Als ich ein Kind war, viele Jahre sind seither in's Land gezogen, hatte ich ein Problem mit Worten...
Nicht mit den eigenen, nein! Eher mit jenen der Erwachsenen. Man hat ja das Gefühl als kleiner Mensch, dass die Alten ob ihrer immensen Lebenserfahrung eigentlich alles wissen müssten. Genug Zeit haben sie ja gehabt um sich alles was was man wissen kann auch anzueignen. Weit gefehlt, wie mir ein Disput mit meiner Mutter einmal bewiesen hat. Auslösender Moment war wohl der unbedachte und vorschnell gefasste Entschluss Ordnung in das Chaos zu bringen, das sich "mein Zimmer" nannte. Das Unheil hatte in folgendem unschuldigen Satz seinen Anfang:
"Mama, wenn ich heute bis 8 auf dem Fußballplatz sein darf, verspreche ich dir, dass ich mein Zimmer auch morgen aufräume!"
Kindliche Naivität gepaart mit festem Vorsatz. Eine explosive Mischung wie ich mir heute im Klaren bin. Lassen wir das Fußballspiel Fußballspiel sein und begeben uns direkt zum nächsten Tag:
So weit ich mich erinnere schien die Sonne schon hell in mein Zimmer, als ich meine Augen nach durchdöster Nacht aufschlug. Ferienzeit plus Sonnenschein ergab nach meinem damaligen Wissenstand in Mathematik Fußballplatz. Vorsatz gefasst, aus dem Bett gesprungen, Zähne putzen und Fußballutensilien packen ging nach jahrelangem Training quasi gleichzeitig, das Frühstück bestand aus einem Nutellabrot und einer Tasse Kaffee. Das Herz pochte mir vor Freude bis zum Hals, ich lief in unser Vorzimmer, nahm mir meine Schuhe und zog sie an. Die Freiheit war praktisch zum Greifen nahe, ich konnte das Gras schon beinahe riechen, als eine mir sehr bekannte Stimme von hinten zurief:
"Zimmer!"
Meine Mutter konnte schon immer in ein Wort soviel Information hineinpressen, dass ich sofort wusste was gemeint war.
"Was ist mit deinem Zimmer mein Freund? Du hast mir doch gestern was versprochen wenn mich nicht alles täuscht."
Nun ist es so, dass der Mensch, wenn es darum geht seine Grundbedürfnisse gegen äußere Aggressoren zu verteidigen, sehr findig ist. Ein Grund warum wir es im Laufe der Zeit geschafft haben, zur Nummer eins unter den parasitären Lebewesen dieses Planeten aufzusteigen.
"Mach ich nachher Mama, gleich nachdem ich nach Hause gekommen bin!"
Netter Versuch will man meinen. Die Hand die mich plötzlich an meiner Schulter packte und die Fingern die plötzlich an eben jenen klopften ließen mich schon erahnen, dass ich mit dieser läppischen und leeren Worthülse nicht weit kommen würde. Nicht über die Türschwelle, geschweige denn auf den Boltzplatz. Also hab ich mich umgedreht und einen Gang hochgeschaltet.
Verdammt! Meine Mutter schien an diesem Tag immun gegen den Dackelblick zu sein. Ungünstiger Moment! Das ist wie mit Antibiotika... zu oft sollte man die auch nicht einsetzen.
Ich sah meine Felle schon davon schwimmen und mich schon mit einer Schaufel und einem Müllsack einem Maulwurf gleich durch mein Zimmer wühlen, als meine Gedanken auf eine Frage gelenkt wurden, welche ich mir schon einige Zeit gestellt hatte. Ich sah in der Unvollkommenheit der Erwachsenensprache ein kleines Loch unter der Gefängnismauer, durch das ich mich mit viel Glück durchzwängen konnte. Was hatte ich zu verlieren?
"Versprochen hab ich es dir?"
"So ist es Freundchen! Was ist jetzt?"
"Ich habe eine Frage Mama!"
Auf ihrer Stirn war jetzt mittlerweile eine Falte zu erkennen. Ein sehr schlechtes Zeichen. Um mir kurz das Vokabular eines Vulkanulogen auszuleihen: der Vulkan stand kurz vor der Erruption!
"Was für eine Frage denn?"
"Also, ich stell mir schon eine ganze Zeit lang die Frage, warum das Wort für versprechen versprechen ist."
Ratloses Gesicht. "Was?"
"Ich meine... das Wort versprechen. Ehrenwort ist klar. Schwören, kein Thema. Einen Eid leisten, auch das verstehe ich. Aber warum ich mich bei einem Versprechen an das Versprochene halten muss, dass weiß ich nicht."
Man nehme ein ratloses Gesicht und packe beginnende Verzweiflung darauf.
"Ich habe nicht die geringste Ahnung von was du sprichst."
"Ver...sprechen. Ver...sprecher!"
Plötzlich verstand sie meine Frage und erkannte den Hebel mit dem ich die "Räum dein Zimmer auf"-Welt aus den Angeln heben wollte. Die Falte auf der Stirn begann zu beben. Vulkanologen hätte man in einem solchen Fall mit dem Hubschrauber notevakuiert. Auf mich wartete leider keiner.
"Was, wie, wer... woher... keine Ahnung warum... ist eben so!"
Ich schloss die Augen und wartete auf das Donnerwetter. Plötzlich erschallte ein lautes Lachen und verdutzt öffnete ich meine Augen wieder. Meine Mutter lachte wie sie schon lang nicht mehr gelacht hatte und nahm mich in den Arm.
Nachdem sie mir einen Kuss auf die Stirn gegeben hat, öffnete sie mir noch die Türe und wünschte mir einen schönen Tag.
Von diesem Tage an, musste ich meiner Mutter nie wieder was versprechen... dafür einen Eid leisten. Erwachsene mögen nicht alles wissen... aber dumm sind sie gewiss nicht!
Ende
Eid drauf! Ehrenwort!
Tag der Veröffentlichung: 16.09.2011
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Widmung:
Für Haiko