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Prolog


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Erste Liebe,
erste Enttäuschung



Natchez, Mississippi
Frühling 1789


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"Tía Sofia, glaubst du, ich werde an meinem Hochzeitstag genauso schön sein wie du?" fragte Sabrina mit sehnsüchtigen großen Bernsteinaugen ihre Tante. Sabrina stand neben einem hübschen Toilettentisch aus Satinholz im eleganten Schlafzimmer ihrer Tante. Sofia Aguilar, ihre Tante, saß auf einem samtbezogenen Hocker und musterte gerade kritisch ihr Aussehen im goldgerahmten Spiegel des Toilettentisches.
Sabrinas Frage lenkte Sofia ab, die wirklich lächerlich jung aussah für eine Witwe von dreißig, die gerade ihre zweite Ehe eingehen wollte. Sie hörte auf, an der cremefarbenen Mantilla herumzuzupfen, die ihr glänzendes, schwarzes Haar bedeckte, und warf ihrer Nichte einen liebevollen Blick zu. Ihre dunklen, spanischen Augen zwinkerten, und sie sagte lächelnd: "Natürlich, mein Täubchen, du bist doch schließlich meine Nichte, oder etwa nicht?" Ihre Nichte kicherte. Doch dann wurde das kleine Gesicht ernst, und sie fragte: "Aber, ich meine, ehrlich?"
Sabrinas Stimme klang so ernst, das Sofia sich zu ihrer Nichte umdrehte, die ängstlich ihr Urteil erwartete. Schwer zu sagen, dachte Sofia, wie sich eine Siebenjährige entwickeln würde. Aber dieses zarte, wohlgeformte, lebhafte Gesicht - keine Frage, sie würde eine Schönheit werden, wenn auch nicht nach dem spanischen Schönheitsideal. Die Farbe ihres Haares war einfach zu schockierend - eine wunderbare, flammende rotgoldene Mähne, die sich hartnäckig allen Zähmungsversuchen widersetzte; sogar jetzt, frisch gekämmt und fest geflochten, ringelten sich schon wieder widerspenstige, kleine Löckchen um Sabrinas Gesicht. Erstaunlich dunkle Augenbrauen und Wimpern betonten ihre lebendigen, bernstein- farbenen Augen, die bei tiefen Gemütsbewegungen rauchig dunkel wurden und golden funkelten, wenn sie wütend war. Gerade Nase, die Spitze leicht nach oben gebogen, der Mund im Moment noch ein wenig zu groß - keine Frage, in zehn Jahren würde Sabrina ein ungeheuer faszinierendes Gesicht haben. Und das Übrige - die Tante musste lächeln. Sabrinas Körper und Temperament glichen denen eines Vollblutfohlens, das gerade eine Woche alt war - das Kind hatte nur Unsinn im Kopf, war feurig, dickköpfig und hatte einen mageren Körper und lange, unglaublich dünne Beine. Aber in eine paar Jahren... Sofia lächelte Sabrina zu und sagte leise: "Ehrlich, Chica! An deinem Hochzeitstag wirst du eine wunderschöne Braut sein, eine wirklich wunderschöne Braut!"
Sabrina umarmte freudestrahlend ihre Tante, obwohl ihr normalerweise völlig egal war, wie sie aussah. "Tía Sofia, ich bin ja so glücklich, dass Madre und Padre mir erlaubt haben, zu Hochzeit mit nach Natchez zu kommen! Du bist die beste Tía, die man sich wünschen kann!" Sie grinste und sagte Zuckersüß: "Und du bist so schön wie ich, sí?" Sofia lachte und erwiderte kopfschüttelnd: "Du bist einfach unverbesserlich, mein Täubchen! Und ich finde es ist höchste Zeit, dass du dich anziehst - oder willst du so zu meiner Hochzeit kommen?"
Sabrina trug ein bodenlanges, weißes, feingsticktes Nachthemd. Wie ein kleiner Wirbelwind verschwand sie aus dem Schlafzimmer ihrer Tante.
Sofias liebevoller Blick folgte ihr. Was für ein Glück, dachte sie und lächelte; ihre erste Ehe war zwar kinderlos geblieben, aber ihre einzige Schwester Elena hatte dieses entzückende Mädchen auf die Welt gebracht.
Und was für ein Glück, dass sie sich trotz der erheblichen Entfernungen zwischen Natchez und Nacogdoches, wo Elena mit ihrem einzigen Kind und ihrem Mann lebte, so oft sehen konnten.
Alejandro del Torres, Elenas Gatte und Sabrinas Vater, war ein wohlhabender Mann, der oft geschäftlich an den Mississippi zu tun hatte und mindestens alle zwei Jahre nach New Orleans kam, um seine ständige expandierenden Geschäfte zu überprüfen und die Fortschritte mit seinem Geschäftsführer zu besprechen. Seine Familie begleitete ihn selbstverständlich auf diesen Geschäftsreisen. Nach jedem Besuch in New Orleans fuhren sie auch flussaufwärts nach Natchez, um Sofia zu besuchen. Elena del Torres war die ältere von beiden, und sie hatten sonst keine Verwandten mehr. Nach dem plötzlichen Tod von Sofias erstem Mann, Jaime Aguilar y Farias, der vor drei Jahren einem Fieber erlegen war, das an den Ufern des Mississippi grassiert hatte, war Elena sofort angereist, hatte die unter Schock stehende Sofia unter ihre Fittiche genommen und war mit ihr nach Nacogdoches im östlichen Teil von Spanisch-Texas gereist. In den Monaten auf der wunderschönen Rancho del Torres hatte sich Sofia langsam erholt und den Schmerz über den frühen Tod ihres Mannes einigermaßen überwunden.

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Tag der Veröffentlichung: 04.09.2011

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