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Kapitel 1 (Auszug)

Über die Seele

 

Über zweitausend Jahre ist es her, dass der griechische Philosoph Aristoteles das Buch "Über die Seele" schrieb. Das, was wir heute gewohnt sind, „Wissenschaft“ zu nennen, war ja damals erst am Anfange seiner Entwicklung, aber es fehlte auch damals nicht an Gründlichkeit, Redlichkeit und an dem Prinzip, alle Aussagen auf Erfahrung und Logik zu gründen.

Zu Beginn geht Aristoteles auf alle die ein, die sich vor ihm  zu dem Thema der Seele geäußert haben. Und er stellt dabei fest, dass eigentlich alle darin übereinstimmen, dass der Seele drei wichtige Eigenschaften zukommen: Bewegung, Wahrnehmung und Unkörperlichkeit. Im Laufe der Zeit ist gerade das dritte dieser Kennzeichen immer mehr in Frage gestellt worden, besonders in der Neuzeit seit Beginn der materialistischen Naturwissenschaft. Man wusste immer weniger, was die Seele denn eigentlich sei und in welchem Verhältnis sie zum Körper stünde, auf welchen sie ja ganz offensichtlich Einfluss hat und auch umgekehrt, von welchem sie unzweifelhaft beeinflusst wird.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts, als die Forderung sich immer stärker geltend machte, alle wissenschaftlichen Aussagen auf den Boden von verifizierbaren Messdaten zu stellen, wurde es immer schwieriger von der Existenz einer „Seele“ zu sprechen, solange man damit etwas Immaterielles meinte.

1866 meinte schließlich der deutsche Forscher Friedrich Albert Lange in seiner Geschichte des Materialismus, dass es besser sei, nur noch die Seelenäußerungen zu erforschen, die Frage nach der Seele als solcher aber liegen zu lassen, so dass man also bei einer „Psychologie ohne Seele“ landete. Der Gedanke war übrigens nicht neu. Schon Juan Luis Vives, ein Zeitgenosse und Freund von Erasmus von Rotterdam, hatte über dreihundert Jahre früher Ähnliches gesagt.

Und dabei ist es geblieben. Der norwegische Professor Karl Halvor Teigen referiert in seinen Untersuchungen zur Geschichte der Psychologie im Jahre 2010 statistische Erhebungen, die zeigen, dass man zwischen tausend und zweitausend Zusammenfassungen von psychologischen Fachartikeln lesen muss, bevor man einmal dem Wort „Seele“ begegnet. 1

Gleichzeitig aber ist es interessant, dass eine Umfrage unter norwegischen und amerikanischen Psychologiestudenten Folgendes ergab: 90% der Befragten meinten, dass der Mensch eine Seele habe, und 75% meinten, dass auch das Tier eine Seele habe. 2

Es scheint also so zu sein, dass die Studenten der Psychologie mit einer ganz natürlichen Auffassung ihr Studium beginnen, nämlich dass die Seele existiere – was sicherlich auch den Grund für ihr fachliches Interesse ausmacht – dass aber weitere Jahre des Studiums sie dazu bringen, die Benutzung des Begriffs „Seele“ tunlichst zu vermeiden, weil sie damit in Gegensatz geraten zu den herrschenden wissenschaftlichen Auffassungen. Es möchte ja niemand in den Verdacht geraten, dass er an etwas Immaterielles und damit nicht Messbares und Beweisbares glaube.

Nun gibt es ja auf diesem Felde nur fünf Standpunkte, die man einnehmen kann.

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© JHD Spreemann 2013

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Tag der Veröffentlichung: 02.01.2014

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