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17. Februar 2009

Es war ein kalter Dienstagnachmittag. Vor einer knappen Stunde hatte es aufgehört zu schneien und Opa war auf das Gerüst vor Nachbars Haus gestiegen, weil er dem gebrechlichen Herrn versprochen hatte die Reklame für dessen Honig zu reparieren und zu erneuern. Ich sah ihm dabei zu. Es faszinierte mich, dass er trotz seines Alters von bereits 70 Jahren noch so rüstig war. Ich betrachtete das Gerüst. Es bestand nur aus ein paar rostigen Metallriemen, über denen ein Brett lag, war alt, zum Teil kaputt und wirkte alles andere als sicher. Unter ihm ragten Eisenstäbe aus dem Schnee. Sie erinnerten mich an Fallen, wie sie in Computerspielen häufig zu sehen sind. Man fällt in ein Loch und wird aufgespießt. Im Sommer wuchsen hier Erbsen, doch jetzt war alles mit Schnee bedeckt. Ich stellte mir vor was geschehen würde, wenn das Brett nachgeben sollte. Nein. Ich hätte nicht daran denken sollen, denn kaum hatte ich zu Ende gedacht, geschah es. Das Brett knackte und zerbrach. Ich zuckte zusammen und im nächsten Moment hing Opa an der Reklame. Das Brett fiel zu Boden. Opa rief meinen Namen. Ich sollte Hilfe holen, doch ich stand reglos da und starrte ihn an. Ich weiß nicht warum ich nichts tat. Ich hätte sofort loslaufen sollen. Doch ich tat nichts. Opa rief immer wieder meinen Namen. Und dann reichte seine Kraft nicht mehr aus. Er rief noch ein letztes Mal. Verzweifelt. Durchdringend. Dann rutschte er ab und fiel. Er fiel direkt in die Eisenstäbe. Scharf durchstachen sie seinen Körper. Immer noch reglos stand ich da und sah zu, wie sich der Schnee langsam rot färbte. Dann durchfuhr es mich wie ein Blitz: Opa! Meine Starre löste sich plötzlich. Ich rannte zu ihm hin, rüttelte an ihm, schrie. Aber es half nichts. Denken konnte ich nicht. Tränen strömten über mein Gesicht, vermischten sich im Schnee mit Opas Blut. Doch es war zu spät. Er war tot. Und ich war schuld. Ich hatte ihn getötet, ohne es zu wollen. Es war meine Schuld. Ich weiß nicht wie lange ich so neben meinem toten Opa im Schnee hockte. Ich weiß auch nicht wie ich von dort weggebracht wurde. Aber seit diesem Tag kann ich den Klang meines Namens nicht mehr ertragen. Sobald mich jemand bei meinem Namen nennt, durchbohrt mich der messerscharfe Gedanke: Du bist ein Mörder.
Ich habe lange gebraucht, um meine Mitmenschen an meinen Spitznamen zu gewöhnen, aber endlich hat es funktioniert.
Mein Name ist tot, seit Opa starb. Er ruht mit ihm im selben Grab.
Weißt du, ich will einfach nur, dass die Leute akzeptieren, dass ich meinen Namen nicht hören will. Man muss nicht immer wissen warum jemand etwas mag oder nicht mag, will oder nicht will. Manchmal muss man es einfach akzeptieren, denn hinter jeder scheinbaren Kleinigkeit kann möglicherweise etwas großes, ernstes verborgen sein.


Nur deshalb habe ich es dir erzählt...

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Tag der Veröffentlichung: 28.10.2010

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