Cover


Alle beteiligten Personen (insbesondere der Protagonist), die Orte der Handlung und die Begleitumstände, welche die Geschichte erzählt, sind rein fiktiv. Sollten Ähnlichkeiten zu realen Orten, Personen und Begbenheiten auftauchen, sind diese nicht beabsichtigt.


Der Schwache kann nicht verzeihen. Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken.
(Mahatma Gandhi)


Mein Name ist Isaiha James Davidson und in einem Jahr werde ich tot sein! Diese Worte sind mein Vermächtnis für die Lebenden, für die Schuldlosen und die Schuldigen, für meine Freunde, meine Henker und im Speziellen für Betty Anne Clarksfield! Möge sie in Frieden ruhen und mir verzeihen, denn ich kann es nicht!

 

 

 

 



Staatsgefängnis von Bakersfield, Texas. 2 Juli 2012

 



Ich bitte die drastische Einleitung zu entschuldigen, aber der Versuch es neutraler zu formulieren ist mehrfach gescheitert. Der Grund hierfür ist schnell erklärt: ich sitze seit knapp zweieinhalb Jahren in der Todeszelle, starre auf die grauen, aschfahlen Wände meiner Unterkunft und versuche mich mit der Ausweglosigkeit meiner Situation zu arrangieren.

Um eines klar zu stellen: dieser Akt umfasst nicht die Frage meiner Schuld oder Unschuld. Ich habe getötet, habe das Leben einer jungen Frau von einem Augenblick auf den anderen beendet. Ich habe gemordet und das aus niederen Beweggründen, habe für eine handvoll Dollar das Glück eines Menschen, das Glück einer Familie, meinem Drang auf dem nächsten Schuss untergeordnet. Hierfür kann es keine Rechtfertigung geben, hierfür darf es einfach keine Rechtfertigung geben. Ich gebe zu, anfangs habe ich diese gesucht in meinem vom Rausch vernebelten Kopf, habe versucht mein Unglück mit dem der anderen aufzuwiegen, wollte unbedingt Absolution für den einen Akt des Wahnsinns, der soviel Leid verursacht hat. Doch diese Absolution konnte mir niemand erteilen. Die Familie des Mädchens nicht, nicht die Jury und der Richter in meinem Prozess, nicht der Sachverständiger der Anklage, nicht mein Anwalt und die im Gericht anwesenden Personen und zu guter Letzt nicht einmal ich selbst! Wenn man sich nicht selbst vergeben kann, wer sollte es sonst können?

Gott könnte das unter Umständen. Dieses allmächtige und alles liebende Wesen, könnte es sicher. Aber ich befürchte, selbst der will nicht!


3. Juli 2012


Ich bin müde, mein Kopf schmerzt und ich habe heute noch nichts gegessen. Ich nehme Stift und Papier und versuche meine Gedanken zu ordnen, etwas sinnvolles zustande zu bringen. "Scheiß drauf!", denke ich mir. Was soll an meiner Situation schon sinnvoll sein? Mir fehlt die Kraft an diesem Dokument weiterzuarbeiten und heute ist erst der zweite Tag meines Tagebuchexperiments! 

 


10. Juli 2012


Wie ich sehe, ist eine ganze Woche vergangen seit dem ich das letzte Mal etwas geschrieben habe. Wie ist es mir diese Woche ergangen? Die Tage verschwimmen zu einem nebulösen Einheitsbrei aus Banalitäten. Ich werde jeden Tag um halb 7 geweckt, habe 5 Minuten Zeit mich anzukleinden und werde im Anschluss von einem Wärter unter die Dusche verfrachtet. Das Wasser ist immer eiskalt und brennt regelrecht auf meiner Haut. Aber brennen ist gut, es beweist mir jeden Tag auf's Neue das ich noch am Leben bin, dass ich meinen letzten Atemzug noch nicht ausgehaucht habe.

Dr. Smith, unser ewig gütig und verständnisvoll dreinblickender Gefängnispsychologe, habe ich einmal davon erzählt. Sein Gesicht verwandelte sich in ein strahlendes Etwas und freudig erklärte er mir, wie positiv dies doch sei. Ich würde das Leben bejahen... was für ein dreckiger Bastard. Was soll ich denn sonst machen? Ich klammere mich wie ein Ertrinkender an jedes Ding, jedes Gefühl, jeden Moment der mich spüren lässt noch hier zu sein. Das ist keine Lebensbejahung! Oder bejaht eben jener Ertrinkende das Leben, der in der stürmischen See, umtost von den elementaren Gewalten der Natur, nach einem Rettungsring greift? Nein, sicher nicht! Keine Lebensbejahung, sondern die Ablehnung des Todes, der Kampf gegen die Ausslöschung des bewussten Selbst! Die Flucht vor den eiskalten und unerbittlichen Fängen des Nichts, des Vergessenwerdens. Genau, das Vergessenwerden... nichts macht mir mehr Angst. Denn wer vergessen wird, hat praktisch nie wirklich existiert.

Doch ich schweife ab, war ich gerade doch dabei meinen Alltag zu schildern. Nach der Dusche habe ich 5 Minuten Zeit mich abzutrocknen und meine Zähne zu putzen. Wenn ich mit der Zahnseide hantiere, werde ich von meinem Wächter immer sehr gründlich beobachtet. Es könnte ja durchaus sein, dass ich mir ein Stück davon mitgehen lasse um mich in meiner Zelle in einem unbeobachteten Moment aufzuhängen. Einmal habe ich mir diese Alternative wirklich durch den Kopf gehen lassen. Wärter sind nicht immer zu hundert Pozent aufmerksam und es hätte sich sicher einmal eine Möglichkeit ergeben... aber ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich zwar anscheinend "mutig" genug war, dass Leben einer jungen Frau zu nehmen, aber viel zu feige bin, dies bei mir selbst ebenfalls zu tun. Außerdem würde ich nach einem gescheiterten Versuch wohl elend lange Vorträge von Dr. Smith zum Thema Lebensbejahung erdulden müssen. Das ist es nicht wert!

Das Frühstück dauert 15 Minuten. Auf die Sekunde genau muss ich mit meinem Tablett dann bei der dafür vorgesehenen Ablage auftauchen, denn sonst gibt es einen Anschiss von meinem Schatten. Danach geht es zurück in meine Zelle. Außer es ist gerade einer der beiden zweiten Sonntage im Monat die ich so liebe, dann darf ich für eine Stunde in einem mit hohen Mauern umrahmten Innenhof meine Runden drehen. Wenn ich großes Glück habe, kann ich durch den über mir sich aufspannenden Häuserschlund einen Vogel erkennen, der sich für ein bis zwei Sekunden in meinen Blickfeld verirrt. Wenn es denn einmal geschieht, zählen diese Momente zu den wunderbarsten in dieser Vorhölle.

Ist diese Stunde vorbei werde ich abermals in meine Zelle verfrachtet. In dieser verbringe ich die Zeit bis Mittag, meist beim Lesen und seit neuestem hin und wieder beim Schreiben. Um halb eins werde ich zum Essen abgeholt. Wieder 15 Minuten Zeit. Meist verschwendete 15 Minuten, da der Koch ein Cretin ist und nichts von seiner Kunst versteht. Tablettabgabe. Ab in die Zelle. Gelegentlich, wenn ich eine Schätzung abgeben müsste zwei bis dreimal im Monat, bekomme ich dann nachmittags Besuch von Noah, einem weiteren Wächter. Mit dabei dann immer ein Schachspiel. Bis jetzt habe ich einmal gewonnen, allerdings war dies beim ersten Mal. Ich denke, ihn hatte damals das schlechte Gewissen gepackt gegen einen Todeskanditaten zu gewinnen. Noah ist aber anscheinend das Verlieren nicht gewohnt, hat er mich seit damals ein jedes Mal vom Schachbrett gefegt. Mir ist es egal, jemand der bereits Game Over ist, kann weitere Niederlagen ganz gut verkraften.

18 Uhr 30. Duschzeit. Kaltes Wasser. Brennen. Gefühl von Leben. Schön!

Dann geht es wieder in die Zelle, das Spiel mit der Zahnseide habe ich ja schon erwähnt. Jetzt habe ich noch bis 22 Uhr bei voller Beleuchtung Zeit meinen Abend mit Nichtstun zu verbringen. Viele Leute träumen davon... aber glaubt mir, ihr würdet nicht tauschen wollen.

22 Uhr, Zapfenstreich. Das "Hauptlicht" geht aus, die Notbeleuchtung an. Diese hat vor allem einen Sinn: man will durch einen raschen Blick durch das kleine Türfenster schnell erkennen können, ob ich Plan "Zahnseide" doch noch in die Tat umsetze. Das Nachtlicht selbst ist merkwürdig. Das Wort Zwielicht, kalt und hart, beschreibt es vermutlich am besten. Wenn ich so in meiner Pritsche liege und an die Decke starre, werde ich von ihm hin und wieder in einen merkwürdigen Zustand der Abwesenheit versetzt... einer Art von Dämmerzustand, in dem sich mein Verstand wenn ich großes Glück habe in bessere Zeiten zurückversetzt sieht. Aber viel zu oft sehe ich dann immer nur eines, ihr Gesicht. Ihr von Panik verzerrtes, ängstliches Antlitz. Von Furcht gezeichnet, da sie bereits ahnt was mit ihr gleich geschieht und dennoch wunderschön. Eine grässliche Koexistenz von Panik und Schönheit.

Dann schlafe ich ein, und die Nachtlichtbilder dringen in meine unruhigen, wirren Träume ein und peinigen mich Nacht für Nacht auf's Neue. "Warum?" fragt sie mich immer wieder... Eine Frage, auf die ich keine Antwort weiß, auf die es keine Antwort gibt. Zumindest keine Antwort, die nicht nur in einem wahnsinnigen Geist Gültigkeit hätte.

Man nehme diesen Tag und kopiere ihn hunderte Male. Willkommen in meinem Leben!

 


23 Juli 2012


Heute hatte ich einen Termin bei Dr. Smith. Er hat mir heute eine Aufgabe gestellt als er hinter meinem Rücken vermutlich doch noch erfahren hat, dass ich seit Neuestem Schreibe. Ich solle ihm einen Aufsatz verfassen. Geforderte Wortanzahl: stolze 500. Thema des literarischen Ergusses: "Wenn ich einen Wunsch frei hätte, was wäre das?"

Also, wenn ich nun wirklich einen Wunsch frei hätte, Dr. Smith würde die volle Härte von diesem treffen. Ich mag eingekerkert sein wie ein Tier... so weit würde meine Phantasie aber sicher noch reichen.

Ich blicke gerade auf den Aufgabenzettel und will schon zu schreiben beginnen, als mir etwas besseres einfällt. Ich stehe auf, den Zettel in meiner Hand, gehe die paar Schritte zu meiner Toilette und demonstriere was ich von dieser Aufgabe halte: eines weiß ich, der Toilettengang hier in diesem Loch war noch niemals so erfreulich.

Nach getaner Arbeit nehme ich einen weiteren Zettel und schreibe folgende Worte darauf:

"Ich bin wunschlos glücklich und bejahe das Leben!"

Keine Ahnung wie lange es her war, dass ich das letzte mal gelacht habe. Auf jeden Fall war es wirklich eine Wohltat und für den Bruchteil eines Momentes fühlte ich mich frei und glücklich. Ironie des Schicksals, hat mir doch diese dämliche Aufgabe doch einen Glücksmoment beschert. Diesen Abend habe ich so gut wie schon ewig lange nicht mehr geschlafen. Keine Träume, kein Gesicht, keine Frage. Auch wenn ich es beinahe nicht niederschreiben kann: Danke Doc!



1. August 2012:



Leben. Lebenswert. Erleben. Lebendig. Ich lebe, du lebst. Er, sie, es lebt. Wir leben. Ihr lebt. Sie leben. Lebensnotwendig. Leben, notwendig.

Lebensende... Ende...

...Tot!

Keine Lust. Schwere Gedanken. Kann mich kaum aus den Bett heben. Bin müde. So verdammt müde!



2. August 2012:

 
Halleluja. Seine Heiligkeit, Reverend Timothy Zubratzki, Baptisenprediger aus Garrison, hat mir heute einen Besuch abgestattet. Ich habe noch keinen Menschen in einem fünf minütigem Gespräch so oft die Worte Sünde, Hölle, Fegefeuer und Verdammnis sagen gehört. Nach besagten fünf Minuten hab ich ihn nach Zahnseide gefragt.

Er hat mich nur verdutzt angesehen. Der Wächter neben ihm hat sich lauthals lachend beinahe nicht mehr eingekriegt. Nachdem sich der Prediger bekreuzigt hatte, verließ er, dicht gefolgt vom immer noch erheiterten Wächter, entgeistert meine Zelle und ward nie mehr gesehen!

AMEN



17. August 2012

Heute war mein Anwalt zu Besuch... ich korrigiere, mein Pflichtanwalt. Das sind jene vom Staat bezahlte Rechtsverdreher, welche die armen Seelen vor Gericht vertreten müssen, die kein Geld haben um sich Gerichtsurteile über wirkliche Anwälte "kaufen zu lassen".

Das mag eine sehr zynische Sicht der Dinge sein, aber diese Meinung dürfte sich mit etwa 95 Prozent jener der restlichen Amerikaner decken.

Ted Riley, so sein Name, dürfte das letzte mal vor einem Jahr bei mir gewesen sein. Damals hat er mir die schlechte Nachricht überbracht, dass meinen Antrag auf Wandlung meiner Strafe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe abgelehnt worden war. Ted kam die letzten Jahre immer nur vorbei um mir schlechte Nachrichten zu überbringen. Keine Geburtstagsbesuche, keine Päckchen zu Weihnachten, keine "halte durch" Parolen, Kein Truthahn zu Thanksgiving, oder ein Sixpack Bier zur Übertragung des Superbowl.

Da überrascht es nicht, dass ich keine Freudensprünge gemacht habe, als er angemeldet worden ist. Als er auch dieses mal ohne Bier, Geschenk und freundlichen Gesichtsausdruck in meine Zelle getreten ist, wollte ich eigentlich den Grund seines Besuches gar nicht erfahren. Ohne groß Aufhebens zu machen überreichte er mir ein Kuvert und eine Akte, brachte noch ein schüchternes "Tut mir leid." über seine schmalen Lippen, machte wieder kehrt und war wieder verschwunden. Die Zellentür fiel wieder ins Schloss und plötzlich herrschte eine unheimliche Stille. Ich drehte das Stück Papier in meiner Hand und ein Siegel stach mir in's Auge... das Siegel des Supreme Courts von Texas.

Meine Hände begannen heftig zu zittern und mich überkam panische Angst. Ohne auch nur den Umschlag zu öffen, wusste ich was ich hier in Händen hielt. Ich hatte immer zumindest ungefähr gewusst, wie lange ich noch in dieser Welt verweilen würde seit dem ich hier eingekerkert war... aber wenn ich richtig vermutete, hielt ich hier einen Brief in meinen Händen, der mir den genauen Zeitpunkt meines Todes darlegen würde.

Hier in diesem Brief hatten andere Menschen den Tag beschlossen, an dem ich sterben würde. Plötzlich besaß mein Leben ein Verfallsdatum. In diesem Moment fühlte ich mich bereits tot. Das Kuvert und die Akte fielen aus meinen zittrigen Händen und zu keiner weiteren Handlung fähig, verkroch ich mich in meine Pritsche und habe geweint... zum ersten Mal in meinem Leben!

Der Umschlag blieb verschlossen!

7. August 2012

 
Depressionen:


Depressiv (lateinisch deprimere ‚niederdrücken‘) bezeichnet umgangssprachlich einen Zustand psychischer Niedergeschlagenheit. In der Psychiatrie wird die Depression den affektiven Störungen zugeordnet. Im gegenwärtig verwendeten Klassifikationssystem psychischer und anderer Erkrankungen (ICD 10) lautet die Krankheitsbezeichnung depressive Episode oder rezidivierende (wiederkehrende) depressive Störung. Die Diagnose wird allein nach Symptomen und Verlauf gestellt. Zur Behandlung depressiver Störungen werden nach Aufklärung über die Ursachen und den Verlauf der Erkrankung Antidepressiva eingesetzt, aber auch reine Psychotherapie ohne Medikation, wie beispielsweise tiefenpsychologische oder verhaltenstherapeutische Verfahren.



Danke Wikipedia für diese achso treffende Beschreibung meines Gemütszustandes... Vor allem den Teil mit der Behandlung find ich klasse. Die Ursachen müssen geklärt werden.

Der Umschlag ist immer noch nicht geöffnet. Er liegt unter meiner Pritsche, unangetastet, so gut wie es eben geht verdrängt. Und dennoch hängt er über mir, wie das sagenumwobene Schwert des Damokles.

 

24. August 2012

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.09.2011

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