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Wildwechsel

 

Sie waren auf dem Weg zum Elektroladen, um sich einen neuen Fernseher zu kaufen, einen richtig großen. Er saß hinterm Steuer, sie auf dem Beifahrersitz.

„Sag mal“, begann sie, „hat das überhaupt einen Sinn, so ein Riesending zu kaufen? Dann werden wir noch mehr vom Fernsehen verschlungen.“

„Vom Fernsehen verschlungen! Das hört sich ja dramatisch an!“, antwortete er, „Wir sitzen nebeneinander und genießen den Abend!“

„Das ist es ja gerade: Wir sitzen nebeneinander.“

„Was soll das denn heißen?“

„Findest du nicht, Armin, dass unser Verhältnis ein bisschen an Feuer verloren hat? Wenn ich so an früher zurück denke …“

„Aber Elsa, jetzt mach kein künstliches Problem. Ich finde, es ist noch genug Glut da.“

„Glut, ja, aber eben nur noch Glut. Und wenn es so weiter geht, dann ist bald nur noch Asche da.“

„Aber was erwartest du denn?“

„Du könntest dich wirklich ein bisschen mehr um mich kümmern, Armin. Ein bisschen aufmerksamer sein, mich öfter mal in den Arm nehmen, mir was mitbringen, ich meine, irgendwie mir zeigen, dass du mich attraktiv findest!“

„Aber du weißt doch, dass ich dich attraktiv finde. Das habe ich dir doch schon so oft gesagt! Glaubst du mir das etwa nicht? Glaubst du es mir eher, wenn ich dir nach der Arbeit eine Schachtel Pralinen mitbringe?“

„Pralinen…“, sagte Elsa verächtlich und schüttelte missmutig den Kopf.

„Ein Goldkettchen vielleicht?“

„Kannst du Tante Luise schenken, die mag so etwas.“

„Und außerdem“, ergänzte Armin, „bin ich nach der Arbeit echt erschöpft. Sitz du mal den ganzen Tag im Finanzamt und beschäftige dich mit den Steuererklärungen der andern Leute.“

„Geht mir doch nicht anders, Armin. Ich sitze den ganzen Tag da und konstruiere orthopädische Schuhsohlen. Das schlaucht mich echt.“

„Siehst du, und deswegen komm ich ja auch nicht daher und sag zu dir, nachdem du von der Arbeit gekommen bist: Komm, Elsa, jetzt leg dich mal ein bisschen ins Zeug, mach dich schön für mich und verführ mich! – Sag ich doch nicht, oder? Und deswegen kaufen wir den großen Fernseher.“

„Was heißt denn: Mach dich schön für mich?“, fragte Elsa pikiert und legte die Stirn in Falten.

Der Verkehr begann zu stocken. Sie gerieten in einen Stau, und es ging nur noch im Schritttempo weiter. Vor ihnen fuhr ein silbergrauer Jaguar, der Armins Interesse erregte. Deswegen hatte er Elsas letzte Frage überhört. Sie aber ließ nicht nach.

„Was heißt: Mach dich schön für mich? Ich bin also nicht schön, so wie ich bin, sondern muss mich erst schön machen?“

„Quatsch, so war das doch nicht gemeint!“, erwiderte Armin.

„Sag mal, Armin, ganz ehrlich: Seit wann bin ich nicht mehr schön genug für dich?“

„Du bist schön genug für mich!“, antwortete Armin in etwas heftigem Ton.

„Ja, ja, aber es gibt andere, die schöner sind, nicht wahr? Das erklärt alles.“

„Das erklärt was?“

„Na, dein mangelndes Interesse!“

„Wie bitte?“

„Ich weiß, Armin, du liebst mich nicht mehr. Du hast sicher schon seit Monaten eine andere!“

„Was?“, rief Armin und musste heftig in die Bremsen treten, sonst wäre er auf den Jaguar aufgefahren, und das wäre teuer geworden, „wie kommst du denn auf so was?“

„Siehst du, da haben wir es,“ erwiderte Elsa und begann zu weinen, „du fragst, wie ich darauf komme. Dabei ist es doch uninteressant, wie ich darauf komme. Jeder Mann, der wirklich treu ist, hätte empört gesagt: Ich habe keine andere! Aber du, du fragst nur, wie ich darauf komme. Jetzt reicht es mir.“

Da die Autoschlange gerade stillstand, öffnete Elsa entschlossen die Wagentür, stieg aus und ging zu dem Jaguar vor ihnen. Sie öffnete dessen Beifahrertür und setzte sich hinein.

Am Steuer saß ein gutaussehender Herr mittleren Alters. Er war nicht wenig erstaunt, als diese junge Dame plötzlich die Tür öffnete und sich in sein Auto setzte. Aber als er sah, dass sie weinte, und er außerdem mit männlichem Blick erkannte, dass sie sehr attraktiv war, erhob er keinen Protest.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

„Ja. Nehmen Sie mich nur ein Stück mit. Ich will nur meinen Mann loswerden. Der sitzt im Auto hinter uns.“

„Na, dann werden wir mal die Türen verriegeln. Haben Sie Krach gehabt?“

In dem Augenblick hörten sie von dem Auto hinter ihnen eine wilde Hup-Serenade.

„Ich glaube, Ihr Mann ist ziemlich wütend!“, bemerkte der gutaussehende Herr.

„Ja, kann sein. Bitte, retten Sie mich! Ich will weg von diesem Mann! Fahren Sie weg, schnell!“

„Leichter gesagt als getan!“

Zum Glück setzte sich die Autoschlange wieder in Bewegung. Der Jaguarfahrer benutzte die Chance, in eine Seitenstraße abzubiegen. Dort fuhr er erst mal geradeaus, bog dann aber wieder willkürlich mehrmals ab, mal links, mal rechts, um sicher zu gehen, dass er keinen Verfolger mehr hinter sich hatte. Aber es wär gar nicht nötig gewesen, denn Armin hatte eine ganz andere Route gewählt.

„Schauen Sie mal, meine schöne Unbekannte, ein Café!“

Er fuhr rechts ran und parkte und sagte dann:

„Wie wär’s, wenn wir uns einen Kaffee genehmigen und Sie mir in aller Ruhe erzählen, wer Sie sind und was los ist. Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen.“

Als das Auto stillstand und Elsa ein wenig zur Ruhe kam, wurde ihr bewusst, wie verrückt das war, was sie gerade getan hatte. Stell dir vor, der Mann am Steuer wäre ein Mafiaboss gewesen oder ein Mädchenhändler, da hätte sie sich echt in Gefahr gebracht. Sie schaute den Herrn neben sich prüfend an. Nein, Mafiaboss oder Mädchenhändler war er wohl kaum. Sicher ein wohlsituierter Geschäftsmann mit leicht angegrauten Schläfen. Aber er sah echt gut aus.

„Ich will Ihnen wirklich keine Unannehmlichkeiten bereiten und Ihnen auch nicht die Zeit stehlen. Es war wirklich dumm, was ich gemacht habe. Es tut mir leid, ich war ein bisschen emotional und unbedacht.“

„Gestatten Sie“, antwortete der Jaguarfahrer lächelnd, „meine Name ist Richard, Sie wissen schon, wie Löwenherz, und ich würde meinen Rettungsauftrag gerne vollenden. Kommen Sie, trinken Sie einen Kaffee mit mir zusammen.“

Elsa konnte nicht nein sagen, das war ihr klar. Sie musste ihre Dummheit noch ein wenig weiterführen, aber sie schwor sich, dem unbekannten Herrn nichts weiter über sich zu erzählen und das Kaffeetrinken so schnell wie möglich zu beenden. Sie gingen hinein und nahmen an einem Tisch am Fenster Platz. Die Sonne schien und es war eine angenehme, ruhige Atmosphäre in dem Café. Elsa entspannte sich.

Der Kellner brachte die zwei bestellten Cappuccinos.

„Nun, erzählen Sie mal“, begann der Herr, „was ist denn los?“

„Ich trau mich irgendwie nicht, vor Ihnen mein Leben auszubreiten -  um ehrlich zu sein. Ich kenne Sie doch gar nicht!“

„Na ja“, erwiderte der Herr schmunzelnd, „aber Sie sind, ohne mich zu kennen, in mein Auto eingestiegen.“

„Ja, Sie haben Recht“, gestand Elsa, „aber bitte, erzählen Sie mir etwas von sich. Vielleicht leben wir ja in ganz verschiedenen Welten, und Sie hätten vielleicht gar kein Verständnis für meine Probleme.“

„Probleme, ja, als ob ich keine Probleme hätte. Vielleicht haben wir sogar die gleichen Probleme oder zumindest ähnliche.“

„Bitte, erzählen Sie mir davon“, bat Elsa, „dann wird es leichter für mich, hinterher von meinen Problemen zu sprechen.“

„Nun, wissen Sie, meine Frau macht mir Vorwürfe. Manchmal ist sie so unzufrieden mit mir, dass sie androht auszuziehen, obwohl wir es ansonsten wirklich gut haben: Haus und Auto, eine gutlaufende Firma. Aber da sind dann halt die ehelichen Probleme.“

„Welche denn?“, fragte Elsa.

„Es ist halt nicht leicht, so eine Firma aufzubauen und sie soweit zu bringen, wie ich sie gebracht habe. Aber meine Frau macht mir Vorwürfe, dass ich mich nicht genug um sie kümmern würde, dass ich ihr keine Aufmerksamkeit mehr schenken würde, sie nicht mehr in den Arm nehmen würde und so weiter.“

„Und dass Sie ihr nichts mitbringen nach der Arbeit…“, ergänzte Elsa.

„Ja, genau, das hat sie gesagt. Woher wissen Sie das?“

„Ich dachte mir das nur.“

„Na ja, was soll ich ihr auch mitbringen? Rote Rosen? Eine Schachtel Pralinen? Noch ein Goldkettchen, von denen sie schon zehn Stück hat? Davon wird es doch auch nicht besser. Ich bin halt erschöpft, wenn ich abends nach Hause komme. Möchte dann nur noch mit einer Flasche Bier auf dem Sofa sitzen und fernsehgucken.“

„Wie viel Zoll?“

„Was?“

„Der Schirm.“

„Ach so, 88. Der größte halt.“

„Nicht schlecht!“

„Spielt die Größe für Sie eine Rolle?“, fragte er erstaunt.

„Nein, natürlich nicht. Die Größe spielt nur für Männer eine Rolle.“

Der Jaguarfahrer war etwas verunsichert, fuhr aber fort zu erzählen:

„Also, das Neueste, was sie behauptet, ist, dass ich eine andere hätte. Dabei …“

„Woher will sie das denn wissen?“, fiel Elsa ihm ins Wort.

„Keine Ahnung. Ist auf jeden Fall totaler Quatsch. Ich bin völlig zufrieden mit meiner Ehe. Ich finde meine Frau sehr attraktiv. Daran hat sich in den letzten Jahren auch nichts geändert.“

„Finden Sie mich auch attraktiv?“, fragte Elsa unverblümt.

Der Herr schaute sie überrascht an, dann antwortete er zögernd:

„Nun ja, wenn ich ehrlich bin…“

„Sie sollen ehrlich sein, ganz ehrlich bitte.“

„Ich finde Sie durchaus attraktiv, sehr attraktiv.“

„Sehen Sie, da haben wir es doch. Das ist es doch, was die Männer zur Untreue verleitet, dass sie immer meinen, das Gras wäre grüner auf der anderen Seite.“

„Ich glaube, Sie tun den Männern Unrecht. Zwischen Betrachten und Begehren liegt noch ein gewaltiger Schritt. Und dass wir Männer so auf das Äußere bedacht wären, ist auch ein Märchen.“

„Für wie viele das gilt oder nicht gilt, ja, das hätte ich gerne gewusst.“

„Für mich gilt auf jeden Fall das Folgende. Wenn ich sage, ich bin mit meiner Frau verheiratet, so will ich damit sagen, ich bin mit ihrer Seele verheiratet. Ihr Körper mag älter werden, genauso wie meiner, aber ihre Seele ist dieselbe, und die ist es, die ich liebe. Die ist es, die ich jeden Tag wiedererkenne, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, egal, ob es uns gerade gut oder schlecht geht, egal, in welcher Stimmung wir uns befinden.“

Elsa konnte darauf nichts erwidern. Aber was dieser Mann da sagte, war interessant und eröffnete ihr eine neue Perspektive. Der leicht ergraute Mann fuhr fort.

„Wenn meine Frau – sie heißt übrigens Clarissa - das nur verstehen könnte, dass ich sogar, wenn wir nebeneinander auf dem Sofa sitzen und fernsehgucken, aufmerksam auf sie bin. Ich spüre und genieße ihre Nähe. Wir sind gemeinsam da, wir sind zusammen.“

„Aber das Feuer, das da mal war …“, entgegnete Elsa.

„Wissen Sie, was größer ist als Feuer? Und stärker?“, fragte er.

„Nein“, antwortete Elsa mit Unsicherheit in der Stimme.

Er schaute sie ernst an und sagte dann ruhig:

„Wärme! Wärme nährt sich von innen her. Wärme ist bleibend.“

Elsa spürte, dass dieser Mann irgendwie Recht hatte und dass sie eigentlich nötig hatte, über den Unmut, den sie gegenüber ihrem Mann verspürte, nachzudenken.

„Aber jetzt habe ich genug von mir erzählt“, fuhr er fort, „jetzt sind Sie dran. Erzählen Sie mir von Ihren Problemen.“

„Ich kann nicht“, antwortete Elsa trocken.

„Was? Warum nicht?“

„Ich kann es – nicht mehr.“

„Aber was ist mit meinem Rettungsauftrag? Den habe ich noch nicht vollendet!“

„Doch. Sie haben schon genug für mich getan. Ich muss Ihnen wirklich danken.“

Elsa machte Anstalten, sich zu erheben. Der Herr legte seine Hand auf ihren Arm, indem er sagte:

„Bleiben Sie doch noch einen Moment. Geben Sie mir eine Erklärung.“

„Die Erklärung ist…“, und damit stand Elsa auf, „Ihre Frau heißt Clarissa und ich heiße Elsa, und diese zwei Namen können Sie austauschen.“

Der Jaguarfahrer blickte sie erstaunt an. Er schien zu überlegen, was das bedeuten sollte.

Elsa lächelte ihn an.

„Es war wirklich nett von Ihnen, dass Sie mich mitgenommen haben. Und ich danke Ihnen für das, was sie gesagt haben. Aber ich glaube, ich muss jetzt eine Aufgabe erledigen.“

Sie wollte gehen, wandte sich dann aber noch einmal um.

„Ach, ich würde gern noch wissen, was das für eine Firma ist, die Sie betreiben. Sie sind nicht zufällig ein Hersteller von Klarsichtfolien?“

Er lachte.

„Sie haben es fast getroffen. Ich bin der Hersteller von Clarissa, dem Fensterputzmittel. Meine Mission ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen, wenn sie aus dem Fenster gucken, klar und ungetrübt die Welt sehen können.“

Sie lachte ebenfalls.

„Genau. Sowas dachte ich mir doch. Das passt zu Ihnen. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg. Werde von nun an meine Fenster nur noch mit Clarissa putzen.“

Damit verließ sie schnell das Café.

Sie ging die Straße hinunter. Das Viertel war ihr unbekannt, aber sie wusste ungefähr, in welche Richtung sie gehen musste. Während des Gehens dachte sie an Armin. Vielleicht tat sie ihm ja Unrecht. Vielleicht liebte er auch auf die Art, wie es dieser Jaguarfahrer tat.

Nach einer Viertelstunde bog sie in eine Straße ein mit alten und noblen Villen. Einige hundert Meter weiter fiel ihr Blick auf ein Café mit einer Art Vorgarten unter alten Lindenbäumen, wo einige Tische aufgestellt waren. Fast alle waren besetzt. An einem Tisch saß ein Paar, das Elsas Aufmerksamkeit auf sich zog, denn der Herr hatte große Ähnlichkeit mit … nein, tatsächlich, es war Armin, ihr Mann! Er saß da zusammen mit einer Dame, die augenscheinlich etwas älter war als er, aber durchaus eine ansehnliche Schönheit. Schönheit? Elsa versuchte, sie mit den Augen Armins anzusehen. Ja, er würde sie sicherlich sehr attraktiv nennen. Eifersucht stieg in ihr auf, sie konnte dieses mächtige Gefühl kaum beherrschen.

„Verdammt!“, sprach sie vor sich hin, „also hatte ich doch Recht. Ich wusste doch, dass da was im Busch ist. Aber so einfach werde ich es ihm nicht machen.“

Mit entschlossenen Schritten ging sie auf den Tisch zu, baute sich vor den beiden angenehm Parlierenden auf, so dass diese verstummten, und fragte:

„Darf ich mich dazu setzen? Ich denke, es geht um geschäftliche Dinge, nicht wahr, Armin? Da könnte ich doch nützlich sein.“

Sie nahm sich einen freien Stuhl vom Nachbartisch und setzte sich dazu.

„Oder geht es eher um romantische Dinge, da möchte ich dann natürlich nicht stören.“

Sie schaute die beiden, die in ihrer Überraschung erstarrt waren, mit einem giftigen Lächeln an.

„Nun, Armin, würdest du mich bitte mit dieser Dame bekannt machen?“

Armin ergriff nun endlich das Wort und brachte halb stotternd heraus:

„Darf ich vorstellen: Elsa, meine Frau, und das ist Clarissa Festerutz.“

„Clarissa!“, rief Elsa aus, „Welch ein Zufall!“

„Was meinen Sie mit Zufall?“, fragte die Angesprochene.

„Sagen Sie“, fragte Elsa lächelnd, „Ihr Mann heißt nicht zufällig Richard?“

Clarissa hob die Augenbrauen und sagte zögernd:

„Ja, ja, doch, er heißt Richard. Woher wissen Sie das?“

„Ja, dann wird mir alles klar“, lachte Elsa, „du, Armin, du möchtest also in das Geschäft mit Fensterputzmitteln einsteigen. Kann ich durchaus verstehen, diese Arbeit am Finanzamt ist ja auch wirklich langweilig.“

Armin kam aus dem Staunen nicht mehr raus. War seine Frau doch eben noch in ein wildfremdes Auto eingestiegen, und nun tauchte sie hier auf, in diesem versteckten Café in einem Stadtviertel, in das sie noch nie ihren Fuß hineingesetzt hatte, und wusste auch gleich, wer seine Gesprächspartnerin war und wie deren Mann hieß.

„Ich glaube“, sagte er vorsichtig, „du solltest uns erklären…“

„Erklären?“, lachte Elsa, „Wer soll hier etwas erklären? Ich denke, wenn hier jemand etwas erklären sollte, dann erst einmal du.“

„Gut“, sagte Clarissa und machte Anstalten, sich zu erheben, „da bin ich wohl nicht mehr vonnöten. Das dürftet ihr beide wohl unter euch ausmachen.“

Elsa aber legte ihren Arm auf ihre Schulter, drückte sie wieder auf den Stuhl runter und sagte mit entschlossener Miene und einem Zornesflackern in den Augen:

„Du bleibst hier sitzen, Clarissa Fensterputz, oder wie du auch immer mit Nachnamen heißen magst, du bleibst hier, bis wir alle drei die Sache hier geklärt haben.“

„Gut, gut, gut“, versuchte Clarissa sie zu beruhigen, „wenn du unbedingt eine Sache daraus machen willst, dann bitte.“

Sie setzte sich wieder, ergriff aber gleich darauf wieder das Wort.

„Um meine Rolle hier zu klären, kann ich gleich Folgendes sagen, auch gerne an Eides Statt, wenn das deine Nerven beruhigt, Elsa.“

Sie zog das A von Elsa etwas in die Länge und fuhr dann fort:

„Dein Mann hat mich vorhin angerufen, weil er ganz aufgebracht war und gerne mit jemandem sprechen wollte. Und deswegen haben wir uns hier im Café verabredet.“

„Woher kennt ihr euch?“, fragte Elsa. Nun ergriff Armin das Wort.

„Wir kennen uns vom Finanzamt. Clarissa arbeitet in der Buchhaltung in der Firma ihres Mannes und war vor einer Woche bei mir im Büro, um einige Dokumente abzugeben. Da sind wir dann ins Gespräch gekommen und haben uns eine Weile unterhalten.“

„Du meinst, nett unterhalten“, fügte Elsa hinzu.

„Ja, meinetwegen, nett unterhalten. Aber weiter ist nichts gewesen.“

„Aber doch so nett, dass du die Nummer dieser Dame gleich als erstes gewählt hast, als ob sie der Rettungsdienst sei.“

„Mäßige dich, Elsa“, warf Clarissa ein, „es ist weiter nichts gewesen, als dass wir uns damals im Büro nett unterhalten haben und dass wir nun unsere nette Unterhaltung hier und heute fortsetzen wollten. Und dazu hast du, Elsa, den Anlass gegeben, weil du kopflos und überstürzt in ein wildfremdes Auto eingestiegen bist und mit einem fremden Mann davongebraust bist.“

„Wenigstens hatte sie Geschmack bei der Auswahl des Autos, das muss ich zugeben“, fügte Armin hinzu, „so ein silbergrauer Jaguar ist eine gute Wahl.“

Clarissa horchte auf:

„Ein silbergrauer Jaguar? Das war ein silbergrauer Jaguar?“

Sie schwieg, schien aber angestrengt nachzudenken.

„Das hast du mir gar nicht erzählt, Armin, dass deine Frau in einen silbergrauen Jaguar eingestiegen ist.“

„Warum auch?“, erwiderte Armin, „Das war doch nicht wichtig.“

Clarissa lächelte erst, dann begann sie zu lachen.

„Das kann nicht wahr sein!“, rief sie und schaute Elsa an, „Du bist also in das Auto meines Mannes eingestiegen?“

Elsa fühlte sich durch dieses Lachen entwaffnet und musste wieder daran denken, wie dumm sie gehandelt hatte. Ein wenig kleinlaut geworden, sagte sie:

„Ja, das war dein Mann, dein Richard, den ich auf diese Weise kennengelernt habe.“

„Und?“, fragte Clarissa forschend, „Wie war er? Hat er sich an dich rangemacht?“

„Überhaupt nicht“, antwortete Elsa, „er hat sich verhalten wie ein echter Gentleman. Er erklärte sich bereit, mir zu helfen. Er lud mich in ein Café ein und wir haben uns ein wenig unterhalten.“

„Nett unterhalten!“, fügte Armin ironisch hinzu.

„Ja, durchaus nett“, sagte Elsa, „und ich darf dir, Clarissa, etwas mitteilen, was vielleicht Bedeutung für dich hat.“

„Und das wäre?“

„Er liebt dich, er liebt dich ganz innig, also, ich meine, ganz von innen her.“

„Das hat er dir erzählt?“

„Ja, und er hat es wirklich nicht nur so gesagt. Von Frau zu Frau …“, Elsa hielt inne und schaute Clarissa ernst an, „er meint es ernst, ich habe das gespürt. Eine Frau spürt so etwas, durch die Worte hindurch.“

Clarissa schwieg. Elsa aber wandte sich Armin zu und fuhr fort:

„Hör mal, Armin. Es tut mir Leid, dass ich mich so dumm verhalten habe. Aber du brauchst keinen Trost zu suchen bei dieser Dame, die eigentlich glücklich verheiratet ist. Nur weiß sie es nicht, verstehst du? Lass die Finger davon. Mach nichts kaputt. Nicht deren Ehe und nicht unsere.“

Armin war ein bisschen verlegen. Er räusperte sich und sagte dann.

„Na ja, es ist ja auch noch gar nichts passiert. Wir sind erwachsene Menschen und wir sollten vielleicht unsere Emotionen ein wenig mit Abstand betrachten, bevor wir irgendetwas Unbedachtes tun. Was meinst du, Clarissa?“

„Ja, ihr habt Recht. Ich denke, ich gehe jetzt. Habe anscheinend noch eine kleine Aufräumaktion zu Hause. Manchmal sieht man nicht richtig, weil die Scheiben beschlagen sind. Da hilft Richard, der Mann mit dem Fensterputzmittel!“, lachte sie und erhob sich, „Macht’s gut, ihr beiden, war wirklich nett, euch kennenzulernen.“

Damit verschwand sie.

Armin und Elsa schwiegen eine Weile.

„Komische Sache“, meinte Armin dann.

„Ja, das ist wohl das, was man Schicksal nennt“, fügte Elsa hinzu.

„Sollen wir jetzt den 60-Zoller kaufen?“, fragte Armin munter.

„60 Zoll? So einen kleinen?“, lachte Elsa, „Ich bin für 88 Zoll!“

„88 Zoll? Du bist verrückt! Aber meinetwegen!“

 

© JHD Spreemann 2021

 

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 31.10.2021

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