Das Fundament zum Glück
Die Landstraße war langweilig und grau. Es nieselte, was meiner Stimmung und meinen Gedanken nicht gerade zuträglich war. Das Ortsschild, endlich zu Hause.
Der Besuch bei meiner Schwester war ein Reinfall gewesen. Das enttäschte mich umso mehr, da ich früher immer sehr gern mit ihr zusammen war. Ich vermisste sie in den langen Jahre der Stille nach einem Streit, und wünschte mir, alles könnte wieder sein, wie es mal war. Doch weit gefehlt.
Jetzt brauchte ich einen Menschen, vor dem ich laut denken konnte.
Heiner öffnete die Tür und freute sich, mich zu sehen.
"Na, wie war es?" Er umarmte mich herzhaft.
"Ich weiß nicht", sagte ich müde und hauchte ihm einen matten Kuss auf die Wange. "Sie ist mir so fremd geworden."
"Was erwartest du", fragte er, "Ihr habt euch doch, wie lange, zehn Jahre?, nicht gesehen. Du hast dich auch verändert in dieser Zeit."
"Sicher. Ich bin nicht mehr der kleine Bruder, der sie anhimmelt. Aber Jetta? Ich meine, sie sieht immer noch toll aus, aber irgendwie ist sie überspannt." Ich ließ mich ins Sofa fallen. "So abgedreht."
"Ich koche uns erst mal Kaffee" sagte Heiner. "Dann erzählst du mir alles. Vielleicht hast du nur festgestellt, dass sie nicht auf einem Podest steht, wie du es gern hättest." Er ging in die Küche und hantierte dort mit der Kaffeemaschine.
"Hattest du ihr etwas mitgebracht, oder bist du da etwa mit leeren Händen aufgetaucht. Ich meine, Frauen können da sehr komisch reagieren."
"Ich weiß", rief ich in die Küche ohne mich vom Sofa zu bewegen. "Ich hatte einen exotischen Strauß mit Blüten, die aussahen, wie Artischocken mit Wollfüllung. Das Ganze war kurios in Etagen gebunden, dass der Strauß aussah, wie eine Märchenlandschaft."
"Vielleicht hat er ihr nicht gefallen?" Er stellte zwei reich mit Gold verzierte Kaffeegedecke auf den Tisch.
"Unsinn. Sie fand ihn ausgesprochen fantasievoll." Ich nahm eine Tasse in die Hand um sie genauer zu betrachten. "Sind die neu?"
"Ich war gestern auf dem Flohmarkt. Hat mich meine ganze Überredungskunst gekostet, das Service zu meinen Konditionen zu bekommen." Er machte eine Kunstvolle Pause."Fantasievoll. Das sagt doch alles."
"Okay", ich stellte die Tasse wieder ab. "Aber sie sagte auch, dass er viel mehr hermache als hundert Rosen."
"Na, ich weiß nicht." Er schmunzelte. "Du hast doch erzählt, sie wäre so Geldgeil. Das würde ja dann gar nicht zu ihr passen."
"Naja, ich hab fast vierzig Euro für den Strauß bezahlt", sagte ich kleinlaut.
Heiner lachte. "Na, dann hast du wohl das Preisschild dran gelassen, damit ihr die Blumen gefielen."
"Blödmann", knurrte ich.
Er grinste. "Du hast ja Recht. Entschuldige." Dann verschwand er in der Küche, um den Kaffee zu holen.
"Wow", rief ich beim Anblick der prunkvollen Kaffeekanne, "wie feudal!"
Heiner grinste. "Und du rätst nie, was mich dieses Service gekostet hat."
"Dann sag es mir gleich, sonst platze ich."
"250 Euro."
"Glaub ich nicht. Soviel gibst du nicht für altes Geschirr aus."
"Nee", grinste Heiner, "der Händler wollte soviel haben. Ich hab ihn aber weichgekocht und das ganze Service für sechs Personen und Stövchen und Kuchenteller und Sahneschälchen für einen Hunni bekommen."
"Hundert Euro? Wahnsinn." Heiners Verhandlungskunst faszinierte mich einmal mehr, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass er wirklich hundert Euro – knapp zweihundert Mark - für Geschirr ausgegeben hatte.
Heiner bemerkte meine Skepsis. "Würdest du mir glauben, dass ich weniger ausgegeben habe?"
"Auf jeden Fall. Ich schätze, dein Limit liegt bei fünfzig. Aber dafür hätte der Flohmarkthändler dich vom Platz gejagt."
"Naja, ich hab eine Meißner Tasse, die ich einem Dummkopf für fünf Euro abgeschwatzt hatte, und zwanzig Euro geboten. Geeinigt haben wir uns bei dreißig Euro plus Tasse. Ich denke, das war ein ganz gutes Geschäft. Die Tasse war ohnehin hässlich. Ich hätte sie umdrehen müssen, damit sie was hermacht. Wegen der Schwerter, weißt du?"
Ich bestaunte das Geschirr auf dem Tisch. Heiner schenkte Kaffee ein.
"Schön, eure Begrüßung war also etwas eisig. Und der Abend an sich?"
"Es war", sagte ich gedehnt und suchte nach treffenden Worten, "nett."
"Nett?"
"Ja."
"Nett ist die kleine Schwester von Scheiße. War es nett nett, oder einfach nur nett?"
"Nett, eben. Scheiße, ach was weiß ich!" Ich war aufgewühlt. "Stell dir vor, wir saßen zusammen, ihre beste Freundin sagt, du hast eine tolle Perlenkette um, Jetta antwortet, ja, das ist ein sehr kostbares Stück. Die Freundin, Mel, fragt, was meinst du, würden mir auch solche Perlen stehen, und Jetta sagt, aber natürlich, Perlen stehen jeder Frau."
"Das ist doch sehr freundlich von ihr", unterbrach Heiner.
"Ja, und Mel freute sich sichtbar über diesen Kommentar. Aber dann sagte Jetta, komm doch mal ins Geschäft – sie arbeitet bei einem Juwelier, weißt du - dann schauen wir, ob wir etwas passendes für dich finden, und vielleicht gibt mein Chef dir noch einen kleinen Rabatt, dann kannst du dir ein etwas besseres Stück aussuchen, denn solche Perlen, wie diese, die wirst du dir natürlich nie leisten können!"
"Das hat deine Schwester nicht gesagt."
"Doch."
"Und diese Mel? Ist sie gegangen?"
"Nein. Sie hat sich auch noch bedankt."
"Dann ist sie ziemlich blöde."
"Jetta hat sich bei mir auch darüber ausgelassen, dass niemand ihr Büffet zu schätzen wüsste. Ich meine, sie hat gekocht, gebacken und gebraten und wirklich vom Feinsten aufgetischt. Allen hat es geschmeckt. Aber als ihre Schwägerin sagt, Jetta hätte sich so viel Arbeit gemacht und sie, Marlis, hätte gern geholfen, sagt Jetta zu mir, sie hätte sie extra nicht um Hilfe gebeten, denn Marlis könnte weder kochen noch backen. Stell dir vor, sagt sie, die stellt doch glatt einen Braten auf den Tisch, der nicht auf den Punkt durchgebraten ist. Nur deshalb hätte Jetta heute mal wieder aufgetischt, um der Familie ihres Mannes zu zeigen, was Kultur ist."
"Und wurde das bemerkt?"
"Ach was! Wir waren zum Feiern und Lustig sein da und nicht, um Jettas Tischkultur zu erlernen."
Heiner schmunzelte. "Hatte sie den Tisch denn wenigstens ordentlich gedeckt? Ich meine, wenn man so vornehm und kulturell ist, muss man doch Platzteller haben und Silberbesteck."
"Hat sie alles. Hutschenreuther, Silberleuchter und Damasttücher."
"Auweia. Stoffservietten?"
"Zu aufwändig." Ich grinste boshaft. "Das hab ich ihr auch gleich unter die Nase gerieben. Tafelsilber und Hutschenreuther, hab ich gesagt, aber zu bequem, Servietten zu bügeln."
"Das hast du nicht." Heiner sah mich ungläubig an.
"Doch. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen." Ich grinste. "Aber Jetta meinte, an diesem Abend würde sie ohnehin Perlen vor die Säue werfen. Nächstes Mal, wenn ich wieder da wäre, ohne die Familie, dann will sie Stoffservietten benutzen."
Heiner lachte. "Die hat dich verarscht."
Ich zeigte ihm einen Vogel.
"Und was war sonst noch los?"
"Sie hat immerzu betont, sie sitze in einem goldenen Käfig und alle wären neidisch auf sie, vor allem ihre Kollegen und ihr Chef."
"Weshalb sollte ihr Chef neidisch sein?"
"Was weiß ich, weil sie als einzige Schmuck zu tragen weiß oder weil sie Jetta heißt. Keine Ahnung. Na und ihre Kolleginnen sind halt mit Normalsterblichen verheiratet und nicht mit einem Autohaus-Geschäftsführer."
"Achgottchen, da gehört sie ja direkt zur Highsociety. Logisch, dass sie dann mit euch nichts anfangen kann. Was ist sie doch gleich von Beruf?"
"Fachverkäuferin für Uhren und Schmuck. Drei halbe Tage die Woche."
"Ganz klar. Da ist sie was Höheres." Heiner schmunzelte.
Ich schaute nachdenklich ins Kerzenlicht. "Weißt du was?"
"Na, was denn?"
"Eigentlich hat sie alles, was ich mir wünsche."
"Bist du etwa neidisch?"
"Kommt darauf an, wie du Neid definierst. Grundsätzlich würde ich sagen, ja, ich bin neidisch. Ich meine, ich gönne ihr ihren Luxus, aber ich würde auch gern ein großes Haus mit schönen Möbeln haben, und einen Kerl, der mir finanzielle Sicherheit bietet, damit ich nur drei halbe Tage pro Woche arbeiten muss. Diesen ganzen Luxus eben. Aber wenn ich überlege..."
"Was?"
"Na, gucke mal: Bei allem Luxus, den sie hat, sie ist nicht zufrieden."
"Und du?"
"Nun, ich arbeite im Altenheim. Mega-anstrengend, negativ belastet - du weißt ja, Altenpfleger misshandeln die ihnen Anvertrauten und so. Minigehalt und Wochenenddienste. Trotzdem macht mir meine Arbeit Spaß. Ich weiß, dass die Bewohner mich mögen und meine Kollegen mich anerkennen. Meine Wohnung ist winzig, die Möbel waren billig oder gebraucht. Mein Geschirr kommt vom Flohmarkt, wie deine Tassen. Aber ich mag mein Leben, so will ich es haben."
"Das ist ja wohl die Hauptsache, dass man sich wohl fühlt mit seinem Leben."
"Ja. Und dieses Wohlbefinden kann man nicht für Geld kaufen."
"Stimmt. Dafür muss man hart arbeiten."
"Eben. Aus deinen güldenen Tassen vom Flohmarkt zu trinken hat eine ganz andere Qualität, als das komplette 24-Personen-Hutschenreuter-Geschirr meiner Schwester jemals haben wird. Du hast deine Tassen erjagt, den Händler erlegt, indem du ihn gnadenlos runter gehandelt hast, und nun genießen wir den Luxus, diese Trophäen zu benutzen."
"Stimmt. Und das befriedigt mich."
"Genau. Jetta hingegen geht in einen Laden und tauscht mal eben ein Bündel Scheine ihres Mannes gegen ein teures Geschirr, dass seinen Wert spätestens verloren hat, wenn sie auf der Straße steht. Und wo bleibt der Genuss?"
"Hä?"
"Das ist doch kein Genuss, wenn dieser Luxus einfach so da ist. Ein warmer Sonnentag im Frühjahr hat doch mehr Qualität als einer im Hochsommer."
"Verstehe. Nach dem dunklen Winter freut man sich auf Licht und Wärme. Im Sommer nicht. Da ist es ohnehin hell und warm."
"Genau. Und wenn ich mir mein Dasein von dieser Seite betrachte, dann stelle ich fest, dass Luxus nur dann zufrieden macht, wenn man sich dafür anstrengen musste."
"Auch, wenn du dir Perlen niiiee leisten könntest?"
"Die teuersten Perlen sind Schund gegen das Leuchten in deinen Augen, wenn du mich anlächelst."
"Bist du sicher?" Er strahlte von einem Ohr zum anderen.
"Klar. Ich glaube," strahlte ich zurück, "deine Liebe und meine Zufriedenheit sind das Fundament für mein Glück."
Texte: alle Rechte auschließlich bei Jo Graf von Modestorf
Bildmaterialien: alle Rechte ausschließlich bei Jo Graf von Modestorf
Tag der Veröffentlichung: 26.01.2014
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Widmung:
für Heinfried