Ich fror erbärmlich. Mein Fell war klamm, der vereiste Boden drückte kalt gegen meinen beinahe ungeschützten Bauch. Die steifen Glieder gehorchten mir nicht mehr, egal wie sehr ich mich bemühte, mich weiter zusammen zu rollen.
Am Abend zuvor war ich zur Jagd aufgebrochen, um meine nahezu erschöpften Vorräte aufzufüllen. Einige Beutetiere sollten die anstehende Nahrungsmittelknappheit verhindern, soweit der Plan. Zwar lebte ich als Mensch in einer kleinen Hütte im tiefen Wald, vermied den Kontakt zur Zivilisation dennoch so konsequent, wie möglich. Allerdings benötigte ich Güter, die ich nicht in der Natur fand.
Fleisch hingegen jagte ich. Nicht mit Waffen, sondern mit Krallen und Zähnen. Eben so, wie es für meine tierische Seite üblich war. Nur hatte mir genau das diese Misere eingebrockt. Ein Zittern durchzog meinen schmalen Körper, ich war kaum fähig, es unter Kontrolle zu bringen. Der Puma, mit dem ich als Gestaltwandler meinen Geist teilte, jaulte gequält auf. Zumindest wäre mein ehemaliges Rudel endlich zufrieden, wenn ich hier der Kälte nachgeben würde.
Abermals krampften meine Muskeln und nicht zum ersten Mal grübelte ich, warum ich mich überhaupt für ein Leben fernab jeglicher Zivilisation entschieden hatte. In einer Großstadt wäre ich zumindest in der Masse untergegangen. Doch im selben rasselnden Atemzug erkannte ich die Antwort. Mein Puma hatte darauf bestanden. Er wollte die Freiheit haben zu erscheinen und sich auszutoben, wann immer es ihm beliebte. Um etwaigen Problemen mit meiner Familie und den anderen Rudelmitgliedern auszuweichen, hatte ich entschieden, weit fortzugehen. So war ich in den deutschen Alpen gelandet.
Es herrschte tiefster Winter. Temperaturen, die ich nicht gewohnt war, peinigten mich, besonders in meiner Tiergestalt. Mit meinem Rudel hatte ich in einem warmen Sumpfgebiet gelebt.
Gequält schloss ich die Augen. Meine Glieder schmerzten genug, da wollte ich meine Seele nicht noch mit vergangenen Bildern malträtieren. Genau die hatten mich so unvorsichtig werden lassen. Der unbändige Wunsch, nicht mehr allein umherziehen zu müssen, vermischt mit einem lockenden Duft, den ich so bisher nie wahrgenommen hatte.
Während des Streifzuges in der Dämmerung war mir plötzlich ein Geruch in die Nase gestiegen. Süßlich, wie Honig, dennoch herb und maskulin. Niemals zuvor hatte ich solch eine anziehende Mischung gewittert. Wie benebelt auf der Suche nach der Quelle, hatte ich mich nicht mehr auf meine Umwelt konzentriert. Zu groß war das Bedürfnis, den Verursacher auszumachen. Gefährte! Immer wieder hallte dieses eine Wort durch meinen Verstand. MEIN!
Dem unbändigen Drang folgend, war ich in eine Falle geraten. Ich stürzte in ein Loch, das ordentlich mit Blättern und Schnee abgedeckt worden sein musste. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich seitdem, wie weit ich gerannt war. In direkter Umgebung zu meiner selbstgebauten Holzhütte gab es keine Menschen. Selbst Wanderer oder Abenteurer verirrten sich nicht in mein Revier, von Jägern ganz zu schweigen. Tief in Gedanken versunken driftete ich immer wieder in die Dunkelheit, die mich vor der Kälte und den Schmerzen schützte. Der gefrorene Boden hatte den Sturz nach Sekunden abgebremst, dennoch war ich ungünstig aufgekommen. Stechende Pein brandete durch eine Pfote, die Schnauze feucht vom klammen Blut. Einzig mein warmer Atem hinderte die Flüssigkeit daran, zu Eis zu gefrieren.
„Guck mal, da ist ein Loch im Boden. Dachte, hier wäre Jagen verboten“, murmelte Mirko in seinen olivgrünen Schal und sah mich fragend an.
„Ja, ist es auch. Lass uns mal hingehen und nachschauen. Nicht, dass da ein verletztes Tier drin ist“, gab ich grummelnd von mir und zog die graue Winterjacke enger um meinen Leib. Die schwarz behandschuhten Hände zu Fäusten geballt, stapfte ich durch den unberührten, wie Diamanten glitzernden Schnee. Ein in der Grube liegendes Lebewesen müsste bereits vor Stunden abgestürzt sein, da es in der Nacht das letzte Mal geschneit hatte und man keine Pfotenabdrücke ausmachen konnte.
Wir hatten den gemeinsamen Winterurlaub an einem kleinen, verborgenen Bergsee geplant, um uns beim Eisangeln zu entspannen und die Natur zu genießen. Das gefrorene Wasser funkelte wie tausend Sterne im Schein der Sonne. Ich war bei unserer Ankunft beinahe in dem Anblick versunken. Und jetzt sowas. Diese verdammte Wilderei hatte in den letzten Jahren deutlich zugenommen und ich kapierte das einfach nicht. Es war nun wirklich nicht kompliziert, sich an Regeln und Gesetze zu halten. Unwillig schüttelte ich den Kopf und setzte den Weg mit schweren Schritten langsam fort, direkt auf das Erdloch zu, das mein bester Freund erspäht hatte.
Leise seufzte ich. Mirko war weitaus mehr für mich. Seit drei Jahren hatten wir, zusätzlich zu unserer innigen Freundschaft, Sex. Wir taten es häufig und es war jedes Mal verdammt heiß. Dennoch verbot ich mir weitere Gedanken, obwohl ich gern mit Mirko zusammen wäre. Ihn meinen festen Partner nennen wollte. Allerdings träumte er von einer glücklichen Dreierbeziehung. Doch das konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, also verdrängte ich meine Gefühle für ihn. Verbannte sie in den hintersten Winkel meiner Seele. Der Herzschmerz würde mich unweigerlich treffen. Trotzdem genoss ich die Zeit, die mir mit ihm vergönnt war.
An der Aushebung angekommen, schaute ich hinunter und keuchte.
„Fuck.“
Eine Wildkatze. Das komplette Fell mit funkelndem Raureif überzogen, samt einem feinen Rinnsal dunklen Blutes, das aus der Schnauze lief. Eine Pfote schien unnatürlich verdreht. Meine Erfahrung als Tierarzt würde mir hier definitiv von Nutzen sein.
Selbst in diesem erbärmlichen Zustand weckte das Tier in mir das Gefühl, nie etwas Schöneres gesehen zu haben. Der Gedanke daran, dass er sterben könnte bildete einen harten Klumpen in meinem Magen und Kälte rann mir durch die Adern.
Ich musste ihn retten. Ich musste!
Mein Herzschlag beschleunigte sich unaufhörlich.
Wie ich auf die Idee kam, dass es sich um ein männliches Exemplar handelte, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Denn um das einwandfrei bestimmen zu können, musste ich näher an das verletzte Tier heran.
Mirko trat neben mich und krauste bei dem Anblick seine Stirn. Das erkannte ich aus dem Augenwinkel, denn den Blick gänzlich von dem Puma zu lösen, gelang mir aus unerfindlichen Gründen nicht. Zumindest vermutete ich, dass es sich bei der großen Katze um einen Puma handelte. Eine Suchmaschine würde mir eine Antwort liefern.
Kurz überlagerte der Gedanke an Mirkos nackten, muskulösen Körper das Geschöpf, das vor mir lag und ich zuckte erschrocken zusammen. Sie vermischten sich und wurden zu einem brennenden Feuerwerk in meinem Inneren. Meine beiden Männer.
Teufel noch eins!
Was fabrizierte mein Hirn da bloß für Sachen?
„Wir müssen ihn da rausholen“, sagte ich bestimmend und überlegte fieberhaft, wie wir das am besten anstellen sollten. Wenn mir nichts Besseres einfiel, würde ich erst einmal dort hinunter klettern und den Kater untersuchen.
„Unbedingt.“ Mirkos glühender Blick brannte auf meiner Haut, schickte Hitze in jeden Winkel meines Körpers. Unwillkürlich fragte ich mich, ob er ebenfalls diese merkwürdigen Hirngespinste hatte. Innerlich rollte ich bei diesem Gedanken mit den Augen. Das war doch Blödsinn.
„Wir haben ein Seil im Zelt.“
„Ich hole es schnell. Warte du hier.“ Ganz dicht trat Mirko zu mir, so nah, dass ich seine Körperwärme spürte, ebenso den Atem auf meinem Gesicht, bevor er mir einen brennenden Kuss auf die Lippen drückte. Es fühlte sich anders an
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Emilia Grace
Bildmaterialien: Bild: depositphotos ID 161555588 @ kavramm; depositphotos ID 61883295 @ Baranov_Evgenii
Cover: Emilia Grace
Tag der Veröffentlichung: 07.04.2021
ISBN: 978-3-7487-7967-4
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Danksagungen
Ein riesiger Dank geht an meine guten Feen Nadja und Kati.
Ein großes Dankeschön auch an meine Betaleserinnen Anke und Simona.
Ihr seid toll, ohne euch wäre ich verloren!