1. Kapitel
Ich betrachtete mich noch mal im Spiegel. Das Kleid war wirklich wunderschön. Es betonte meine schlanke Figur. „Schatz, bist du fertig? Ben soll in zehn Minuten kommen“, rief meine Mom. Ich atmete noch einmal tief durch. Nun war es so weit, mein Abschlussball. „Wow“, sagte meine Mutter als ich die Treppe runterkam. Ich lächelte etwas verlegen: „Sehe ich gut aus?“. Gerade als meine Mom antworten wollte, klopfte es. Ganz aufgeregt lief ich zur Tür hinüber und machte sie auf Ben hatte einen wunderschönen schwarzen Smoking an und seine blonden Haare hatte er mit Absicht zersaust. Gott. Ich war begeistert., er sah umwerfend aus! Ich spürte wie mein Herz wie verrückt klopfte. „Hi“, sagte er und lächelte mich breit an. „Hi“, antwortete ich ganz leise. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass mich er eingeladen hat. Beliebt war ich noch nie, aber ich habe immer für Ben geschwärmt. Doch jetzt stand er vor meiner Haustür und wartete auf mich. „Können wir?“, fragte mein Date. Ich versuchte genauso neutral zu klingen wie er, aber ich konnte nicht aufhören zu grinsen: „Wir können“. Er nahm meine Hand und wir gingen zu seinem Mercedes. „Du siehst heute bezaubernd aus, vor allem deine Haare“, sagte er etwas verlegen. Ich wickelte mir eine meiner hellbraunen Wellen um den Finger. Ich mochte meine Haare. Lächelnd antwortete ich ihm: „Das Kompliment gebe ich gerne zurück“. Als wir ankamen standen schon Unmengen von Kids vor der St. Robert High School. Chloé, Mia und ihre Begleiter warteten schon auf uns. Ben machte mir die Tür auf und half mir aussteigen. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin. Mia stellte den Jungen neben ihr als Erik vor und Chloé sagte, dass ihr Date Markus einen Parkplatz suchte. Als endlich alle anwesend waren, gingen wir in die Schule rein. Der große Turnsaal war wunderschön geschmückt. An allen Wänden hingen unzählige goldene und silberne Girlanden. Es gab nicht zu viele Luftballons, aber das war auch gut so, denn es gab mehr Platz zum tanzen. Das Büffet stand in einer Ecke des Turnsaals und war ziemlich groß. Das weiße Tischtuch war inzwischen schon von vielen roten Punschflecken überseht, obwohl der Abend erst begann. Das Licht war schummrig und romantisch. Ben drückte meine Hand und ging uns Punsch holen. Während er sich durch die Kindermassen kämpfte konnte ich mit meinen Freundinnen alleine reden.
„Wie findet ihr mich“
„Carolin, du siehst toll aus. Und Ben erst. Er ist total süß.“
„Ja ich weis, aber ihr seht auch umwerfend aus. Erst mit auch zweien wird es der beste Abend meines Lebens.“
Gerade als ich fertig sprach kam mein Date mit unseren Getränken. Wir redeten ein bisschen, lachten, tranken Punsch. Dann forderte mich Ben zum tanzen auf. Es ging gerade ein Pop – Song zu ende und es fing ein schönes, langsames Lied an. Als ich auf der Tanzfläche in Bens Armen lag und wir zum Rhythmus tanzten, fühlte ich mich rundum glücklich. Nichts konnte mir diesen Abend zerstören. Außer mein Tod.
2. Kapitel
Ich wusste nicht wieso wir es gemacht haben. Vielleicht wollten wir Spaß haben (obwohl es sicher nicht spaßig war) oder wir waren einfach nur dumm. Jedenfalls tanzten Ben und ich gerade eng umschlungen auf dem Schulhof zu einem romantischen Lied. Als es zu ende ging, schaute mich Ben mit seinen großen, braunen Augen leidenschaftlich an. Er beugte sich vor und ich spitzte instinktiv meine Lippen. Plötzlich hörten wir Rufe. Chloé und Mia rannten auf uns zu. „Hey Leute, ich habe eine super, geile Idee. Hihi“, rief Chloé. Sie schwankte ein bisschen, also nahm ich an, dass sie zu viel getrunken hatte. „Ja! Wie wäre es mit einer Mutprobe. Der Ball hier ist doch total laaangweilig. Da wäre es doch nicht verkehrt ihn ein bisschen aufzupeppen“, Stimmte Mia mit ein. Sie drohte umzufallen, also fing ich sie schnell auf. Mia war total beschwipst. Ich musste meinen Freundinnen helfen.
„Komm Mia, Chloé wir gehen nach Hause!“
„Carolin, sei keine Spielverderberin. Wir gehen nach Hause“
„Ah bitte Lin, es ist doch nur eine Mutprobe. Was ist schon dabei? Wir versprechen dir, dass wir danach gleich nach Haaause gehen. Biiite.“
„Ja Carolin wie wäre es mit einer Mutprobe? Ist doch keine schlechte Idee. Oder hast du Angst?“
Ben lachte. Da gab ich nach. Vielleicht hatten sie Recht. Außerdem schien es so, dass ich Mia und Chloé nur nach einer Mutprobe nach Hause bringen konnte. „Okay und danach gehen wir gleich nach Hause. Also, wer fängt an?“ fragte ich so gut ich konnte. Lin!“ ,riefen alle gleichzeitig. Mir grauste vor der Probe aber ich wusste, dass ich keine Chance hatte, mich herauszureden. Also schloss ich die Augen und fragte langsam. „Was soll ich machen?“ Es folgte ein langes schweigen. Ich konnte fast von jedem die Gedanken rattern hören. „Vielleicht könntest du...“, Fing Ben an da unterbrach ihn Chloé. „Ich weis was du machst.“ Sie machte eine kleine Pause. „Du kennst doch das alte, verfallene Haus, neben der Angel Bridge. Seit Jahren hat es niemand mehr betreten. Es gibt unzählige Gerüchte, dass Geister und Seelen, die auf der Erde gefangen sind, dort drinnen rumspucken.“ Ich kannte diese Gerüchte nur zu gut. Es waren einfache Geschichten die ältere Geschwister ihren Kleineren erzählten, um ihnen Angst einzujagen. Oder es waren Geschichten die Jungs erzählten um Mädchen rumzukriegen. Für mich waren diese Gerüchte immer mehr gewesen. Sie haben mich fasziniert und mir gleichzeitig wundervolle Angst eingejagt. Dabei habe ich nie an Seelen oder Geister gedacht sondern an Engel. An wunderschöne Engel, die auf der Erde wohnten. Chloés stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Du Lin musst in dieses Haus reingehen. Wir werden natürlich nicht mitfahren also nimmst etwas mit. Eine Sache oder so was als Beweis.“ Das konnte ich mir nicht vorstellen. Alleine in dieses furchterregende Haus, das mir so viele Jahre Angst gemacht hat zu gehen war ein schrecklicher Gedanke. Dazu noch etwas mitzunehmen kam mir vor, als ob ich eine Diebin wäre, die einen wertvollen Diamanten stahl. Dieses Haus war ein leben für sich allein. Da konnte man nicht einfach reingehen und etwas nehmen. Ich musste wirklich erschrocken ausgesehen haben, denn alle sahen mich belustigt an. Ich hoffte, dass die anderen vielleicht einen anderen Vorschlag hatten, aber die Mutprobe von Chloé schien meinen Freunden lustig vorzukommen. Natürlich konnte ich einfach Nein sagen und gehen, aber ich hatte einen viel zu großen Stolz. Also hatte ich keine andere Wahl. Wir gingen alle zu Bens Auto (kein anderer von uns hatte einen Wagen) und ich stieg schweren Herzens ein. Vor dem Fahrzeug hörte ich noch Bens Worte: „Ich glaube an dich.“ Es half aber nicht viel also ignorierte ich es. Ich fuhr los und als ich die Musik vom Ball nicht mehr hören konnte, gingen mir Tausende Gedanken durch den Kopf. Was brockte ich mir da gerade ein? Wieso habe ich mich darauf eingelassen? Ich konnte schon von weiten das Haus von Angel Bridge sehen. Der Weg dahin führte durch den Wald, denn das Haus war fast völlig von der Menschheit abgeschnitten. Es schien noch unheimlicher als bei Tag. Die Straße war menschenleer. Ich parkte und stieg aus. Es war eiskalt. Mein Herz klopfte wie verrückt. Es wurde was geschehen, dass wusste ich, doch ich machte trotzdem zwei Schritte Richtung Haus. Ich atmete noch einmal tief durch und setzte meinen Weg fort. Die Tür ging nicht auf und ich musste heftig ziehen bis sie nachgab. Der Raum dahinter war nicht sehr groß. An einer Wand stand ein Tisch, oder wenigstens Überreste davon. In der Ecke befand sich noch ein kleiner Schrank mit einpaar Stiften und einem zerfallenem Bilderrahmen. Der Rest des Zimmers war hatte keine Möbel, oder zumindest das was ich davon sehen konnte. Denn die hälfte des Raums war in eine Dunkelheit getaucht die kein Menschenauge durchdringen konnte. Vorsichtig ging ich weiter in den Raum hinein und machte Suche auf etwas, was ich mitnehmen könnte. Die Wahl fiel auf eine hälfte des Bilderrahmens weil ich mich nicht traute weitere Räume in diesem Gruselhaus zu erforschen. Gerade als ich in Richtung Schrank gehen wollte, hörte ich Schritte. Sie waren sehr leise und sehr vorsichtig gesetzt, aber sie waren trotzdem da. Ich verharrte mit in der Bewegung und hielt den Atem an. Man konnte nichts mehr hören. Wahrscheinlich ist mir ein Kind vom Ball gefolgt und will mich reinlegen, versuchte ich mir reinzureden, obwohl ich wusste, dass es nicht stimmte. Es war jemand im Zimmer und dieser jemand war sicher kein Kind vom Ball. Ich bemerkte eine Gestalt die aus der Dunkelheit trat. Es war ein Junge. Er war ziemlich groß und er hatte wunderschöne schwarze Haare die im Mondlicht glänzten als wären sie von Millionen von kleinen Diamanten übersehen. Er sah bezaubernd aus, aber doch warnte mich mein Instinkt vor ihm. Dann sah ich seine Pupillen. Sie waren dunkelviolett. Auf seinem Rücken bemerkte ich merkwürdige Schatten, aber sie verblassten viel zu schnell und ich konnte nicht erkennen was sie darstellten. So wie seine Augen. Ihre Farbe veränderte sich und wurde innerhalb von Sekunden türkis-blau. Am meisten aber entsetzten mich seine Hände. Sie waren blutverschmiert. Ich schnappte panisch nach Luft aber ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Der Junge ging mit entschlossenen Schritten auf mich zu. Alle meine Sinne sagten mir: Schreie, laufe, tu irgendetwas, aber meine Hände und Füße haben beschlossen sich vor Schock nicht mehr zu bewegen. Also konnte ich nur wie eine Säule stehen und warten bis mein Herz vor Angst explodierte. Es fühlte sich an, als ob mich die Furcht von innen auffressen würde. Nein, sie fraß mich auf. Mit jeder Sekunde fühlte ich mich schwächer. Mit jeder Sekunde war ich einem Zusammenbruch näher. Ich wusste, ich dürfte nie hier herkommen, trotzdem habe ich es getan. Und Warum? Weil mein Stolz zu groß war. Plötzlich machte es in mir klick. Als ob mein Körper nur darauf gewartet hätte, dass der Junge nah genug bei mir war. Zu nah. Ich konnte nicht mehr fliehen. Aber einen versuch war es wert. Ich starrte ihn an und machte einpaar Schritte zurück. Er ging weiter, also machte ich noch einpaar Schritte, bis ich voller mit voller Wucht gegen die Wand knallte. Einen Moment lang dachte ich, dass das Haus einstürzen könnte, doch es stand fest. Der Junge stand jetzt so nah, dass ich seinen Geruch hätte riechen können. Ich hielt jedoch den Atem an, weil ich auf keinen Fall wissen wollte wie er roch. Meine Lungen zogen sich zusammen und ich schnappte nach Luft. Der Geruch den ich spürte, brachte mich etwas aus der Fassung. Obwohl ich schon vollkommen aus der Fassung war. Er roch nach keinem Deo und auch nicht nach Schweiß, sondern nach einem wunderschönem Geruch den ich nicht beschreiben konnte. Einen Augenblick schloss ich die Augen und atmete tief ein, dann erinnerte ich mich wo ich war. Mein Atem beschleunigte sich wieder und wieder konnte ich mich nicht bewegen. Der Junge packte mich an meinen Hüften und hielt mich eisern fest. Auch wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte mich zu wehren, war sein Griff viel zu fest um sich ihm entwinden zu können. Er schaute mich eindringlich an und würde ich jetzt nicht in Todesgefahr schweben, könnte ich in seine Augen eintauchen. Dann wurde sein Griff lockerer, bis er schließlich losließ. Ich konnte mich nicht weiter darüber wundern, sondern stolperte zur Tür und riss sie auf. Draußen konnte viel besser denken. Ich stürmte auf das Auto zu. Als ich drinnen saß verharrte ich einen Moment lang. Mein ganzer Körper bebte. Dann ließ ich denn Motor an und raste los. Erst als ich bei 140 km/h angelangt war beruhigte ich mich ein bisschen. Dann passierte es. Ich war total aufgeregt und verängstigt, außerdem hatte ich noch ein bisschen Punsch getrunken (obwohl ich nachdem was gerade passiert ist, sicher vollkommen nüchtern war), als ein Fuchs auf die Straße lief. Überrascht riss ich am Lenkrad und versuchte auszuweichen. Ich schrie.Der Wagen überschlug ich drei Mal, bis er mit voller Kraft gegen einen Baum prallte. Ich spürte etwas nasses, warmes auf meiner Wange und auf meinen Händen. Es war Blut. Meine Verletzungen schmerzten fürchterlich, aber ich konnte nicht aufgeben. Es gab noch so viele Leute denen ich was nettes sagen wollte, so viele denen bei denen ich mich entschuldigen musste, so viele die mich lieb hatten und die ich lieb hatte. Es gab noch so viele Dinge die ich tun wollte. Es würde ganz warm um mich und ich konnte Rauch spüren. Plötzlich taten mir meine Wunden nicht mehr weh und die Wärme schien mich in ihren Armen zu wiegen. Mir wurde ganz schläfrig und ich wollte nichts mehr als einschlafen und alles hinter mir zu lassen. Ich wusste ich müsse kämpfen, aber ich schob diesen Gedanken beiseite. Ich schob alle Gedanken beiseite, bis mein Kopf wundervoll leer war. Augenblicklich wurde alles Schwarz um mich herum. Alles war vorbei.
3. Kapitel
Es hat schrecklich ausgesehen. Und es ist meine Schuld gewesen. Ich bin Carolin gefolgt und wegen mir ist der Fuchs auf die Straße gelaufen. Nicht, dass keine Menschen aus meiner Schuld gestorben sind. Nein, es waren sehr viele gewesen. Aber bei Carolin war es anders. Irgendetwas musste anders sein, denn ich hatte das Gefühl als ob in mir alles brannte. Sonst wäre ich jetzt einfach davongegangen wie immer. Der Wagen brannte stark und ich lief zu ihm. Einmal blasen reichte und das Feuer erlöschte. Ich zerrte Carolin aus dem Wagen und trug sie ein Stückchen weg. Das Mädchen sah furchtbar aus. Ihre hellbraunen Haare waren blutverklebt und ihr wunderschönes Kleid war halb verbrannt. Ich fühlte ihren Puls aber es war keiner da. Sie war gestorben. Diese schreckliche Wahrheit kam mit einem Schlag und füllte meinen Körper mit einem unerträglichen Schmerz. Ich kniete mich hin betete sie auf meinen Schoß. Tränen rannten mir die Wange runter. Ich habe nicht mehr geweint seit, keine Ahnung wie lange. Ich wusste überhaupt nicht, dass so etwas möglich war, bei jemandem wie mir. Aber heute war alles möglich. Mit diesem Gedanken flüsterte ich:„Bitte lass mich ein einziges Mal gut sein“, und küsste sie.
Ich schlug meine Augen auf. Wo war ich? Hier war sicher nicht der Ball, es war nämlich Tag. Was ist gestern passiert? Ich wusste noch, dass wir mit Ben getanzt haben und sonst nichts. War ich so betrunken gewesen? Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Langsam setzte ich mich auf und sah mich um. Ich saß auf einer großen Lichtung. Abrupt stand ich auf und sofort fiel ich wieder hin. Ich startete noch einen Versuch und diesmal gelang es mir, mich auf den Beinen zu halten. Wie bin ich hier gelandet? Ich sah mich noch mal um. Diese Lichtung kannte ich nicht. Überhaupt der Wald schien mir fremd. Ich forschte noch einmal in meiner Erinnerung, aber da war nichts. Nichts was mich darauf gebracht hätte, wieso ich hierher gekommen bin. Aber jetzt war keine Zeit darüber nachzudenken. Jetzt musste ich hier raus, eine Straße finden und um Hilfe bitten. Als ich in den von der Lichtung in den Wald ging, bemerkte ich, dass ich keine Schuhe anhatte. Überall hatte ich getrocknetes Blut. Auch mein Ballkleid war total zerfetzt, wenn nicht sogar verbrannt. Ein starker Wind wehte und augenblicklich fing es an zu regnen. Trotz meiner Kleidung (oder das was davon übrig war), machte mir die Eises Kälte nichts aus. Ich fühlte mich auch irgendwie leicht, als ob ich in jeder Sekunde abheben könnte. Der Wald war ziemlich dicht, aber ich konnte erkennen, dass es ich doch um den St. Roberts Wald handelte. Vielleicht. Aber wo anders konnte ich sonst sein? Ich versuchte mich zu orientieren, aber keine Chance. Also ging ich einfach in irgendeine Richtung. Nach einer Weile war ich total durchnässt. Meine Füße waren schmutzig und ich sah spuren von neuem Blut. Ich habe mich wahrscheinlich irgendwo auf dem Weg durch die Bäume wehgetan. Aber ich spürte nichts. Keinen Schmerz, keine Kälte, keine Nässe. Nichts. Nur dieses Leuchten in mir. Einige Stunden vergingen und ich hatte noch immer keine Zivilisation oder nur auch eine Straße gefunden. Ich war jedoch nicht Hungrig oder Müde. Nur Verzweiflung machte sich in mir breit. Wie sollte ich je wieder nach Hause kommen? Aber ich durfte noch nicht aufgeben. Trotzdem lieg mir die erste Träne die Wange runter. Aber ich riss mich zusammen. Jetzt zu verzweifeln wäre dumm gewesen. Plötzlich hörte ich Schreie. Es waren Hilferufe. Eindeutig die Stimme von einem kleinen Mädchen. Ich versuchte rauszuhören aus welcher Richtung die Rufe kamen und rannte dorthin. Meine Füße berührten kaum den Boden, man könnte meinen, dass ich flog. Dann sah ich das Mädchen. Es wurde von einem Baumstamm zerquetscht. Inzwischen schrie sie nicht mehr sondern lag dort halb bewusstlos, wenn nicht halb tot. In mir regte sich eine Energie, die ich noch nie zuvor gespürt hab. Ich spürte einen Wind auf meinem Rücken und schaute zurück. Alles was ich sah waren weiße Schatten, aber es reichte. Nicht wissend was ich tat, ging ich zu dem Mädchen hinüber und kniete mich neben sie. Ich beugte mich vor und küsste es vorsichtig. Schlagartig wurde der ganze Wald hell. Das Mädchen und ich begannen überdimensional zu leuchten. Der Baum hob sich gerade ein bisschen, gerade genug um das Kind herauszuholen. Als es neben mir lag, beobachtete ich seinen Körper. Keine Wunden. Ich schloss meine Augen dachte wo es wohnen könnte. Doch als ich meine Augen wieder öffnete war es verschwunden. Aber ich machte mir keine Sorgen. Das Mädchen war jetzt zu Hause. Dann erlosch das Leuchten. Total schwach fühlte ich mich und mein Rücken war auf einmal viel schwerer geworden. Ich blickte zurück und sah Flügel. Riesige, weiße Flügel, von der jede Feder wie ein Diamant glitzerte. Flügel die so magisch waren, wie man es sich nur vorstellen konnte. Flügel die aussahen als könnten sie alles schaffen. Meine Flügel.
4.Kapitel
Ich starrte die Flügel ungläubig an und strecke meine Hand nach ihnen aus. Als meine Finger die Federn berührten wusste ich plötzlich alles. Meine Erinnerung kehrte zurück und ich wusste wieder alles was letzte Nacht passiert ist. Und es gefiel mir gar nicht. Ich wollte mich nicht an den Jungen erinnern, an meine Angst oder an meinen Unfall. Mein Unfall! Wieso lebte ich noch? Der Junge musste etwas damit zu tun haben. Langsam stand ich auf und konnte mich fast nicht halten. Diese Flügel waren verdammt schwer. Vielleicht bin ich ja ein Engel. Vielleicht bin ich schon Tod. Ich sah mich um und konnte mich orientieren. Ich wusste in welche Richtung ich gehen musste um nach Hause zu kommen. Aber ich ging in die andere Richtung. Zum Angel Bridge Haus. Dann erfüllte mich wieder eine Energie und bevor ich mich versah schwebte ich über den Bäumen. Ich versuchte wieder runterzukommen. Das war doch alles nicht normal. Schließlich gab ich auf. Außerdem ging es mit Fliegen schneller. Als ich das Haus erreichte, bebte mein ganzer Körper. Ganz automatisch kam dann das Landen. Dann Auf dem Boden stehend ging ich mit langsamen Schritten in das Haus hinein. „Ist da wer?“ Ich kam mir dumm vor in ein leeres Haus zu rufen, aber was konnte ich sonst tun. Etwas regte sich und jemand kam die Treppe hinunter. Als er endlich runterkam konnte man in einen Augen Überraschung sehen. Er starrte die Flügel auf meinen Rücken an, so wie ich vorher.
„Was hast du getan?“
„Die Frage ist eher was du getan hast. Wer bist du überhaupt?“
„Lukas.“
„Okay Lukas. Sag mir wieso ich Flügel habe! Was hast du mit mir gemacht?“
Er schien gar nicht mehr zuzuhören sondern flüsterte zu mir: „Hast du ein Leben gerettet?
„He?“
„Ob du jemanden gerettet hast?“
„Ja, als ich durch den Wald gegangen bin war da ein Mädchen. Sie wurde von einem Baum niedergedrückt. Gleich...gleich nach dem hatte ich diese Flügel.“
„Wieso hast du es da rausgeholt?“
„Sollte ich es einfach da liegen und sterben lassen? Was hättest du denn gemacht?!“, schrie ich aufgebracht. Er antwortete nicht sondern schaute mich ausdruckslos an.
„Was ist hier los?“
„Gestern Abend, als du mit dem Wagen weggefahren bist, bin ich dir gefolgt. Ich weis es war dumm, aber du hast mich angezogen Carolin. Da ist der Fuchs auf die Straße gesprungen und dein Wagen hat sich überschlagen. Ich bin zu dir hingerannt. Als ich dann deinen toten Körper gesehen habe, konnte ich nicht anders und ich habe dich geküsst. Das hat dich zu einem Halb Engel gemacht. Dann habe ich dich auf die Lichtung gebracht und bin gegangen. Jetzt da du ein Leben gerettet hast bist du ein Engel. Ein Engel auf Erden.“
Zorn sammelte sich in mir und meine Augen füllten sich mit Tränen.
„Hast du überhaupt nicht nachgedacht? Was ist wenn ich Ärztin geworden wäre oder Polizistin? Gäbe es da immer das Risiko, dass meine Kollegen mich plötzlich mit diesen riesigen, weißen Dingern sehen?!“, schrie ich aufgebracht.
„Aber ich habe nicht gedacht, dass...“
„Du hast nicht was?“
„Ich habe nicht gedacht, dass du...du weiße Flügel haben wirst.“
„Wieso sollte ich...“, plötzlich aber dämmerte mir es, „Welche Farbe haben deine?“
Er sagte nichts sondern schloss kurz die Augen. Einen Augenblick später sah ich unglaublich große Schwingen auf seinem Rücken. Sie waren genauso schön wie meine nur es gab einen Unterschied. Meine waren schneeweiß und seine pechschwarz. Ich starrte die Flügel an als würde ich hoffen, dass ich mich nur geirrt habe und, dass die Flügel in echt weiß waren. Aber das waren sie nicht. Also drehte ich mich um rannte davon. Die Schwingen auf meinem Rücken hinderten mich etwas beim Rennen, aber ich wollte nicht fliegen. Ich wollte einfach wieder ein normales Mädchen sein. Ein Mädchen, das nicht fliegen konnte, das keine Menschen mit einem Kuss heilte. Kein Mädchen, das gestorben ist und trotzdem noch hier war. Ein kleines Stückchen vom Haus entfernt blieb ich stehen und setzte mich hin. Ich zog meine Füße an und lehnte mich gegen einen Baum. So saß ich still da und weinte. Dann hörte ich Schritte. Oh Gott, er ist mir gefolgt. Lukas stand da und sagte nichts, ich sah aber nicht auf sondern sagte leise: „Was ist mit meiner Familie?“ Als er mit der antwort zögerte, hob ich doch den Kopf und schaute ihn eindringlich an. Da er noch immer nicht antwortete kamen mir Befürchtungen. War meinen Freunden etwas passiert? Er musste meinen besorgten Blick bemerkt haben, denn schließlich gab Lukas nach und antwortete mir ebenso leise wie ich in gefragt hatte: „Als du nicht zurück gekommen bist sind dir deine Freunde gefolgt und haben den Wagen bemerkt. Dann haben sie die Polizei gerufen. Mann hat dich nicht gefunden aber die Polizei hat nach dir gesucht. Eine Woche lang.“ Das ließ mich aufhorchen.
„Wie lange war ich denn Bewusstlos?“
„Fast zwei Wochen.“
Ich musste einmal tief durchatmen bevor ich Lukas weiterreden ließ.
„Die Polizei gemeint, dass du unmöglich überlebt haben könntest, aber deine Familie wollte das nicht glauben. Doch dann haben sie es zur Kenntnis genommen. In einer Woche gibt es eine Beerdigung... .Carolin ich...“.
„Woher kennst du meinen Namen?“
„Keine Ahnung...ähm...ich weis es einfach.“
Ich stand auf und wollte ihn anschreien, ihn stoßen und meine Wut und Verzweiflung auf ihm auslassen. Aber dann lies ich mich wieder sinken. Ich hatte auf einmal keine Kraft mehr um mich überhaupt auf den Beinen zu halten. Außerdem, was hätte das gebracht? Wozu sollte ich aufstehen und weiter machen? Ich wollte einfach nur für immer hier sitzen bleiben und diesen Albtraum vergessen.
„Es tut mir Leid...“, begann Lukas, doch ich schüttelte nur den Kopf. Konnte er mich in Ruhe lasse. Er stand immer noch neben mir, also dreht ich irritiert den Kopf zu ihm. Er schaute besorgt, aber auch unsicher an. Lukas schien nicht zu wissen, was man mit einem Mädchen mit Augen, rot vor Tränen und das außer sich vor Wut und Traurigkeit war, machte.
„Lass mich doch einfach allein. Am besten für immer.“
„Wo willst du wohnen, schlafen?“
Ich lachte auf. Es war ein verzweifeltes lachen. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Es war mir aber auch egal. Nach einer Weile wandte sich Lukas ab. Die Kälte machte mir nichts aus, aber es wäre viel schöner unter einer warmen Decke zu weinen.
„Lukas, wo kann ich übernachten.“
„Komm.“
Ich hatte überhaupt keine Lust und Kraft aufzustehen. Trotzdem schaffte ich es auf die Beine mit der Hilfe des Baumes. Mit langsamen und wackeligen Schritten folgte ich dem Engel. Das zusätzliche Gewicht auf meinem Rücken machte es nicht gerade einfacher. Ich hatte schon befürchtet, dass er mir das Angel Bridge Haus anbieten würde, aber nach einer Weile tauchten wir in den Wald hinein. Wir gingen tiefer und tiefer bis ich endlich ein Haus erblickte. Es war wunderschön. Wie ein romantisches Bauernhaus. Es war aus dunklem Holz und hatte einen Stock. An den Wänden wuchsen, nicht zu viele, nicht zu wenige, wilde Rosen. Es sah aus wie aus einem Bilderbuch.
„Wie...wie kommt das hierher?“
„Es ist schon ziemlich jung. Ich habe es bei meinen Flügen durch den Wald entdeckt. Es ist zwar nicht vollkommen ausgestattet, aber das Bett ist seit zwei Jahren neu. Ich habe es hierher gerbacht weil es zum Haus passte. Noch nicht benutzt.“
Wir gingen beide in das Haus hinein. Drinnen war es genauso schön wie draußen. In der Mitte stand eine stand ein alter Tisch in helles braun getaucht. An den Wänden hangen unzählige Bilder, die Sonnenuntergänge, Flüsse oder Häuser wie dieses hier zeigten. Es gab auch ein großes, weißes Sofa und einen Schrank. Gleich daneben befand sich eine Tür. Lukas zeigte auf sie und sagte: „Dort befindet sich das Schlafzimmer.“ Ich lief, so sehr es meine zitternden Beine zuließen hinüber und öffnete vorsichtig die Tür. Die Wände waren cremefarben gestrichen und es gab ein großes weißes Bett. Das war alles was ich bemerkte, denn ich ließ mich gleich aufs Bett fallen und schlief beinahe sofort ein.
5. Kapitel
Als ich aufwachte, wusste ich zuerst nicht wo ich mich befand. Dann kam meine Erinnerungen an die gestrigen Erlebnisse zurück. Ein plötzlicher Stich durchfuhr meinen Körper. Und dann noch einmal und noch einmal. Es hörte einfach nicht auf. Meine Augen begannen zu brennen, aber keine einzige Träne kam heraus. Ich legte mich auf den Bauch, schloss meine Augen und atmete einpaar mal tief ein und aus. Der Schmerz legte sich ein bisschen. Ich versuchte ich zu ignorieren. Das ging schwer. Also stand ich auf und suchte ein Bad. Ich sehnte mich nach einer Dusche und frischen Kleidern. Das Badezimmer war nicht gerade modern. Eine alte mini Dusche stand mitten im kleinen Raum. Die Fliesen waren gelblich und früher mussten sie weiß gewesen sein. Zumindest ging das Wasser. Ich versuchte mich unter den Wasserstrahl zu stellen aber irgendetwas hinderte mich daran. Mir würde bewusst, dass ich meine Flügel noch nicht eingezogen hatte. Ich wusste doch nicht mal wie. Der einzige den ich kannte und der es wusste war Lukas. Also machte ich mich daran ihn zu suchen. Ich rief seinen Namen durch das ganze Haus, doch niemand antwortete. Er war nicht da. Ich musste ihn suchen gehen. Mein Gefühl sagte mir wo er war, aber ich wollte nicht dahin. Trotzdem steuerten meine Füße zur Tür. Beim vorbeigehen erhaschte ich einen Blick auf einen Spiegel und erschrak. Wäre ich jetzt in die Schule gegangen, hätte mich niemand erkannt. Von meinem Ballkleid war fast nichts mehr übrig und der Rest war vom Blut rot. Meine Augen waren rot vom Weinen und unter ihnen waren tiefe, dunkle Ringe. Meine Haare die ich immer total gepflegt hatte, sahen jetzt mehr aus wie eine Klobürste mit Blut oben drauf, als Haare. Und irgendetwas passte nicht zu meinem Spiegelbild, außer das ich Flügel hatte und schrecklich aussah. Es waren meine Pupillen. Sie waren dunkelviolett. Genauso wie Lukas seine waren als er Flügel hatte. Ich schüttelte den Kopf und wandte mich von dem Spiegel ab. Die Erde vor dem Haus war feucht, aber das störte mich nicht weiter. Die Erinnerung an den Weg vom Haus bis zur Angel Bridge war überhaupt nicht verblasst, obwohl ich mich nicht erinnern konnte das ich mir die Strecke eingeprägt hatte. Vor dem kleinen Fluss rief ich seinen Namen wieder. Weiter gehen bis zum Haus traute ich mich nicht.
„Carolin.“
Ich schrak auf und drehte mich abrupt um. Lukas stand dort und grinste mich verlegen an.
„Mann, hast du mich erschreckt.“
„Entschuldige.“
„Ich wollte fragen, wie diese Flügel einziehen kann.“
„Kein Problem. Schließe deine Augen und versuche sie zu spüren. So wie du deine Hände und Füße spürst. Spürst du’s?“
„Ja“
„Okay, jetzt denke fest daran wie sie in deinen Rücken verschwinden. Stelle es dir so gut wie du kannst vor. Als ob du es vor dir hättest.“
Ich konzentrierte mich ganz stark und plötzlich spürte ich wie mein Rücken leichter würde. Erst jetzt fühlte ich was ich mit mir rumgetragen habe.
„Danke und...danke auch für gestern.“
„Nein ich danke dir.“
„Was meinst du damit?“
Er antwortete nicht und eine peinliche Stille trat ein. Ich wollte nicht weiter mit ihm reden, also lächelte ich ihn zum Abschied an. Dann drehte ich mich und ging zu dem Haus zurück. Gleich im Haus, stellte ich mich unter eine heiße Dusche. Ich ließ den Wasserstrahl eine Stunde lang über mich laufen und beinahe vergaß ich für eine kurze Zeit die Geschehnisse der letzten Tage. Dann suchte ich etwas zu anziehen. Zu meiner Verwunderung war der ganze Schrank völlig ausgestattet. Nachdem ich mir etwas bequemes angezogen hatte, machte ich mich auf die Suche nach dem Kühlschrank. Ich Spagetti zum aufwärmen. Lukas musste es gebracht haben. Da es keine Mikrowelle gab, zündete ich den Herd an und wärmte das Essen so auf. Aber als es dann vor mir auf dem Tisch stand brachte ich keinen Bissen herunter. Also ging ich ins Schlafzimmer und fiel in einen Traumlosen Schlaf.
Die nächsten Tage verliefen ohne große Ereignisse. Ich schlief wenig, aber ohne Albträume. Das war der Segen der Engel. Sie hatten einen ruhigen Schlaf. Oft folg ich dann am Morgen über der Stadt. Ich sah zu wie kleine Kinder spielten oder wie ältere Frauen ihre Pflanzen gossen. Dabei mied ich besonders die Häuser vom meiner Mom, Chloé und Mia. Auch zur Schule traute ich mich nicht. Trotzdem lies es sich manchmal nicht vermeiden meine Familie auf der Straße gehen zu sehen. Immer wenn das passierte durchfuhr mich ein Stich und ich musste ein paar mal durchamten. Danach ging ich, wenn ich wollte, zu Lukas. Er lehrte mir, wie ich meine Flügel benutzen konnte und meine Kräfte. Ich konnte Bäume wachsen lassen oder Blumen. Mit einem Kuss konnte ich ein leben retten. Mehr konnte ich noch nicht. Lukas wusste nicht welche gaben gute Engel besaßen. Am Abend lag ich dann im meinem Bett und weinte manchmal oder ich las oder ich dachte einfach nach.
Eines Nachmittags war mir schrecklich langweilig. Ich beschloss zu Lukas zu gehen obwohl ich das heute gar nicht vorhatte. Als ich vor der Brücke stand, rief ich seinen Namen doch niemand antwortete. Ich könnte wetten das er im Haus war. Da mir gerade etwas wichtiges eingefallen, was ich ihm sagen musste verwarf ich meine Angst und ging selbstbewusst ins Haus hinein. Es weckte in mir Erinnerungen die ich lieber nicht haben wollte, trotzdem zögerte ich nicht. Der Raum war dunkel, aber jetzt konnten meine Augen in der Dunkelheit sehen. Und was ich sah gefiel mir gar nicht. In der Mitte des Zimmers stand Lukas mit ausgebreiteten Flügeln. Auf seinem Gesicht spielte sich Hilflosigkeit, Schrecken aber auch Überreste von etwas sehr dunklen und bösen. Auch wenn seine Finger diesmal nicht voller Blut waren, konnte man an seiner Aura erkennen was er gerade gemacht hatte. Entsetzt schüttelte ich mich.
„Carolin es...“
„Hey, einfach nichts. Es ist schon okay.“
Natürlich war es nicht okay, aber ich wollte nur wieder hier raus. Lukas schaute mich verunsichert an. Ich versuchte ein, zumindest schiefes, lächeln zusammenzubringen und lief aus dem Haus. Augenblicklich breitete ich meine Flügel aus. Das regelmäßige schlagen der Schwingen beruhigte meinen zitternden Körper. Plötzlich folg etwas in mein Gesicht. Erschrocken hörte ich auf mit den Flügeln schlagen und versuchte dieses etwas von mir herunterzubekommen. Bei diesem Versuch stürzte ich fast ab. Als ich mich wieder gefangen hatte, hatte ich ein Papier in der Hand. Eine Seite von einer Zeitung. Die Titelseite. Eine Schlagzeile die mich sehr beunruhigte. Die vierte diese Woche.
6. Kapitel
„Warum machst du das eigentlich?“
„Es ist nicht leicht zu erklären.“
Man konnte Lukas ansehen, dass es gar nicht schwer war. Er wollte bloß nicht, dass ich es weis. Aber ich wollte es wissen. Lukas ist doch hierher gekommen um sich zu entschuldigen und um mir alles zu erklären. Und alles bedeutete für mich alles. Ich konnte ihm erst das wichtige Thema erst anvertrauen, bis ich wusste, dass er diese Situation nicht ausnutzten würde. Zögerlich ging zum Bett und setzte sich darauf. Ich nahm den Platz auf einem bequemem Sofa ein, den er mir früher gebracht hatte. Es war ein ziemlich altes Sofa mit wunderschönen Rosen verziert.
„Ich habe alle Zeit der Welt.“
„Na gut.
Es gibt einen Himmel und eine Hölle. Im Himmel sowie in der Hölle gibt es Herrscher. Diese Herrscher sind Tausende von Jahren alt...“
„Wie alt bist du?“ , unterbrach ich ihn, aber insgeheim fürchtete ich mich schon vor der Antwort.
„Neunzehn.“
„Nein, ich meine wie lange lebst du schon?“
„Sechshundertzweiundvierzig Jahre.“
Das musste ich erst einmal verdauen. Lukas erzählte weiter als ob er gar nicht bemerkt hätte, wie schockiert ich war: „Aber wie ich gesagt habe. Es gibt Herrscher. Meiner ist der Herrscher der Hölle. Ich bin einer von Hunderten von Untertanen. Früher war ich ein normaler Junge. Unsere Familie war eine der ärmeren Familien im Dorf, aber das störte mich zuerst nicht weiter. Ich hatte viele gute Freunde und die Mädchen lagen mir zu Füßen. Schnell hatte ich den allgemeinen Ruf als Herzensbrecher. Doch das störte nicht im geringsten meine Beliebtheit“ ,er lachte kurz auf. Ich konnte überhaupt keinen Lukas vorstellen der mit hoch erhobenen Haupt herumging und Mädchenherzen brach. So ein Junge könnte mir sogar gefallen, solang er mein Herz verschonte. Ich sah das er nicht weitersprach und lächelte ihn aufmunternd an.
„Dann kam die Zeit der Schlachten und der Kämpfe. Ich musste wie jeder junge Mann in den Krieg ziehen. Dann fing alles an. Da meine Familie kein Geld hatte, konnte ich keine ordentliche Rüstung haben. Die anderen Krieger haben über mich gelacht.“
„Und du hast sie getötet!?“
Ich konnte das nicht glauben. Er musste doch nicht gleich töten nur weil sich andere ein bisschen gelacht haben.
„Nein, wie denkst du von mir!?“, rief Lukas empört, doch gleich darauf lachte er bitter, „Ist ja auch kein Wunder. Das letzte mal als du mich gesehen hast, habe ich gerade eine Menschenseele geraubt.“ Das er so offen über den Vorfall sprach ließ mich schaudern. Ich versuchte die Erinnerung aus meinem Kopf zu verbannen und konzentrierte mich genau auf seine Fortsetzung: „Es wurde immer schlimmer und ich wurde immer einsamer. Bis ich Elizabeth traf. Sie war eine Schwester von einem unserer Feinde. Sie schlich auf das Lager um den Anführer von unserer Truppe zu töten. Ich erwischte sie vor meinem Zelt. Es war wie Liebe auf den ersten Blick.“
Lukas wirkte abwesend. Seine Augen waren geschlossen und die Erinnerung hatte ein kleines Lächeln auf sein Gesicht gezaubert. Hätte ich ihn nicht gekannt, hätte ich gedacht er wolle mit mir flirten. Doch jetzt wusste ich das dieses Lächeln auch etwas leidendes mit sich trug.
„Zuerst wollte ich sie ausliefern, doch die bettelte mich an, dass ich sie verschonen solle. Ich habe keine Ahnung wieso ich ihr Schutz gewehrt hatte, aber ich führte sie in ein altes, zerfallenes Haus und dort wohnte sie die nächsten Wochen. Jeden Tag brachte ich ihr Essen, Wasser und was sie sonst noch brachte. Unsere Liebe entwickelte sich und bald darauf waren wir unzertrennlich. Es war für mich eine Qual von ihr wegzugehen um in die nächste Schlacht zu ziehen. Eines Tages folgten mir zwei Krieger durch den Wald bis zu Elizabeth. Wir bemerkte sie nicht. Wir sprachen über den Krieg und wie sehr wir ihn hassten. Wir küssten uns und kuschelten. Die Krieger haben vermutlich alles mitgehört, denn sie stürmten das Haus und brachten uns ohne Diskussion zum König. Er...er brachte sie kurzerhand um.“
Lukas brach ab. Sein ganzer Körper zitterte und er fing an leise zu weinen. Ich saß ein wenig unbeholfen da. So ein Lukas war mir ganz neu. Er stützte seinen Kopf in die Hände und atmete einpaar Mal durch. Doch das half ihm genauso wenig wie es mir half wenn ich das machte. Ich stand auf und ging zögerlich zu ihn hinüber. Vorsichtig setzte ich mich neben ihn und fing an mit meiner Hand seinen Rücken zu streicheln. Ein Schauer überlief meinen Körper als ich das tat. Der Engel rührte sich nicht, aber langsam schwand das Zittern aus seinem Körper. Mit brüchiger Stimme sagte er leise: „Er hat mich gezwungen zuzusehen wie...sie starb. Mich brachte er nicht um sondern er setzte mich im Wald aus. Ohne Wasser und ohne Essen.“
Da er sich wieder beruhigt hatte rückte ich ein wenig von ihm ab. Er amtete stoßweise aber sonst war, das hoffte ich wieder alles okay. Mit normaler Stimme sprach er weiter: „Ich verkroch mich in einer Höhle und wartete auf irgendetwas. Als ich dem Tod schon sehr nahe war, kam ein Engel zu mir. Der Engel hatte schwarze Flügel. Er sagte das ich die Entscheidung habe in den Himmle oder in die Hölle zu kommen. Zuerst wollte ich natürlich in den Himmel, aber er sagte mir, dass ich im Himmel immer noch den Schmerz spüren werde und in der Hölle wird er verschwinden. Einfach so. Und er überzeugte mich. Anfangs stimmte das mit meinen Gefühlen auch, aber dann kamen sie langsam zurück. Stärker denn je.“
„Der Engel hat dich belogen.“
„Nein, das hat er nicht.“
„Aber du sagtest doch gerade....“
„Er hat gesagt ich wurde den Schmerz nicht spüren. Er hat aber nicht gesagt wie lange.“
„Es tut mir so leid.“
„Muss es nicht, die Vergangenheit kann man nicht ändern. Ich konnte es auch nicht. Deshalb sitze ich hier, in der Hölle für Ewigkeiten fest und muss Leute töten.“
„Aber hast du denn keine andere Wahl. Musst du diese Leute ohne Grund töten?“
„Ich töte nicht ohne Grund. Der Herrscher der Hölle wird mit jedem Menschen den einer von uns Engeln tötet stärker. Jede Seele macht ihn Stärker.“
„Und du hilfst ihm dabei?“
„Ich habe keine andere Wahl Carolin. Ich töte nur wenn ich muss. Alle paar Wochen schickt mir ein Bote einen Befehl zu töten. Ich kann wirklich nicht anders. Sonst....“
„Sonst was?“
„Erzähl ich die ein andermal.“
„Versprichst du’s?“
„Ja.“
Wir schauten uns schweigend an. Ich tauchte in seine Augen ein wie in die Tiefe des Meeres. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken aber nach dem wurde mir angenehm warm. Seine Iris schien lebendig zu werden und sprang wild um seine Pupillen. Ich konnte alle seine Gefühle darin lesen. Plötzlich begriff ich das er sich so sehr vor mir geöffnet hat wie vor keinem Anderen .seit Sechshundertjahren. Ich legte meinen Kopf leicht schief beugte mich zu ihm vor. Er sah mich leidenschaftlich an. Im selben Moment als er sich auch zu mir beugen wollte, krachte es irgendwo in der Ferne und augenblicklich fing es an zu regnen. Dicke Tropfen fielen laut gegen die Scheibe. Der magische Moment war wie weggeblasen. Dankbar schaute ich zum Fenster und verfluchte mich für das, was gerade fast passiert wäre. Erst jetzt bemerkte ich das meine Flügel ausgebreitet waren. Ebenso wie seine. Verwirrt schüttelte ich mich und zog sie wieder ein. Wie in Trance machte Lukas das gleiche. Ich beschloss mich einem anderen Thema zu widmen. Doch gleich kamen mir Bedenken. Aber dann dachte ich über seine Geschichte nach und war mir vollkommen sicher, dass er es nicht zu seinem Vorteil nutzen würde.
„Ich muss dir was zeigen“, mir diesen Worte zog ich aus meiner Jackentasche die Titelseite der Zeitung heraus, „Das ist schon das vierte Mal diese Woche“. Ich zeigte auf die Schlagzeile. VERRÜCKTE MUTTER BRINGT FAMILIE UM, stand dort in Großbuchstaben.
„Ich kannte die Mutter und die Familie. Nicht gut aber gut genug um zu wissen das sie völlig normal war.“
„Manchmal täuscht man sich.“
„Ja manchmal. Aber wie ich schon sagte: Es ist schon das vierte Mal. In der letzten Wochen gab es zwei Selbstmorde. Beide hatten den gleichen Ablauf. Es waren ganz normale Menschen. Eines Tages ist einer von ihnen auf die Straße mit einem Messer gelaufen. Er hat geschrieen wie ein Verrückter. Dann hat er sich umgebracht. Und das auf der Hauptstraße! Die Menschen haben das alle gesehen. Sie haben es gesehen und nichts unternommen! Sie sind einfach weitergegangen. Beim dem anderen war es genauso nur mir einer Pistole. Das ist doch nicht normal. Und der dritte Fall. Eine Frau ist angeblich Einkaufen gegangen. Im Supermarkt ist sie dann durchgedreht, hat sich ein Messer aus einer Lade genommen und brachte vier Menschen um. Dann wollte sie sich auch umbringen, aber die Polizei war rechzeitig da. Jetzt steht sie vor Gericht und kann sich an nichts erinnern. An gar nichts! Was...was passiert hier?“
„Ich habe keine Ahnung. Bist du dir auch sicher?“
„Wieso sollte ich dir Lügen erzählen!?“ ,schrie ich aufgebracht.
„Um mich zu testen.“
Ich schüttelte verzweifelt den Kopf zeigte auf die Zeitung und sagte diesmal leiser: „Ist das nicht Beweis genug?“
„Entschuldige“, sagte er. Und dann belustigt, „Du vertraust mir also.“
Er zog die Augenbrauen hoch und lächelte mich verführerisch an. Und plötzlich konnte sah ich den Lukas ,den er mir beschrieben hatte. Einen Herzensbrecher der mit jedem flirtete. Unwillkürlich musste ich lächeln.
„Machs nicht kaputt.“
„Ich ergebe mich.“
Nun musste ich wirklich lachen und bald stimmte er mit ein. Es war erlösend endlich nach dieser langen Woche, wieder zu lachen, für einen kurzen Augenblick wieder ein normales Mädchen sein zu können und nicht über diesen grauenhaften Alltag da draußen denken zu müssen.
7. Kapitel
Die Erde unter meinen nackten Füßen war feucht und quietschte bei jeder Bewegung. Seit kurzem kam es mir unnatürlich vor, in Schuhen umherzulaufen. Ich kannte den Friedhof auswendig. In den letzten Jahren kam ich oft hierher und das Grab von meinem Vater zu besuchen. Als ich neun Jahre alt war erkrankte er an Krebs und war bald darauf gestorben. Es war ein harter Schlag für meine Mutter und mich gewesen. Wir mussten in einer heruntergekommenen Wohnung leben und immer mehr Rechungen häuften sich an. Ich hatte keine Kleidung für die Schule und wurde immer ausgelacht. Es war eine harte Zeit für mich gewesen. Oft hatte ich geweint. Wie sich meine Mutter jetzt wohl fühlte. Bei diesem Gedanken kamen mir auf Anhieb Tränen in die Augen. Mit einer schnellen Handbewegung wischte ich sie weg. Schon von weitem sah man das helle Marmor, vom Grab meines Vaters leuchten. Wie konnte ich das vergessen! Abrupt blieb ich stehen. Ich fing an zu weinen, aber diesmal versuchte ich nicht einmal sie aufzuhalten. Plötzlich rempelte mich jemand von hinten an und ich stolperte nach vor und fiel auf den kalten Boden. Sofort verschmutzten Schlamm und Erde meine neue Chanel Jeans die ich, wie auch vieles andere, in meinem Schrank gefunden hatte. Ich hatte den Verdacht das sie gestohlen worden war, aber ich versuchte mir keine Gedanken darüber zu machen. Jetzt war sie sowieso zum wegschmeißen.
„Gott, Lukas kannst du nicht aufpassen.“
„Entschuldige. Wo ist die Bibliothek?
„Dort drüben“, ich zeigte mit dem Finger auf die große Kirche die mitten auf dem Friedhof stand, „Sie ist in der Kirche.“
Wir wurden Bücher über die Geschichte dieser Stadt und über Schutzengel suchen. Am besten über den Schutzengel unserer Stadt. Lukas hatte mir erzählt das jedes Dorf oder Stadt einen Schutzengel hatte. Ich habe ihn gefragt wieso es dann so viele Verbrechen gibt und er hat gesagt, dass die Schutzengel nur vor dem magischen schützen. Er ist auch fest davon überzeugt das der Anfang dieser Dinge, die mit den Menschen passieren, in der Vergangenheit ist.
„Und es ist sicher niemand hier?“, fragte Lukas leise.
„Nicht sicher. Manchmal kommen Leute in die Kirche. Es gibt auch Gärtner die hier wohnen.“
„Wir müssen vorsichtig sein.“
Engel konnten sich zwar gegenüber von Menschen unsichtbar machen, aber trotzdem spürten Leute unsere Anwesenheit mehr als alles andere. Wenn wir sie auch nur unabsichtlich berührten konnte das ihr ganzes Leben verändern. Entweder zum Guten oder zum Schlechten. Schon das wir mit ihnen in einem Raum waren konnte das Leben ein kleines bisschen verändern. Wir steuerten auf das alte Gebäude zu. Von innen sah die Kirche noch eindrucksvoller aus als von draußen. Der Saal war kreisförmig und sehr groß. Die Wände waren weiß mit goldenen Strichen an der Seite und sie waren voller wunderschöner Malereien. Die Decke war viel höher als in einer gewöhnlichen Kirche und An ihr hing ein , großes Gemälde von einem Nachthimmel. Immer wenn man hinaufschaute, hatte man das Gefühl in die Nacht hineinzutauchen. Die Sterne glitzerten wie Echte. Das Bild schien mit der Kirche Eins zu werden. Und wenn man genau hinschaute, glaubte man sogar einpaar Federn hinter dem Mond fallen sehen. Vielleicht Flügel. Vorn beim Altar war nicht wie normalerweise, ein Bild von Jesus, sondern ein goldene Engelstatue. Der Engel stand in der Mitte und um ihn herum waren kunstvolle, goldene Muster zu sehen. Alles vergoldet natürlich, die Kirche hatte nicht viel Geld, aber trotzdem wunderschön. An zwei Wänden standen je ein Beichtstuhl. Da mussten wir rein. Als ich noch klein war spielte ich gerne in der Kirche mit Chloé. Einmal bei einem Versteckspiel stieß ich auf einen Geheimgang. Ich rief Chloé weil ich mich nicht allein hinein traute. Es führte dort eine Treppe hinunter bis zu einem mittelgroßen Raum wo sich Hunderte von Büchern stapelten. Chloé und ich nannten diesen Raum immer mystica libera. War zwar nicht das perfekte Latein (zudem weil ich nicht genau wusste ob liber mit a auch Buch hieß oder etwas anderes) aber es klang schön. Ich hatte keine Ahnung ob der Priester davon wusste. Bis jetzt hat uns jedoch niemand erwischt.
„Komm, mir nach.“
Ich ging in der Beichtstuhl, dort wo normalerweise der Priester saß und drehte einen winzigen Haken aus dem Boden den man kaum sah, auf eine bestimmte Weise. Die Wand begann sich zu bewegen und einen kurzen Augenblick später erschien eine Tür. Sie war hinter der beweglichen Wand versteckt. Vorsichtig machte ich sie auf. Die alte Treppe aus Stein hat sich überhaupt nicht verändert. Leise ging ich runter und nach einigen Minuten sah ich auch schon unsere mystica libera. Ich drehte mich zu Lukas um und bemerkte, dass er gar nicht da war.
„Lukas? Lukas wo bist du?“
„Hier oben.“
„Und wieso kommst du nicht runter?“
„Ehm..“
„Sag bloß du hast Angst.“
„Nein!“
„Dann komm her!“
Ich hörte wie er runterging und wandte mich ab. Der Raum war genauso wie ich ihn in Erinnerung hatte. Er war alt etwas heruntergekommen, aber mich störte so was nicht. Im Gegenteil. Es war Geschichte.
„Es wird lange dauern bis wir was bestimmtes finden.“
Lukas stand jetzt hinter mir. Und er hatte recht. Die Bücher lagen verstreut im ganzen Raum herum. . Manche Bücher waren schon so alt, dass wenn man sie in die Hand nahm, sie gleich zerfielen.
„Wir müssen es versuchen.“
Und dann fingen wir an zu suchen. Wir suchten und suchten. Nach drei nutzlosen Stunden waren wir erschöpft, etwas sauer, hoffnungslos und voller Staub.
„Verdammt.“
„Ja, verdammt.“
„Wenigstens haben wir es versucht.“
„Wenigstens bin ich auf keine Maus gestoßen so wie du.“
„Wenigstens bin ich nicht vor einer kleinen Spinne weggerannt.“
„Hey sie war ziemlich groß!“
„Wer’s glaubt.“
Ich fing an zu lachen und bald lagen wir beide vor lachen am Boden (die Spinne war übrigens wirklich total groß). Wir lachten um die Enttäuschung wegzumachen die sich in uns ausgebreitet hat. Nach einpaar Minuten beruhigten wir uns und ich musste mich anstrengen um nicht zu weinen. Wenn es hier keine Erklärung gab wieso die Leute das machten, wo gab es sie dann? Das war nicht ein Einzelfall wie man es manchmal in the new york times las. Es stimmte etwas nicht. Und es konnte jeden Tag jemanden von meiner Familie oder Freunden treffen. Da war ich mir sicher. Und ich wollte es verhindern. Schließlich war ich jetzt ein Engel. Plötzlich riss mich Lukas aus meinen Gedanken.
„Schau mal her.“
„Was ist?“
„Ich bin darauf gesessen.“
Er gab mir ein altes, aber vollkommen erhaltenes (es schaute wenigstens so aus, als ob es vollkommen erhalten wäre) Buch in die Hand. Der Umschlag war dunkelbraun und darauf stand mit wunderschön verzierten, schwungvollen, goldenen Buchstaben auf lateinisch GESCHICHTEN VON ST.ROBERTS. Ich schaute auf Lukas.
„Denkst du das ist es?“
„Machen wir es doch mal auf.“
Ich hielt den Atem an und schlug die erste Seite auf. Zuerst stand da nichts. Doch dann erschienen schwarze Buchstaben. Beunruhigt sah ich auf Lukas, dich der schüttelte nur ratlos den Kopf. Ich versuchte die Schrift zu entziffern. Leider reichten meine zwei Jahre Latein in der Schule nicht aus, um etwas zu verstehen. Ich kannte nur jedes dritte Wort.
„Kannst du Latein?“, wandte ich mich an Lukas.
Er nickte zustimmend.
„Hier.“
Ich reichte ihm das Buch. Er schaute eine Weile konzentriert auf die Seite und sagte dann: „Da sind die Geschichte aufgezählt, die im Buch erzählt werden. Die eine auf Seite dreihundert könnte interessant werden. Sie heißt: Die Hexe und der Engel.“
„Lies.“
Und er schlug die Seite auf und begann zu lesen.
8. Kapitel
In der Stadt von St. Roberts herrschte eine Zeit lang Frieden. Die Menschen lebten mit Freude und Mut. Es wurden viele Feste gefeiert. Eines Tages kam eine junge und hübsche Frau in das Dorf. Sie verzauberte alle mit ihrer starken Aura und der Sohn von dem König verliebte sich in sie. Die Frau wollte ihn. Doch der König war misstrauisch. Er beauftragte seine Diener, die Frau zu beobachten und bald überzeugte er sein Volk und seinen Sohn davon, dass die Frau eine Hexe war. Der König vertrieb mit Hilfe seiner Krieger und mutiger Dorfmänner die Hexe aus St. Roberts. Aus Zorn nicht bekommen zu haben was sie wollte, tötete sie mit ihren Kräften den König und verfluchte das Dorf für immer. Die Leute wussten nicht was sie tun sollten und gaben ihr aus Verzweiflung den Prinzen als Opfer. Doch die Hexe zeigte kein Mitleid und brachte auch diesen um. Dann zog sie weiter um anderer Welt Tod zu bringen. Nachdem drei Tage vergangen lebten nur noch einige Menschen in dem verfluchten Dorf. Und plötzlich erschien über den Köpfen der Menschen ein grelles Licht. Die Leute flüchteten aus Angst in ihre Häuser. Doch als das Licht aufhörte zu leuchten, kamen die mutigsten Männer heraus und schauten, was es sei. Eine große und wunderschöne Gestalt erhob über ihre Köpfe. Sie sprach mit einer Stimme die dem Echo glich: „Ich vertreibe alles Böse und Schlechte aus meiner Stadt !Hier solle Frieden und Freude herrschen! Sei es so wie ich es befehle!“ Mit diesen Worten ertönte ein lauter Knall und die Welt wurde für einen Augenblick weiß. Dann sprach die Gestalt mit weicherer Stimme weiter: „Geht und feiert. Ihr seid erlöst.“ Und die Menschen feierten als ob es keinen Morgen gäbe. Und es ruhte für immer Frieden.
„Bis jetzt.“
Er schaute auf mich.
„Carolin wir wissen doch noch gar nicht...“
„Dann erklär deine Sicht der Weise!“
„Es könnte schon sein, dass das, das Gleiche ist was jetzt passiert.“
„Und etwas besseres finden wir sowieso nicht. Nur was können wir jetzt tun?“
Etwas zögerlich fing er an Vorschlag zu machen: „Wir könnten den Schutzengel eurer Stadt im Himmel aufsuchen und fragen was wirklich passiert und ob er uns helfen kann. Aber das ist nicht...“
Ich unterbrach ihn kurzerhand: „Super! Wann brechen wir auf?“
„Aber Carolin ich kann uns nicht...“
Ich hörte überhaupt nicht zu.
„Vielleicht morgen oder gar heute.“
„Carolin! Hör mir mal zu!“
„Was ist denn?“
„Ich kann es nicht Carolin! Ich kann uns nicht in den Himmel bringen. Nur ein Engel mit weißen Flügeln kann es. Und ich weis nicht ob du dazu bereit bist.“
„Das kann doch nicht so schwer sein.“
„Aber nur wirklich mächtige oder Schutzengel können von der Erde in den Himmel. Die anderen gehen gar nicht weg.“
Meine gute Laune ging so schnell wie sie gekommen war.
„Ja aber du weist doch wie es geht. Du weist es doch?
„Ja.“
„Wir können es dann dich versuchen oder?“
„Ich bin mir aber nicht sicher ob etwas passieren kann wenn du es nicht schaffst.“
Ich starrte ihn an. Nach allem was ich durchlebt habe, machte er sich um Sorgen. Um mich. Langsam sagte ich: „Lukas, hier geht es nicht um mich. Es geht um die Stadt. Um meine Familie. Ich werde nicht einfach daneben stehen und einfach mal sehen was passiert, wenn ich doch etwas dagegen tun könnte. Und ich würde alles dafür tun. Also wann brechen wir auf?“
Er seufzte tief.
„Sobald och dir gezeigt habe wie das geht.“
„Okay.“
„Atme tief ein und aus. Versuche dich zu entspannen. Jetzt schließe deine Augen.“
Lukas hatte mich auf die Wiese gebracht, wo ich nach dem Unfall aufgewacht war. Er . Ich machte alles was Lukas mir sagte, konnte mich aber nicht wirklich konzentrieren. Aufregung machte sich in mir breit. Wie würde der Himmel wohl aussehen? Aber ich schloss brav meine Augen und atmete tief ein.
„Spüre die Macht, die durch dein Blut fließt. Breite Langsam deine Flügel aus.“
Ich spürte wie mein Rücken schwerer würde und mit dem kam auch ein große Macht. Ich lies es zu, dass sie meinen ganzen Körper ausfüllte.
„Jetzt stelle dir ein Portal vor. So wie du es dir vorstellst wird es für dich immer sein. Es wird dein einziges Portal in den Himmel sein.“
Er wartete einige Sekunden, bis er sicher war, dass er weitersprechen konnte.
„Jetzt öffne vorsichtig deine Augen und strecke deine Hand aus. Versuche die Formen von dem Portal nachzuziehen, es zu...zeichnen.“
Ich war etwas verwirrt, tat aber das, was er mir sagte. Meine Hand schien sich von alleine zu bewegen. Sie zeichnete genau die Form die ich mir vorgestellt habe, jedes Detail. Ich konnte in der Luft Umrisse erkennen. Je länger ich zeichnete, würden sie immer genauer. Das grelle rote Tor verziert mit Hunderten von kleinen weißen Diamanten die in der Sonne glänzten. An den Seiten prangten tiefschwarze Flügel die alles übertrafen was ich gesehen habe, in meinem ganzen Leben. Das Portal würde tausendmal schöner als ich es mir vorgestellt habe. Ein riesiges und helles Licht ging von ihm aus, eine Macht, vor der man einfach Respekt haben musste. Lukas schaute verwundert aus.
„Wow, dein Tor schaut mehr...hm...höllisch aus als himmlisch. Also ich hätte mir den Durchgang zum Paradies hätte ich mir anders vorgestellt.“
Seine Worte hörte ich gar nicht mehr. Die Schönheit des Portals berauschte mich. Ich fasste Lukas Hand und schritt zu auf den Durchgang zu. Mir schien es als ob die Flügel anfingen zu schwingen. Als ich über die Schwelle trat, wurde ich vom weißen Licht verschluckt. In meinen Ohren fing es an zu rauschen und etwas zog mich immer tiefer in das Licht hinein. Das Letzte was ich spürte war Lukas Hand, wie sie sich langsam von meiner löste.
Tag der Veröffentlichung: 22.11.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Feur meine beste Freundin Vicky. Ich hab dich lieb <3