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Maya legte ihren Kopf in ihre Handfläche und stütze ihren Ellbogen auf den sehr mitgenommen aussehenden Tisch, welcher im laufe der Jahre prächtig mit Herzen und kleinen Kritzeleien übersäht wurde. Herr Moos, ihr Geschichtslehrer, erläuterte gerade die Französische Revolution, während sich die Schüler lieber mit ihren Bleistiften oder Radiergummis beschäftigten oder Zettel weiterreichten. Mischa, der in der ersten Reihe saß, warf Ines, der Klassenbesten, ein Papierkügelchen an die Brille und lachte. Der Lautpegel senkte sich, als Herr Moos einen Blick über sein Buch warf und sich dann wieder ganz seiner Vorlesung widmete. Mit einem trüben Blick betrachtete Maya die aufgeschlagene Seite ihres Buches und studierte eine Zeichnung vom Sonnenkönig, Ludwig XIV. Hätte er mehr gelächelt, könnte er wahrhaftig diesen Namen tragen. Ein Zettel wurde Maya gegeben, und sie reichte ihn an ihre Banknachbarin weiter. Der Schulgong ertönte und die Schüler packten ihre Geschichts-Sachen weg und warfen achtlos die Deutschhefte auf ihre Tische. „Hausaufgabe,“ tönte Herr Moos, „ist es, Seite sechzehn im Buch abzuschreiben. „Entschuldigen Sie,“ beteiligte sich Mischa, „Sie wissen doch, dass man nach dem Gong keine Hausaufgaben aufgeben darf.“ „Ganz Recht,“ mischte sich Lukas ein, „dass hat ihnen doch unser Rektor mitgeteilt, oder?“ Herr Moos sah auf sein Buch. „Nun... dann entfällt für heute wohl die Hausaufgabe... nun denn, auf Wiedersehen!“ Er blinzelte kurz und verließ dann sichtlich verwundert das Klassenzimmer. Die Schüler lachten und setzten sich auf ihre Plätze. Auch Maya musste lächeln.
Die Tür wurde aufgeschlagen und Frau Breguli, Schrecken der ganzen Schule und zudem Deutschlehrerin trat herein.
„Setzen.“ Frau Breguli beugte sich über ihr Notizbuch. „Zu unserer Deutschschulaufgabe. Wie immer schlecht ausgefallen – ich habe auch nichts anderes erwartet,“ begann sie. „Es gibt nur eine Eins“, fuhr sie mit schneidender Stimme fort.
Ines in der ersten Reihe lächelte selbstsicher.
„Keine einzige Zwei – was mich nicht wundert – sechzehn Dreier, acht Vierer, wider erwarten nur fünf Fünfer und eine verdiente Sechs.“ Sie fixierte Klaus über den Rand ihrer Brille hinweg. Er lief rot an und rutschte auf seinem Stuhl tief hinunter.
„Fehler bis morgen schriftlich verbessern!“ Damit war für Frau Breguli das Thema erledigt. Sie griff nach den Schulaufgaben.
„Hier, teil’ die aus.“ Sie drückte Maya einen Stapel Blätter in die Hand. Maya ging eilig durch die Reihen und wunderte sich nicht, als auf ihrer Arbeit eine 4 - prangte. Maya setzte sich und begutachtete ihre Arbeit. Plötzlich ertönte durch die Klasse ein schriller Ruf: „Was? - Eine Drei! Frau... Frau Breguli, da muss eine Verwechslung vorliegen...“ Ines schaute zur Lehrerin auf. „Siehe doch selbst - dein Name steht auf dem Papier.“ Frau Breguli lächelte. Man sah ihr an, dass sie die strebsame Ines nicht trösten wollte sondern einfach nur Schadenfreude zeigte.
Ein Raunen ging durch die Klasse. Doch es galt nicht der erbosten Ines. Nein, es war etwas ganz Anderes. Mischa hielt ein Blatt mit einer Eins in den Händen.

In der Pause bildete sich um Mischa eine Traube von Schülern. Maya, die Mischa aufgrund seiner arroganten Art nicht mochte, interessierte es brennend, mit welcher Leistung er Frau Breguli überzeugen konnte. So etwas passierte nicht oft, nicht einmal Ines. Maya mischte sich der Traube um Mischa bei, konnte jedoch durch das Gedränge keinen Blick auf Mischa werfen. Sie vernahm nur gemurmelte Glückwünsche und Lobe.
Als die Pausenglocke läutete, liefen die Jungen und Mädchen wieder in ihre Klassen. Mischa blieb auf der Bank sitzen, um die die Schüler sich gedrängt hatten. Maya kam näher und setzte sich etwas distanziert neben ihn. Die Bank war kalt und nass. „Kann ich mal sehen?“, fragte sie. Mischa reichte ihr das Blatt wortlos. Maya sah ihn an und schaute dann auf das Papier, auf welchem in geschwungenen Buchstaben stand:

Der Winter ist gekommen
Die letzten Früchte fallen
Und Rufe, die im Tale hallen
Werden nun nicht mehr wahrgenommen

Vorm Ofen
Sitzen die Menschen nun warm
Wenn reich – im Palast;
In Hütten, wenn arm

Eisig zieht der Nordwind
Durch das weiße Land
Und der kalte Winter
Bleibt nicht unerkannt

Doch sehet –
Ein Osterglöcken sprießt hervor
Dessen Samen ein Vöglein verlor –
Und der Nordwind wehet




„Es ist... wunderschön!“, sagte Maya und errötete, als Mischa sie ansah. „Wirklich?“, antwortete er. „Ich finde eher, meine anderen Gedichte sind schöner.“ Er lachte kurz. „Du dichtest?“, fragte Maya.
„Ja.“ Er sah sie an. „Findest du das lustig?“ Mischa schmunzelte. „Nein,“ antwortete Maya, „ich finde das eher... toll.“ Sie sah ihm in die Augen. Schöne, blaue Augen.
Der Pausengong ertönte ein zweites mal, und die beiden huschten in ihr Klassenzimmer.


Anfang Dezember brach der Winter mit voller Wucht ein. Sehnsüchtig sahen die Schüler dem Schneewirbel hinterher, der den Schulhof mit weißen Flocken bedeckte. Lieber wären sie jetzt draußen gewesen, um zu rodeln oder um sich gegenseitig mit Schneebällen zu bewerfen. Frau Breguli bemühte sich nicht im geringsten, an den Vor-Weihnachtstagen freundlicher zu werden – geschweige denn Weihnachten zu erwähnen. In ihren Deutsch-Stunden wurde sie eher noch wütender als sonst, während sie ihre Klasse über die Brille hinweg scharf ansah. Man hätte meinen können, der 24. Dezember wäre aus ihrem Kalender gestrichen worden.
Als es bis Weihnachten hin nur noch drei Wochen waren, betrat die Deutsch-Stunde eine junge Lehrerin. Sie hatte Lachfalten um ihre Augen. Das war ein gutes Zeichen. „Guten Morgen! Mein Name ist Angelika Bauer.“ Die Klasse sah sie erwartungsvoll an. „Frau Breguli ist leider bis voraussichtlich Januar krank, und ich werde dafür eure Vertretung sein.“ Die Schüler jubelten. Frau Bauer lächelte und winkte ab. „Des Weiteren werden wir Wichteln. Ich nehme, ihr wisst, was es ist?“ Sie bestätigte sich durch das Aufstöhnen der Klasse. Niemand mochte Wichteln. Nicht nur deshalb, da es eher ein Spiel für Grundschüler war, nein, ständig wurden die Geschenke geklaut oder erst gar nicht gegeben. „Nun denn, dann schreibt bitte eure Namen auf einen Zettel und schmeißt ihn in...“, ihre Augen wanderten von Pult zu Pult, „... diese Kappe.“ Sie deutete auf die Billabong-Kappe, welches auf Lukas Tisch lag. Er schaute entsetzt.

Maya und Mischa trafen sich mittlerweile öfters. Maya verstand nicht, warum sie es trotz ihrer Abneigung machte, oder der sonst so coole Mischa sich mit ihr abgab, aber sie redeten. Mischa erzählte viel. Und er war ein guter Zuhörer.
„Du kannst wirklich schön dichten,“ sagte Maya, nachdem beide eine Zeit geschwiegen hatten. „Das hast du mir mindestens schon zweimal gesagt.“ Er sah sie an. Maya errötete griff dann ein anderes Thema auf. „Sag mal, was machst du eigentlich noch so?“ „Ich?“ Mischa schien verwundert. „Ich zeichne. Und spiele Klavier und Gitarre.“ Erstaunt guckte Maya ihn an. „Echt? Und was magst du für Tiere?“ Sie kam sich lächerlich vor. „Delfine,. antwortete Mischa, „Sie sind kluge Tiere. Aufrichtige, treu und ehrliche Tiere.
Heimlich freute sich Maya, dass er sich mit ihr unterhielt. Aber warum? Ihr Verstand sprach dagegen. Das passte einfach nicht.
Mischa. Sie formte den Namen auf ihren Lippen... „Und nicht vergessen, morgen ist Wichteltag!“ Frau Bauer strahlte die Klasse an. Maya schaute Mischa an. Sie war wie gebannt. Zwanghaft beobachtete sie ihn.
Sie hatte den Eindruck, dass Mischa nicht mehr jeden Kram von Lukas mitmachte.

Maya zog Mischa. Mit gespieltem Entsetzen hatte sie den Zettel ihrer Banknachbarin gezeigt, welche gekichert hatte. Heimlich hatte sich Maya jedoch gefreut. Sie schlenderte durch die Straßen und suchte nach einem Geschenk für Mischa. Das Dorf, in dem sie wohnte, war klein. Verlassen lag es unter der Schneeschicht, schlief, wurde nicht durch die Schritte der Leute aufgeweckt. Doch es war gemütlich. Geschäfte gab es nur wenige. Andererseits waren die Städte groß, unübersichtlich und laut. Schon im November hießen winkende Nikoläuse die Menschen in den Läden willkommen, der Plätzchenduft wurde einem schon bald lästig, und überall prangerten bunte Schriftzüge: Weihnachtsrabatt – 20%!

Maya betrat einen kleinen Schreibwarenladen. Die Wärme schlug ihr angenehm ins Gesicht, und eine kleine Verkäuferin trat ihr entgegen.
Obwohl der Laden kahl war, war er gemütlich. Dank der niedrigen Zimmerdecke und dem alten Ladentisch wirkte er erstaunlich alt. Maya liebte alte Häuser.
Die Dame lächelte sie an. „Hallo. Kann ich Dir irgendwie helfen?“ „Gerne,“ antwortete Maya, „ich hätte gerne ein Geschenk für einen... Bekannten.“ Bekannter. War Mischa nur ein Bekannter – oder war er mehr? Die Frau verschwand und kreuzte genauso schnell wieder auf. „Hier,“ sie öffnete einen kleinen Koffer, „Ketten.“ Es waren Lederbänder mit Tieren aus Glas.
„Ich glaube, ich nehme diesen Delfin hier,“ lächelte Maya die Verkäuferin an.

Am nächsten Tag herrschte vor allem in der letzten Stunde eine stete Unruhe in der Klasse. Alle Wichtelgeschenke waren gefunden worden. Frau Bauer stand hinter ihrem Pult und hob die Hand. „Ruhe, bitte.“ Ihr Strahlen verwandelte sich in ein Lächeln, und sie fuhr fort. „Heute ist, wie ihr wisst, Wichtel-Tag. Habt ihr eure Geschenke schon versteckt?“ Ein zustimmendes Murmeln drang aus der Klasse. „Gut. Und wie ich sehe“, sie deutete auf die Süßigkeiten und Geschenke auf den Tischen, „habt ihr sie auch schon gefunden.“ Nun dann, viel Spaß damit.“ Maya hatte das Gedicht von Mischa bekommen. Und er hatte es sogar verziert. Ein weißes Tal mit Bäumen hatte er gezeichnet.
Es gongte und die Schüler stürmten aus dem Klassenzimmer.
Maya wollte gerade auf ihr Rad steigen, als Mischa angehetzt kam. „Kommst du mal bitte mit?“, fragte er und zog Maya hinter ein Gebüsch. „Ja, ich höre?“, sagte Maya. „Nun ja, also... erst mal...“ Mischa stammelte, holte dann tief Luft und fuhr fort. „Vielen Dank für dein Geschenk. Woher wusstest du eigentlich, dass ich Delfine mag?“ „Du hast es mir erzählt.“ „Oh,“ Mischa errötete, „dass habe ich vergessen. Tut mir leid.“ Er blickte Maya an und schwieg. Maya wunderte sich, warum Mischa sich so komisch verhielt. Er stapfte von einem Fuß auf den andern. „Dir auch vielen Dank. Das Gedicht ist wirklich schön.“ „Danke. Ähm ... Maya? Ich wollte dich außerdem fragen, ob du Lust hast, mit mir Essen zu gehen.“ Maya errötete schlagartig. „Ähm... ja...“ Diesmal war sie es, die stotterte. „Und wo?“ „Bei mir. Meine Eltern sind nicht da, keine Sorge.“ Er grinste. „Um zehn Uhr? Morgen?“ Maya nickte und Mischa verschwand.

Abends grübelte Maya über das Gespräch.
Was war mit Mischa los? Warum lud er sie zum Essen ein? Es passte gar nicht zu dem Klassenclown, den er immer abgab. Abgab – war es das? Wollte er überhaupt so sein?
Maya drehte sich im Bett herum und fixierte die Zimmerdecke. Die Welt stand Kopf. Warum... datete Mischa sich mit ihr? Maya schloss die Augen und genoss den Augenblick. Date. Aber warum? Und warum sie? Verwirrt schaute Maya durch das Fenster in den klaren sternenbedeckten Himmel. Eine Sternschnuppe schwebte über den Nachthimmel. Sie schloss die Augen und wünschte sich etwas.

Den ganzen Schultag wartete Maya auf den Abend. Gefühle mischten sich in ihr. Besorgnis. Freude. Sie war froh, dass sie die meisten Stunden nicht aufpassen musste, denn sie war viel zu beschäftigt.
Am Abend suchte sich Maya ihre schönsten Sachen raus. Sie legte sogar eine Kette an, die ihre Tante ihr zum Geburtstag geschenkt hatte.
So radelte Maya zu Mischa. Er wohnte in einer Wohnsiedlung am Rande des Ortes. Maya war froh, dass es nicht regnete oder schneite, ansonsten wäre sie wohl klitschnass geworden.
Mischas Haus war groß und eingewachsen. Es hatte ein weinrotes Dach und grüne Fensterläden Maya stellte ihr Rad ab uns schellte an der Haustür.
Mischa machte auf und sah sich suchend um. „Hallo Maya,“ sagte er und blickte sie an. „Komm rein.“ Noch einmal suchend schloss er die Tür.
Das Innere war gemütlich und warm. Maya betrachtete den Flur. Nicht recht wissend, was sie tun sollte, stand Maya herum. Sie hörte Mischa in der Küche herumhantieren. Schranktüren öffneten sich, und Mischa lief eilig herum. Er kam wieder in den Flur und fuhr sich gestresst durch die Haare. „Wohin soll ich meine Jacke legen?“, fragte Maya. Mischa nahm ihr die Jacke ab und hängte sie in der Garderobe auf. Er geleitete sie in das Esszimmer und bot ihr einen Stuhl an. „Setz dich!“, bat er Maya. Sie setzte sich hin und schaute in den Garten, während Mischa wieder in die Küche hetzte. Es standen schon Teller und Besteck auf dem gedeckten Tisch. In der Küche klirrte Glas und Mischa brachte Weingläser. Schon wieder verschwand er. Maya sah ihm nach und wirkte selber schon fast gestresst. Sie sah wieder in den Garten. Es war schon dunkel, und Maya sah nicht weit, doch der Garten war bedeckt mit weißen Schneeflocken, die hier und da aufwirbelten und einen Schleier von weißem Puder erzeugten.
Schritte kamen näher und Metall schepperte. „Mist,“ hörte sie Mischa sagen. Mit Kerzen beladen balancierte er über das Parkett. Er stellte die Kerzenständer auf und zündete die weinroten Kerzen an. „Soll das ein Candle-Light-Dinner werden?“, fragte Maya. „Kann sein,“ antwortete Mischa schlicht und setzte sich, um gleich wieder aufzuspringen. „Verdammt! Die Pizza!“ Mischa rannte in die Küche. Maya konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und lehnte sich in ihren Stuhl zurück, während Mischa eine dampfende und herrlich duftende Pizza brachte. Mit seinen Ofenhandschuhen sah Mischa zu komisch aus, und Maya kicherte.
Er legte die Pizza auf einen Teller auf der Mitte des Tisches und schnitt sie an und legte zwei Stück auf ihre Teller. „Ess’ ruhig schon,“ sagte Mischa und ging wieder in die Küche.

Das Essen verlief schweigend. Maya hatte schon vier Pizzastücke verdrückt und lehnte sich in ihren Stuhl. Misch lehnte sich ebenfalls zurück und sah sie lange an. Man konnte den Atem hören, so still war es. Mischa rührte sich. „Maya, ...“, begann er und stockte. Er wartete, als würde er überlegen und fuhr dann fort. „Ich weiß nicht, wie ich das sagen ... Fangen wir ganz am Anfang an.“ Er machte eine Pause. „Weist du, ich weiß nicht warum, aber ich mochte dich schon immer. Und, als du mit mir geredet hast, ist mir ein Licht aufgegangen. Du verstehst mich, respektierst mich, du ...“ Maya sah ihn an. Sie wusste, was er sagen wollte. Eine Träne lief über ihr Gesicht. Mischa schaute besorgt. „Maya...“ Maya stand auf. Sie ging in den Flur, nahm sich ihre Jacke aus der Garderobe und öffnete die Haustür. Ein eisiger Wind blies ihr ins Gesicht. Sie schloss die Haustür, rannte zu ihrem Fahrrad und fuhr los. Weg von hier. Tränen flossen über ihr Gesicht. Warum? Warum sie? Warum jetzt? Sie verstand die Welt nicht mehr. Mischa...
Mayas Augen brannten, als sie Zuhause ankam. Ihre Eltern waren aus, und sie steckte ihren Schlüssel in Haustürschloss, um aufzuschließen. Das Schloss klemmte. Grimmig drehte sie den Schlüssel. Doch es funktionierte nicht. Unbarmherzig stemmte sich gegen die Tür, fasste den Schlüssel fest und zog. Sie wurde zurückgeschleudert. Maya rappelte sich auf und begutachtete den Schlüssel. Der Schlüsselbart war nicht mehr zu erblicken und Maya fluchte. Verdammt!, dachte sie, als sie das Schloss begutachtete. Der zweite Teil des Schlosses steckte im Schloss fest. Mist, Mist, Mist! Maya warf den Schlüssel auf den Kiesboden und trampelte auf ihm rum. Es nützt doch ehe nichts, dachte Maya. Widerwillig setzte sie sich auf einen Fensterschacht. Was tun? Maya konnte nicht mehr. Es war zu fiel für sie und sie brach in Tränen aus. Maya war verzweifelt. Sie fror am ganzen Körper und überlegte fieberhaft, was sie machen solle. Mischa. Maya schwang sich auf ihr Rad und fuhr los.

Maya stellte ihr Rad an Mischas Hauswand ab. Der Schnee hatte sich in ihren Kleidern verfangen und sich schmelzend verbreitet. Als Maya klingeln wollte, zögerte sie. Konnte sie einfach bei ihm einspazieren wie ein Stammgast? Mischa liebte sie, das wusste Maya. Liebte sie ihn? Sie zog sich ihre Jacke enger um sich und schloss die Augen. Ja, sie liebte ihn. Schon seit langem. Es gab daran keinen Zweifel. Sie öffnete die Augen und drückte auf den Klingelknopf. Nervös verschränkte sie die Hände.


Es klingelte.
Mischa hatte gerade abgeräumt, die Teller, Gläser und das Besteck in der Spülmaschine verstaut und ein Buch aus dem Regal genommen. Ws er brauchte, war Ablenkung. Es war wie ein Schock gewesen. Er musste einfach alles vergessen, um nicht los zu weinen. Das wäre nicht akzeptabel gewesen. Nicht für ihn.
Mischa hatte nicht gewusst, dass Maya so reagieren würde. Natürlich hatte er sich auf ein nachdenkliches Schweigen eingestellt, doch nicht erwartet, dass Maya beinahe aus dem Haus geflüchtet wäre. Geflüchtet. Vor ihm? Nein, vor seiner Liebe.
Mischa stand auf, legte das Buch zur Seite und öffnete die Tür.


Mischa sah Maya erschrocken in die Augen, als er die Tür öffnete. Sofort legte er jedoch ein angedeutetes Lächeln auf sein Gesicht und bat Maya herein.
Sie genoss einen Augenblick die Wärme. „Du bist ja halb erfroren!“, stellte Mischa besorgt fest. Maya gab ihm wortlos ihre nassen Sachen und er brachte ihr Decken. Er führte sie ins Wohnzimmer. Der Kamin brannte und Maya seufzte erleichtert. „Setzt dich,“ sagte Mischa – nun zum zweiten Mal – an diesem Abend und deutete auf ein graues Sofa. Er selbst setze sich auf das Gegenstück. Maya sah ihm in die Augen. Beschämt wendete sie sich wieder ab und starrte in die Flammen.
„Was ist passiert?“, fragte Mischa. Sein Blick war besorgt, und wies nicht eine Spur von Ärger auf. Dabei hatte Maya sich Ärger verdient. „Mein Schlüssel ist im Schloss stecken geblieben...“ Immer noch abgewandt zog Maya sich ein Schlüsselteil aus der Jacke und zeigte ihn Mischa. Er lachte. Es war kein boshaftes, schadenfreudiges Lachen. Es war ein ehrliches Lachen. Wäre Maya nicht in dieser Stimmung gewesen, hätte sie vielleicht mitgelacht. Mischas Lachen ging in ein Grinsen über und endete mit einer fast schon traurigen Miene. „Warum bist du weggelaufen?“, fragte er.


Was hatte er erwartet? Eine strahlende Maya?
„Ich ... Mischa, ich weiß es nicht.“ Sie sah ihm wieder in die blauen Augen. „Mischa, es ist so ... so komisch, verstehst du? Du und ich.“ Sie sprach das Ich verächtlich aus. Das war also der Grund. Nicht er, sondern sie selbst betrachtete sich als unwürdig. Eine Träne lief ihr über die Wange. Mischa wäre am liebsten aufgesprungen, um ihr dunkelbraunes Haar zu streicheln. „Mischa, ich ... ich liebe dich auch.“
Mischas Herz schlug höher. In einem fort überkam ihn eine Welle von Glück. Er stand auf und setzte sich zu Maya aufs Sofa und legte seinen Arm um sie. Zärtlich streichelte er sie im Nacken.
Sie saßen lange so da. Dann beugte Mischa sich vor und flüsterte in Mayas Ohr: „Ich liebe dich auch.“
Maya schaute zu ihm hoch. Ihre blauen Augen starrten in seine. Und dann küsste sie ihn. Mischa erwiderte sanft diesen Kuss. Maya ließ wieder ab und sah ihn zärtlich an. Mischa lächelte zurück.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.12.2008

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Widmung:
Für alle, die mich auf meinem Weg unterstützt haben - und unterstützen werden.

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