Cover


Angst. Es waren bereits Monate, seitdem ich die Nächte überwiegend in wachem Zustand verbrachte. So wie heute. Ich wartete darauf, dass meine Medikamente endlich wirken und die Gestalten in meinem Kopf verschwinden würden. Aber noch war dem nicht so. Eine schattenartige Kreatur bewegte sich in der Ecke des Zimmers. Sie musste riesig sein. Ich sah sie nicht richtig, ich spürte sie nur. Mein Verstand sagte mir, dass es so etwas nicht gab, meine Angst sagte etwas anderes. Vor meinem Bett stand ein Mädchen, sie muss um die 20 gewesen sein und ihr Gesicht war komplett entstellt. Dunkle Haarsträhnen fielen über ihre großen, leuchtenden roten Augen, aus denen eine Träne zu entweichen versuchte. Das ist alles nicht echt, versuchte ich mir immer wieder einzureden. Gleich würde es besser werden. Das wurde es fast immer, aber es würde niemals weggehen. Die Medikamente, mit denen sie mich vollzustopfen versuchten, sorgten zwar dafür, dass die Angst weniger wurde, jedoch nicht die Bilder.

Langsam wurde ich ruhiger. Leider kamen mir dadurch nur weitere Gedanken. Worte, die ich heute lieber nicht gehört hätte. Ich war mir nie so ganz sicher, ob mein angeblicher Erzeuger wirklich mein Vater war, heute erfuhr ich die Wahrheit. Noch vor wenigen Monaten nahm er mich auf, berichtete mir von der langen Suche nach mir und meinen zwei Schwestern. Doch als ich mich am Abend in sein Lager schlich, um ein paar Antworten zu finden, bewies er mir das Gegenteil.
„Sie war niemals meine Tochter, aber das braucht sie nichts anzugehen. So ist sie eine Gefahr weniger für uns.“, habe ich seine raue Stimme flüstern hören. Damit war mein Vertrauen zu ihm endgültig gebrochen. Anschließend schlich ich mich zurück aufs Internat und dachte darüber nach, was er sagte. Über meine Existenz, wer oder vor allem WAS ich eigentlich war und weshalb ich für ihn eine Gefahr darstellen sollte. Ich konnte ihn nicht fragen. Er sagte immer, er sei ein Dämon. Als seine Tochter wäre ich ebenfalls einer, aber das war ich offensichtlich nicht. Zudem hatten alle Dämonen, die ich kannte, schwarze Flügel…warum waren meine weiß…und warum hatte ich fünf davon?


-------------------------------------------------------




Super, ausgerechnet jetzt musste ich stolpern. So konnte ich absolut nicht weitergehen. Mist. Ich sah mich um. Weit und breit kein Schüler zu sehen. Wie üblich, wenn man sich zwei Minuten vor Unterrichtsbeginn auf den Weg machte. Als der Schmerz in meinem Knöchel etwas nachließ, versuchte ich langsam aufzustehen. Mein Fuß rutschte weg, noch bevor ich ganz gestanden hatte. Verdammt, ich würde bestimmt nicht zum Unterricht kriechen, eher wartete ich noch eine Weile. Irgendwann würde der Schmerz schon weiter nachlassen.
„Kann ich dir helfen?“, fragte eine merkwürdig vertraut klingende Stimme.
„Geht schon, danke“, antwortete ich und biss mir auf die Lippe, um meine Scham zu verbergen. Erst als er mir seine Hand entgegenstreckte, bemerkte ich, wer da vor mir stand. Nun, wer genau es war, konnte ich auch nicht sagen, er musste ein neuer Schüler oder Lehrer sein, sein Alter konnte ich nicht einordnen. Aber in einem Punkt war ich mir hundertprozentig sicher, ich hatte ihn irgendwo schon mal gesehen. Noch dazu sah er mit seinen langen, pechschwarzen Haaren, der blassen Haut und den dunklen Augen aus wie ein schwarzer Gott. Ich sah zu Boden, als er sich plötzlich herunterbeugte und fragte, wo es wehtat.
„Hab mir wohl den Knöchel etwas angeknackst“, spottete ich.
Er lächelte auf eine eigenartige, aber wunderschöne Weise.
„Zeig mal her“, sagte er mit demselben Lächeln.
„Vertraust du mir?“, fragte er herausfordernd.
Ich nickte.
„Dann schließ deine Augen.“
Als ich tat, was er verlangte, fühlte ich wie er seine Hand auf meinen Knöchel legte. Eine merkwürdige, aber unglaublich angenehme Wärme lief durch ihn hindurch und ich spürte wie der Schmerz immer weiter nachließ. Ich bewegte meinen Fuß. Es fühlte sich kein bisschen unangenehm an. Aber wie war das möglich? Hatte er mich…geheilt?
„Wie hast du das gemacht?“, fragte ich mit zitternder Stimme. Es machte mir irgendwo Angst, dass Menschen, die ich nicht kannte, derartige Fähigkeiten besaßen.
„Was denn?“
Dann machte er sich auf den Weg ins Schulgebäude.


Der Unterricht verlief wie immer. Deutsch, ich konnte mich wie schon seit Tagen absolut nicht konzentrieren. Es war laut und mal wieder war der in drei Wochen bevorstehende Halloweenball das Thema. Ich war mir noch nicht sicher, was ich davon halten sollte, aber normalen Deutschunterricht zog ich dem ewigen Geplane doch deutlich vor. Meine Konzentration verließ mich endgültig, als Frau Nehlson den neuen Schüler vorstellte. Dreimal dürft ihr raten um wen es sich handelte. Sein Name war Sam, wie sich offenbarte. Er kam aus Norwegen und möchte mehr über unsere Sitten und Gebräuche lernen, erklärte Frau Nehlson. Ja, und ganz nebenbei wusste er Menschen zu heilen, aber hey, das war ja nichts Besonderes für einen normalen Menschen.
„Bitte setze dich doch auf den Platz neben Lucy, sie wird sich gut um dich kümmern“, sagte unsere Lehrerin und sah mich dabei pflichtbewusst an. Ok, der attraktivste Typ der Schule neben mir, noch dazu jemand mit solchen Kräften – wie sollte ich mich so jemals wieder konzentrieren können?

Ich war noch nie so froh, die Schulglocke zu hören, packte meine Sachen und machte mich wie vom Blitz getroffen auf den Weg nach oben, auf mein Zimmer. Dort würde mich gleich bestimmt eine riesige Diskussion mit Lia, meiner großen Schwester und Mitbewohnerin erwarten, dachte ich, denn ich habe ihr Schmunzeln gesehen, als Sam sich neben mich setzte. Eine Weile dachte ich darüber nach, ob es vielleicht besser wäre, ihr von den Worten unseres Vaters zu erzählen, oder von Sams Kräften, aber dann beschloss ich, es vorerst für mich zu behalten. Ihr war es vermutlich zu viel für den Moment. Zudem hatte sie gerade andere Sorgen, schließlich war sie mit der Planung ihrer Verlobungsfeier beschäftigt, die ich ihr nicht versauen wollte – so sehr ich den Mann hasste, den sie vorhatte zu heiraten.

„Lucy!“, rief Lia, „Warte doch auf mich“.
„Tut mir leid, ich musste da raus“, murmelte ich, als sie mich eingeholt hatte.
„Na der war doch mal absolut scharf!“, sagte sie angeregt, „Das musst selbst du zugeben“.
Sie lachte und ich begann zu grinsen.
„Du hast ja recht.“, antwortete ich. Trotzdem hatte er eine gefährliche Ausstrahlung. Etwas Dunkles, das ich nicht einzuordnen vermochte.
„Also, kommst du heute Abend?“, fragte meine Schwester.
„Kommen, wohin denn?“, fragte ich zurück.
„Denk mal stark nach. Es ist Freitag, das Wetter ist großartig, Frank hatte Geburtstag...“.
„Oh, sorry, natürlich komme ich“. Auch wenn mir gerade alles andere als danach war, aber das konnte ich ihr nicht sagen.
Den Rest der Zeit nutzte ich, um noch eine Weile nachzudenken. Dann beschloss ich, dass mich das nur im Kreis führte und ging runter zum Strand. Wir hatten das Glück, dass unser Internat, das im Norden Schleswig-Holzsteins lag, direkt an einem großen See mit beinahe weißem Sandstrand gelegen war.


Die Feier war schon etwas vorangegangen und ich genoss die Atmosphäre der hereinbrechenden Nacht und noch viel mehr die Wärme, die das Feuer vor uns ausstrahlte. Jedes Mal aufs Neue war es etwas Besonderes, die Sonnenuntergänge am See zu betrachten, selbst wenn der Strand von so vielen Menschen besucht war wie heute. Eine Weile betrachtete ich unseren „Neuen“. Er schien nicht gerade der Partylöwe zu sein, denn die meiste Zeit saß er allein. Plötzlich traf mich sein Blick. Dunkle, nahezu schwarze Augen, die direkt in meine sahen. Mir wurde heiß und gleichzeitig dachte ich Gänsehaut zu bekommen. Ich sah weg, aber das brachte nichts, denn er kam bereits auf mich zu.
„Hey Kleines“, sagte er, „wie geht es dir?“.
„Gut“, log ich. Dabei ging mir eine Frage nicht aus dem Kopf.
„Wie hast du das gemacht? Bitte sag es mir.“, flehte ich.
„Ich zeig es dir bei Gelegenheit.“, sagte er mit einem hinreißenden Lächeln.
„Ich bin mir sicher, du wirst es mit Leichtigkeit lernen“, fügte er hinzu.
„Klar, und morgen lerne ich zu fliegen“, spottete ich.
„Gib mir deine Hand.“, forderte er mich auf. Ich gehorchte, obwohl ich mir für einen kurzen Moment lang unsicher war, warum.
„Und sag mir, dass du das nicht spüren kannst.“, fügte er erneut hinzu.
Ein unglaubliches Gefühl. Unsere Hände berührten sich kaum, aber sie fühlten sich unglaublich nahe an. Dazwischen war etwas warmes, ich wusste nicht, was es war, aber es fühlte sich unglaublich schön an.
„Wie fühlt es sich an?“, fragte er.
„Schön“, flüsterte ich.
„Aber was ist das?“, fragte ich.
„Das ist meine Energie, die ich zu einem kleinen Teil durch dich hindurch fließen lasse. Dadurch ist es uns möglich, andere Wesen zu heilen. Versuch es mal. Konzentriere dich auf deine Hände, sammle all deine Energie dort und dann lass sie frei.“
Ich versuchte es einige Male, aber erst beim dritten oder vierten funktionierte es. Ein eigenartiges Gefühl, als würde etwas von mir in ihn eindringen.
„Das war doch gar nicht so schwer oder?“, fragte er mit seinem bezaubernden Lächeln.
Ich lächelte. Er wusste eindeutig schon zu viel über mich, aber es machte mich zu glücklich, etwas Neues gelernt zu haben, noch dazu das Gefühl, das wir uns gegenseitig gegeben hatten. Als würde es einen bezaubern. Vielleicht war das ja auch seine Absicht, aber darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken. Allerdings brauchte ich etwas Ruhe, um das Ganze erst ein mal sacken zu lassen, also verabschiedete ich mich und legte mich in meinem Zimmer schlafen.

 

 

Den Rest des Buches habe ich leider noch nicht neu schreiben können, deshalb gibt es noch viele Fehler und fehlende Erklärungen. Da einige aber gern wissen wollten wie es weitergeht (und ich es selbst hasse wie die Pest, wenn ich warten muss),

habe ich den Rest einfach so wieder hochgeladen. Wünsche euch wie immer viel Spaß beim Lesen! :)

 

 

 

Sanft strich er mit seiner Hand über ihr Gesicht. Sie erstarrte nahezu und ihre Augen weiteten sich. Ihr Leib bebte nur noch, ihr Puls begann zu rasen. Es muss schon unglaublich spät gewesen sein, aber die Zeit war ihr nun egal. Der Augenblick, als ihre Blicke sich trafen, schien für die Unendlichkeit anzuhalten. Für einen kurzen Moment fühlte sie sich versunken, wie an Ketten gebunden, bis Sam die Gelegenheit erfasste und einen Schritt auf sie zu machte. Er nahm ihre Hände, als würden sie zerbrechen, würde er sie nicht vorsichtig genug berühren. Der Mond strahlte durch das Fenster und betonte die blasse, reine

Haut des Mädchens. Ihr Haar schimmerte golden durch das helle Licht, in dem Sam, so hilflos er sich zum derzeitigen Augenblick auch fühlte, wirkte wie der schwarze Engel, für den ihn alle hielten. Anmutig näherte er sich ihr ein weiteres Stück und wartete darauf, dass sie es ihm gleich tat. Wieder glitt seine Hand über ihre glühenden Wangen und wieder begann sie innerlich zu beben, als ihre Lippen sich trafen. Seine Augen begannen hell aufzuleuchten, als er nun wieder den schüchternen, ängstlichen Ausdruck in ihrem Gesicht betrachtete. Das Mädchen schien beinahe gefangen in seiner Haltung. Denn so sehr es ihr gefiel, so groß war auch die Angst, erneut verletzt zu werden. Er zog sie noch einmal fest an sich, als ihre Augen versuchten, zum Boden zu sehen.

 

 

 

Nacht 2

 

Lucy genoss die Stille, die sie umgab. Hier, auf den Dächern, war sie allein, konnte sich zurückziehen, wenn sie Zeit zum Nachdenken brauchte. Und die brauchte sie gerade sehr. Was ist gestern Nacht bloß passiert? Ihre letzte Erinnerung war, dass sie ins Wasser fiel. Es war sehr kalt und ihre Knochen gaben immer weiter nach. Demnach hätte sie ertrinken müssen. Tat sie aber nicht. Wie konnte es denn überhaupt dazu kommen? Ihre Kräfte hatten sie schon öfter verlassen, aber niemals so plötzlich, für gewöhnlich wurden sie zeitweilig immer weniger. Vermutlich war es einfach zu viel gestern, zu viel Krach, die Menschenmengen, so musste es gewesen sein. Allgemein waren die letzten Tage sehr anstrengend für sie. Es fiel ihr nicht schwer, ihre Gefühle vor anderen zu verbergen, aber in letzter Zeit machte sie sich auch eher darüber Gedanken, was ihre Gefühle eigentlich waren. An einigen Tagen überlegte sie, ob sie überhaupt noch dazu fähig war, zu fühlen. Sicher konnte sie noch lachen oder Mitleid empfinden, aber es fühlte sich...verblasst an. Nun, mit Ausnahme zweier Gefühle. Zum einen war da diese unbändige Wut, die sich immer häufiger in ihrem Inneren ausbreitete. Zum anderen das Gefühl unglaublicher

Begierde. Dabei wusste sie nicht einmal was es war, nachdem sich ihr Körper so sehr sehnte. Letzteres spürte sie erst seit Kurzem in solch einem Ausmaß. Um genau zu sein, seit sie auch des Nachts von Sam träumte. Eins war ihr klar, sie musste etwas dagegen unternehmen.

Wieder saß sie da, hilflos und erschüttert zusammen gehockt auf den kalten Ziegeln des alten Gebäudes, während sie mit ihren Fingern langsam über ihren Unterarm strich. Ihre Augen versanken nahezu in dieser Bewegung. Oder in dem Drang, dem sie nach so langer Zeit endlich nachgeben wollte. Er brauchte nicht bei ihr zu sein, um zu sehen was sie tat. Nun ja, rein theoretisch brauchte er dazu nicht einmal seine Gabe zu benutzen, denn der Geruch ihres Blutes war zu exotisch, als dass er ihn hätte verwechseln oder gar übersehen können. Es war keine große Menge Blut, also musste er seine Deckung nicht fallen lassen, so sehr er es auch wollte. Es würde ihr ohnehin Unbehagen bereiten, würde sie wissen, was er wusste. Oder was er sah.

„So ein Mist!“, fluchte Lucy, als ihr bewusst wurde, dass sie Sam versprochen hatte, einigen alten Unterrichtsstoff mit ihm durchzugehen. Nun ja, was hieß versprochen, die Lehrerin oder Professorin, wie sie sich so gern nennt, hatte sie mehr oder weniger dazu gezwungen. Sie eilte zur Zimmertür neben ihnen und klopfte wie wild an der Tür, um nach Sam zu fragen. Als keine auf ihr Klopfen reagierte, konzentrierte sie sich auf das Türschloss, um es mit eigener Kraft zu öffnen. Kein Wunder, dass sie keiner gehört hatte, bei der Lautstärke der Musik. Musik, die ihr nicht unbekannt war...aber gut. Da erstarrten ihre Gedanken auch schon, denn Sam stand mit einem Mal direkt vor ihr.

„Hey.“, bemerkte er mit einem unglaublich verführerischen Lächeln.

„S-Sam. Tut mir leid, ich hab's total verschlafen.“, stotterte sie und Hitze

durchströmte sie, also zog sie sich die Ärmel ihres Shirts hoch. Gott, wie

peinlich. Sie spürte an ihren Wangen, wie sie knall rot anlief und bemerkte erst jetzt, dass sie gerade etwas ziemlich blödes getan hatte. Sofort zog sie den Ärmel ihres linken Armes wieder runter. Zu spät, denn er packte ihr Handgelenk und sah von den dunkel roten Spuren fürsorglich in ihre Augen. Sie konnte seinem Blick nicht standhalten und sah zu Boden.

„Bist du eigentlich wahnsinnig? Du kannst doch nicht dein eigenes Blut

trinken.“

Lucy fühlte sich gar nicht gut, vor allem nicht, weil sie ihm nicht einmal sagen konnte, was genau passiert war. Sie wollte sich verteidigen, doch schon begann er weiter zu sprechen: „Ach Süße.“

Er nahm sie in beide Arme. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, dass etwas

falsch gemacht hatte und dazu aufgemuntert werden sollte, es erneut zu

versuchen. Woher wusste er, was passiert war? Und warum lag schon wieder diese Selbstverständlichkeit darin, als wäre es vollkommen normal, etwas Derartiges zu tun. Dieses Lächeln würde sie eines Tages noch vollkommen um den Verstand bringen, das stand fest.

„Tust du so etwas öfter?“, fragte er nun wieder ernster.

Sie schüttelte langsam den Kopf.

„Es tut mir leid, ich...“, sie knurrte leicht, „Ich konnte es nicht länger

zurückhalten. Ich weiß einfach nicht was mit mir los ist in letzter Zeit.

Manchmal habe ich das Gefühl, völlig durchzudrehen, wenn ich nicht endlich zur Ruhe komme.“

Warum hatte sie ihm gerade davon bloß erzählt? Sie fühlte sich schäbig, wollte nicht auch noch sein Mitleid.

„Entschuldige, für gewöhnlich ist es nicht meine Art, darüber zu sprechen.

Aber...was sollte denn passieren und woher wusstest du so genau-“

Mit den Fingern brachte er sie zum Schweigen.

„Weil ich es riechen konnte. Nur weil Menschen es nicht bemerken, heißt das nicht, dass es bei uns genauso ist oder?“, sprach er in einem sanften Ton. Sie war sich nicht sicher, wie sie darauf reagieren sollte. Konnte sie ihm wirklich vertrauen? Schließlich war er beinahe ZU perfekt. Dennoch beschloss sie schließlich, sich ihm zu öffnen, denn etwas an ihm beruhigte sie ungemein. Ein schönes Gefühl.

Ein greller Schrei ertönte, es war nicht schwierig zu erkennen, von wo er

ausging.

„Lissa, ich muss zu ihr!“

Sie spürte die Beängstigung, die in ihrer Schwester herrschte, und stürmte mit einem Satz aus dem Raum.

Eine ihrer besonderen Eigenschaften war es, die Stimmungen Anderer heraus zu hören und mit zu fühlen.

Was konnte es bloß sein, dass sie so zu erschüttern vermochte? Schließlich erreichte sie den Raum.

„Lissa, was ist los?“

Doch eine Antwort war nicht weiter nötig, denn auf der Stelle vernahm sie

einen Geruch, DIESEN Geruch, und blickte in die Ecke des Schrankes, vor dem ihre Schwester reglos, wie in Trance verfallen, stand. Sie beugte sich über die Kreatur oder besser gesagt, das, was von jener übrig war, in diesem Prozess des Verfalls, und wusste sofort wie sie diesen Zustand erreichte, schließlich erging es ihr beinahe genauso, vor fast einem Jahr.

„Ruf Viktor, Liss. Es ist einer seiner Leute, das steht unter seiner

Verantwortung.“

Wut stand ihr ins Gesicht geschrieben, so angewidert von diesem Anblick, von jenen, die solche Qualen über ihn hatten ergehen lassen und nicht zuletzt demjenigen, weshalb er sich überhaupt darauf eingelassen hatte, jenes zu erldulden. Aber weshalb positionierten sie ihn gerade hier, in diesem Zimmer, alles bloß Zufall oder war es doch vom Orden geplant...

„Was ist das, Lucy, was ist hier passiert?“

Sie schniefte beim Sprechen, ihre Augen noch rot, als sie ihre Schwester

umschlang.

„Ich halte das einfach nicht mehr aus, wieso können sie es nicht lassen,

weshalb passieren hier immer wieder solche Dinge?“

Sie drückte sich noch fester an sie.

„Das ist Diego...zumindest das, was von ihm noch übrig ist...Du weißt noch, mit was sie uns erpressen wollten, letztes Jahr? Das geschieht, wenn man dem zu lange ausgesetzt ist. Die Qualen werden immer unerträglicher, bis der Körper einen am Ende befreit.“

Wieder begann sie zu schluchzen, ihre Hände bohrten sich in Lucys Rücken. Sie wollte fort, weit weg von ihr, wo die Nächte warm sind, weg von all den Vorfällen, die immer häufiger geschahen.

Lucy versuchte sie allmählich zu beruhigen, strich ihr vorsichtig über den Kopf, doch sie wusste, dass Viktor jeden Augenblick auftauchen und sie somit wieder aufbringen würde. Er war nie ein Mensch für so etwas, nicht in den zwei Jahren, die sie ihn mittlerweile kannte. Er hatte etwas an sich, das die Menschen in Aufruhr versetzte, allein durch seine Anwesenheit.

Sam kam dazu, er musste etwas gemerkt haben. Er wollte sie beruhigen, ihre Wut besänftigen, so schmiegte er seine Hände von hinten sanft über ihre Hüften an ihren Bauch heran, sein Gesicht an ihrem. Er schien zu wissen, was hier vor sich ging. Wie konnte jemand in solch einer Situation nur so viel Ruhe geben?

„Was ist los?“

Viktor erschien und unterbrach die Ruhe. Sein Tonfall klang gleichgültig, doch plötzlich schien wahnsinnige Wut in ihm auf zu lodern.

„Was willst DU hier?“

Mit gezürntem Blick sah er zu Sam, er schien bereit, ihn auf der Stelle

anzugreifen, dieser erwiderte seine Anspielung jedoch nicht und blickte

gelassen zu ihm auf, während er noch immer Lucy in seinen Armen hielt.

Dies erschien Viktor in noch größeren Zorn zu versetzen. Er zückte ein Messer.

Es sah eigenartig aus, wie ein Gemisch aus Keramik und etwas Festerem, nur dass es zu flach war, um tatsächlich aus Keramik zu bestehen.

„Was willst du hier? Finger weg von meinen Töchtern oder du bist tot, ehe sie sich darüber bewusst sein werden.“

Lucy nahm seine Hand, presste ihre Finger so sehr in die seinen, dass sich

dunkle Spuren in seiner Haut auftaten. Wieder brannte solch eine Wut in ihr, während ihre von Zorn erfüllten Augen ihn an funkelten.

„Nimm deinen Anhänger und verschwinde, sonst werde ich-“

„Du wirst was? Meinst du, du kannst deinen eigenen Vater töten, und das vor den Augen deiner Schwester? Das denke ich weniger, Liebes.“

Er klang amüsiert von der Vorstellung, dennoch wusste Lucy, dass er

unglaubliche Angst vor ihr hatte, aber das hatte auch seine Gründe.

„Ich bin nicht dein Liebes und nein, denn ich bin nicht so wie ihr, also

verschwinde, und nimm deinen Gefährten mit, oder ich rufe die Garde.“

Nun wusste auch er nicht weiter, damit hatte er nicht gerechnet. Er verzog das Gesicht, kümmerte sich um Diegos Körper und verschwand so plötzlich, wie er gekommen war.

Lissa spürte, - wie auch all die anderen - dass etwas an Sam nicht normal war. Es machte ihr Angst, in dieser Situation von ihm umgeben zu sein, so sehr sie ihn vorher auch begehrte.

„Magst du noch bleiben?“

Lucys Augen wirkten groß und ängstlich, sie schien nach etwas zu suchen,

während sie in die seinen sah. Er nickte kurz zustimmend, Sorge war in seinem Ausdruck, und sie legten sich auf das in der linken Ecke stehende Bett des kleinen, schwach beleuchteten Zimmers. Lissa tat es ihnen gleich, gegenüber von ihnen, starrte noch eine Weile an die Decke und schlief recht schnell wieder ein.

Lucy krallte sich leicht an Sam. Sie hatte Angst. Da waren zu viele Gedanken, die ihren Geist durchstreiften. Was der Orden mit Diego getan hatte, musste irgendeinen tieferen Grund haben, aber welchen und warum gerade jetzt? Und wie sollte es weiter gehen? Was hatte es mit Sam auf sich, warum wirkte ihr angeblicher Erzeuger so gereizt auf ihn? Dennoch schien Viktor etwas zurückzuhalten, er hätte doch sonst nie gezögert... Was momentan mit ihren Kräften los war...einmal verlief alles wunderbar, im nächsten Moment konnte sie keinen Funken Energie in sich spüren und im wiederum nächsten spürte sie eine gewaltige Kraft von sich ausgehen, die sich nicht unter Kontrolle hatte...schon seit einigen Wochen verunsicherte sie diese Tatsache. Und dann kam auch noch Sam dazwischen, so wunderbar wie er war, aber er wusste scheinbar so vieles über unsere Art, zu vieles, so schnell wie er erkannte, dass sie eine von ihnen war...Schließlich verfiel auch sie endlich in den Schlaf.

„Wo versteckt er sich?“

Ein Mann fortgeschrittenen Alters wandte sich zu Lucy, die an einem Stuhl

gefesselt in der Mitte eines Kreises voller Ordensmitglieder saß.

„Sag uns, wo versteckt er sich?“

Wieder sprach der Minister zu ihr, und wieder sah sie ignorant zur Seite.

Der andere der beiden Männer war Markus, er war einer der engsten Anhänger ihres Vaters und besorgte regelmäßig Informationen für den Clan, doch seine Freude schien nicht bloß gespielt, zu sehen, wie sie wehrlos dasaß.

„Nun gut, ich war so frei und gab dir die Chance, es uns schmerzlos

mitzuteilen, so bin ich wohl mehr oder weniger dazu gezwungen, unser

neues...Experiment an dir zu testen.“

Er sah zu einem seiner Garde und teilte ihm mit, dass er herkommen sollte. Er zückte eine Spritze, dessen Inhalt eine gelb goldene Substanz war, die Lucy unbekannt war. Hierbei handelte es sich schon mal nicht um ein Wahrheitsserum, so viel stand fest, dann wäre es ihr ein Leichtes gewesen, die Wirkung dessen zu umgehen. Die Flüssigkeit gelang in ihren Blutkreislauf, unerträgliche Schmerzen machten sich in ihrem Körper breit. Sie versuchte die Schreie zurückzuhalten, und es gelang ihr nur schwer. Niemals hatte sie solch einen Schmerz verspürt. Als würde ihr Körper von innen heraus verbrennen oder weg ätzen. Ein Stöhnen konnte sie nicht länger zurückhalten, Tränen quollen aus ihren Augen. Der Augenblick erschien wie eine Ewigkeit.

„Es sind zwar gerade mal zehn Sekunden vergangen, aber du hältst dich

wirklich gut, das muss man sagen, der letzte war bereits kreidebleich nach

dieser kurzen Weile. Vielleicht magst du uns jetzt mehr erzählen?“

Seine Stimme klang erfreut, belustigt, und er zeigte auf weitere Behälter der im Mondlicht golden schimmernden Flüssigkeit.

„Das, meine Liebe, ist Vertanum. Recht ungefährlich für Menschen, man

beobachtet kaum eine Wirkung. Bei anderen unter uns Lebenden jedoch...wirkt es äußerst schmerzvoll. Diese kleine Menge reicht aus, um eine Kreatur ihresgleichen eine halbe Stunde lang außer Gefecht zu setzen. Bei unserem Freund Diego reichten 30 Minuten aus, um ihm völlig sprachlos zu machen. Nun ja, deine Dosierung hält erst einmal für fünf Minuten an, also sprich, ehe wir gezwungen sind, den Abend so fortzuführen.“

Er klang immer amüsierter.

Lucy kämpfte noch immer gegen diese krampfartigen Qualen an, hielt jedoch an ihrer Ignoranz fest und sprach kein Wort.

„Kein kluges Mädchen. Du hättest es bei uns so weit bringen können.

Stattdessen beschützt du deine Familie. Welch eine Tragödie, wenn wir ihnen mitteilen müssen, dass ihre arme Tochter und Schwester starb, als sie aus dem Fenster stürzte.“

„Die Lehrer werden wissen, dass jemand nachgeholfen hat, sie wissen, dass ihr hier seid.“

„Gar nichts wissen sie, lediglich, dass dein Vater dabei ist, das Schloss

anzugreifen, wer wird da noch seine Aufmerksamkeit auf uns richten? Tja,

werden wohl alle annehmen, er selbst habe seine Tochter dazu gebracht, sich ihr Leben zu nehmen... wie tragisch.“

Wieder legte er dieses abscheuliche Grinsen auf.

 

Weitere Stiche folgten. Mittlerweile mussten schon fast 30 Minuten vergangen sein, sie hatte es geschafft, sich mit dem Schmerz zurecht zu finden, ließ ihre Sorgen in andere Richtungen gehen. Ihre einzige Hoffnung war, dass es Lissa und Nikolai gut ging.

Da war er nun, kam hinein gestürmt, um sie zu retten, doch er kannte die

Techniken des Ordens nicht, wusste nicht, wie weit sie fähig waren, ihre Magie einzusetzen. Schon erhob sich Markus und sprach die Worte, die für ihren Freund die letzten sein sollten.

„Nex Ignipes!“

„Nikolai!“

„Nein...nicht!“

 

 

Sie schrie, wälzte sich hin und her im Schlaf, zitterte, und krallte sich wieder an Sam, der noch immer versuchte, sie aus diesem grausamen Traum zu reißen.

„Hey, ich bin doch da. Süße, es ist alles gut.“

Er streichelte sie, drückte sie fest an sich und sah mit seinen wundervollen

Augen in die ihren. Sein Blick beruhigte sie allmählich.

„Hey... ist alles okay?“

Wieder strich er sanft über ihre Wangen. Sie nickte und verbarg ihren Kopf anschließend in seiner Brust, wo ihre Erinnerung endlich wieder verblasste und sie wieder sicherer fühlen konnte.

Das schien kein gewöhnlicher Traum zu sein, so sehr wie sie es spürte, als

wäre sie… mitten drin gewesen...

Und was hatte es mit dem Dämonen auf sich, der sich auf ihrem Zimmer

befand...

Sie muss gewusst haben, was mit ihm geschehen war, aber wie konnte sie

davon wissen... Das muss es gewesen sein, es war kein bloßer Traum, viel mehr eine Erinnerung, vielleicht sogar ihre eigene.

Er wollte es ihnen heimzahlen, jedem einzelnen von jenen, die ihr solch einen Schmerz zugefügt hatten. Aber wie gelangen Menschen wie diese überhaupt an solch qualvolle Mittel ihrer Art?

Das musste bedeuten, dass hier noch jemand war, der mehr wusste, dabei spürte er in den letzten Wochen kein einziges Mal eine Aura, die dies bestätigen konnte.

 

Er war es Leid sie zu betrügen, aber es ging nun mal nicht anders, nicht jetzt. Er streichelte sie noch eine Weile, sie spielte mit seinen Händen, bis sie schlief. Es war wundervoll, ihr dabei zuzusehen und er spürte so eine wunderbare Wärme in sich, als er sie weiter betrachtete. Sie war nun vollkommen ruhig, ihr Atem langsam und gleichmäßig, mit dem sich ihr Körper leicht mit bewegte. Am nächsten Morgen sah für Lucy gleich alles wieder viel besser aus, sie fühlte sich gut, als sei alles bloß ein böser Traum gewesen. Die erste Nacht des Jahres, in der sie wieder normal schlief, wow. Sie überlegte, ob Sam nun wirklich da gewesen war, denn bei ihr schien er nicht gewesen zu sein...und was war mit Lissa, die sich an rein gar nichts erinnerte? Ob sie es verdrängt hatte...oder ihr wohlmöglich jemand dazu beigeholfen hatte?

Wenn sie das nur wüsste, dachte sie.

Was war mit Sam...warum...tauchte er immer so aus dem Nichts heraus auf und wusste, was er tun musste...es beunruhigt das Mädchen. Andererseits ist gerade das einer der Gründe, wofür sie ihn so mochte.

Vielleicht sollte sie ihn in der Pause einfach mal darauf ansprechen...oder

später...

Sie hoffte, sie würde es dadurch nicht noch schlimmer machen, schließlich war er der einzige, der sie wirklich verstehen konnte, wenn sie auch noch nicht viel über ihn wusste, aber es fühlte sich an, als würden sie uns schon seit einer Ewigkeit kennen, sie fühlte sich so...normal, wenn er da war.

„Jetzt schmoll doch nicht so herum. Mach dich fertig, sonst kommen wir noch zu spät.“

Lissa, sie war fröhlich, aber wie nur, nach all dem, was gestern geschah?

Gedankenversunken und noch halb schlaftrunken begann nun auch Lucy, sich anzuziehen. Als sie den riesigen Flur entlang zur Treppe nahmen, stieg das Gefühl von Irritation in Lucy immer weiter an.

„Hm...was meinst du, ob er Gefallen an mir hat? Ich meine, er kam gestern drei Mal rein zufällig an unserem Zimmer vorbei, und die Treppe ist auf der anderen Seite.“

Sie kicherte und tänzelte, hüpfte den Weg slalonartig entlang.

Glücklich sah sie aus.

„Du bist verlobt, Liss. Und wen meinst du überhaupt?“

„Na mal überlegen, wer ist erst seit Neuestem hier und bringt alles zum

Kreischen mit seiner bloßen Anwesenheit?“

Mit verdrehten Augen - sie sah beinahe etwas berauscht aus - griente sie und ging voran.

„Sam natürlich!“

Sie lächelte noch immer, ihr gefiel der Gedanke, doch auch Lucy begann zu schmunzeln. Sie wusste, dass bis jetzt noch nichts passiert war, dass sie in irgendeiner Art an Sam gebunden hatte, bis jetzt kamen sie einfach nur gut miteinander aus. Nur war sie sich nun endgültig sicher, dass ihre Schwester sich an rein gar nichts mehr von dem erinnern konnte, was gestern vorgefallen war.

Im Speisesaal angekommen und nach einigen weiteren Diskussionen über „den Neuen“ hielten sie auf der Stelle Ausschau nach ihm, jedoch ohne Erfolg.

„Hey, lass uns erst mal etwas Essen, haben doch nachher eh noch Zeit, hm?“

Lucy gelang es so gut wie immer, ihre Schwester mit einer aufmunternden

Miene und wenigen Worten ein wenig abzulenken und auf etwas anderes zu fokussieren.

„Guten Morgen ihr Süßen.“

„Hey Mace.“

„Heute so fröhlich, was gibt’s denn so Erfreuliches?“

Mason brachte wie immer gute Laune mit in unseren Kreis und während er

Lissa anstrahlte, warf er immer wieder die hell blonden, Schulter langen

Strähnen zurück, die ihm durch sein freundliches Gesicht streiften.

„Oh, das willst du gar nicht wissen.“

Die Mädchen brachen in Gelächter aus.

„Lissa ist verliebt.“

Dabei zwinkerte Lucy wild mit den Augen, imitierte einen Engel.

„Gar nicht wahr, er ist einfach nur wahnsinnig heiß, okay?“

Und sie blickte mit angezogenen Brauen in die Runde.

Es war die Wahrheit, denn sie war ja immer noch verlobt und auch Lucy

musste ihr in Gedanken zustimmen, während sie träumerisch durch den Raum starrte. Bis sie plötzlich erschrak.

„Hey.“

Sam. Eindeutig, sie erkannte es an den Blicken der anderen, die bei seinem Erscheinen sofort etwas Nachdenkliches annahmen, sowie an der Wärme und etwas anderem, was nur von ihm ausgehen konnte. Endlich sah auch sie zu ihm auf, sah wie zufrieden er zu ihnen sah. Einige Sekunden betrachtete sie ihn. In irgendeiner Weise fühlte Lucy sich von ihm eingedrungen, als er zu ihr sprach. Dieses Arrogante in seinem Blick, es war ihr neu.

„Lasst ihr mich jetzt zu euch oder soll ich noch länger warten?“

Dennoch hatte seine Stimme etwas Einladendes und er setzte sich dazu. Des Öfteren kreuzten sich seine Blicke mit denen anderer Mädchen unseres Jahrgangs, er lächelte, während er kurzzeitig die Augen schloss, um sie ruckartig wieder zu öffnen, was auch den Mädchen ein Strahlen auftat, die er gerade ansah.

Die Schwestern wollten sich das nicht mehr ansehen. Verunsichert und ein

wenig sauer sahen sie zu ihm, bis Lucy zu ihrer Schwester blickte, die Augen verdrehte und ein Zeichen gab, dass sie nun losgingen.

Den Saal verlassen kamen noch einmal sämtliche Gefühle in Lucy auf. Sie war verletzt. Sie wusste, dass nichts zwischen ihnen lief. Dennoch machte sie sich irgendwo Hoffnungen. Was sollte das alles? Was sollte das eben? Warum war er überhaupt so freundlich, so aufgeschlossen zu ihr, wenn er mit mal eine nach der anderen aufriss? Oder war sie für ihn doch bloß eine, wie all die anderen auch, mal ebenso zum Amüsieren...

Ihre Hände schlossen sich zu Fäusten.

Die Freude wurde noch größer, als sich alle im Klassenzimmer niederließen und Professor Nogan, die derzeitige Geschichtslehrerin, Sam zu ihr zu setze. Ignoranz lag in ihrem Blick.

„Was ist denn mit dir los?“

„Was soll sein?“

Sie war gereizt, dass gerade er noch nach so etwas fragte. Alle möglichen

verbalen Äußerungen schossen ihr durch den Kopf, am liebsten wäre sie

einfach gegangen, um erst einmal ihre Wut abzubauen.

Sie saßen recht weit hinten in dem recht großen Klassenraum, daher ergriff Lucy ihre Chance, um noch ein wenig Musik zu hören. Das Handy gerade in die Hand genommen, nahm auch Sam sie.

„Ist wirklich alles okay?“

Normalerweise wäre sie daraufhin wahnsinnig sauer geworden, die Realität jedoch sah anders aus, als er ihr mit seinem unschuldigen und leicht entschuldigenden Blick in die Augen sah.

Sie fühlte sich so sehr eingenommen, nicht fähig auch nur irgendwelche Worte zu finden, sodass sie beschloss sich einfach auf die Musik zu konzentrieren, während ihre Hände leicht zitterten.

„Darf ich?“

Er zeigte auf den nicht benutzen Kopfhörer.

„Ahm, das wird nicht so dein Ding sein.“

Mit verunsicherter Miene wartete sie seine Reaktion ab, irgendwo war sie noch immer leicht gereizt wegen ihm.

„Cool, Fejd.“

Ein schiefes Lächeln folgte und er sah, nachdem er kurz die Augen schloss, tief in die ihren.

Sie strahlte.

„Wow, ich dachte die kennt kein Mensch.“

Die Verlegenheit schien sich wieder in ihr breit zu machen, als sie sich leicht auf die Unterlippe biss.

„Du stehst also auf Mittelalter?“

„Naja, eigentlich alles Mögliche, aber ja.“

Noch immer war ihr Ausdruck leicht verlegen. Sie redeten noch eine Weile und mit dieser schien auch ihre Verunsicherung immer weiter zu schwinden. Wieder fühlte sie sich wohl. Es folgten ein paar Minuten Stille, in denen Lucy Gedanken versunken in ihren Träumen umher wirrte.

„Lucy, würdest du mir jetzt bitte die Ehre erweisen und meine Frage

beantworten?“

Mist...schon wieder...hätte sie wenigstens noch so weit zugehört, dass sie

mitbekommen hätte, was die Frau von ihr wissen wollte.

„Entschuldigung, Professor, ich habe sie abgelenkt. Ich verstand den

Zusammenhang zwischen der beiden Ereignisse nicht, dann war sie so nett, mir das noch einmal genauer zu erklären.“

Sein Tonfall war so wahnsinnig anziehend, er wickelte die Lehrerin nahezu ein, Lucy hatte schon den Verdacht, er könne die Menschen beeinflussen, mit der Art, wie er zu ihnen sprach und genau das war der Fall, denn sie gab ihr noch eine Chance.

„In Ordnung, aber ich bitte dich, deine Fragen das nächste Mal für später

aufzuheben.“

„Natürlich.“

Beschämt bedankte sie sich bei ihm.

Es klingelte und endlich fühlte sie sich wieder ein wenig freier. Sie freute sich, denn mittlerweile wusste sie, dass Sam auch all die anderen Kurse belegte, die sie hatte.

Der Tag schritt voran, noch immer schlummerte ein klein wenig Unsicherheit in ihr, was Sam betraf, aber sie freute sich einfach, dass sie jemanden hatte, mit dem sie sich so sehr verstand.

Er konnte sie nicht weiter so sehen. So...verletzt...aber was sollte er tun, sie hatte keine Ahnung von seiner Welt, wusste womöglich nicht einmal von der Existenz jener, und dennoch spürte er so eine Verbundenheit zwischen ihnen.

Sie war IHR...so wahnsinnig ähnlich, vom Aussehen, ihre Ansichten, selbst die Art, wie sie spricht oder wie sie lachte, dachte er sich. Und gerade an diesem Ort ging diese gewaltige Machtquelle aus...Er machte sich Sorgen, ob sie etwas damit zu tun haben konnte oder überhaupt etwas davon wusste.

Es tat ihm so leid, aber er konnte nicht weiter zulassen, dass sie ihm näher kam, sie würde eh wieder fortgehen, würde sie erfahren, wer er war...

Freunde, das war alles, er durfte ihr nicht noch weiter Hoffnungen machen, das wäre falsch...es wird sich nichts für sie ändern, sie würde glücklich werden und er sie beschützen, soweit er konnte, ehe er herausgefunden hatte, was es mit der Quelle letzten Jahres auf sich hatte.

So vieles schien auf ihr zu liegen, er wollte ihr helfen, doch wie, wenn er nicht einmal über Kleinigkeiten sprechen konnte, ohne von diesem strahlendem Licht eingenommen zu werden...

Sie würde es niemals verstehen, eine zu große Bürde, von den ohnehin schon existierenden, die er auf sie erlegen würde...

Mittlerweile waren schon bald zwei Wochen vergangen, die Sam mit ihnen

verbrachte, und Lucy freute sich, dass sie sich trotz des merkwürdigen Startes immer besser verstanden. Sie konnte mit ihm reden, als hätten sie sich bereits seit einer Ewigkeit gekannt. Dieses Vertraute an ihm, es schien sogar noch stärker zu werden, als es ohnehin schon war. Ihr gefiel es, ihre Abende nun zusammen mit Sam auf dem flachen, aber doch noch leicht rutschigem Dach zu verbringen, welches man direkt erreichte, wenn man durch das Fenster eines ihrer Zimmer stieg. Sie fühlte sich so...lebendig. Dieses merkwürdige Gefühl von vor einigen Wochen, es schien immer weiter zu verschwinden, als wäre sie...vollständig. Trotzdem dachte sie noch immer viel über Sam und seine Beweggründe nach. Er war anders, nicht einmal die größten Vollidioten würden dem widersprechen, aber eben auf seine Weise, und das war etwas, das ihr noch mehr an ihm gefiel. Von Tag zu Tag wurde es mehr. Ebenso über die Tatsache, dass er einen Grund hatte, wofür er hier war, und der war alles andere als sein Abschluss oder eine Aufenthaltsgenehmigung unseres Landes, so wie er es angab. Die meisten Leute dachten noch immer, er komme aus Norwegen und benötige den Abschluss, um bei seinem letzten

Verwandten, der hier in Deutschland lebe, wohnen zu dürfen. Naja,  immerhin hatte er ihr erzählt, dass er nicht deswegen hier war, sondern, um seiner Aufgabe nach zu gehen. Auch wusste sie, dass er älter war als die Schüler hier, das konnte man ihm wohl kaum aberkennen, aber sein wahres Alter verriet er ihr nicht.

Ein weiterer Abend, den er damit verbrachte, sie zu malen...Er fragte sich,

ob er es jemals lassen konnte. Nicht ahnend begann sein Puls zu rasen, als er Lissa in erschrocken in seinem Zimmer bemerkte, die beinahe seine derzeitige Zeichnung gesehen hatte. Er überlegte, wie lange er schon nicht mehr solch eine Angst in sich verspürte, etwas so...Menschliches.

„Hey, was machst?“

„Hey Liss. Ach gar nichts, bisschen malen.“

Dem Wahnsinn immer näher kommend, dachte er verärgert darüber nach,

dass dies mit Abstand die schlechteste Ausrede war, die ihm die letzten hundert Jahre über die Lippen ging.

„Hmm...dann magst du mir mal zeigen, was du so 'gar nichts' malst?

Ich war eigentlich auf der Suche nach Mirko, der wollte schon vor zehn Minuten unten sein. War er noch hier?“

„Mirko..der ist schon seit einer Weile unterwegs, sorry.“

Das war es nun, denn mit einem Mal schnappte sie sich meinen Block. Er war tot, so viel stand fest. Würde sie es Lucy erzählen, so konnte er auf der Stelle anfangen zu packen, sagte ihm sein Verstand...oder etwas anderes, das seine Gedanken einnahm...

„Woow, Sam, die sind ja wunderschön. Und die sind alle von dir?“

Zwar verstand er nicht direkt wie, aber sie schienen ihr wirklich wahnsinnig zu gefallen, es waren keine leeren Komplimente, die sie von sich gab, denn ich sah in ihrem Blick, wie beeindruckt sie tatsächlich war. Dennoch war es mir ein Rätsel, weshalb sie nicht auf der Stelle begann, in Rage zu verfallen. Schließlich war es ihre kleine Schwester, die auf fast all den Bildern zu erkennen war.

„Mhm.“

„Oh, ich nehme an, sie weiß nichts davon, hm?“

„Mmhm.“

Er glaubte, sich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr so dermaßen unwohl

gefühlt zu haben, aber was sollte er dazu sagen? Sie schien seine Hilflosigkeit in diesem Moment zu erkennen, denn sie lächelte, wenn auch kopfschüttelnd.

„Ach Sam, ich bin mir sicher, sie würde es eher als eine Art Ehre empfinden, aber gut, ich werde ihr schon nichts sagen, okay? Kannst dich auf mich verlassen.“

Sein Magen, der sich kurz zuvor noch anfühlte, als stürmte eine Horde

aufgebrachter Goblins in den Krieg, war mit einem Male wieder vollkommen beruhigt, als sie ihn mit ihrer fröhlichen und gelassenen Art ansah. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, mit dem Wissen, dass er ihr in der Hinsicht wohl wirklich vertrauen konnte.

„Und keine Sorge, sie ist noch unten, bei den anderen, und feiert. Warum

kommst du nicht auch mit?“

„Tut mir Leid, aber mir ist gerade echt nicht großartig danach.“

Der Morgen verlief angenehm, viele machten sich auf den Weg, um über das verlängerte Wochenende zu ihren Familien zu fahren, was Lucy endlich einmal Zeit dazu gab, aus zu schlafen und sich um nichts weiter kümmern zu müssen. Nun ja, zumindest dachte sie so, bis ihre Schwester bereits fertig angezogen und aufgetakelt vor ihr stand, wofür auch immer.

„Hnnn...du bist ja immer noch im Bett, hast du eigentlich irgendwann Mal

daran gedacht, aufzustehen?“

Lucy bezweifelte, dass sie ihre letzten Worte verstand, denn es war mehr ein mürrisches Knurren, was da gerade aus ihr heraus kam, so wie jeden Morgen, an dem Lissa versuchte mit ihr zu sprechen, ehe sie ihre Portion Gegröhl hinter sich hatte.

Sie begann die Vorhänge noch weiter aufzuziehen, worauf Lucy auf der Stelle auf sie gestürzt wäre, wäre sie fähig gewesen, aufzustehen.

„Mach das weg!“, knurrte sie.

„Meine Liebe, das tue ich. Sobald du dich aus dem Bett erhoben hast!“

„Hnn...ich komm ja schon. Was ist denn los, dass du es so eilig hast?“

„Was los ist? Wir wollten uns in genau fünf Minuten bei den Jungs treffen, das ist los. Und du bist noch nicht einmal angezogen!“

„Ach Mist, das hatte ich total verpennt.“, sprach Lucy.

Dabei stand es nun schon seit fast einer Woche fest, dass sie heute mit ihren chaotischen Freunden zum Strand wollten. Die Vorstellung gefiel ihr, an einem Ort zu sein, wo sie frei sein konnte, wer sie war. Vor allem zusammen mit Sam.

Mittlerweile waren bereits alle im Wasser oder auf einem der

Beachvolleyballplätze verschwunden. Nur Sam und Lucy blieben übrig. Er war den größten Teil der Zeit damit beschäftigt zu malen, also unterhielten sie sich ein wenig.

„Lissa meint, du könntest wahnsinnig gut zeichnen, sie war außer sich, als sie es mir erzählte. Magst du mir vielleicht ein paar deiner Sachen zeigen?“

„Meint sie, ja?“

Wann würde er jemals aufhören, sie auf diese Weise an zu sehen?

Es war verwundernd genug, dass sie die letzten zwei Wochen überstand, aber würde es so weitergehen, so würde es sie garantiert noch irgendwann um den Verstand bringen, sofern dies noch nicht geschehen war, überlegte sie. Allein bei der Vorstellung dessen begann sie selbst lautlos zu lachen, damit er möglichst nicht zu viel davon mitbekam.

„Hmm, ich zeige meine Zeichnung nur ungern anderen, vor allem, weil es

überwiegend andere Frauen sind, die ich male, aber wenn du schon wieder so süß vor dich hin strahlst, werde ich wohl Mal eine Ausnahme machen können.“

Und wieder dieses eigentlich so kindliche Grinsen, als er ihr mit seiner Hand den Kopf tätschelte, als sei sie ein Hund. Es gefiel ihr schon wieder viel zu sehr, musste sie sich eingestehen.

„Bitte.“

Erstaunt blätterte sie von einer Seite zur nächsten.

„Wow, die sind echt wunderschön.“

Schon wieder hatte sie sich zu fest auf die Lippe gebissen. Warum tat sie das so außerordentlich oft in letzter Zeit? Woooah, wie kann man so geil zeichnen, dachte sie sich. Genauso beeindruckt war sie von den Frauen, die er malte. Irgendwo machte es sie wahnsinnig sauer, zu sehen, wie viele so unglaublich schöne Frauen sich von ihm hatten malen lassen. Gleichzeitig ließ es sie bedeutungslos fühlen. Wie konnte ein Mann, der so begehrt und auch noch talentiert war schon Interesse an jemandem wie ihr entwickeln, wo sie abhängiger von ihm war, als ein kleines Kind von seiner Mutter…

Nun ja, etwas Gutes hatte es, denn er stand trotzdem zu ihr,

stellte sie aufmunternd fest.

Er unterbrach die unangenehme Stille und sah auf das künstliche Meer, dass einige Meter von ihnen entfernt lag. Bis hierher konnte man die leichten Wellen rauschen hören, sanft und friedlich und Lucy fragte sich, wie man etwas so wunderschönes künstlich in einer Halle wie diesen erzeugen konnte.

„Nun, das liegt daran, dass ich grundsätzlich nur schöne Frauen male.“

Diesmal wandte sich sein Blick schneller zu ihr, als sie reagieren konnte. Was sollte sie darauf antworten? Er wird bemerkt haben, dass sich ein Gefühl von Minderheit in ihr ausbreitete, er war wahnsinnig gut darin, ihre Gedanken zu durchschauen.

Sein Blick durchbohrte das Mädchen noch immer und dabei machte sich solch eine Begierde in ihr breit. Beklagend spürte sie, wie nervös sie die Situation machte. Nicht wissend, wie sie nun weitergehen sollte, unterließ sie es jetzt, ihren Blick abzuwenden, und sah fest zu ihm auf. Das war ein Fehler, aber wie hätte es auch gut verlaufen können, dachte sie sich und begann -wenn auch nur leicht- zu zittern, ihr Atem wurde immer schneller, so auch ihr Pulsschlag, wie ihr Magen es ihr mitteilte. Sie wollte absolut alles an ihm, jetzt, auf der Stelle. Noch nie war es so schlimm gewesen, das Gefühl zu verlangen und es war weitaus mehr als sein Blut, was sie wollte. Und mit einem Mal verschwand all das. Sie überlegte eine Weile, ob sie kurz eingenickt war, während sie diese unglaublich hübschen Frauen betrachtete.

„Hey, alles okay?“

Sein Blick schien leicht besorgt, trotzdem waren seine Mundwinkel angezogen, was das Mädchen in die Realität zurückholte. Vorsichtig strich er ihr über den Kopf und wieder ging ihr der Gedanke, was er nun wirklich in ihr sah, nicht aus dem Kopf. Verbunden mit dem, was der eigentliche Grund war, weshalb er hier war. Sie musste es einfach noch einmal versuchen, nun waren sie allein und die anderen würden so schnell nicht wiederkommen.

„Du Sam, magst du jetzt mit mir sprechen?“

Ihre Stimme klang noch immer ein wenig eingeschüchtert, doch der Ausdruck darin war nachdenklich, als sie erneut zu ihm auf sah.

„Du meinst, weshalb ich hier bin?“

Es war mehr eine Feststellung, als Frage.

„Und wenn du es weißt, was meinst du, würde es dir bringen?“

Sein Tonfall klang nicht genervt, aber auf irgendeine Weise bedrückt, stellte Lucy fest.

„Ich weiß nicht, ich könnte einfach endlich Mal damit aufhören, ständig darüber nachzudenken. Es gibt momentan schon so vieles, was mich beschäftigt, so vieles, was ich dazulerne, aber bei dir...komme ich einfach nicht voran.“

„Ich denke, es würde dich nur zu noch weiteren Fragen bringen, aber da es dir ja so unheimlich wichtig zu sein scheint, okay. Lass uns eine Abmachung treffen.“

Dieses so unglaublich charmante in seinen Worten und die Art, wie sein

Schmunzeln in seinen Augen auf zu leuchten begann, konnte kaum etwas

Gutes verheißen.

„Ich werde dir den Grund nennen, weshalb ich hier bin, und mittlerweile

vielleicht auch einige andere, doch dafür...werde ich dich malen. Ich höre?“

Die Belustigung in seinen Worten war noch immer da. Mit seinen Fingern

spielte er sich am Kinn, was beeindruckend verlockend wirkte. Malen...sie. Das war nun endgültig alles andere, als sie sich als Bedingung vorgestellt hatte, aber nun gut, wenn er es wirklich ernst meinte und sie damit endlich mehr über ihn erfahren konnte, so war es ihr das wert, also stimmte sie ihm zu.

 

Die restliche Zeit des Tages strich nur so an ihr vorbei, so gedankenversunken lag sie auf der weichen Samtdecke, die der Sand darunter noch angenehmer machte.

„Ich bineine Weile bei Mirko, ruf mich an, wenn was ist.“

Darauf verließ Lissa das Zimmer. Wenig später kam Sam vorbei, sie hatte

Mal wieder völlig vergessen, dass sie vorhatten zu lernen, somit war also

nichts vorbereitet. Ihm schien es aufgefallen zu sein, denn kurz nach ihrer

Erscheinung ihm gegenüber wechselte er das Thema. Sie sprachen eine Weile über dies und das, ein wenig über Musik, aber er schien es auf etwas abgesehen zu haben, denn sie konnte sich an kein Gespräch mit ihm erinnern, dass so vom Alltäglichen geprägt war.

„Ich habe dir doch etwas versprochen.“

Schon wieder dieser Blick, so allmählich musste er doch mal dahinter

gekommen sein, dass er jeden damit vollkommen aus dem Konzept brachte.

Und vor allem sie...

Es fiel ihr schwer, sich auf das eigentliche Thema einzulassen, während sie

ihm weiter dabei zusah, sich darüber zu amüsieren, wie unbeholfen sie gerade war.

„Nun, wenn ich ehrlich bin, sind wir auf der Suche nach etwas. Besser gesagt, nach jemandem. Vor knapp einem Jahr verspürten sehr viele von uns eine gewaltige Kraft, die von der Umgebung hier ausging. Diese war alles andere als irdisch und nicht einmal Engel höheren Ranges könnten solch eine Macht erzeugen. Bedauerlicherweise war es nur für einen kurzen Moment, wo wir ihre Aura hatten spüren können, worauf es unmöglich war zuzuordnen, woher sie genau kam.“

„Sie?“

Lucy schossen so wahnsinnig viele Gedanken durch den Kopf. Er sprach

eindeutig von Jeira, aber das hätte er doch bemerkt all die Zeit über?

„Kannst du mir ihren Namen nennen?“

„Wofür?“

Er klang vorsichtig, besorgt.

„Weil ich wissen will, ob es Jeira ist, von der du sprichst?“

„Aber wie...woher kennst du ihren Namen?“

„Vor ca. einem Jahr fing der Orden an ein Mittel gegen uns einzusetzen, was dir einen grausameren Schmerz zufügt, man es sich vorstellen kann, für die meisten war es die Erlösung, als ihr Körper nachgab und nicht weiter versuchte, gegen es an zu kämpfen. Es zerfrisst deinen gesamten Körper von innen heraus, samt Flügel. Nun, auch Jeira war ihnen zum Opfer gefallen, wir fanden ihren Körper, wenn man das noch so nennen konnte, draußen, auf einem der Hügel des Schulgeländes an einem Kreuz hängen. Sie hatten es so geschützt, dass nur Dämonen und ähnliche Wesen es sehen konnten, es war ein grausamer Anblick. Trotz allem trieb mich etwas immer näher an sie heran. Ich hatte nicht vor, sie zu berühren, aber als ich ihre Stimme hörte ,tat ich es einfach.“

Sie wollte nicht weiter erzählen, viel zu groß war die Angst, sich vor Sam zur Wahnsinnigen zu machen.

„Und dann, was geschah dann?“

„Ich weiß es nicht.“

Ich war schon immer eine schlechte Lügnerin, aber meine Ängste waren

einfach zu groß, ebenso wie die Tatsache, dass ich manchmal selbst an der Wahrheit dessen zweifelte, wären da nicht ab und an Ereignisse gewesen, in denen ich sie mehr als nur spüren konnte.

Er schien genau zu wissen, wie er absolut alles von mir bekam, in dem er mir sanft über die Wange strich, während er mir noch immer beruhigend in die Augen sah.

„Süße, das ist wirklich wichtig für mich, hm? Hab keine Angst, ich weiß, dass du nicht verrückt bist, zumindest nicht in dem Sinne“, er schmunzelte, „aber du musst es mir sagen.“

„Ich kann dir echt nicht viel darüber sagen, ich habe es kaum noch genau in Erinnerung. Ich weiß nur, dass mir mit Mal so unglaublich heiß wurde, ein Glühen, so als hätte man es mit der Magie übertrieben, ich habe noch nie so eine gewaltige Kraft gespürt. Zumindest davor...Als würde man mit dem gesamten Körper in Flammen stehen, während man die Energie des Feuers spürte. Tut mir Leid, aber es ist echt schwierig zu beschreiben...

Naja, sie schien sich auf ihre Weise zu bedanken, nur ein einziges Mal sprach sie anschließend mit mir. Nur ihre Wut oder etwas in der Art habe ich öfter gespürt, zumindest bis du da warst. Das macht eigentlich überhaupt keinen Sinn oder?“

„Ich sage, das trifft es ganz gut. Du bist also wirklich einen Bund mit ihr

eingegangen, aber warum gerade du...“

Diese Aussage war weniger an sie, als vielmehr an sich selbst gerichtet. Jetzt schien er noch bedrückter als zuvor.

„Naja, das tut es, denn je empfindlicher du dich fühlst, desto empfänglicher wirst du für ihre Gefühle und die letzten Wochen hattest du nicht gerade viel Zeit dazu, darüber nachzudenken, hm.“

So wie er sie ansah, mit geneigtem Kopf und einem so liebevollem und

ermunternden Lächeln, schien er es hierbei belassen zu wollen.

„Soo, und nun kommen wir zu meinem Teil der Vereinbarung.“

Ihr Kopf war noch viel zu vernebelt, als dass sie sich jetzt noch auf

irgendetwas einlassen konnte. Es war gut, dass sie jetzt zumindest ein

bisschen mehr wusste, aber sie brauchte Zeit, um es erst einmal zu

verarbeiten. Irgendwie hatte sie es sich doch ein klein wenig einfacher

vorgestellt.

„Kommst du nun oder nicht?“

Das Beruhigende in seinem Blick war nun vollkommen zu seinem schiefen

Lächeln übergegangen, an dem Lucy schon wieder so sehr verharrte, das sie einfach alles getan hätte, was er von ihr verlangte, zumindest war es das, was sie zuerst dachte. Er amüsierte sich viel zu sehr daran, als dass sie sich sicher sein konnte, dass er es ernst meinte.

„Ich dachte, du malst aus Prinzip nur schöne Frauen?“

Sie erschrak, als er ihr plötzlich so nahe stand, wie noch nie. Seine nun leicht gereizten Augen berührten fast die ihrem, als er zu ihr sprach. Schauder bedeckten ihren Leib, in dem Moment, als er sie berührte, und wieder nahm sie diese unmenschliche Begierde wahr, die immer stärker in ihr hervor kam.

„S so etwas noch einmal und ich fordere wirklich ein, was wir

abgesprochen haben.“

Seine Stimme klang tödlich verführerisch, gleichzeitig aber auch unheimlich ernst. Er hätte sich nehmen können, was er wollte, in diesem Moment.

Lucy wusste nicht, wie sie reagieren sollte, zu sehr war sie in dem Bann der Begierde gefangen, ihr Körper noch unfähig sich zu rühren, nach seiner letzten Berührung.

Er näherte sich ihr immer weiter, tastete mit seiner Hand von ihrer Schulter runter zur Taille, bis er ihr erneut die Wange streichelte. Seine Nähe wurde noch enger, als sie seine Stirn an ihrer, seine Hand nun in

ihrem Nacken. Sie wollte absolut nichts mehr, mit Ausnahme von ihm.

Er strich mit seinem Gesicht weiter an ihrem, seine Berührungen wurden

gieriger, bis er von neuem ihr Gesicht nahm.

„Ist alles okay?“

Es war mehr ein Schielen, als er mich ansah.

„A du bist echt nicht normal.“

Diesmal war es ein anderes Lächeln, als zuvor. Er schien amüsiert, und doch schien es aufgelegt.

„Wie auch immer. Lass uns mit Französisch anfangen, sonst wirst du ja nie besser.“

Was war das? Das hatte sie sich nicht einfach so eingebildet, es war real,

schließlich sah er sie doch noch immer auf diese Weise an...aber wie kann er dann einfach so das Thema wechseln, als sei nichts gewesen? Er machte sie noch vollkommen wahnsinnig! Als könnte sie sich jetzt auf auch nur irgendetwas konzentrieren, geschweige denn Französisch, hah. Wie sollte sie ihn jemals verstehen? Er konnte doch unmöglich behaupten, gerade nichts gespürt zu haben.

„Nimm es dir, Süße, sonst kommst du ja gar nicht mehr runter.“

Sein ungewöhnlicher Ausdruck war noch immer da und sie ließ es zu,

wahrscheinlich hatte er Recht und es war einfach nur etwas Blut, nachdem 'sie' sich sehnten...immerhin wusste sie jetzt, was es war, dass dieses Gefühl in ihr auszulösen schien.

 

 

 

 

 

Die Zeit verging wie im Fluge, als sie darüber nachdachte, was soeben

geschehen war. Was sollte das, und vor allem, was hatte das für einen Sinn?

Sie spürte, wie sehr er sie wollte, und dann...was war dann? Genau wie das letzte Mal. Aber warum? Idiot! Genau das ist er, ein vollkommener Idiot! Hatte bestimmt noch seinen Spaß dabei, hah. Sollte der sich doch nochmal bei ihr blicken lassen...

Sie würde ihn einfach nicht weiter mit ihr spielen lassen, ganz einfach. Und das würde sie ihm ordentlich an den Kopf donnern, so einem Blödmann. Als könne er tun und lassen, was er will, nichts da!

Aber warum war er dann trotz allem so ernst, als sie sich

unterhielten...Nah...irgendetwas tun...irgendetwas, nur nicht an ihn denken...

Das machte sie bloß noch wahnsinniger!

Lucy...sie war gerade das einzige, was er seinen Gedanken widmete. Er musste zu ihr, jetzt gleich, aber wie? Sie würde auf der Stelle in Panik ausbrechen, würde sie ihn so sehen. Aber das war ihm nun egal, er musste sie schützen.

So schnell es ging machte er sich auf den Weg zu den Mädchen. Es fiel ihm schwer, sich auch nur aufrecht zu halten, und trotzdem war er bei ihr.

„Lucy, ihr müsst sofort weg von hier! Er ist auf dem Weg hier her, auf der

Suche nach dir.“, rief er, doch man hörte, wie sehr er sich dabei quälte. Er hielt sich im Schatten des zum Glück noch schummrigen Zimmers, um seine Wunden zu verbergen.

„Sam, was ist passiert?“

Zu spät, denn sie hatte sie bereits vernommen, weshalb sie mit weit

aufgerissenen Augen zu ihm starrte.

„Nichts, das geht schon, aber ihr müsst hier weg, schnell.“

Er wirkte beinahe hilflos, ein ungewohntes Gefühl und etwas daran schien Lucy wirklich zu gefallen.

„Nichts!? Dein Körper ist voller Blut, dein Rücken von Wunden übersät, und du willst mir weiß machen, es sei nicht passiert?“

Für einen kurzen Moment sah er geknickt zu Boden, dann äußerte er sich. „Ist halb so wild. Die nächsten Tage wird es wieder verheilt sein.“

Seine Aussage war ihr nicht von großer Bedeutung, denn kurz darauf nahm sie den Ansatz seines Shirts und befahl ihm nahezu, es auszuziehen. Nun hatte sie einen groben Überblick über all die Risse und offenen Stellen, die sich an seinem Körper auftaten, und holte mit besorgtem Blick sofort einige nasse Handtücher, sowie einen Eimer voll Wasser, um die Wunden zu säubern. Normalerweise wäre sie schockiert gewesen über solch einen Anblick, aber der Drang, ihm schnellst möglichst zu helfen, und auch die merkwürdige sich auftuende Freude darin, hatte Vorrang. Sein Oberkörper war ein einziges Gemisch aus roten Farbtönen. Wobei einige Stellen im dämmrigen Licht des kleinen und fahl eingerichteten Zimmers fast schwarz wirkten, wo die Wunden tiefer waren. Als Lucy nun all die Schnitte und Löcher im Einzelnen betrachtete, wurde ihr immer mulmiger zumute, denn es wirkte, als hätte er sich auf eine Bombe oder ähnliches Explosives geworfen, wenn ihm nicht gerade 20 Männer gleichzeitig Messer in den Rücken geworfen haben. Aber warum sollte ihm jemand etwas antun?

„Das ist nicht nötig, es wird schon schnell genug von selbst verheilen.“

Seine Stimme klang so sanft, am liebsten wäre Lucy in ihm versunken, als er mit direktem Blick in ihre Augen sah. Er wollte sie berühren, seine Hand auch nur für den Bruchteil einer Sekunde an ihr Gesicht legen, sie streicheln und sie fortbringen..., sagen, alles sei okay. Aber so war es nicht.

„Sie sind gleich da.“

Poltergeräusche und einige Stimmen waren zu hören und die Mädchen

erkannten sofort, dass es Vigo war, der nach ihnen suchte. Die Tür sprang auf und er erschien mit einigen seiner Anhänger.

„Ach nein, jetzt lässt er sich schon von ihr pflegen. Wie reizend.“

Viktor klang viel zu zynisch, als dass Lucy weiter die Ruhe gehabt hätte, sich zurück zu halten.

„Ich habe gesagt, lass meine Töchter in Ruhe. Was daran war so schwer zu begreifen?“

Auch er schien außer sich vor Wut. Der Mann zückte ein Messer und warf es in Richtung Sam, doch Lucy war schneller und ließ es mit ihrer Energie vor ihm abprallen. Kurz darauf benutzte sie eine weitere ihrer Fähigkeiten. Die, vor dem sich ihr vermeintlicher Vater am meisten fürchtete. Etwas nahm seinen Körper ein, seine Pupillen weiteten sich und er schien nicht weiter fähig, sich zu bewegen. Der Moment war nicht lang, dem Lucy ihm diesen Zustand aussetzte, nur lang genug, dass sie dachte, er würde somit Ruhe geben. Doch dem war nicht so. Der dunkel gekleidete Mann hinter Viktor zückte seinen Zauberstab auf Sam und sprach den tödlichen Fluch aus.

„Sam!“

Sie schrie und stürzte sich im selben Augenblick vor ihn, eine Art Schutzring umgab sie.

„Nex Ignipes.“

Ein roter Lichtblitz, umgeben von statischen Funken ihrer Wut folgte und der Mann, der zuvor noch mit grinsender Miene versucht hatte, Sam zu töten, brach mit wehleidigem und geschocktem Gesichtsausdruck zusammen.

„Wunderbar, er scheint dir ja echt gut zu tun, dein Engel. Tötet ihr einfach

alles, was sich euch in den Weg stellt!“

Sein Tonfall war sarkastisch, aber Lucy spürte, wie gereizt er war. Noch einmal wandte er sich in Richtung Sam, doch einer seiner Mitläufer unterbrach ihn.

„Herr, die Garde wird jeden Augenblick hier eintreffen.“

Diese Aussage endzürnte ihn noch mehr. Seine Augen glichen auflodernden Flammen bei stürmischer Nacht, als er ohne Erfolg diesen Ort hatte verlassen müssen.

„Was war das? Was wollte er von uns...“

Das Mädchen sprach mehr zu sich selbst, als einem der Beteiligten. Ein paar Männer der Garde stürmten in das Zimmer. Man erkannte sie an dem

auffälligem Schriftzug und den zahlreichen Broschen, die sie alle auf ihren

dunklen Umhängen trugen.

„Er ist nicht mehr hier.“, gab Lucy noch halb abwesend von sich.

„Ist bei euch alles Ordnung?“, fragte einer der Männer, die alle recht groß und muskulös gebaut waren, während er sich weiter im Raum umsah.

„Alles okay.“

Lissa versuchte einen fröhlichen Eindruck zu machen, es gelang ihr nur

minimal. Anschließend versuchte sie sich noch eine ganze Weile mit Reden

abzulenken, doch nach einiger Zeit verließ sie gereizt das Zimmer.

Es war nicht ihre Absicht, aber Lucy beschäftigten gerade einfach wichtigere Dinge, und auch Sam hatte nicht vor, das Mädchen zu reizen, aber in seinem Kopf war nur noch Platz für einen Menschen, und das war Lucy. Jegliche Nebensächlichkeiten gingen durch ihn hindurch, als er sie schuldbewusst betrachtete.

Die Männer der Garde waren nun schon eine Weile fort und der Abend nahm seinen Lauf. Er beschloss auf sie zuzugehen und wollte sich bedanken...und gleichzeitig entschuldigen.

„Danke, Lucy. So geht es wirklich viel schneller.“

Er lächelte bloß verschmitzt. Sie nickte und versuchte dabei, ähnlich wie ihre Schwester zuvor, die Mundwinkel anzuheben.

Wieder blickte sie nachdenklich zu Boden, bis sie eine plötzliche Bewegung aus dem Konzept brachte. Sam...er umarmte sie, so fest, so voller...Vertrautheit.

Er wollte nicht länger auf Distanz zu ihr leben, sondern sie, und zwar alles an ihr.

„Es tut mir so leid, Lucy.“

Seine Stimme hatte etwas Erschütterndes an sich. Er löste die Umarmung und sah sie weiter bedrückt und doch mit klarem Blick an, während er auf ihre Antwort wartete. Noch immer wollte er sie berühren. Das Verlangen nach ihrer Nähe wurde immer größer, als sie seinen Blick mit großen Augen erwiderte, wobei der ihre eher Ängstlichkeit in sich barg. Er streichelte sie, mit einigen Fingern glitt er vorsichtig über ihr Gesicht. Er machte einen leichten Satz nach vorn und sah ihr auf eine Weise in die Augen, dass sie dachte, er würde direkt auf ihre Seele sehen. Wieder biss sie sich auf die Lippe, nicht wissend, wie sie sich verhalten sollte. Er streichelte sie sie ein weiteres Mal, aber diesmal zog er ihren Kopf an sich heran. Ihr Kuss verweilte, war kurz davor, außer Kontrolle

zu geraten, doch keinen von ihnen interessierte es weiter. Schon zu lange

hatten sie darauf gewartet, frei zu sein, sich zu geben, nach was sie

verlangten. Das Bett, auf dem sie saßen, war weich und Lucy versank leicht darin, als Sam sie mit seinen Küssen hineindrängte. Er ging tiefer und verharrte an ihrem Hals, küsste sie und streifte seine Zähne vorsichtig an ihrer Haut entlang. Er wollte mehr. Wie lange schon hatte er es sich entgehen lassen, als sie sich in dieser Stimmung befand und er spürte, wie auch ihr bebender warmer Körper nach mehr verlangte. Er knüpfte die dunkle Bluse auf, während er das Mädchen noch immer am Hals verwöhnte. Sie spürte, dass es nun selbst ihm nach Blut durstete, und wollte es ihm geben, also zog sie seinen Kopf immer weiter in den Hals. Alles hätte sie ihm gegeben. Doch er widersetzte sich und führte seine Absicht fort. Sein Gesicht glitt immer tiefer und verweilte in ihrer Brust. Sie bemerkte erst jetzt, dass sie, bis auf Shorts, vollkommen nackt war und wollte noch mehr, als Sam sie weiterhin streichelte.

Ihr Körper war kreidebleich. Das Mondlicht, die einzige Lichtquelle des Raumes, das sich still durch die wehenden Vorhänge auftat, verstärkte diesen Anblick. Wieder sah er ihr tief in die Augen. Sein wundervolles und so jungenhaftes Lächeln war fast so beeindruckend wie seine Augen, die mittlerweile beinahe weiß wirkten. Was auch immer es war, das sie so sehr zum Aufleuchten brachte, es war wunderschön. Doch damit wollte sie sich nicht weiter beschäftigen. Und er küsste sie ein weiteres Mal.

Der nächste Morgen begann wie ihre Wunschträume, die sie früher

immer vor sich hinlebte. Sie erwachte in ihrem Bett, wie immer. Doch allein auf Grund der Tatsache, dass es Sam war, der da neben – an – ihr lag, konnte sie nicht anders, als zu strahlen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, sich je besser Gefühlt zu haben. Vom ersten Moment an, als sie die Augen öffnete, sah sie die seinen. Und wieder dieses...Leuchten. So wunderschön. Irgendwo machte sie sich immer noch Sorgen, schließlich waren sie weder zusammen, noch hatten sie sich sonst ein Versprechen gegeben, und somit konnte er jeder Zeit wieder verschwinden. Trotzdem gab ihr irgendetwas das Gefühl, ihm vertrauen zu können. Er streichelte sie noch immer. Sie fragte sich wie lange schon. Es war so wahnsinnig beruhigend, aber naja, was an ihm wirkte anders auf sie, mal abgesehen von der Art, wie er sie manchmal ansah? So...unschuldig, wie er dalag, und das lag alles andere, als an seinem Aussehen. Der Körper, an den sie sich noch immer so sehr krallte, so kräftig, muskulös, von Narben übersät, und trotzdem dieses Zierliche, Sanfte darin.

Wie konnte man nur so wunderschön und gleichzeitig so wahnsinnig männlich wirken? Das war ein Gegenspruch an sich...und doch existierte er, Sam, der sie nun noch fester an sich drückte. Sie fühlte sich schon wieder so dermaßen unbeholfen, als er ihrem Gesicht so nahe war. Was sollte sie tun? Sie wollte ihn, ihn küssen, aber nichts mehr als ihn. Die Nervosität in ihr stieg und stieg, als er sie so ansah. Mit weit geöffneten Augen, die zu ihr aufsahen. Fast so, als wollte er sich für etwas entschuldigen. Wäre da nicht wieder dieses wunderbare Lächeln gewesen, diesmal zwar nur leicht, aber es war da... hätte sie sich wahrscheinlich noch mehr Gedanken darüber gemacht, ob es vielleicht doch ein Fehler war, was er tat – zumindest aus seiner Sicht. Er strich ihr durchs Haar und verharrte in ihrem Gesicht. Seine Hand war warm, glühte und fühlte sich einfach nur gut an. Sein Lächeln nahm zu und sie durchkamen weitere Schauderattacken, als er währenddessen weiter sanft mit seinem Daumen über ihr Gesicht streifte.

„So wunderschön.“, hörte sie ihn flüstern.

Kurz darauf spürte sie sein Gesicht an ihrem, ein wundervolles Gefühl.

Weitere Streicheleinheiten folgten. Sie fühlte mich, als gehörte sie bereits ihm. Vor allem ihr Körper, den er wieder und wieder mit seinen Augen abging. Warum war er mit Mal so zurückhaltend? Sonst hätte er sich auch jeden Spaß erlaubt, und vor allem nach der gestrigen Nacht...Seine Hand ging ein weiteres Mal ihren Arm entlang. Sanft, und so voller Vorsicht. Vorsichtig griff sie nach seiner Hand. Es war wundervoll, was er tat, aber sie wollte mehr. Ihn...ihm noch näher sein. Er hielt ihre Hand so fest...so unglaublich fest...Alle anderen Gedanken verschwanden, als sein Blick wieder ihre  Augen berührte. Mit seiner anderen Hand streichelte er noch einmal ihren Kopf.

„Ich liebe dich, Lucy. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr.“

Lucy zitterte und mein Magen bebte. Was sollte sie sagen? Was sollte sie von dem halten, was er sagte? Vielleicht machte er sich bloß lustig über sie, und dann...aber was, wenn nicht? Was zur Hölle sollte sie bloß tun verdammt!?

Erst jetzt fiel ihr auf, dass ich die ganze Zeit an seiner Hand herumspielte, so aufgeregt, wie sie war.

„Ich weiß, ich habe mich am Anfang benommen, wie der letzte Vollidiot, aber das wird sich ändern. Ich wollte dir nicht so nahe kommen, aber ich kann nicht anders. Einfach alles an dir ist so...anziehend. Keinen einzigen Gedanken habe ich noch klar vor mir, wenn ich dich nicht sehen kann. Ich werde mich nicht länger vor dir verstecken, Lucy. Ich werde dir zeigen, wer ich bin…und was… Das verspreche ich dir.“

Er schien genauso aufgebracht, denn seine Stimme war mehr ein Flüstern,

hatte etwas...wimmerndes, so überaus unnormal für Sam, und auch er begann mit dem Daumen auf und ab zu gehen, mit der Hand, mit der er noch immer ihren Kopf hielt. Sie wollte etwas sagen, aber ihr fehlten die Worte. Kein einziges Hätte sie herausbringen können, also nahm sie seine Haltung ein. Ihre Hand an seinem Kopf. Gott, wie er glühte. Sie strich ihm durchs Haar, zog ihn weiter an sich und küsste ihn. Damit hätte sie den gesamten Tag verbringen können. Seine Nähe, diese Wärme und das Gefühl von...ja, von was eigentlich? Licht, Glück. Schöner noch, als die ersten Sonnenstrahlen eines warmen Frühlingstages zu spüren. Sie hatte keine passende Beschreibung dafür. Es begann so sanft, aber es wurde stärker und stärker und ihre Gedanken weniger. Wieder wollte sie mehr, als die seinen Körper immer fester an ihrem fühlte. Das schien auch er zu spüren, als er sich nun viel mehr um ihren Hals kümmerte. Sie spürte seine Zähne an ihrer Haut entlang gleiten und wünschte sich nichts  sehnlicher, als dass er endlich von ihr trank.

Er zwickte sie zwischendurch, seine Bisse gingen tiefer...aber nicht tief

genug...

Dieses Gefühl, gebissen zu werden...sie wusste nicht, wie sie es beschreiben sollte...Einerseits war es einfach angenehm. Der Körper konnte durch den Schmerz einfach mal abschalten, was sonst so gut wie unmöglich war. Andererseits war da ein noch so viel stärkeres Gefühl. Sie wollte Sam etwas geben...Etwas, was nur sie ihm geben konnte...Wenn sie daran dachte, wie sehr es ihm gefallen könnte...

Doch soweit kam es nicht, denn Lissa kam ins Zimmer gestürmt.

„Sagt mal, ist sonst noch alles okay bei euch? Der Unterricht hat vor über einer Stunde begonnen und ihr habt nichts Besseres zu tun, als euch hier zu vergnügen!?

Sprinx ist außer sich vor Wut. Sie meint, wenn du ohne Entschuldigung

auftauchst, kannst du dich gleich beim Hausmeister melden.“

„Na dann wird’s wohl kaum noch was ausmachen, wenn ich noch ein bisschen länger wegbleibe.“, gähnte Lucy zurück. Sie

 hatte nie verstanden, weshalb ihre Schwester wegen allem immer gleich so einen Aufstand machte, aber sei's drum. Lucy musste mit ihrer Art zurechtkommen, also hatte sie auch die ihre hinzunehmen. Außerdem war sie immer noch viel zu gut drauf, um sich jetzt den Tag vermiesen zu lassen. Was sollte ihr schon passieren?

„Liss, ich habe gerade echt besseres zu tun, als mir wegen so etwas den Tag vermiesen zu lassen, okay?“

Das war zwar irgendwo ganz schon selbstsüchtig, aber nun mal ihre Meinung zu dem Zeitpunkt.

„Geh schon mal vor, sonst kommst du noch zu spät, wir kommen gleich nach. Ich kläre das schon.“

Dieses klare und so sanfte in Sams Stimme, sie hätte ihm Tage lang zuhören können und wäre vermutlich glücklich gewesen...naja...nicht ganz, musste sie schmunzelnd zugeben. Aber warum war er sich so sicher mit dem, was er sagte?

Lissa verließ kopfschüttelnd das Zimmer.

„Dann müssen wir woh, was?“

Es war grausam, dass sie ihren Traum gleich verlassen mussten, aber er

strahlte, als wäre ihm genau das Gegenteil mitgeteilt worden.

„Hmm...“, bettelte ich vor mich hin.

„Hey, wir haben heute nur fünf Stunden, eine ist schon vorbei. Danach ist noch viel, viel Zeit.“

Sie konnte mir vorher nie viel darunter vorstellen, was es bedeutete, zärtlich zu sprechen, doch die Art, wie er es gerade tat und seine Hand schon wieder über ihr Gesicht glitt, füllte diese Lücke. Sie wollte trotzdem nicht aufstehen. Sie wollte ihn! Und sie küsste ihn, auf dieselbe Weise wie vorhin, bis er ihr einen Finger an den Mund legte und zur Uhr zeigte. Er senkte den Kopf, als er wieder zu ihr sah, küsste sie ein letztes Mal und verschwand mit den Worten: „Bis gleich, mein Engel.“

Seine...dieses Wort allein versetzten ihrem Magen samt Verstand in

ein einziges bebendes Loch. Und so saß sie erst mal einige Minuten auf

ihrem Bett, bis ihr einfiel, dass sie ihn noch später wiedersehen würde, wenn ich noch länger herum trödelte. Also schnappte sie sich so schnell sie konnte frische Unterwäsche, sprang in ihre schwarze Jeans und machte sich auf den Weg. Die Bluse knöpfte sie nach und nach auf dem Gang zu. Sie lief und lief, sprang und drehte sich durch die Gänge, fühlte sich so wahnsinnig gut, als könnte nichts mehr schief gehen. Scheiß doch auf die anderen! Sie hielt an und musste einsehen, dass es wohl wirklich ziemlich merkwürdig war, wie sie sich verhielt, aber was sollte ihir das schon noch ausmachen.

Mit Mal spürte sie, dass jemand hinter ihr stand. Zuerst zuckte sie für einen kurzen Augenblick zusammen, da zu dieser Uhrzeit alle im Unterricht waren, doch dann vernahm sie diesen wundervollen Geruch

von Lilienblüten und irgendetwas...Sonderbaren und sie wusste, dass Sam es war, dessen Arme fest um sie geschlungen waren.

„Hey, mir geht es doch genauso.“, flüsterte er ihr auf seine sanfte Weise ins Ohr. So nahe, dass sie seinen Atem an ihre, Hals spürte, wovon sich ihre Haut von neuem bedeckte. Nichts desto trotz begann der Unterricht und sie hatten noch einen weiten Weg vor sich. Den weiten Korridor, der zum Treppenhaus führte, entlang zur Eingangshalle, gefolgt von einem der Gänge zu den Räumen weiter außerhalb des Hauptgebäudes, dessen riesige Fenster das gließende Sonnenlicht der aufgehenden Morgensonne trotz der auf den Winter zugehenden Jahreszeit nur so herein prallte. Mit Sam schien der gesamte Tag wie der Sonnenaufgang selbst: wunderschön und wie ein Neubeginn.

Im Raum angekommen waren die anderen bereits damit beschäftigt, die

Kadaver einiger Kröten auseinander zu nehmen. Ein Glück, dass sie erst jetzt kamen. Sie hatte kein Problem damit, Blut zu sehen oder Ähnliches, aber wenn sie sich vorstellte, weshalb diese Tiere tot waren oder sich mit Mal bewegen würden, so gehörte diese Aufgabe nicht so sehr zu den Dingen, die sie gern mal ausprobieren würde.

Super, Sprinx kam bereits auf sie zu und das Lächeln in ihrem Gesicht

entsprang gewiss nicht der Freude, sie zu sehen.

„Guten Morgen Professor, bitte entschuldigen Sie unsere Verspätung, aber ich hatte noch zu tun und habe sie dann ein wenig mit hineingezogen.“

Schon wieder tat er es, seine besondere Gabe von...Überzeugung einzusetzen.

Die Klasse schien dies gespürt zu haben, denn uns folgten nur noch böse

Blicke, nachdem die Frau antwortete

„Das werde ich heute ausnahmsweise durchgehen lassen, aber das wird nicht wieder vorkommen. Macht ihr euch dann an die Arbeit? Heute wollen wir den versprochenen Versuch von letzter Woche durchführen. Ihr schließt euch am besten der Gruppe deiner Schwester an, die könnten etwas Hilfe gut gebrauchen, wie es aussieht.“

Sie taten, wie ihnen vorgeschlagen und setzten sich um den Tisch direkt vor ihnen, an dem Lissa mit halb zugekniffenen Augen versuchte, sich Notizen für das Protokoll zu machen, das sie am Ende der Stunde abzugeben hatten. Sie war ziemlich bleich, aber das waren viele hier, vor allem unter den Mädchen; der Anblick zerhackter Kröten war auch nicht gerade das, was man gern sehen wollte.

 

 

 

 

 

Der Rest des Tages verlief ruhig, es folgten bloß zwei Mathestunden, in denen sie wie üblich viel zu viel Zeit hatten, die nicht vergehen wollte. Früher war es eines ihrer Lieblingsfächer, doch dadurch, dass sie so selten Aufgaben bekamen, die ihrem Niveau entsprachen – geschweige denn der vielen Zeit, die ihnen dafür zur Verfügung gestellt wurde – zogen sich die Stunden oftmals hin und waren unheimlich ermüdend. Ihr darauf folgendes und absolutes Lieblingsfach, Erdkunde, brachte ihre Müdigkeit zum Höhepunkt. Wäre Sam nicht da gewesen und hätte sieh ab und an berührt, so wäre sie vermutlich nach zehn Minuten in tiefem Schlaf versunken.

Trotz allem sprachen sie nicht viel miteinander, von den anderen bekam sie nicht all so viel mit, außer, dass Lissa sie einige Male bedrückt ansah,

doch das hatte Zeit für später.

Sie genoss es viel zu sehr, wie Sam ihre Hand nahm, als sie zusammen zum Mittagessen in der großen Halle gingen, wie er sie immer wieder küsste, kurz und unauffällig, aber er tat es, und das war einfach wunderschön. Genauso wie sein sanftes Lächeln, das er ihr schenkte.

„Lucy, kann ich kurz mit dir sprechen, nachher, allein?“, fragte Lissa, die noch immer einen bedrückten Eindruck machte.

„Klar, was ist denn los?“

„Ich...möchte einfach mit dir reden, ja?“

Lucy nickte. Ob es was mit unserem Vater zu tun hatte, vielleicht wusste sie mehr? Nein, das konnte nicht sein, denn sie war genauso schockiert gewesen letzte Nacht. Aber was war es dann, dass sie so nachdenklich werden ließ...

Lucy war sich sicher, das Sam bereits wusste, was sie vorhatten, trotzdem fragte sie ihn: „Ist es okay, wenn wir kurz-“, er nahm mein Gesicht.

„Schon okay, ich hatte die Tage sowieso noch etwas vor. Dann bis

nachher?“

Noch einmal fühlte sie seinen Blick ihrem Körper entlang wandern, verträumt und schmunzelnd, aber irgendwo schien er besorgt, wenn sie auch nicht zu beschreiben wusste, wie oder weshalb sie das spürte.

Lissa wartete noch, bis Sam in seinem Zimmer verschwunden war, ehe sie Lucy in ihres folgte und die Tür verschloss.

„Liss, was ist los?“

„Das...ist schwierig. Ich weiß wie du über Sam denkst und es ist wohl kaum zu übersehen, was sich die letzten Tage zwischen euch geändert hat, aber... Lucy, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, aber es ist nicht gut, wenn du bei ihm bist. Er gehört nicht zu uns und seine Absichten sind bestimmt nicht die, hier nach einer Frau zu suchen. Mehr kann ich dir nicht sagen, das lässt Viktor nicht zu. Aber du bist in großer Gefahr, wenn du dich weiterhin auf ihn einlässt. Bitte hör ein einziges Mal auf ihn, auf mich und halt dich fern von ihm.“

„Das ist doch vollkommener Schwachsinn! Viktor steckt dahinter Liss, weil er Angst hat, Sam könnte mir helfen stärker zu werden oder auch nur mehr über unsere Welt zu erfahren, ich weiß es nicht. Mich von Sam fernhalten, das ist doch verrückt? Ich meine, was sollte passieren, soll er mich um den Verstand bringen?“

Lucy grinste bei dem Gedanken, obwohl ihr gerade alles andere, als nach Lachen zumute war. Diese Worte konnte ihr bloß ihr „Vater“ eingeimpft haben. Tränen sammelten sich in ihren Augen, samt der Wut, die ihren gesamten Körper einnahm. Was gab jemandem wie ihm das Recht, so mit ihnen zu spielen? Für ihn waren sie scheinbar auch nichts weiter, als Schachfiguren auf dem Zuge seines Schlachtfeldes. Wenn auch sehr wichtige Schachfiguren...

„Lucy bitte! Sam ist...böse. Viktor wird dir später alles allein erklären, aber bitte, sei vorsichtig.“

Tränen strömten aus ihrem Gesicht, ein Beweis dafür, dass Viktor sie nicht unter Kontrolle hatte, wie Lucy es einen Moment lang vermutete. Lissa schluchzte, als sie sie um ihre Schwester krallte.

„Liss, das wird schon und egal was er dir erzählt hat, Sam würde niemals

etwas...Böses tun, hm? Ich kenne keinen liebevolleren Menschen, als ihn. Er ist einfach alles für mich, ich brauche ihn.“

„Nein, du weißt nicht, wer er ist. Gar nichts weißt du über ihn.“

„Dann klär du mich auf.“

„Ich kann nicht, eine dunkle Aura umgibt ihn, das solltest du spüren, so wie alle anderen auch, mehr kann ich dir nicht sagen.“

„Gut, dann gehe ich jetzt zu ihm.“

„Tu das nicht, Lucy.“

Lissa presste sich noch weiter an sie, aber Lucy hatte eindeutig genug gehört. Vermutlich stand sie doch unter einem Fluch Viktors, sie konnte ihr Verhalten einfach nicht verstehen und wollte zu ihm, seine Stimme hören, das sanfte und so wunderbare Gefühl seiner Nähe spüren, das von ihm ausging.

 

 

 

 

 

In seinem Zimmer angekommen waren sie nun wieder allein, die anderen

Jungen trafen sich draußen, um die letzten Herbsttage noch einmal dazu zu nutzen, draußen Fußball zu spielen. Sicher gingen ihr weiterhin die Worte ihrer Schwester durch den Kopf, aber sie ging auf ihn zu, wollte ihn umarmen. Da sah sie, dass er tatsächlich beschäftigt war. Sie sah nur einen kurzen Abschnitt eines Gedichtes, es war relativ unbekannt, aber sie kannte es, so wie auch all die anderen Texte des Verfassers, der ihr das erste Mal in ihrem Leben Schönheit in Form von Worten gezeigt hatte. Doch das was folgte, war ihr unbekannt und Sam schien es mit dem schwarzen, vor sich liegenden Buch abzugleichen. Überwältigt las sie einige weniger Zeilen, weiter kam sie nicht, denn er wusste, dass sie da war. Schlagartig richtete er sich vor ihr auf. Er biss sich auf die Unterlippe.

„Du kennst sie?“

„Kennen? Die sind einfach nur...“, sie strahlte vor Hingabe, wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte, „...umwerfend!“

„Lissa meinte, das könnte dir gefallen. Deshalb...hab ich etwas für dich.“

Ein weiterer seltener Augenblick, in dem er schüchtern wirkte, als er ihr ein weiß gebundenes Buch gab. Schon die Vorderseite war geprägt von

wahnsinniger Schönheit, eine Rose, deren Kronen an der Spitze eines von

Dornen umwickelten Kreuzes heraus ragten.

„Das ist...wunderschön. Dankeschön.“

Wie immer wusste sie nicht mit der Situation umzugehen, in der ihr jemand etwas schenkte. Es war ihr unangenehm, denn sie wusste nicht, wie sie ihre Dankbarkeit zeigen sollte...oder konnte. Er musste sich große Mühe dafür gegeben und vor allem Zeit genommen haben, denn als sie weiterblätterte, sah sie, dass alles in seiner an Elfen erinnernden Schrift niedergeschrieben war. Es waren tatsächlich die Gedichte Sams, von denen sie die meisten sicher kannte.

„Das...warst alles du?“, fragte sie voller Begeisterung.

Er nickte verlegen.

„Danke, Sam.“

Sie sprang um ihn. Seine Nähe auf diese Art zu spüren war immer noch

mehr als atemberaubend. Seine Hände lagen fest an ihrem Körper, bis die

eine begann, ihren Kopf zu streicheln. Seine Nase berührte ihre, ihr

gefiel diese Geste, bevor er sie küsste.

„Ich liebe dich.“

Sie wollte antworten, aber sie kam sich dabei zu...merkwürdig vor. Sie fand es irgendwo kitschig, ihm dasselbe zu antworten. Außerdem wusste er bestimmt schon lange, wie sie für ihn empfand, also drückte sie sich noch einmal so fest an ihn, wie sie konnte.

„Magst du mir verraten, was deine Schwester so sehr zu bedrücken scheint?“

Seine Stimme klang noch immer sanft, aber auch ihn schien noch immer etwas zu bedrücken.

„Warum siehst du dir nicht ihre Gedanken an?“

„Ich habe so eine Vermutung, außerdem möchte ich es von dir hören.“

„Das glaube ich weniger. Was sie von sich gab war vollkommen wirr vorhin. Ich wette, mein Vater steckt dahinter.“

„Mh.“

Sein Blick wurde ernster und er blickte zu Boden.

„Sie meint, ich sollte mich von dir fernhalten, sie hat Angst. Ich kann mir nur nicht erklären, weshalb, denn mehr kann sie mir nicht sagen. Ich meine...das ist doch vollkommener Schwachsinn?“

Er nahm ihre Hände und strich sanft mit seinen Daumen über ihre

Handflächen.

„Und was, wenn sie recht hat? Vielleicht bin ich wirklich nicht gut für dich,

Lucy. Ich bedränge dich nur so mit Geheimnissen, wie willst du da wissen, wer ich wirklich bin?“

„Wer du wirklich bist, ist das der Grund, weshalb du dich anfangs so sehr vor mir versteckt hast?“

„Hmhm.“

Wieder nickte er zustimmend und sein Kopf sank noch tiefer.

„Dann...sag du es mir, Sam.“

„Tut mir Leid, Lucy, aber das kann ich nicht. Nicht jetzt. Ich verspreche dir, ich werde es dir sagen, noch diesen Monat, aber das ist gerade wirklich nicht der richtige Zeitpunkt dazu.“

„Der richtige...Zeitpunkt?“

„Du wirst es verstehen, selbst wenn du mich dadurch verlassen würdest, wirst du es verstehen.“

„Glaubst du wirklich, ich lasse mich von jemandem wie Vigo oder meiner

Schwester beeinflussen, wenn es um dich geht? Ich liebe dich Sam und absolut nichts in der Welt wird etwas daran ändern.“

Diesmal war sie es, die ihn streichelte. Sie küsste ihn, einnehmend, und zog ihn dann so fest an sich, das ihr fast die Luft ausging. Schon wieder standen ihr Tränen in den Augen, die sie lieber verbergen wollte.

„Dann vertraust du mir noch eine Weile?“, fragte er klarem Blick.

Wieder berührte seine Nasenspitze die ihre und wieder war es wahnsinnig

angenehm. Mit meinem Nicken begannen sie beide zu lächeln. Seine besondere Geste nutze er immer wieder, während sie sich küssten. Niemals mehr wollte sie fort von ihm...

Die Woche verlief ähnlich ruhig. Unter den anderen herrschte schon großer Aufruhr wegen des bevorstehenden Balls, der in der Halloweennacht stattfinden würde. Lucy hingegen graute vor der Vorstellung, zum Tanzen aufgefordert werden zu können, aber auch, dass ihr genau an dem Abend ihr Auftritt bevorstand, beunruhigte sie. Vor allem, weil Sam da war. Noch machte sie sich allerdings weniger Sorgen, denn er hatte sie noch kein einziges Mal auf den Ball angesprochen, zudem hielt auch er nicht viel davon, seine Zeit mit der Masse verbringen zu müssen. Zumindest würde das erklären, weshalb sie sich die meiste Zeit über auf dem Dach zurückzogen oder allein über das Schulgelände

spazierten. Einmal ganz bis ins tiefe schwarz der Wälder hinein, die eigentlich schon gar nicht mehr dazu gehörten, aber sie waren so ins Gespräch versunken, dass sie die Bilder vor ihnen kaum noch wahrnahmen.

Es war am Dienstag, das erste Mal, dass sie ihn auf ihre...Art ansprach.

 

 

 

 

 

Sie waren gerade auf dem Weg zu dem nunmehr von grauen Grasresten

besetzen Hügel, an dem sie Jeira das erste Mal begegnet war. Seither war sie nicht mehr dort gewesen und fragte sich, was wohl aus Jeiras Körper geworden war. Letztes Jahr schon war es ein grausamer Anblick der Verwesung gewesen, den sie eigentlich nicht nochmal zu sehen brauchte. Doch Sam war es wichtig, also half sie ihm. Was jedoch noch übrig war, war lediglich kaputte, scheinbar unfruchtbare Erde. Das Kreuz, an dem sie sie hier als Warnung für ihre Art präsentierten, war ebenfalls  verschwunden und sie war sich sicher, dass die Menschen, die für all das verantwortlich waren, Angst hatten, sie eigenhändig anzufassen, der Grund dafür waren.

„Tut mir leid, ich war seit dem nicht mehr her.“

„Ist schon okay, ich war nicht auf der Suche nach ihrem Körper.“, sagte er

sie streichelnd und küsste sie anschließend kurz, aber zärtlich. Wie immer

musste er spüren, dass sie sich hier unwohl fühlte, umgeben von all den

Erinnerungen, die Jeira in ihr hochkommen ließ.

„Es war eindeutig ein Wesen höheren Ranges, das das hier verursachte.“, fügte er hinzu.

„Jedoch gibt es Probleme bezüglich Jeira. Sie war über Jahrhunderte lang

gefangen, wenn nicht sogar gefoltert worden. Als sie floh, trennte sich ihr

Körper von ihrer Seele, das war die einzige Möglichkeit. Somit ist mir

unbekannt, weshalb es trotzdem sie selbst war, die du vor die sahst.“, gab er nachdenklich zu. Dann versuchte er zu lächeln, nahm sie in seine Arme, küsste sie und meinte: „Lass uns nicht länger hier aufhalten. Ich denke, das war genug für dich.“

Dabei strich er sanft über ihre Wange, hinweg über ihr Haar, bis er sie von

Neuem fest an sich drückte.

„Ich liebe dich.“, flüsterte er und streichelte weiterhin ihr Haar, worauf sie

immer tiefer in seiner Brust versank.

 

Der Abend schritt voran, die Sonne war fast vollkommen untergegangen, aber sie genoss es zu sehr, Sams warme Hand an ihrer eigenen zu spüren oder die Art wie er sie immer wieder streichelte, während sie über das leere Schulgelände spazierten.

„Was meintest du vorhin, mit einem...Wesen höheren Ranges?“

„Um ehrlich zu sein, ist das ziemlich kompliziert zu erklären. Ich denke, darauf wirst du noch etwas warten müssen. Wie du sicher bemerkt hast gibt es grundlegende Unterschiede, allein schon zwischen Engeln und Dämonen. Vor allem unter unserer Art gibt es gewaltige Differenzen. Bei Dämonen zum Beispiel ist es einfach. Je älter sie werden, desto stärker werden sie auch. Bei uns jedoch, liegt es viel mehr an der Abstammung.“

Er blickte auf seine bedrückte Weise zu Boden, bevor er mich ansah, als fühlte er sich für irgendetwas...schuldig.

„Meinst du, das reicht dir erst einmal?“

Sie nickte, musste erst einmal darüber nachdenken, was sie soeben erfuhr. So gern hätte sie alles erfahren, was Sam ihr sagen konnte, aber sie er wird wohl Recht gehabt haben damit, es besser langsam anzugehen. Schließlich war es eine Menge, was sie noch zu lernen hatte, ebenso wie all die Zeit, die sie noch vor sich hatte in ihre, unsterblichen Leben.

 

Seine plötzliche Bewegung riss sie aus den Gedanken und sie befand mich in seinen Armen.

„Vertraust du mir?“, fragte er schmunzelnd.

Verunsichert sah sie ihn an. Sie wusste nicht so recht, was er vorhatte, doch dann nickte sie und mit einem Male befanden sie sich in der Luft, weit über dem Boden. Sie konnte dieses wunderbare, so freie Gefühl nicht beschreiben, das sie überkam, während sie knapp über der Wasseroberfläche glitten, und strahlte.

„Alles okay?“

Er biss sich für einen kurzen Moment auf die Lippe, als er sie nun vor sich

nahm. Von weitem mussten sie im aufgehenden Mondlicht aussehen, wie eines dieser typischen Bilder von zwei Engeln, die sich hoch am Himmel fest umschlossen, im Schein des Mondes küssten. Bei der Vorstellung allein musste sie leise auflachen. Andererseits war es noch so viel schöner, all das selbst zu erleben. Er schloss sie ein letztes Mal in seine Arme, fest an sich, und sie glaubte weitere Berührungen zu spüren, allerdings nicht von seinen Händen, und sie befanden sich wieder auf dem Boden.

Sie standen an einem noch etwas vom Schloss abgelegenen Weg, der in den tiefen Wald führte, als den die meisten Menschen ihr Schulgelände ansahen. Die Kronen der gewaltigen Bäume, die sich immer dichter vor ihnen auftaten, wirkten wie nach den Sternen greifende Schatten und sie waren mitten drin. Normalerweise beunruhigte es sie, wenn sie nicht sehen konnte, was um sie herum geschah, doch Sam war da und wies das Licht.

„Haben alle Engel sieben Flügel?“

Sie kam sich vor, wie ein kleines Kind, als sie ihn das fragte, während sie noch immer die gewaltige Pracht seiner Schwingen vor Augen hatte. Sie waren riesig, drei davon glichen Rabenfedern, drei weitere waren strahlend weiß, sodass sie selbst in der Dunkelheit hell erstrahlten. Der mittige jedoch schien beides miteinander zu vereinen, es war beeindruckend.

„Wie kommst du darauf?“

„Naja, bei dir ist es so, bei Nikolai und bei mir ebenfalls.“

Er lachte: „Okay, das ist natürlich ein riesiger Vergleich.“, und tätschelte

ihren Kopf.

„Für Engel ist es äußerst ungewöhnlich, über so viele zu verfügen. Die meisten besitzen zwei, einige wenige drei, doch das sind überwiegend Ausnahmen.“

„Aber wie kommt es dazu?“

„Nun, das steht sehr mit ihrem jeweiligen Rang in Verbindung. So verfügen die Erstgeborenen über sieben, in seltenen Fällen auch welche der zweiten Generation. Sie werden mehr oder weniger mit dem Blut vererbt, das mit den Jahren immer weiter an Reinheit abnimmt.“

Dabei beobachtete er sie aufmerksam.

 

Im Verlauf der Woche sprachen sie über alles Mögliche. Was sie gerne mal tun würden, ihre Wünsche, ihre Vergangenheit - naja, wohl viel mehr über

Lucys Vergangenheit -, was sie beschäftigte. Ihre Gedanken eben. Weniger über Magisches oder unsere Herkunft. Sie wusste nicht weshalb, aber es kümmerte sie zu dem Zeitpunkt auch gar nicht mehr großartig. Sie konnte bei ihm sein und das machte sie glücklich. Viel Zeit  verbrachten sie auch mit alten Texten, zogen sich gegeneinander auf mit dem, was sie schrieben oder dachten sich Zeilen aus, während sie die verrücktesten Dinge taten. Es waren einige wundervolle Tage, in denen sie viel Spaß hatten. Jeder Tag aufs Neue wie ein einziger Traum und sie standen mitten drin.

Wahnsinn, was so wenige Tage oder Worte mit einem machen können. Seit der Sache mit Lissa verstand Lucy sich immer besser mit Sam, ihr Vertrauen in ihn wurde immer stärker und sie kümmerte mich nicht länger großartig um das, was er war oder wer…

Der Preis dafür war hoch, aber sie war bereit, ihn zu zahlen. Das

Verhältnis zu ihrer Schwester wurde immer schlechter, der Streit immer

heftiger. Noch immer verstand Lucy nicht im Geringsten, was Lissa seit kurzem so sehr an Sam auszusetzen hatte. Mit guter Wahrscheinlichkeit konnte es genauso ihr Verlobter gewesen sein, der sie dazu brachte. Aber sicher sein konnte sie sich nie über deren Denkweise, also beschloss sie, es vorerst zu ignorieren.

 

„Lu, magst du mir helfen?“, fragte Freya.

„Freya!“, kreischte ich voller Freude.

„Du bist zurück.“

Die letzten Wochen verbrachte sie im Praktikum, weshalb sie kaum noch etwas von ihr hörte. Alle Sechstklässler, die es anstrebten, einen „normalen“ Schulabschluss zu machen, hatten in dieser Zeit ein Praktikum in der Außenwelt zu machen, während sie bei nicht magischen Familien untergebracht waren.

„Hey.“

Sie nahm sie fest in die Arme. Sie hatte ihr so sehr gefehlt, ihre kleine

und vor allem verrückte Schwester.

„Ich weiß nicht, was ich morgen anziehen soll. Also wegen dem Auftritt. Mir wird schwindlig, wenn ich nur daran denke.“, gab sie geknickt zu.

Lucy lachte: „Hey, das wird schon, hm?“

Und sie schenkte ihr ein Lächeln zurück.

„Mal was anderes...Ich habe mit Lissa gesprochen, ich hatte es erst bloß von Vik erfahren. Ihr habt euch gestritten?“

„Mhm... Ich verstehe sie einfach nicht, was das Ganze soll und überhaupt. Sie haben kein Recht sich in meine Angelegenheiten einzumischen. Ich halte genauso wenig von Harry, und Liss wird ihn trotzdem heiraten.“

„Da bin ich mit dir einer Meinung. Ich stehe voll und ganz hinter dir, Lu, aber ich wollte einfach nur wissen, wie du dazu stehst. Vor allem, was dein Gefühl dir bei Sam sagt. Ich muss auch zugeben, so einfach finde ich es nicht, aber du hast Recht, die haben kein Recht dazu. Außerdem vertraue ich Sam.“

„Ach Freya...ich glaube, da bist du zur Zeit auch die einzige. Ich danke dir...Du kannst dir nicht vorstellen, was es für mich bedeutet, was ER für mich bedeutet. Die letzten Tage waren einfach nur wunderschön. Ich brauche ihn nur zu sehen und Wärme umgibt mich. Es ist, als sei er das Licht selbst...wenn man nicht auf sein Äußerliches achtet.“, musste ich schmunzelnd zugeben. Denn achtete man auf sein Aussehen, so war er die Dunkelheit in Person.

„Hm?“, rief meine Schwester.

Es klopfte an der Tür.

„Süße, lässt du mich rein?“, bat eine nur allzu bekannte Stimme in

einladendem Ton.

Sie strahlte. Eigentlich wollte er erst später kommen.

„Hey“, begrüßte er beide. Kurz darauf erfüllte er ihr weitere ihr Wünsche, in dem er sie in seine starken Arme nahm, während er sie zärtlich küsste.

„Du bist auch schon wieder da?“

„Ja, es gab ein paar...Komplikationen.“

Sie musste Lachen. Stimmt, sie hatte vollkommen vergessen, dass das Praktikum eigentlich über drei Wochen ging und nicht einmal zwei davon zu Ende waren.

„Wie kommt’s  eigentlich?“, fragte ich daraufhin.

„Ich bin in einer streng katholischen Familie untergekommen. Der Vater war nicht so begeistert, als er mich an seiner Tochter sah. Naja...“

Sie presste ihre Lippen zusammen, um ein Grinsen zu unterdrücken. Irgendwo schien es sie auch zu beschämen, doch sie konnten nicht anders, als laut loszulachen.

„Du hast was!?“

„Mal ganz ehrlich: Du wolltest raus aus der Familie?“

„Oh ja. Die waren total durch. Alles Vegetarier, einfach nur zum Durchdrehen! Und ab acht durfte ich nicht mehr draußen, mal eben zu Mecces gehen war da nicht mehr drin. Echt der reinste Horror. Oder die die Ansichten der Tochter…

„Gott wird schon alles wieder gut machen...“, was blieb mir da anderes übrig, als mich so abzuregen?“

„So“ war Freyas Art zu sagen, dass sie wohl viel Spaß mit jemandem gehabt hat, egal ob dieser, in diesem Falle diese, es so plante oder nicht. So, wie Lucy die Gefühle anderer sah, so konnte Freya deren Stimmung beeinflussen.

„Du bist schon etwas schräg“, meinte Sam, während er schmunzelnd mit dem Kopf schüttelte.

„Ach, ehrlich?“, antwortete sie ihm mit angezogener Braue.

„Och Mann, jetzt weiß ich immer noch nicht, was ich morgen tragen soll.“

„Morgen?“, fragte Sam.

„Na auf dem Ball, morgen ist Halloween, schon vergessen?“

„Ach ja, morgen schon. Entschuldige, ich sehe die Zeit gerade nicht so“,

entschuldigte er sich bei ihr und strahlte zu Lucy, während er die letzten Worte sprach.

„Was steht denn zur Auswahl?“

„Einmal das hier“, sie zeigte auf ein braun schimmerndes, Cocktailkleid, das sehr kurz geschnitten war. Es stand ihr sicher gut, mit ihrem braunblonden Haar und der blassen Haut ihrer eher zierlichen Figur, dessen strahlend türkisfarbene Augen das Engelsbild nur noch vervollständigten. Jedoch war es weniger für einen Ball ausgelegt.

„Und das hier.“ Das andere Kleid war sanft beige, mehr weiß als das und ging bei ihr bis zum Boden. Es war gewiss das schönere von beiden, aber schwierig, da sie den Abend wahrscheinlich mehr auf der Bühne, mit Spielen verbrachte, als alles andere. Freya war der Schulband schon vor einiger Zeit als Gitarristin beigetreten, aber das morgen

war ihr erster Auftritt vor einer so großen Menge. Lucy musste zugeben, dass sie sie immer bewunderte. Sie war die coolste von ihnen, ihr Selbstbewusstsein und ihre Stärke daraus ragten ihnen voraus. Doch diesmal machte sie sich wirklich Sorgen. Süß.

„Ich denke, ich nehme das braune. Habe ja eh nicht vor zu tanzen, von

daher...Ist auch wesentlich praktischer beim Spielen.“

„Hm. Und was ziehst du an?“, fragte er, den Blick erwartungsvoll auf Lucy

gerichtet.

„Ich...hatte nicht vor, hinzugehen. Ich dachte wir würden einfach-“

„Alles an uns vorbeisausen lassen und uns das entgehen lassen? Du bist

verrückt“, meinte er lächelnd.

„Ich lass mir doch nicht entgehen, mit einer so wunderschönen Frau zu

tanzen.“

Wieder lag seine Hand an ihrem Kopf. Er nutzte es wahnsinnig aus, das

Wissen, dass sie sich so kaum wehren konnte. Sie mochte es nicht, wenn er so etwas sagte. Für sie klang derartiges niemals so richtig...ernsthaft,

ehrlich.

„Wir sind den größten Teil des Abends doch sowieso anderweitig beschäftigt“, versuchte Lucy sich zu verteidigen.

„Ein wenig Zeit wird sich wohl finden“, hauchte er ihr an den Hals.

Für einen kurzen Moment nahm sie Freyas verträumtes Lächeln wahr, das sich nun zu einem breiten Grinsen ausbreitete. Beinahe hätte sie vergessen, dass sie auch noch da war.

„Also?“

Dieser Blick...zum Glück war ihre Schwester noch da. Sie wollte gar nicht so genau wissen, was sie sonst getan hätte.

„Ich geh ja hin...“, stöhnte Lucy.

Er begann zu lachen: „Du bist echt süß, wenn du schmollst.“

Und die Art, wie er das sagte, veranlasste sie dazu, ihn kräftig in den Arm zu kneifen.

„Süße vorsichtig, das hätte fast wehgetan.“

„Duuu!“, fauchte sie.

„Ach ich liebe dich auch, meine Süße.“

Warum konnte sie sich niemals wehren. Warum verdammt mussten Männer andauernd Recht haben und sie sich das auch noch eingestehen? Sie lächelte, obwohl ihr danach war, ihn zu beschimpfen. Sein Kuss war sanft, wie seine Hände, die sich über ihren Körper bewegten.

„Eure Schwester wird gleich kommen. Ich sollte gehen.“

„Ach ja, warum? So wie ich das sehe, haben wir beide nichts dagegen, wenn du bleibst. Lissa hat auch ständig ihre wechselnde Begleitung über Nacht hier, also wird sie wohl kaum etwas sagen können“, protestierte Freya. Lucy war ihr wahnsinnig dankbar dafür. Vermutlich konnte sie spüren, nach was sie sich sehnte. Es war nicht sein Körper, viel mehr ihn einfach bei sich zu haben, beruhigte Lucy so sehr.

Da stand sie nun, vorne, auf dem höher gelegten Absatz der großen Halle, an dem die Lehrer sonst ihre Plätze einnahmen. Es war dunkel, finster, als ein ruhiger Auftakt erklang, der auch den größten Teil der Schüler, die bereits alle am Feiern waren, wurde still. Leise, beruhigende Töne, die das Lied anstimmten. Vögel flatterten zur Decke der Halle empor, als sie zu summen begann. Ein wunderbarer Anblick, die vielen blauen Spatzen, ebenso die funkelnden Spuren, die sie hinterließen. Die Musik wurde lauter, einem Chor gleichend, und die Vögel verwandelten sich in ein prachtvolles Feuerspektakel aus blau und grün schimmernden Farbtönen, die von allen Seiten hervor sprühten, funkten, aber da waren nur die drei Mädchen, die sangen. Und eines davon war seines. Er hatte sie noch nie singen hören und es raubte ihm den Atem, als er es nun endlich tat. Ihre Stimme, so sanft, so unglaublich lieblich, trotz der Tatsache, dass sie beinahe schrie. Und dieser wundervolle Anblick. Sie trug ein cremeweißes Kleid, das bis zum Boden reichte. Mit ihrem im matten Licht golden schimmernden Haar sah sie aus, wie ein Engel, die Reinheit selbst. Seine Augen begannen auf ein Neues zu strahlen. Das Licht, das von ihnen ausging, war nicht zu übersehen und es kümmerte ihn nicht einmal. Das

einzige, was jetzt vor ihm war, war sie.

 

 

 

 

 

Der große Ball war nun schon seit einigen Stunden eröffnet, ihr Auftritt

geschafft. Und das ganz ohne unangenehme, peinliche Situationen, wow. Lucy fühlte sich mit mal so viel freier.

"Das wäre geschafft.", erfreute sich Freya.

Sie nickte ihr zustimmend zu und suchte auf der Stelle wieder nach Sam.

Ihre Gedanken waren nur noch voll von ihm, sie musste zu ihm, jetzt. Doch die Suche schien unnötig, denn er kam bereits auf sie zu. Die Anmut in seinen Schritten und das Leuchtende in seinem Blick breiteten Gänsehaut auf ihrer schimmernden Haut aus. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sein Strahlen zu erwidern.

Keine Worte, die folgten. Nur eine Berührung. Mit der Hand strich er schnell über ihren Kopf, zog sich an sie, und küsste sie lustvoll. Anschließend wiederholte er seine liebevolle Geste und schüttelte leicht den Kopf, während er sie betrachtete. Ihr war nicht so ganz bewusst, was er damit ausdrücken wollte, aber sie freute sich und ihr war unglaublich warm, als sie ihn auf diese Weise sah. Auf irgendeine Art schmeichelte es ihr.

"Darf ich bitten?", fragte er grinsend, noch immer ein wenig benommen.

"Nur das eine Lied, ja?"

Sie hasste es, denn gleich würde irgendetwas Dummes geschehen, so viel stand fest. Andererseits war es Sam, der da vor ihr stand, also konnte ihr gar nichts passieren und sie ging auf seine Bitte ein.

Es war ein wundervolles Gefühl, so an seiner Seite. Sie wurden beobachtet und sie war dich recht sicher, dass bestimmt so einige über sie lachten, aber selbst das war ihr egal.

"Und du kannst nicht tanzen, ja?", fragte er noch immer grinsend, aber biss sich auf die Lippe. Es schien ihn wirklich zu erfreuen und das machte sie Glücklich.

Lucy wusste nicht genau, was sie antworten sollte und ihr Gesicht verweilte viel zu sehr in einem breiten Grinsen, als dass sie jetzt noch irgendetwas hätte hervorbringen können.

"Meine Süße", meinte er mit bald schielendem Blick, während er sie

streichelte.

Erst jetzt bemerkte sie, wie sehr seine Augen sich veränderten. Sie

erstrahlten nicht mehr dunkel gräulich, sondern beinahe weiß. Jetzt

interessierte es sie mit einem Mal doch wieder unheimlich, was es wohl sein konnte und vor allem, wodurch es kam, dass es nur manchmal geschah. Trotzdem war es wunderschön.

"Jetzt nach oben? Ich...würde gerne mit dir sprechen."

Er senkte den Kopf und nahm ihre Hand, als er sprach. Sie fragte sich, was ihn mit mal so sehr bedrückte.

Sie setzten uns nach draußen, an ihren üblichen Platz auf einem der

Unterdächer des Schlosses. Es machte ihr Angst, wie unruhig und stark Sam ihre Hand noch immer hielt. So als wäre es das letzte Mal gewesen, das sie uns sahen. Lucy ertrug die Stille nicht länger.

"Was ist es, über das du sprechen wolltest? Ist irgendetwas...nicht in Ordnung?"

Ihre Stimme klang flehend, das gefiel ihr nicht.

"Es ist alles okay", antwortete er darauf ruhig und gelassen und legte seine Hand an seinen Platz in ihrem Gesicht. Mit dem Daumen strich er immer wieder von ihrer Stirn über ihre Wangen, noch so viel sanfter als sonst, während er schmerzhaft zu lächeln versuchte. Eindeutig war etwas nicht in Ordnung, und zwar gar nicht.

"Sam-", platzte es aus ihr heraus, doch er legte ihr einen Finger an den Mund, um sie anschließend zu küssen.

"Ich habe dich schon so unglaublich lange warten lassen", meinte er mit

ernstem und trotzdem traurig aussehendem Blick, während er sie weiterhin streichelte.

"Ich kann und will dich nicht weiter belügen, Lucy. Von Tag zu Tag ertrug ich es weniger und doch lief ich davon, hatte zu große Angst davor, dich zu verlieren. Was ich fühle, wenn ich bei dir bin, ich bin nicht mehr mächtig, es zu beschreiben. Dafür ist es zu groß. Das Licht und die Wärme, die du auf all die Menschen ausstrahlst...genauso wie auf mich. Sie haben Recht, ich bin es wahrlich nicht würdig, so viel Zeit mit dir verbringen zu dürfen, und doch bist du bei mir. Es tut mir so unglaublich leid, dass ich es dir nicht früher sagen konnte."

Sein Griff wurde noch fester, als er auch ihre andere Hand nahm.

"Das du mir was nicht früher sagen konntest, Sam?", flehte sie und strich

dabei über seine Hände.

"Du weißt, wer ich bin, Lucy, seit unserer ersten Begegnung weißt du es und die war gewiss nicht hier. Deine Schwestern wissen es, alle spüren es, aber du...nichts. Was meinst du ist der Grund, weshalb sie Abstand zu mir halten. Was meinst du ist es, das du immer wieder in meinen Augen wahrnimmst?"

Er zitterte und auch mein Körper war nicht gerade beruhigt.

"Das erste Mal...wo?"

"Du weißt genau wo. Aber...es ist schon einige Zeit her."

"Das warst du?"

Sie erinnerte sich. Die Situation machte ihr Angst, denn sie wusste nicht, was sie sagen sollte. All das machte doch...überhaupt keinen Sinn, war unmöglich. Das konnte einfach nicht sein… aber wenn sie weiter darüber nachdachte, konnte sie alles andere

ausschließen.

"Wenn sie rot sind, giert es jemandem nach etwas… Dunkelrot, nachdem man Blut zu sich nahm... Dann ist weiß...das… Licht?", stummelte sie abwesend vor sich hin.

Ihr Herz begann wie wild zu rasen, als würde es gleich herausspringen.

Ihre Finger zitternd und in der Luft spielend, bis sie ihn ansah.

"Daraus folgt?", fragte er mit großen Augen und presste die Lippen für einen kurzen Moment zusammen.

"Du...aber das kann unmöglich...Das macht doch...überhaupt keinen Sinn...", murmelte sie nur vor sich hin. Schon immer träumte sie vom Gefallenen, also konnte unmöglich er es sein, der gerade bei ihr war. Das war einfach unmöglich, ein Gespinst ihrer Fantasie, die sie auszutricksen versuchte.

Vielleicht träumte sie ja bloß.

Nein, das war es nicht, dafür spürte sie eindeutig zu viel in ihr. Ihr Magen drehte sich. Das machte einfach keinen Sinn, so etwas gab es nicht und wird es niemals geben!

"Ich bin es, Lucy, und ich wünschte es wäre anders, aber ich kann es nicht

ändern. Es tut mir wirklich leid, aber ich wusste nie, wie ich es dir sagen sollte. Wie hätte sich das angehört? "Hey, ich bin Lucifer, aber sonst geht‘s mir gut. Das konnte ich nicht...Ich wollte nicht, dass du denkst-"

Diesmal war sie es, die den Finger erhob, ihn streichelte, und obwohl sie noch immer nicht so recht wusste, was sie da tat, küsste sie ihn. Es war das einzige, was sie gerade wollte. Nämlich seine Nähe spüren. Anschließend umarmte sie  ihn, drückte mich so fest an sie, wie sie konnte. Das musste sie erst einmal verarbeiten. Lucy wollte etwas sagen, doch ihr Kopf war leer, alles um sie herum war noch sehr verschwommen, also blieb sie weiter an ihm, ihrem schwarzen Engel.

"Warum tust du das?", fragte er aufgebracht.

Lucy verstand seine Frage nicht so recht und sah ihn fragend an. Nun kam sie sich noch kleiner vor, wenn sie bei ihm war. Was wollte er ausgerechnet von jemandem wie ihr...Ein schäbiges Gefühl breitete sich in ihr aus. Sie wäre sich komisch vorgekommen, hätte sie jetzt gesprochen, daher lächelte sie bloß. Immerhin war trotz allem sie es, bei der er gerade sein wollte und was hätte sie jemals mehr erfreuen können. ´

Sie biss sich schon wieder auf die Unterlippe, damit sie nicht zu grinsen begann, und umarmte ihn noch einmal. Die Worte, die in ihrem Kopf übrig geblieben waren, sie konnte sie nicht hervorbringen. Er wusste doch, dass sie ihn liebte.

Sie erschrak bei seinen letzten Worten.

"Ich bin nicht gut für dich, Lu."

Worauf sie ihn erst einmal nachdenklich ansehen musste. Das machte nun

endgültig keinen Sinn mehr.

"Ach, weil meine Schwester das sagt, oder hunderttausend andere flach

denkende Menschen? Für wen hältst du mich Sam, als dass ich Menschen nach so etwas beurteilen würde?"

"Menschen?"

Er lächelte leicht, während er das fragte.

"Ich sehe keinen Unterschied. Mit Ausnahme davon, dass Engel so viel weniger von Äußerlichkeiten eingenommen sein zu scheinen", murmelte sie weiter.

"Ich liebe dich, glaubst du irgendetwas könnte das mit einem Mal einfach so ändern? Seit du da bist, habe ich wieder angefangen zu leben, für mehr, als nur zu erreichen. Seit Jahren sah ich dich, wenn ich träumte. Warum denkst du so von mir?"

Ihr brachen einige Tränen aus den Augen. Sie hatte schon lange nicht mehr so eine Angst verspürt, wollte nicht, dass er geht, denn sie brauchte ihn, mehr als alles andere auf der Welt.

Er schüttelte den Kopf und lächelte leicht.

 

Ein Gewitter war dabei, aufzuziehen. Sie spürte es an dem immer stärker in alle Himmelsrichtungen peitschenden Wind, sowie an dem den dumpfen

Klängen des Donners, die immer näher kamen. Eigentlich waren ihre

Gedanken noch viel zu benebelt und trotzdem hatte sie ein ungutes Gefühl bei der Sache. Ein greller Blitz traf den uns gegenüber stehenden Astronomieturm und an den roten Reflektionen, die dadurch kurzzeitig aufglühten, war sie sich sicher, dass es Viktor war, der für all das verantwortlich war. Ein gutes Ablenkungsmanöver – doch nicht gut genug.

Wut übernahm ihren Körper, ebenso wie Angst, die sich durch gewaltige

Hitzeströme und gleichzeitige Schauder in und auf ihrem Körper bemerkbar machten. Ihre Schwestern waren schließlich immer noch dort unten. So schnell wie möglich musste sie zu ihnen. Wer wusste schließlich, was Viktor plante?

„Lissa, Freya, ich muss runter.“

Wieder fiel ihr auf, wie sie mit den Fingern herum zappelte, eine lächerliche Geste. Doch dafür war jetzt keine Zeit, sie musste zu ihnen, sofort! Sam wusste – wie immer – genauestens, was in ihr vor sich ging. Es tat ihr leid, ihn nach einer solchen Situation einfach so in der Zeit stehen lassen zu müssen, deshalb küsste sie ihn noch einmal kurz, aber stark, so wie sie sich in seinen Armen fühlte, die sie für einen kurzen Moment an sich drückten, und sie waren unten.

„Hey“, sprach er, seine Hand behutsam an ihrer Wange verweilend, „Pass auf dich auf.“

„Mhm“, nickte sie und machte sich auf den Weg. Die Eingangshalle hatte

genau drei Eingänge. Den Haupteingang, den Weg zum hinteren Gelände,

sowie den Notausgang im Keller. Sie entschied sich, in Richtung Haupteingang zu stürmen, schließlich hatte es für Viktor keinen weiteren Zweck, ihn zu umgehen, wenn er bereits hier eingedrungen war. Die flackernden Lichter der Neonlampen und Kerzen, die in regelmäßigen Abständen an den hohen Wänden der recht alten Gemäuer angebracht waren, beunruhigten Lucy. Beinahe hätte sie vergessen, dass sie immer noch Halloween hatten. Auf ihrem Weg kam sie an dem großen, steinernen Tor vorbei, das sie vor Angriffen der Außenwelt schützen sollte. Es stand offen. Gar nicht gut.

Mittlerweile konnte sie nicht einmal mehr die feiernde Masse hören, so jubelnd es auch noch zu ging, als sie in der Eingangshalle eintrafen, das bedeutete nicht, dass es jetzt immer noch so war. Das einzige, was sie jetzt noch wahr nahm war Stille, es wirkte ihr eindeutig zu ruhig.

Schon bald erklang ein Schrei. Ein Schrei so grausam, so sehr von Schmerz und Verzweiflung geprägt… und weitere folgten. Es konnte nicht weit von ihr entfernt sein, also lief sie zurück, tief hinein in das Schwarz, das vor nicht allzu langer Zeit heraufbeschworen wurde. Denn vorhin war noch alles von klarer Luft umgeben.

Da sah sie es nun. Überall. Überall auf dem Boden lagen leblose Körper, es mussten über zwanzig sein, zumindest soweit sie noch sehen konnte. Etwa zehn Meter entfernt von ihr sah sie ein Mädchen. Sie sah noch sehr jung aus, vielleicht um die elf Jahre, Lucy hatte sie vorher noch nie gesehen, aber sie vermutete, dass sie diejenige war, von der die Schreie zuvor ausgingen. Ob sie an unsere Schule ging, überhaupt von ihr wusste?

Wie eine Prinzessin sah sie aus, mit ihrem langen, im Mondlicht weißblonden Haar, der blassen Haut und dem gebrechlichen Körper, dessen Hände sie durchdringend betrachtete, während sie mit Tränen unter den Augen unten auf dem Boden hockte. Auf dem Boden, zwischen all dem Grauen, umgeben vom Tod.

Ihre Augen waren glasig, ihr gesamter Körper wirkte immer mehr wie eine

Porzellanpuppe, während ihre Gedanken sich weiter und weiter von der Welt trennten.

Lucy fühlte mich schrecklich bei diesem Anblick und erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sich seit nun mehr einigen Minuten nicht mehr regen konnte. War all das bloß eine Illusion? Doch das war unrealistisch, denn gegen die wusste sie sich nun schon lange zu verteidigen. Vor allem gegen die ihres angeblichen Erzeugers.

Und es war auch nicht Viktor, den sie da vor mir sah, sondern Sam, der nun bei dem zierlichen Mädchen hockte. Er flüsterte ihr beruhigende Worte zu, dachte isie. Aber als er begann, sie hinterm Ohr zu küssen, fingen Lucys Gedanken an sich zu drehen, ihr wurde schwindlig und ihr Magen bebte. Das konnte nicht sein. Nicht Sam. Niemals! Vielleicht war es einfach eine seiner Fähigkeiten, sie zu beruhigen, so wie er es mit seiner Stimme auch bei anderen tat, versuchte sie sich einzureden. Doch dann biss er sie, trank gierig in großen Schüben von ihr und ihr ohnehin schon blasser Leib wurde blasser und blasser. Die Ringe unter ihren verblassenden Augen färbten sich dunkler, ihre Lippen in ein

dunkles Blau. Er lächelte, als er ihr ein paar letzte Worte zuflüsterte, und kam auf Lucy zu.

 

„Lucy, alles ist in Ordnung“, hörte sie eine Stimme, doch sie war noch weit

entfernt.

„Hey, alles wird gut.“

Es war eindeutig Sam, der da zu ihr sprach, aber wie konnte das sein, er

stand doch immer noch vor ihr. Mit lächelnder Miene. Das war alles andere, als sie sich je hätte vorstellen können, das konnte nicht er sein. Ihre Gedanken wurden klarer und sie versuchte gegen die Bilder in ihrem Kopf anzukämpfen. Eine verdammte Illusion, nichts weiter! Aber wer war dazu fähig?

„Lucy“, flüsterte mir jemand zu, „Ich bin bei dir.“

Ihree Welt drehte sich noch immer, ebenso wie ihr Magen, der noch immer vom Schock geprägt war. Sie zitterte, musste sie feststellen, doch da war etwas, dass ihr Ruhe gab. Sam, der fest um sie geschlungen war. Sie fragte sich, wie lange er schon vergebens versuchte, zu ihr zu sprechen.

„Hey“, flüsterte er weiter, als er ihr einige Strähnen aus dem Gesicht strich und sie mit großen Augen betrachtete, „Was ist passiert?“

„Sam“, schluchzte sie. Das war das einzige, was sie in dem Moment noch

fähig war, heraus zu bringen.

Sie krallte sich noch fester an ihn. Spürte die Wärme, die von ihm ausging, seinen Geruch, einnehmender, als alles andere, und schließlich seine Hände, die ihren Kopf schützend festhielten. Für einen kurzen

Moment streichelte er sie, doch dann fiel ihr der Blitz ein. Sie musste immer noch zu ihren Schwestern, und zwar schnell.

„Li-“, wollte sie rufen, doch er war schneller. Mit seinem Finger auf ihren

Lippen wurde sie still. Sie konnte es sich nie erklären, es war wie einer dieser Momente, in denen eine Frau tierisch sauer war auf ihren Mann, dieser sie mit einem Kuss überraschte und alles war wieder in Ordnung. Und genauso fühlte sie mich jetzt. Als sei alles wieder in Ordnung.

„Die Nacht ist klar, Lucy“, sagte er, als er sie durchdringend fixierte.

„Das war bereits Teil des Werks. Lass uns nach unten gehen, dann siehst du es selbst. Es ist alles in Ordnung“, flüsterte er mir an mein Ohr, als er sie nun wieder in seine starken Arme nahm. Sie nickte, denn das brauchte sie gerade. Das Wissen, dass mit ihren Schwestern alles in Ordnung war. Kein Viktor, kein Orden, der etwas plante. Oder doch? Warum sonst erzeugte gerade heute jemand eine solche Illusion? Sie vertraute Sam trotz der letzten Minuten voll und ganz, dachte an das Licht in ihm, die Gefühle, die nur er in ihr erwecken konnte.

Der Weg nach unten war nicht weit. Nicht, wenn man Sam bei sich hatte. Mit einer Bewegung waren sie in der Eingangshalle, die zwar recht leer, aber doch belebt aussah und liefen in Richtung große Halle. Er packte ihre Hand, als sie an den geöffneten Türen zum Feste hineinkamen, und eigentlich fand sie so etwas kitschig, doch bei ihm fühlte es sich einfach nur schön an, als er mit seinem Daumen sanft über ihre Hand strich. Um sie herum waren noch fast alle am Feiern, nur wenige hatten die Halle bis jetzt verlassen. Das Buffet war wohl das einzige, was großartig abgenommen hatte, denn die Stimmung schien weiterhin super. Zu Halloween gab sich ihre Schule immer besondere Mühe und verschiedene Bands wurden eingeladen. Was das betraf, war ihr Internat wirklich nicht zu toppen. Die Band kündigte gerade ihr letztes Lied an,

<let's die for hell>, Lucy musste grinsen und streichelte Sam auf dieselbe

Weise, wie er es vor wenigen Augenblicken getan hatte.

„Keine Sorge, dich brauche ich noch etwas länger“, flüsterte er mir schmunzelnd zu und küsste mich knapp unterm Ohr, um anschließend meinen Nacken zu bedecken. Schauer über Schauer, man konnte es nicht mehr Gänsehaut nennen, was er mit ihr tat glich viel mehr von Glück gefüllten Explosionen.

„Zumindest vorerst.“

„Duu...!“

Blödmann, dachte sie grienend und er stimmte mit seinem

wunderbaren Lächeln ein. Sie wollte ihn küssen, jetzt, aber er rührte sich

nicht. Heute ist alles egal verdammt, warum war sie überhaupt immer so

schüchtern?

Diesmal nahm sie sich einfach, was sie wollte. Das hätte sie schon so viel

eher tun sollen. Ihr fiel nichts weiter ein, als zu lächeln. Egal an was sie

dachte, sie sah seine strahlenden Augen und versank in ihnen.

Schon wieder hatten sie all die Menschen um uns herum beinahe vergessen.

Einmal mehr von so vielen, was machte das schon.

 

Mace schien sich köstlich zu amüsieren, sie musste zugeben, dass das

Mädchen, mit der er scheinbar noch immer tanzte, wirklich hübsch war. Selbst Ole bewegte sich über die Tanzfläche, was ziemlich merkwürdig aussah, aber jeder dem seinen, musste sie schmunzeln. Die Pärchen, die sich auf der Tanzfläche befanden, verstärkten ihr Lächeln, solch ein Gefühl von...purem Glück ließ etwas aus ihrem Körper heraus strahlen.

„Was hast du gleich vor?“, fragte Sam sie neugierig. Doch was sollte sie

antworten? Es war ihr ziemlich egal, solang sie nur bei ihm bleiben konnte, also nahm sie erst einmal seine weichen Hände.

„Ich...weiß nicht“, meinte sie verlegen und begann mal wieder, an seinen

Händen herumzuspielen.

„Du weißt nicht…hm, also ich wüsste da etwas“, warf er ihr herausfordernd entgegen und fuhr mit seinem Zeigefinger ihrem Hals hinab, bis zum Ansatz ihres Kleides. Wieder dieses Lächeln, als er kopfschüttelnd seine Hände um sie legte und sie zu sich nahm.

Die bunte Masse um sie herum verschwand ein weiteres Mal, als existierte sie gar nicht.

Bis Lissa sie zornig mit einem Ruck von ihm entfernte, ihrem Engel, und

ihr Traum zerbrach. Es war noch nicht wieder alles in Ordnung, denn ihr

Wunsch war es immer noch, Sam möglichst weit unter der Erde versunken zu sehen.

Sie zeigte mit dem Kopf in Richtung Eingangshalle und Lucy folgte ihr

ausnahmsweise.

„Wo wart ihr?“, fragte sie hasserfüllt auf halbem Weg.

„Oben?“, antwortete Lucy provozierend. Zum Glück war mein Körper noch zu sehr von Glücksgefühlen durchströmt, sonst hätte sie vermutlich anders gehandelt. Lissa regte sie einfach so sehr auf. Was sollte das alles?

„Ist das seit Neuem ein Verbrechen?“

Böse sah sie Lucy an.

„Warum tust du das, Lucy? Er ist nicht gut, vor allem nicht für dich. Warum kannst du mir nicht einfach glauben? Du kannst doch auch spüren, was von ihm ausgeht.“

„Warum kannst du nicht einmal deinen Verstand benutzen, um zu denken. Ich weiß, wer er ist, Lissa. Und vor allem wie er ist. Es ist erbärmlich, dass meine eigene Schwester genauso kurzsichtig denkt, wie alle anderen. Nicht nachdenken, einfach urteilen, so wie die anderen es auch tun, so ist es richtig. Wenn du es so für richtig hältst, dann tu es, mach, was Viktor und Harry dir sagen. Befolge ihre Machtpläne, aber ohne mich!“

„Merkst du es denn nicht? Er hat dich unter Kontrolle, er will, dass du so

denkst“, versuchte sie sich zu verteidigen.

„Ach ja, weil er mich wofür braucht?“

„Du bist mächtig, Lucy, alle sagen das und somit bist du wichtig für ihn. Er

nutzt dich doch nur aus. Wir müssen dafür sorgen, dass er uns verlässt,

schnell. Wer weiß, was er sonst noch tun wird.“

„Wenn du meinst“, gab Lucy abwertend zurück und wollte sich umdrehen, um sich mit großen Schritten wieder auf zu Sam zu machen, doch er stand bereits hinter ihr.

„Es ist wirklich erstaunlich, dass ihre eigene Tochter es ist, die all das bricht, wofür Lily kämpfte. Sie starb, um all die Kämpfe endgültig zu beseitigen, doch scheinbar war ihr Tod bloß ein weiteres Opfer, dass nicht hätte gebracht werden müssen für eine Welt wie diese. Ein weiterer zweckloser Versuch, einen Traum zu erfüllen.“

Seine Stimme klang gequält, daran erkannte ich, dass er es ernst meinte.

Bedrückt sah er zu Boden und sah mich mit großen Augen an und wir verließen den Raum.

„Tut mir Leid. Es kam einfach über mich…“, wollte Sam sich entschuldigen.

Lucy konnte mir zwar nicht vorstellen, wie er etwas über ihre Mutter wissen konnte, denn sie hatte ihm nie mehr erzählt, als dass sie zwei Jahre nach ihrer Geburt starb, aber sie wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte, also glaubte sie ihm weiterhin und nahm seine Hände.

Sie machten sich  auf den Weg nach oben. Sie wollte weg von hier, weg von Lissa, und etwas Ruhe haben, umnachdenken. Nun befanden sie sich

wieder auf dem Dach, doch diesmal auf der Spitze des Astronomieturms.

Sams Ausdruck war noch immer bedrückt und dem Boden geweiht.

„Ich bin nicht böse, Sam. Ich meine...“, versuchte sie ihm zu erklären und

musste für einen kurzen Augenblick schmunzeln.

„Woher kennst du sie?“

„Es tut mir Leid, Lucy, ich hätte es dir früher sagen sollen, aber wir waren

immer so sehr mit anderen Dingen beschäftigt, dass ich es beinahe selbst

vergessen hätte. Du bist nicht der Grund, weshalb ich herkam, ich wusste nicht einmal, wer du bist, ehe ich dich kennen lernte. Nur dass etwas an dir war, dass ich nie zuvor so sehr in einem Menschen sah. Mit der Zeit machte es immer weiter Sinn, was du erzähltest, was ich in dir sah. Du musstest die Tochter Lillys sein. Sie war die Zwillingsschwester Freyas, meiner damaligen Frau, ehe diese mich für Macht und ihre Familie verriet.“

Lucy fühlte sich gar nicht gut, als er das so sagte. So verletzt, wie er dabei

aussah.

„Sie war der liebevollste Mensch, den ich je kannte, einfach jeder liebte sie, wenn auch auf unterschiedliche Weise, aber was wäre anders zu erwarten bei einer Tochter von Zeit und Liebe.“

„Aber weshalb meintest du das vorhin?“

Ich wusste, dass er zumindest über alles Informative, was ich dachte, bereits Bescheid wusste.

„Sie sammelte ein letztes Mal all ihre Kraft, um zu schützen, wofür sie lebte. Ein letzter Kampf, um all das Dunkle in den Herzen der Menschen zu zerstören. Doch wie du siehst...hat sich in den letzten sechzehn Jahren kaum etwas verändert.“

Jetzt sah auch Lucy tiefer zu Boden. Ihre Mutter, allein was sie war,

ging über all ihre Vorstellungen hinaus, doch dass sie für nichts als

Zerstörung gestorben war, machte sie mehr als sauer. Ihr Leben hätte so wahnsinnig anders ausgesehen… aber darüber wollte sie jetzt nicht dachdenken, sie war nie eine derjenigen, die viel Zeit damit verbrachten, der Vergangenheit nachzutrauern.

„Sie lebte für jemanden, bei dem sie nicht sein konnte, Lucy. Es gab mehr als einen Grund für ihre Tat. Sie war eine Gefangene von Chronos, genau wie Jeira. In seinen Augen hatte sie Schande über unsere Welt gebracht,

vermutlich hätte er ihr nachgeholfen, hätte sie sich nicht geopfert. Dem

liebevollsten Wesen des Himmels nahmen sie irgendwann alles, wenn der Rest des Himmels auch nichts davon mitbekam.“

Lucy spürte seine seidene Hand, wie sie ihre eigene berührte, sie tröstete.

„Deshalb ist es auch ausgeschlossen, dass Viktor dein Vater ist.“

Sie war nicht einmal richtig traurig, schließlich kannte sie ihre Mutter nie,

aber es machte sie sauer, wie all diese Menschen...oder Engel in dem Fall

handelten. Eben genauso, wie die meisten heute noch. Sie griff fest seine Hand und er kam ihr näher, streichelte sie und ließ sie alles weitere

vergessen, als er sie mit seiner Nase anstupste. Noch immer eine so

wundervolle Geste. Schließlich küsste er sie, was sie endgültig in ihrem

Gefühlen versinken ließ. Sie war glücklich, einfach...glücklich. Ohne etwas

hinterfragen zu müssen, ohne mehr wissen zu müssen, als dass er bei ihr war. Dass dieser eine Mensch – Engel – seine Zeit opferte, um bei ihr zu sein, ihr Lächeln zu sehen oder ihre Stimme zu hören, oder auch einfach nur, um ihre Nähe zu spüren zu können. Nichts gab es, was sie sich mehr gewünscht hatte.

Sollten doch Probleme auf sie zukommen. Sei es von Viktor, dem Orden oder sonst einer höheren Macht, sie würden es schaffen, weil sie alles schaffen würden.

„Meinst du, du kannst dich für einen Moment mal nicht mit deiner Welt

beschäftigen?“, hörte sie Sam lächelnd fragen.

„Vielleicht“, kicherte sie, wenn auch etwas verunsichert.

„Ich will dir die meine zeigen.“

Lucy wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Ehrlich gesagt war es eines der Dinge, über die sie sich einfach noch keine Gedanken gemacht hatte.

„Vertraust du mir?“, fragte er nun immer noch lächelnd, aber herausfordernd.

„Oder möchtest du dich zuerst von deinen Schwestern verabschieden, für den Fall, dass ich dich dabehalte“, lachte er.

Auch Lucy musste daraufhin lachen und stürzte sich auf ihn. Ein letzter, langer Kuss, der sich anfühlte, wie ein Feuerwerk in ihrem Körper und wieder spürte sie seine starken Arme, die sie davontrugen.

Impressum

Bildmaterialien: Lu.
Tag der Veröffentlichung: 03.05.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ganz besonderen Dank an dich, mein Engel, der mir immer wieder Mut gibt, meine Träume zu leben und Ziele zu erreichen (wenn auch oftmals ohne es zu bemerken:)) und an meine Familie, die mich auffängt und für mich da ist, wann immer ich sie brauche :* ...so schwierig ich auch sein kann :)

Nächste Seite
Seite 1 /