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Was ist eigentlich eine Kurzgeschichte?

 Was unterscheidet sie von einem Roman?

Kurzgeschichten sind im Gegensatz zum Roman kurz. Daraus resultiert, dass sie direkt in das Geschehen einsteigen und der Handlungszeitraum begrenzt ist. Auf eine ausführliche Beschreibung von Orten und Figuren wird verzichtet. Die Handlung dreht sich um eine besondere Begebenheit und ist auf wenige Charaktere fokussiert. Nicht ungewöhnlich bei Kurzgeschichten ist es, wenn sie einen offenen Schluss haben oder mit einer Wendung enden.

Weshalb sind Kurzgeschichten so?

Indem die LeserInnen zwischen den Zeilen lesen müssen und nicht unbedingt ein „Ergebnis“ geliefert bekommen, sollen sie zum Nachdenken angeregt werden, damit sie sich ein eigenes Urteil bilden.

 

Und nun wünsche ich viel Spaß bei diesem Snack!

Herzliche Grüße

Lola Victoria Abco

Walpurgisnacht

 

„Angsthase, Pfeffernase. Morgen holt dich der Osterhase.“

Wie oft hatte ich diese kindliche Spöttelei gehört? Wie oft hatte ich sie gerufen? Wohl mehr selber geneckt, als sie ertragen müssen. Das mussten die zurückhaltenden, zögerlichen Kinder über sich ergehen lassen, denen selten der Schutz einer Clique zuteil wurde. Alleine ohne meine Spielkameraden war ich als Dreikäsehoch so gut wie nie gewesen. Ganz anders als auf meiner Fahrt zu Marie.

„Angsthase, Pfeffernase. Morgen holt dich der Osterhase.“

Nur ein Kinderreim, mir wäre es trotzdem lieber gewesen, ich hätte ihn endlich aus dem Kopf bekommen.

„Genau elf Kilometer und einhundert Meter nach dem Ortsausgangsschild von Neuenbrook siehst du rechter Hand einen alten Meilenstein. Kurz davor steht ein Warnschild „Wildwechsel“. Links biegt eine kleine, unbeschilderte Straße ab, die musst du bis zu einer Gabelung fahren“, hatte mir Marie den Weg zu ihr beschrieben. „Dann folgst du dem rechten Abzweig. Wunder dich nicht, ab jetzt kommen keine Häuser mehr.“

Nachdem ich das Dorf Neuenbrook verlassen hatte, hatte ich zunächst links und rechts der Straße noch vereinzelt Licht, vom Fernseher unnatürlich blaugetönt, gesehen. Meistens reflektierte sich das Scheinwerferlicht aber in den Fenstern unbeleuchteter Häuser. Nach zwei oder drei Kilometern hatte ich jedoch gar keine Häuser mehr bemerkt. Ich fühlte mich mutterseelenallein in der Dunkelheit.

Abrupt hatte die Szenerie gewechselt. Beide Seiten der Straße wurden mit einem Schlage vom dichten Buschwerk der Knicks gesäumt.

„Eine Tunnelfahrt“, schoss es mir durch den Kopf. Mein Magen verkrampfte sich. Was, wenn das Auto hier liegengeblieben wäre? In welche Richtung wäre ich gelaufen, um Hilfe zu holen? Wem auch immer ich begegnet wäre, ob gut oder böse, ich wäre ihm direkt in die Arme gelaufen. Dieser Tunnel ließ kein Entrinnen zu.

Ich trat das Gaspedal härter durch. Betete, dass ich endlich den Meilenstein sehen würde.

„Angsthase, Pfeffernase. Morgen holt dich der Osterhase.“

Genervt schaltete ich das Autoradio ein. „Are you lonesome tonight?“, klang es mir entgegen. Schnell wechselte ich zu einem anderen Sender. Nachts mit grummelndem Magen alleine auf einer verlassenen Landstraße wollte ich keine Schmuselieder hören. Was hätte deutlicher machen können wie verlassen ich mich fühlte?

Unvermittelt ging das Buschwerk in eine offene Fläche über. Das Gefühl eingesperrt zu sein, ebbte ab. Erleichtert atmete ich auf. Wieder glitten meine Finger über die Tasten des Radios. Die klassische Geigenmusik machte mich nervös. Hastig suchte ich einen anderen Sender, prompt erwischte ich wieder die Kuschelsongs. Gereizt griff ich nach einer CD. Ich bekam die Hülle nicht geöffnet. Ohne zu überlegen ließ ich das Lenkrad los, um sie mit beiden Händen herauszunehmen. Plötzlich tauchte Etwas seitlich vor mir auf. Blitzschnell trat ich die Bremse bis zum Anschlag durch. Der Wagen brach aus! Panisch riss ich das Lenkrad herum und nahm den Fuß vom Bremspedal. Das Auto schoss auf den Straßengraben zu, wieder versuchte ich gegenzulenken. Dabei trat ich mehrmals leicht auf die Bremse. Das Auto wendete sich vom Graben ab und ging in einen Schlingerkurs über. Nochmals drückte ich das Bremspedal durch. Der Motor würgte ab, unsanft fing mich mein Gurt auf.

Ich zitterte am ganzen Körper, Schweiß lief mir den Rücken herunter. Mein Wagen stand quer auf der Straße. Apathisch umklammerte ich das Lenkrad und stierte zum Graben hinüber, in dem ich um Haaresbreite gelandet wäre. Langsam wandte ich meinen Blick ab. Die CD war in den Beifahrerraum gefallen. Ich löste meinen Gurt, beugte mich hinunter und nahm sie auf. Sofort entglitt sie wieder meinen Händen. Immer noch zitterten sie, immer noch waren sie schweißnass. Verärgert schrie ich auf, öffnete die Tür und lief dreimal, viermal um meinen schwarzen Golf herum. Keuchend blieb ich dann vor der warmen Motorhaube stehen, atmete tief durch und schrie nochmals aus vollem Halse. Kopfschüttelnd hörte ich auf.

„Wenn mich jetzt jemand sieht?“

Daraufhin begann ich hysterisch zu lachen. Ohne das Scheinwerferlicht hätte ich nicht meine eigenen Hände vor Augen sehen können. Haltlos lachte ich weiter. Was hatte ich hier überhaupt verloren? Ich, der Stadtmensch, mitten in der Nacht irgendwo in der Walachei?

Es war wirklich absurd. Weshalb hatte ich überhaupt Marie besuchen wollen? Marie, meine Klassenkameradin aus der Grundschulzeit. Kameradin wohlgemerkt, keine Freundin. Ohne es zu wollen, verbrachten wir damals viel Zeit miteinander. Wir sahen uns nicht nur vormittags in der Schule. Wir gehörten auch zur selben Xylophongruppe und gingen in dieselbe Turngruppe. Irgendwann hatte ich meine Eltern endlich soweit mir Reitunterricht zu finanzieren. Wen traf ich wohl bei meiner ersten Stunde im Reitstall? Marie, natürlich. Mit neun fühlte ich mich zu alt, um noch Xylophon zu spielen. Zur fünften Klasse wurden wir auf verschiedene Schulen geschickt. Reiten wurde mein allumfassendes Hobby, ich hatte weder Zeit und noch Lust zum Turnen zu gehen. Bald darauf stürzte Marie vom Pferd und brach sich den Arm. Danach sah ich sie nicht mehr, bis vor drei Wochen.

Langsam ließ meine Anspannung nach. Ich zwang mich aufzuhören zu lachen. Prüfend ging ich um das Auto herum. Soweit ich es in dem Scheinwerferlicht überhaupt erkennen konnte, war nichts beschädigt worden.

Unvermittelt hörte ich ein Knacken, sofort trat wieder Stille ein. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Nichts war mehr zu hören. Dann knackte es wieder, lauter als zuvor, ganz dicht neben mir. Wie ein Blitz schoss ich zur Fahrertür, sprang auf den Sitz, startete und raste davon. Erst im Fahren riss ich die Tür zu und verriegelte sie von innen.

Zu spät erkannte ich den Meilenstein. Ich trat so kräftig auf die Bremse, dass ich wieder in den Gurt gedrückt wurde. Mit klopfendem Herzen setzte ich ein paar Meter zurück. Links bog eine kleine Straße ab, genau wie Marie gesagt hatte. Mit meinem Auto tauchte ich nun in einen Laubwald ein. Das Scheinwerferlicht beleuchtete große, kräftige Baumstämme. Anders als es Marie gesagt hatte, konnte ich nirgendwo Häuser entdecken.

„Vielleicht sind sie so tief im Wald gelegen, dass man sie nur bei Tageslicht sehen kann?“, überlegte ich. „Andererseits müsste ich dann doch an deren Zufahrten vorbeifahren?“

Vor drei Wochen hatte ich endlich Schuhe gefunden, die nicht nur bequem waren, sondern auch zu meiner neuen Lederjacke passten und obendrein erschwinglich waren. Während ich an der Kasse wartete, um sie zu bezahlen, fragte ich mich, an wen mich die roten Haare der Frau vor mir in der Schlange erinnerten. Nach etwas Ausschau haltend, drehte sie mir ihr Profil zu. Sofort erkannte ich Marie wieder! Spontan lud ich sie zu einem Kaffee ein. Obwohl wir uns seit gut fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen hatten, unterhielten wir uns angeregt. Kurioserweise stellte sich heraus, dass ich mit Beginn des Studiums aufgehört hatte zu reiten, während Marie zu dieser Zeit wieder damit begonnen hatte. Nicht nur das, inzwischen hatte sie sogar einen eigenen Hof und züchtete Pferde.

„Hast du nie überlegt wieder anzufangen zu reiten?“, hatte sie wissen wollen.

„Doch schon, aber so viel Zeit habe ich gar nicht. Außerdem sind die Möglichkeiten hier in Hamburg nur begrenzt gegeben und obendrein noch irre teuer.“

„Komm mich doch einfach mal am Wochenende besuchen, dann können wir zusammen ausreiten. Ich gebe dir meine Nummer, wenn du Lust dazu hast, ruf einfach durch.“

Als sie ihre Telefonnummer aufschrieb, hielt sie inne und meinte, warum wir nicht gleich etwas ausmachten. Mit dem Telefonieren sei es doch immer so eine Sache und wir würden uns sonst womöglich die nächsten fünfundzwanzig Jahre wieder nicht treffen. An den nächsten beiden Wochenenden sei sie auf Turnieren, ob ich nicht am dann folgenden Wochenende zu ihr kommen wolle.

Ich zögerte zuzusagen. Wir kannten uns im Grunde gar nicht, außerdem wusste ich tatsächlich nicht, ob ich überhaupt Zeit hatte. Ich versprach mich aber bestimmt vorher noch einmal bei ihr zu melden.

„Ach was. Komm einfach vorbei, wenn du magst. Am besten schon am Freitagabend, dann haben wir den ganzen Sonnabend für uns. Man kann mich sowieso nur schlecht erreichen. Wenn ich draußen bei den Tieren bin, höre ich das Klingeln nicht.“

„Hast du kein Handy?“

„Nein, du ahnst nicht, wie weit ab vom Schuss ich wohne. Dort hat man keinen Empfang.“ Marie hatte lächelnd den Kopf geschüttelt, während sie in ihren Taschenkalender schaute. „Mensch, weißt du, was an dem Freitag Besonderes ist?“, fragte sie mir schelmisch zuzwinkernd. „Walpurgisnacht! Ich wohne zwar nicht am Brocken, aber wer weiß, wer sich in der Nacht so alles herumtreibt?“

Mit einer genauen Wegbeschreibung in der Hand verabschiedete ich mich einige Minuten später von Marie.

Unvermittelt hatte ich die Weggabelung erreicht. Überrascht sah ich, dass sich jedoch, anders als es Marie beschrieben hatte, drei statt zwei Möglichkeiten weiterzufahren ergaben. Sie hatte gesagt, ich solle die rechte Abzweigung nehmen. Die war allerdings erheblich schmaler als die anderen beiden. Sollte ich sie trotzdem fahren? Unentschlossen hielt ich an. War dort ein Wegweiser zu sehen? Ich beugte mich über das Lenkrad. Der Lichtkegel war nicht groß genug, als das ich tatsächlich etwas hätte erkennen können. Trotzdem meinte ich ein Holzschild in Form eines angedeuteten Pfeils zu erkennen. Um lesen zu können, was darauf stand, hätte ich aus dem Auto steigen müssen. Sofort klang es mir wieder in den Ohren: „Angsthase, Pfeffernase. Morgen holt dich der Osterhase.“

Schnell gab ich wieder Gas und nahm die schmale Abbiegung. Zweige schlugen gegen das Auto und erzeugten kratzende, fast jammernde Geräusche. Der Pfad verengte sich zunehmend. Unbeirrt raste ich weiter, ich wollte nur noch fort aus der Dunkelheit und der Enge. Mein Brustkorb schien in Ketten zu liegen. Ich meinte ersticken zu müssen.

„Ein Wegweiser bedeutet doch“, versuchte ich mich zu beruhigen, „dass dieser Weg tatsächlich irgendwohin führt.“

Mit einem lauten Krachen schlug ein Ast gegen die Windschutzscheibe. Erschrocken drückte ich mich in die Rückenlehne. Plötzlich ragte vor mir ein großer Findling auf. Nur eine Notbremsung verhinderte einen Aufprall.

Mir wurde schwindelig, ich zitterte wie Espenlaub, dazu pochte mein Herz so stark, dass mein Kopf zerplatzen wollte. Minutenlang saß ich wie hypnotisiert da. Allmählich kam ich wieder zu Sinnen. Ich lehnte mich vor und beäugte den riesigen Stein vor mir. Nur mit Mühe konnte ich die Inschrift entziffern: „Hexenstein.“ Offenbar war ich einem Wanderweg gefolgt!

Ich versuchte umzukehren. Das Auto ließ sich jedoch nur in kleinen Etappen wenden. Der Weg war so schmal, dass ich immer wieder zwischen Vor- und Rückwärtsgang wechseln musste. Jäh heulte der Motor auf, es gab einen Ruck und das Motorengeräusch erstarb. Ich hatte mich festgefahren! Wieder begann ich am ganzen Körper zu zittern, während mir kalter Schweiß den Rücken hinunterlief.

Ich wusste, dass man Fußmatten unter die Reifen legen sollte, um ein steckengebliebenes Auto freizubekommen. Für nichts in der Welt wollte ich jedoch aussteigen. Unsägliche Angst vor der Dunkelheit und der Einsamkeit hielt mich im Fahrerraum fest. Ich vergewisserte mich, dass alle Türen verschlossen waren, schaltete das Scheinwerferlicht aus und rollte mich auf den Vordersitzen wie ein Embryo zusammen. Vielleicht würde ich bis zum Morgengrauen schlafen können, hoffte ich.

Niemand würde mich vermissen, ging es mir unvermittelt durch den Kopf. Eigentlich hatte ich eine Einladung für den Freitagabend gehabt. Am Abend zuvor hatte mir meine Freundin aber wegen einer Grippe absagen müssen. Daraufhin hatte ich mich spontan entschlossen, Marie doch zu besuchen. Am Freitagvormittag hatte ich vergeblich versucht sie zu erreichen.

„Was solls“, hatte ich mir gedacht, „sie hat ja gesagt, ich solle einfach vorbeikommen.“

Direkt nach Büroschluss war ich losgefahren. Auf halbem Wege hatte mein Auto begonnen merkwürdige Geräusche von sich zu geben. Sofort hatte ich am Straßenrand angehalten und nach meinem Handy gegriffen, um Hilfe zu rufen. Es war weder wie üblich in meiner Handtasche, noch war es anderswo zu finden. Ich musste es im Büro liegengelassen haben. Missmutig stieg ich aus, um ein Auto anzuhalten. Erst der dritte Fahrer hielt an. Nach einer Stunde kam der Pannendienst. Der Keilriemen war gerissen. Als mein Auto endlich repariert war, spielte ich mit dem Gedanken wieder nach Hause zu fahren, da es bereits dämmerte. Inzwischen hatte ich jedoch so viel Lust bekommen einmal wieder zu reiten, dass ich weiterfuhr.

Der Wind ließ die Zweige im steten Takt gegen meinen Golf schlagen. Ich wurde immer nervöser. Abermals beschlich mich das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Wieder schaltete ich das Radio an. Schrilles Krächzen dröhnte mir entgegen. Entsetzt stellte ich es ab.

„Ich muss hier weg!“

In einem Satz hob ich eine Fußmatte auf, öffnete die Fahrertür und sprang hinaus. Der rechte vordere Reifen hatte sich in den Waldboden gegraben. Unschlüssig, ob ich die Matte vor oder hinter das Rad legen sollte, kniete ich mich nieder.

Die Stille um mich herum machte mir Angst. Ich hatte das Gefühl beobachtet zu werden. Suchend drehte ich mich um, in der Dunkelheit konnte ich aber nichts erkennen.

Plötzlich erklang links von mir ein Lachen, schrill und gellend. Erschrocken schnellte ich zur Seite, verlor die Balance und fiel auf meine linke Schulter. Nun war das Lachen von rechts zu hören und auch von vorne. Es wurde immer lauter und durchdringender. Hastig richtete ich mich auf. Das grässliche Lachen kreiste mich ein, es kam immer dichter auf mich zu.

Unvermittelt riss die Wolkendecke auf. Im hellen Mondschein konnte ich drei dunkle Gestalten ausmachen. Sie schienen auf mich zuzuschweben. Voller Panik rannte ich auf dem Weg, den ich gekommen war, fort. Höhnisches Gelächter verfolgte mich. Nach einigen hundert Metern hielt ich keuchend an. Totenstille war eingekehrt. Der Mond war wieder von Wolken verhüllt. Suchend drehte ich mich im Kreis. Ich konnte nichts sehen und auch nichts hören. Unschlüssig, ob ich zurück zum Auto gehen oder besser weiterlaufen sollte, blieb ich stehen.

Etwas Eiskaltes strich über meinen Hals und dann über mein Gesicht. Schreiend versuchte ich fortzulaufen. Vergebens! Ich wurde zurückgestoßen, aufgefangen und vorgestoßen, immer wieder und begleitet von dem gleichen Gelächter. Kreischend schlug ich wild um mich. Endlich hatte ich, was immer mich umzingelte, durchbrochen. In Todesangst rannte ich davon. Hart prallte ich gegen etwas Starres, unbeirrt hastete ich weiter. Sekundenlang gaben die Wolken den Mond frei. Ich war in den Wald gelaufen. Hinter mir konnte ich drei Schatten erkennen. Bebend vor Angst hetzte ich weiter und hielt meine Arme dabei schützend ausgestreckt. Das grausige Gelächter hinter mir nahm ab, erstarb jedoch nicht ganz. Unversehens stolperte ich, fiel zu Boden und rollte einen Abhang hinunter. Entsetzt schrie ich auf. Vergeblich griff ich blind nach einem Halt. Abrupt landete ich auf einem Vorsprung. Stöhnend vor Schmerzen drehte ich mich auf den Rücken. Immer noch konnte ich Hohngelächter hören. Einen Moment lang schien wieder der Mond. Ängstlich schaute ich mich um. Offenbar lag ich auf einer Art Wanderpfad, links von mir ging es weiter steil hinab.

Aus dem Nichts tauchte vor mir ein Schatten auf. Mit schrillem Gelächter kam er auf mich zu. Noch auf dem Rücken liegend zog ich meine Beine an. Als der Schatten direkt vor mir stand, ließ ich sie kraftvoll vorschnellen. Die dunkle Gestalt strauchelte, fiel zu Boden und stürzte brüllend den Hang hinunter. Mit einem Schlage war es totenstill. Vorsichtig richtete ich mich auf. Mein ganzer Körper schmerzte, aber ich hatte mir glücklicherweise nichts gebrochen. Langsam und bedacht ging ich den Pfad entlang. Mein rechter Fuß stieß gegen einen Gegenstand. Tastend beugte ich mich hinunter. Abwägend nahm ich einen dicken, langen Knüppel auf. Mit dem Prügel in der Hand fühlte ich mich etwas sicherer, kampflos wollte ich mich nicht ergeben.

Drei Schatten hatte ich gesehen. Zwei von ihnen mussten noch irgendwo im Wald auf mich lauern, außerdem konnte ich mir nicht sicher sein, dass mich der erste nicht wieder anfallen würde. Jeden Herzschlag spürte ich wie einen Messerstich, so stark war meine Angst. In den wenigen Momenten, in denen der Mond den Pfad beleuchtete, versuchte ich mir seinen weiteren Verlauf einzuprägen, um nicht erneut zu stürzen.

Plötzlich raschelte es im Unterholz, abwehrend riss ich den Knüppel in die Höhe. So leise das Geräusch auch war, wollte mein Trommelfell davon schier zerreißen. Im Mondschein entdeckte ich einen kleinen Igel. Erleichtert ging ich weiter, bemüht möglichst wenig Laut von mir zu geben.

Meine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Schemenhaft konnte ich Konturen erkennen. Kam dort wieder ein Schatten auf mich zu? Sachte glitt ich zur Seite, den Knüppel hoch erhoben. Mit einem Schrei sprang ich vor und schlug mit aller Kraft mehrmals zu. Was immer mich angreifen wollte, sank vor mir stöhnend zu Boden. Schnell rannte ich weiter. Unversehens stolperte ich über eine Wurzel, taumelnd ließ ich den Prügel fallen. Bevor ich gänzlich zu Boden stürzte, fand ich Halt an einem dicken Stamm. Von Panik getrieben lief ich davon. Mit einem Schlage wurde alles um mich herum vom Mond hell erleuchtet. Argwöhnisch um mich blickend, hastete ich weiter. Der Pfad, in den ich mit dem Auto fälschlicherweise eingebogen war, lag augenblicklich vor mir.

Ich hatte die Orientierung verloren. Zögernd entschloss ich mich, den Weg nach links entlang zu gehen, in der Hoffnung an dessen Ende meinen Wagen zu finden. Immer wieder ließen mich unheimliche Geräusche innehalten. Folgte mir der dritte Schatten?

Urplötzlich hörte ich wieder höhnisches Lachen. Angsterstarrt blieb ich stehen.

„Der Knüppel!“ Ich hatte ihn im Wald verloren! Im Dunkeln bückte ich mich hinunter und suchte verzweifelt den Untergrund ab. Weder ein Stein, noch ein Ast waren zu finden. Wieder riss die Wolkendecke auf. Ich konnte mein Auto sehen. Dahinter, an den Findling gelehnt, sah ich einen schwarzen Umriss. Schnell kniete ich mich nieder. Auf allen Vieren krabbelte ich leise an den Rand des Pfades. Dann ging ich im Schutz der Bäume vorsichtig weiter. In meinem Kopf schossen die Gedanken wild um sich. Wie sollte ich zu meinem Golf gelangen, wie ihn wieder frei bekommen, wenn davor dieses dunkle Ungeheuer auf mich lauerte?

Das Gelächter ging mir durch Mark und Bein. Abwartend hielt ich mich im Gebüsch versteckt. Als der nächste Lichtkegel durch die Wolken fiel, raste ich zu der Gestalt hinüber, packte sie fest und schlug sie gegen den Findling. Erst schreiend und dann wimmernd wurde mir Gegenwehr geleistet. Gleichgültig hörte ich wie Knochen knirschend zerbrachen. Unbarmherzig stieß ich die Gestalt immer wieder gegen den Stein. Das Wimmern erstarb. Achtlos ließ ich den Schatten zu Boden gleiten und ging zu meinem Auto.

Eilig legte ich die Matte vor den Reifen und sprang auf den Fahrersitz. Während ich startete, ermahnte ich mich, sachte anzufahren. Sanft drückte ich auf das Gaspedal. Langsam fuhr das Auto voran. Mit einem Freudenschrei setzte ich ein letztes Mal zurück. Dann schoss ich mit durchgedrücktem Gaspedal den Pfad entlang, bog in die kleine Straße ein und raste den Weg, den ich gekommen war, zurück.

Als ich endlich wieder in Hamburg angekommen war, dämmerte es bereits. Die Außenalster wurde von der Morgensonne blutrot getönt. Erschöpft parkte ich vor meinem Haus. Froh über das Tageslicht ging ich rasch zu meiner Haustür. Bevor ich sie öffnete, vergewisserte ich mich, dass mir niemand gefolgt war. Rasch schloss ich hinter mir ab und schob den Sicherungsriegel vor.

Unendlich müde, aber auch unendlich erleichtert ließ ich mich auf mein Bett sinken.

„Nie wieder eine Landpartie“, schwor ich mir. „Was waren das nur für Schatten?“

Schaudernd fiel mir wieder ein, was Marie zu mir gesagt hatte: „Walpurgisnacht!“

 

 

 

Bücher von Lola Victoria Abco

 

5 Damen spielen falsch

Krimikomödie von Lola Victoria Abco

 

Dagmar möchte nicht länger auf den letzten Groschen schauen müssen. Ihr Leben könnte überhaupt ein klitzekleines Bisschen bequemer und abwechslungsreicher sein. Oder sollte sie es schlichtweg über Bord werfen und ein Neues beginnen?

 

Unverhofft flattert der Hausfrau auf verschlungenen Pfaden ein Vermögen zu. Ihr Traum könnte wahr werden. Ihre geldgierigen Freundinnen, ein Erpresser und die Polizei verwandeln ihn jedoch rasch in einen Alptraum.

Mit drei Kindern am Rockzipfel muss Dagmar ungeahnte Hürden nehmen und Schlachten schlagen, um ihre Freiheit und ihr Geld zu verteidigen. Als ihre Niederlage unausweichlich scheint, öffnet sich für sie unversehens ein Tor zu einem neuen Leben.

 

Leseprobe

 

 

Der Tag, an dem ich David B. ermorde

Thriller von Lola Victoria Abco

 

Was geschah in Dover?

Ihr Wissen über ein Verbrechen eines Weltstars will eine mäßig erfolgreiche Autorin nutzen, um in die Bestsellerlisten zu kommen. Ahnungslos sticht sie mit ihrer Behauptung in ein Wespennest.

Frustriert über ihren Misserfolg schickt Julia Melchior verschlüsselte Botschaften an ihre frühere Schulfreundin. Der heutige Weltstar empfängt sie daraufhin in ihrer Pariser Hotelsuite. Julia behauptet, Desiree Lincoln habe ihren Vater ermordet. Sie will Desiree dazu bewegen, ihrer Karriere auf die Sprünge zu helfen. Desiree reagiert unbeeindruckt von Julias Erpressungsversuch. Wieder zu Hause in Hamburg bekommt Julia jedoch die Tragweite ihrer Behauptung zu spüren. Zu spät fragt sie sich: Wer hat den Mord wirklich begangen?

 

Leseprobe

 

 

Am Ende vom Horizont

Novellen von Lola Victoria Abco

 

In einem Café nimmt ein junges Mädchen die Gestalt von Caspar David Friedrichs „Frau vor der untergehenden Sonne“ an. Magisch zieht sie dessen Betreiber in ihren Bann. Oft hatte er von der Frau auf dem Gemälde geträumt.

„Glücklich folgte er dem Mädchen bis es stehen blieb und ihren Kopf der Sonne leicht entgegenhob. Regungslos sah Manfred zu wie das Mädchen weiterging und im Nichts verschwand. Nach einer Weile setzten sich seine Füße in Bewegung. Als würden sie ihren Weg kennen, folgten sie dem Pfad des Mädchens. So lange bis nur noch der Wind die Grashalme beugte, nur noch das Gezwitscher der Vögel zu hören und auf der Wiese keine Menschenseele mehr zu sehen war.“

 

Leseprobe

 

 

Snack-time-stories

Erzählungen von Lola Victoria Abco

 

Eine Lesereihe für große Bücherwürmer und junge Leseratten. Jede Ausgabe bietet eine Erzählung für den kleinen Lesehunger.

 

 

Nachwort

 

LiebeR LeserIn

Ich hoffe, diese Snack-time-story hat Ihnen gefallen. Sie habe ich Ihnen kostenlos zur Verfügung gestellt. Es würde mich freuen, wenn Sie dies honorieren, z.B. indem Sie meine Homepage www.Lola-Victoria-Abco.de besuchen, andere auf meine Texte und mich aufmerksam machen oder … seien Sie kreativ, vielen Dank.

 

Herzliche Grüße

Ihre Lola Victoria Abco

Lola Victoria Abco im Internet

Informationen über meine Bücher und mich gibt es auf meiner Homepage:

www.Lola-Victoria-Abco.de

 

Herzlich willkommen

Lola Victoria Abco

 

Impressum

Texte: Lola Victoria Abco
Bildmaterialien: R. Nyland
Cover: Lola Victoria Abco
Tag der Veröffentlichung: 14.01.2019

Alle Rechte vorbehalten

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