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Es war heiß. Erneut. Die Luft roch nach einer Mischung aus aufgeheiztem Asphalt, Autoabgasen und Hot Dogs. Ein Flimmern lag über den Straßen, auf denen sich die Autos Stoßstange an Stoßstange im Schritttempo vorwärts schoben, sodass man sich fragen musste, weshalb die Menschen nicht einfach zu Fuß gingen, anstatt sich die kalte Luft der Klimaanlage ins Gesicht blasen zu lassen. Der Sommer war da. Und wie. In den Nachrichten sagten sie etwas von 35 Grad Celsius, für mich fühlte es eher an wie 40. Vielleicht hatte das auch einfach etwas mit dieser Mikroklima-Geschichte in Großstädten zu tun. Egal. Ich liebe es! So könnte es das ganze Jahr über sein. Weihnachten feiern in Badeshorts und vor allem nie wieder in aller Herrgottsfrühe die Autoscheiben freikratzen müssen. Traumhafte Vorstellung. Ich war gerade auf dem Weg in die Innenstadt, um ein paar Freunde bei Starbucks zu treffen, als ich plötzlich durch laute Sirenen aus meiner winterlosen Traumwelt gerissen wurde. Viel Blaulicht, noch mehr Krach. Ich dachte zuerst an einen Autounfall, aber bei dermaßen verstopften Straßen hätte dieser höchstens bei Tempo 30 passieren können und dafür so einen Aufmarsch an Polizei und Rettungskräften? Eher unwahrscheinlich.
Ich weiß bis heute nicht weshalb, aber ich musste wissen, was dort geschehen war. Ich spürte, dass es etwas Großes sein musste. Konnte ich meinem Gehör vertrauen, musste sich dieses Etwas circa drei Straßen weiter ereignet haben, denn dort schienen die Sirenen zu verharren. Ich zog meinen Blackberry aus der Tasche und schrieb einem meiner Freunde, dass ich mich etwas verspäten würde. Ich lief einfach los, immer in Richtung der Martinshörner, die einfach nicht verstummen wollten. Meine Schritte wurden immer länger, immer schneller, bis ich schließlich einen richtigen Sprint hinlegte. Bis heute weiß ich nicht genau, was mich veranlasst hat, unbedingt dort hin zu wollen. Vielleicht war es einfach nur der Gaffer in mir, der seinen Freunden eine brandneue Story auftischen wollte. Vielleicht hatte ich aber auch einfach keine andere Wahl, aus welchem Grund auch immer. Ich hasse den Begriff Schicksal, aber beinahe hätte ich ihn hier verwendet. Während ich rannte und die Fassaden der Häuser und die unzähligen Schaufenster aller möglichen Läden in meinen Augenwinkeln zu einer undefinierbaren grauen Masse verschmolzen, schossen mir unweigerlich diese Fragen durch den Kopf. Was, wenn ich etwas sähe, was ich gar nicht sehen wollte? Begab ich mich in Gefahr? War es das wert? Bevor ich mir all diese Fragen selbst beantworten konnte, erreichte ich den Ort des Geschehens und war, so klischeebehaftet das jetzt auch klingen mag, auf der Stelle wie versteinert. Ich hatte mir auf dem Weg dortin alle möglichen Horrorszenarien vorgestellt, aber mit dem, was ich dort sah, hatte ich wirklich überhaupt nicht gerechnet.
Ich sah nichts.
Jedenfalls fast nichts.
Nichts im Gegensatz zu dem, was in meiner Vorstellung passiert sein musste. Ein seit kurzem leerstehendes Lagerhaus war in Brand geraten und wahrscheinlich nur wegen der Gefahr, dass das Feuer, welches mittlerweile längst unter Kontrolle war, auf die angrenzenden Häuser übergreifen konnte, rückten so viele Rettungskräfte aus. Ich ertappte mich dabei, wie ich im ersten Moment doch tatsächlich ein wenig enttäuscht war, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder und bekam ein schlechtes Gewissen. War ich tatsächlich so ein schlechter Mensch? Ich kam zu der Erkenntnis, dass meine Enttäuschung nicht daraus resultierte, dass ich keine verletzen Menschen, kein Blut sah, sonder viel mehr daraus, dass ich die Ganze Zeit dachte, meiner inneren Stimme, oder sogar meiner heimlichen Berufung zu folgen.
Ich hatte das Gefühl, dass es vielleicht sogar mein Schicksal (da ist er also doch noch, dieser Begriff) war, genau in diesem Moment an diesem Ort zu sein und Großes vollbringen zu können. Oder sowas in der Art. Da sich das alles nun aber als ein Hirngespinst herausstellte, war ich auch nicht mehr, als einer von dutzenden Schaulustigen, die sich trotz dem Mangel an Spektakel hinter der Absperrung zusammenfanden. Zu vielen Menschen ist einfach zu langweilig. Ich beschloss in diesem Moment, nicht mehr so viele Hollywoodfilme anzusehen, in denen es um Vorsehungen, Schicksal oder etwas in der Art ging und wenn, dann wollte ich es vermeiden, sie auf mein eigenes Leben zu projizieren. Nur so konnte ich es wahrscheinlich verhindern, nochmal wie ein Besessener hinter irgendwelchen Sirenen herzurennen. Ich kam mir ziemlich dumm vor. Vielleicht hatte ich auch einfach nur zu wenig geschlafen, oder die Sonne hatte mir doch ein bisschen zugesetzt. Sonst bin ich eigentlich keiner von denen, die an so etwas glauben. Und dann das. Mir war das Ganze ziemlich schleierhaft. Ich kramte mein Handy aus der Tasche und rief einen meiner Freunde an und erfuhr, dass sie ihre Starbucksrunde schon beendet hatten, um in einer Bar ein paar Bier zu trinken. Ich entschloss mich, ihnen dorthin zu folgen, nahm aber dieses mal die U-Bahn anstatt zu laufen. Während ich in der U-Bahn saß, versuchte ich die letzte halbe Stunde einfach zu verdrängen und hakte sie schließlich als kurzen geistigen Aussetzter ab. An purer Sensationsgeilheit konnte es nicht liegen, ich bin kein schlechter Mensch. Ich war eigentlich sogar froh, dass niemand verletzt war.
Es war bereits später Nachmittag, als ich in der Bar ankam.
Ich mochte diese Bar sofort. Sie wirkte ein bisschen heruntergekommen, an den dunkelroten Wänden hingen zwischen unzähligen Stickern und Graffititags einige Plattencover von Bands aus den Siebzigern und man saß auf zerschlissenen, braunen Ledersofas. Auf einem großen Flachbildfernseher über dem Tresen liefen Musikvideos.
Meine Freunde waren bereits ziemlich gut drauf, wahrscheinlich weil sie schon mehr als ein Bier hatten und wir unterhielten uns über belangloses Zeug, während ich an meinem doppelten Scotch nippte. Normalerweise trinke ich so etwas gar nicht, weil mich das immer an alte Menschen und Minibars aus Mahagoniholz erinnert, aber heute schien es mir genau das Richtige zu sein. Während wir so plauderten, viel mein Blick auf den Fernseher, in dem jetzt gerade eine Nachrichtensendung lief. Ich erkannte das Lagerhaus, nur sah es aus, als hätte dort jemand eine Bombe gezündet und Rettungssanitäter kümmerten sich verzweifelt um am Boden liegende Menschen. Scheinbar hatte sich das Feuer doch noch bis in den Keller durchgefressen und hatte dort eine Gasexplosion ausgelöst. Durch die Detonation kamen drei Feuerwehrmänner ums Leben und mehrere umherstehende Passanten wurden durch herumfliegende Stein- und Glassplitter schwer verletzt.
Die Nachrichtensprecherin ging über zum Sport.
Völlig unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, starrte ich auf den Fernseher, in dem jetzt gerade eine Zusammenfassung des letzten Formel 1 Rennens lief.
"Was hast du eigentlich heute Mittag so lange gemacht?", wurde ich gefragt.
"Nichts", entgegnete ich abwesend und trank meinen Scotch in einem Schluck aus.

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Tag der Veröffentlichung: 02.09.2009

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