Segel und den Rumpf des Bootes auf seine Fahrtüchtigkeit. Als er entschied, dass der Kahn bereit sei, um auf See zu fahren, wickelte er das dicke Tau vom Steg und warf es auf das Deck des Bootes. Letztlich sprang er selbst hinauf. Eric stand vorne und betrachtete wie sich die Sonne im Meer spiegelte und der ganze Ozean wie ein riesiges Kristallbecken schimmerte. „Steh da nicht rum und bereite alles vor!“, drang die Stimme seines Bruders durch den Wind verzerrt zu seinen Ohren durch. Eric nickte und beeilte sich die Fangnetze vorzubereiten. Als die Arbeit getan war, stellte er sich neben seinen Bruder und betrachtete die unendliche See. Beide standen stillschweigend Seite an Seite und ließen sich den Wind durch die Haare wehen. Nach einer halben Ewigkeit blickte Modred zurück in Richtung des Festlandes, welches nur noch als dünner Streifen auszumachen war. „Ich denke wir sind weit genug draußen“, begann Modred nun, „Wirf die Netze aus!“ Eric hob die dicken Taue der Netze hoch und hievte sie über die Reling. Ein lautes Klatschen ertönte als der Junge sie ins Wasser fielen lies. Modred kam nun auf ihn zu und packte ihn an seiner Schulter: „Wir müssen reden.“ Eric sah ihn verwundert, aber gleichzeitig auch misstrauisch an: „Was ist los?“ „Nun, wie du weißt werden jedes Jahr die Jungen für die Armee eingezogen. Ich werde dieses Jahr dabei sein. Deswegen werde ich fortgehen um der Armee zu entkommen. Wir haben Verwandte in Fehr, die mich bei sich aufnehmen werde. Ich habe bereits Kontakt zu ihnen aufgenommen.“ „Was ist mit Vater?“, fragte Eric und starrte seinem Bruder ins Gesicht. Dieser erwiderte den Blick und sagte: „Er hat es für mich arrangiert. Blick mich nicht so an. Ich hätte so oder so gehen müssen. Du wirst es verstehen, wenn du selber in diese Lage kommst.“ Eric wusste, dass Modred recht hatte. Denn nur die wenigsten kehrten aus der Armee zurück und die die zurückkehrten fanden nie mehr in ihr normales Leben zurück.
Die beiden Brüder standen schweigend nebeneinander an Deck der Morgenröte. Ihre Blicke waren weit aufs Meer hinaus gerichtet. Keiner von beiden wusste, was sich am Ende des großen Ozeans befand. Es war so ungewiss wir ihre Zukunft. „Holen wir die Netze ein“, unterbrach Modred die Stille. Beide zerrten an den dicken Tauen um die Netze aus dem Wasser zu hieven. Die Netze waren bestenfalls zur Hälfte gefüllt und viele der Fische waren recht klein. Hier und da lagen zwischen den Fischen Krebse und Calamaris. Ein Krebs krabbelte vor Erics Füße her über die Rehling und fiel zurück ins Meer. Eric kniete sich nun zwischen das Meeresgetier und fing an nach dem Prinzip „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpchen“ an zu sortieren. Dabei warf er die Krebse und alle zu klein geratenen Fische über Bord und den Rest in Eimern, wobei er zwischen der Größe der Fische und der Calamaris unterschied. Modred hatte währenddessen bereits den Kurs gewechselt und segelte wieder in Richtung Festland.
Eric war fast fertig, als er Modreds Stimme vernahm, doch er konnte nicht verstehen, was dieser ihm zu vermitteln versuchte, da dessen Stimme durch den aufbrausenden Wind verzerrt war. Deshalb stand er auf und Blickte zu seinem Bruder hinüber, der wie panisch mit den Armen ruderte. Dann als er merkte, dass er Erics Aufmerksamkeit bekommen hatte, deutete er gen Festland. Der Junge drehte sich um und erblickte eine riesige Rauchsäule, die in den Himmel wuchs. Ein Haus stand lichterloh in Flammen. Ihr Haus! Voller Entsetzen Blickte er seinen Bruder an und dann wieder zu dem Unglücksort. Es dauerte nicht mehr lange bis sie an dem Haus auf der Klippe angekommen waren. Modred warf eilends das Tau aus und Eric sprang über die Rehling und band es an einem Pfeiler fest. Dann liefen beide Brüder den Pfad hinauf. Flammen schlugen aus den zerbrochenen Fenstern. Eric keuchte und presste seine Hand in die Seite, um den stechenden Schmerz zu lindern. Modred riss sich ein Stück seines Hemds ab und presste es auf Mund und Nase, dann rann er in das Haus hinein und verschwand im Rauch. „Modred“, brüllte Eric vergebens hinterher, doch ihm blieb nur noch die Hoffnung, dass er unversehrt wieder hinauskommen würde. Währendessen verschwand die Sonne bereits wieder im Meer und Dunkelheit breitete sich über dem verzweifelten Jungen aus. Plötzlich krachte ein Balken aus dem Türrahmen hinaus und die Flammen verschlangen ihn. Eric schrie abermals nach Modred, doch niemand antwortete ihm. Dann versuchte er es mit seinem Vater, doch auch hier blieb die Antwort aus. Mit einem gewaltigen Getöse krachte der Dachbalken zusammen und fiel zu Boden. Funken sprühten auf und eine gewaltige Stichflamme schoss in den Himmel. Eric stolperte rückwärts und fiel zu Boden. Schnell rappelte er sich wieder auf und schrie wieder nach Modred und seinem Vater. Niemand antwortete und dicke Tränen rollten über seine Backen und fielen zur Erde. Durch den Rauch bekam er keine Luft mehr. Langsam verschwand das brennende Haus aus seinem Blick und er sackte zu Boden.
Sein Kopf dröhnte, als er wieder zu sich kam. Nur langsam konnte er seine Augen öffnen. Als sie sich an das Licht gewöhnt hatte, erkannte er einen Tisch an dem er auf einem Stuhl saß. Man hatte seine Hände hinter seinem Rücken zusammengebunden und seine Füße an die Stuhlbeine gekettet. Mühsam drehte er seinen Kopf in alle Richtungen des Raumes und musste feststellen, dass außer seinem Stuhl und dem Tisch nur noch ein weiterer Stuhl im Raum stand. Des Weiteren war bloß ein einziges Fenster in der Wand, wo man die Gardinen vorgezogen hatte. Wieso hatte man ihn hierher gebracht? Dann fiel es ihm wieder ein. Wie ein Schwert durchschnitt es ihn. Feuer. Ein brennendes Haus. Sein Bruder, der versucht hatte ihren Vater zu retten, war nicht zurückgekehrt. Eric rüttelte an seinen Fesseln, doch diese schnitten ihm nur tiefer in seine Handgelenke. Plötzlich ertönten Schritte vor der Tür und zwei Männer traten ein. Beide waren noch recht jung und Eric schätzte sie auf Anfang zwanzig. Es mussten Soldaten sein, denn auf ihren Rüstungen glänzte das Wappen des Königs. „Er ist endlich wach“, stellte der eine Soldat fest, „Ruf Brecht! Er wollte benachrichtigt werden wenn der Junge wach ist.“ Der andere Mann nickte und lief aus dem Haus. Eric musterte währenddessen den Soldarten. Er hatte einen stählernen Brustpanzer an Rücken und Bauch geschnallt und trug an seinen Gliedern Arm- und Beinschienen. An seiner Seite baumelte ein langes Schwert in einer Scheide. Das todbringende Werkzeug faszinierte Eric. Er schreckte zusammen als der Mann von eben mit einem weiteren herein kam. „Lasst uns allein“, und er deutete zur Tür. Beide Soldaten verließen eilends das Zimmer. „Du bist dir bewusst wieso du hier bist?“, fragte Brecht nun Eric überging diesen aber als Eric gerade den Mund aufmachen wollte, „Natürlich weißt du das. Du bist beschuldigt an dem Tod von Konrad und Modred Deichler verantwortlich zu sein. Des Weiteren bist du wegen Brandstiftung, die zu dem Tod der beiden geführt hat, verurteilt.“ Eric konnte nicht fassen, was er hörte. Es war als läge sich eine Schlinge um seinen Hals, die mit jeder verstrichenen Sekunde enger wurde, bis er schon bald keine Luft mehr bekam. „Du siehst erstaunt aus“, fuhr der Hauptmann fort, „Doch meine Männer haben dich vor dem Haus gefunden.“ „Ich würde niemals meinen Vater und meinen Bruder verbrennen lassen!“, platzte es aus Eric heraus. Der Mann winkte ab. Er hatte so etwas schon oft genug gehört. Immer wieder diese angebliche Unschuldsbekundung. Die zwei Wachen waren wieder durch die Tür ins Haus getreten. „Führt ihn ab“, sagte der Hauptmann in einem gleichgültigen Tonfall. Die Fußfesseln wurden gelöst und man wuchtete ihn hoch. Eric weigerte sich zu gehen, doch das kümmerte niemanden.
Eric musste etliche viele Lehmstufen hinabsteigen. Die Gänge wurden nur von einzelnen Fackeln beleuchtet und ihm stieg ein moderner Gestand in die Nase. Rechts und links von dem Gang waren eiserne Gitter in die Wände eingebracht worden und ab und zu beleuchtete eine Fackel den einen oder anderen Hohlraum. Plötzlich fuhr eine weiße Hand aus einem der Gitter und berührte Erics Handgelenk. Ihm überkam Panik und Ekel und schnell schüttelte er die Hand wieder ab. Sie gehörte einem alten Mann, von dem nur noch Haut und Knochen übrig waren. Er lachte Eric an und streckte ihm seine lange Zunge heraus. Es war ein wirres Lachen. Erst nach einiger Zeit verklang es wieder. Dann auf einmal blieb die kleine Truppe stehen. Einer der Wächter trat hervor und schloss ein Gitter auf. Der andere packte Eric und stieß ihn hinein. Mit einem Klicken wurde die Tür wieder verschlossen und Eric saß alleine im Dunkeln.
Mondlicht fiel durch ein winziges vergittertes Fenster und hüllte den Ort in bläuliches Licht. Der Junge konnte in seine Nachbarzellen hereinblicken und erblickte einen alten Mann der am Boden kauerte. Wie als hätte er Erics Blick gespürt blickte er augenblicklich zu ihm auf. Eric durchfuhr ein Schaudern als der Totenkopf ihn musterte. Ganz langsam erhob sich das Gerippe und schlich auf ihn zu. Der Junge trat hastig einige Schritte zurück, bis er sicher war weit genug von dem Gitter entfernt zu sein. Der Mann auf der anderen Seite trug nur einen Lendenschurz und besaß kein einziges Haar auf seinem Schädel. Er öffnete seinen Mund und hustete. Etliche Zähne fehlten. „Weswegen bist du hier, Junge?“, fing dieser nun an mit heißerer Stimme zu reden. Eric antwortete nicht und starrte sein Gegenüber bloß an. „Hat man dir die Zunge herausgeschnitten?“, der Alte lachte, „Oder besitzt du keinen Mumm in den Knochen?“ „Halten Sie den Mund“, entfuhr es Eric. „Oh, wer kann denn da auf einmal reden“, der Alte lachte. Es war ein wahnsinniges Lachen. „Weißt du wieso sie mich hierhergebracht haben“, fing er nun an und fixierte dabei einen Punkt oberhalb Erics Kopf an, „Ich habe mich geweigert etwas zu tun. Ich habe Befehle missachtet.“ „Sie waren in der Armee?“, Eric wurde neugierig. Der Mann gab ein belustigtes grunzen von sich. „Ich sollte ein Dutzend Frauen und Kinder töten…massakrieren. Du musst wissen wir hatten die Rebellenstätte ausmachen können und nun bekam ich den Befehl niemanden bis auf die Kleinkinder am Leben zu lassen. Dieses Vorgehen wanden wir immer an, denn Kinder kann man noch erziehen…sie auf den rechten Pfad führen. Gerde als ich es machen wollte meldete sich so etwas wie ein Gewissen. Ich hatte bereits geglaubt so etwas wie ein Gewissen gibt es nicht, doch ich wurde eines besseren belehrt. Man peitschte mich aus und brachte mich hierher. Das war vor vierzehn Jahren…“. Er schwieg. Dann richteten sich seine Augen auf das Gesicht von Eric: „Weswegen bist du hier, Junge?“ „Man hat mir erzählt ich hätte meinen Vater und meinen Bruder ermordet…“ „Man hat es dir erzählt?“, der Alte runzelte die Stirn. „Ich habe sie nicht ermordet!“, Eric wurde zornig. Er schlug mit der Faust gegen die Zellwand und zuckte zurück. Schmerz durchbohrte ihn als das dünne Fleisch über seinen Fingerknöcheln platzte. Doch das ließ er sich nicht anmerken.
Texte: Lukas Flügel
Bildmaterialien: theolounge.de Theologie - Gesellschaft - Ethik
Tag der Veröffentlichung: 26.02.2012
Alle Rechte vorbehalten