Cover

Vorwort

Da ich bei der Story nicht weiterkomme, habe ich beschlossen sie so stehen zulassen. Ich komme einfach nicht dahin, wo ich hinwill. Ich habe das Gefühl, meine Figuren sind noch nicht bereit, ihre ganze Geschichte zu erzählen. Vielleicht werde ich irgendwann alles berichten können, aber für den Moment lasse ich es so stehen. Ich glaube auch nicht, dass ich diese Geschichte weiterführe, sondern eine neue beginne.

Ich möchte mich bei allen, die mich unterstützt haben, bedanken. Ganz besonders bei Brianna Keanny für das Lektorat und Korrektorat.

Nachdem ich hier so viele tolle Geschichten gelesen habe, wollte ich auch mal das was seit einigen Zeiten in meinen Kopf rum spuck zu Papier bringen (ok, eigentlich eher aufs Desktop). Es ist gar nicht so leicht. Schon bei dieser, meiner ersten Geschichte habe ich viele Fehler gemacht und hoffentlich auch etwas dabei gelernt. Den wie sage ich immer: „Ich bin lernwillig, wenn auch nicht immer fähig.“

 

Charlie Aaron

Wunden der Vergangenheit

 

Was war das denn? Ich kann nicht glauben, was ich getan habe. Bin ich genauso ein Arsch wie mein Vater? Als 40-jähriger Familienvater, der seit 22 Jahren glücklich verheiratet ist und 2 Söhne mit 22 bzw. 15 Jahren hat, sollte ich doch aus der Vergangenheit gelernt haben. War ich meinem Erzeuger nicht nur äußerlich ähnlich?

Was passiert ist? Ich bin ein gewalttätiger Vollidiot! Ich habe meinen jüngsten Sohn windelweich geprügelt! Warum? Gut Frage, eigentlich versteh ich es auch nicht.

Normalerweise komme ich zwischen 16.30 und 17 Uhr nach Hause. Meine Frau ist Krankenschwester, sie hatte Spätdienst. Jonas, mein Großer war nach seinem Studium mit seiner Freundin zusammengezogen. Josh dachte wohl er habe sturmfreie Bude und hat seinen Freund mit hergebracht. Nur das ich heute mit meinem Projekt fertig wurde. Es war gerade 14 Uhr und ich beschloss ein paar Überstunden abzubauen und heimzugehen.

Auf dem Weg zum Auto kam mir die Idee mal wieder einen Abend mit meinen Jungs zu verbringen. Noch bevor ich losgefahren bin habe ich Jonas angerufen und mit ihm ausgemacht, dass er nach der Arbeit vorbeikommt und wir dann ins Kino gehen. Gutgelaunt kam ich daheim an. Schon im Flur hörte ich Musik aus Josh Zimmer. Ich ging gleich hoch um ihm die Abendplanung mitzuteilen. Er würde sich bestimmt freuen, wir wollten in einen Actionfilm ab 16 gehen. Normal würde er da nicht reinkommen, aber mit Papa und großem Bruder war das was Anderes. Nach kurzem Klopfen öffnete ich die Tür und erstarrte bei dem Anblick der sich mir bot. Mein Sohn lag mit einem ca. 18-Jährigen Jungen in seinem Bett. Beide waren nur leicht bekleidet. Was vor meinem Auftritt passierte, war so was von offensichtlich. Bilder aus der Vergangenheit stürmten auf mich ein. Ich sah IHN tot auf der Barre liegen. All die längst verdrängten Gefühle waren wieder da.

Wie ein Berserker raste ich in das Zimmer, schnappte mir den fremden Kerl, warf ihn seine Klamotten hin und schmiss ihn aus dem Haus. Mein Sohn rannte hinter mir die Treppe runter und versuchte mich zu beruhigen. Ohne Erfolg. Kaum war der Typ zur Tür raus, drehte ich mich zu Josh um und Ohrfeige ihn. Er stürzte, ich zog mein Gürtel aus der Hose. Obwohl ich meine Kinder bisher nie geschlagen hatte, wusste mein Kleiner gleich was es bedeutete. So schnell er konnte flüchtete er die Treppe hoch in sein Zimmer. Noch bevor er die Zimmertür schlissen konnte, war ich bei ihm. Ich warf ihn auf sein Bett und schlug mit dem Gürtel auf seinen Hintern. Wie von Sinnen schlug ich immer und immer wieder zu. Seine Schreie höre ich zwar, aber ich nahm sie nicht wahr. Die ganze Zeit war es, als würde ich nehmen mir stehen, die ganze Szene beobachten und ich konnte nichts tun um diesen Affen daran zu hindern sein Kind zu verprügeln. Es war wie damals. Wieder dieses Gefühl hilflos zu sein. Die altbekannte Panik stieg in mir auf. Nach gefühlten Stunden ließ ich von ihm ab.

Mit zitternden Händen ging ich in mein Arbeitszimmer und schenkte mir einen Whiskey ein. Mein Blick fiel auf ein Bild an der Wand, es zeigte mich und meinen Bruder Clemens. Wir waren zweieiige Zwillinge. Während ich groß und blond nach unserm Vater kam, war er zwar auch blond, aber eher zierlich. Zu behaupten, wir hätten eine glückliche Kindheit gehabt, wäre die Übertreibung des Jahrhunderts. Wir wuchsen in einem kleinen Dorf in der Nähe einer Kleinstadt auf. Unser Vater war sehr streng mit total altmodischen Ansichten. Für Kleinigkeiten wurden wir hart bestraft. Schläge waren für uns fast schon Tagesordnung. Mutter stand immer hinter ihrem Mann. Ihr war es wichtig was die Nachbarn dachten. Cle und ich hielten immer zusammen, tröstenden uns gegenseitig. Nach unserm Realschulabschluss fing er eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann an und ich eine zum Industriemechaniker.

Auf einer Party eines Ausbildungskollegen verliebte ich mich das erste Mal so richtig. Natürlich erzählte ich gleich Cle davon. Er freute sich total für mich. Allerdings wirkte er auch traurig. „Du brauchst nicht traurig sein. Wir sind doch Brüder. Auch wenn ich jetzt eine feste Freundin habe. Ich bin immer für dich da.“ „Das ist es nicht. Veit ich muss dir etwas sagen. Vielleicht magst du mich danach nicht mehr.“ „So ein Quatsch! Los raus mit der Sprache!“ „Ich bin schwul.“ „Scheiße! …. Bist du dir sicher?“ Mit gesenktem Kopf nickte er nur. „Wenn ER es erfährt bring er mich um!“ Er weinte. Ich nahm ihn fest in den Arm. „Das schaffen wir schon. Ich helfe dir. Nur noch ein Jahr dann sind wir 18 und ziehen aus. Hast du einen Freund?“ Das Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück. „Ja. Werner ist schon 24. Ich habe ihn auf der Arbeit kennen gelernt. Er ist im Außendienst. Muß immer mit zu Messen und Ausstellungen. Deshalb können wir uns nicht so oft sehen. Du sagst es doch keinen!“ „Natürlich nicht!“

Ich hielt mein Versprechen. Nur Chrisi, meine Freundin, erfuhr von seinem Geheimnis. Auch sie half mit, es zu bewahren und die beiden wurden die besten Freunde. Alles lief gut.

Chrisi und ich waren ein halbes Jahr zusammen, als sie schwanger wurde. Ihrer Eltern nahmen es gut, wenn auch nicht mit Begeisterung auf. Praktisch veranlagt wie sie waren, planten sie schon alles. Wir sollten bei ihnen mit einziehen. Wenn alles gut ging konnte Chrisi ihre Fachabiprüfung noch mitschreiben und im Herbst die Ausbildung zur Krankenschwester anfangen. Ihre Mutter Ursula wollte in Erziehungsurlaub gehen und sich um das Kind kümmern. Mit dem fertigen Plan ging ich zu meinen Eltern. Cle war bei mir, wollte mir bestehen.

Kaum hatten wir die Haustüre geöffnet stürmt Vater auf uns zu. Ich dachte, er habe es irgendwie erfahren und mein letztes Stündlein habe geschlagen. Doch er ging nicht auf mich los, sondern auf Cle. Wie erstarrt bekam ich mit wie er meinen Bruder ohrfeigte und ihn als perverses Schwein beschimpfte. Clemens stürzte zu Boden, ich versuchte mich zwischen die Beiden zuschieben. Vater packte mich, stieß mich in die Abstellkammer und sperrte hinter mir ab.

Hilflos schlug ich gegen die Tür und müsste ich mit anhören wie mein Bruder verprügelt wurde. Seine Schreie habe ich noch heute in den Ohren. Ich dachte, er schlägt ihn tot. Irgendwann war es vorbei. Ich hörte meinen Bruder wimmern. Kurze Zeit später vernahm ich unsere Eltern sich Schuhe und Jacke anzogen und Vater sagen: „Wir gehen zu Sepps Geburtstagsfeier, wenn wir zurück sind bist du weg.“ Nachdem Vater aus dem Haus war, öffnete Mutter die Tür und ließ mich aus der Kammer. Als ob nichts geschehen wäre fragte sie mich: „Kommst du mit zu Sepps Feier?“ Ich konnte sie nur entsetzt ansehen. Dann fiel mein Blick auf meinen Bruder, er gab keinen Ton mehr von sich und war überall mit Blut verschmiert. „Wir fahren jetzt.“ mit diesen Worten verließ auch sie das Haus. Ich kniete neben Cle. Er lebte noch. Mit der Situation überfordert, rief ich meine zukünftigen Schwiegereltern an. Ursula sagte, dass ihr Mann gleich zu uns kommt und ich in der Zwischenzeit einen Krankenwagen rufen solle. Wie ferngesteuert machte ich, was sie sagte. Es dauerte nicht lange bis die Sanitäter und Heinz mit Chrisi eintrafen. Heinz übernahm sofort das Kommando. Chrisi fuhr mit ins Krankenhaus während ihr Vater und ich unsere Sachen aus dem unserem alten Zimmer zusammenräumten. Danach brachte er mich ins Krankenhaus, wo Ursula und die Polizei bereits auf uns warteten. Wie in Trance berichtete ich ausführlich, was geschehen war.

Irgendwann kam ein Arzt und teilte uns mit, das Clemens sehr schwer verletzt ist und operiert werden muss. Heinz und Chrisi verabschiedeten sich und Ursula blieb an meiner Seite. Ohne Chrisi und ihren Eltern hätte ich das nicht geschafft. In den frühen Morgenstunden kam der Arzt wieder und berichtete, dass Cle die OP gut überstanden hätte. Am Vormittag kam eine Dame vom Jugendamt und ließ sich von mir noch einmal die ganze Geschichte erzählen. Ursula hat sich dann noch etwas mit ihr unterhalten. Endlich konnte ich zu meinem Bruder. Er war aufgewacht. Sein Gesicht war genauso weiß wie das Bettlaken. Mit leeren Augen starrte er mich an. Dann ist er auch schon wieder eingeschlafen. „Er wird wahrscheinlich erst heute Abend richtig wach. Sie sollten heimgehen und sich etwas ausruhen. Wenn sich was ändert rufen wir sie gleich an.“ Meinte die Krankenschwester. Abends waren wir wieder bei ihm. Reden konnte er nicht, sein Kiefer war gebrochen, aber er lebte. Jeden Tag wurde er etwas kräftiger.

Bald ging es Clemens besser. Er hatte Vater wegen Körperverletzung angezeigt. Das Jugendamt besorgte ihn ein Zimmer in einer betreuten WG. Ich war bei meinen baldigen Schwiegereltern eingezogen. Eigentlich hätte jetzt alles gut werden können. Eigentlich!

Aber es kam anders. Unsere liebe Familie - all die Onkels, Tanten und Omas –machten ihm das Leben zur Hölle. Sie gaben ihm die Schuld, dass unsere Familie zerbrochen war. Sogar auf seiner Arbeit haben sie angerufen oder sind aufgetaucht. Er sollte die Anzeige zurückziehen, weil er sonst das Leben unserer Eltern versaute, wenn Vater verurteilt werden sollte. Außerdem war es natürlich seine Schuld, dass ich auch weg bin und er habe mich aufgehetzt. Während der Gerichtsverhandlung war es besonders schlimm. Wir wurden beide als Lügner beschimpft. Mutter kam auf mich zu und sagte: „Junge, wenn du heute die Wahrheit sagst kannst du wieder heimkommen. Wir verzeihen dir dann alles. Du bist doch nicht so abartig wie er.“ Mit ruhiger Stimme- woher ich die in dem Moment hernahm kann ich nicht sagen, antwortete ich ihr. „Ich sag die Wahrheit. Und so abartig wie du bin ich nicht.“

Vater bekam Bewehrung. Damit war die Sache nicht vorbei, die Verwandtschaft verstärkte ihre Bemühungen sogar noch. Sie machten Clemens bei seinen Vorgesetzten schlecht. Lauerten ihm nach der Arbeit auf und verfolgten ihn. Sein so genannter Freund hatte sich von ihm getrennt. Wie sich heraus stellte, war Cle für ihn nur junges, williges Fickfleisch.

Den Druck nicht mehr aushaltend schmiss er kurz nach unseren 18ten Geburtstag seine Ausbildung, zog in die nächste Großstadt und nahm einen Aushilfsjob an. Vorher war er allerdings noch mein Trauzeuge.

Am Anfang telefonierten wir noch fast jeden Tag. Mit der Geburt meines Sohnes nahm unser Kontakt immer mehr ab. Weihnachten hatten wir ihn eingeladen. Er ist zwar vorbeigekommen, aber er hatte sich verändert. Als wäre er nur noch eine Hülle. Darauf angesprochen, meinte er nur, er habe viel Stress und wäre krank gewesen. Selbst mit Baby und Ausbildung beschäftigt, fragte ich nicht nach. Im Januar darauf rief er mich an und erzählte mir, dass er einen neuen Freund habe und zu ihm ziehe. Ich freute mich für ihn und hoffte, dass auch er jetzt mal Glück in seinem Leben hat. An unseren 19ten Geburtstag wollte ich ihn überraschen und fuhr zu ihm. Da erfuhr ich die Wahrheit. Mein Bruder war drogenabhängig und verkaufte seinen Körper, um die Sucht zu finanzieren. Sein Freund war wohl eher sein Zuhälter. Ich bettelte, dass er einen Entzug macht. Ohne Erfolg. Daraufhin brach er den Kontakt fast ganz ab. Nur noch alle paar Monate rief er mal an. Wollte wissen, wie es uns geht. Von sich selbst erzählte er nichts. Auch Fragen beantwortete er nicht. Ich versicherte ihm jedes Mal meine Liebe und das ich immer für ihn da wäre, dass er jeder Zeit zu uns kommen könnte.

An einen Mittwochabend rief die Polizei an. Sie hatten einen Drogentoten gefunden und sie glauben, dass es Clemens war. Ich sollte ihn identifizieren. Chrisi und ich sind gleich losgefahren.

In der Pathologie wartete schon ein Polizist und führte uns in einen Raum mit Kühleinheiten. Eins davon öffnete er und zog die Bahre raus. Er nahm das Tuch vom Gesicht. Es war Clemens und doch wieder nicht. Sein früher hübsches, jungenhaftes Gesicht, war nur noch eine harte Fratze. Er war nur 21 geworden. Mit ihm ist auch ein Stück von mir gestorben. Während ich mich von meinem Bruder verabschiedete, erledigte meine Frau die Formalitäten. Auch seine Beerdigung organisierte sie.

Meinen Kindern habe ich das nie erzählt. Sie glaubten ihr Onkel sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Meine Eltern haben sie nie kennen gelernt.

Mein Leben ging ohne ihn weiter. Chrisis Oma ist kurz vor Clemens gestorben, sie vererbte ihr Haus in einer Stadtrandsiedlung ihrer Tochter und Enkelin. Wir rissen das alte Haus ab und bauten mit meinen Schwiegereltern zusammen ein Doppelhaus auf das große Grundstück. Auch beruflich lief es für uns recht gut. Dann kam auch noch unser jünger Sohn und machte unser Glück fast perfekt. Es verging kaum ein Tag, an dem ich nicht an meinen Bruder dachte. Vor allem wenn ich Josh sah, er ist seinen Onkel so ähnlich. Vielleicht bin ich deshalb vorhin so ausgeflippt.

Jonas fand mich verheult und immer noch im Gedanken vor. Entsetzt blickte er mich an. „Was ist passiert?“ Ich erzählte ihn was ich getan hatte. Ungläubig schaute er mich an. „Das hast du nicht getan! Sagt, dass das nicht wahr ist!“ In seine geschockten Augen blickend nickte ich. Er zog mich vom Stuhl hoch und hinter sich her in Josh Zimmer. Kaum war ich drin, fiel mein Blick aufs Bett. Mit verweinten, schmerzerfühlten Augen sah Josh mich ängstlich an. Mir hat es das Herz zerrissen. Vorsichtig ging ich auf meinen Kleinen zu, nahm ihn in meinen Arm und streichelte ihn. Am Anfang war er steif, doch langsam entspannte er sich. „Es tut mir so leid, Baby“ flüsterte ich ihn ins Ohr. Jonas versorgte uns beide mit Taschentüchern und setzte sich mit aufs Bett. Das erste Mal erzählte ich den Jungs von meiner Kindheit und ihrem Onkel. Wir verbrauchten den ganzen Taschentuchvorrat.

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Tag der Veröffentlichung: 24.04.2016

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