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Kurzgeschichte

Teach me how to fly

Eine Geschichte übers Fliegen

 

Für meinen Dad!

 

An einem lauen Sommertag spielte ein kleines Mädchen im Garten. Als sie unter dem großen Eichenbaum gerade ihre Puppen zum Kaffee trinken hinsetzen wollte, sah sie dass sich dort etwas Kleines im Gras bewegte. Neugierig ging sie darauf zu und entdeckte einen kleinen Vogel. Da er scheinbar nicht fliegen konnte, hob Lara ihn hoch und trug ihn ins Haus zu ihrer Mutter. Sie konnte ihm bestimmt helfen, dachte Lara. Als ihre Mutter den Vogel sah, schüttelte sie traurig den Kopf: „Tut mir Leid, meine Kleine, aber ich kann nichts für ihn tun. Er muss wohl aus dem Nest gefallen sein und sich den Flügel gebrochen haben. Es wäre das Beste, wenn er sich nicht weiter quälen muss.“ Doch Lara wollte den kleinen Vogel nicht rausrücken und quengelte und drängte solange bis ihre Mutter ihr erlaubte, ihn gesund zu pflegen. Sie fuhren mit dem Vogel zum Tierarzt, wo sein Flügel geschient wurde und Lara ein spezielles Aufbaufutter für ihren neuen Freund bekam. Am nächsten Tag kauften sie einen kleinen Käfig und stellten ihn in Laras Zimmer. Das Mädchen kümmerte sich rührend um den kleinen Vogel. Sie füttere ihn, erzählte ihm Geschichten, damit er sich in seinem kleinen Häuschen nicht langweilen musste und stellte den Käfig abends neben ihr Bett, weil sie der Ansicht war, dass der Vogel nicht so viel Angst im Dunkeln haben müsse, wenn er näher bei ihr wäre. Die Zeit verging und der Vogel wuchs heran. Sein Flügel verheilte gut und nach einigen Wochen erklärte ihre Mutter Lara, dass es nun Zeit wäre, dass der Vogel fliegen lernt. Lara hatte große Angst davor, dass ihr Vogel sich dabei wehtun könnte, also versuchte sie es ihm, so gut sie konnte, vorzuzeigen. Sie nahm einen elektrischen Spielzeughubschrauber ihres Bruders und setzte den kleinen Stofftiervogel, den sie dem echten Vogel in den Käfig gesetzt hatte, damit er nicht so allein war, wenn sie in die Schule musste, darauf. Mit einer Schnur band sie ihn auf dem Hubschrauber fest. Dann trug sie den Vogelkäfig hinaus in den Garten und lies den Hubschrauber in die Luft steigen. Dabei erklärte sie ihrem Vogel ganz genau was gerade mit dem Hubschrauber passierte und dass er zwar mit den Flügeln schlagen müsste, da er ja keine Rotorblätter habe, das Ergebnis aber dasselbe sei. Ein paar Minuten ließ sie den Hubschrauber fliegen, dann landete sie ihn wieder und erklärte dem Vogel dabei, dass er aufpassen müsse, wenn er landet, damit er nicht zu schnell wurde, da er sonst stürzen könnte. Schlussendlich überwand Lara sich und setzte den Vogel auf ihre Handfläche. Sie hob die Hand etwas an und sagte: „Flieg!“ Doch der Vogel blieb sitzen. Wieder: „Flieg!“ Der Vogel aber bewegte sich nicht. Das beschloss Lara, dass auch ihr Vogel etwas Hilfe brauchte, um den Mut zum Fliegen zu fassen. Also schubste sie ihn ganz vorsichtig in Richtung ihrer Fingerspitzen. Ein weiterer leichter Schubser war nötig, doch dann lies sich der Vogel von ihrer Handfläche fallen. Für eine Sekunde dachte Lara er würde stürzen, doch in diesem Moment breitete der Vogel seine Flügel aus und flog. Zuerst einige kleine Runden, doch dann stieg er immer höher hinauf und schlussendlich flog er davon. Lara wartete, doch ihr Vogel kam nicht wieder. Traurig hob sie ihre Sachen auf und ging zurück ins Haus. Als sie abends in ihrem Zimmer saß, hörte sie ein leises Klopfen am Fenster und als sie hinaus sah, saß auf dem Fensterbrett ihr kleiner Vogel. Er war zurückgekommen!

So ging es über viele Monate weiter. Der kleine Vogel kam sie jeden Tag besuchen, leistete ihr für einige Zeit Gesellschaft und flog dann wieder davon. Doch irgendwann wurde seine Besuche immer weniger bis sie ihn nur noch äußert selten von weitem zu Gesicht bekam. Das machte sie traurig, denn sie dachte er hätte sie jetzt, wo er neue Freunde gefunden hatte, einfach vergessen.

Viele Jahre später, Lara war bereits fünfzehn, war sie mit dem Fahrrad unterwegs und stürzte heftig. Ihr Bein war grässlich verdreht und schmerzte grauenhaft. Tränen stiegen ihr in die Augen und Verzweiflung überkam sie, als sie plötzlich ein leises Zwitschern neben sich vernahm. Als sie den Kopf zur Seite drehte, saß neben ihr auf der Straße ihr kleiner Vogel und zwitscherte aufmunternd. Da erkannte Lara, dass er in all der Zeit, in der sie dachte er hätte sie vergessen, immer in ihrer Nähe gewesen war, auch wenn sie ihn nicht gesehen hatte.

Ein junges Paar kam und fand das Mädchen. Sie riefen einen Rettungswagen und Lara wurde ins Krankenhaus gebracht. Als die Krankenschwester sie in ihr Zimmer brachte, saß vor dem Fenster der kleine Vogel. Und er kam jeden Tag und saß stundenlang an ihrem Krankenbett, so wie sie an seinem gesessen hatte. Ihr Bein war gebrochen, genauso wie damals der Flügel ihres Vogels und sie musste lange im Krankenhaus bleiben. Doch der Vogel kam trotzdem jeden Tag zu ihr, bis sie nach Hause durfte. Und auch dort kam er sie besuchen und zwitscherte ihr etwas vor. Und als Lara endlich wieder selbst gehen durfte, schnappte sie sich ein paar Körner und brachte sie ihrem Vogel nach draußen. Dieser kam vertrauensvoll angeflattert und setzte sich auf ihre Hand. Und während ihr kleiner Vogel genüsslich an den Körnern knabberte, wurde Lara bewusst, dass zusammenzuhalten nicht bedeutet, dass man sich oft sehen muss, sondern dass man füreinander da ist, wenn es wirklich darauf ankommt und das es genau dieser Zusammenhalt ist, der uns unsere Flügel gibt, um zu fliegen.

 

Ende

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.05.2014

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