Romms! Krachend flog die Kellertür hinter mir ins Schloss, der Riegel wurde vorgeschoben und ich saß alleine in dem dunklen, feuchtkalten und dazu noch engen Raum. Das Leben als Sklave war nicht leicht, aber dass es so weit kommen würde, hätte ich nicht gedacht.
Im Dämmerlicht, das durch ein kleines verschmutztes Fenster, knapp unter der Decke, fiel, sah ich an mir herunter. Ich trug noch immer die verschmutzte, zerrissene Kleidung, die ich angehabt hatte, als ich noch an den Ausgrabungen eines verschütteten Tempels in Sylto hatte arbeiten müssen. Jetzt war ich hier auf Marinol. Gefangen, verkauft, Sklave eines neuen Herrn! Was würde mich erwarten, wenn ich versuchte zu fliehen? Und was erwartete mich jetzt?
Wenn ich meine Kleidung weiterhin tragen sollte, würde sie ihren Zweck bald nicht mehr erfüllen.
Ich setzte mich auf eine Kiste und wartete. Was sollte ich auch anderes tun?
Es dauerte eine Weile, bis die Tür geöffnet wurde und ein Mann herein kam. Er deutete mir an ihm zu folgen und ging dann voraus, eine Treppe hinauf, durch eine Tür und ins Freie. Seltsamer Weise schien er mir zu vertrauen, denn er drehte sich kein einziges Mal nach mir um, sondern führte mich einfach in eine kleine, aber gemütliche Hütte. Es war niemand da.
„Ich bin übrigens Lares“, stellte sich mein Führer vor. „Und wie heißt du?“
„Tyrone-Jame, gab ich kurz zur Auskunft. Lares nickte. Du kannst dich ruhig umsehen, aber warte hier“, sagte er ungewohnt freundlich und verschwand nach draußen.
Ich sah mich um. Die Hütte bestand nur aus einem Zimmer. In einer Ecke stand ein Kamin und auf der gegenüberliegenden Seite ein Tisch mit zwei Stühlen. Auch einen Schrank gab es und eine Leiter führte nach oben auf ein Bett. Vor dem Kamin stand sogar ein Sessel und auf dem Boden lag ein großer Teppich. Erhellt wurde die Hütte nur durch drei Fenster und das Kaminfeuer.
Lares hatte die Tür noch nicht einmal verschlossen. Ich hätte gehen können, aber ich tat es nicht, sondern wartete einfach.
Plötzlich trat ein Mädchen ein. Sie war vielleicht siebzehn Jahre alt und wunderschön. Ihr schwarzes, glattes Haar fiel ihr auf die Schultern und bekleidet war sie mit einem hübschen knielangen Kleid aus Wildleder, das Arme und Beine frei ließ. Auch ihre Sandalen passten dazu. In ihrem hübschen Gesicht strahlten die schönsten schwarzen Augen, die ich je gesehen hatte. Ich selbst war zwar auch dunkelhaarig, aber mein Haar war nur braun und außerdem hatte ich grüne Augen. Nur unsere Hautfarbe war fast gleich. Relativ dunkel und eigentlich schön.
Das Mädchen reichte mir die Hand und sagte: „Ich bin Leanna und du heißt Tyrone-Jame, nicht wahr?“
Ich nickte nur und schüttelte ihr zögernd die Hand. Es war ungewohnt so freundlich behandelt zu werden.
Leanna musterte mich und schüttelte den Kopf, dann ging sie durch den Raum und öffnete eine Bodenklappe.
„Komm mal mit“, sagte sie und stieg eine Treppe nach unten. Ich folgte ihr und gelangte in einen kleinen Raum, in dem ein großes, halbes Fass stand. Es war mit dampfendem Wasser gefüllt, und bildete sogar Seifenbläschen.
„Ich glaube es ist besser, wenn du jetzt erst einmal ein Bad nimmst, bevor wir über andere Dinge reden.“ Sie machte eine einladende Handbewegung zum Fass hin.
„Ich werde kurz noch etwas besorgen. Du wirst mich bestimmt hören, wenn ich wieder da bin und wenn du fertig bist, kannst du mich rufen, aber komme nicht auf die Idee deine alten Sachen wieder anzuziehen Ich besorge dir neue.“ Mit diesen Worten verschwand Leanna und ich machte mich daran ein Bad zu nehmen.
Tatsächlich hörte ich bald, wie sie über mir in der Hütte umher ging. Als ich fertig war, rief ich nach ihr. Ich hatte mir ein Handtuch um die Hüften gebunden.
„Darf ich herunter kommen oder möchtest du das nicht?“, hörte ich Leanna von der Treppe her rufen.
„Ihr könnt kommen!“, rief ich zurück und sie trat zu mir.
„Nenne mich bitte einfach nur Leanna und sag du zu mir“, bat sie und hielt mir saubere Kleidung aus Wildleder hin. Eine Hose, ein Hemd und auch Schuhe. Ich nahm alles entgegen und bedankte mich.
„Zieh besser erst nur die Hose an und komm dann zu mir nach oben“, sagte sie und verschwand wieder. Ich gehorchte. Als ich nach oben kam, schloss Leanna die Bodenklappe und sagte: „Leg das Hemd und die Schuhe erstmal auf den Tisch und setzt dich dann auf diesen Stuhl. Ich möchte dir die Haare etwas kürzen.“
Sie brachte mein Haar in Ordnung und rasierte mich auch. Als sie fertig war, zog ich mir auch das Hemd und die Schuhe an, während Leanna alles aufräumte.
„Komm“, sagte sie, als sie fertig war und deutete hinüber zum Tisch, auf dem ich erst jetzt eine kleine Truhe entdeckte. Leanna brachte aus ihr leckere Speisen zum Vorschein und deckte mir den Tisch. Ich zögerte erst, aß dann aber, wobei sie mich spürbar betrachtete.
„Darf ich dich auch einfach Tyrone nennen?“, fragte sie schließlich.
„Natürlich, Leanna“, sagte ich, weil mir plötzlich bewusst wurde, dass ich bis jetzt eher zurückhaltend gewesen war.
„Gut. Tyrone, mein Vater hat dich gekauft. Du bist der erste Sklave den er hat und er hat dich nicht gekauft, weil er einen Arbeiter oder ähnliches braucht, sondern weil er gesehen hat, wie hilflos du warst. Er hat mich gebeten, dass ich mich um dich kümmere und das werde ich gerne tun. In der Öffentlichkeit wirst du wohl weiterhin als Sklave gelten, aber für dich soll alles anders werden. Diese Hütte gehört dir. Ich werde dir jeden Tag das Essen bringen. Der Rest bleibt dir überlassen. Natürlich helfe ich dir gerne, wenn du Hilfe brauchst. Du kannst dich frei in Nentien und auf ganz Marinol bewegen, Hauptsache du trägst diesen Reif an deinem Arm, woran man erkennt, dass du einen Besitzer hier in Nentien hast.“
Sie gab mir einen Armreif.
„Ich würde dich nicht bitten ihn zu tragen, wenn ich nicht wüsste, dass es notwendig ist. Und Tyrone“ Sie sah mir direkt in die Augen. „Lass es nicht soweit kommen, dass man dich für einen entlaufenen Sklaven hält, weil du den Reif nicht trägst. Ich möchte dass du glücklich wirst. Versprichst du mir das?“
Ich nickte und sagte leise: „Danke, Leanna!“
Als ich am nächsten Morgen aufgestanden war, warf ich einen Blick in den Schrank. An einer Seite hingen ein paar Kleidungsstücke und auf einem Brett befanden sich ein paar Waffen. Ich sah sie mir genauer an. Ein Dolch, ein Schwert und ein Bogen mit dazugehörigen Pfeilen.
Als ich den Schrank wieder schloss, klopfte es. Ich öffnete die Hüttentür. Leanna stand vor mir. Sie grüßte mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ und einem strahlenden Lächeln. Ich grüßte ebenfalls und trat zur Seite, damit sie eintreten konnte. Sie trat ein und deckte mir schweigend den Tisch. Als sie fertig war, setzte ich mich, aß aber nichts.
„Magst du´s nicht?“, fragte sie und setzte sich mir gegenüber. Ich blickte auf. „Doch, aber ich verstehe nicht, warum dein Vater mich gekauft hat, wenn er mich gar nicht braucht.“
Leanna lächelte und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn, was bei dem kleinen Tisch problemlos möglich war.
„Er wollte dir nur helfen. Ich hoffe dir ist jetzt geholfen?“
Ich nickte.
„Dann iss jetzt. Frierst du?“
„Nein, du etwa?“
„Nein, aber wenn dir kalt wäre, würde ich im Kamin Feuer machen.
„Wegen mir ist das nicht nötig.“
„Gut.“
Als ich mit dem Essen fertig war, fragte ich: „Was sind das für Waffen in dem Schrank?“
„Ach, ich hatte vergessen es dir zu sagen. Es ist besser, wenn du nicht ohne Waffen aus dem Haus gehst. Es kann leicht vorkommen, dass dir gefährliche Tiere über den Weg laufen. Riesenratten oder Höllenhunde zum Beispiel. Die musst du natürlich erledigen können, wenn sie dich angreifen. Kannst du mit Waffen umgehen?“
„Ich habe es noch nie ausprobiert.“
„Das ist schlecht, aber Lares ist einer der besten Krieger in Nentien. Ich werde ihn bitten, dass er es dir beibringt, damit du nicht hilflos bist, wenn irgendein Tier dich angreift. Er macht das bestimmt.“
Ich nickte. „Danke!“
„Dann schicke ich ihn dir nachher vorbei und das hier gehört auch dir.“ Sie reichte mir einen Lederbeutel. „Ich werde dir alle zehn Tage so einen Beutel geben. Ob du noch zusätzlich etwas machst, ist deine Sache. Es gibt viele Leute, die sicher Aufgaben für dich haben. Du musst nur nachfragen. Außerdem kannst du den einzelnen Gilden beitreten. Es gibt die Kriegergilde, die Magiergilde und die Diebesgilde. Ob du ihnen beitrittst, kannst du selbst entscheiden.
Nachdem Lares mir das Kämpfen und auch den Umgang mit dem Bogen beigebracht hatte, machte ich mich auf den Weg, mich in der Stadt umzusehen. Nentien war nicht sehr groß, man konnte sich also nur schwer verlaufen. Der Lederbeutel, den Leanna mir gegeben hatte, beinhaltete 300 Gold. Für meine Begriffe war das viel, als ich aber bei einigen Händlern vorbei schaute, merkte ich bald, dass es lage nicht so viel war, wie ich immer angenommen hatte.
Auf dem Rundgang durch die Stadt fragte ich einen Mann, der mir entgegen kam: „Könnt Ihr mir sagen, wo die Kriegergilde ist?“
Der Mann nickte. „Sicher kann ich das. Ihr seid wohl neu hier. Mein Name ist Fernando. Die Kriegergilde ist gleich hier um die Ecke, das zweite Haus. Hier, nehmt dies. Es wird Euch eine große Hilfe sein.“
Fernando drückte mir eine Karte in die Hand. „Wie ist Euer Name Fremder?“
„Tyrone-Jame“, antwortete ich und bedankte mich, bevor ich weiter ging. Kurz darauf betrat ich das Haus der Kriegergilde. In der Eingangshalle stand ein Mann in voller Rüstung vor einer Tür, die in weitere Räume führte und an einer Wand gab es einen Stand, wo ein weiterer Mann ein paar Waffen anbot.
„Ihr dürft sprechen!“, hörte ich plötzlich eine Stimme neben mir. Ich drehte mich um und sah mich einem dritten Mann gegenüber.
„Ich heiße Tyrone-Jame und möchte gerne der Kriegergilde beitreten.
„So? Mein Name ist Tuun. Ihr wollt also der Kriegergilde beitreten?“
„Wenn es möglich ist, ja.“
„Es ist durchaus möglich. Allerdings müsst Ihr zuerst einen Auftrag erfüllen. Geht zu Socrates, unserem Anführer und nennt ihm Euer Anliegen. Er wird Euch eine Aufgabe geben. Viel Glück, Tyrone-Jame Socrates hat seinen Platz im letzten Zimmer.“ Tuun zeigte an dem Mann in der Rüstung vorbei, drehte sich um und ging.
Socrates war ein stämmiger Mann in einer Smaragdrüstung. Er sah aus wie ein einziger Edelstein. Sonst sah man von ihm nicht viel. Seinen Kopf zierte der Helm der Rüstung.
„Was wollt Ihr?“, fragte er als ich vor ihm stand. Ich nannte ihm mein Anliegen.
„Ich möchte gerne der Kriegergilde beitreten. Man hat mich zu Euch geschickt.“
„Ihr wollt uns beitreten? Sehr erfreut. Könnt Ihr kämpfen Fremder?“
„Noch nicht sehr gut, aber ich bin mir sicher, dass ich mit der Zeit an Geschick und Können zunehmen werde. Mein Name ist Tyrone-Jame.“
„Nun, wenn Ihr uns beitreten wollt, müsst ihr zuerst eine Aufgabe erledigen. Seid Ihr dazu bereit?“
„Ja, was soll ich tun?“
Socrates lachte. „Eine gute Frage. Kennt Ihr euch in der Stadt bereits aus? Ich nehme an Ihr seid nicht von hier.“
„Nein, das bin ich durchaus nicht, aber ich denke die meisten Orte werde ich finden.“
„Gut. Lasst mich mal überlegen. Uns ist vor einiger Zeit ein wertvolles Schwert abhanden gekommen. Ein magisches Schwer, das ein Geschenk der Magiergilde an unsere Gilde war. Einige Krieger sagen, Hele, die Töpferin habe es gestohlen, aber niemand weiß es genau. Geht und findet heraus, was mit dem Schwert geschehen ist und bringt es unserer Gilde zurück.“
„Ich werde tun was ich kann“, versprach ich, obgleich ich nicht wusste, wie ich vorgehen sollte, verabschiedete mich und machte mich auf den Weg zu Hele. Zuerst würde ich ihr Vertrauen gewinnen müssen, bevor ich etwas erfuhr, das war mir klar, aber wie ich etwas erfahre sollte, wusste ich nicht.
Hele empfing mich in ihrem Töpferlädchen mit einem zuckersüßen Lächeln und sagte: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch helfen kann, aber ich werde es versuchen!“
Ihre Stimme klang hoch. Wenn sie sang, klirrten mit größter Wahrscheinlichkeit alle Gläser. Hele gefiel mir auf Anhieb überhaupt nicht. Aus ihrem schmalen Gesicht blickten zwei Katzenaugen hochmütig und voller Stolz in ihre Umwelt. Ihre kleine, spitze Nase passte zu ihrem zusammengezogenen Mund, der ständig von einem gekünstelt aufgesetzten Lächeln umspielt wurde und verlieh ihr das Aussehen einer noch jungen Hexe. Sie war hässlich. Im Gegensatz zu ihr war Leanna, die ja ohnehin schon unbeschreiblich hübsch war, eine wahre Schönheit. Aber warum verglich ich Hele mit Leanna? Ich war hier um eine Aufgabe zu erledigen, nicht um über das Aussehen zweier Mädchen, beziehungsweise Frauen, nachzudenken. Hele musste vielleicht dreißig Jahre alt sein.
„Gefalle ich Euch?“, fragte sie, als ich sie nur schweigend musterte.
„Oh ja, sehr“, log ich. Mir kam plötzlich eine scheußlicher Einfall.
„Ah, das freut mich. Wie ist Euer Name, Fremder?“, fragte sie.
„Rone“, sagte ich kurz, weil ich nicht darauf erpicht war, sie in Wahrheit zu erobern. Wenn ich schon angefangen hatte zu lügen, dann konnte ich es auch weiter tun. Rone passte ja auch zu meinem ersten Namen Tyrone.
„Das gefällt mir. Ich bin Hele. Ist der Name nicht toll?“
„Er ist wunderbar“, behauptete ich und wunderte mich über mich selbst. Ich war erst achtzehn und versuchte eine drießigjährige Frau zu verführen, nur um ein Schwert zu bekommen, das mir den Eintritt in die Kriegergilde verschaffen sollte.
Es war erstaunlich leicht Hele völlig für mich zu gewinnen. Sie vertraute mir sehr bald. Zwar wurden mir die drei Stunden, während denen ich mich mit ihr „anfreundete“ recht lang, aber es lohnte sich.
„Ihr seid sicher ein guter Kämpfer, nicht wahr?“, fragte sie Schließlich.
„Ich denke sogar der Beste“, gab ich hochmütig von mir. Hele lachte. „Das will ich wohl glauben.“
Ich sah meine Gelegenheit und sagte: „Bei Zeiten werde ich mir ein Schwert zulegen, mit dem ich unschlagbar bin. Magisch sollte es sein und unendlich wertvoll.“
Hele sah mich lächelnd an. „Ich hatte für kurze Zeit ein sehr wertvolles magisches Schwert.“ Ihre Augen blitzten verschwörerisch. „Ich hatte es der Kriegergilde gestohlen, später aber an einen Waffenhändler in Perüll verkauft.“
„Perüll?“, fragte ich. Das Wichtigste hatte ich erfahren. Es war ein wahrer Erfolg.
„Eine Stadt östlich von hier, aber der Weg dorthin ist weit.“
„Ich werde sehen, was die Waffenhändler hier zu bieten haben“, sagte ich, um von dem Schwert abzulenken und verabschiedete mich sobald wie möglich.
„Beehrt mich bald wieder“, sagte Hele zum Abschied, aber ich war mir sicher, dass ich nicht so schnell wieder einen Fuß in ihren Töpferladen stellen würde.
Als ich in meine Hütte kam, wurde es bereits Abend. Überrascht stellte ich fest, dass Leanna am Tisch saß und wartete. Sie lächelte mir zu.
„Wartest du schon lange?“, fragte ich schuldbewusst. Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin erst gerade gekommen, um dir zu essen zu bringen. Hoffentlich hattest du einen Schönen Tag.“
Ich verzog das Gesicht. „Schön? Er war sozusagen erfolgreich, aber nicht schön.“
Leanna sah mich fragend an. Ich erzählte ihr alles über Hele und das magische Schwert. Sie lachte. „Du bist mir ja einer. Aber Verstand hast du, das muss man die lassen. Ich habe von Hele gehört, kenne sie aber nicht.“
„Sei froh“, sagte ich. „Es war einfach scheußlich. Sie stand mir zwar nur gegenüber, aber das war mir schon zu nah.“
Leanna legte den Kopf schief und sah mich scheinbar nachdenklich an. „Ist es dir auch zu nah, wie ich dir gegenüber sitze?“
Ich lächelte. „Nein, Leanna. Bei dir ist das ganz anders. Dich mag ich ja.“
„Na dann ist es ja gut. Willst du morgen nach Perüll gehen?“
„Ich denke schon.“
„Gut, ich bringe dir morgen dein Frühstück und dann darfst du gehen.“ Sie lächelte. „Aber ich glaube es ist besser, wenn du reitest. Das geht schneller und spart außerdem deine Kraft. Wenn ich morgen vorbeikomme, bringe ich dir ein Pferd meines Vaters mit.“
„Wirklich?“, fragte ich ungläubig.
„Natürlich.“
„Aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich früh wieder da bin.“
„Das macht nichts. Ich warte dann eben auf dich.“
„Und wenn ich ganz spät komme?“
„Dann warte ich auf dich.“
„Leanna!“
„Willst du nicht, dass ich warte?“
„Ich fände es toll, aber ich will dir nichts zumuten.“
„Das tust du doch gar nicht. Ich mag dich eben, Tyrone.“
In Perüll brachte ich den Hengst Coco, den Leanna mir gegeben hatte in einem Mietstall unter und suchte ein paar Waffenhändler auf. Berbo empfing mich mit den Worten: „Fasst Euch kurz!“
Offenbar war seine Stimmung nicht gerade die beste. Ich fragte: „Habt Ihr magische Waffen im Angebot?“
„Sehe ich aus wie ein Magier? Ich muss Euch enttäuschen, Fremder.“
Ich verabschiedete mich und trat in den Laden eines weiteren Waffenhändlers. Martin war bester Laune und rief erfreut: „Willkommen Fremder. Was darf ich Euch anbieten? Schwerter, Dolche, Bogen oder sogar magische Helfer?“ Er grinste.
„Ich hätte gerne ein magisches Schwert“, sagte ich.
„So? Da habe ich drei von. Sie sind selten, müsst Ihr wissen.“
Ich sah ihn fragend an. „Wie kommt es dann, dass Ihr gleich drei davon habt?“
„Ja, das ist so: Zwei erbte ich von meinem Großonkel, er war Magier. Und das dritte verkaufte mir eine Töpferin aus Nentien für einen Spottpreis. Offenbar hatte sie keinen Schimmer von dem hohen Wert eines solchen Schwertes. So, hier sind sie.“ Martin legte drei Schwerte auf den Tisch. „Dieses verkaufte mir die Töpferin.“ Er zeigte auf ein Langschwert, das bläulich glänzte.
„Ich würde es gerne kaufen, nur habe ich nicht viel Gold. Was muss ich tun, damit Ihr es mir so überlasst?“
„Nun, Ihr könnt durchaus etwas für mich tun. Nicht weit von hier liegt die Stadt Arade. Auf dem Weg dorthin befindet sich eine Höhle. Ich ging, einige Zeit zurück, aus Neugier hinein und verlor dort einen Geldbeutel mit 50000 Gold, weil ich von einem Rudel Höllenhunde angegriffen wurde. Bringt ihn mir und das Schwert gehört euch.“
Ich nahm den Auftrag an und fragte: „Wo liegt die Straße nach Arade?“
„Geht durch das Nordtor den Weg immer geradeaus. Ihr werdet die Tür zur Höhle sehen.“
„Gut. Lebt wohl.“ Ich machte mich auf den Weg. Die Höhle war nicht schwer zu finden. Bevor ich sie betrat, zögerte ich. Was würde mich erwarten? Ich betrat die Höhle und sah mich erstaunt um. Gerade mal fünf Meter vor mir ging es steil nach unten. Eine Hängebrücke führte über den Abgrund. Alles wurde von Fackeln, die an den Wänden hingen, erhellt. Ich trat auf die Brücke und sah nach unten. Unter mir tummelten sich mindestens zwanzig Höllenhunde. Verwundert ging ich weiter. Ein Gang führte tiefer in die Höhle hinein. Vorsichtig ging ich ihn entlang. Schließlich machte er einen Knick. Ich blieb stehen und lauschte. Leise hörte ich jemanden pfeifen. Ich ging weiter und blickte kurz darauf in eine Art Zimmer der Höhle. In einer Ecke saß eine Frau vor einer Art Kamin und schien etwas zu kochen und auf einem Lager aus Heu hockte ein Kind. Es war ein kleiner Junge. Als er mich erblickte, schrie er auf. Die Frau drehte sich abrupt um und starrte mich an. In ihren Augen sah ich nackte Angst.
„Was wollt Ihr?“, fragte sie heiser. Ich antwortete nicht, sondern überlegte. Von einer Frau und einem Kind hatte Martin nichts gesagt. Was also war hier los?
„Wer seid Ihr?“, fragte die Frau.
„Mein Name ist Tyrone-Jame. Und wer seid Ihr?“
Ich sah, wie sei aufatmete und ein Teil ihrer Angst wich.
„Seid Ihr gekommen mich zu holen?“, fragte sie. Ich sah sie fragend an. „Warum denn? Ich kenne Euch nicht und weiß nicht, wer Ihr seid.“
„Ich bin Sussan und das ist Tummy.“ Sie zeigte auf den kleinen Jungen.
„Was macht Ihr hier?“, fragte ich. Sussan zögerte. Als sie aber meinen Rreif erblickte, der ihr sagte, dass ich ein Sklave war, sagte sie: „Wir sind Sklaven. Allerdings geflohen. Hier haben wir uns versteckt.“
„Woher kommt Ihr denn?“
„Aus Pareador.“
Ich pfiff leise durch die Zähne.
„Zu Fuß?“
„Ja. Der Weg war sehr schwer.“
Dase konnte ich mir gut denken. Pareador lag in südlicher Richtung von Arade und der Weg dorthin war sehr weit.
„Wie habt Ihr denn die Höllenhunde getötet? Das war doch sicher nicht leicht für Euch.“
„Nein, das war es nicht. Sie schliefen immer hier in diesem Raum. Nachts legte ich eine Spur aus Fressen für sie bis in den Graben unter der Brücke. Fast alle fielen hinein. Ich musste nur drei von ihnen töten, aber auch das war schwer.“
„Habt Ihr hier vielleicht einen Lederbeutel mit Gold gefunden?“
„Ja, hier ist er. Gehört er Euch?“ Sussan gab mir einen Lederbeutel.
„Nein, mir nicht, aber einem Bekannten von mir. Er gab mir den Auftrag ihn zu holen.“
„Ich gebe ihn Euch, aber Ihr müsst mir vesprechen kein Wort übe uns zu verlieren.“
„Auch nicht, wenn ich mit einer sehr guten Freundin rede?“, fragte ich, wobei ich an Leanna dachte.
„Wenn sie über uns schweigt, dann ja.“
Ich lächelte und nickte. „Ich danke Euch.- Frierst du?“, fragte ich dann Tummy. Er nickte nur. In der Höhle war es kalt. Nur das Feuer verbreitete etwas Wärme. Ich schüttelte den Kopf. „Ihr holt euch hier draußen noch den Tod.“
„Wir können nirgends hin. Man würde uns sofort fagen.“
Als ich mich von Sussan und Tummy verabschiedete sagte ich: „Ich komme wieder. Lebt wohl.“
Ich brachte Martin das Gold und er reichte mir das Schwert.
„Viel Glück damit, mein Freund“, sagte er und ich ritt schließlich zurück nach Nentien, wo ich die Kriegergilde betrat. Socrates war sehr erfreut, aber gleichzeitig auch sehr erstaunt, dass ich das Schwert gefunden hatte.
„Ihr seid zu etwas fähig, Tyrone-Jame. Willkommen in der Kriegergilde. Nehmt dies, es ist der Dolch der Krieger.“ Er gab mir einen Dolch und reichte mir die Hand.
Leanna wartete tatsächlich in der Hütte auf mich.
„Hallo Tyrone“, grüßte sie.
„Hallo Leanna. Du hast ja tatsächlich auf mich gewartet“, sagte ich erfreut.
„Komm, ich habe dir dein Abendessen auf den Tisch gestellt. Lass es dir schmecken.“
„Ich setzte mich und aß, während wir uns unterhielten.
„Hast du den Auftrag erfolgreich ausgeführt?“, wollte sie wissen. Ich nickte und erzählte ihr, was alles geschehen war. Als ich schließlich mit Sussan und Tummy endete und sagte, Sussan hätte mir das Versprechen abgenommen, dass ich kein Wort über sie verlieren würde und nur mit Leanna darüber reden dürfe, fragte sie ziemlich erstaunt: „Warum nur mit mir?“
„Ich fragte sie, ob ich auch mit einer sehr guten Freundin nicht über sie reden dürfe, da sagte sie: Wenn sie schweigen kann. Und das kannst du ja wohl.“
Leanna lächelte. „Das kann ich allerdings, aber es wundert michein Bisschen, dass wir zwei uns in dieser kurzen Zeit schon so nahe gekommen sind. Du und ich.“
Ich sah sie nachdenklich an. „Leanna, dich kenne ich ja mehr oder weniger gut, aber wer ist eigentlich dein Vater?“
Sie lächelte wieder. „Warum fragst du danach?“
„Ich muss doch wissen, wem ich es zu verdanken habe, dass ich jetzt ein so gutes Leben habe. Ich habe ihn ja nie zu Gesicht bekommen.“
„Also gut, ich will es dir sagen. Mein Vater ist der Kaiser. Eigentlich hasst er Sklaverei. Auf Marinol gibt es wenige Sklaven. Du kommst ja auch nicht von hier. Mein Vater würde die Sklaverei hier auch ganz abschaffen, aber es gibt keinen, der die Arbeit der Sklaven freiwillig machen würde. Insgesamt sind es dreiundzwanzig Sklaven hier. Also auf ganz Marinol. Das ist nicht viel, aber es reicht, um mir nicht zu gefallen. Tyrone, es tut mir so leid, dass du ein Sklave warst.“
„Ich bin auch immer noch ein Sklave, Leanna.“
Sie schüttelte den Kopf. „Deine Entlassungspapiere sind schon fertig. In ein paar Tagen bist du ein freier Mann.“
„Ist das wirklich wahr?“
„Ja, es ist wahr.“
„Aber ich wusste gar nicht, dass dein Vater der Kaiser ist. Ich werde ihm ewig dankbar sein.“
„Aber du kannst trotzdem so weiter leben, wie du es jetzt tust. Ich bringe dir gerne alles vorbei und mag dich auch sonst.“
„Wirklich? Oh, das freut mich. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste mir ein neues Heim suchen, wo es doch hier so schön ist.“
Leanna wechselte das Thema. „Du bist jetzt also Mitglied der Kriegergilde. Meinen Glückwunsch. Willst du auch zur noch Magiergilde?“
„Ich weiß noch nicht genau. Socrates sagte noch zu mir, dass es manchmal auch sind, die ich bekommen werde.“
„Soll ich dir mal was verraten?“
„Ich bin ganz Ohr.“
„Ich bin auch in der Magiergilde.“
„Oh, dann werde ich wohl auch hingehen.“
„Prima, dann können wir ja mal zusammen in paar Aufgaben erledigen.“
Am Nachmittag des nächsten Tages betrat ich die Magiergilde. In der Eingangshalle begrüßte mich eine Frau mit den Worten: „Ihr dürft sprechen.“
„Mit wem muss ich sprechen, wenn ich der Magiegilde beitreten will?“, fragte ich.
„Korax ist unser Anführer. Geht zu ihm und sprecht mit ihm. Er wird Euch sagen, was Ihr tun müsst.- Kommt, ich bringe Euch zu ihm.“
Ich folgte ihr in einen Raum in dem ein Mann stand. Er trug ein ein langes Gewand und sah ziemlich gutmütig aus.
„Willkommen Fremder. Was führt Euch hierher?“, fragte er.
„Ich möchte gerne Mitglied der Magiergilde werden. Mein Name ist Tyrone-Jame.“
„Ihr wollt also Mitglied werden? Das freut mich. Eure Aufgabe wird nicht schwierig sein. Einer der Buchhändler hat ein Buch, das sich Die Weisheit der Tränke nennt. Besorgt es mir. Wie ihr das anstellt, ist Eure Sache.“
Ich suchte also einige Buchhändler auf und fragte nach dem Buch, das Korax mir genannt hatte. Diesmal war es leichter. Gleich der zweite Buchhändler hatte das Buch im Angebot und verkaufte es mir. Erfreut nahm Korax es entgegen und ernannte mich zum Mitglied der Gilde. Als ich mich auf den Weg nach Hause machte, hörte ich zufällig, wie sich zwei Männer unterhielten.
„Habt Ihr schon gehört? Dem Kaiser wird gedroht.“
„Wirklich? Womit droht man ihm denn?“
„Ein Mann namens Simson, auf der kleinen Insel Cotbor, droht, die Tochter des Kaisers zu entführen, wenn dieser ihm nicht die Insel überlässt.“
„Und? Geht der Kaiser darauf ein?“
„Nein, er kennt diesen Simson gut und weiß, dass er auf Cotbor einen großen Sklavenhandel treiben wird. Wir wissen alle, dass der Kaiser den Sklavenhandel verabscheut.“
„Aber was wird dann...?“
Weiter hörte ich nicht zu, sondern ging meines Weges, während ich nachdachte. Leanna sollte entführt werden?
Als Leanna mir mein Abendbrot brachte, sprach ich sie darauf an. „Ich habe gehört, dass du entführt werden sollst, wenn dein Vater einem Mann die Insel Cotbor nicht überlässt. Was ist an dieser Sache wahr?“
Leanna lächelte. „Alles. Simson will die Insel unbedingt besitzen und Vater wollte schon darauf eingehen, aber ich habe es ihm verboten.“
„Hast du keine Angst?“
„Ich weiß nicht. Simson ist im Grunde genommen harmlos.“
„Bist du sicher?“
„So ziemlich. Und wenn auch nicht. Vater könnte mir nie eine Bitte abschlagen, weil ich das Einzige bin, was er hat. Meine Mutter starb bei meiner Geburt und ich habe auch keine älteren Geschwister.“
„Ich weißnichts über meine Familie. Solange ich mir denken kann, war ich immer Sklave und völlig auf mich allein gestellt.“
„Du solltest deine Vergangenheit begraben, Tyrone. Dein Leben ist jetzt ganz anders.“
„Das weiß ich und ich bin auch sehr froh darüber.“
Die Wochen vergingen. Hin und wieder besuchte ich Sussan und Tummy und brachte ihnen etwas zu ihrer Verpflegung mit. Ich kam gerade von einem dieser Besuche zurück, als Leanna das erste Mal nicht auf mich wartete. Ich wunderte mich zwar ein Wenig, dachte mir aber nichts, weil ich wusste, dass sie nicht dazu verpflichtet war. Ich räumte die Hütte auf und trat an ein Fenster. Plötzlich klopfte es an der Tür. Als ich öffnete, stand eine Wache des Kaisers vor mir und fragte: „Ist Leanna, die Tochter des Kaisers hier?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid.“
„Dann bitte ich Euch mir zum Kaiser zu folgen.“ Der Mann drehte sich um und ging voraus. Ich folgte ihm. Der Kaiser empfing mich ziemlich erregt und bedeutete seinen Wachen uns allein zu lassen, worauf sie das Zimmer, in dem wir uns befanden, verließen.
„War Leanna heute schon bei dir?“, fragte der Kaiser.
„Ja“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Sie brachte mir heute Mittag etwas zu essen. Am frühen Nachmittag ging ich nach Perüll. Als ich vor kurzer Zeit zurück kam, war sie nicht da. Ich muss zugeben, dass ich mich darüber gewundert habe, weil es das erste Mal war, dass sie nicht auf mich wartete, aber weil sie ja nicht dazu verpflichtet ist, dachte ich mir nichts dabei. Ist etwas passiert?“
„Das kann man wohl sagen. Leanna ist verschwunden.“
„Verschwunden?“
„Ja, ich nehme an sie ist entführt worden. Das hatte man mir gedroht, denn...“
„Ich weiß. Leanna erzählte es mir“, unterbrach ich den Kaiser entgegen meiner sonstigen Gewohnheit. Er schien es mir jedoch nicht übel zu nehmen. Stattdessen sagte er: „Ja, sie vertraut dir. Deshalb habe ich dich auch rufen lassen. Du musst sie finden. Bitte Tyrone-Jame. Ich habe gelernt, dir ebenfalls zu vertrauen, weil Leanna mir viel von dir erzählte. Du musst sie finden.“
„Das werde ich auch tun, Herr.“
„Davon bin auch ich überzeugt. Nimm diese Rüstung. Sie wird dir sicher helfen.“
Der Kaiser gab mir eine Rüstung und half mir sofort, sie auch anzulegen. Es war keine von den Rüstungen, die den gesamten Körper verdecken, sondern bestand aus einem Brustpanzer, zwei Beinschienen, zwei Stiefeln, zwei Handschuhen und zwei Schulterplatten. Alles aus starkem Leder.
„Hier ist noch ein sehr gutes Kurzschwert. Ich schenke dir das alles, damit du meine Tochter befreist. Draußen wird man dir noch ein Pferd geben. Fang auf Cotbor mit der Suche an. Viel Glück!“
Ich machte mich auf den Weg. Die Stute Mondschein war sehr schnell. Eine der Wachen hatte mir ein Schreiben gegeben, das ich überall vorzeigen sollte, wenn ich mit anderen Hilfsmitteln reisen wollte. Man würde mir ohne Widerrede kostenlos helfen. Am Hafen machte ich gleich davon Gebrauch und fuhr auf einem Schiff nach Cotbor. Mondschein war ein ruhiges Pferd, das vor nichts zurückschreckte. Auf Cotbor fragte ich eine Bürgerin: „Kennt Ihr Simson?“
Sie sah mich erschrocken an. „Simson? Oh ja, er ist ein schrecklicher Mensch und schlägt seine drei Sklaven fürchterlich.“
„Könnt Ihr mir sagen, wo ich ihn finde?“
„Er wohnt in einem kleine Haus am Ende dieser Straße, aber soviel ich weiß, ist er nicht da. Man erzählt, dass er auf eine kleine Insel gefahren sei, aber genau weiß ich das nicht.“
Ich bedankte mich für die Auskunft und suchte das Haus auf, in dem Simson wohnte. Die Tür war nicht verschlossen und ich trat ein. Im ganzen Haus befand sich niemand, also ritt ich zum Hafen und fragte, ob Simson eine Schifffahrt gemacht hatte. Der Hafenmeister wollte mir keine Auskunft geben. Erst als ich ihm des Kaisers Schreiben zeigte, sagte er: „Er fuhr auf die kleine, unbewohnte Insel Gnutus.“
„War er alleine?“
„Das weiß ich nicht. Er mietete ein großes Schiff und fuhr in der Nacht ab.“
„Gebt mir ein Boot, damit ich hinüber fahren kann.“
„Mit dem Pferd? Tut mir leid, aber ein Pferd geht nicht mit auf ein Boot.“
„Dann lasse ich es hier bei euch.Wenn es verschwindet, mache ich euch dafür verantwortlich. Es gehört dem Kaiser. Und nun gebt mir ein Boot.“
Der Hafenmeister zeigte auf ein Ruderboot. „Es ist nicht weit bis zur Insel. Ihr werdet es gut schaffen. Fahrt in die Richtung immer geradeaus, bis Ihr ankommt.“ Er deutete in eine Richtung und ich fuhr los. Es war tatsächlich nicht weit. Schon bald sah ich vor mir die kleine Insel. Ich zog das Boot an Land und trat vom sandigen Ufer auf den Fels der Insel. Noch war nichts zu sehen, als ich aber um einen hohen Felsen herum ging, wich ich zurück. Vor mir saßen friedlich mindestens dreißig Höllenhunde. Als ich näher hinsah, entdeckte ich, dass sie sogar Halsbänder trugen und sofort wurde mir klar, dass es sich um eine dressierte Art dieser Biester handelte. Jetzt bei Tageslicht konnte ich jedes einzelne Merkmal der Tiere sehen. Die Wesen hatten wenig Ähnlichkeit mit normalen Hunden. Ihre Augen glühten gelb, sie hatten eher die Nase eines Schweines, als die irgendeiner Hunderasse und so lange Eckzähne, dass sie an den Seiten sogar herausragten, weil sie nicht in den Mund passten. Lediglich die Schlappohren erinnerten an eine Art von Hunden.
Einer der Höllenhunde hatte mich entdeckt und stürmte auf mich zu, was dazu führte, dass die Aufmerksamkeit der anderen ebenfalls auf mich gelenkt wurde. Ich hatte gerade noch Zeit mein Schwert zu ziehen, als ich auch schon angesprungen wurde. Dem ersten Höllenhund rammte ich mein Schwert mit einer solchen Wucht in die Brust, dass er jaulend zu Boden ging, noch während ich es einmal herum drehte. Er blieb tot liegen. Mein Vorgehen bei den darauf folgenden Biestern war durcheinander. Es waren so viele, dass ich nicht darauf achtete, wie ich sie tötete. Es war ein verbissener Kampf und ich bekam viele Bisswunden, doch ich hielt bis zum Ende durch. Als ich schließlich alle Höllenhunde erledigt hatte, sank ich erschöpft auf einen Stein. Alle? Nein, ich hatte nicht alle getötet. Plötzlich stand ein weiterer Höllenhund ein paar Schritte entfernt vor mir. Seine Augen leuchteten, aber er rührte sich nicht von der Stelle. Ich stand auf, zog mein Schwert wieder und trat näher an das Tier heran, was dazu führte, dass es zurückwich. Es sah aus, als habe es gemerkt, dass es gegen mein Schwert keine Chance hatte. Ich steckte das Schwert zurück in seine Scheide und streckte meine Hand aus. Der Höllenhund ließ sich von mir streicheln und als ich einen Blick auf den Bauch warf, der sich unter dem Tier wölbte, wurde mir klar, dass es sich um ein trächtiges Weibchen handelte. Plötzlich hörte ich Stimmen. Ich drehte mich um und erblickte zwei Männer, die um einen Felsen herum kamen. Hinter einem weiteren Felsen ging ich in Deckung und hörte sie erstaunt miteinander reden.
„Was ist denn hier los?“, fragte der eine. „Sind wir etwa nicht alleine? Wer hat denn die Höllenhunde getötet? Das müssen ja mindestens zwanzig Männer gewesen sein.“
„Vielleicht haben sie sich auch gegenseitig umgebracht“, meinte der andere.
„Glaubst du sie können sich Stichwunden zufügen? Nein, das ist unmöglich“, erwiderte der erste. „He, da ist noch einer übrig.“
Sie hatten die Höllenhündin entdeckt, die sie jetzt gefährlich knurrend ansprang. Die beiden Männer ergriffen die Flucht. Ich wunderte mich, dass zwei Männer vor einen einzigen und dann auch noch so scheuen Höllenhund flohen, wo ich alleine gerade mindestens dreißig solcher wilden Biester umgebracht hatte. Ich dankte dem Tier mit ein paar Streicheleien und aufmunternden Worten und ging um den Felsen herum, von dem die Männer gekommen waren. Der Höllenhund legte sich im Schatten eines Felsens auf den Boden. Vor mir entdeckte ich den Eingang zu einer Höhle und ging vorsichtig hinein. Von einem großen Raum gingen vier Türen aus. Ich sah mich um. In einer Ecke lagen mehrere Waffen, in einer anderen ein Haufen Seile und in einer dritten ein paar leere Säcke. Die erste der Türen war nur angelehnt. Ich lauschte und als ich nichts hörte, trat ich vorsichtig in den Raum dahinter. Er war, bis auf einen Stapel Bretter, leer. Hinter der zweiten Tür lag ein Gang, der in einen weiteren Raumführte, in dem sich fünf Männer befanden. Ich sah, dass eine weitere Tür von dort ausging, doch da ich mir sicher war, dass die Männer sofort Vogelfutter aus mir machen würden, wenn sie mich entdecken sollten, ging ich zurück. Die dritte Tür war verschlossen und hinter der vierten befand sich eine Art Vorratskammer. Plötzlich entdeckte ich den Höllenhund vor dem Eingang der Höhle. Er trug etwas zwischen den Kiefern, was ich bei näherem Hinsehen als Dietrich erkannte. Dieses Vieh war verdammt schlau. Mit dem Dietrich machte ich mich daran das Schloss der dritten Tür zu knacken. Es war nicht gerade einfach, weil ich darin nicht geübt war, aber schließlich schaffte ich es doch die Tür zu öffnen, ohne das der Dietrich dabei abbrach. Als ich die Tür öffnete, trat ich in einen Raum, in dem es mir noch dunkler zu sein schien, als es in den anderen Räumen gewesen war. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erblickte ich eine zusammengesunkene Gestalt in einer Ecke auf dem Boden sitzend. Sie rührte sich nicht, hatte die Knie angezogen und den Kopf darauf gelegt. Als ich näher trat, erkannte ich Leanna, deren Hände in den Kniekehlen gefesselt waren, und erschrak. Ich ging vor ihr in die Hocke und legte meine Hand auf ihre Schulter, worauf sie müde den Kopf hob. Ich merkte, dass sie furchtbar zitterte. Ihr musste entsetzlich kalt sein, denn sie trug nur Sandalen und ein knielanges Kleid ohne Ärmel, in diesem kalten Gewölbe. Als sie mich ansah, lächelte sie schwach, wobei ich deutlich das Klappern ihrer aufeinander schlagenden Zähne hörte.
„Leanna, du wirst ja ganz krank“, sagte ich.
„Wie kommst du hierher?“, fragte sie.
„Ich hörte, dass du verschwunden warst und dein Vater bat mich dich zu suchen. Du musst sofort hier raus.“
„Wie bist du an den Höllenhunden vorbeigekommen?“, erkundigte Leanna sich weiter, die immer noch nicht zu verstehen schien, dass ich sie wirklich gefunden hatte.
„Bis auf einen habe ich alle getötet.“
„Alle? Und das alleine?2
„Ja? Ist das so verwunderlich?“
„Ein normaler Mann schafft alleine höchstens drei Höllenhunde und du bringst gleich fünfunddreißig auf einmal um. Du musst ja unmenschliche Kräfte haben.“
Ich lächelte ein Wenig. „Das nicht unbedingt. Vielleicht war ich auch einfach nur schnell genug. Aber du kannst hier nicht bleiben. Was hatte Simson mit dir vor?“, fragte ich, während ich Leannas Fesseln löste.
„Nicht viel. Er wollte mich ein paar Tage lang ohne jede Gesellschaft eingesperrt lassen und danach...“ Sie seufzte. „danach wollte er mich zur Hure machen.“
Ich sah sie entsetzt an. „Das wollte er tun?“
„Ich bin so froh, dass du hier bist. Wenn du die ganzen Höllenhunde getötet hast, kannst du auch alle von ihnen problemlos erledigen“, sagte Leanna, statt mir zu antworten. Ich schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht, Leanna. Ich habe noch nie einen Menschen getötet.“
„Du sollst es auch nicht tun. Es ist sicher besser, wenn wir einfach verschwinden und mein Vater sie holen lässt.“
„Hoffentlich geht das schnell genug. Sie haben ja schon gemerkt, dass die Höllenhunde tot sind. Komm.“
Leanna stand auf und wir verließen die Höhle, vor der der Höllenhund zu warten schien. Ich strich ihm über den Kopf. Leanna stutzte, fragte dann aber nur: „Kannst du mir erzählen, wie du mich gefunden hast?“
Während wir zum Boot gingen und zurück in den Hafen von Cotbor fuhren, berichtete ich ihr alles. Sie hörte schweigend und bewundernd zu, während sie von der langsam untergehenden Sonne ein Wenig gewärmt wurde. Als wir ankamen, zitterte sie trotzdem immer noch. Ich holte Mondschein beim Hafenmeister ab und wir fuhren zurück nach Nentien. Auf der Überfahrt standen wir an Deck und ich sagte: „Leanna, es ist so grausam zusehen zu müssen, wie du frierst.“
Sie hob die Schultern und sah auf die Wellen. „Ich hatte nunmal nichts anderes an, als ich entführt wurde und in der Höhle war es furchtbar kalt. Die Kälte geht nicht so schnell aus mir raus.“
„Wenn ich wenigstens etwas dagegen tun könnte.“
Sie blickte auf. „Das kannst du.“
Fragend sah ich sie an.
„Du kannst mich ja wärmen“, sagte sie lächelnd. Es wunderte mich zwar, aber trotzdem sagte ich lächelnd: „Wenn du es möchtest, tu ich es, auch wenn ich vielleicht etwas unbeholfen wirken werde. Ich bin ja immerhin dein Sklave.“
„Tyrone“, sagte sie, während sie näher trat und sich an mich schmiegte. „Du darfst nicht sagen, dass du mein Sklave bist. Das tut mir weh. Du bist immer so furchtbar lieb.“
Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen? Während ich sie in den Armen hielt, spürte ich wie sie langsam aufhörte zu zittern. Trotzdem blieb sie bei mir und rührte sich nicht.
Erst als das Schiff in den Hafen einlief, löste sie sich langsam von mir und sagte, scheinbar triumphierend: „Siehst du? Jetzt ist mir gar nicht mehr kalt.“
„Dafür friere ich jetzt umso mehr“, erwiderte ich scherzend. Sie gab mir einen freundschaftlichen Stoß und lachte. „Komm, jetzt können wir zu meinem Vater reiten.“
Wir ritten also beide auf Mondschein zum Palast des Kaisers, wobei Leanna vor mir saß. Ich wollte sie vor dem Palast absetzen, das Pferd einem der Wachen überlassen und nach Hause gehen, aber damit war sie nicht einverstanden.
„Du kommst mit zum Kaiser.“ Sie nahm meine Hand und zog mich mit in den Palast, wobei sie zu einer Wache sagte: „Ihr könnt das Pferd in den Stall bringen.“
Der Kaiser nahm seine Tochter glücklich in den Arm und wandte sich dann an mich: „Tyrone-Jame, ich werde dir ewig dankbar sein. Dafür darfst du einen freien Wunsch äußern. Was möchtest du, das ich dir gebe oder tue?“
Ich schüttelte den Kopf. Nichts, Herr. Ich bin zufrieden.“
Jetzt schüttelte der Kaiser seinerseits den Kopf. „Ich gebe dir drei Wochen Zeit. Du kannst dir überlegen, was du willst, doch nun erzähle mir, wie du Leanna gefunden hast.“
Ich erzählte ihm von meiner Suche und als ich geendet hatte, sagte er: „Ich werde meine Soldaten sofort schicken, um Simson und seine Männer zu verhaften.“
Er gab den Befehl und ließ mich dann gehen. Es war schon spät, als ich in meine Hütte kam und ich ging sofort zu Bett.
Am nächsten Morgen brachte Leanna mir früher als sonst das Frühstück und erzählte mir: „Simson und seine Männer sitzen im Gefängnis.“
„Das freut mich. Dann können sie dir nichts mehr anhaben“, sagte ich.
„War es sehr schlimm für dich?“, fragte sie. Ich nickte nur und schwieg. Leanna musterte mich nachdenklich, sagte aber nichts. Wir schwiegen beide eine Zeit lang. Ich ließ meine Gedanken frei herum schweifen und plötzlich wurde mir die Wahrheit meines Lebens bewusst. Bei allen toten Göttern. Ich, ein Sklave, liebte Leanna, die Tochter des Kaisers. Das konnte nicht gut gehen.
Am Nachmittag des Tages besuchte ich Sussan und Tummy. Als ich die Höhle betrat, spürte ich, dass etwas anders war als sonst. Ich ging in den Raum, in dem die beiden ihr Lager hatten und sah Tummy, zitternd vor Kälte, in eine Decke gehüllt und unendlich traurig auf dem Heulager sitzen. Sussan lag am Boden und rührte sich nicht. Mit einem Blick erkannte ich, dass sie tot war. Bereits am Vortag war sie ziemlich krank gewesen und nun war sie tot.
„Tummy“, sagte ich mitleidig, was dazu führte, dass er zu weinen anfing. Er warf sich schluchzend in meine Arme und ich versuchte ihn zu trösten, obwohl ich Situationen wie diese absolut nicht gewohnt war. Ich überlegte nicht lange, sondern nahm den Jungten auf den Arm und ging mit ihm nach draußen.
„Was hast du denn alleine gemacht?“, fragte ich.
„Nichts“, gab Tummy zur Antwort. „Ich weiß nicht, wie Sussan immer Feuer gemacht und gekocht hat und habe deshalb nur gewartet, weil Sussan sagte, dass ich nur dir vertrauen soll.“
„Komm, ich nehme dich mit zu mir nach Hause und dann sehen wir weiter.“
Mit Tummy zusammen dauerte es länger, bis wir endlich ankamen, denn er war erst knapp sieben Jahre alt.
Leanna wartete bereits auf mich und als sie Tummy erblickte, sah sie mich fragend an. Ich erklärte ihr die Sache und sie schüttelte, nach kurzem Schweigen, den Kopf. „Ich verstehe sehr gut, aber so geht das nicht. Du bist ja ganz schmutzig, Tummy und deine Kleidung besteht auch nur noch aus Fetzen. Du musst sofort ein Bad nehmen und andere Kleidung anziehen.“
„Sollte er nicht erst etwas essen?“, fragte ich. Leanna schüttelte, über sich selbst verärgert und fast verlegen, den Kopf. „Natürlich. Er muss sicher großen Hunger haben.“
Ich ließ Tummy zu Abend essen und verzichtete selbst auf eine Mahlzeit, während Leanna alles für ein Bad vorbereitete. Meine Hilfe dabei wehrte sie ab und sagte: „Ich glaube in der Schublade befinden sich noch ein paar Kleidungsstücke, die ihm passen müssten. Wenn du möchtest, kannst du sie in Ordnung bringen.“ Sie lächelte und ich tat es. Etwas anderes gab es sowieso nicht zu tun und es machte mir Spaß jemandem helfen zu können, wenn ich nicht dazu gezwungen war.
Schließlich war Tummy satt und stand nach einem gründlichen Bad dann sauber in der Hütte.
„Jetzt ist er dein Lehrling, damit er bald genauso gut kämpfen kann, wie du“, lächelte Leanna und drückte meine Hand. „Du bist einfach zu gut für diese Welt.“
Ich lächelte ebenfalls. „Wenn Tummy es will, kann ich ihm das Kämpfen ja beibringen.“
Tummy strahlte. „Willst du das wirklich tun?“
Ich nickte. „Wir können gleich anfangen.“
Wir traten vor die Hütte und ich brachte ihm ein paar Taktiken im Umgang mit dem Schwert bei, während Leanna uns dabei zusah. Später fragte ich: „Darf Tummy vorerst hier bleiben?“
Leanna nickte sofort: „Natürlich, Tyrone. Er ist ein so lieber Junge.“
Tummy lernte schnell. Schließlich ließ ich ihn sogar gegen eine junge Riesenratte kämpfen, die er problemlos erledigte.
Als wir einen Nachmittag lang wieder fleißig übten und ich mich gerade auf die Bank vor der Hütte gesetzt hatte, um Tummy bei seinen Übungen zuzusehen, kam Leanna vorbei. Sie strahlte, beugte sich zu mir herunter und umarmte mich mit festem Druck. Ihre Begrüßungsart verwirrte mich ein Wenig, weil sie mich sonst nie umarmte, aber ich ließ es wortlos geschehen.
„Tyrone, du bist frei“, verkündete sie. Ich sah sie ungläubig an. „Ist das wahr?“
„Ja, du bist kein Sklave mehr.“ Leanna war die Freude anzumerken und ich war sprachlos. Das war zu schön um wahr zu sein.
„Jetzt bist du dein eigener Herr. Außerdem hast du bei meinem Vater noch immer einen Wunsch frei“, erinnerte Leanna mich. Ich sah die an. „Jetzt weiß ich auch, was ich mir wünsche.“
Leanna blickte erwartungsvoll und ich sagte: „Ich wünsche mir, dass Tummy ebenfalls frei wird und bei mir in der Hütte wohnen kann.“
„Dein Wunsch ist bereits so gut wie erfüllt. Komm, wir gehen zusammen zu meinem Vater und sagen es ihm. Und Tummy nehmen wir auch gleich mit.“
„Wohin gehen wir?“, fragte Tummy auf dem Weg.
„Zum Kaiser“, erwiderte ich. Der Junge sah mich mit großen Augen an. „Muss ich dann wieder Sklave sein?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, wir wollen dass du frei leben kannst.“
Tummy war mit meiner Antwort zufrieden und der Kaiser mit meinem Wunsch einverstanden. Er fragte Tummy, wer sein Herr gewesen war und dieser sagte: „Jonathan, nannten ihn alle. Aus Pareador. Von da kommen wir. Mit Sussan und mir hatte er fünf Sklaven.“
„Ich werde einen meiner Krieger schicken, um dich zu kaufen und dann frei zu lassen. Es wird ein paar Tage dauern, aber du gefällst mir, Tummy.“ Der Kaiser hob den Jungen in die Luft. „Warum kannst du nicht mein Enkel sein?“
„Vielleicht wird er das bald“, meinte Leanna lächelnd.
„Willst du ihn adoptieren?“, fragte ich. Sie hob die Schultern. „Ich habe etwas anderes gedacht, aber es ist vielleicht besser, wenn wir erst einmal abwarten.“
Ein paar Tage später war auch Tummy frei. Leanna und ich saßen gerade nebeneinander auf der Bank vor der Hütte und unterhielten uns, als er plötzlich vor mir stand und fragte: „Du, willst du nicht mein Vater sein?“
Ich lächelte. „Was willst du lieber sein: Mein Sohn oder des Kaisers Enkel?“
Tummy stemmte die Hände in die Hüfte und sah mich empört an. „Ich bin nicht dumm. Wenn ich dein Sohn bin, bin ich ja wohl auch der Enkel des Kaisers.“
Ich sah ihn erstaunt an. „Aber ich bin doch gar nicht der Sohn des Kaisers.“
„Nein, das nicht, aber sie ist die Tochter des Kaisers.“ Er zeigte auf Leanna. „Oder etwa nicht?“
Leanna und ich sahen uns an. Sie lächelte, sagte aber nichts. Mir war klar, dass Tummy uns für ein Paar hielt, aber da ich nicht wusste, was Leanna davon hielt, war mir ein Wenig unwohl bei der Sache, obwohl es mir selbst nichts ausmachte.
Tummy stützte seine Hände auf meine Knie, sah mich treuherzig an und fragte: „Bist du jetzt mein Vater?“
Ich nahm ihn auf den Schoß. „Ja, Tummy. Wenn du es gerne möchtest, dann bin ich jetzt dein Vater.“
Am nächsten Morgen stand ich bereits früh auf, um ein Wenig spazieren zu gehen. Tummy schlief noch. Ich hinterließ ihm eine Nachricht und hoffte, dass er lesen konnte, denn das wusste ich nicht.
Die Straßen von Nentien waren fast leer. Nur hin und wieder begegnete ich einem Menschen. In Gedanken versunken, ging ich die Straßen entlang, bis ich an einen alten, leer stehenden Wachturm kam. Ich stieg dessen Stufen hinaus und hatte eine herrliche Aussicht von der oberen Plattform aus. Es war kalt und hier oben auch besonders windig, aber ich blieb trotzdem eine Weile und blickte über die Stadt. Plötzlich bekam ich einen kräftigen Schlag gegen meine Schläfe und kurz darauf spürte ich nichts mehr.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem Bett. Tummy hockte neben mir und Leanna stand ihm gegenüber auf der Leiter, die zum Bett hinauf führte.
„Endlich“, sagte sie. „Ich hatte schon befürchtet, dass du gar nicht mehr erwachen würdest.“
Ich sah sie verständnislos an, weil ich mich zuerst an nichts erinnerte, doch als mir dann alles wieder einfiel, fragte ich: „Wie habt ihr mich gefunden?“
„Als ich heute Morgen kam, um euch das Frühstück zu bringen, warst du nicht da und Tummy zeigte mir deine Nachricht, die er nicht lesen konnte“, erzählte Leanna. „Als du nicht zurück kamst, haben wir uns auf die Suche gemacht. Schließlich fanden wir dich dort oben auf der Turmplattform. Du warst schon halb erfroren. Warum bist du denn zusammengebrochen?“
„Was genau passiert ist, weiß ich nicht“, sagte ich. „Ich bekam einen Schlag gegen die Schläfe, mehr habe ich nicht mitbekommen.“
Leanna runzelte die Stirn. „Das gefällt mir gar nicht.“ Sie überlegte. „Soviel ich weiß, steht der Turm leer, weil die Wachen auf der Plattform regelmäßig so endeten, wie du. Man hat heraus gefunden, dass sich in der Nähe ein Nest von Schlagfliegen befindet. Manchmal reicht ein einziger ihrer Schläge aus, um einen Menschen zu töten.“
Ich nickte. Was Schlagfliegen waren, wusste ich. Allerdings erinnerten sie wenig an normale Hausfliegen. Sie waren etwa so groß wie der Kopf eines Pferdes und hatten eine kräftigen Schwanz, mit dem sie auf alles, was ihnen bedrohlich erschien, einschlugen. Allerdings war ich nie einer dieser Fliegen aus der Nähe begegnet.
„Man sollte dieses Nest ausräuchern“, meinte Leanne. Ich setzte mich auf. „Ist doch nicht weiter wichtig. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort, das ist alles.“
Leanna sagte nichts dazu, sondern fragte stattdessen: „Willst du etwas essen?“
Ich nickte und kletterte nach Leanna die Leiter hinunter. Tummy folgte mir.
„Frühstück und Mittagessen hast du verpasst, also iss jetzt besonders viel“, befahl Leanna lächelnd.
„Ich werde mich bemühen“, versprach ich und lächelte ebenfalls.
Nach dem Essen ging Leanna kurz mit Tummy nach draußen, weil sie versprochen hatte, ihm zu zeigen, wie man mit kleinen Kieselsteinen ein Spiel spielen konnte. Als sie alleine wieder zu mir in die Hütte kam, sagte sie: „Jetzt haben wir uns beide gegenseitig aus einer Klemme geholt.“
„Findest du das gut?“, fragte ich. Leanna schüttelte den Kopf. „Nein. Mir wäre es lieber gewesen, wenn weder das eine, noch das andere notwendig gewesen wäre.“
Wir schwiegen beide eine Weile, bis Leanna plötzlich meinte: „Eigentlich schade, dass Tummy nicht recht hatte.“
„Womit?“, fragte ich erstaunt.
„Damit, dass er sagte, er sei der Enkel des Kaisers, wenn er dein Sohn ist.“ Sie trat dicht an mich heran und nahm ihre Hände in meinem Nacken zusammen. Ich zögerte, legte dann aber vorsichtig die Hände an ihre Taille und zog sie an mich.
„Vielleicht hatte er ja doch recht“, sagte ich leise. Leanna sagte kein Wort mehr, sondern näherte sich nur langsam mit ihrem Gesicht dem meinen. Schließlich hielt sie inne. Ich konnte ihren warmen Atem spüren und als ich sie dann küsste, spürte ich auch, wie schnell ihr Herz schlug. Irgendwann schob ich sie ein Stück von mir, ließ sie aber nicht los. Sie sah mich schweigend an.
„Leanna“, sagte ich schließlich. „Dein Vater wird mich verbannen, wenn er davon erfährt.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das wird er nicht. Für ihn spielt der Rang eines Menschen keine Rolle. Er fragt nach der Liebe und ich werde ihm sagen müssen, dass ich dich mehr liebe, als alles und jeden anderen. Wie du zu mir stehst, wird er dich allerdings selbst fragen müssen. Du hast es mir nämlich noch gar nicht gesagt.“
Ich zog sie wieder an mich. „Oh Leanna, ich liebe dich über alles."
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2010
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