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Von solchen Abschiedgeschichten soll es Hunderte geben. Die von Fred zum Beispiel. Den ganzen Nachmittag hatte er auf der Couch herumgelümmelt, wo der blauäugige Junge mit seiner Mutter Jurassic Park angeguckt, zärtlich seinen Kopf in ihre Halsbeuge gelegt und geflüstert hatte: „Du riechst so gut.“ Um dann beiläufig zu verkünden, er werde den Abend bei einem Kumpel verbringen.

Oder Tahar. Der soll seine Sporttasche gepackt haben, als wolle er zum üblichen Boxtraining.

Sam, der Schreinerlehrling, hatte sich vor dem Wohnblock seiner ehemaligen Freundin aufgepflanzt, der er einige Wochen zuvor den Laufpass gegeben hatte, weil sie sich nicht zum Islam bekehren wollte. „Ich will nicht mehr, dass wir uns streiten. Verzeih mir!“

Yacine, Mo und Mourad, drei Freunde aus einem Straßburger Hochhausviertel, hatten ihren Familien gesagt, sie würden in die Berge fahren und dort die Sau rauslassen. Die Brüder Marc und Jordan aus Nizza hatten sich vor ihren Eltern in einer Parfümwolke aus dem Staub gemacht. Es sollte zum Anmachen in die Disco gehen.

Und so weiter, und so fort… 15, 17, 18 Jahre alt. Auch Mädchen. Ein fünfzehnjähriges, junges Ding zum Beispiel, mit einem Baby, knapp ein Jahr alt. „Ich werde von nun an ein Leben mit einem richtigen Ziel, einem richtigen Sinn führen“, hatte der jüngste der Straßburger Jungen auf einen Zettel gekritzelt, den er in den Briefkasten der Eltern stopfte.

Die einen klauen die Kreditkarte des Vaters. Andere bekommen das Geld von erleuchteten Salafisten, entweder auf Internet oder von irgendwelchen trotteligen Vollbärten direkt nebenan. Mit der Turkish Airlines geht es nach Istanbul. Dann weiter an die syrische Grenze, wo sie von einer der zahlreichen islamischen  Gruppen aufgefangen werden. Die Lausbuben aus Frankreich sind den kampferprobten Djihadisten nicht geheuer. Nur wenige sprechen Arabisch, einigen wird’s kurz nach der Ankunft mulmig und wollen den Eltern eine Nachricht zukommen lassen. „Sei Deiner Familie ein Fremder. Allah wird es Dir danken.“ Den neuen Vornamen werden die obligaten Abou oder Ibn beigefügt. Und zur Einstimmung geht’s ab in die Koranschule. Erst muss der Kopf gerichtet werden, der heldenhafte Dienst mit der Waffe kommt später.

Der Dienst mit der Waffe gegen Assad. Die neuen internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco. Damals hieß es Republik gegen Diktatur. Heute Scharia gegen den Diktator Assad. Den Brüdern und Schwestern beistehen, die von den anderen Ländern im Stich gelassen werden. Eine neue Wertordnung erkämpfen. Von den Kriegsspielen mit der X-Box ohne Umweg hinein in eine Wirklichkeit, in der die in den Straßen Aleppos gestapelten Leichen nach Moschus riechen, und wo nach dem Sieg die Scharia herrschen soll. 15, 17, 18 Jahre alt. Jugendliche. Zu Hunderten. Auch Mädchen, wie gesagt. Stirbt einer von ihnen im Kugelhagel oder unter den Bomben, wird den Eltern eine SMS zugesandt: „Euer Sohn ist den Heldentod eines Märtyrers gestorben.“ Die wenigen, die bislang zurückgekommen sind,  erwarten der hiesige Sicherheitsdienst, Verhöre und ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Vereinigung. Das Land fürchtet seine eigenen Jugendlichen. Das Land, welches säbelrasselnd vor einem Jahr mit den Amerikanern in Syrien gegen Assad in den Krieg ziehen wollte, in buchstäblich letzter Sekunde aber einen Rückzieher machte, weil der amerikanische Kongress seinem Präsidenten kein grünes Licht gegeben hatte. Das Land, in dessen Wohnsilos Mo, Tahar, Mourad, Yacine, Fred, Marc, Jordan Helden und Vorbilder sind und Syrien „The place to be“.

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Tag der Veröffentlichung: 25.02.2014

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