Die letzte Prise Salz
(Ende des Großen Krieges)
»Wichtig ist, dass du immer gut umrührst.« Geduldig ließ Hompor den großen Holzlöffel im Kessel kreisen. Für einen Ork besaß er eine ungeheure Geduld; zumindest was die Zubereitung seines Eintopfs anging. Hundert geschliffene Schwerter, tausend Kehlen zum Schlitzen - nichts davon hätte er gegen ein gutes Feuer und einen dampfenden Kochtopf eingetauscht.
Schmatzend schmeckte Hompor ein weiteres Mal ab. »Da fehlt auf jeden Fall noch ein wenig Madenschorf.« Sorgfältig durchstöberte er seine Vorräte und träufelte eine Prise Pulver in die blubbernde Masse und rührte fleißig weiter.
»Der Angriff geht jeden Moment los und du manscht noch immer in deiner Suppe rum!«
Sein Kumpel Humpen war da von einem ganz anderen Schlag. Ein aufbrausender Krieger seit er dem Leib seiner Mutter entkam, der es nicht mehr abwarten konnte, endlich Elfenblut über seine Klinge rinnen zu sehen.
»Das ist Eintopf, keine Suppe!« Hompor hatte keine Nerven ihm den Unterschied zu erklären, nicht schon wieder!
»Mir doch egal«, Humpen spuckte aus, »Verdammt, worauf warten diese Knaks?«
Ungeduldig sah Humpen über das schier endlose Feld aus grimmig dreinschauenden Orks, die ihre Waffen erwartungsvoll in die Luft reckten, wie kalte Blumenstängel aus schwarzem Stahl, die aus dem grünen Teppich Orkköpfe herauswuchsen. Der Anblick erfüllte Humpen mit Stolz und in ihm glühte der Wunsch auf irgendwas - oder besser irgendwen - zu zerhacken, und zwar bald!
Die Spitzohren hatten keine Chance. Die grüne Flut würde über sie hinweg strömen, sodass sie kaum merken würden, wie sie ihnen die Haut von den glatten Gesichtern schälten. Bedauerlich.
Der Hauptsitz der Elfen, Thel’mora, wäre schnell eingenommen. Aber sie würden wohl kaum großartig zum Plündern kommen. Es hieß, man wolle alles niederbrennen. Vielleicht auch besser so. Das meiste der Elfen war Schrott, den sie aus Bäumen oder Pflanzen wachsen ließen. Nicht zu gebrauchen. Aber vielleicht konnte Humpen vorher doch noch das eine oder andere Glitzerzeug abgreifen und an die Goblins verscherbeln.
Hompors Schlürfen riss Humpen aus seinem Bluttraum.
»Jetzt leg endlich den Löffel weg und zieh deine Rüstung an oder der erste Elf, der dir begegnet, wird vor Lachen sterben, wenn er dich in deinem Aufzug sieht!«
»Das ist eine Schürze, die brauche ich um … aaaachhh …« Missmutig rührte Hompor im Kessel umher. »Außerdem tu ich in der Zwischenzeit was Sinnvolles, statt auf- und abzustolzieren wie ein läufiges Weibsbild …«
Humpen knurrte seinen Kumpel bitterböse an.
»… oder meine Ohren zu zählen …«
»Was? Du hast deinen Eintopf, ich hab meine Ohren!« Abwesend betastete Humpen seinen großen Beutel, den er immer am Gürtel bei sich trug. Tatsächlich besaß er eine beachtliche Sammlung an elfischen Ohren. Er fand es waren hübsche Trophäen, besonders die der Schattenelfen, die hatten am meisten Knorpel.
»Hast du Angst, sie rennen dir weg?«, scherzte Hompor und schlürfte nochmals.
»Nein, ich habe Angst, dass du sie in deine Suppe schmeißt!«
Nun war auch die Geduld von Hompor am Ende. »Bist du jetzt völlig bekloppt?«, brüllte er, »Und wann lernst du es endlich? Das ist keine Suppe; das ist Eintopf!«
Das Horn zum Angriff ertönte.
Pfeilschnell stand Humpen stramm, sein gezacktes Breitschwert zur Hand. »Ja!«, schrie er, »Endlich!« Er schnitt wilde Fratzen und schlug sich auf die Brust. Seine Adern pumpten dickes Blut in jeden Muskel und die Lust auf Fleisch ließ ihn pures Adrenalin sabbern.
Hompor hingegen verdrehte mürrisch die Augen. »Das darf doch nicht wahr sein«, murmelte er in sich hinein. »Ich war fast fertig!«
Aber es half nichts. Er schmiss seine Schürze beiseite, warf sich sein Kettenhemd über und schnappte sich sein größtes Küchenbeil. Fime, so nannte er sie, stand Hompor nicht nur am Topf stets zur Seite, mit ihr hatte er auch schon etliche Schlachten gefochten. Und das geronnene Blut an Fimes Schneide brachte diese spezielle Würze in seinen Eintopf.
Die Orkmeute grölte und das Geplänkel von schweren Eisenwaffen, die aufeinander einbarsten, drang hinüber. Die Schlacht hatte begonnen. So nahmen die beiden jedenfalls an. Seit das Horn geblasen wurde, hatten sie sich keinen Schritt vorwärts bewegt.
Humpen schaute sich um. »Kann es sein, dass wir sehr weit hinten stehen?«
»Würde sagen, wir stehen sogar ganz hinten.«
»Kämpfen die da vorne etwa schon?« Ungläubig versuchte Humpen zu erkennen was vorne an der Front los war und kniff die Augen zusammen. Doch alles was er erkennen konnte, war ein Knäul aus Leibern.
»Na sie werden wohl kaum miteinander tanzen …«
»Knak! Das kommt nur davon, weil wir deinen dämlichen Kessel mitschleppen mussten! Deswegen stehen wir jetzt ganz hinten und verpassen die Schlacht!«
Auf einmal erhellte ein blendender Schein den Horizont. Noch hinter der Front, weit im Herzen des Landes der Elfen, leuchtete ein riesiger Ball auf und versackte einen Wimpernschlag darauf wieder im Nichts. An seine Stelle trat ein Gebilde. Es surrte, zischte und breitete sich aus. Immer schneller gewann es an Größe und verschluckte alles, was sich ihm in den Weg stellte. Es aß Bäume, verschlang Steine, Metal und Orks.
Humpen und Hompor starrten auf die wabernde Wand aus Energie, die auf sie zuraste. Und kurz bevor die Magie sie und den Rest des Heers der Orks verschlang, durchfuhr jeden von ihnen noch ein letzter Gedanke.
›Waren es jetzt siebenundvierzig oder achtundvierzig?‹ und ›Wirklich schade um den Eintopf.‹
Ungebetener Gast
Die klapprige Brettertür schlug heftig auf und eine trockene Staubwolke fegte in die stickige Taverne hinein. In der Tür, umrahmt von grellen Tageslicht, stand eine hohe Gestalt. Schlank und anmutig, das tief rote Haar umwehte ihre Taille. Die lederne Kampfrüstung, eng wie eine zweite Haut, zeichnete die kräftigen Muskeln ihrer Oberarme und Schenkel ab, und knirschte, als sie zum Tresen hinüber ging.
»Gibt es hier irgendwas Geniessbares zu trinken?«
Der Gastwirt schaute sie unter seinen gefurchten Augenbrauen mies an, stellte ihr aber einen plumpen Becher mit schaumigem Inhalt hin.
Sie nahm den Becher, drehte sich ohne ein Wort um und lehnte sich lässig an die Theke.
Auf ihrem schönen Gesicht lagen die finsteren Blicke von gut einem Dutzend hässlicher Orkfratzen. Seit sie das schäbige Loch betreten hatte, stierten sie mit verhasstem Blick auf die Elfe. Die Köpfe der Grünhäute, mit ihren blutroten Augen, folgten ihr wie ein absonderliches Spiegelbild. Hier und dort hörte man ein verächtliches Schnaufen oder ein tiefes, nach innen gekehrtes Grunzen.
Unbeeindruckt schaute die Elfe über das miese Publikum hinweg und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Becher. In anständigen Kreisen wäre die dreckige Brühe nicht mal als Abwasser durchgegangen. Doch der Blutsturm, wie die Orks ihr stark Alkohol durchsetztes Gebräu nannten, stillte das Verlangen nach etwas Flüssigem, wenn auch eher durch den abartigen Geschmack als durch ein erfrischendes Erlebnis auf der Zunge.
Einer der Orks, so ziemlich der hässlichste, wenn das überhaupt möglich war zu bestimmen, kam auf sie zu gestapft. Sein massiger Körper wippte klobig hin und her, als würde ein amateurhafter Puppenspieler eine alte Marionette laufen lassen.
Er begaffte sie mit seinen engen Augen von oben bis unten und verzog den groben Mund zu einem höhnischen Grinsen. »Na, Baummädchen, hast du dich verlaufen?«, polterte seine raue Stimme sie an, wobei einer seiner Hauer, der schief und verkrüppelt aus seinem Unterkiefer vorragte, mitwackelte.
Hinter ihm ging ein grunzendes Lachen durch die Reihen der Orks, die aufmerksam zusahen.
Gelangweilt schaute die Elfe an ihm vorbei, als würde nicht gerade ein breiter und sehr übel gelaunter Ork vor ihr stehen, was jeden anderen mit Angst versehrt hätte.
»He, ich rede mit dir, Elfenweib, oder verstehen deine spitzen Ohren meine primitive Sprache nicht?«
Hohles Gelächter klang durch den Raum, begleitet von wildem Geklopfe dicker Orkfäuste, die auf die Tische schlugen.
»Ruhe!«
Die Orks an den Tischen verstummten augenblicklich.
»Anen’yu paruk tha’okrim fúlani eth’rina«, sprach die Elfe im zarten Flüsterklang ihrer Heimatsprache.
Der Ork vor ihr raffte seine durchgehende Braue zu einem finsteren Büschel zusammen. Hinter ihm fing Einer ein abscheuliches Kichern an, das wie das Husten einer sterbenden Hyäne klang. Die Orks um ihn herum fielen mit ein, bis die ganze Taverne vom Grölen und Schenkelklopfen bebte.
„Haltet die Schnauze!«, schrie der Ork mit dem schiefen Hauer.
Die augenblickliche Stille war von Ehrfurcht getragen.
Der Ork wandte sich wieder der Elfe zu. Er schob sein narbiges Gesicht dicht an das ihre, plusterte sich auf und spannte die Muskeln an, um größer zu wirken. Trotzdem reichte er ihr gerade mal bis zum fein geschliffenen Kinn. Seine Augenbrauen schoben sich noch weiter zusammen und sein rechtes Auge begann zu zucken.
»Denkst wohl du bist was Besonderes mit deiner hübschen Sprache – haben dir die Vöglein und die Schmetterlinge beigebracht so zu reden?« Ein flüchtiger Blick aus den Augenwinkeln ließ das aufkommende Gelächter auf einen Schlag ersticken.
Ruhig und bedächtig drehte die Elfe ihren Kopf dem Ork entgegen. Die Bewegung wirkte so fließend, wie das sanfte Wiegen der Bäume im Sommerwind. Ihre hellvioletten Augen, die selbst hier im fahlen Licht Heim für tausend Sterne schienen, blickten auf die hässliche Gestalt vor ihnen.
»Eigentlich«, sagte die Elfe in der kantigen Sprache der Orks, »habe ich dich den Haufen einer dreckigen Orkhure genannt.«
»Du spitzohrige Schlampe!«, brüllte der Ork. Seine Nasenlöcher weiteten sich, er schnaufte wie ein Büffel beim Paarungsakt und an seinem Hals traten dicke, pulsierende Adern hervor.
Die anderen Orks standen ruckartig auf, traten Stühle und Tische beiseite und bauten sich mit knirschenden Gebissen und herabhängenden Mundwinkeln hinter ihrem Artgenossen auf.
»Weißt du eigentlich wen du vor dir hast?«, spuckte der Ork.
»Den Dorfdeppen?«, sagte die Elfe unbeeindruckt und nippte an ihrem Becher.
»Ich bin Klomp«, schnauzte er sie an, »Anführer der Orks vom Klan der Bluthauer!«, Stolz reckte er seine Brust raus. Seine Jungs zogen ebenfalls die Wampen ein und kamen sich unheimlich toll dabei vor.
»Man nennt uns so, weil von unseren Feinden nichts anderes übrig bleibt als ihr Blut, das von unseren Hauern tropft!« Seine Augen glühten vor Durst nach Tod.
Mit einem langen Zug leerte die Elfe ihren Becher und stieß leicht auf. »Yirala, leidenschaftliche Ork-Arsch-Treterin.«
Mit voller Wucht schmetterte Yirala den Becher durch Klomps Visage. Das Holz des Trinkgefässes zersplitterte und bohrte sich tief in die Lederhaut des Orks. Er schrie auf, doch nicht vor Schmerz – der Blutrausch war in ihm geweckt. Seine grünen Pranken stürzten sich auf Yirala, gefolgt von der Meute seines Klans, die es ihm gleich tat.
Leichtfüßig duckte sich Yirala unter den Griffen hinweg. Sie tänzelte hinter eines der grünen Monster, schnappte sich seinen Arm und verdrehte ihn mit einem Ruck, dass es laut knackte. Der Ork fiel schreiend zu Boden.
Geschmeidig wich sie dem Faustschlag des nächsten Angreifers aus. Schaum sprühte von seinen Lippen. Yirala rammte ihm das Knie in den Magen und auch dieser Ork sackte zusammen.
Die nächste Welle bestand aus zwei Orks, die von rechts und links auf Yirala zustürmten. Sie hatten sich mit Axt und Knüppel ausgerüstet, mit denen sie Yirala zerschmettern wollten. Doch Yirala wand ihren schlanken Körper zur Seite, huschte mit einem kleinen Schritt zwischen den Orks hindurch. Der Knüppel des einen krachte donnernd in den Boden, gefolgt von der Axt des anderen, die nun in dem sperrigen Kriegsgerät feststeckte.
Diesen Moment der Verwirrung nutze Yirala um dem einen Ork am Irokesen rücklings zu ziehen. Der massige Krieger torkelte zurück und als er in ein Regal mit grob geschnitzten Krügen krachte, hielt Yirala nur noch ein Büschel fettiger Orkhaare in der Hand. Sie wollte es schon beiseite schmeißen, als Klomp auf sie zugerast kam.
»Ich werde dich … hmppf!?«, brach ihm das Wort ab, als sich sein Maul mit der Frisur seines Kumpels füllte.
Andere Orks hatten sich nun ebenfalls bewaffnet: Dolche, Säbel oder einfach Mobiliar fassten ihre Pranken. Einer hatte einen Pfeiler herausgerissen und nahm ihn als Keule. Die blanke Gier nach leckerem Elfenblut überlief ihre Mienen.
Ihrem Angriff entging Yirala indem sie erst auf den Rücken des Orks sprang, der immer noch versuchte seinen Knüppel aus dem geborstenen Boden zu ziehen, und von dort aus auf die Theke.
Yirala warf sich die Strähnen aus dem Gesicht. Ihre scharfen Elfensinne verschafften ihr einen schnellen Überblick. Leichte Beute, feierte sie in Gedanken.
»Sieht aus, als hätte da jemand eine Runde Arschtritte bestellt - die gehen auf mich!«
Yirala trat die unkoordiniert, heranstürmenden Angreifer mit ihren schweren Lederstiefeln unters breite Kinn. Anmutig wie ein Sack Kartoffeln flogen die Orks bis zur Tür und rissen dabei ihresgleichen um.
Behände glitt Yirala vom Tresen runter. Die restlichen Orks bekamen die Spitze ihres Ellenbogens zu spüren oder die schnelle Wucht ihrer grazilen Finger, die sich zur harten Faust ballten.
Dann stand nur noch einer: Klomp. Er pulte sich noch die letzten Haare von den Lippen, als Yirala sich mit langen Schritten auf ihn zutrat. Ihre enge Lederrüstung knirschte und ihr makelloses Haar schwang zum Rhythmus ihrer Taille mit.
»Nok krac ren tucrik!«, brüllte Klomp;
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Cover: John Stephen Chandler
Tag der Veröffentlichung: 26.10.2018
ISBN: 978-3-7438-8464-9
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