Das im Folgenden Erzählte geschah zu einer Zeit, die von den jungen Leuten heute als „Steinzeit“ bezeichnet wird, also jene Zeit, wo es noch keine Handys und Laptops gab, wo wir aber schon in Autos durch die Gegend fuhren und Kühlschränke besaßen, ja sogar Waschmaschinen mit eingebauter Schleuderfunktion.
Mir war das alles nicht so wichtig damals, denn meine Interessen – zumindest die der höheren Art – richteten sich auf philosophische Fragen. Meine Interessen der niederen Art richteten sich auf das andere Geschlecht, was vermutlich auf eine sinnvolle Einrichtung der Natur zurückzuführen ist.
Was ich sonst noch als wesentliches Kennzeichen meines damaligen Charakters erwähnen kann, ist meine Vorliebe für Kartoffeln, gebraten am liebsten, aber auch gekocht oder überbacken. Pommes frites aber, die damals gerade in Mode kamen und die man dann allmählich an jeder Straßenecke kaufen konnte, waren, zusammen mit einer Currywurst, immer der absolute Höhepunkt meiner Tage. Außerdem war es eine billige Mahlzeit, was für einen Studenten schon ein gewichtiges Argument ist. Nach Abschluss meines Studiums kam ich ans Lehrerseminar. Noch ein Jahr und ein bestandenes Examen, dann würde ich über ein eigenes Einkommen verfügen und könnte statt Currywurst mit Pommes frites Mahlzeiten der gehobenen Klasse verzehren.
Da saßen wir nun, sieben junge Männer und drei junge Frauen, bei Herrn Hängelbock im Lehrerseminar. Was wir gemeinsam hatten, war die Tatsache, dass wir alle als Zweitfach Philosophie gewählt hatten, das wir demnächst am Gymnasium unterrichten sollten. Hängelbock war nun die Aufgabe zugefallen, uns sieben junge Männer innerhalb eines Jahres zu Philosophie-Lehrern auszubilden und die drei jungen Frauen, Linda, Laura und Marabelle, zu Philosophie-Lehrerinnen. Wir alle hatten natürlich verschiedene Erstfächer, aber das tut hier nicht viel zur Sache. Und was überhaupt das Erste oder Zweite im Leben ist, wird sowieso durch andere Faktoren bestimmt. Wenn ich mir meine männlichen Mitstudenten anschaute, dann hatten wir, so schien es mir, alle eine Erstsache gemeinsam, nämlich das Interesse an den drei hübschen Mitstudentinnen, die wir beobachteten und über die wir uns irgendwelche Hintergedanken machten, auch ich, wie ich zugeben muss. Die drei jungen Damen saßen immer beisammen, Linda, die goldblonde, Laura, die rothaarige, und Marabelle, die flachsblonde. Es gehört mit zur männlichen Einseitigkeit, dass die Haarfarbe, die Haarfülle und die Locken eine Rolle spielen, wie natürlich auch andere Merkmale, die den gierigen Blicken der jungen Männer nicht entgehen konnten. Allerdings sollte man von angehenden Philosophen etwas mehr Selbstkontrolle erwarten, besonders aber von unserem Lehrer, der schon in den Vierzigern war und sicher, seinem Alter entsprechend, schon einiges an philosophischer Weisheit angesammelt hatte. Und doch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass in der Art, wie Hängelbock die jungen Damen anschaute, etwas von derselben jungmännlichen Begierde war, wie sie sicher in den Blicken von uns jungen Männern zum Ausdruck kam.
Die Stunden bei Hängelbock verliefen immer ziemlich gleich. Zunächst sprach er natürlich über pädagogische Probleme, über Unterrichtseinheiten und Unterrichtsmethoden und dergleichen, aber irgendwann tauchte ein Stichwort auf, das ihn fast unbemerkt auf seine Lieblingsthemen hinübergleiten ließ, nämlich auf die Weltanschauungen seiner zwei Lieblingsphilosophen Jean-Paul Sartre und Sigmund Freud. Nun weiß aber jedes halbwegs erwachsene Kind, dass Freud kein Philosoph war, sondern Psychologe. Warum Hängelbock uns Freud als Philosophen verkaufen wollte, war mir ein Rätsel, und zwar ein ziemlich störendes. Irgendwann ließ ich mich in einer Diskussion dazu hinreißen, meinem Zweifel Ausdruck zu verleihen:
„Herr Hängelbock, ich kann nicht verstehen, wie Sie diese beiden, Sartre und Freud, zusammenbringen können. Ohne Zweifel sind die Aussagen von Sartre philosophischer Art, denn sie sind aus dem Gedankenleben entsprungen, das heißt, es sind Produkte des Denkens, welchen die Anschauung allgemeiner Lebenserfahrungen zugrunde liegt. Aber Freud ist zunächst mal ein Arzt, wenn auch ein Arzt mir wissenschaftlicher Orientierung, also jemand, der seine Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Experimenten gewinnt. Es ist mir nicht bekannt, dass Freud darüber hinausgegangen wäre und seinen Erkenntnissen philosophischen Rang zuerkannt hätte.“
Es entstand ein betretenes Schweigen im Seminarraum. Hängelbock schaute mich an, als ob ein Frosch durch lautes Quaken den hehren Gang seiner Darlegungen gestört hätte. Offenbar hatte er den Inhalt meiner Sätze gar nicht realisiert, denn seine Antwort ging auf den entscheidenden Punkt gar nicht ein, sondern fuhr in demselben Geleise fort wie eine Minute zuvor. Also hatte ich – so musste ich schließen – gar nichts gesagt, sondern nur gequakt.
Eine andere Konsequenz meines Angriffs wurde aber sehr bald deutlich. Wir mussten ja immer wieder mal Seminararbeiten einreichen zu verschiedenen Themen, und das Erstaunliche war nun, dass die Beurteilungen bei mir von nun an immer sehr schlecht ausfielen, so sehr ich mich auch bemühte.
Eines Tages sprach ich mit Marabelle darüber, und sie hatte die glorreiche Idee, dass wir ja mal zu demselben Thema zwei ziemlich ähnliche Seminararbeiten einreichen könnten, um dann zu schauen, wie die Bewertung ausfallen würde. Zu dem Zweck lud sie mich zu sich nach Hause ein, so dass wir zusammen daran arbeiten konnten.
Es war Sommer, und wie das in dieser Jahreszeit so ist, läuft man da ziemlich leicht bekleidet durch die Gegend. Es war daher auch nicht überraschend, dass Marabelle, als sie mir die Tür öffnete, in einem Outfit erschien, das einem jungen Mann schon mal den Atem rauben konnte. Aber ich übte mich in stoischer Selbstkontrolle. Immer schön ruhig bleiben, Mann! Also, wir machten uns an die Arbeit und brachten es tatsächlich fertig, nach etwa zwei Stunden zwei schriftliche Seminararbeiten fertiggestellt zu haben, die zwar von der Formulierung her verschieden waren, vom Aufbau, vom Inhalt und von der Länge her aber sehr ähnlich waren.
Uns war wirklich warm geworden, und als ich aus dem hinteren Fenster einen Blick auf den Garten warf, konnte ich nicht umhin, den Swimming-Pool zu entdecken und spontan auszurufen:
„Echt? Ihr habt einen Swimming-Pool?“
„Was heißt „ihr“, erwiderte Marabelle, „ich lebe allein hier.“
„Wie, dieses Haus gehört dir? Zweiundzwanzig Jahre alt und du besitzt ein eigenes Haus?“
„Ich kann nichts dafür. Hab es halt von meinem Vater geerbt.“
„Fantastisch! Und da drehst du also morgens immer deine Runden da in dem Swimming-Pool?“
„Jetzt zeig mir mal, wie man in einem rechteckigen Swimming-Pool Runden dreht. Kann ich mir nicht vorstellen.“
Ich schaute sie an. War das ernst gemeint? Sie lächelte. Als sie begann, den oberen Knopf ihrer Bluse zu öffnen, wusste ich, was die Glocke geschlagen hatte.
Sekunden später waren wir im Wasser und ich zeigte Marabelle, wie man in einem rechteckigen Swimming-Pool seine Runden dreht. Es war zwar etwas akrobatisch, aber es trug durchaus zu unserer beider Erheiterung und auch Befriedigung bei.
Unser Seminararbeitsexperiment brachte nach einigen Tagen genau das Ergebnis, das wir erwartet hatten. Als Hängelbock die Arbeiten zurückgab, hatte Marabelle eine „Zwei“ bekommen und ich eine „Vier“. Wir konnten das so nicht stehen lassen und baten um ein Gespräch.
Als wir in Hängelbocks Büro saßen und versuchten ihm klar zu machen, dass diese beiden Arbeiten doch ziemlich gleich seien und dass eine so verschiedene Bewertung deswegen nicht möglich sein konnte, war es, als ob wir gegen ein Wand sprächen. Es war nicht möglich, bei ihm irgendeine Art von Einsicht zu bewirken.
„Ich denke, das Beste ist, wir gehen“, sagte ich und stand auf.
„Gut, geh du schon mal, ich komme gleich nach“, sagte Marabelle, „ich möchte noch ein wenig hierbleiben. Mir scheint die Sache noch nicht ganz ausdiskutiert.“
„Ehrenwerter Versuch“, erwiderte ich, „ich setze mich solange in die Kantine.“
Eine Stunde saß ich in der Kantine, dann gab ich auf und ging nach Hause. Hatte Marabelle wirklich eine Stunde lang versucht, auf diesen Holzkopf von einem Professor einzureden, dessen eine Gehirnhälfte aus Jean-Paul Sartre und dessen andere aus Sigmund-Freud bestand?
Als ich sie am nächsten Tag danach fragte, war sie ziemlich kurz angebunden und sagte nur:
„Es war zwecklos.“
Mehr war aus ihr nicht rauszubringen.
Auch weitere Versuche in den nächsten Tagen, an unser erotisches Abenteuer in ihrem Swimming-Pool anzuknüpfen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Irgendwann gab ich auf und ließ sie links liegen.
Am folgenden Samstag war ich ziemlich frustriert. Um meine Laune ein wenig aufzubessern, beschloss ich, eine Fahrradtour durch den Wald zu machen, der sich südlich der Stadt in das sogenannte „Sauerland“ hinein erstreckte. Sauer macht lustig, heißt es doch.
Ich war schon ungefähr zwei Stunden gefahren, als ich in meiner Nase einen Geruch verspürte, der von mir als einem KK, also einem Kartoffel-Kenner, eindeutig als von gebratenen Kartoffeln herrührend identifiziert wurde. Ich stoppte, stieg ab und lehnte mein Fahrrad an einen Baum. Dann folgte ich zu Fuß, wie magisch angezogen, dem Geruch der Bratkartoffeln durch den Wald. Allmählich öffnete sich der Wald und gab den Blick frei auf einen kleinen See, an welchem ein Auto mit einem Wohnwagen stand, doch zwischen Bäumen so platziert, dass das Gespann kaum zu sehen war. Und tatsächlich, dort vor dem Wohnwagen stieg ein leichtgrauer, duftender Rauch auf! Ich sah einen Herrn, der die Kartoffeln in einer Pfanne wendete, und neben ihm eine junge Frau. Ich war noch zu weit entfernt, um die beiden genau erkennen zu können, aber sie schienen mir doch ein ungleiches Paar zu sein.
Ich kannte diesen kleinen See und hatte an dieser Stelle noch nie ein Auto gesehen oder gar ein Auto mit Wohnwagen. Offenbar suchten diese beiden die Einsamkeit. Die Tatsache, dass sie vor Blicken geschützt sein wollten, machte mich neugierig, so dass ich mich weiter annäherte. Je näher ich kam, desto bekannter erschienen sie mir. Daher erschien es mir geraten, meine Anwesenheit nicht kundzutun, bevor ich nicht genau wusste, wer es war. Doch dann erkannte ich sie. Ich traute meinen Augen nicht: Es waren Professor Doktor Hängelbock in persona und seine Studentin Marabelle.
„Ich glaube, mein Schwein pfeift“, flüsterte ich leise vor mich hin.
Plötzlich musste ich mit ansehen, wie Hängelbock sich der Studentin annäherte und sie zu streicheln und zu küssen begann.
„Nee“, flüsterte ich, „das kann nicht wahr sein. Bitte, tut mir das nicht an.“
Aber sie taten es mir an. Offenbar hinreichend erregt, verschwanden sie plötzlich im Wohnwagen und machten die Tür zu. Und da draußen standen die Bratkartoffeln und brutzelten so vor sich hin.
„Welch eine Verschwendung! Hängelbock, bei aller Liebe zum weiblichen Geschlecht, aber die Bratkartoffeln kannst du doch nicht anbrennen lassen!“
Ich gab mir einen Ruck, ging kurz entschlossen auf den Wohnwagen zu, nahm die Pfanne vom Feuer und stellte sie ins Gras. Und ordentlich wie ich war, drehte ich sogar das Gas vom Campingkocher ab.
Während ich dieses tat, wurde ich gewisser Geräusche in dem Wohnwagen gewahr. Es war ein zunächst leises Stöhnen, das allmählich in ein Crescendo überging.
„Klingt nicht gerade wie Jagdgesang“, dachte ich in meinem Inneren.
Auch leichte rhythmische Bewegungen des Wohnwagens überzeugten mich davon, dass dort in dem Wohnwagen etwas ganz Bestimmtes vor sich ging, etwas, das von der Natur sinnvollerweise eingerichtet worden war, zum Zwecke der Fortpflanzung, wogegen ja im Prinzip nichts einzuwenden ist. Denn wir alle verdanken ja dieser sinnvollen Einrichtung der Natur unsere Existenz.
Aber gab es da nicht gewisse Paragraphen? Wie wäre das denn juristisch zu beurteilen?
Wie auch immer, ich fand es enttäuschend, weniger von Hängelbocks Seite, als von Marabelles Seite, dass sie sich auf dieses Spiel hier einließ. Nun ja, das Wichtigste war, dass die Kartoffeln gerettet waren. Also schlich ich mich wieder davon.
Im Laufe der nächsten Woche suchte ich nach einer Gelegenheit, mit Marabelle ins Gespräch zu kommen. Diese Gelegenheit ergab sich zufälligerweise in der Bibliothek. Auf der Suche nach demselben Buch stießen wir zwischen den Regalen zusammen.
„Aha, auch auf der Suche nach der „Theorie der pädagogischen Kommunikation?“, begann ich das Gespräch.
„Ja, du auch?“, antwortete sie etwas unsicher.
„Darf ich dich was fragen, Marabelle?“
Sie schaute mich ein wenig nervös an.
„Ja, natürlich.“
„Sag mal, schläfst du mit Professor Hängelbock?“
Sie erstarrte. Offenbar überlegte sie, ob es besser sei, alles zu verneinen oder aber die Flucht nach vorne anzutreten. Sie entschied sich dann doch für letzteres. Vielleicht erinnerte sie sich daran, dass ein Unbekannter dort im Wald die Pfanne vom Gaskocher heruntergenommen hatte.
„Ja, aber es ist anders als du denkst.“
„Anders? Wie denn?“
„Wir lieben uns.“
„Nee, komm. Allen Ernstes, du liebst diesen alten Knacker, der schon auf die Fünfzig zugeht? Das glaub ich dir nicht.“
„Doch, ich habe ihn näher kennengelernt. Er ist ein unheimlich lieber Mensch … und ein ganz zärtlicher Mann.“
„Ja, natürlich, er wird ganz lieb sein und wird dir für deine Seminararbeiten lauter Einser und Zweier geben und das Examen wirst du mit der bestmöglichen Zensur bestehen. Wirklich lieb von ihm.“
„Ach, geh, du verstehst das nicht. Wir sind erwachsene Menschen. Es geht nicht um die Zensuren. Glaub es mir oder nicht, es geht um Liebe.“
„Mensch, bist du naiv, Marabelle! Ich bin sicher, du bist nicht die erste und du wirst auch nicht die letzte sein. Steig lieber aus, bevor du die ganz große Enttäuschung erlebst. Vergiss nicht, dass er verheiratet ist. Ich kenne diese Typen. Sie reden immer von der großen Liebe, aber letzten Endes wollen sie sich nicht von ihrer Frau trennen. Das wird Hängelbock auch nicht tun. Da kannst du lange warten.“
„Es ist meine Entscheidung. Und ich bitte dich, mach das nicht kaputt. Bitte, verrat uns nicht!“
„Schon gut, Marabelle, ich werde euch nicht verraten – als Dank dafür, dass du ehrlich zu mir warst. Aber ich habe dich nun gewarnt. Wenn ich Unrecht haben sollte, wird es dein Glück sein.“
„Danke. Kommst du nächsten Samstag auch zur Fête?“
„Nein, ich glaube nicht. Hab keine Zeit.“
Damit ging ich.
Am nächsten Samstag sollte das große Studentenfest stattfinden auf dem Gelände der Uni. Schon am Nachmittag sollte es beginnen. Es würde bestimmt bis tief in die Nacht gehen. Aber ich hatte keine Lust. Ich war diesen ewigen Haschisch-Geruch leid. Ich würde lieber die frische Luft im Wald genießen.
Wie immer, wenn ich frustriert war, holte ich am Samstag mein Fahrrad heraus. Eigentlich hätte ich an meiner Abschlussarbeit sitzen sollen, die bald abgegeben werden sollte, aber ich hatte einfach nicht die Energie dazu. Die Energie in den Beinen war leichter zu aktivieren als die Energie im Kopf.
Ich fuhr in den Wald hinein und folgte derselben Strecke wie eine Woche zuvor. Diesmal würde mich sicherlich kein Geruch von Bratkartoffeln verführen, denn augenscheinlich wollte Marabelle an dem Studentenfest teilnehmen. Aber, oh Wunder, als ich an die Stelle kam, wo es zu dem kleinen See hinunterging, was roch ich? Bratkartoffeln!
Hatte sie sich anders entschieden? War ihr das Verhältnis zu ihrem väterlichen Freund Hängelbock wichtiger, als mit den Kommilitonen zu feiern und zu tanzen?
„Ganz schön kleinbürgerlich!“, sagte ich laut, obwohl mir im Wald ja sowieso keiner zuhörte.
Ich hielt aber an, denn ich wollte der Sache doch auf den Grund gehen. Vielleicht gab es ja wieder irgendwelche Bratkartoffeln zu retten. Oder waren es diesmal gekochte Kartoffeln mit Matjesheringen? Wär doch mal eine schöne Abwechslung.
Als ich zum See hinunterging, stand es wieder da, das Gespann: Auto mit Wohnwagen. Und vor dem Wohnwagen stand die Pfanne auf dem Gaskocher. Und darinnen brutzelte es.
Aber …
Aber zu meiner Überraschung sah ich neben Hängelbock nicht Marabelle, sondern ein anderes weibliches Wesen, eines, das auffällig rote Haare hatte. Ich kannte die Façon, ich kannte die Locken. Nein, das durfte nicht wahr sein! Aber doch, es war wahr, es war Laura! Die zweite unter den drei Damen im Seminar, die Hängelbock hier vernaschte.
„Ich glaub, mich tritt ein Pferd!“, sagte ich halblaut vor mich hin.
„Hängelbock, du verbrunzte Klobürste!“, entfuhr es mir.
Und wie zu erwarten, verschwand kurz darauf der väterliche Herr Professor Doktor mit seiner jungen Studentin im Wohnwagen, und wieder blieben die Bratkartoffeln draußen stehen und drohten anzubrennen.
Doch diesmal rettete ich sie nicht. Ich hatte keine Lust, mir wieder diese Geräusche anzuhören, die ja doch nicht wie Jagdgesang klingen. Ist ja nicht erhebend, eher niederschmetternd! Und mochten die Kartoffeln schwarz werden! Ja, mochten sie in Flammen aufgehen!
Ich ging zurück.
Auf dem Heimweg mit dem Fahrrad dachte ich darüber nach, was zu tun wäre. Das Ganze publik machen? Würde nur den beiden Mitstudentinnen die Examensnoten versauen. Und das würden mir weder Marabelle, noch Laura verzeihen, da war ich mir sicher.
Langsam aber dämmerte mir etwas ganz anderes, etwas, was zu meinem Vorteil ausschlagen konnte. Ich hatte eine Idee, eine teuflische, aber eine gute Idee.
In einigen Wochen war der Termin für die Abgabe der Abschlussarbeit in Philosophie. In diesen Wochen tat ich nichts. Meine Schreibmaschine stand in der Ecke und wurde nicht angerührt.
Statt dessen besorgte ich mir auf dem Wochenmarkt drei Netze mit Kartoffeln, je ein Kilo.
Und als es soweit war und ich das Büro von Hängelbock betrat, um meine Abschlussarbeit abzugeben, hatte ich in meiner Tasche nur diese drei Kartoffelnetze. Ansonsten nichts Schriftliches, einfach nichts.
Hängelbock empfing mich ziemlich herablassend und schaute mich kaum an.
„Wie war noch mal der Titel Ihrer Arbeit?“
„Der Titel meiner Arbeit ist „Der pädagogische Eros bei Platon und bei Freud. Ein Vergleich“, sagte ich langsam.
„Wie bitte?“, fragte Hängelbock erstaunt.
„Der pädagogische Eros bei Platon und bei Freud. Ein Vergleich“
„Ich erinnere mich nicht“, sagte Hängelbock zögernd, „dass wir das vereinbart hätten.“
„Haben wir auch nicht“, erwiderte ich frech, „Wie auch immer, hier ist die Arbeit.“
Und damit holte ich aus meiner Tasche die Kartoffelnetze.
„Schauen Sie mal“, erläuterte ich, „dies ist die Sorte Marabelle. Sehr gut, um sie als Bratkartoffeln zuzubereiten, in einer Pfanne auf einem Gaskocher zum Beispiel, im Wald zum Beispiel, vor einem Wohnwagen. Und dies ist die Sorte Laura. Auch sehr gut. Ebenfalls in derselben Pfanne zuzubereiten, vielleicht mit etwas mehr Öl und etwas heißer. Sie wissen, Laura ist rot. Es gibt auch Fotos vom fertigen Ergebnis, einschließlich Tonaufnahmen.“
„Tonaufnahmen?“, fragte Hängelbock, der inzwischen kreidebleich geworden war.
„Ja, Tonaufnahmen und Bilder, eindeutige Beweise. Und hier ist die Sorte Linda, goldgelb, herrliche Farbe, herrlicher Geschmack.“
„Nein, mit Linda hab ich nicht …“
Ich lachte.
„Ja, noch nicht! Aber gut, ich steck sie wieder weg.“
„Und was wollen Sie nun?“, fragte Hängelbock ängstlich.
„Was ich will? Ganz einfach. Sie geben mir eine Eins für diese ganz ausgezeichnete Abschlussarbeit und dasselbe werden Sie nach der Lehrprobe tun, die in einigen Wochen stattfinden wird. Danach sind wir getrennte Leute und vergessen die ganze Sache. Die Bilder werden dann vernichtet werden, ebenso die Tonaufnahmen.“
Und so ging es dann auch. Möglicherweise haben sich Marabelle und Laura ein wenig darüber gewundert, warum ich plötzlich eine so wohlwollende Behandlung bekam von Professor Doktor Hängelbock, aber mochten sie sich wundern, mir war es egal. Sie waren ja erwachsene Menschen. Sie mussten wissen, was sie tun.
Und ich wurde Philosophie-Lehrer, im Zweitfach, wie gesagt. Und ich denke, ich war nicht der schlechteste Philosophie-Lehrer. Die Praxis ist mehr wert als die Theorie. Bei Hängelbock hatte wir sowieso nichts Nützliches gelernt. Für mich ist Sigmund Freud nach wie vor kein Philosoph, so sehr er auch Recht haben mag damit, dass der Eros ein Grundtrieb des Menschen ist. Für mich bleibt dennoch die Frage, ob Liebe nicht ganz etwas anderes ist als Eros.
© JHD Spreemann 2021
Tag der Veröffentlichung: 30.11.2021
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