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Südlich der Hurricains

Südlich der Hurricains

 

 

Die Straße verläuft schnurgerade und flach. Grüne Wiesen wechseln sich ab mit dunklen Kiefernwäldern, dazwischen immer wieder Gehöfte aus rotem Backstein. Ich glaube, ich werde die Gegend hier vermissen, aber ein Zurück gibt es nicht.

Der V8-Motor der roten Corvette brabbelt zufrieden vor sich hin, die warme Luft an diesem Spätsommertag streicht durch das offene Dach über meine Haut. Es riecht nach frisch gemähtem Heu, nach reifem Korn. Eine gute halbe Stunde bin ich jetzt unterwegs, von der Nordseeküste aus Richtung Süden. Ja, die Landschaft hier liebe ich immer noch.

 

Da war das Haus am Meer, mit Fachwerk und Reetdach, in dem wir drei einmal glücklich waren, du, meine Tochter, zusammen mit deiner Mutter und mir. Doch dann musste deine Mutter gehen, kein Glück hält für immer.

Ich habe euch das Haus geschenkt, dir und deinem Ehemann, wohl auch, weil ich wieder eine Familie haben wollte, mit Enkeln und so weiter. Da blendet man schon mal die Wirklichkeit aus.

Deinen Typen habe ich nie gemocht, aber ich dachte, das sei normal, wenn Väter ihre Töchter loslassen müssen. Gewundert habe ich mich schon, woher die teuren Autos und Uhren kamen, aber ich wollte eben wieder eine Familie habe. Jetzt läuft eure Scheidung, und er ist mit seiner Neuen nach Miami geflogen.

Und was machst du? Du kommst auf den Esoteriktrip! Jetzt wohnst du in einer WG in Berlin zusammen mit deinem Guru ein ein paar anderen Verrückten. Das war es dann wohl mit der kleinen Familie!

 

Die Tankstelle ist gut besucht an diesem Sonntag Nachmittag. Alles fährt Richtung Süden, weg von der Küste, zurück zu Heim und Herd und Alltag. Väter tanken ihre Mittelklassevans, Mütter kaufen Eis und Getränke, Kinder zanken, lachen, spielen.

Eine Gruppe Harleyfahrer streicht um die Corvette. Ich murmele etwas von Baujahr siebenundsechzig und dreihundertdreißig PS. Ich muss denen ja nicht sagen, dass ich das Auto geklaut habe.

 

Plötzlich warst du da, und mir schien, der Himmel hätte mir einen Engel geschickt. Zum ersten Mal sah ich dich in dem Kaffee an der Promenade sitzen, dicht am großen Fenster, wo die Frühlingssonne dein Gesicht in weiches Licht hüllte.

Ich war schon so lange allein, nie hätte ich geglaubt, mich wieder zu verlieben. Doch vor der Liebe ist man niemals gefeit, sie kann einen treffen, solange das Herz noch schlägt.

Ich meinte einmal zu dir, dein blondes Haar würde leuchten wie ein Gerstenfeld vor der Ernte, und deine Augen hätten das Blau eines Bergsees in den Rocky Mountains. Ich fand es total kitschig, und du bestimmt auch, doch du hast nur gelächelt und mir über das lichte Haar gestreichelt.

Du sagtest einmal zu mir, du träumtest von einer Insel in der Karibik, ganz tief im Süden, da, wo die Hurrikans nicht hinkommen, doch das sei wohl nur ein naiver Mädchentraum aus längst vergangener Zeit. Da habe ich nur gelächelt, und dich in den Arm genommen.

 

Die Ortschaften sind klein, nur wenige Augenblicke dauert die Durchfahrt. Ein Dorf gleicht dem anderen, niedrige Häuser, ab und zu ein Einkaufsmarkt, eine Kneipe. Schützenfestfahnen hängen schlaff in der Abendhitze, die Dorfjugend schaut mir nach, überrascht vom Blubbern des amerikanischen Achtzylinders.

Wer von denen schafft es wohl mal hier raus?

 

Ich habe dir von Anfang an nicht getraut. Schon am ersten Abend, als du mir im Wohnzimmer gegenüber gesessen hast, war da so ein Grummeln in meinem Bauch. Aber meine Tochter hatte immer wieder erzählt, wie sehr sie dich liebte, und auch du versichertest mir, sie sei für dich der wichtigste Mensch auf der Welt.

Also habt ihr geheiratet, und ich schenkte euch das Haus am Meer. Für mich allein war es sowieso zu groß geworden.

Man sollte doch öfter seinem Bauchgefühl vertrauen, du hast dich jedenfalls als totale Luftnummer entpuppt. Was du noch am besten konntest, war andere Frauen ins Bett zu bekommen.

Ein wenig muss ich aber doch auf meinen Instinkt geachtet haben. Ich behielt nämlich einen Satz Schlüssel für das Haus, auch für den Safe hinter dem Picassokunstdruck.

Du Trottel hast nicht einmal die Schlösser ausgetauscht. 250000 Euro lagen im Tresor, dazu Schlüssel und Papiere des Autos, in dem ich jetzt sitze. Das Geld ist inzwischen auf den Cayman Islands. Schön, wenn man Bekannte im Finanzwesen hat.

Das Beste aber ist, du wirst mich nicht einmal anzeigen! Du müsstest dann eventuell ein paar Fragen beantworten, zum Beispiel, woher das Geld eigentlich stammt, welches du schon bald vermissen wirst.

 

Ich habe das Dach zu gemacht. Ein Sommergewitter zieht auf, über der Stadt vor mir zucken Blitze und erste Regentropfen fallen auf die Windschutzscheibe.

Es sind nur noch ein paar Kilometer bis zu dem Parkplatz, auf dem ich Robert treffen werde. 20000 Euro will er für die Corvette zahlen, der Wagen ist locker das Dreifache wert, aber dafür gibt es keine Fragen.

In vier Stunden geht unser Flug nach Caracas, danach weiter in die Karibik. Das Geld wird wohl reichen für die Zeit, die uns noch bleibt, schließlich bin ich schon zweiundsiebzig, du kaum jünger.

Es ist wieder ein Haus am Meer, nur das es statt mit Reet mit Wellblech gedeckt ist. Und es steht auf einer Karibikinsel ganz im Süden, da, wo die Hurrikans nicht hinkommen.

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Tag der Veröffentlichung: 08.12.2019

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