Prolog
E.E. Comings sage einmal: `Versuch nie jemand anderes als du selbst zu sein in einer Welt die Tag und Nacht ihr bestes tut, um dich zu allen anderen zu machen.`
Als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte, konnte ich damit nicht so recht etwas anfangen.
Was meinst du, wie soll man denn jemand anders als man selbst sein? Wie kann einen etwas dazu bewegen, sein Denken und Handeln so zu verändern, dass ein einem selbst völlig fremder Mensch hervorkommt? Als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte, war ich zunächst verblüfft. Als ich dann jedoch feststellen durfte, dass jener Satz an niemand geringeren als an mich selbst gerichtet zu sein vermöchte, tobte alles in mir. Ich fühlte mich zutiefst beleidigt und missverstanden. Und dann… ja dann begann ich nachzudenken. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit ging ich tief in mich und dachte angestrengt nach und ich fand heraus, dass tatsächlich alles daran auf mich zutraf. Da fragt man sich doch, was treibt einen soweit seine eigentliche Existenz aufzugeben und es nicht einmal selbst zu bemerken… Na ja, das ist meine Geschichte. Die Geschichte eines Sommers der mein ganzes Leben grundlegend verändern würde. Ein Sommer in dem ich endlich aufwachte und anfing wieder zu leben.
Jener Sommer in dem ich mich zum ersten Mal verliebte, jener Sommer an dem ich im übertragenen Sinn gefunden und gelenkt wurde, ehe ich mich verlieren konnte…
KAPITEL 1.
Ich betrachte einen hübschen gut gebauten Kerl, während er einen seiner durchtrainierten Arme um die Hüfte seiner viel zu durchschnittlichaussehenden Freundin legt.
Welch eine Verschwendung würden die meisten Mädels in meinem Alter jetzt denken.
Aber ich nicht, denn ich habe ganz einfach aufgehört mich ernsthaft für Jungs zu interessieren, ich beobachte nur. Also widme ich mich wieder den klassisch schwarzen Pumps auf dem blendend weißen Regal vor mir. Meine Finger umfassen sachte den dünnen, glänzenden Absatz und gleiten sanft über die winzigen samtigen Schleifchen. Diese Schuhe muss ich haben! Könnte ich überhaupt darin laufen? Nicht so wichtig! Das Wichtigste ist der Schein, am Rest kann man schließlich arbeiten…
Dann mal los, schnell zur Kasse, bevor sich mein Gewissen bei mir melden kann, aber…
Aber… die dunkelrote Tasche hinten im Laden! Nein, Lana nicht hinsehen!
Zu spät… meine Beine bewegen sich wie von selbst in Richtung der unwiderstehlichen Tasche und ich kann nicht mehr dagegen ankämpfen. Zu meiner Verteidigung:
Die Tasche ist echt wunderschön! Und zu den neunen Pumps wird sie auch perfekt passen.
So, Tasche und Schuhe in den Händen stürme ich sofort zur Kasse, bevor ich mich umdrehe und den niedlichen, grauen Mantel anprobiere…
Nicht, dass ich ein ernstzunehmendes Problem habe, es fällt mir nur unglaublich schwer einen Laden zu betreten ohne daraufhin mit etwas Neuem und einem folglich wesentlich leichteren Geldbeutel hinauszugehen, weil–
Okay, vielleicht ist das doch ein ernstzunehmendes Problem…
Schnell bezahle ich und flüchte aus dem Laden, während ich meine Einkäufe vor mein Gesicht halte, um nicht in den nächsten Laden zu stürmen, in welchem ich ganz bestimmt ein neues Kleid zu der Tasche und den Schuhen finden würde. Ich beschleunige meinen Gang bevor ich es mir anders überlegen kann, biege um die Ecke und – Buuummm!
Oh je, mein Kopf brummt ganz schön. Ich sehe weißes Licht, ein hübsches Gesicht-
Ein Engel?!
Nein, ich bin nicht tot, denn unter mir spüre ich allmählich den kalten Mamorboden und die engelsgleiche Gestalt zieht mich wieder auf die Beine und somit wieder in die Realität.
Fast schon Schade…
„Wohin so eilig?“, grinst mich der fremde Kerl an und lässt meine Hand nicht los.
Ich hebe meine neuerworbenen Sachen hoch und blinzle irritiert. Blaue Augen, braunes scheinbar absichtlich zerzaustes Haar, ein Stück größer als ich und wirklich gut gebaut.
Normalerweise würde ich mich vielleicht noch ein wenig mit ihm unterhalten, aber irgendwie kann ich mich nicht dazu aufraffen ihn kennen lernen zu wollen. Er sieht mich immer noch freundlich an und scheint auf irgendeine Form von Antwort von mir zu warten.
Lana, reiß dich zusammen, rede ich mir zu und streiche mir durchs Haar, um möglichst noch etwas Zeit mehr zu schinden.
„Tut mir wirklich Leid, aber in dem Laden dahinten wartet ein Kleid auf mich, also habe ich nicht weiter Zeit für Smalltalk.“ Ich lasse den verblüfften Kerl hinter mir zurück und steuere schnellen Schrittes den Laden vor mir an, während ich mir leicht auf die Lippen beiße.
Ich sollte mir abgewöhnen Geschäfte als Ausreden zu benutzen, denn jetzt muss ich tatsächlich wohl oder übel den Laden betreten… Ich weiß nicht einmal so genau wieso ich den hübschen Kerl abblitzen lasse.
„Na hast du dein Kleid gefunden?“
Ich stocke und blicke in den Spiegel. Halluzinationen!? Na toll Lana, jetzt ist es schon so weit gekommen, dass du glaubst dein Spiegelbild redet mit dir!
Ich fasse mich schnell wieder, drehe mich wieder vor und zurück und betrachtete das enganliegende, schwarze Kleid. Es würde perfekt zu den Pumps und der Tasche passen und somit hätte ich mein Outfit für Haileys 18ten Geburtstag heute gefunden…
Ich habe zwar keine Lust dort hinzugehen, aber ich weiß ganz genau wie sehr sie sich auf diesen Tag freut. Außerdem würden die anderen nur über mich reden, wenn ich wieder beim Weggehen fehlen würde, da bin ich mir sicher. Wenigstens kann mich niemand zwingen meinen eigenen 18ten Geburtstag zu feiern. In der letzten Woche bevor das letzte Schuljahr angeht ist es soweit… Aber darüber mache ich mir keine Gedanken, ich werde nämlich einfach erzählen, dass meine Mutter mit mir wegfahren will um zu feiern und dann kann ich diesen unbedeutenden Abend verbringen wie jeden anderen auch.
Dieser Geburtstag wird ganz sicher nicht gefeiert! Dieser nicht.
„Ich wollte doch wissen, ob du dein Kleid gefunden hast!“, holt mich eine entfernte Stimme aus meinen Gedanken. Okay, jetzt spinne ich wirklich! Ich beuge mich ganz langsam vor und starre mein Spiegelbild an, aber es erwidert nichts, sondern starrt nur genauso verdutzt zurück. Ich bewege mich nicht und lausche.
„Wenn ich jetzt tatsächlich vor der falschen Kabine stehe, ist das ganz schön peinlich…“, höre ich eine Stimme kehlig lachen. Langsam beginne ich zu begreifen, drehe mich dem türkisenen Vorhang zu und schiebe ihn einen spaltbreit weit auf. Erschrocken fahre ich zurück und lasse den Vorhang augenblicklich wieder zufallen. Vor der Kabine steht doch tatsächlich der Kerl mit dem ich zuvor zusammengestoßen bin!
„Sag mal verfolgst du mich?“, frage ich also misstrauisch durch den Vorhang hindurch.
„Nein, ich dachte mir nur dass du den hier ziemlich bald vermissen würdest.“
Der Vorhang wird ein Stück zur Seite geschoben und der Blauäugige streckt mir seine Hand entgegen, in welcher sich ein Anhänger befindet. Ich erkenne das rosa Herz sofort und greife erleichtert danach.
„Du hast ja meinen Schlüssel!“, murmele ich und schaue ihm nun direkt in die leuchtenden Augen. Einen Moment lang verharren wir in unseren Positionen und blicken uns einen Tick zu lange in die Augen. Viel zu schräg das ganze… Ich blicke wieder zu Boden.
„Jaaa, aber ich kann ihn auch gerne behalten und dich bei Gelegenheit besuchen“, grinst er, doch da ist meine Dankbarkeit bereits verflogen, ich packe den Schlüssel und reiße den Vorhang wieder zu. Dann warte ich ab und es wird still draußen. Immer noch etwas irritiert stecke ich den Schlüssel in meine Handtasche und blicke wie zuvor unschlüssig in den Spiegel. Soll ich das Kleid jetzt kaufen, oder nicht!?
„Übrigens steht dir das Kleid hervorragend!“, kommt es plötzlich wieder von dem Fremden und ich bin gezwungen über das Kompliment zu schmunzeln.
„Obwohl du meiner Meinung nach in allem gut aussehen würdest“, fügt er hinzu und ich verdrehe augenblicklich genervt die Augen und fange an mich wieder umzuziehen.
Das Kleid werde ich wohl oder übel kaufen müssen…
„Wie heißt du eigentlich?“, kommt es nach einer kurzen Pause wieder von dem Kerl.
„Wie heißt du?“, kontere ich sogleich.
„Ich hab dich zuerst gefragt!“, lacht der Unbekannte sein kehliges Lachen.
„Du hast A gesagt, ich auch. Jetzt bist du mit B dran!“, erkläre ich.
„Jake.“
„Lana.“
Wieder eine kurze Pause, ich nutze den Moment nehme meine Sachen und verlasse die Kabine. Jake blickt mich an, doch ich gehe lediglich an ihm vorbei und steuere direkt die Kasse an, bevor ich noch etwas anderes anprobieren will. Jake weiter hinter mir her.
Ganz schön hartnäckig…
Ich warte bis ich an der Reihe bin und Jake wartet stumm neben mir. Ich weiß wirklich nicht was ich von ihm halten soll… Schließlich bezahle ich und gehe aus dem Laden.
Jake ist verschwunden. Etwas verwundert drehe ich mich um und da steht gleich er wieder!
„Ich wusste du würdest dich nach mir umsehen“, lacht Jake und sogar ich muss wieder schmunzeln.
„Bilde dir ja nichts darauf ein“, weise ich ihn neckend zurück. Wir gehen weiter bis ich kurz vor dem gewaltigen Ausgang des Einkaufszentrums stehen bleibe.
„Ich werde jetzt heimfahren“, erkläre ich ihm, weil er immer noch neben mir steht.
Jake nickt und mustert mich neugierig.
„Okay, aber ich hab noch eine Frage: Wozu das neue Kleid?“
Ich stutze und sehe ihn verwundert an. „Bitte!?“
„Ich wollte wissen, zu welchem Anlass du das Kleid gekauft hast“, wiederholt Jake geduldig seine Frage und wartet ab.
„Eine Freundin feiert heute ihren 18ten Geburtstag“, erzähle ich und blicke ihn immer noch irritiert an.
„Okay, wie wäre es jetzt mit deiner Handynummer!?“, hackt Jake gleich nach.
„Das sind schon 2 Fragen. Waren wir nicht bei einer?“
„Vergiss die erste!“, lacht Jake sein ansteckendes Lachen. Ich muss zugeben, ich bin schon etwas angetan von ihm.
„Tut mir Leid, aber ich halte mich an meine Abmachungen. Das nächste Mal hast du wieder eine Frage frei“, grinse ich und Jake zieht fragend die Augenbrauen hoch, was ihm meiner Meinung nach wahnsinnig gut steht.
„Das nächste Mal?“
„Meine Freundin feiert heute Abend ab zehn im Cherish. Also liegt es ab jetzt an dir.“
Jake nickt und grinst nun. „Verlass dich drauf.“
Ich kann mir ein kurzes, bitteres Lachen nicht verkneifen und schüttle den Kopf.
„Weißt du, ich verlasse mich auf gar nichts“, sage ich ein bisschen schroff und meine es auch ernst. Jake sieht mich neugierig an, doch bevor er fragen kann, drehe ich mich um und gehe in Richtung Busbahnhof.
„Ciao Lana, bis heute Abend! Verlass dich drauf!“, ruft Jake lachend hinter mir her.
„Ciao Jake! Ich verlasse mich auf gar nichts!“, rufe ich trotzig zurück und gehe weiter ohne mich umzudrehen.
KAPITEL 2.
Mhhh… Nichts geht über einen eiskalten Orangensaft! Ich nippe an meinem Glas und sehe meinen Freundinnen dabei zu, wie sie sich einen Cocktail nach dem anderen bestellen…
Im Cherish ist es für meinen Geschmack jetzt schon viel zu voll. Ich sitze alleine an der verglasten Bar und beobachte die tanzende und lachende Menge. Tanzen will ich aber nicht. Dazu ist es eh viel zu stickig. Als würde die ganze Luft stehen und nur darauf warten, dass hier einer erstickt... Hailey winkt mich zu sich und den anderen Mädels rüber. Ich nicke, bleibe aber dennoch weiterhin auf meinem Platz an der Bar sitzen. Hailey trägt ein dunkellilanes Kleid…
„Hey Lana, meinst du ich kann heute dein lila Kleid tragen? Das mit der breiten Schleife hinten?“
Ich verdrehe die Augen, rolle mich vom Bett und werfe ein Kissen nach meiner besten Freundin Becks. Sie weicht geschickt aus und streckt mir die Zunge raus.
„Dass du dich immer schon 3 Stunden vorher anziehen musst, Becks!“, schimpfe ich.
Sie kichert, dreht sich wieder um und bedient sich an meinem Kleiderschrank, während ich immer noch in meinem viel zu langen, kuscheligen Kaschmirpulli auf dem Boden liege und ihr beim Chaos verbreiten zusehe.
„Wollen wir morgen shoppen gehen?“, fragt Becks zögerlich und schenkt mir einen ihrer Hundeblicke, denn sie weiß dass ich es hasse mich mit anderen in viel zu überfüllten Läden um Sachen zu prügeln, die ich zu Hause eh nicht mehr haben wollen würde. Ich bin einfach nicht der Typ für endloses, unvernünftiges Einkaufen. Aber Becks tut nichts lieber als das! Ich verdrehe wieder die Augen und nicke schließlich kaum merklich.
„Jeeej, du bist ein Engel und meine aller, aller beste Freundin der Welt!“ strahlt Becks und ich strahle mit…
Der Barkeeper betrachtet mich und mein bereits leeres Glas Orangensaft.
„Na, wilde Partynacht heute!?“, lacht er und blickt zu meinen kreischenden, miteinander anstoßenden Freundinnen, während er an seinem eigenen Drink nippt. Ich lächele mild und schüttele den Kopf.
„Nicht für mich“, murmele ich kurzangebunden.
Der Barkeeper, der wohl auf einen Flirt aus ist, betrachtet mich noch einen Moment argwöhnisch. Ich könnte ihn genauer betrachten und versuchen mir einen lustigen Abend mit ihm und auch den anderen zu machen, aber ich beschließe ihn gänzlich zu ignorieren…
und die anderen soweit es mir möglich sein sollte am besten auch.
„Willst du mir hier hinter der Bar helfen?“, fragt er mit einem absolut ekelhaften Grinsen.
„Krieg ich bitte noch einen Orangensaft?“, nuschle ich abweisend, er zuckt beleidigt mit den Schultern und geht mir offenbar meinen Wunsch erfüllen. Zufrieden lehne ich mich zurück und schließe einen Moment lang meine Augen.
„Hey Lana, komm doch zu uns! Wir suchen jetzt jemanden aus, den Hailey heute klar machen soll!“, kichert Sara mir viel zu laut ins Ohr und ich verziehe leicht mein Gesicht, als ich den penetranten Wodkageruch wahrnehme.
„Okay, ich bin sofort da. Ich muss nur ganz kurz raus an die frische Luft“, versichere ich und stehe rasch auf. Sara grinst übertrieben, als wäre sie die Heldin des Abends und hätte etwas Unglaubliches vollbracht, und schwankt ordentlich beschwipst wieder zu den anderen zurück.
Ich nehme meinen Saft entgegen -der Barkeeper würdigt mich keines Blickes mehr-
und mache mich auf den Weg nach draußen. Frischer Wind weht mir entgegen als ich an der Türschwelle ganz kurz innehalte. Ich atme tief ein während ich hinausgehe und freue mich über die angenehm kühle Luft, welche mich nun umgibt.
„Gehst du schon wieder?“, fragt Joe der Türsteher und tätschelt mir die Schulter.
Ich wende mich ihm zu und betrachte ihn. Er trägt wie jeden Abend ein dunkles T-Shirt zu einer klassischen Jeans. Er ist nicht besonders groß, aber dafür umso bulliger. Es ist fast als wäre es ein Abend wie jeder andere auch. Ich registriere seinen Gesichtsausdruck und weiche instinktiv seinem Blick aus. Es ist eben doch kein Abend wie jeder andere…
Ich brauche kein Mitleid! Und doch ist es Joe, unser Türsteher…
„Heeeeeey Joooooey unser Lieblingstürsteher!“, kreischt Becks und gibt ihm einen Begrüßungskuss auf die Wange. Joe schließt meine beste Freundin und mich freundschaftlich in seine Arme und wir fangen gleich an zu japsen, weil er sich seines viel zu festen Griffes nicht bewusst ist. Er lässt uns grinsend los und mustert uns amüsiert.
„Hey, meine Hübschen! Was wird heute gefeiert?“, lacht Joe, denn diese Frage stellt er uns jedes Mal wenn wir kommen und er bekommt auch immer dieselbe Antwort. Ich lege meinen Arm um Becks und wir grinsen beide so breit es uns nur möglich ist.
„Wir brauchen keinen Grund zum Feiern!“, rufen wir im Chor und lachen laut los wie jedes Mal wenn uns Joe diese Frage stellt. Man könnte es fast als unser kleines Ritual bezeichnen.
„Lana!? Hey, alles okay?“, fragt Joe jetzt besorgt, weil ich nicht antworte und holt mich somit schließlich aus meinen Gedanken zurück.
„Ja! Nein! Ich meine, ja ich komme gleich wieder. Ich will kurz Luft schnappen.“
Joe nickt langsam und legt seine Hand vorsichtig auf meine Schulter. Ich zucke zusammen. Wie ich es hasse…
„Das erste Mal dass du wieder hier bist, seit… Ich habe dich vermisst!“, murmelt er,
lässt mich los und sieht immer noch sehr besorgt aus.
„Ich vermisse sie…“, fügt er noch kaum hörbar hinzu, weil ich nichts erwidere.
Ich sage weiterhin nichts dazu, schalte wieder ab wie immer, verdränge seine Worte,
zucke nur mit den Schultern, drehe mich um und gehe. Aber ja nicht zu langsam, sonst heißt das ich bin in Gedanken! Und bloß nicht zu schnell, sonst wirkt das zu emotional!
Also möglichst normal weitergehen! Ich starre auf meine neuen glänzenden Pumps und zähle meine Schritte.
„Sei nicht traurig, Lana“, tröstet mich Becks und drückt mich an sich. Ich schniefe und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich sitze mit Becks in ihrem Zimmer und weine wie so oft in letzter Zeit, weil ich mich wieder so furchtbar mit meiner Mutter gestritten habe. Es wurde geschrieen, geheult, verletzt. Dann wurden die Türen zugeschlagen und ich bin wieder bei Becks gelandet. Ich lande immer bei Becks, wenn ich nicht mehr weiter weiß, weil sie immer die richtigen Worte findet. Immer einen Ausweg, immer etwas tröstliches.
„Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“, fragt Becks nun und drückt meine Hand ganz vorsichtig. Ich sage nichts, sondern nicke bloß und schaue sie durch meine glasigen Augen an.
„Immer wenn ich traurig bin und nicht mehr daran denken will, oder wenn ich mir die Tränen verkneifen will, dann gehe ich. Ich gehe ganz viel und zähle dabei meine Schritte. Ich zähle bis ich keine Lust mehr habe. Und wenn ich dann fertig mit Zählen bin, habe ich fast schon vergessen, weswegen ich so traurig war.“ Ich sehe sie weiterhin stumm an und plötzlich muss ich lachen. Zuerst denkt Becks ich weine wieder und zieht besorgt die Augenbrauen hoch, doch dann bemerkt sie dass ich lache und sieht mich tadelnd an.
„Mach dich nicht lustig. Ob du’s glaubst oder nicht, es hilf tatsächlich, Lana. Du wirst schon noch sehen!“
Bei 14 habe ich keine Lust mehr zu zählen und bleibe stehen. Ich blicke zurück und nehme den Eingang vom Cherish gerade noch verschwommen war. Das waren wohl etwas mehr als 14 Schritte…Es leuchtet keine einzige Laterne, doch die Sterne sind so hell dass ich alles um mich herum noch halbwegs erkennen kann. Und da steht er plötzlich. Ich weiß nicht woher er kommt, doch er kommt direkt auf mich zu. Er trägt eine dunkelblaue Jeans und dazu ein hellblaues Hemd, welches seine eindringlichen und doch wunderschönen, blauen Augen besonders intensiv zur Geltung bringt. Jake also…
„Wolltest du etwa gehen, bevor ich komme?“, fragt Jake und er sieht auf einmal ganz anders aus als heute Mittag. Die nächtliche Atmosphäre macht ihn noch ein ganzes Stück größer und breiter. Um uns herum ist nun alles still. Wir stehen uns gegenüber und schweigen uns an.
Ich zögere noch etwas, doch jetzt wird mir das alles doch wieder etwas zu schräg, zu intensiv.
„Nein, ich dachte mir ich gehe dir entgegen“, lache ich und versuche die Situation etwas aufzulockern.
„Also hast du dich doch auf mich verlassen!“, grinst Jake und ich zucke zusammen.
Wie ein Blitzschlag…
„Uhhh heute wird ein besonderer Abend das spüre ich!“, lache ich und proste Becks zu.
„Verlass dich drauf!“, grinst Becks.
„Heute geben wir uns so richtig die Kannte, mein Schätzchen!“, kreische ich und ein paar Leute drehten sich um, um uns kritisch zu mustern. Doch die Meinung der anderen war uns schon immer ganz egal.
„Verlass dich drauf!“, kichert Becks und leert ihr Champagnerglas mit einem Mal.
„Habe ich nicht!“, antworte ich messerscharf und blicke zu Boden. Jake nickt ohne weiter darauf einzugehen und hackt sich gleich bei mir ein.
„Na dann, gehen wir jetzt rein?!“, fragt er fast schon versöhnlich und ich schäme mich sofort für mein beinahe unverschämtes Verhalten.
Er kann es ja nicht wissen, er kann ja nichts dafür...
„Na los, da wird ein Geburtstag ganz ohne uns gefeiert“, lächle ich ihn also an.
Wir gehen eine Weile schweigend nebeneinander her. Aber es ist keine unangenehme Stille.
Mehr beruhigend. Fast schon befreiend…
„Wer hat überhaupt Geburtstag?“, fragt mich Jake schließlich, als wir schon fast vor dem Cherish sind. Ich sehe ihn irritiert an, denn ich verstehe nicht sofort worauf er hinaus will.
„Na ja, ist doch irgendwie unhöflich so uneingeladen zu kommen und nicht mal ihren Namen zu kennen“, erklärt er voller Ernst und ich muss lächeln. Dieser Jake ist auf seine ganz eigene Art irgendwie charmant.
„Hailey“, antworte ich belustigt. Wir gehen an Joe vorbei, der mir zuzwinkert und Jake sogleich interessiert mustert. Inzwischen ist das Cherish mehr als überfüllt und ich versuche Hailey und die anderen möglichst schnell zu lokalisieren. Das ist nicht besonders problematisch, denn ich muss mich nur nach der lautesten und mit Abstand peinlichsten Gruppe umsehen… schon habe ich sie gefunden und nicke Jake zu. Zusammen quetschen wir uns durch das Gedränge und erreichen die Bar. Der Barkeeper erkennt mich, sieht auch Jake und zieht die Augenbrauen spöttisch hoch. Ich sehe schnell weg und er wendet sich auch wieder seiner Arbeit zu, denn Sara und Mia bitten kreischend um einen weiteren Cocktail.
„Lana-Schatz! Da bist du ja. Wir haben uns schon gefragt wo du so lange bist…“, wendet Hailey sich an mich und betrachtet Jake währenddessen besonders eindringlich. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass auch sie schon einiges getrunken zu haben scheint.
„Tut mir Leid. Ich habe einen Freund getroffen. Jake das ist Hailey. Hailey- Jake”, ziehe ich mich galant aus der Affäre.
„Alles Gute zum Geburtstag, Hailey!“, lächelt Jake sein fast schon unwiderstehliches Lachen, dem auch Hailey scheinbar nicht widerstehen kann. Hailey stolpert auf ihn zu und legt ihre Hand gleich um seinen Nacken. Typisch.
Ich verdrehe etwas genervt die Augen, was Hailey nicht bemerkt Jake aber äußerst witzig zu finden scheint. Er zwinkert mir zu und ich muss auch wieder grinsen.
„Freut mich Jake. Na komm, ich stelle dir ein paar Freunde vor!“, lallt Hailey ihm ins Ohr, dann blickt sie mich kichernd an.
„Darf ich deinen Freund denn kurz entführen?“
„Er ist nicht… Nur zu“, lächle ich und setze mich erschöpft an die Bar, während sie den armen Jake durch die Menge zieht. Ich sehe zu wie der Barkeeper und Sara hinter der Bar zusammen trinken. Dann öffne ich meine Tasche um auf die Uhr auf dem Display meines Handys zu blicken, doch stattdessen hole ich ausversehen einen rosa Lipgloss hervor und starre ihn an.
„Gib schon her! Lana, na gib ihn schon her!“ Ich habe gerade Becks’ rosa Lipgloss geklaut und sie versucht vergeblich ihn mir wieder abzunehmen. Doch ich bin ein gutes Stück größer und sie muss springen wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt.
„Du machst dir noch ganz deine Lippen kaputt mit dem Ding. Ich meine das ist doch abnormal wie oft du ihn immer wieder nachfährst!“, gluckse ich spöttisch und drehe ihn naserümpfend auf.
„Du weißt so ein Lipgloss eben nicht zu schätzen“, belehrt mich Becks fachmännisch und hört auf zu hüpfen.
„Becks, so was ist doch vollkommen überbewertet. Von wegen das macht deine Lippen optisch größer, wenn es etwas unangenehm brennt! Das einzige was so ein Lipgloss kann,
ist furchtbar klebrig sein…“, philosophiere ich besserwisserisch.
„Gar nicht wahr! Du muss ihn nur auflegen und dann siehst du schon wie es die Lippen vergrößert!“, versucht Becks es zu verteidigen und streckt die Hand nach ihrem Lieblingslipgloss aus.
„Nie im Leben. Das einzige wozu ich mich gerade noch so überreden lasse, ist vielleicht Labello“, entgegne ich bestimmt und lege den Lipgloss kopfschüttelnd wieder in Becks’ ausgestreckte Hand.
Ich blicke mich nach Jake um. Er ist immer noch beschäftigt mit meinen gackernden Freundinnen. Ich umklammere den Lipgloss fest mit meiner rechten Hand und gehe in Richtung der Toiletten. Bald stehe ich vor einem schmutzigen Spiegel und mein Gesicht starrt mich ausdruckslos an. Ich hebe meine Hand mit dem Lipgloss hoch. Ich bemerke erst jetzt, dass sie sich ganz verkrampft hat, denn ich sehe wie die Knöchel weiß hervortreten. Ich drehe den Lipgloss langsam auf und blicke ihn dann eine Zeit lang an. Schließlich trage ich das Gloss langsam auf und starre meinem Spiegelbild entgegen. Meine Lippen fangen an etwas zu brennen. Sie wirken aber tatsächlich größer. Erneut. Ich reiße wie so oft schon entsetzt die Augen auf. Becks hatte immer recht gehabt und ich habe lediglich gelacht. Ich versuche es bei jeder Gelegenheit. Immer und immer wieder. Jedes Mal erscheinen meine Lippen größer. Jedes Mal nach dieser Erkenntnis fangen sie wieder an zu beben. Ich mich jetzt nicht entschuldigen, es nicht mehr zurücknehmen!
Ich spüre mein Herz immer lauter pochen. Mein Herzschlag wird immer schneller und ich suche panisch nach Tüchern. Der Kasten neben mir ist leer. Ich kriege keine Luft mehr. Ich kann nicht atmen. Ich fange an zu keuchen und stürme auf eine der Toiletten zu. Toilettenpapier! Ich ziehe daran und reiße ein langes Stück ab. Das Ein -und Ausatmen darf ich nicht vergessen. Ich schnappe keuchend nach Luft uns stürze mit dem Toilettenpapier zurück zum Spiegel, doch meine Beine wollen nicht mehr. Sie wollen einfach nicht mehr, können nicht mehr… Ich falle. Warte auf den Schmerz. Doch es tut nicht weh.
Nichts tut weh, nicht mehr…
Ich sitze auf dem Boden und keuche immer noch. Das Papier, genau! Ich greife es noch fester und reibe mir damit über die Lippen. Ich reibe so fest es geht. Wische alles weg.
Noch etwas mehr… Jetzt muss es langsam weg sein.
Die Luft findet langsam aber sicher wieder ihren Weg in meine Lungen. Mein Atem wird schließlich ruhiger und auch regelmäßiger. Meine Hände zittern. Das muss ich sofort stoppen, also stehe ich rasch auf. Mein rechtes Bein sticht etwas, aber das ist halb so wild. Ich blicke in den Spiegel. Wenn ich jetzt wieder hinausgehe dann mit der besten Laune, mit dem größten Strahlen das ich im Moment aus mir herausholen vermag. Das eben war einer meiner üblichen Schwächeanfälle. Aber niemand außer mir darf sie mitkriegen, niemand darf mich so schwach und verletzt sehen. Meine Lippen sind rot und wund, aber sie glitzern und kleben auch nicht mehr. Ich setzte ein Lächeln auf, gehe wieder hinaus und suche Jake. Er steht an der Bar und sieht mich direkt an. Ich merke wie er mich neugierig mustert und ich merke auch dass er meine roten, geschwollenen Lippen betrachtet. Trotzdem gehe ich auf ihn zu, denn ich bin mir sicher dass er nichts sagen wird. Er ist so anders, nicht wie alle anderen auf jeden Fall. Er wird nichts sagen und auch nichts fragen und genau aus diesem Grund gehe ich jetzt auch zu ihm rüber! Ich stehe nun vor ihm und wir sagen beide nichts. Ich hatte Recht… Aber ich habe mich nicht darauf verlassen! Ich hatte einfach nur Recht.
„Willst du was trinken?“, unterbricht Jake einfach die Stille, als wäre nichts.
„Ein Orangensaft wäre nicht schlecht“, entgegne ich ruhig und fange an mich gleich wieder wohl zu fühlen. Als könnte dieser Jake zaubern, meine Stimmung oder meine Gefühle positiv beeinflussen. Wir blicken uns immer noch tief in die Augen.
„Zwei Gläser Orangensaft, bitte“, ruft Jake dem Barkeeper zu ohne den Blick von mir abzuwenden und dieser löst seine Lippen von Saras, um uns den Orangensaft zu bringen. Dieser Anblick, wenn ich ihn auch nur verschwommen im Hintergrund wahrnehme,
lässt mich innerlich würgen, doch ich versuche nicht darauf einzugehen sondern wende meinen Blick weiterhin nicht von Jake ab. Wieder ist alles so intensiv, obwohl wir uns erst seit heute kennen… Doch ich habe kein schlechtes Gefühl dabei. Ich fühle mich seit langem mal für einen kurzen Augenblick nicht schlecht.
„Wollen wir ein wenig rausgehen, Jake?“, frage ich ihn schließlich. Jake nimmt ohne zu zögern unsere Gläser entgegen und steht auf.
„Du trinkst also keinen Alkohol, Lana!?“, stellt Jake fest, als wir uns langsam vom Club entfernen. Ich versuche einen Unterton herauszuhören, aber mir fällt zu meiner Verwunderung nichts Ungewöhnliches auf. Ich betrachte kurz ihn neugierig.
„Nein, nicht mehr. Du auch nicht, oder willst du nur einen guten Eindruck machen, Jake!?“, entgegne ich grinsend und blicke ihn weiterhin an, während ich an meinem Saft nippe.
„Nein, einen guten Eindruck hast du sowieso schon von mir…“, lacht Jake.
Ich stimme in sein Lachen mit ein. Es ist ziemlich ansteckend und es tut mir irgendwie gut.
Es tut mir auf eine unerklärliche Art und Weise ganz einfach gut…
„Ich trinke aus Prinzip nicht mehr, und was ist mit dir?“, hackt Jake ganz vorsichtig nach.
Ich sage kurz nichts. Zwei Schritte, Drei Schritte, Vier-, Fünf-, Sechs-,... Jetzt.
„Auch ich habe so meine Prinzipien“, lache ich schließlich ganz gelassen.
„Ganz schön komisch das alles, was!?“, frage ich Jake nach einer Weile des Schweigens und Nebeneinanderherlaufens und er sieht mich etwas irritiert an. Als er aber nicht weiter nachhackt, fahre ich einfach fort.
„Ich meine, da laufe ich zufällig in dich rein und ein paar Stunden später laufen wir zwei zusammen durch die Gegend…“, murmele ich und Jake grinst auf meine Bemerkung hin.
„Stimmt, als würden wir uns seit einer Ewigkeit kennen…“, beendet Jake meine Gedanken.
„Es geht doch nichts über guten Orangensaft“, kichere ich nach einer Weile und stoße lächelnd mit Jake an.
„Nein, da hast du recht. Nichts geht über Orangensaft“, lacht er und nippt an seinem Glas.
KAPITEL 3.
11:00Uhr leuchtet es auf dem Display meines Handys auf, nachdem ich draufdrücke.
Ich bleibe noch kurz liegen obwohl ich schon seit Ewigkeiten wach bin und starre an meine Zimmerdecke. Ich will mich einfach nicht bewegen heute, will weder aufstehen noch denken. Ich will liegen bleiben bis wieder Montag ist. Wie ich diese Sonntage hasse. Ich hasse alles an Sonntagen! Sonntage sind überbewertet, genauso wie Lipgloss…
Es klopft wie immer sachte an meiner Tür. Eine zierliche Gestalt erscheit im Türrahmen und lächelt mich zaghaft an.
„Morgen Ma“, murmele ich und starre wie immer durch sie hindurch. Sie kommt auf mich zu und setzt sich vorsichtig an meine Bettkante. So sachte, dass ich es kaum spüre. Als hätte sie Angst etwas falsch zu machen. Das Lächeln ist immer noch dasselbe. So gezwungen und angespannt als wäre es versteinert, wie aus Marmor…
„Es ist gestern recht spät geworden, oder!?“, fragt sie mit der üblichen Marmormine.
Sie streicht mir über den Kopf. Ich hasse es wenn sie das tut…
„Es war ja Haileys Geburtstag“, nuschle ich abwesend und ziehe meinen Kopf ein Stück weg.
Sie steht auf und sagt das Frühstück sei fertig. Ich sage ich habe keinen Hunger und sie meint, wir fahren in 20 Minuten los. Alles verläuft so wie jeden Sonntag… Wie ich diese überflüssigen Sonntage doch hasse!
Bald sitzen wir im Auto. Ma dreht das Radio auf und tut überflüssigerweise so als hätte sie furchtbar gute Laune, indem sie laut mitsummt und mit den Fingern fröhlich auf das Lenkrad vor sich klopft. Ich blende die Musik aus und starre stattdessen aus dem Fenster.
Musik als Launeheber!? Auch das ist doch irgendwie überbewertet…
Becks dreht wild an ihrem Radio rum und ich fange an laut zu kreischen, als ich unser Lieblingslied plötzlich höre. Becks verstellt die Lautstärke so bis der Boden dröhnt und wir fangen zu springen und zu tanzen an. So machen wir das immer bevor und auch während wir uns zum Weggehen fertig machen. Wir tanzen vor dem Spiegel, ziehen uns währenddessen an, probieren zig verschiedene Sachen an, bis wir schließlich auf dem Boden liegen und keuchend und laut lachend zugleich versuchen noch irgendwie Luft zu bekommen.
Das Auto hält vor dem gewaltigen, weißen Gebäude. Ma schaut mich mitfühlend an und wartet meine Reaktion ab. Das hasse ich besonders. Oh, wie ich diese Sonntage alle hasse…
Ich steige aus ohne mich zu verabschieden, lasse die Autotür hinter mir zufallen und gehe auf die gewohnte cremefarbene Tür zu und dann betrete ich den kleinen Aufzug, der einen fast schon klaustrophobisch macht. Den weißen Gang entlang und rechts durch die breite Holztür.
„Guten Morgen, Lana. Geh doch einfach schon mal rein“, sagt die mollige Sekretärin wie immer viel zu fröhlich und ich schlendere ohne etwas zu entgegnen in das übliche Zimmer, versinke tief in dem viel zu weichen Sessel und warte auf die viel zu nette Julie. Aber auf Julie muss man leider nie lange warten. Die Tür geht auf und Julie sitzt mir augenblicklich so munter wie immer gegenüber.
„Hallo Lana. Wie geht’s dir denn diesen Sonntag?“
„Genauso wie an jedem anderen Sonntag“, antworte ich so unbeteiligt wie immer.
„Erzähl mir von deiner Woche!“, fordert sie mich höflich und neugierig zugleich auf.
„Es ist nicht viel passiert. Wir hatten unsere letzte Schulwoche vor den Sommerferien.
Gestern war ich wieder Einkaufen. Ich habe ein neues Kleid, Schuhe und eine Tasche…“, rattere ich den Text runter, den ich mir schon am Vorabend überlegt habe.
„Du warst früher nicht so häufig Einkaufen, nicht war!?“, hackt Julie gleich nach.
Ich zögere kurz und wäge meine Antwort erst ab…
„Jedes Mädchen kauft gerne ein. Wer liebt es nicht sich mit anderen um Schnäppchen zu prügeln und schließlich viel Geld für Sachen auszugeben, die man eigentlich gar nicht wirklich braucht!?“, erkläre ich monoton und Julie nickt. Ich denke sie hat den sarkastischen Unterton nicht überhören können und bereue es sogleich.
„Wieso gehst du dann so oft? Letzten Sonntag hast du von dem neuen Geldbeutel,
der Lederjacke, den Jeans und den Stiefeln erzählt wenn ich mich nicht täusche und jetzt das… Erklär mir das doch“, fragt Julie weiter und lächelt mir aufmunternd zu. Ich antworte nicht. Ich muss erst noch überlegen. Man soll doch immer zuerst nachdenken und dann sprechen…
„Wie schon gesagt: Wer liebt es nicht!?“, sage ich schließlich ausweichend und versuche die Ironie diesmal zu verbergen. Julie nickt und sieht mich weiterhin stumm an.
Ich soll also weitererzählen.
„Haileys Geburtstag war gestern Abend. Ich habe jemanden kennen gelernt… Also noch beim Einkaufen. Er ist dann auch zu Haileys Geburtstag gekommen.“
„Wie heißt er denn?“, fragt Julie jetzt sichtlich interessiert.
„Jake.“
„Und was weißt du von Jake? Wie habt ihr euch kennen gelernt?“
Julie beugt sich weiter zu mir vor, als könnte sie vielleicht etwas verpassen.
„Jake ist nett. Er ist groß und sieht gut aus. Er trinkt keinen Alkohol, aber dafür mag er Orangensaft. Ich bin in ihn reingelaufen… So haben wir uns kennen gelernt“, rattere ich wieder meinen Text runter. Julie wartet ab ob noch etwas kommt, doch ich sage nichts mehr. Sie tut mir fast schon Leid. Ich antworte eben auf ihre Fragen, nicht mehr und nicht weniger. Sie hat es nicht gerade einfach mit mir glaube ich. Bestimmt hasst sie es genauso sehr mich an diesen ewigen Sonntagen zu sehen, wie ich es hasse sie zu sehen.
„Du magst ihn also?“ Ich zucke nur unbestimmt mit den Schultern.
„Wann seht ihr euch wieder?“
„Heute.“
„Schön und was habt ihr zwei vor?“
„Ich weiß nicht. Wir treffen uns im Stadtpark und sehen weiter.“
„Du kannst mir nächsten Sonntag von eurem Treffen erzählen, wenn du Lust hast.“
„Bestimmt.“
Julie seufzt leise, das sehe ich. Sie tut mir Leid.
„Julie, ich finde es schön dass wir zwei uns unterhalten können. Es tut mir nur Leid wenn ich nicht immer so unterhaltsam bin…“, lüge ich und Julie huscht ein erleichtertes Lächeln über die Lippen. Wenn sie sich jetzt bestätigt fühlt, tu ich ihr den Gefallen gerne…
Wenn wenigstens einer von uns diese Gespräche etwas bringen, sind sie wenigstens nicht ganz umsonst. Ich glaube Julie, braucht nach so einer anstrengenden Stunde mit mir eher selbst einen Psychologen, der ihr hilft unsere wöchentlichen Sitzungen zu verarbeiten.
„Das verstehe ich, Lana. Ich verstehe dich doch…“
Tust du nicht!, denke ich lasse mir aber nichts anmerken und lächle stattdessen.
„Erzähl mir jetzt von dem Abend mit Becks, Lana. Du musst irgendwann darüber sprechen. Glaub mir es wird dir helfen! Ich kann dir helfen“, ermuntert Julie mich nun eindringlicher.
Ich kann mich nicht gegen die Bilder wehren, die mir jetzt plötzlich im Kopf erscheinen. Wie eine Diashow. Die Bilder schwirren zusammenhangslos herum, doch ich kann mich ganz genau an jedes einzelne davon erinnern. Ich halte mir den Kopf, würde am liebsten schreien, aber es geht nicht. Nicht vor Julie, sonst würden sie mich noch einweisen. Also blicke ich tapfer zu ihr auf und lächele sie an.
„Nein, kannst du nicht“, antworte ich im üblichen Tonfall und verfalle dann in mein übliches Schweigen. Julie sieht mich erschrocken an, will etwas sagen, meine Reaktion vielleicht sogar deuten. Doch sie sagt nichts, denn sie sieht dass ich heute wieder nicht reden werde.
Sie weiß wohl nur nicht, dass ich ganz sicher niemals darüber reden werde. Nicht über diesen Abend und auch nicht über Becks, denn es geht niemanden außer mich und mein Gewissen etwas an.
Nach einer Stunde bin ich Julie dann los und sitze im Bus auf dem Weg in die Stadt.
Heute ist ein typischer Sonntag. Es ist warm draußen, am Himmel ist nicht eine Wolke zu sehen und die Sonne strahlt in vollen Zügen. Ich verziehe angewidert das Gesicht.
Ich hasse Sonntage… Auch wenn heute ein anderer, fast schon besserer Sonntag ist als sonst, weil ich Jake gleich treffe. Ich hasse trotzdem alle Sonntage. Sie sind überbewertet, genauso wie Lipgloss…
„Heeeey Lana-Schatz!“, begrüßt mich Becks und wir gehen in die Küche.
Das Radio läuft laut und die Nudeln kochen schon. Ich sehe Becks tadelnd an.
„Tut mir leid, ich hab es nicht ausgehalten! Ich habe einen Bärenhunger!“, verteidigt Becks sich und deutet auf den Esstisch.
„Wir können immer noch zusammen den Tisch decken, wie wär’s!?“, fragt sie scheinheilig und ich nicke gütig. Zwanzig Minuten später sitzen wir uns am Tisch gegenüber und verschlingen schweigend die warmen Nudeln.
„Kannst du dir vorstellen, dass Sara gestern so viel getrunken hat dass sie schon wieder einfach vergessen hat wie sie nach Hause gekommen ist?“, lacht Becks schließlich und ich kichere auch.
„Das ist typisch. Habt ihr vorhin telefoniert?“, frage ich.
„Ja. Sie hat angerufen und Hailey übrigens auch. Sie wollte nächsten Freitag wieder ins Cherish.“
„Na Joe wird sich freuen uns so bald wieder zu sehen. Ich weiß auch ehrlich keinen besseren Ort zum feiern!“, lache ich und stopfe mit noch ein paar Nudeln in den Mund.
„Solange wir zwei zusammen unterwegs sind, ist es doch fast egal wo wir feiern, oder!?
Aber du hast recht im Cherish macht’s am meisten Spaß.“
„Stimmt wir zwei haben doch überall Spaß“, stimme ich meiner besten Freundin zu.
„Also, was für eine DVD sehen wir uns dieses mal an?“, fragt Becks mich grinsend.
„Such du dir eine aus. Wie ich unsere Sonntage liebe, Becks!“
„Und ich erst. Auf die Sonntage freue ich mich immer am aller meisten!“
Ich steige aus dem Bus aus und gehe ein Stück in Richtung Park. Die Sonne strahlt mir entgegen und ich verdrehe angenervt die Augen. Sonne an Sonntagen. Wie klischeehaft!
Tatsächlich steht Jake vor dem Eingangstor und winkt mir bereits zu. Ich winke zurück und meine Laune steigt, zu meiner eigenen Überraschung, mit jedem Schritt ums Doppelte an.
„Na, hast du ausgeschlafen?“, fragt Jake und drückt mich einen kurzen Moment lang an sich.
„Natürlich, wieso auch nicht!?“, lüge ich.
„Weil wir bis um 5 im Cherish waren und gewartet haben bis auch wirklich deine letzte Freundin nach Hause gefahren ist“, grinst Jake. Ich mag es wie er seine Fragen stellt. Er macht einfach Aussagen daraus, weil er anscheinend bereits weiß wie ungern ich die meisten direkten Fragen beantworte.
„Ich gehe nie als Erste…“, gebe ich kurzangebunden zurück und blicke zu Boden, wie so oft wenn ich ein Thema nicht vertiefen will. Jake merkt das, ich weiß es…
„Also, wollen wir zum See?“, fragt Jake und ich muss grinsen, weil ich schon wieder erraten habe, wie Jake sich verhalten würde. Wie schon gestern gehen wir ein Stück schweigend weiter. Ich mag unser Schweigen. Das beruhigt mich immer. Also noch ein Stück.
Kurz vor dem See beschließe ich die Stille zu durchbrechen.
„Bist du den Sommer über hier, Jake? Oder fährst du weg?“ Ich warte angespannt seine Antwort ab. Er weiß, dass ich auf sein Bleiben hoffe und zögert seine Antwort absichtlich heraus. Ich habe schon wieder Recht.
„Ich fahre nicht weg“, antwortet er schließlich und grinst mich breit an. Ich kann mir nicht helfen und grinse genauso breit zurück. Manchmal glaube ich echt unsere Kommunikation besteht aus nicht weiter als reinem Gegrinse.
„Komm wir setzten uns da vorne unter den Baum“, sagt Jake und deutet auf die große Eiche ungefähr 10 Meter vom Wasser entfernt. 10 Meter sind okay…
Wir sind die Ersten am See. Das machen wir immer so. Wir können es nie erwarten, schmeißen unsere Sachen auf die Wiese und beginnen zu rennen. Wer zuerst im Wasser ist.
Wie im Kindergarten. Becks ist immer schneller, weil ich das Wasser immer etwas zu kalt finde und kurz vor dem rein rennen noch zögere. Wir spritzen mit dem Wasser, schreien und lachen so viel, dass wir aufpassen müssen kein Wasser zu verschlucken. Die Anderen kommen und wir sind immer noch im Wasser. Mittlerweile finde ich es auch angenehm warm, weil ich mich daran gewöhnt habe und weil Becks mich nicht aus dem Wasser lässt.
„Wenn man am See ist, muss man auch im Wasser bleiben. Wozu denn sonst der See?“, lacht sie und schaut kopfschüttelnd zu den Anderen, die sich auf der Wiese zu bräunen versuchen, stattdessen aber eher rot werden.
„Also, kann ich jetzt auch davon ausgehen dass auch du den Sommer über zu Hause bist!?“, fragt Jake und sucht offensichtlich meinen Blick.
„Kannst du“, gebe ich gleich zurück und wir setzten uns in den Schatten des massiven Baumes.
„Ich finde du könntest mir mehr über dich erzählen, Lana“, meint Jake nach einer Weile und ich muss lachen.
„Was willst du denn wissen, Jake?“ Ich rede ihn so gerne mit seinem Namen an. Jake…
Jake lehnt sich an den Stamm des Baumes und mustert mich nachdenklich. Seine blauen Augen schimmern in der Sonne. Sie sind ungewöhnlich blau. Tief aber überhaupt nicht beängstigend, klar aber nicht kalt… Ungewöhnlich eben.
„Erzähl mir was von deiner Familie. Wo wohnst du überhaupt?“, fragt er und scheint jetzt ganz in seinem Element zu sein.
„Ich wohne mit meiner Ma nicht weit weg vom Einkaufszentrum. Kennst du den kleinen Park dahinter? Genau da“, sage ich während Jake aufmerksam zuhört und nickt. Er bemerkt wohl dass ich nichts mehr dazu sagen werde und fährt selbst fort.
„Ich wohne zusammen mit meinen Eltern und meinen kleinen Geschwistern Amy und Lukas ungefähr 5 Minuten vom Stadtpark hier. Jetzt bist du dran mit Fragen“, lacht er sein umwerfendes Lachen und wartet.
„Wie alt bist du überhaupt?“, frage ich und wir beide fangen an zu lachen. Komisch dass man sich trifft und sich irgendwie Nahe ist und doch nicht einmal elementare Dinge wie das tatsächliche Alter des Anderen kennt. Wir klären also schließlich dass Jake bereits 18 ist, ich hingegen noch 17 bin und ich überlege mir eine ernsthaftere Frage.
„Als ich in dich reingelaufen bin, was hattest du da vor im Einkaufszentrum?“
Jake überlegt einen Moment und grinst wie so oft.
„Ich hatte vor die erste Schönheit die ich sehe aufzureißen… Nein, eigentlich musste ich für meine Mom einkaufen.“
Ich muss auch lachen. Er bringt mich ständig zum Lachen. Das mag ich so an ihm.
„Haben wir Pläne für morgen, Jake?“, frage ich und kann die freudige Erwartung in meiner Stimme kaum verbergen. Jake seufzt etwas enttäuscht und meine Euphorie löst sich wieder. Er hat also keine Lust… Hey, das ist doch mal was positives für mein überdurchschnittlich unterentwickeltes Selbstwertgefühl, denke ich verbittert.
„Ich muss morgen den Babysitter für Amy und Lukas spielen, weil meine Eltern den ganzen Tag bei Freunden sind“, meint er mürrisch und scheint nachzudenken.
„Ich weiß es klingt nicht besonders aufregend… Aber wenn du Lust hast? Ich werde immerhin kochen“, fährt Jake fort und meine Laune steigt unaufhaltsam schnell an.
„Nein, ich finde das klingt wirklich gut. Ich werde dir einfach helfen, wird bestimmt lustig“, entgegne ich schnell und auch Jake fängt wieder zu lachen an.
„Gut, dann komm einfach so ab 3 Uhr vorbei, ja!? Vielleicht wäre es besser wenn du mir diesmal deine Handynummer gibst, dann kann ich dir die Adresse schreiben“, meint Jake hastig und holt sein Handy raus. Ich gebe ihm meine Nummer und er verspricht mir heute Abend zu schreiben. Ich verlasse mich nicht darauf, aber ich weiß dass er es tun wird.
Das spüre ich…
KAPITEL 4.
Hey Lana, ich hoffe dir geht’s gut und du machst dir noch einen schönen Abend.
Hat Spaß gemacht heute mit dir! ;)
Komm einfach morgen so um 3 zum Stadtpark, da holen wir dich ab.
Ich freu mich schon :D
Schlaf gut und träum süß!
Jake
Ich hab es gewusst, dass Jake schreiben würde. Ich sitze im Bus Richtung Stadtpark und starre auf das Display meines Handys. Ich fühle mich etwas kindisch, weil ich seine SMS schon mindestens zum 10ten Mal lese. Ich habe mich schon so lange bei niemandem so wohl gefühlt wie bei Jake. Er weiß nichts. Er fragt nicht, er schaut auch nicht so komisch.
So mitleidig, so möchtegern-verständnisvoll wie alle anderen… Es tut mir einfach so gut mit ihm zusammen zu sein. Es lässt mich alles um mich herum ganz einfach eine Zeit lang vergessen.
Ich steige aus dem Bus und er steht schon da. Immer ist er da. Viel früher als ich, damit ich nie warten muss.
„Looos, beeil dich doch Lana! Die anderen warten bestimmt schon alle auf uns!“, meckert Becks und stemmt ihre Hände in die Hüften, so wie sie es immer macht wenn sie ungeduldig wird.
„Nur weil du dich immer schon Stunden früher fertig machen musst als normale Menschen“, lache ich und zupfe das Kleid zurecht, welches ich mir eben extra langsam über meinen Kopf gezogen habe.
„Du weißt doch wie ich es hasse andere auf mich warten zu lassen“, meint Becks und verdreht genervt die Augen. Sie und ihr viel zu gewissenhaftes, gutmütiges Herz tun mir Leid und ich fange an mich tatsächlich ihr zuliebe zu beeilen.
„Tut mir Leid wenn du lange warten musstest“, sage ich schlechten Gewissens zu Jake,
doch er steckt meine Aussage mit einem lässigen Lächeln weg.
„Lana, dass sind Amy und Lukas“, entgegnet er und deutet auf die zwei kleinen Gestalten links und rechts von ihm. Amy, welche angespannt seine Hand hält, hat ebenso braune Haare
und blaue Augen wie Jake. Ihr dichtes Haar ist zu einem Zopf geflochten und sie trägt ein gelbes Sommerkleidchen. Lukas auf der anderen Seite scheint älter zu sein als seine Schwester und sieht aus wie eine kleine Kopie von Jake, nur dass seine Haare ein paar Töne heller und auch etwas kürzer sind als die seines großen Bruders.
„Amy ist 5 und Lukas hier ist schon ganze 6 Jahre alt“, klärt Jake mich gleich auf und streicht den beiden über die Köpfe.
„Hallo ihr zwei, ich bin Lana“, stelle ich mich vor und die zwei lächeln nun schüchtern.
„Jake hat von dir erzählt. Den ganzen Tag schon und gestern und-“, fängt Lukas an zu erzählen, doch Jake lässt ihn nicht ausreden und drückt ihm sachte die Handfläche auf den kleinen Mund. Ich grinse und Jake wird etwas rosig um die Wangen. Ich muss zugeben, dass ich das echt furchtbar süß finde…
„Okay, genug geredet. Gehen wir Heim...“, seufzt Jake und wir gehen los, ohne noch einmal auf das Thema zurückzukommen. Die Sonne strahlt uns entgegen während wir einen schmalen Weg entlanglaufen. Lukas und Amy laufen vor uns her und spielen. Jake ist verstummt, also beschließe ich diesmal das Schweigen zu brechen.
„Schon eine Idee was wir heute kochen wollen?“, frage ich also, weil mir so spontan keine bessere Frage einfällt. Jake denkt einen Moment nach dann fängt er an zu Grinsen.
„Okay, ich muss dir was gestehen. Ich kann absolut nicht kochen. Wir werden Pizza bestellen müssen“, lacht er und ich muss wie so oft schon mitlachen.
„Wieso hast du das nicht gleich gesagt?“, frage ich schließlich aus reiner Neugierde.
„Na, ich musste dir ja irgendeinen Anreiz bieten damit du kommst“, meint Jake ganz selbstverständlich und lächelt verlegen.
„Das musstest du nicht, Jake. Ich wäre auch so unheimlich gerne gekommen“, stelle ich klar und Jake sieht mir daraufhin direkt in die Augen. Sie sind so unbeschreiblich tief, als könnte ich mich jeden Moment darin verlieren. Nein, ich fürchte ich habe mich bereits in ihnen verloren…
„Okay, ich glaube jetzt schlafen sie“, flüstert Jake und schließt die Wohnzimmertür hinter sich. Er schlendert zu mir rüber und setzt sich neben mich auf die gemütliche, beige Couch.
„Auf was hast du jetzt Lust?“ Jake sieht mich neugierig an. Seine Augen schimmern im gedämpften Licht und ich muss mich zusammenreißen. Mir würde da schon was einfallen, denke ich und muss schmunzeln. Okay Lana, reiß dich zusammen! Also überlege ich angestrengt auf was ich sonst noch so Lust hätte. Jake lässt mich nicht aus den Augen.
Es ist mir nicht unangenehm, ganz im Gegenteil. Aber trotzdem bin ich etwas nervös…
Er fängt an mich tatsächlich nervös zu machen. Ich lasse meinen Blick schweifen und erblicke die Glastür, die an die große Terrasse am Wohnzimmer grenzt.
„Wollen wir uns ein wenig raussetzten?“, frage ich schließlich und Jake steht ohne ein weiteres Wort auf um die Tür zu öffnen. Ich bin ganz angetan von seiner zuvorkommenden Art. Als ich zu ihm hinaustrete spüre ich die kühle Luft auf meiner Haut. Aber sie macht mir nichts aus… Nichts macht mir etwas aus, wenn Jake da ist. Jake führt mich zu der Bank auf dem dunkelgrünen Rasen und ich setzte mich. Ich blicke zum Himmel hoch und betrachte den Sternenhimmel. So viele Sterne habe ich noch nie gesehen. Sie leuchten mir entgegen.
Fast schon aufdringlich. Ich bereue meinen Vorschlag sofort.
„Ich glaube ich habe noch nie so viele Sterne gesehen! Sieh doch mal!“ Becks deutet mit ihrem Zeigefinger auf den Himmel, als würde ich den gewaltigen Sternenhimmel ohne ihre Hilfe nicht erkennen. Wir liegen auf einer kuscheligen Decke in meinem Garten, jede von uns ein großes Kissen unter dem Kopf und reden. Das machen wir so oft, wenn es warm draußen und der Himmel wolkenlos und daher sternenübersäht ist. Wir legen uns einfach in den Garten und reden. Oder wir reden einfach nicht, sondern liegen einfach bloß da.
Manchmal müssen wir uns gar nicht unterhalten. Manchmal reicht auch unser Schweigen. Hauptsache wir sind zusammen.
„Schau mal Lana! Sieh schnell hin, eine Sternschnuppe! –Wow…“, ich lächle über Becks ansteckende Begeisterung.
„Du hast recht. Das ist der Wahnsinn…“, stimme ich ihr zu.
„Was meinst du was da oben so ist? Ich meine glaubst du nicht auch manchmal, dass es mehr geben muss? Dass irgendwo da oben… noch irgendwas ist…“, murmelt Becks.
„Hmm…kann schon sein. Aber mir ist das zu abstrakt. Ich muss zuerst etwas sehen um es zu glauben.“ Becks schweigt einen Moment und fährt dann fort.
„Ich finde ab einem gewissen Punkt muss man aber einfach versuchen an etwas zu glauben...“
Ich sage nichts mehr, denn mir fällt nichts dazu ein. So ist Becks eben. Immer so tiefgründig, so nachdenklich… Neben ihr fühle ich mich manchmal so einfach und gewöhnlich.
„Weißt du was ich mir wünsche, Lana!?“, fragt Becks nach einer Weile.
„Was denn?“
„Ich wünsche mir, dass wir zwei auch noch in 20 Jahren einfach mal so daliegen und zusammen die Sterne ansehen“, meint sie und lächelt.
„Das werden wir Becks! Auch noch in 30 Jahren. Wir werden über unsere Männer lästern und unsere Kinder diskutieren“, entgegne ich und meine das genauso ernst wie sie.
„Hier Lana“, sagt Jake und hält mir einen grauen Kapuzenpulli hin. Ich schrecke aus meinen Gedanken. Ich habe gar nicht gemerkt, dass er weg war um den Pulli zu holen. Ich nehme ihn dankend entgegen und schlüpfe hinein. Wie warm er ist… Er riecht eindeutig nach Jake.
Süß und frisch aber nicht penetrant, sondern genau richtig. Ich kuschle mich noch ein wenig mehr in den Stoff, während Jake sich neben mich auf die Bank setzt. Wir sitzen eine Weile so da und sagen einfach nichts. Ich weiß nicht wie viel Zeit inzwischen vergangen ist,
doch mittlerweile liegt mein Kopf auf Jakes Schulter und er streicht mit seiner Hand über meinen Rücken. Wenn solche Momente einfach nicht enden würden. Wenn man einfach die Zeit anhalten könnte… Jakes Hand fährt sachte meinen Rücken hinauf, über meine Schulterblätter bis sie schließlich zwischen Nacken und Schulter verharrt. Er atmet ruhig und gleichmäßig und der süße Geruch seines Pullis umgibt mich. Ich hebe leicht meinen Kopf und betrachte ihn. Er hat seine Augen geschlossen und seinen Kopf leicht zurückgelehnt.
Er merkt gleich, dass ich zu ihm aufblicke und öffnet daraufhin die Augen. Sogar durch die Schwärze der Nacht leuchten seine blauen Augen intensiv. Noch nie habe ich blaue Augen gesehen, die soviel Wärme auf einmal ausstrahlen. Er blickt mir nun direkt in die Augen und wie sooft fange ich an mich in den seinen zu verlieren. Nicht einmal wehren kann ich mich, aber das will ich auch gar nicht… Er fängt an mir immer näher zu kommen. Seine zweite Hand legt er auf meine Hüfte und zieht mich langsam näher an sich heran. Ich blicke zu seinen Augen, dann seinen Lippen. Wieder die Augen. Wie er immer näher kommt-
„Was für ein Spiel ist das denn?“
Augenblicklich erstarren wir zwei. Ich weiche zurück und Jakes Hände gleiten von meinen Hüften. Lukas steht zwischen Wohnzimmer und Terrasse und blickt uns sichtlich verwirrt an.
Jake sieht ihn einen Moment lang verdutzt an, scheint sich dann gesammelt zu haben und seufzt. Er steht auf und zieht seinen Bruder sachte mit sich zurück ins Haus.
„Wieso schläfst du bitte nicht!?“, höre ich ihn noch scheinbar gereizt fragen, ehe die zwei dann im Kinderzimmer verschwinden.
KAPITEL 5.
Ich öffne die Tür und fange an zu rennen. Ich renne die Auffahrt runter. Kalter Wind und Regen peitschen mir ins Gesicht. Ich renne weiter. Renne so schnell wie noch nie in meinem Leben. So schnell dass ich meine Beine nicht mehr spüre. Alles um mich herum ist finster. Nur der helle Vollmond leuchtet, so dass ich mich halbwegs orientieren kann. Mir ist kalt und jetzt tun mir meine Füße weh, doch ich versuche den Schmerz auszublenden. Ich versuche weiter zu rennen, doch ich bin keine gute Läuferin. Ich atme unregelmäßig und bekomme sofort Seitenstechen. Keuchend halte ich an und presse meine Hände erschöpft an die stechende Stelle. Der Regen wird immer stärker und prasselt auf mich ein. Shirt und Shorts sind durchnässt und kleben mir auf der Haut. Ich habe schon geschlafen, als der Anruf kam. Ich versuche mich zusammenzureißen, doch rennen kann ich nicht mehr. Ich gehe so schnell ich kann weiter. Doch es dauert zu lange. Ich komme einfach nicht vom Fleck, als ob ich auf der Stelle laufen würde… Ich habe eine schlechtes Gefühl, eine Vorahnung vielleicht.
Alles fängt an zu verschwimmen…
Jetzt sitze ich auf einem Bordstein und mir ist plötzlich ganz warm. Es regnet immer noch,
doch meine Hände sind plötzlich unglaublich warm… Ich bin so erschöpft. Ich lege meinen Kopf auf meine Handflächen und fange sogleich an vor Schreck zu schreien. Blut. Ich blute! Meine Stirn muss blutverschmiert sein, denn meine Hände sind es auch… Panisch stehe ich auf und blicke mich um. Knapp einen Meter vor mir sehe ich etwas. Ein regloser Körper ineinander gefallen auf der Straße. Überall ist Blut. Jetzt fange ich an zu verstehen. Es ist nicht mein Blut an meinen Händen. Ich sehe mich weiter um. Ein paar Meter weiter steht ein Wagen. Ein scheinbar panischer Mann steigt aus. Da steht noch ein Junge. Doch es ist so dunkel und mir ist auf einmal wieder so kalt. Der Junge kniet nun neben der reglosen Gestalt auf der Straße, dann steht er auf, rennt hin und her, fasst sich in die Haare und weint. Wieso weint er nur? Niemand scheint mich wahrzunehmen. Der Mann rennt auch zur Gestalt und scheint sie zu untersuchen. Wieder verschwimmt alles…
Ich glaube jetzt fliege ich. Es ist dieselbe Szene, ich erkenne die Personen von eben wieder. Doch alles hat seine Perspektive geändert. Ich blicke nun auf alles herab. Dann kommt alles näher. Wie bei einem gigantischen Zoom. Ich bin nun direkt vor der zusammengekauerten Gestalt. Ich habe furchtbare Angst, doch ich strecke meine Hand nach ihr aus. Ich erkenne dunkle glänzende Haare und streichle sie sachte. Die Person scheint zu reagieren, denn sie regt sich kaum merkbar unter meiner Hand. Ich habe das Gefühl ich muss die Person beruhigen, also rede ich auf sie ein. Mir ist wieder so kalt und doch ich muss dieser Person irgendwie helfen. Ich weiß nicht was ich zu ihr sage. Ich verstehe meine eigenen Worte nicht… Um mich herum nehme ich nun alle Hintergrundgeräusche war. Ich höre jemanden schreien, flehen. Ich höre Schritte. Schließlich höre ich Sirenen. Ich blicke immer noch auf die nun stark zitternde Person und streiche ihr über den Kopf. Ich spüre eine leichte Bewegung unter meiner Hand und merke dass die Person mir langsam den Kopf zuwendet. Ich schaue genauer hin und plötzlich erkenne ich die Person. Becks! Es ist Becks!
Meine Becks! Ich reiße entsetzt die Augen auf, doch ich kann mich nicht regen. Becks hat die Augen nur ganz leicht geöffnet und den Mund vor Schmerz verzogen. Ich spüre ihre Schmerzen und bin wie paralysiert. Ihre Augen erkunden sachte die Umgebung und verharren schließlich auf mir. Wir sehen uns nun in die Augen und mein Herz hört auf zu schlagen.
Es hört einfach auf zu schlagen. Ich höre auch auf zu atmen. Ich erwidere einzig und allein ihren Blick. Sie öffnet ihren Mund. Sie will etwas sagen. Ich hebe ihren Kopf mit beiden Händen an, als könnte ich sie dadurch zum sprechen bringen. Doch sie ist zu schwach.
Sie kann einfach nichts sagen. Stattdessen schließt sie ihren Mund wieder und lächelt. Sie lächelt einfach. Dann fallen ihre Augen zu und ich weiß, dass sie mich alleine gelassen hat. Sie hat mich alleine gelassen. Mit all dem Schmerz hat sie mich einfach zurückgelassen…
Ich drehe mich um und lege mich neben sie auf den Boden. Ich nehme ihre Hand und verschließe ganz fest sie in meiner, dann starre ich hoch zum Mond.
Alle Hintergrundgeräusche sind weg. Das Geschrei, die Sirenen. Alles ist still. Da bin nur ich und Becks. Ich lasse sie nicht gehen. Ich lasse nicht los!
Und dann –ganz plötzlich- beschließe ich wieder zu atmen. Mein Herz beginnt wieder zu schlagen. Von diesem Moment an beschließe ich einfach nichts mehr zu fühlen. Ich blende den Schmerz aus. Verstaue ihn tief in meinem Inneren, wo ihn keiner entdeckt, ihn keiner hervorholt. Ich höre einfach auf Lana zu sein…
Ich weiß nicht wie viel Zeit vergeht, eine Sekunde, eine Minute… wahrscheinlich keine Stunde. Aber ich spüre nichts, also auch keine Zeitunterschiede. Dann kommt jemand.
Es sind, glaube ich, mehrere Personen. Ich denke jemand redet auf mich ein, doch ich verstehe nichts. Ich sehe nur nach oben zum Himmel und starre den Mond an. Ich spüre nur noch wie Becks Hand aus der meinen gleitet. Ich beschließe noch ein letztes Mal hinzusehen. Ein letztes Mal… Ich erkenne Becks Gesicht. Sie liegt auf einer Trage. Die Augen sind wie zuvor geschlossen, doch- Sie lächelt immer noch. Sie lächelt zum Abschied… Dann ist alles dunkel. Ich senke wieder meinen Kopf und starre zum Himmel. Ich spüre rein gar nichts mehr und so ist es richtig…
Keuchend und verschwitzt wache ich auf. Ich springe vom Bett und mir wird schwindlig.
Ich schnappe nach Luft. Fange an zu Hyperventilieren. Es ist so stickig in meinem Zimmer. Ich ignoriere das Schwindelgefühl und renne zu meinem Fenster, um es aufzureißen.
Atme tief ein- doch es kommt nichts. Ich kriege einfach keine Luft. Ich renne weiter ins Bad und drehe den Wasserhahn hastig auf. Ich halte meine Hände unter das eiskalte, hinausströmende Wasser. Mein Atem wird langsam wieder ruhiger und ich lege mir die kalten Hände auf mein verschwitztes Gesicht. Ein- und Ausatmen… Ich beruhige mich und öffne die Augen. In meinem Kopf dreht es sich immer noch. Ich halte mich am Rand des Beckens fest, um mein Gleichgewicht wieder zu finden.
Alles war so echt, so real. Als wäre ich wieder da. Als hätte ich alles noch einmal erlebt.
Ich fange an zu zittern und zwinge mich nicht mehr daran zu denken. Keinen einzigen Gedanken darf ich daran verschwenden, sonst habe ich verloren. Sonst habe ich die Kontrolle über mich verloren... Das darf aber auf keinen Fall passieren! Raus aus dem Bad.
Ich betrete wieder mein Zimmer. Ich bin noch immer müde und blicke sehnsüchtig zu meinem Bett, aber ich werde mich nicht hinlegen. Ich habe Angst mich hinzulegen. Ich habe wie so oft panische Angst einzuschlafen… Wieder da zu sein. Wieder nichts tun zu können. Wieder zu spät zu kommen…
Ich sehe zur Uhr. Es ist viertel nach sechs. Ich mache mein Bett, dann schließe ich dass Fenster wieder. Ich ordne meine Zeitschriften, räume meinen Kleiderschrank aus und wieder ein, mache mir die Haare, ziehe mich 5 Mal um, bis mir nichts mehr einfällt. Dann hole ich den Staubsauger aus der Abstellkammer und fange an in meinem Zimmer zu saugen.
Wenige Minuten später geht meine Zimmertür auf und meine Mutter steht verschlafen in der Schwelle.
„Lana-Schatz, du hast doch gestern früh erst gestaubsaugt… Wieso-?“, murmelt sie, schüttelt den Kopf und redet nicht weiter, weil ich nicht auf ihre Worte reagiere, sondern mich umso mehr aufs Saugen konzentriere. Meine Bewegungen werden zunehmend energischer.
Ich weiß, dass ich sie wütend mache. Aber ich kann einfach nicht anders, als mich abzulenken. Und da ich keine Musik mehr höre, ist der Staubsauger das einzige gerät, welches lauter ist als meine Gedanken… Es wird still. Ich erstarre für einen Moment. Dann blicke ich entsetzt zu meiner Mutter. Sie steht vor mir und hat tatsächlich den Stecker gezogen.
Ihre Wangen sind gerötet vor Wut. Und sie atmet schwer. Ich sage nichts, sondern weiche wie immer ihrem Blick aus. Sie setzt sich auf mein Bett und legt scheinbar verzweifelt den Kopf in ihre Hände.
Ich glaube sie versucht die richtigen Worte zu finden und ich habe Recht. Sie blickt wieder auf und versucht auf mich einzureden.
„Lana, bitte ich kann einfach nicht mehr. Ich weiß einfach nicht was ich tun soll mit dir.
Ich verstehe dich doch! Ich weiß was du durchmachst! Aber so kann es einfach nicht weitergehen. Du musst anfangen weiterzuleben. Becks hätte das so nicht gewollt…“
Ich zucke bei dem Namen meiner besten Freundin zusammen und versuche mit aller Kraft nicht wütend zu werden.
„Was willst du denn von mir? Ich komme immer pünktlich nach Hause, bleibe meistens nicht lange weg, räume auf, mache sauber, ich kümmere mich sogar um die Schule in den Ferien! Wo bitte ist denn das Problem?!“, frage ich und blicke immer noch zu Boden, um ihren besorgten Blick zu meiden. Ich höre sie seufzen.
„Wo das Problem ist? Früher warst du so lange weg, dass wir uns ständig gestritten haben. Aufräumen und Putzen hat dich nichts gekümmert und über Hausaufgaben in den Ferien, ja sogar während der Schulzeit, hast du nur laut gelacht. Ich vermisse meine Tochter auch wenn wir unsere Streitigkeiten hatten! Sieh dich doch nur an! Du lachst kaum noch, du hast dauerhaft keinen Appetit. Nudeln zum Beispiel, isst du gar nicht mehr. Du hörst keine Musik, du triffst dich nicht mit Freunden, du bist unter die Kaufsüchtigen gegangen, obwohl du das früher nicht ausstehen konntest! Du, du siehst mich nicht mal mehr richtig an…“
Ein Schlag nach dem anderen verpasst sie mir, erinnert mich an so viele Sachen mit nur so wenigen Sätzen und weiß nicht was sie damit in mir anrichtet.
„Lana, bitte rede doch mit mir…“, versucht meine Mutter auf mich einzureden.
Das wird mir zu viel, ich darf nicht länger im selben Raum sein, sonst verliere ich die Beherrschung. Aber das werde ich nicht, denn meine Gedanken gehen nur mich etwas an und sonst keinen! Ich gehe betont ruhig zu meinem Schrank, hole einen roten Kapuzenpulli raus und gehe in Richtung Tür. Ich drehe mich um und sehe dass meine Mutter bereits die Hoffnung auf ein Gespräch aufgegeben hat. Ich würde so gerne wieder ihre alte Lana sein, ihr alles erzählen, mit ihr lachen oder auch weinen. Aber ich kann es nicht. Nicht mehr…
„Stellst du mir den Glasreiniger später ins Zimmer? Meine Fenster sehen schmutzig aus“, sage ich nur und meine Mutter nickt seufzend. Dann verlasse ich das Zimmer und lasse sie darin zurück. Ich gehe die Treppen runter und ziehe mir den Pulli über, Schlüssel und Handy stecke ich in dessen Taschen, und gehe nach draußen. Es ist nicht kalt, aber ich fröstle trotzdem. Ich gehe zur Bushaltestelle und warte geduldig auf den Bus. Ich habe Glück, denn er kommt sogleich und ich steige ein.
Bald schlendere ich durch den Park. Es ist kaum jemand außer mir unterwegs. Ein paar Jogger und hin und wieder ein Spaziergänger mit seinem Hund. Es ist auch viel zu früh und noch nicht allzu warm. Ich gehe gerne im Park spazieren um mich abzulenken aber heute scheint es mir nicht besonders zu gelingen. Immer wieder drängen sich mir die Gedanken an den Traum und das Gespräch mit meiner Mutter in den Kopf. Ich steuere die übliche Parkbank an, auf welcher ich immer sitze und auf den See hinausstarre, um meinen Kopf wieder leer zu kriegen. Ich blicke auf während ich mich der roten Holzbank nähere und erkenne, dass sie tatsächlich besetzt zu sein scheint. Um diese Zeit. Ich gehe trotzdem weiter. Vielleicht geht die Person wieder wenn ich mich dazusetzte. Also gehe ich um die Bank herum und setzte mich. Kann ja nicht wahr sein, Jake! Meine Sorgen scheinen gleich wie weggeweht. Ich lege meinen Kopf schief und mustere ihn belustigt, doch er scheint mich nicht wahrzunehmen.
Besorgt starrt er auf den See raus und rührt sich nicht. Seine sonst so hellen Augen sind dunkler als sonst. So kommt es mir auf jeden Fall vor. Er sieht so traurig aus, dass es mir einen schmerzhaften Stich in die Brust versetzt. Wie kann ich mich ihm nach so kurzer Zeit nur so furchtbar nahe fühlen? Was ihn wohl so bedrückt? Ich fange an mich unbehaglich zu fühlen und räuspere mich leise. Jake blickt immer noch nicht zu mir rüber, sondern schließt lediglich die Augen. Seine Haut schimmert ein wenig in der Sonne. Ich lege ihm also ganz vorsichtig meine Hand auf die Schulter und diesmal scheint er mich zu registrieren.
Er wendet den Kopf sogleich in meine Richtung und blinzelt mir ziemlich verwundert entgegen.
„Hey Lana. Was machst du denn so früh hier?“, fragt er zögerlich und sichtlich irritiert.
„Ich komme hier gerne hin. Zum nachdenken und so…“, erwidere ich ebenso zögerlich.
Jake seufzt, dann setzt er ganz plötzlich sein gewohntes warmes Lächeln auf und zwinkert mir zu. Stimmungsschwankungen? Na ja, ich bin froh denn noch mehr gedrückte Stimmung kann ich eh nicht verkraften.
„Also auf was hast du heute Lust?“, fragt er mich und die schlechte Laune scheint tatsächlich wie weggeblasen zu sein. Über seinen übermenschlichen Enthusiasmus kann man sich nur freuen. Ich überlege also angestrengt.
„Ich weiß nicht… Lass uns Busfahren!“, fällt mir plötzlich ein. Jake zieht die Augenbrauen hoch und ich kann ihm seine Verwunderung deutlich ansehen.
„Basfahren? Im Bus meinst du?“, versichert er sich und ich merke dass er sich äußert bemüht sich ein Lachen zu verkneifen.
„Ja, im Bus. In irgendeinen Bus einsteigen und bis zur letzten Haltestelle fahren“, lache ich nun etwas kleinlaut und Jake kann wohl nicht mehr anders als breit zu grinsen.
„Irgendwo aussteigen… und dann?“, hackt er belustigt nach. Ich höre auf zu lachen. Manchmal vergesse ich einfach mich zu beherrschen. Busfahren? Verdammt, wie peinlich war denn dieser Vorschlag nur. Ich spüre schon beinahe wie meine Backen anfangen zu glühen und rot werden. Jake sieht mein plötzliches Zögern und hört sofort auf zu grinsen.
„Ich meine… das, das war nur so gesagt-“, versuche ich mich also so gut wie möglich rauszureden, doch Jake fällt mir sogleich ins Wort.
„Nein, nein. Ich finde das gut! Gute Idee! Ich war nur so verwundert, weil ich gar nicht auf so was gekommen wäre“, verteidigt er meinen Vorschlag.
„Ist mir nur so spontan gekommen…“, murmle ich weiterhin zögernd.
Jake aber lässt sich nicht mehr davon abbringen, sondern steht gleich auf und hält mir seine Hand hin. Schon wieder muss ich lächeln. Wie macht er das nur immer wieder mit mir?
„Na komm, welchen Bus nehmen wir?“, fragt er und legt sein unverwechselbar schiefes Grinsen auf. Ich lasse mich von ihm hochziehen und zu meiner Verblüffung lässt er meine Hand nicht los. Auch nicht als wir anfangen die Bank und den Park zu verlassen. Ich muss mir Mühe geben nicht allzu sehr von ihm aus der Fassung gebracht zu werden, was wirklich nicht besonders einfach ist. Es gibt also tatsächlich noch etwas, was diesen jämmerlichen Tag noch retten kann.
KAPITEL 6.
Buslinie 122. Mit diesem Bus bin ich noch nie gefahren. Jake auch nicht, hat er gesagt.
Also steigen wir ein und gehen nach ganz hinten durch. Der Bus ist fast leer, nur ganz vorne sitzt eine alte Frau und redet –so vermuten wir– mit ihrer Handtasche. Wir setzten uns in die letzte Reihe und müssen wieder lachen.
„Also Busfahren…“, kichere ich und lehne mich an das Fenster hinter mir. Die Sonne scheint hindurch auf meinen Rücken und wärmt mich. Eine Zeit lang bleiben wir beide ganz ruhig und genießen den Moment. Jake mustert mich… aber kein bisschen aufdringlich oder in sonst irgendeiner weise unangenehm. Nein, er sieht mich an als würde er mich einfach kennen. Und er lächelt. Ich liebe sein Lächeln! Es fängt mich irgendwie auf. Es befreit mich ganz einfach. Ich kann nicht einschätzen wie lange wir im Bus sitzen reden und lachen, aber irgendwann bleibt der Bus stehen und Jake blickt auf.
„Endstation…“, murmelt er und sieht sich um. Ich folge seinem verwirrten Blick und muss lachen. Typisch. Wir befinden uns in der größten Rohbaulandschaft die ich je gesehen hatte. Um uns herum sind lediglich zahlreiche triste, halbfertige Gebäude und graue Kieswege.
„Genau hier wollte ich hin“, scherze ich und stehe auf. Jake folgt mir widerspruchslos aus dem Bus und blickt sich immer noch um. Ich muss zugeben, wir haben nicht gerade den schönsten Ort vorgefunden, aber wenn wir schon hier sind…
„Also, was machen wir zuerst?“, lacht Jake sein unverwechselbares Lachen und scheint allmählich wieder zu sich gefunden zu haben. Ich überlege kurz und sehe mich erneut um.
„Na komm, sehen wir uns um.“ Jake nimmt meine Hand und mir wird ganz heiß.
Ich versuche meine Backen dazu zu zwingen nicht gleich rot zu werden, doch vergeblich.
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern jemals so für jemanden empfunden zu haben und das nach so kurzer Zeit. Wie lange kennen wir zwei uns denn schon? Und trotzdem sind wir so vertraut. Ich drücke seine Hand zaghaft und lasse mich von ihm in irgendeine Richtung ziehen. Wir irren also in der Gegend herum, laufen zwischen den Häusern durch und albern herum wie kleine Kinder. Alles fühlt sich so gelassen und ungezwungen an.
Der Himmel wird allmählich düsterer und es breiten sich immer mehr dichte Wolken an ihm aus. Jake bemerkt den raschen Wetterwechsel augenblicklich, nimmt wie so oft schon meine Hand und zieht mich gleich zum nächsten Rohbauhaus. Das Haus ist von einem Gitter umgeben, was es uns erschwert einfach reinzugehen. Es sind weder Fenster oder Türen eingesetzt, noch ist das riesige Haus gestrichen. Jake rüttelt am Gitter, aber vergeblich denn es ist durch ein massives Schloss verriegelt.
„Na gut, dann müssen wir wohl klettern“, murmelt er und beginnt sich gleich am Gitter hochzuziehen. Ich trete stumm einen halben Schritt zurück und beobachte ihn dabei, wie er sich geschickt und beinahe mühelos am Gitter hochangelt, bis er schließlich obenauf ist und gleich darauf auf die andere Seite springt. Dann dreht er sich um und blickt mich erwartungsvoll an. Ich stocke. Ich war so begeistert und gebannt von seiner grazilen Vorstellung, dass ich ganz verdrängt hatte selbst auch noch irgendwie über das Gitter gelangen zu müssen.
„Nein Jake, das krieg ich nicht hin…“, murmele ich und schüttele den Kopf.
„Natürlich kriegst du das hin!“, ermutigt er mich, doch ich rühre mich weiterhin nicht.
„Na komm, ich helfe dir doch. Das ist nicht schwer, Lana“, fährt er fort.
„Ich mag es nicht dass das Gitter so hoch ist“, gebe ich kleinlaut zurück.
Jake scheint zu begreifen worauf ich hinaus will und nickt stumm.
„Du magst keine Höhen, was!?“, beendet er meinen Gedanken. Ich muss nicht antworten, denn meine Zustimmung sieht er mir scheinbar gleich an.
„Pass auf, sieh einfach mich an“, redet er auf mich ein und irgendetwas in mir zwingt mich das Gitter zu erfassen. Ich hole tief Luft, dann ziehe ich mich langsam hoch. Ich komme nicht so schnell nach oben wie Jake, aber ich komme immerhin überhaupt voran. Mein Blick ist fest auf Jake geheftet und ich fühle mich unbeschreiblich sicher. Ich muss mich trotzdem immer wieder zwingen nicht nach unten zu blicken. Schließlich komme ich ganz oben an und schwinge ein Bein nach dem anderen über das Gitter. Jetzt befinde ich mich zwar auf der richtigen Seite, jedoch bin ich Jake nicht mehr zugewandt und zu meinem Schrecken blicke ich geradewegs auf den Boden hinab. Mir wird augenblicklich schwindlig und meine Hände verkrampfen sich am Gitter. Jake scheint mein Verharren sofort bemerkt zu haben und reagiert gleich.
„Hey Lana, schließ die Augen!“, redet er mir zu und ich muss lachen. Er ist wohl der einzige Mensch der einem anderen mit extremer Höhenangst weit oben auf einem Gitter dazu rät die Augen zu schließen. Er selbst stimmt aber nicht in mein Lachen mit ein, sondern bleibt im Gegenteil ganz ernst.
„Ich meine es ernst. Schließ die Augen und steig Schritt für Schritt nach unten. Sobald du meine Hände spürst, kannst du gleich loslassen. Dann hol’ ich dich runter zu mir. Vertrau mir“, meint Jake beruhigend und ich schließe zu meiner eigenen Überraschung tatsächlich die Augen und beginne hinabzusteigen. Nach einer Weile spüre ich plötzlich wie sich Jakes starke Hände auf meine Hüften legen und mit einem Mal fühle ich auch wieder festen Boden unter meinen Füßen. Ich halte die Augen noch immer geschlossen, während Jake mich vorsichtig an sich heranzieht und seine Arme um mich schlingen. Er legt seinen Kopf an meiner Schulter ab und atmet ruhig. Nach einer Weile dreht er mich zu sich um, ich lege ihm meine Arme um den Hals und er küsst mich einfach ohne lange zu warten, als befürchte er sein kleiner Bruder oder sonst jemand könnte wieder auftauchen und uns unterbrechen. Ich bin zunächst etwas überrascht, doch dann erwidere ich seinen Kuss und ich habe das Gefühl noch nie etwas derartiges empfunden zu haben. Es fühlt sich an als ob alles um mich herum anfangen würde sich zu drehen. Da sind weder der Himmel, noch die kahlen Häuser. Es sind nur wir zwei. Jake und ich. Ich und Jake. Und der Moment.
Wir bemerken den Regen erst als wir beide tropfnass sind. Langsam löst Jake seine Lippen von meinen und streicht mir das nasse lange Haar aus dem Gesicht. Es regnet in Strömen auf uns herab und als auch ich wieder in die Realität zurückkehre, zieht Jake mich durch den Eingang des Rohbaus in das Innere des Hauses. Wir gehen durch die verschiedenen leeren Zimmer, laufen eine Treppe hinauf in den zweiten Stock und setzten uns schließlich in ein Zimmer mit großer Terrasse vorne dran. Jake setzt sich auf den Boden und lehnt sich an der Zimmerwand an, während ich mich an ihn schmiege. Er legt seine schützenden Arme um meine Schultern und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Wir sitzen noch lange so stumm da und beobachten wie der Regen auf die Terrasse und auf die anderen Häuser niederprasselt. Wenn ich nicht diese gemeinsamen Stunden mit Jake hätte, hätte ich– gar nichts. Er tut ganz unbewusst so viel für mich. Er gibt mir den Halt den ich brauche, er beschützt mich. Beschützt mich vor mir selbst. Vor all den Gedanken, dem unendlichen Schmerz, der Leere. Er ist der einzige Mensch mit dem ich mich nicht einsam fühle. Am aller liebsten würde ich ihm das alles sagen, aber dann müsste ich ihm die Zusammenhänge erklären und dafür reicht meine Kraft noch nicht aus.
„An was denkst du, Lana?“, flüstert Jake leise, als hätte er meine Gedanken gelesen.
„An dich, an mich. An uns“, antworte ich wahrheitsgetreu.
Der Regen nimmt zunehmend ab und um uns herum wird es immer ruhiger.
„An was hast du gedacht?“, frage ich und fahre mit meinen Fingern langsam über seine Arme.
„An die Vergangenheit. An die Zukunft“, murmelt Jake und ich habe irgendwie das Gefühl, er würde mir irgendetwas aus seiner Vergangenheit verheimlichen. Oder vielleicht einfach nicht erzählen wollen. Genauso wie ich ihm etwas aus meiner Vergangenheit nicht erzählen will…
„Erzähl mir was von deinen Eltern Jake…“, sage ich nach einer Weile.
„Meine Mom hat ein kleines Café in der Stadt und mein Dad ist Zahnarzt. Und sie sind… ääähm seit einer Ewigkeit verheiratet“, lacht Jake und scheint nichts mehr zu sagen zu haben.
„Vielleicht können wir ja bei Gelegenheit einen Kaffee bei deiner Mutter trinken gehen“, sage ich und drücke vorsichtig seine Hand.
„Sie wird sich freuen dich endlich kennen zu lernen. Sie fragt schon nach dir“, lächelt Jake und lehnt seinen Kopf an meinen Nacken. Es hat inzwischen ganz aufgehört zu regnen und die Sonne beginnt wieder zwischen den Wolkentürmen hervorzutreten.
„Was ist mit deiner Mutter? Erzähl mir was über sie“, fragt nun Jake nach einer Weile.
„Sie ist Schriftstellerin. Sie schreibt Romane für… na ja hauptsächlich für Teenager“, erkläre ich kurzangebunden. Ich könnte von unserm angeschlagenen Verhältnis in letzter Zeit erzählen, aber das müsste ich erklären und das wiederum kann ich nicht.
„Und dein Vater?“, hackt Jake nach. Er fragt zwar viel, aber er wird dabei nie aufdringlich. Vielleicht liegt es an seinem nüchternen Tonfall. Das gefällt mir an ihm.
„Der hat uns verlassen als ich noch ganz klein war. Seitdem hab ich keinen Kontakt zu ihm. Er wollte auch nie welchen… Aber versteh mich nicht falsch. Ich finde das eigentlich nicht weiter schlimm. Ich habe ihn nie gekannt und wenn er meine Ma mit einem kleinen Baby alleine gelassen hat, kann er kein Mensch sein bei dem es sich lohnen würde ihn näher kennen zulernen. Meine Ma und ich sind bisher ganz gut ohne ihn ausgekommen und werden das auch in Zukunft können.“
Jake hatte aufmerksam zugehört und schüttelt verständnislos den Kopf.
„Wenn du mich fragst ist der Kerl echt ein armseliger Feigling und zudem auch nicht besonders clever. Wenn er wüsste was er mit dir als Tochter verpasst…“, schimpft Jake und ich bin gezwungen wie so oft schon zu schmunzeln.
„Ich habe so meine Fehler…“, entgegnete ich leise, um ihn wieder auf den Boden zu holen.
Er spricht von mir als sei ich nahezu perfekt und das bin ich definitiv nicht.
„Glaub ich dir nicht. Aber ich frag mal trotzdem… Inwiefern?“
Hätte ich gewusst, dass er weiter darauf eingehen würde hätte ich nichts gesagt. Ich überlege einen Moment lang, um das Thema in einem Satz abzuschließen.
„Na ja, ich bin manchmal ganz schön anstrengend. Ich glaube ich mache es meiner Ma zurzeit nicht so einfach…“, sage ich und bete, dass er das Thema nun endlich auf sich beruhen lässt.
„Wir haben doch alle so unsere Phasen“, murmelt Jake nur und lässt das Thema tatsächlich fallen. Erleichtert atme ich auf und entspanne mich wieder. Mich wird das Gefühl nicht los, dass Jake heute ein wenig anders ist als sonst. Irgendwie so in Gedanken, fast schon bedrückt…
„Du bist so ruhig heute…“, stelle ich vorsichtig fest und warte seine Reaktion ab.
„Weil ich sonst nicht zwei Sekunden lang die Klappe halten kann, meinst du?“, lacht Jake, doch ich merke dass er versucht auf seine eigene weise auszuweichen. Ich höre eine Art Unterton heraus. Weil ich aber nichts entgegnen kann und will, bleibe ich still.
„Ich habe nicht besonders gut geschlafen. Ich weiß nicht, war eine Art Albtraum…“, gibt er schließlich zu und ich erstarre bei dem Wort Albtraum.
„Ich hatte auch einen… Seit ungefähr sechs Uhr bin ich heute schon wach“, erzähle ich und schließe für einen Moment die Augen. Ich lausche seinem ruhigen, gleichmäßigen Atem und kuschele mich etwas mehr an ihn und seinen weichen grauen Kapuzenpulli. Keiner von uns sagt etwas. Wir genießen viel mehr die Stille, die uns nun umgibt. Meine Augen lassen sich nicht mehr öffnen so müde bin ich plötzlich. Ich spüre wie ich einschlafe und zu ersten Mal seit etlichen Wochen habe ich keine Angst davor schlecht zu Träumen. Ich habe endlich einen Ort gefunden an dem ich alles für kurze Zeit einfach vergessen kann. Wenn ich darüber nachdenke ist es weniger ein Ort, als viel mehr diese eine Person bei der ich mich so sicher fühle, dass ich für kurze Zeit alles Schlimme loslassen kann…
KAPITEL 7.
Einige Stunden später schlendern Jake und ich die Hauptstraße der Innenstadt entlang.
Die Sonne ist gerade dabei unterzugehen und wir genießen das wunderschöne Farbspiel des Himmels. Die Sonne hat bereits ein saftig dunkles Orange angenommen und vermischt sich allmählich mit dem hellen Türkis des Himmels, welches mit zunehmender Höhe immer dunkler wird ehe es sich in tiefes ozeanblau verwandelt. Jake führt mich inzwischen von einer Parallelstraße zur nächsten bis wir schließlich vor der Glastür eines nicht allzu großen Gebäudes anhalten. Das Haus hat einen angenehm cremefarbenen Anstrich, welcher besonders gut mit der massiven Holztür sowie den breiten, braunen Fensterrahmen harmoniert. Über dem Türrahmen steht in großer schwarzer Schrift: ‚Mekky’
„Da sind wir. Das Café meiner Ma“, lächelt Jake und legt mir eine Hand auf die Schulter.
Ich weiß dass ich jetzt eigentlich an der Reihe bin etwas zu erwidern, aber ich fühle mich irgendwie noch nicht bereit für ein Familientreffen. Was wenn mich seine Mutter nicht mag?
„Ach so, bevor ich’s vergesse mein Dad ist bestimmt auch schon da. Wir wollten heute im Café zusammen zu Abend essen“, fügt Jake noch hinzu als wäre es das Normalste auf der Welt. Ich schlucke. Na toll. Jetzt ist also nicht nur seine Mutter mit den Kleinen dort, sondern auch sein Vater. Die ganze Familie. Ich weiß nicht so recht wie ich mit dieser Information umzugehen habe, also schweige ich weiterhin. Jake scheint meine Unsicherheit zu bemerken und mustert mich belustigt.
„Nicht zu vergessen kommen auch meine drei Tanten, mein Onkel und ja natürlich auch meine Großeltern“, redet er munter weiter und jetzt kann ich mein Entsetzten nicht mehr verbergen. Ich reiße die Augen weit auf und starre ihn fassungslos an.
„Das war nur ein Witz. Jetzt mach dir nicht so viele Sorgen, meine Eltern sind höchstens ein wenig peinlich. Was, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, eher ein Nachteil für mich werden könnte… Na ja, auf jeden Fall bin ich mir sicher dass sie ganz begeistert von dir sein werden“, grinst Jake und ich atme etwas erleichterter wieder aus. Jake lacht wieder, drückt mich kurz an sich und öffnet dann die Tür ins Mekky. Ich folge ihm in das kleine Café und nehme sogleich einen angenehm süßen Duft wahr. Das Mekky ist voll von kleinen, runden Tischen und besitzt einen großen, länglichen Tresen. Es ist inzwischen keine Kundschaft mehr da. Nur Amy und Lukas sitzen an einem der runden Tische und scheinen ins Malen vertieft zu sein.
„Na ihr zwei, erinnert ihr euch noch an Lana?“, fragt Jake die beiden, als sie kurz aufblicken um zu sehen wer gekommen ist. Amy nickt und malt dann weiter, während Lukas mich immer noch mit großen Augen betrachtet.
„Ja, dich kenn ich noch gut. Jake mag dich. Willst du mit uns mitmalen?“, fragt der Kleine mich und ich muss mir ein breites Grinsen verkneifen, während Jake sich schüchtern durchs Haar fährt. Kleine Kinder sagen eben immer gleich was sie denken.
„Danke Lukas, das nächste Mal ganz bestimmt“, verspreche ich und Lukas wendet sich nickend wieder seinem Papier zu.
„Mom, bist du da?“, ruft Jake in Richtung Theke und es ertönt ein Lautes Klirren.
„Mom!?“, ruft Jake jetzt etwas besorgt.
„Verdammt, nicht schon wieder“, schimpft es aus dem Raum hinter der Theke, welcher wohl die Küche sein muss. Die weiße Tür geht auf und eine kleine Frau mit blondem, welligem Haar erscheint hinter der Theke. Mir fällt als aller erstes auf, dass Jake ihre Augen haben muss. Sie haben dieselbe ungewöhnlich schöne Farbe wie Jakes. Sie lächelt mich an und winkt uns freundlich zu.
„Hallo, du musst bestimmt die berühmte Lana sein. Freut mich dich endlich kennen zu lernen.
Ich habe ja schon eine Menge von dir gehört.“ Als sie meinen Gesichtsausdruck sieht fügt sie noch ganz schnell „Natürlich ausschließlich Positives!“ hinzu und zwinkert ihrem Sohn zu, der gleich etwas angenervt die Augen verdreht.
„Ich glaube, ich bin meinem Sohn schon wieder wegen irgendetwas peinlich…“, murmelt sie und grinst dann. Jake seufzt.
„Freut mich auch sehr, Mrs.-“, fange ich an doch da fällt mir auf, dass ich nicht einmal weiß wie Jake mit Nachnamen heißt. Etwas ratlos verstumme ich.
„Nenn mich doch einfach Ann!“, wirft sie schnell ein und ich nicke sogleich.
„Hallo alle zusammen!“, ruft eine fröhliche Stimme und ich drehe mich wieder zur Tür.
Ein großer, kräftiger Mann mit kurzem, dunklen Haar steht vor mir und grinst breit.
Also sein Aussehen hatte Jake –bis auf die Augen, denn die des Mannes waren fast schwarz- definitiv von seinem Vater geerbt. Sie sahen sich unglaublich ähnlich.
„Oh, freut mich. Du muss also die berüchtigte Lana sein!“, lacht Jakes Vater und schüttelt mir die Hand. „Ich bin Greg und na ja, der Chef hier“, erklärt Jakes Vater, während der wie so oft schon in den letzten Minuten die Augen verdreht und den Kopf schüttelt.
„Freut mich auch“, antworte ich und grinse in Jakes Richtung. Jake hatte recht, denn seine Eltern sind wirklich ganz wunderbar. Meine Zweifel sind hier fehl am Platz.
„Ich hoffe du magst italienisches Essen, Lana?“, fragt Ann und beginnt Teller aus einem Regal zu holen, während Greg zwei Tische zusammen schiebt und Jake die Stühle richtig hinstellt.
„Ja, natürlich. Kann ich denn noch mit irgendwas helfen?“, frage ich gleich ganz höflich,
weil ich unbedingt einen guten Eindruck machen will.
„Bei uns musst du dich nicht einschleimen!“, ruft Greg mir zu und grinst wieder.
Nach kurzem Zögern verstehe ich, dass das ein Witz sein sollte und stimme in sein Lachen mit ein. Jake scheint das ganze weniger witzig zu finden.
„Dad, bitte lass heute deine Sparwitze“, stöhnt er genervt und wirft mir sofort einen entschuldigenden Blick zu. Greg zuckt nur mit den Schultern und zwinkert mir zu.
„Ich bin meinem Sohn schon wieder peinlich. Na komm, wir holen mal die Nudeln“, lacht Greg und winkt mich mit sich in die Küche. Ich gehe um die Theke herum und betrete den kleinen Raum dahinter. Greg stellt den Herd aus und schiebt den großen Topf von der Platte.
„Hör mal Lana, ich frag dich jetzt einfach mal so weil Jake das besser nicht mitkriegen sollte. Ich weiß nicht ob Jake es erwähnt hat, aber wir sind eine ziemlich große Familie. Es gibt ein Haufen Tanten und Omas und so weiter… Morgen ist so eine Art Familientreffen. Wir hatten geplant in die Berge zu fahren, da hat mein jüngerer Bruder Tom eine Hütte, um dort den Tag zu verbringen.“ Greg macht eine Pause und weil ich noch nicht so genau weiß worauf er hinaus will, warte ich einfach fragend ab.
„Na ja, Jake hat nicht so viel Lust zu fahren, weil er in letzter Zeit wegen irgendetwas Ärger mit einem seiner Cousins hat. Für Jake hat sich das Thema damit erledigt und er will auch gar nicht darüber diskutieren. Und jetzt hat er gesagt er will nicht fahren, um etwas mit dir zu unternehmen, aber wir haben schon lange nichts mehr mit der Familie gemacht und das wäre echt schade, wenn er fehlen würde. Hast du denn morgen schon etwas vor?“, erklärt Greg und sieht immer wieder zur Tür, um sicher zu gehen dass Jake nicht zuhört.
„Nein, noch nichts“, gebe ich zögernd zurück und warte wieder ab.
„Hast du dann vielleicht Lust mitzukommen? Die Jungs werden sich schon wieder einkriegen.
Du wirst die Familie echt gern haben, da bin ich mir sicher. Ein wenig chaotisch sind wir zwar alle, aber es ist nie langweilig“, plappert Greg munter los und ich muss wieder lächeln.
„Gerne, danke für die Einladung“, sage ich und Greg scheint sich tatsächlich tierisch zu freuen, denn jetzt strahlt er über das ganze Gesicht.
„Okay, dann noch eine letzte Bitte. Würdest du bitte, wenn ich gleich beim Essen von morgen erzähle, ein wenig Begeisterung zeigen, so dass Jake dich selbst fragt, ob du mit uns kommen willst?“ Ich schmunzle und denke einen Moment lang nach.
„Ich werd’s versuchen. Aber ich glaube eine besonders begabte Schauspielerin bin ich nicht“, antworte ich schließlich und Greg scheint jetzt vollends zufrieden gestellt zu sein. Die Tür wird einen Spalt breit aufgeschoben und Ann’s Kopf lugt in die Küche herein. Sie lächelt mich an und blickt gleich neugierig zu ihrem Mann. Anscheinend wusste sie von dem Plan und als Greg ihr beschwichtigend zuzwinkert, verschwindet ihr Kopf gleich wieder.
„Na gut, dann können wir ja jetzt essen“, lacht Greg und nimmt den Topf. Als wir zusammen die Küche verlassen, wendet sich Jake sofort mir zu und sieht mich fragend an. Ich lasse mir nichts anmerken, schenke ihm ein kurzes, unbedeutendes Lächeln und laufe hinter Greg her. Ann ruft die Kleinen zu Tisch und wenige Minuten später sitzen wir an den zwei Tischen und schlingen die leckeren Nudeln in uns rein. Zuerst wird nicht all zu viel geredet. Jake fragt seine Eltern nach der Arbeit, sie uns nach unserem Tag und die Kinder plappern auch munter vor sich hin. Irgendwann beschließt Greg dann das Thema Familientreffen aufzugreifen.
„Was habt ihr zwei morgen vor, Jake?“, fragt er also so beiläufig wie möglich, aber seiner Mine nach zu urteilen, weiß ich sofort worum es ihm geht. Jake zuckt mit den Schultern und sieht mich fragend an. Auch ich zucke mit den Schultern.
„Na ja, vielleicht das gute Wetter ausnutzen. Was macht ihr morgen?“, frage ich scheinheilig und gebe Greg damit die Chance das Thema einzuleiten. Er nickt dankbar und fährt dann fort.
„Wir haben ein großes Familientreffen in den Bergen“, sagt er vorsichtig und ich merke sofort wie sich Jake verkrampft. Das Thema scheint ihm doch ganz schön nahe zu gehen.
„Wow, in die Berge. Ist es schön dort? Ich wollte so oft schon mit meiner Ma fahren, aber sie ist nicht so begeistert gewesen, also habe ich nicht weiter gedrängt…“, erzähle ich und trinke einen Schluck Wasser. Jake sieht auf seine Uhr, was seinem Dad nicht entgeht und er deswegen gleich fortfährt.
„Das ist aber Schade. Wunderschöne Gegend. Mein kleiner Bruder Tom hat eine alte Hütte da oben. Herrlich, sage ich dir“, murmelt Greg und Jake legt nun angespannt sein Besteck zur Seite. Ob er ahnt worauf das ganze hinauszulaufen droht?
„Na vielleicht kommst du irgendwann mal mit uns mit“, setzt Ann noch einen drauf und ich nicke gleich so begeistert ich nur kann.
„Furchtbar gerne, danke. Ich will mich nur nicht aufdrängen“, sage ich brav meinen Text, merke aber dass Jakes Hand sich langsam zu einer Faust verkrampft und er sie sogleich vom Tisch gleiten lässt.
„Daddy, kann Lana nicht morgen mit uns mitfahren?“, meldet sich nun Lukas unerwartet zu Wort. Sein Vater verschluckt sich fast und ich muss mir ein Lachen verkneifen. Das läuft ja besser als erwartet. Damit hätte hier niemand gerechnet und auch Jake scheint irritiert zu sein.
„Ich denke nicht, dass das morgen sein muss. Lana wird nicht viel Spaß haben mit unserer verrückten Familie“, versucht Jake nun schnell das Ganze zu beenden.
„Sei nicht so, ich wette deine Familie ist toll. Mir ist nur wichtig dass ich mich nicht irgendwie aufdränge“, setzte ich erneut an und Jakes Eltern strahlen nun. Ich muss sagen, ich mache meinen Job ganz hervorragend.
„Ganz und gar nicht, Schätzchen. Wenn ihr Lust habt und scheinbar sonst noch nichts vor zu haben scheint, dann kommt doch einfach mit!“, fügt Ann rasch an. Jake scheint alles andere als begeistert vom Gesprächsverlauf zu sein und sucht meinen Blick, aber ich weiche ihm geschickt aus.
„Eigentlich wollten wir schon-“, beginnt er als er merkt dass es von mir keine Unterstützung gibt, doch ich falle ihm gleich ins Wort.
„Wir haben tatsächlich noch nichts vor“, sage ich mit all meiner Begeisterung und sehe Jake nun zum ersten Mal an. Er starrt zunächst etwas fassungslos zurück, doch als er die Freude in meinem Gesicht erkennt, bleibt er still. Es tut mir richtig weh wie sehr er sich innerlich zu winden scheint, ehe er schließlich aufgibt und stumm nickt. Greg registriert diese Bewegung augenblicklich und fasst sie natürlich sogleich als Zustimmung auf. Dankbar lächelt er mich an und wendet sich an seine Frau.
„Na gut, dann werde ich Tom gleich anrufen und ihm sagen dass wir noch zwei mehr sind!“, flötet er fröhlich und verlässt den Tisch, ehe Jake doch noch etwas einwenden kann.
Dieser wirkt ein wenig bedrückt und ist den Rest des Abends auch nicht mehr besonders gesprächig. Eine Stunde später schreibe ich meine Adresse auf, damit sie mich am nächsten Morgen mit dem Auto abholen können und verabschiede mich von allen. Jake bringt mich zum Bus und ist schon etwas geselliger als bei seiner Familie, jedoch merke ich deutlich dass ihn der morgige Tag irgendwie zu belasten scheint.
KAPITEL 8.
„Kooomm schon, Lanaaaa! Sein doch nicht sooo. Die sind doch echt- Boa, hast du den großen Blonden etwa nicht richtig gesehn?“, redet Becks auf mich ein, doch diesmal habe ich beschlossen sicher nicht nachzugeben. Immer muss alles nach ihr gehen, aber nicht heute. Außerdem hat Becks schon furchtbar viel getrunken und ich bin gerade wieder ziemlich ausnüchtert und einfach nur noch unglaublich müde und gelangweilt.
„Becks, vergiss die. Ich bin wirklich müde und wir haben ausgemacht heute nicht so lange hier zu bleiben“, verharre ich stur auf meiner Meinung. Ich wende mich kurz der Gruppe Jungs hinter uns zu und lass den Blick schweifen. Es müssen mindestens fünf Kerle sein,
aber egal wie hübsch die auch alle sein sollten diesmal setzte ich mich durch…
Mein Blick bleibt an dem großen Blonden hängen, der Becks so sehr zu gefallen scheint und er lächelt mich verschmitzt an. Doch bei mir zieht das nicht und irgendwie habe ich ein schlechtes Gefühl bei diesen Jungs. Nicht nur dass ich sie alle hier zum ersten Mal sehe,
sie sind mir irgendwie nicht so geheuer. Becks stemmt nun sichtlich verärgert die Hände in die Hüften und sieht mich auffordernd an. Na gut, wenn sie’s nicht anders will…
„Okay, tut mir Leid Jungs aber meine Freundin Becks hier und ich gehen jetzt“, sage ich energisch, nehme Becks fest am Handgelenk und ziehe sie mit mir, doch sie entreißt mir gleich darauf ihre Hand und funkelt mich mehr als wütend an. Der Blonde lacht spöttisch und ich muss mich beherrschen ihm ja keine zu verpassen.
„Isss ja nich so als brauch ich n’ Babysitter! Ich glaubsss nicht dass du das gemacht hast!
Geh doch wenn du willst!“, schreit Becks mich jetzt an und ich muss schlucken. Nur nicht aufregen, Lana. Sie ist bloß betrunken…
„Becks, na komm sei vernünftig. Du hast heut schon zu viel getrunken. Wir fahren jetzt zusammen Heim“, rede ich beruhigend auf sie ein und nehme wieder ihre Hand.
Becks aber scheint immer noch nicht verstehen zu wollen, denn sie bleibt stehen und entzieht mir wieder energisch ihre Hand.
„Ich meins’ ernst, fassss mich nicht an! Ich hab’s mir anders ü- überlegt. Geh heim, Moooom“, zischt sie wutentbrannt und schubst mich von sich. Ich will gerade wieder etwas sagen, doch da stellt sich mir der blonde Kerl in den Weg und legt mir die Hand auf die Schulter. Ich funkle ihn nur kurz an, schüttle seine dreckige Pfote von meiner Schulter, ignoriere ihn aber gleich und blicke an ihm vorbei Becks an, in der Hoffnung sie würde sich wieder beruhigen aber sie bleibt weiterhin stumm.
„Du hast sie doch gehört. Also komm entweder mit oder lass wenigstens ihr ihren Spaß.
Wir passen schon auf sie auf“, redet der blonde Idiot auf mich ein, der selbst angetrunken zu sein scheint, doch ich ignoriere ihn weiterhin. Becks regt sich nicht und scheint selbst etwas im Zwiespalt zu sein. Aber sie ist immer so stur.
„Becks?“, frage ich und warte auf eine Reaktion. Becks lässt sich Zeit, dann hackt sie sich bei dem Blonden unter. Ich weiche enttäuscht zurück.
„Du hassst unssss gehört“, sagt sie und scheint wohl immer noch daran zu glauben, dass ich umzustimmen bin. Doch da hat sie sich getäuscht. Nicht heute, heute kriegt sie nicht ihren Willen! Jetzt kann ich nicht länger gegen meine Wut ankämpfen.
„Du bist so egoistisch, Becks! Immer muss alles nach dir gehen. Ich hab schon lange genug von dir! Sieh doch zu wie du heute nach Hause kommst“, schreie ich sie an und drehe mich um. Dabei knalle ich gegen einen der Kerle, der mich etwas irritiert ansieht und wegen mir fast sein Getränk verschüttet. Er siehst so aus als wäre er soeben zu uns gekommen, aber ich bin so wütend dass ich ihn weder eines weiteren Blickes würdige, noch mich bei ihm fürs Anrempeln entschuldige. Außer mir vor Wut renne ich aus dem Cherish an Joe vorbei ohne mich zu verabschieden. Ich bin wütend auf Becks, aber vor allem wütend auf mich selbst.
Ich hasse es wenn wir streiten. Vielleicht hätte ich nachgeben und mit ihr dort bleiben sollen. Aber ich bin viel zu stolz um noch einmal zurückzukehren, also gehe ich langsam weiter.
„Hey Lana, wo ist Becks?“, höre ich eine mir bekannte Stimme und blicke auf. Vor mir stehet Becks Exfreund Mike und sieht mich fragend an. Becks und ich wissen beide dass er immer noch Hals über Kopf in sie verliebt ist, aber für Becks ist das Thema beendet. Er streicht sich das dichte Haar aus dem Gesicht und sieht sich suchend nach ihr um. Armer Kerl…
„Wir hatten Streit. Sie bleibt noch länger und ich fahre Heim“, antworte ich nüchtern.
Ich sehe es am Funkeln seiner Augen, dass Mike gleich zu ihr rein will um sie zu trösten,
aber da ich weiß was ihn dort erwarten wird, will ich ihn lieber gleich schonen.
„Mike, lass sie jetzt lieber. Sie hat viel getrunken und könnte im Moment grob werden… Außerdem hat sie dort jemanden…- gefunden“, erkläre ich ihm schweren Herzens, denn ich weiß wie sehr ihn das verletzt, und sehe wie er schmerzlich zusammenzuckt.
Da meine Arbeit hier somit getan ist, gehe ich an ihm vorbei und weiter zu mir nach Hause.
„Warte, du sagst sie hat viel getrunken und trotzdem lässt du sie alleine dort?“, ruft Mike mir besorgt und wütend zugleich hinterher, doch ich habe nicht vor stehen zu bleiben.
„Die kann schon auf sich aufpassen“, rufe ich lediglich und gehe verärgert weiter.
Das letzte was ich jetzt gebrauchen kann, ist ein besorgter Exfreund der mir auch noch ein schlechtes Gewissen macht…
Keuchend wache ich auf und schnappe wie jeden Morgen erstmal nach Luft. Die Nächte sind immer gleich. Zwar verändern sich meine Träume und Erinnerungen aber der Schmerz ist bei jeder Erinnerung derselbe. Schnell stehe ich auf um nicht noch einmal einzuschlafen aus Angst vor einem neuen Traum, einer weiteren Erinnerung an dieser schrecklichen Nacht.
Nach einem Blick auf meinem Handydisplay sehe ich dass ich noch zwei Stunden Zeit habe, ehe Jakes Familie mich holt. Nachdem ich geduscht habe, laufe ich also etwas planlos vor meinem Kleiderschrank hin und her. Was soll man zu so einem Familientreffen denn schon großartiges anziehen? Ich probiere all meine Shorts und Jeansrocke an, doch ich finde kein passendes Top. Dann versuche ich es mit meinen Kleidern. Im Radio wurde durchgesagt, dass es heute ein enorm heißer Tag werden sollte. Ich versuche ein Kleid nach dem anderen und entscheide mich schließlich nach ausgiebigem Überlegen für ein hellblaues, kurzes Sommerkleid mit Puffärmeln und einer großen Schleife hinten. Ich räume die herumliegenden Sachen alle wieder ordentlich in meinen Schrank, die Zeit habe ich schließlich und ich will später auf keinen Fall alleine rumsitzen während ich auf Jake warte, mit nichts anderem als meinen Gedanken zur Ablenkung. Also muss die verbleibende Zeit so gut wie möglich ausgefüllt werden. Nachdem alles verstaut ist, setzte ich mich an den kleinen Tisch vor meinen Spiegel und glätte mir so sorgfältig es nur geht eine Haarsträhne nach der anderen. Danach trage ich Make-up auf und versuche es eher dezent zu halten, denn ich will nicht zu überschminkt fahren, damit seine Familie ja einen guten Eindruck von mir hat. In einem meiner schwachen Momente, gleiten meine Finger vorsichtig über den rosa Lipgloss auf dem Tisch, doch schließlich stopfe ich ihn energisch in eine Schublade und versuche ja nicht mehr daran zu denken.
Also nicht zu viel Make-up… Ich habe einfach das Gefühl, dass ich es mir bei Jake nicht versauen darf. Denn er ist zurzeit das einzige in meinem Leben das mir tatsächlich den Halt gibt den ich brauche. Ohne ihn wäre ich wieder einsam und allein auf mich und meine Vergangenheit gestellt und das würde nicht mehr allzu lange gut gehen…
Ich bin jetzt fertig mir allem, nehme meine kleine weiße Handtasche, lege Handy, Hausschlüssel und einen kleinen Spiegel hinein, schlüpfe in dazu passende weiße Ballerinas und gehe langsam die Treppe runter. In zwanzig Minuten ist es neun und ich werde abgeholt. Ich schlendere in die Küche, lege meine Tasche auf den Tisch und fange an mir noch schnell einen Kakao zu machen. Wenige Minuten später steht meine Ma verschlafen vor mir und setzt sich an den Küchentisch. Sie beobachtet mich schweigend, während ich meinen Kakao mache und sagt nichts, ehe ich nicht auch am Tisch sitze.
„Jakes Eltern kommen also um neun, ja?“, fragt sie schließlich.
„Ja, das haben sie gesagt“, antworte ich und trinke einen Schluck.
„Also, kommst du heute Abend wieder?“, hackt sie weiter nach in der Hoffnung mehr aus mir herauszubekommen und vielleicht mal ein halbwegs vernünftiges Gespräch mit mir zu führen.
„Ja, aber ich weiß nicht wie spät es wird. Ich hab meine Schlüssel dabei, also brauchst du nicht zu warten wenn es später wird“, erkläre ich und nippe wieder an meinem Getränk.
„Du kannst ja mal anrufen und dich melden wenn du die Zeit findest“, sagt meine Mutter lediglich. Weitere Minuten vergehen und wir schweigen uns weiter an. Es ist nicht so, dass ich wegen irgendetwas sauer auf sie bin. Ich weiß nur nicht worüber ich mit ihr sprechen sollte. Klar, könnte ich ihr von Jake erzählen oder von seinen Eltern. Aber es kostet mich so viel Überwindung mich überhaupt mit ihr zu unterhalten. Nicht weil sie meine Mom ist,
so geht es mir mit allen Menschen, die zu viel wissen. Die über das alles Bescheid wissen was war. Deswegen meide ich so ziemlich alle meine alten Freundinnen, rufe keine an und verabrede mich wenn möglich auch nicht mehr mit ihnen. Es tut mir nur Leid, dass meine Ma deswegen leidet. Aber da kann ich ihr einfach nicht helfen. Noch nicht.
„Vielleicht stellst du mir diesen Jake bei Gelegenheit auch mal vor…“, murmelt meine Ma schließlich und ich nicke nach einer Weile.
„Wenn du möchtest. Ich sag ihm Bescheid“, entgegne ich schließlich und zwinge mich zu einem schwachen Lächeln. Dann kommt endlich das erlösende Klingeln, ich drücke meine Ma kurz, packe meine Tasche und verschwinde endlich aus diesem verfluchen Haus.
Dieses Haus, das zu viel weiß von mir, in dem ich zu viel mit Becks zusammen war, zu viel Freude hatte…
Wir fahren schon seit ungefähr zwei Stunden im Van von Jakes Eltern. Amy und Lukas sitzen ganz hinten und spielen Gameboy, während Jake und ich hinter Ann und Greg sind und über alles Mögliche mit ihnen reden. Die Straße scheint kein Ende zu nehmen, doch irgendwann verlässt der Van den Weg und fährt einen schmalen Weg bergauf. Mittlerweile kann ich grüne, weite Felder sowie Bäume und Sträucher sehen, wenn ich aus dem Fenster blicke.
Es ist halb zwölf, als Greg langsam bremst und den Motor ausstellt.
„Da sind wir also“, sagt er fröhlich und steigt aus dem Wagen. Ann steigt aus um die Kinder zu holen und auch Jake und ich verlassen daraufhin das Auto. Die Sonne brennt schonungslos auf uns herab und ich bin ziemlich erleichtert, dass ich mich heute früh für das hellblaue Sommerkleid entschieden habe. Auf dem Platz an dem wir angehalten haben, stehen bereits drei andere Autos. Nicht weit von uns entfernt befindet ein gewaltiges, hölzernes Haus.
Davor stehen bereits drei große Tische mit langen Bänken an allen Seiten. Ein schlaksiger Mann mit dunklen nach hinten gegellten Haaren kommt direkt auf uns zu und lächelt breit.
„Ich dachte schon ihr kommt heute gar nicht mehr!“, begrüßt er uns und drückt erstmal Ann an sich, ehe er die Kleinen begrüßt, Greg zunickt und sich dann an Jake und mich wendet.
„Jake, schön dass du’s dir noch überlegt hast. Wäre doch nur halb so lustig ohne dich“, sagt der Mann zu Jake und boxt ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Hi, ich bin Tim. Der Chef hier“, grinst Gregs Bruder und schüttelt mir kurz die Hand.
Jake verzieht peinlich berührt das Gesicht und schenkt mir einen Blick, der sagt: Ich hab’s dir doch gleich gesagt. Die sind alle durchgeknallt.
„Freut mich. Ich bin Lana“, begrüße ich ihn und lächle höflich.
„Hübsche Freundin hast du da, Jakiee“, flüstert Tim absichtlich zu laut und wendet sich dann ab. Jake stöhnt genervt und schenkt mir, wie so oft schon in letzter Zeit, einen entschuldigenden Blick, welchen ich wie immer lediglich abwinke. Wir gehen zusammen auf die Wiese rüber zu den aufgestellten Tischen und Jake stellt mir zwei seiner Omas, einen Opa, eine Tante und eine ältere Cousine vor. Irgendwann höre ich auf mir die Namen zu merken und nicke nur noch höflich, weil mich die vielen Familienmitglieder etwas überfordern.
Bald kommen noch zwei Autos, die auf dem Parkplatz halten. Das erste ist ein edler Zweisitzer. Jake erklärt mir, dass die Frau die den Wagen fährt die jüngere Schwester seines Vaters, Pam ist und der Mann daneben ihr fester Freund Jim. Diese Namen kann ich mir ziemlich gut merken, denn Pam und Jim sehen wirklich gut zusammen aus. Pam hat schwarze, unglaublich lange glänzende Haare und fast schon schwarze Augen und Jim, der mehr als gut gebaut und äußerst groß ist, sieht aus wie für Pam geschaffen. Schließlich reiße ich meinen Blick von diesem Traumpaar los und wende mich dem Kleinbus zu, aus welchem eine ganze Horde Jugendlicher herausspringt, die größtenteils in Jakes und meinem Alter zu sein scheinen. Anders als bei Pam und Jim, sagt Jake eine Weile nichts über sie. Irgendwann, kurz bevor sie uns erreichen, flüstert er mir zu es seien sein Cousin Brad, dessen Schwester und eine Menge Freunde von ihnen. Ich nicke nur und warte Jakes Reaktion ab, denn wenn ich mich richtig erinnere, hatte Greg mir doch erzählt dass Jake Ärger mit seinem Cousin hätte. Pam und Jim unterhalten sich nun mit Tim und Greg am Parkplatz und die Gruppe Jugendlicher erreicht uns schließlich. Ich merke ganz genau dass Jake enorm angespannt zu sein scheint, auch wenn er sich scheinbar bemüht sich nichts anmerken zu lassen…
Ein großer blonder Junge, mit auffällig hellen Augen bleibt vor uns stehen und sagt zuerst nichts. Ich achte genauer auf seine Augen, denn ich glaube sie schon einmal gesehen zu haben, aber da fällt mir ein dass auch Jake helle Augen hat und ein Blick zu ihm verrät mir,
dass seine Augen um einiges schöner sind. Jake bleibt eben Jake und für mich gibt es einfach nichts Besseres. Der Blonde schaut Jake grimmig an, doch dann fängt er an zu Grinsen und zerzaust Jake brüderlich das Haar.
„Jakiee! Mann, wieso meldest du dich so lange nicht bei mir?“, lacht er, doch Jake scheint immer noch ein wenig angespannt zu sein.
„Jaa, na ja ich hatte einfach viel zu tun“, murmelt er und richtet sich rasch wieder das Haar.
Dann scheint der Große mich erst richtig zu bemerken und mustert mich interessiert.
Einen Moment lang glaube ich zu sehen wie sich seine Augen überrascht weiten, dann wendet er sich etwas irritiert Jake zu. Dieser scheint schon mit dieser einfachen Situation überfordert zu sein und bleibt stumm stehen. Weil ich aber der aufkommenden peinlichen Stille entgegenwirken will, beschließe ich mich ihm einfach selbst vorzustellen.
„Hi, ich bin Lana“, sage ich also freundlich, doch es sagt immer noch niemand etwas.
Jetzt bin ich tatsächlich verwirrt und blicke von Jake zu dem Jungen, und glaube auch zu bemerken dass die beiden vielsagende Blicke austauschen, die ich aber nicht deuten kann. Schließlich wendet sich der Blonde an mich als wäre nichts gewesen und lächelt mich an.
„Hi, freut mich. Ich bin Brad, Jakes Cousin. Na ja, eigentlich auch sein mit Abstand charmantestes und wie du siehst auch attraktivstes Familienmitglied“, grinst Brad und er ist mir gleich genauso sympathisch wie der Rest der Familie. Ich verstehe ihren Humor und komischerweise finde ich ihre Witze tatsächlich lustig, auch wenn sie Jake scheinbar überaus peinlich zu sein scheinen.
„Hey Lana, ich bin Vicky. Die Schwester von dem Idioten hier“, lacht ein Mädchen mit langen, welligen braunen Haaren und ebenso klaren, blauen Augen wie Brad. Das muss also Jakes Cousine sein. Langsam werden es doch zu viele Namen. Ich werfe einen kurzen Blick hinter Brad und Vicky und lasse meinen Blick schweifen. Noch zwei Mädchen und drei Jungs. Wenn ich mir die ganzen Namen merken will, brauche ich wohl jetzt dringend irgendeine leistungsverstärkende Droge. Vicky scheint meinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet zu haben und schmunzelt.
„Das hier sind Laura und Angela und die drei Trottel da gehören zu Brad. David, Leo, Dean…“, zählt Vicky in Lichtgeschwindigkeit auf und ich nicke jetzt definitiv irritiert.
„Hey…“, murmle ich und blicke zu Jake. Dessen Anspannung scheint sich immer noch nicht gelegt zu haben, was ich nicht richtig nachvollziehen kann. Immerhin sind alle unglaublich freundlich, obwohl ich echt sagen muss dass mich die eben von Vicky aufgezählten Freunde etwas verwundert ansehen. Aber auch Vicky und Brad scheinen schwache Momente zu haben, in denen sie komische Blicke tauschen und mich verwundert mustern. Ich glaube es liegt an Jakes merkwürdig schlechter Laune und vielleicht auch daran, dass er mich zuvor noch nie vor seinen Freunden- ich denke es sind seine Freunde, denn trotz aller Anspannung wirken sie doch alle sehr vertraut- erwähnt hat.
„Oh, entschuldige Lana. Willst du vielleicht etwas trinken?“, fragt Jake und wirft mir einen beinahe flehenden Blick zu. Ich spüre dass ich bejahen sollte und tue ihm natürlich den Gefallen. Er nickt der Gruppe kurz zu und zieht mich rasch weg. Zuvor habe ich gar nicht bemerkt dass auch eine Art kleine Bar aufgestellt worden ist. Hinter der Bar steht Jim und macht sich selbst über eine Flasche Bier her. Jake klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter und er begrüßt uns. Nachdem wir uns offiziell bekannt gemacht haben, reicht er uns zwei Orangensäfte über den Tresen und Jake schlendert mit mir weiter weg vom Geschehen.
Wir setzten uns irgendwann auf das trockene Gras und nippen immer noch schweigend an unseren Orangensäften. Mir ist ziemlich heiß und deswegen tut der eisgekühlte Saft besonders gut. Jake beobachtet seine Verwandten und blickt dann hoch zum Himmel.
„Denk dir nichts wegen meiner angeschlagenen Laune. Es ist nur… ich hatte versucht ein wenig Abstand von Brad und den anderen zu nehmen. Die machen viel dummes Zeug… Ich habe viel Dummes gemacht und darauf bin ich nicht stolz“, sagt er schließlich und blickt weiter zum Himmel hinauf. Ich nicke und sehe dann auch hoch.
„Ich denke mir da aber nichts. Auch wenn du viel Dummes gemacht hast, ich denke es gibt nichts was ich dir übel nehmen könnte, Jake. Dazu bist du mir zu wichtig geworden. Ich vertraue dir!“
Jake blickt mich nun direkt an und öffnet den Mund um etwas zu sagen, schließt ihn dann auf meinen fragenden Blick hin wieder. Ich versuche seinen Gesichtsausdruck zu deuten, doch es gelingt mir einfach nicht. Mittlerweile weiß ich dass er mir etwas aus seiner Vergangenheit verschweigt und ich glaube auch zu wissen dass es etwas mit Brad und den anderen zu tun hat. Aber ich frage nicht nach, denn Jake fragt auch nicht nach dem was ich ihm verschweige.
„Weißt du Lana da gibt es doch etwas was du –“
„Heeey Jakieee, wie wär’s mit einer Runde Billiarde?“, ruft Brad und winkt grinsend. Ich warte ab ob Jake seinen Satz beendet und ganz kurz scheint sich in seinem Gesicht etwas zu regen. Es ist jedoch mehr als würde er plötzlich wieder aufwachen, denn er schüttelt kaum merklich den Kopf, dann steht er auf und hilft mir auf die Beine.
„Na komm, sieh zu wie ich Brad fertig mache“, lacht er und zieht mich mit sich mit.
„Ist doch viel besser so als mit den Jungs, was?“, kichert Vicky. Sie und ihre Freundinnen haben mich –unter Jakes skeptischen Blicken– wieder aus der Hütte gezogen. Wir setzen uns an einen der Holztische und Greg bringt uns Hotdogs und Cola. Es ist inzwischen fast sechs Uhr und die Sonne strahlt immer noch erbarmungslos auf uns herab. Die Mädchen bemühen sich zwar merklich darum mich bei guter Laune zu halten, doch ich fühle mich dennoch nicht richtig wohl. Normalerweise bin ich kein besonders gehemmter Mensch und komme gut und recht bald mit fremden Leuten klar, doch hier ist es anders. Zum einen stehe ich unter Druck, weil ich unbedingt will dass sie mich mögen, denn sie sind ja Jakes Freunde und Familie und zum anderen fühle ich mich fast schon von ihnen beobachtet. Manche ihrer Blicke sind einfach zu intensiv, man kann es einfach nicht richtig beschreiben, aber sie lösen ein äußerst unbehagliches Gefühl in mir aus. Außerdem bemerke ich nicht zu selten wie sich die Freundinnen hinter meinem Rücken Blicke zuwerfen, die ich wieder nicht deuten kann.
Nach ungefähr 20 Minuten, etlichen oberflächlichen Gesprächsversuchen und unzähligen heimlich ausgetauschten Blicken wird mir das Ganze doch zu anstrengend und ich finde auch sogleich eine Ausrede die Mädchen kurz zu verlassen.
„Oh, ich habe meine Tasche in der Hütte gelassen. Ich hole sie besser mal, bevor ich es später wieder vergesse“, erkläre ich sogar wahrheitsgemäß. Die Mädchen nicken und ich stehe rasch auf um wieder in die Hütte zu Jake zu flüchten. Ich spüre ihr Blicke auf mir haften, während ich den Tisch verlasse und in Richtung Hütte flüchte. Die Tür steht weit offen und ich betrete das Haus rasch um ihren Blicken schnellstmöglich zu entkommen.
„Jetzt reiß dich mal zusammen! Na und dann ist es dir eben plötzlich aufgefallen. Was willst du tun? Die Sache beenden? Jake, wir alle haben ein schlechtes Gewissen wegen dieser Nacht. Denkst du das geht einfach so an uns vorbei? Meldest du dich deswegen nicht mehr? Bist du etwa wütend auf uns?“
Es tritt eine kurze Pause ein. Ich bin mir sicher gerade Brad sprechen gehört zu haben.
„Ja und? Was ist so verkehrt daran? Verdammt, dieser Abend wird mich immer verfolgen. Wir sind schuld daran! Wir hätten aufpassen müssen, du hättest nicht –“, höre ich Jakes aufgebrachte, fast schon vor Wut zitternde Stimme, doch Brad fällt ihm ins Wort.
„Du warst auch dabei! Wir waren alle da, also gib ja nicht mir die Schuld! Wage es nicht, dass auf mich zu schieben nur weil es für dein Gewissen leichter ist. Für sie vielleicht leichter sein wird“, höre ich ihn benahe schreien und wohl mit der Faust oder sonst etwas auf den Billiardetisch schlagen. Stille. Jake seufzt laut.
„Tut mir Leid, Mann. Wir waren alle da, du hast recht. Nur, ich weiß nicht wie ich es ihr erklären soll. Wenn das rauskommt war’s das! Das darf nicht passieren, verstehst du? Das wird sie mir niemals- Das darf nicht –“, erkenne ich wieder Jakes nun hörbar verzweifelte Stimme. Ich will das Gespräch nicht unterbrechen, doch mittlerweile macht mir das was Jake und Brad sagen etwas Angst.
„Das wird es auch nicht. Jake, wir haben keine Schuld! Es war ein Unfall. Das weißt du auch. Wenn ich es rückgängig machen könnte – Ich würde einfach alles dafür geben! Meinst du ich kann noch schlafen? Aber es bringt nichts, wenn du dich von uns abwendest. Wir sind deine Freunde, deine Familie. Das Ganze ist vorbei und wir können nichts daran ändern“, redet Brad auf Jake ein. Es folgt wieder Stille.
„Wieso ist mir nicht von Anfang an klar gewesen, wer sie ist?“, murmelt Jake nun und ich habe die üble Befürchtung, er könnte damit mich meinen.
„Sei mal ehrlich: Hätte das etwas geändert?“ Erneute Stille und auch ich halte nun die Luft an.
„Nein, hätte es nicht“, gibt Jake scheinbar schweren Herzens zu. Es wird wieder leise in dem Raum, dann ergreift Jake wieder das Wort.
„Ich sollte mal nach ihr sehen. Ich will nicht wissen, was Vicky da verzapft.“
Ich erstarre augenblicklich. Wenn er mich hier jetzt sieht! Dann denkt er ich spioniere ihm hinterher! Was ich eigentlich auch irgendwie tue… Ich höre Schritte, drehe mich also rasch um und renne den Flur entlang wieder hinaus zu den Bänken. Ich setzte mich völlig außer Puste erneut an Vickys Tisch und hole tief Luft. Die Mädchen mustern mich neugierig.
„Hast du deine Tasche nicht gefunden?“, fragt Vicky und zieht die Augenbraun erstaunt hoch.
Verdammt! Die Tasche habe ich ganz vergessen.
„Ach so, ja ich… ich –“, stottere ich, doch zu meinem Glück haben Jake und die anderen uns bereits erreicht und setzten sich zu uns. Jake rückt neben mich und legt mir einen seiner kräftigen Arme um die Schultern. Perfektes Timing. Also Themawechsel!
„Und wer von euch hat gewonnen?“, frage ich und weiche Vickys skeptischen Blicken aus. Jake und Brad scheinen etwas irritiert über diese Frage zu sein und zögern beide auffällig lange. Natürlich, sie haben ja über dieses Geheimnis diskutiert statt zu spielen.
„Na ich natürlich!“, lacht jetzt Brad auffällig laut und zwinkert Jake zu. Der lässt sich die Lüge gefallen, da er sichtlich lieber das Thema wechseln will.
„Und was habt ihr hier so gemacht?“, fragte Jake also und Vicky ergreift gleich das Wort.
„Was Mädels eben so machen. Lana war grad in der Hütte um ihre Tasche zu holen, aber… Sie hat sie nicht gefunden?“, wendet sie sich nun fragend an mich. Ich bemerke wie Brad erstarrt und mich mustert. Genauso wie Jake. War ja klar. Na vielen Dank…Am liebsten würde ich Vicky für den überflüssigen Kommentar wütend anfunkeln, oder etwas bissiges entgegnen, aber ich darf mir nichts anmerken lassen also versuche ich möglichst ruhig und gelassen auszusehen.
„Ja stimmt, aber ich hab’s mir auf dem Weg doch anders überlegt. Besser die Tasche bleibt drinnen, bevor ich sie hier draußen noch irgendwie verliere wenn es dunkel wird“, rede ich mich raus, aber den Blicken der anderen zu urteilen war das wohl eher eine schwache Leistung. Ich lasse mich dennoch nicht beirren und wende mich wieder ganz Jake zu, der immer noch mehr als beunruhigt aussieht.
„Willst du mir vielleicht zeigen, wo das Bad ist?“
Jake nickt automatisch und steht augenblicklich auf. Ich glaube auch er ist froh einfach mal von allen wegzukommen. Wir gehen schweigend nebeneinander zur Hütte und Jake führt mich eine breite Holztreppe hoch ins zweite Stockwerk. Er lehnt sich nun erschöpft an der Wand an und deutet auf die Tür vor sich. Das Bad. Ich blicke ihn an, doch er sieht an mir vorbei. Er steht direkt vor mir, doch in diesem Moment ist er ganz weit entfernt. Mit einem Mal überkommt mich mein schlechtes Gewissen. Ich fühle mich egoistisch und hinterhältig. Niemals hätte ich seinen Eltern helfen sollen ihn hierher zu holen. Ich weiß jetzt ganz sicher dass es etwas aus seiner Vergangenheit gibt, was ihn zutiefst belastet, ihn nicht schlafen lässt.
Genauso wie es etwas in meiner Vergangenheit gibt. Doch während ich einfach verdränge und davonlaufe, zwinge ich ihn gleichzeitig sich seiner Vergangenheit zu stellen. Wie grausam ich doch bin…Das ist einfach nicht fair. Ich sehe wie er kämpft und sich windet, doch er kann seine Trauer nicht vor mir verbergen. Ich weiß ich kann ihm nicht helfen, genauso wie er mir nicht richtig helfen kann, doch anstatt dass ich ihm entgegenkomme, bringe ich ihn nur in Situationen die ihm das Leben erschweren. Jake sieht immer noch an mir vorbei.
„Es tut mir Leid, Jake“, stammle ich und drücke mich an ihn. Mein Kopf liegt an seiner Schulter und ich spüre ihn gleichmäßig atmen. Langsam scheint er wieder zu sich zu finden und aus seinen Gedanken aufzutauchen, denn nun streicht er mir sanft über die Schulterblätter und den Rücken.
„Was tut dir Leid?“, flüstert er durch mein Haar hindurch.
„Ich hab es dir angesehen. Ich wusste du wolltest heute nicht kommen und doch habe ich dir keine Wahl gelassen. Das tut mir Leid“, gebe ich zu und warte seine Reaktion ab. Zuerst passiert nichts, dann umfassen seine starken Hände meine Arme und drücken mich ein kleines Stück von sich weg. Er sieht mir direkt in die Augen und ich glaube, würde er mich nicht so fest halten, wäre ich aufgrund meiner wackligen Beine längst gefallen.
„Du gibst doch nicht etwa dir die Schuld? Lana, denk nicht daran dich schuldig zu fühlen. Wenn es jemanden gibt der nichts dafür kann, dann doch wohl dich!“, sagt er nun einen Tick zu energisch und sieht mir dabei so tief in die Augen, dass ich das Gefühl nicht loswerde er meint mit dieser Aussage weniger das Familienfest. Auch er scheint sich der Intensität seiner Worte und seines Ausdrucks nun bewusst zu werden und lockert gleich darauf seinen festen Griff um meine Arme.
„Okay“, ist alles was mir dazu noch einfällt und ich lasse mich wieder von ihm in die Arme schließen. Er hebt meinen Kopf sanft an und küsst mich. Ich erwidere den Kuss und doch spüre ich deutlich dass da mehr dahinter steckt. In diesem Kuss steckt so viel mehr. Man könnte meinen es sei eine Entschuldigung für irgendetwas, ich weiß nur nicht für was. Ich spüre seinen Kummer und kann ihm nicht standhalten. Er scheint das aus einem mir unbegreiflichen Grund zu realisieren und hört auf mich zu küssen. Doch er weicht nicht zurück, so dass ich deutlich seinen gleichmäßigen Atem vernehmen kann. Wir stehen noch eine Weile schweigend so da, ehe wir beschließen wieder runter zu gehen. Jake ist natürlich klar gewesen, dass die Frage nach dem Badezimmer nur als Ausrede gedacht war.
Draußen ist die ganze Familie verteilt, manche essen andere albern einfach rum und wenige sitzen ruhig da und genießen die Atmosphäre. Jake geht mit mir zur Bar, wir holen uns noch zwei Orangensäfte und setzten uns dann ein Stück weiter entfernt vom Geschehen auf die Wiese. Es fängt allmählich an zu dämmern, aber es ist immer noch unglaublich warm draußen. Brad und die anderen haben uns bereits gesehen und uns zu sich rüber gewunken, doch wir wollen ihnen lieber fernbleiben. Jake will es so und ich will was Jake will.
Den Rest des Abends verbringen Jake und ich weiterhin auf der Wiese sitzend, reden über unser Leben, lassen aber beide gewisse Aspekte weg, hin und wieder schweigen wir einfach und sehen zu den Sternen. Gegen elf Uhr kommt Greg vorbei und meint wir wollen langsam aufbrechen, weil die Kleinen schon halb schlafen und es auch so Zeit sei. Also machen wir uns daran uns von allen Leuten zu verabschieden, was echt dauert. Wir heben uns Brad und die anderen bewusst oder auch nicht, bis zum Schluss auf. Brad drückt mich kurz und murmelt etwas von wegen man würde sich bestimmt bald wieder sehen, Vicky kommt auch um uns Aufwiedersehn zu sagen. Die anderen winken uns zum Abschied und schon bald sitzen wir im Auto auf dem Weg nach Hause. Die Fahrt verläuft überwiegend stillschweigend, was mir nichts ausmacht. Die Müdigkeit überkommt mich, ich lege meinen Kopf an Jakes linker Schulter ab und wir beide dösen für den Rest der Fahrt.
KAPITEL 9.
„Hallo Lana, komm doch rein. Jake ist kurz im Lager“, winkt Ann mir zu, während ich das Mekky betrete. Es ist halb eins und das Café ist mehr als überfüllt. Ich gehe zum Tresen und beobachte Ann dabei wie sie von einer Bestellung zur nächsten eilt. Ein Junge, der ein oder zwei Jahre jünger als ich zu sein scheint, steht hinter dem Tresen und macht einen Kaffee nach dem anderen. Er ist nicht besonders groß, etwas schlaksig und hat dunkle, mittellange Locken, die ihm leicht ins Gesicht fallen.
„Hey, ich bin Benny. Du musst Jakes Freundin sein“, lächelt er mich über den Tresen hinweg an. Ich gehe zu ihm hinüber.
„Hi. Ja, ich bin Lana“, antworte ich, lasse aber weiterhin den Blick schweifen. „Ist ja ganz schön viel los heute.“ Benny sieht auf und schüttelt lachend den Kopf.
„Neeein, das ist noch nichts. So in einer Stunde wird es richtig voll, da kommen die ganzen Geschäftsleute aus ihren Büros im Gebäude gegenüber um Pause zu machen“, lacht Benny und reicht Ann die gerade angeeilt kommt, zwei Tassen Kaffee.
„Sag, mal Lana macht’s dir was aus die Muffins hier und die zwei Tassen Kaffee zu dem Tisch da drüben zu bringen. Ann ist grade beschäftigt und das Pärchen dort sieht irgendwie leicht unzufrieden aus“, murmelt Benny während Ann davonbraust und deutet auf einen der Tische weiter hinten im Café. Ich bin zwar etwas irritiert, lege aber gleich meine Tasche hinter dem Tresen ab und nehme die Bestellung mit zu dem Tisch. Ich nähere mich dem Paar und setzte ein freundliches Lächeln auf. Der große, bullige Mann sieht tatsächlich etwas mürrisch aus als ich am Tisch ankomme. Die Frau blickt gelangweilt aus dem Fenster nach draußen. Oh je, das Date scheint wohl nicht besonders zu laufen.
„Entschuldigung wenn es heute etwas länger gedauert hat. Ist ganz schön voll heute. Aber dafür schmecken ihre Muffins deutlich besser als alle anderen“, scherze ich und der Mann muss schmunzeln. Ich glaube zwar das war nicht eine meiner besten Leistungen, aber er scheint besänftigt zu sein. Ich stelle die zwei Tassen und die Teller mit den Muffins ab.
„Kann ich ihnen vielleicht noch etwas bringen?“, frage ich höflich.
„Nein danke, aber wenn die Muffins nicht tatsächlich besser schmecken als alle anderen hier dann werde ich mich beschweren“, lacht er laut und ich verlasse den Tisch wieder.
„Danke, Lana“, meint Benny als ich wieder zurückkomme.
„Na komm, ich übernehme noch ein paar Tische bis Jake da ist“, biete ich an und Benny nickt dankbar. „Danke. Die da drüben warten auf ihre heiße Schokolade.“
Ich mache mich also wieder auf den Weg, setzte mein freundliches Lächeln auf und bediene ein bisschen. Ann lacht als sie mich mit einigen Tassen Kaffee vorbeilaufen sieht und geht wohl zu Benny um ihn zu fragen was das alles zu bedeuten hat. Eigentlich mache ich meine Arbeit gar nicht mal so schlecht. Die Leute scheinen zufrieden und ich selbst finde es ganz lustig ein wenig zu kellnern.
„Lana?! Mom, was macht Lana da mit den Bestellungen?“, höre ich Jake verwirrt fragen, der wahrscheinlich eben aus dem Lager zurückgekehrt ist.
„Sie bedient ein wenig“, lacht Ann und ich komme wieder zum Tresen zurück. Jake sieht ein wenig verwirrt aus, lacht aber schließlich.
„Lana, du machst das im Übrigen ganz schön gut! Ein Mann hat mir beim Abrechnen Trinkgeld mitgegeben und ausdrücklich gesagt es sei für dich bestimmt. Ich soll dir sagen, sein Muffin war tatsächlich besser…“, lacht Ann und hält mir das Trinkgeld hin. Lachend nehme ich es an und sehe mich nach dem bulligen Mann und seinem Date um, aber sie haben das Café wohl bereits verlassen.
„Ja, Lana ist ein Naturtalent“, stimmt Benny Ann eifrig zu.
„Also, wenn du Lust hast mit einzusteigen? Ich hätte noch eine Nebenjobstelle zu vergeben“, sagt Ann und scheint das tatsächlich ernst zu meinen. Es kommt ein wenig unerwartet und ich muss lachen, doch dann bemerke ich dass es tatsächlich kein Scherz war und überlege kurz.
„Ähm ja. Wieso eigentlich nicht?“, sage ich und blicke fragend Jake an, um seine Reaktion abzuwägen. Er scheint die ganze Sache ganz gelassen zu sehen.
„Gut, du kannst ab morgen anfangen wenn du willst. In den Ferien ist immer unglaublich viel los“, erklärt Ann und ich nicke zustimmend.
„Du würdest dann von 11 bis 6 arbeiten. An welchen Tagen passt es dir denn am besten?“
„Na ja, ich bin eigentlich die ganze Zeit da“, entgegne ich und Ann nickt zufrieden.
„Na dann komm während der Ferien einfach immer und wenn du irgendwann nicht kannst, sagst du einfach vorher Bescheid. Wir rechnen übrigens immer Ende des Monats ab. Sind 9 Euro die Stunde okay?“
„Ja ja, natürlich. Dann sehn wir uns morgen um 11?“, lächle ich und Ann nickt.
„Ciao Mom. Benny“, verabschiedet sich Jake.
„Bis morgen Ann. Ciao Benny“, rufe ich, während Jake mich aus dem Café zieht.
„Also ich weiß ja nicht was ich davon halten soll dass du jetzt im Mekky arbeitest“, lacht Jake, während wir auf der gewohnten Bank im Stadtpark sitzen und auf den See hinausstarren. Die Sonne strahlt in vollen Zügen und ich schließe die Augen.
„Wieso?“
„Na weil du dann viel zu wenig Zeit für mich haben wirst“, meinst Jake und ich kann sein Grinsen sogar durch meine geschlossenen Augen hindurch erkennen.
„Du kannst ja mal kommen und einen Kaffee bestellen“, lache ich.
„Nein, wenn dann einen Orangensaft“, erwidert Jake und wir schweigen wieder. Ich genieße es so sehr mit ihm auf dieser, mittlerweile für mich höchst bedeutungsvollen, Bank zu sitzen. Im Park ist heute viel los. Alle nutzen das gute Wetter, gehen spazieren, bräunen sich oder schwimmen im erfrischend kühlen See.
„Kann ich dich etwas fragen?“, unterbricht Jake nun die Stille und ich bejahe damit er fortfährt. „Wenn es da etwas gäbe? Etwas aus deiner Vergangenheit auf was du nicht stolz wärst. Etwas was dich fürchterlich mitnimmt, dich nicht schlafen lässt. Eine Sache die passiert ist und für die du verantwortlich bist, oder eben dich dafür verantwortlich machst. Würdest du dich dieser Sache stellen wenn du könntest, oder würdest du es darauf beruhen lassen weil es vergangen ist? Würdest du es einfach verdrängen und hoffen dass irgendwann Gras über die Sache wächst, oder würdest du darüber reden wollen?“ Ich öffne nun die Augen und blicke ihn skeptisch von der Seite aus an. Er weiß doch nicht etwa Bescheid? Redet er da über mich? Darüber wie ich mich seit diesem einen Abend verhalte? Kurze Zeit sage ich nichts, sondern beobachte ihn weiterhin. Er sieht mich nicht an. Er hat gar nicht erst bemerkt dass ich ihn beobachte. Vielmehr starrt er wie in Trance auf den See hinaus, fast so als würde er hoffen dort Antworten auf seine Fragen zu finden. Nein, hier geht es nicht um mich. Nicht um meine Geschichte. Nicht um meine Schuldgefühle, sondern um seine. Ich versuche ehrlich zu antworten, weil ich das so auch von ihm erwarten würde. Ehrlichkeit.
„Das alles gehört der Vergangenheit an? Es ist geschehen, ja!?“, hacke ich nach.
„Ja“, murmelt Jake und wartet darauf dass ich mehr sage.
„Es ist vergangen und man kann nichts mehr daran ändern. Es betrifft schließlich nicht mehr dein zukünftiges Leben. Ich glaube es ist besser es für sich zu behalten, denn wenn es so schwer ist, wieso sollte man sich daran erinnern? Wieso es noch einmal durchmachen? Natürlich bleiben die Schuldgefühle, daran wird sich bestimmt nichts ändern. Vielleicht habe ich auch Unrecht, aber ich bin der Typ Mensch der von Haus aus lieber verdrängt. Man sollte für sich selbst eine Lösung finden mit der es sich leben lässt…“, antworte ich und merke wie Jake nun aufblickt und mich intensiv betrachtet. Er sieht mich so an, wie ich ihn wohl vorher angesehen habe. Als ob er nicht genau wüsste, ob es nun um seine Vergangenheit geht oder um meine.
„Verdrängen also… Lana, ich glaube wir machen da zwar was falsch aber trotzdem… So lange man damit leben kann, was!?“ Ich antworte nicht, denn ich weiß das war eine rethorische Frage. Er erwartet keine Antwort von mir, denn er weiß ich bin seiner Meinung. Dennoch stutze ich etwas denn mir wird klar dass er gerade wir gesagt hat. Er weiß also auch dass ich ihm etwas verheimliche. Eigentlich sollte ich mich nicht wundern, denn wenn ich merke dass er mir etwas verschweigt, was ist dann so sonderbar daran dass er das auch bei mir merkt!? Und trotzdem ist es irgendwie merkwürdig sich dessen klar zu werden. Wir sitzen weiter schweigend da, blicken auf den See und lassen die Zeit einfach an uns vorbeirauschen. Die Sonne beginnt bald unterzugehen und als ich anfange leicht zu frösteln, rührt sich Jake wieder.
„Lass uns gehen. Es wird kalt. Wir wollen doch nicht dass du morgen an deinem ersten Arbeitstag krank bist“, lacht er nun wieder sein unbeschwertes Lachen und meine Laune steigt rapide an. Wir stehen auf, ich hacke mich bei ihm ein und wir gehen den Weg entlang zum Busbahnhof. Es sind kaum noch Leute im Park, nur noch vereinzelte Paare und ein paar Jogger. Jake meint, er würde morgen auch im Café helfen und danach könnten wir etwas unternehmen.
Als wir am Busbahnhof ankommen erblicke ich jemanden nicht weit von uns entfernt. Die Person kommt mir zwar bekannt vor, doch ich erkenne sich nicht richtig, denn sie ist noch zu weit entfernt. Doch sie scheint mich auch gesehen zu haben und kommt langsam auf uns zu. Mit jedem Schritt werden die Gesichtszüge deutlicher. Mike!? Becks Exfreund Mike? Der Mike der ihr immerzu hinterhergedackelt ist… Das ist eindeutig Mike, der da auf uns zukommt und er scheint auch mich erkannt zu haben. Er sieht älter aus. Er wirkt irgendwie müde. Ausgelaugt. Das letzte Mal als ich ihn gesehen habe war… war an jenem Abend.
Endlich bin ich zu Hause. Meine Mutter schläft bereits und ich bin so müde, dass ich es ihr sofort gleichtun will. Ich stampfe, immer noch mit der Enttäuschung wegen Becks im Magen, hinauf in mein Zimmer und ziehe mich rasch um. Dann gehe ich ins Bad, putze mir die Zähne und schminke mich ab. Ich versuche einfach nicht mehr an diesen Abend zu denken und die Aussicht auf mein warmes, kuscheliges Bett hilft mir tatsächlich wesentlich dabei. Ich weiß nicht wie lange ich im Bett liege, aber ich kann einfach nicht einschlafen. Irgendetwas plagt mich. Nicht nur das mich der Streit mit Becks belastet, ich habe ein komisches Gefühl welches ich gar nicht richtig beschreiben kann. Ich hätte sie nicht alleine mit diesen Jungen lassen sollen, ich hätte dort bleiben müssen. Ich hätte nachgeben sollen. Nein, ich gebe immer nach! Ich kneife die Augen fest zusammen und drehe mich trotzig der Wand zu. Einfach schlafen! Gerade als ich halbwegs döse, dröhnt es auf dem Nachttisch neben mir. Ich erkenne aus meinem Halbschlaf hinaus den Klingelton meines Handys. Ich setzte mich erschöpft auf und streiche mein langes Haar zurück. Dann greife ich träge zu meinem Handy und blicke auf dessen Display. Es ist halb 3 und Becks Name leuchtet auf. War ja klar, wahrscheinlich hat sie sich von den Kerlen verabschiedet und weiß jetzt nicht wo sie schlafen soll. Einen kurzen Moment überlege ich ob ich überhaupt rangehen soll. Soll sie doch sehn was sie vom Streit hatte! Und doch ist sie meine beste Freundin, also werde ich wie immer nachgeben und sie natürlich bei mir schlafen lassen.
„Hey, na wieder ausgenüchtert?“, frage ich in den Hörer und gebe mir äußerst viel Mühe so angenervt wie möglich zu klingen.
„Lana? Bist du dran?“, höre ich eine Stimme schreien und bin etwas verwirrt.
„Jaa, wer ist da? Soll das jetzt etwa so was wie ein Scherz sein? Find ich absolut nicht komisch. Lass mich mal mit Becks sprechen, wer immer da dran ist“, entgegne ich wütend und bin mir fast sicher mit dem großen, blonden von vorhin zu sprechen. Ich überlege einfach auszulegen. Solche Aktionen sind mir echt zu blöd.
„Lana! Nein, warte – Kein Scherz! Hier spricht Mike“, schreit es mir wieder entgegen.
Jetzt bin ich doch überrascht. Wieso ruft Mike mich von Becks Handy aus an, wo die doch mit anderen unterwegs war?
„Mike? Wo hast du Becks Handy her? Wo ist sie?“, rufe ich nun etwas besorgt.
„Sie ist hier! Aber sie ist total durchgedreht. Ich hab ihr Handy genommen, um dich schnell anzurufen! Komm bitte her und bring sie nach Hause“, ruft er verzweifelt zurück aber ich höre ihn kaum so laut ist es an der anderen Leitung.
„Mike, wieso ist es so laut?“, rufe ich zurück.
„Waaas? Ich höre dich nicht! Hier ist so viel Verkehr! Wir sind an dieser Hauptstraße ungefähr 10 Minuten vom Club entfernt“, schreit er.
„Wieso bitte gehst du mit ihr an die meistbefahrene Straße in der Umgebung, wenn sie in diesem Zustand ist?“, rufe ich empört zurück.
„Was meinst du? Hey Moment! Wo geht ihr hin? Seit ihr verrückt nicht über die Straße!“, brüllt Mike und ich weiß sofort dass das nicht an mich gerichtet ist.
„Was ist da los Mike?“, frage ich beängstigt, doch er antwortet mir nicht.
„Bleibt hier! Sie rennt euch doch nur wieder hinterher. Becks, hör mir zu. Du gehst da nicht mit, Lana kommt gleich und holt dich“, vernehme ich ganz leise Mikes Stimme.
„Mike, gib sie mir mal ich rede mit ihr“, meine ich, doch er scheint mich nicht zu hören.
„Becks bleib hier! Da sind so viele Autos! Becks ich meine das ernst bleib– Beeecks!“, höre ich Mike auf einmal schreien. Dann folgt ein Knall. Es rauscht. Das Handy ist wohl zu Boden gefallen. Es folgt eine Art Tröten. Ich erstarre. Es sind keine Tröten, das sind Hupen. Und dann höre ich nichts mehr außer dem Rauschen. Langsam lasse ich das Handy von meinem Ohr gleiten. Es fällt auf den Boden. Ich bin wie erstarrt, kann mich nicht bewegen. Es fühlt sich an wie eine Lähmung und auch mein Kopf schaltet jetzt ab. Stille.
Plötzlich bin ich wieder da! Meine Beine bewegen sich rasch Richtung Tür. Sie geht noch auf bevor ich sie erreiche. Meine Mutter steht vor mir und sieht mich neugierig an.
„Ich habe dich rufen gehört. Was ist los?“, fragt sie und gähnt.
„Becks…“, murmle ich nur und sie zieht fragend die Augenbrauen hoch. Sie will noch etwas sagen doch ich gehe einfach an ihr vorbei und dann fange ich an zu rennen. Ich renne die Treppen runter und stolpere dabei einige Male über meine eigenen Beine, doch ich falle nicht. Hinter mir höre ich meine Mutter schreien, aber ich verstehe die Worte nicht. Ich renne aus dem Haus und weiter die Straße entlang. Es regnet. Es regnet in Strömen. Doch ich renne trotzdem weiter. Ich hätte nie ohne sie gehen dürfen! Wenn nur etwas mit ihr passiert ist? Wenn ich zu spät komme? Ich versuche die Gedanken zu verdrängen. Bemühe mich weiter zu rennen. Aber ich war noch nie eine begnadete Läuferin. Ich kriege Seitenstechen und versuche durch die Schmerzen hinweg zu rennen, aber ich bin doch nur wieder zu schwach. Ich kriege kaum noch Luft und werde folglich immer langsamer. Trotzdem zwinge ich mich dazu irgendwie schnell weiter zu gehen. Es kann nicht mehr weit sein. Der Regen prasselt immer noch erbarmungslos auf mich herab. Ich spüre meinen Körper nicht mehr. Dann erfasst mich wieder die Angst und ich renne wieder los. Ich schalte die Schmerzen nun einfach ab, verdränge sie und renne so schnell wie noch nie in meinem Leben. Bald erkenne ich vor mir die Hauptstraße von der aus Mike mich angerufen haben muss. Ich beschleunige noch ein letztes Mal und schon bin ich angekommen. Ich halte abrupt an und sehe mich hektisch um. Da ist Mike, doch er sieht mich nicht. Er läuft hin und her, hält sich den Kopf und jammert. Weint er etwa? Jetzt schaudere ich erst recht. Ich werde aufmerksamer und bemerke direkt hinter Mike einen Kleinbus. Die Fahrertür ist weit aufgeschwungen. Der Wagen steht verdreht mitten auf der Straße. Ich renne auf Mike zu und er erkennt mich gleich. Er weint. Seine nassen Sachen kleben ihm an der Haut und er zittert. „Mike, was –“, bringe ich noch heraus, doch als er sich wegdreht und auf die Straße starrt, breche ich ab. Ich folge seinem Blick. Da ist noch jemand. Mitten auf der Straße vor dem Kleinbus kauert eine große Person. Ich trete näher heran und erblicke einen älteren Mann auf der Straße knien. Und unter ihm scheint noch jemand zu sein. Zuerst kann ich mich keinen Millimeter bewegen. Ich suche Mikes Blick, doch als er sich mir zuwendet wünsche ich mir ich hätte es nicht getan. Seine Augen, sein vor Schmerz verzogener Mund sagen alles. Ich stürze auf die Straße und gehe neben dem Mann auf die Knie. Becks. Es ist Becks die da vor mir auf der Straße liegt. Die nassen Haare im Gesicht. Mit zitternden Händen streiche ich ihr einige Strähnen von der Stirn. Erschrocken blicke ich auf meine Hände. Sie sind blutverschmiert. Sie blutet! Ihr Kopf blutet.
„Beeecks! Becks, sieh mich an!“, schreie ich und Tränen laufen mir über die Wangen und vermischen sich mit dem Regen. Becks zittert. Ich glaube sie versucht sich zu rühren, doch sie schafft es nicht. Ich weiß dass sie mich versteht, dass sie mich noch hören kann. Ihre Augen sind geschlossen. „Becks, halt durch. Wir schaffen das. Sie zittert! Ihr ist kalt!“, schreie ich ins Nichts hinein. Mike heult hinter mir auf, doch ich kann mich nicht dazu überwinden ihn noch einmal anzusehen. „Ich habe sie nicht gesehen. Ich bin gefahren wie immer. Da war nichts, doch ganz plötzlich ist sie da gewesen. Sie ist einfach vor mir über die Straße gerannt“, verteidigt sich der Mann neben mir, doch ich kann mich nicht auf seine Worte konzentrieren. Ich sehe nur Becks an. „Der Krankenwagen kommt gleich! Ich hab sofort angerufen“, redet der Mann weiter. Hinter mir sinkt Mike zu Boden und schluchzt. Ich muss stark bleiben, damit Becks das auch schafft und keine Angst hat bis der Krankenwagen kommt und sie rettet.
„Der Arzt kommt sofort, Becks. Halt nur ein bisschen durch“, rede ich auf sie ein, doch sie regt sich nicht. Ich nehme ihre Hand und streiche drüber. Keine Sirenen. Der Krankenwagen kommt einfach nicht. Er wird nicht rechtzeitig kommen. Das wird mir jetzt klar. Ich beginne die Situation zu begreifen und stürze in ein tiefes schwarzes Loch. Ich drücke ihre Hand, sie soll wissen dass ich bei ihr bin. Es ist alles meine Schuld. Ich bin Schuld an allem.
„Es tut mir so Leid! Es tut mir Leid, ich hätte bei dir bleiben sollen! Es tut mir so Leid, Becks! Es ist alles meine Schuld. Entschuldige bitte! Ich… ich wollte das alles nicht!“, weine und schreie ich, doch sie hört mich nicht. Sie weiß nicht wie sehr mir alles Leid tut. Sie wird es nie erfahren. Plötzlich spüre ich wie sie sich regt. Ganz leicht nur, aber ich merke es. Sie wendet mir den Kopf zu und ich spüre wie sehr es schmerzt. Ihr Gesicht ist vor Schmerzen verzehrt.
„Ganz ruhig. Beweg dich nicht, Becks“, rede ich flennend auf sie ein, doch sie bleibt stur wie immer. Sie sieht mich nun durch ihre dunklen Augen an und ich spüre dass auch sie ganz leicht meine Hand drückt. Ich kann nichts mehr sagen, ich sitze nur schluchzend neben ihr. Sie öffnet mit viel Mühe den Mund und will etwas hervorbringen, doch sie schafft es nicht. Sie ist zu schwach. Ihre Kräfte reichen nicht mehr aus. Sie schließt also wieder den Mund und lächelt mich stumm an. Sie lächelt ihre Schmerzen weg und lässt den Blick auch nicht mehr von mir ab. Die Sirenen ertönen im Hintergrund, aber sie sind noch zu weit weg. Sie schaffen es nicht mehr. Der Krankenwagen kommt zu spät. Genauso wie ich. Becks Augen fallen zu, nur ihr Lächeln bleibt. „Nein! Neeein Becks, lass mich nicht alleine! Lass mich hier nicht alleine zurück, Becks! Halt durch! Es tut mir so Leid, bitte verzeih mir!“, schreie ich, doch ich weiß dass sie nichts mehr davon wahrnimmt, von dem was ich ihr noch zu sagen habe. Sie hat mich verlassen, mich allein gelassen, mich zurückgelassen in einer Welt in der nur sie mich richtig verstanden hat. Und das alles ist nur meine Schuld. Ich bin Schuld dass meine beste Freundin, meine Schwester, meine Familie gestorben ist.
Ich schließe sie in meine Arme und lege mich neben sie. Ich höre auf zu denken. Ich blende die immer näher kommenden Sirenen aus und erstarre in diesem Zustand der Stille und Leere.
Es ist vorbei. Jetzt ist alles vorbei. Ich glaube es vergeht nicht viel Zeit, doch dann nehme ich verschwommen wahr, wie Becks aus meinen Armen gleitet und auf eine Trage gehievt wird. Irgendjemand redet auf mich ein, untersucht mich doch ich höre nichts und kann auch nichts sagen. Ich sehe noch ein letztes Mal zu Becks. Sie liegt auf einer weißen Trage und ihr Gesicht ist mir zugewandt. Das ist das letzte Mal dass ich sie sehe. Sie lächelt immer noch.
Mike steht mir nun unmittelbar gegenüber. Er mustert mich schweigend und ich selbst weiß auch nicht wie ich mich zu verhalten habe. Er weiß eben Bescheid. Und es tut weh mit Menschen die Bescheid wissen, zusammen zu sein. Und doch ist es bei Mike anders. Er weiß es zwar, aber er war auch dabei. Er hat es gesehen, er ist fast so wie ich. Aber nur fast. Denn er ist nicht zu spät gekommen, er hat sie nicht allein gelassen, er hat keine Schuld. Er ist nicht derjenige der für diese Katastrophe verantwortlich ist.
„Hey Mike“, begrüße ich ihn also und blicke ihn nun direkt an. Auch er scheint nicht zu wissen wie er sich verhalten soll. Er hat sich so verändert, seit jenem Abend. Als hätte sich eine unsichtbare Narbe schmerzlich über sein Gesicht gezogen. Er hat müde Augen, schlaffe Gesichtszüge und unübersehbar dunkle Augenringe. Als wäre seit jenem Abend alles Leben aus seinem Gesicht gewichen.
„Du hast dich verändert“, sagt er schließlich. Ich bin zunächst verwundert über seine Aussage, doch dann wird mir klar dass ich mir vielleicht gar nicht bewusst bin, wie sehr man mir ihren Verlust ansieht. Ich zucke nur mit den Schultern. Jetzt scheint er auch Jake bemerkt zu haben. Ich selbst habe durch diese unerwartete Begegnung kurz vergessen, dass ich nicht alleine bin. Mike öffnet den Mund um ihn zu begrüßen, doch dann weiten sich seine Augen ganz erschrocken und er bleibt stumm. Er starrt mich nun entsetzt an. Ich wende mich Jake zu, weil ich nicht verstehe was da vor sich geht. Kennen sich die zwei etwa? Jake kneift kurz die Augen zusammen und betrachtet Mike, als würde er angestrengt versuchen, rauszukriegen woher er ihn kennen könnte. Plötzlich weicht er einen kleinen, aber deutlichen Schritt zurück und wendet den Kopf ein wenig ab. Ich begreife immer noch nicht. Mike sieht nun abwechselnd von mir zu Jake und dann wieder zu mir zurück. Sein Gesichtsausdruck wechselt nun von Entsetzten zu Abscheu und schließlich zu Wut.
„Wie kannst du nur, Lana? Hast du denn gar keinen Stolz? Wie kannst du nur selbst mit dir leben, kannst du mir dass mal verraten!?“, meint er und sieht mich angewidert an, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Ich bin wie vor den Kopf gestoßen und kann nichts antworten.
Wutentbrannt kommt er noch einen Schritt auf mich zu und ich muss zugeben dass er mir nun ganz schön Angst einjagt. Er zittert vor Zorn und ballt seine Hände zu Fäusten. Jake scheint sein unbändiger Zustand nicht entgangen zu sein und schon zieht er mich ein Stück von Mike weg und tritt selbst wieder einen Schritt nach vorne. Er sieht ihn an, will etwas sagen, doch Mike scheint es nicht hören zu wollen. Er schenkt mir noch einen letzten fast mittlerweile enttäuschten Blick und wendet sich dann ab, um schnellen Schrittes zu verschwinden. Ich suche Jakes Augen als er sich mir wieder zuwendet, doch er weicht mir aus. Er nimmt mich nur an der Hand und geht mit mir zur der Haltestelle an der mein Bus hält. Ich weiß dass jetzt wieder der Zeitpunkt gekommen ist, an dem Worte nichts verloren haben. Wer weiß, vielleicht sind die zwei in der Vergangenheit mal aneinander geraten. Ich denke Mike hat etwas überreagiert. Oder vielleicht versuche ich mir das einzureden um ein besseres Bild von Jake zu erhalten, schließlich weiß ich dass er Dinge getan hat die er bereut. Aber ich will mich nicht weiter mit dem Thema befassen, weil ich Jake in meinem Leben unbeschreiblich brauche. Ganz einfach deswegen schweige ich jetzt auch und frage oder sage auch nichts.
KAPITEL 10.
Schnellen Schrittes bewege ich mich auf den Tresen zu und versuche gleichzeitig das Gleichgewicht zu halten, während ich das Tablett mit den vielen Tassen und Tellern auf meiner Handfläche balanciere. Benny beobachtet mich belustigt, während er die nächsten Bestellungen herrichtet.
„Du machst das gut, Lana“, versucht er mir gut zuzusprechen. Ich seufze.
„Hmm, du hattest recht. Wenn die Geschäftsleute von gegenüber Pause machen, hat man keine ruhige Minute.“ Ich nehme zwei Tassen Kaffee entgegen und bringe sie den Anzugträgern an einem der Tische am Fenster. Sie Sonne strahlt erbarmungslos durch das Fenster ins Mekky und erleichtert mir meine Arbeit somit nicht besonders. Es ist jetzt kurz nach halb 3 und Jake hat sich noch nicht einmal blicken lassen. Ich möchte Ann aber nicht nach ihm fragen, aber ich überwinde mich dazu Benny eine Antwort zu entlocken.
„Sag mal, hast du Jake heute schon gesehen?“, frage ich auffällig unauffällig.
„Der kommt heute nicht. Fühlt sich wohl nicht besonders gut“, entgegnet er und mustert mich interessiert. „Hat er dich nicht angerufen?“ Ich sage nichts, nehme mir stattdessen ein Putztuch aus einem Fach hinter dem Tresen und wische unnötigerweise über die unbesetzten aber eigentlich bereits geputzten Tische, um mich abzulenken. Ich spüre Bennys stechende Blicke lasse mir aber nichts anmerken. Der Tag scheint einfach nicht zu vergehen. Es scheint als würde die Menschheit nur in die Stadt gehen um sich in dieses eine Café zu setzten, denn die Menschen hier werden einfach nicht weniger.
„Lana Schatz, bringst du den Kaffee hier mal der Dame am Tisch dort hinten“, meint Ann und hält mir eine Tasse hin. Ich nehme sich nickend entgegen und gehe zum besagten Tisch.
„Mom?“, frage ich irritiert, während ich meiner Mutter, die sich ummissverständlich in diesem Café zu befinden scheint, den Kaffee reiche. Sie lächelt und nimmt den Kaffee.
„Ich wollte nur mal testen ob der Kaffee an deinem neuen Arbeitsplatz auch schmeckt“, schwindelt sie und ich muss zum ersten Mal seit- na ja seit einer Ewigkeit, in ihrer Gegenwart lächeln. Ich sehe mich nach Ann um und als ich sie finde, nickt sie bereits und bedeutet mir ich könne mir eine Pause gönnen. Also setzte ich mich auch den Platz gegenüber meiner Mutter und nippe ebenfalls an ihrem Kaffee.
„Und wie findest du den Kaffee?“, lache ich. Meine Mutter tut so als ob sie grübeln müsste, doch dann lacht sie und lehnt sich zurück.
„Toller Kaffe und ein wirklich schönes Café“, strahlt sie. Dann sieht sie sich suchend um.
„Also, jetzt zum richtig wichtigen. Die Mutter habe ich schon entdeckt, aber wo ist der junge Mann der dich jeden Tag entführt? Etwa der kleine hinter dem Tresen?“, lacht sie und ich folge ihrem Blick. Ich muss so sehr lachen, dass es mich schüttelt und es dauert eine Weile bis ich mich wieder beruhigen kann. Benny?
„Oh Gott nein, Mom! Das ist Benny, der arbeitet hier auch“, erkläre ich ihr.
„Hmm, er scheint dich aber zu mögen“, murmelt meine Mutter und ich folge ihrem Blick. Benny sieht zu uns rüber und als er meinem Blick begegnet, lächelt er kurz und wendet sich dann sofort wieder seiner Arbeit zu. Unmöglich.
„Nein, Jake ist nicht hier. Ihm geht es heute nicht so gut“, antworte ich auch die erste Frage und kann meine schlechte Laune kaum verbergen. Meine Mutter scheint dass zu spüren, sagt aber nichts mehr dazu um mich nicht unnötig runter zu ziehen.
„Ist ziemlich voll hier“, bemerkt sie um das Thema zu wechseln und sieht sich um.
„Ja, das ist hier dauernd so. Ich werd auch gleich wieder weiterarbeiten müssen. Sonst hat Ann zu viel zu tun.“ Meine Mutter betrachtet Ann interessiert.
„Ann, hm? Sie scheint sehr nett zu sein.“
„Jaa, ist sie. Wenn ich Jake später spreche, frage ich ihn mal ob er mal zum essen kommen möchte, ja?“ Meine Mutter lächelt zufrieden und bedeutet mir, ich könne jetzt wieder an die Arbeit gehen. Ich verabschiede mich, in dem ich ihr einen Kuss auf die Backe gebe und widme mich wieder den anderen Tischen.
Nachdem meine Mutter gegangen ist, leert sich das Café langsam und es sind kaum noch Tische besetzt. Ich kümmere mich darum hin und wieder über die Tische zu wischen und abzuräumen. Benny hilft mir überflüssigerweise, obwohl ich ohnehin kaum Arbeit habe und Ann spült in der Küche ab. Von Jake immer noch keine Spur. Er hat nicht mal angerufen.
„Hat sich Jake schon gemeldet?“, hackt Benny neugierig nach, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Nein“, entgegne ich knapp und mittlerweile äußerst schlecht gelaunt.
„Komisch. Ich hätte wenigstens Mal angerufen… Aber hey, vielleicht schläft er ja oder macht sonst irgendetwas Wichtiges“, denkt Benny laut und ich werde immer wütender. Wieso ruft er mich nicht an? Benny hat schon recht mit dem was er sagt! Wütend schrubbe ich auf einem Tisch herum, der so wie so schon vor Sauberkeit glänzt.
„Hey Lana, hast du Lust heute nach der Arbeit was zu unternehmen?“, fragt Benny plötzlich.
„Ähm, wie? Was unternehmen?“, wiederhole ich etwas verdutzt.
„Ja, ich dachte mir wenn Jake krank ist hat er wohl keine Zeit. Wenn er sich schon gar nicht meldet, wird er wohl verhindert sein, was!?“ Da hat er Recht, Jake wird tatsächlich verhindert sein. Oder er hat auch einfach keine Lust mich zu sehen.
„Okay, und was willst du unternehmen?“, frage ich weil ich tatsächlich nichts Besseres vorhabe. Benny strahlt bis über beide Ohren, als ich einwillige. Hoffentlich hatte meine Mutter nicht Recht und er macht sich nicht wirklich irgendwelche falschen Hoffnungen. Aber man wird doch noch etwas unternehmen können, ohne gleich irgendwelche Absichten zu verfolgen. Rein Freundschaftlich. Und wer weiß, wenn Jake sich die nächste Zeit weiter so komisch aufführen wird, könnte ich tatsächlich einen Freund zum Reden gebrauchen.
„Ist egal. Wir können ja in den Stadtpark“, meint Benny und macht noch etwas eifriger sauber. Ich zucke nur mit den Schultern und murmle mein Einverständnis, denn mit meinen Gedanken bin ich wieder ganz bei Jake.
Nach weiteren zwei Stunden verabschieden wir uns von Ann und verlassen dann gemeinsam das Café. Benny ist ziemlich gesprächig auf dem Weg zum Park, während ich eher schweigend neben ihm her laufe. Aber das scheint ihm nicht viel auszumachen, denn er unterhält sich auch ganz gut alleine. Einige Leute kommen uns aus dem Park entgegen, aber dennoch scheint noch ziemlich viel los zu sein. Ich nehme mir vor nicht lange zu bleiben und Benny in etwa einer Stunde zu sagen ich sei müde und möchte nach Hause. Nicht dass ich ihn nicht gut leiden kann, ich habe einfach grauenhaft schlechte Laune und ich fürchte ich könnte sie früher oder später an Benny auslassen. Wir schlendern also etwas unentschlossen im Park herum –ich glaube Benny redet mittlerweile über die Schule –bis wir nicht weit entfernt von Jakes und meiner Bank stehen bleiben. Ich lasse meinen Blick schweifen und erstarre. Nein, das glaube ich jetzt einfach nicht! Ich sage zu Benny er solle einen Moment warten, weil ich etwas nachsehen will und gehe schnellen Schrittes auf die Bank zu. Ich hoffe inständig für dich, Jake dass du es nicht bist. Ich wünsche dir gerade dass nicht du auf der Bank –auf unserer Bank – sitzt und auf den See starrst. Ich gehe um die Bank herum und stehe –wer hätte das gedacht – vor Jake. Er löst seinen Blick vom Wasser und sieht mich irritiert an. Ich glaube zunächst versteht er nicht, dass ich tatsächlich vor ihm stehe doch als er es realisiert zu haben scheint, weiten sich seine Augen und ich sehe förmlich wie er panisch darüber nachdenkt, was er zu mir sagen könnte. Ich schweige ihn an und warte, aber ich bin mir sicher dass mein Gesichtsausdruck bereits für mich spricht.
„Lana“, murmelt Jake nur und ich weiche einen Schritt zurück als er aufsteht und mich begrüßen will. Jake ist diese Geste nicht entgangen, doch er weiß nicht wie er darauf reagieren soll. „Na, kurierst du deine Grippe aus?“, frage ich sarkastisch.
„Tut mir Leid, dass ich heute nicht im Café war“, sagt er nur und sieht mir tief in die Augen. Nein, nicht mit mir! Heute zieht der Hundeblick nicht! Also sehe ich am besten weg.
„Lana, ich konnte heute nicht. Ich wollte dich schon anrufen“, versucht er sich zu verteidigen, doch das gelingt ihm nicht besonders erfolgreich.
„Wieso hast du es dann nicht getan?“, hacke ich nach und kann die Enttäuschung in meiner Stimme nicht verbergen. Jake fährt sich mit der Hand durch die Haare. Er sieht dabei so verzweifelt aus.
„Jake, rede doch mit mir! Was ist nur los mit dir?“ Nun weicht er meinen Blicken aus.
„Es ist nur so dass – Es ist… Es ist einfach so dass ich nicht mit dir – ich meine ganz allgemein nicht darüber reden kann“, sagt er nach einigem Zögern sehr bestimmt.
„Ach nein? Mit mir nicht also. Mit wem dann? Mit Brad etwa?“
„Das tut hier doch nichts zur – Hey, was meinst du mit Brad?“, fragt er nun und ich muss schlucken. Verdammt, meine große Klappe.
„Ich hab auf dem Familienfest zufällig mitbekommen, wie du mit ihm geredet hast“, gebe ich zu und Jake wird plötzlich ganz fahl im Gesicht.
„Spionierst du mir jetzt auch noch nach?“, ruft er zornig und ich weiche noch ein Stück zurück. Wieso wird er nur so unglaublich wütend?
„Ich wollte nur meine Tasche holen, da hab ich euch gehört“, verteidige ich mich, doch dann werde ich selbst zornig. „Warte, ich muss mich doch nicht vor dir rechtfertigen! Anscheinend vertraust du mir nicht genug, um mir zu sagen was in dir vorgeht. Wofür gibst du dir die Schuld? Was ist denn da nur passiert?“, rufe ich empört. Jetzt lacht Jake.
„Ich vertraue dir also nicht genug? Wenn wir schon mal dabei sind, was geht denn in dir vor? Wofür gibst du dir die Schuld?“, schreit er jetzt und ich zucke zusammen. All das was unsere Verbindung zuvor ausmachte, all die unausgesprochenen Worte, schien sich plötzlich gegen und gewendet zu haben, uns zu belasten.
„Wag es ja nicht! Du hast nicht das Recht mich das zu fragen! Das tut hier nichts zur Sache, verstanden!? Wag es ja nicht, darüber zu reden!“, schreie ich ihn jetzt an und bebe vor Wut. Vielleicht reagiere ich jetzt über, aber er hätte dieses Thema niemals ansprechen dürfen. Nicht, er. Nicht Jake. Deswegen war ich doch immer so gerne mit ihm zusammen, weil er nichts wusste und nie gefragt hat.
„Na was? Wieso redest du nicht? Erzähl mir doch was passiert ist. Vertrau mir, öffne dich!“, ruft Jake nun, tritt ganz nahe an mich heran und sieht mich herausfordernd an. Er ist mir so nahe, dass ich ihn Atmen höre. Die geringe Luftmenge zwischen unseren Körpern scheint vor Spannung zu explodieren. „Na komm, Lana. Wenn es doch so einfach ist, wieso sprichst du dann nicht darüber? Was ist, wieso kannst du es nicht sagen damit ich weiß was in dir vorgeht?“, flüstert er mir nun spöttisch zu.
„Jake, ich sage das nur ein einziges Mal“, flüstere ich zurück und sehe ihn so eindringlich an, dass der Spott aus seinem Gesicht verschwindet. Ich sehe ihn an und er versteht dass ich das auch so meine, wenn ich es sage. „Rede nicht weiter. Mach das hier nicht kaputt, ich bitte dich“, flehe ich ihn nun an und er weiß ganz genau dass ich mit das das zwischen uns meine. Er bleibt stumm und sieht mich nur an. Wir sind uns immer noch so nahe. Keiner wagt es sich zu bewegen aus Angst der andere könnte dann gehen. Ich würde das alles so gerne vergessen, ihn einfach packen uns küssen. Alles wegküssen und so weitermachen wie bisher. Vielleicht sollte ich das auch einfach –
„Lana? Ist alles okay?“, höre ich eine Stimme hinter mir und bin gezwungen mich von Jake abzuwenden. Benny steht hinter mir und mustert mich besorgt. Er sieht von mir zu Jake und wieder zurück zu mir. Er scheint meinen verzweifelten Gesichtsausdruck falsch zu deuten.
„Gibt es irgendein Problem?“, fragt er nun einen deutlichen Ton schärfer in Jakes Richtung.
„Kommt ganz auf dich an“, zischt Jake und kommt einen Schritt auf ihn zu. Ich sehe die zwei irritiert an und verstehe nicht so ganz was gerade wieder passiert.
„Nein, Benny schon gut. Wir haben uns nur unterhalten“, versuche ich die angespannte Situation zu lockern. Doch Benny lässt sich nicht so schnell abwimmeln.
„Hey Jake, dir scheint es ja wieder besser zu gehen. Lana, war schon ganz besorgt bei der Arbeit weil du dich nicht einmal bei ihr gemeldet hast“, setzt er noch einen drauf und Jake scheint für einen Moment wirklich zerknirscht zu sein, doch diesen Erfolg wird er Benny nicht gönnen. Der sieht auf seine Uhr und dann zu Benny.
„Es ist bald acht. Musst du nicht langsam Heim, Benny. Wie alt bist du denn? 14?“, fragt er in betont nüchterner Stimmlage. Benny sieht ihn wutentbrannt an.
„16. Und eigentlich hatten Lana und ich heute noch etwas vor“, zischt er ihn an und Jake sieht nun mich irritiert an. Ich zucke nur mit den Schultern, schließlich habe ich mir nichts vorzuwerfen. Aber Benny reicht das wohl nicht.
„Ich habe sie im Gegensatz zu dir wenigstens gefragt, ob sie Lust hat was zu unternehmen“, fügt er überflüssigerweise noch hinzu und zu allem übel tritt er an mich heran und legt einen seiner Arme um meine Hüften. Ich wende mich ihm verblüfft zu und schüttle seine Hand ab.
„Echt Benny das war jetzt wirklich unnötig, dass du –“, tadele ich ihn, doch bevor ich meinen Satz beenden kann, hat Jake ihn bereits umgeworfen und zu Boden gedrückt. Schnaubend drückt er Bennys Kopf seitlich in die Erde.
„Jake! Hör auf damit! Geht runter von ihm. Was ist denn nur in dich gefahren?“, rufe ich und ziehe Jake mit aller Kraft wieder hoch. Benny setzt sich langsam wieder auf.
„Du hast Glück, dass ich keine Kinder schlage, du kleiner Bastard! Fass sie nie wieder an“, meint Jake immer noch wutentbrannt und ich habe das Gefühl das der Jake den ich eigentlich kenne, nicht so durchgedreht wäre. Was ist denn nur mit ihm?
„Ich gehe jetzt, Lana. Kommst du?“, fragt Benny, während er aufsteht. Ich würde so gerne einwilligen und mit ihm weggehen, doch ich kann es nicht. Mein Körper, scheint nicht auf meinen Kopf hören zu wollen. Ich trete automatisch einen Schritt zurück zu Jake und nehme ganz vorsichtig seine Hand. Ich spüre seinen verdutzten Blick. Benny schüttelt nur den Kopf und weiß nicht was er sagen soll. Schließlich dreht er sich um und geht davon.
„Entschuldige, Benny!“, rufe ich ihm noch hinterher, doch er dreht sich nicht mehr um. Er winkt lediglich ab und geht weiter. Dann zieht Jake mich an sich heran und umschließt mich mit seinen Armen. Ich kann sein Herz schlagen hören. Ich drücke meinen Kopf an seine Brust und schließe die Augen. Er braucht mich jetzt, genauso sehr wie ich ihn brauche.
Tag der Veröffentlichung: 21.06.2011
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