„Oh mein Gott, ist das die Neue?“, kichert eine aufgetakelte Blondine ihrer Freundin zu. Blicke verfolgen mich, mustern abwertend meine durchlöcherte Strumpfhose, den weinroten Faltenrock und das Bandshirt, was ich anhabe. Meine Füße stecken in schwarzen Boots und meine schwarzen Haare tragen nicht wirklich dazu bei, dass man sieht, dass ich nicht von hier bin. Ich hebe mich von den anderen ab wie ein Papagei in einem Meer von Tauben. „Schlampe“, höre ich einen Jungen neben mir wispern. Ich wusste, dass es nicht leicht wird. Wer wechselt schon mitten im Schuljahr die Schule? Und das wohl größte Problem, wer tut es wenn man außerdem schwanger ist? Reflexartig lege ich meine Hand auf meinen noch relativ flachen Bauch. Man sieht es noch nicht, aber das wird sich bald ändern. Ergeben seufzend schließe ich die Augen, ich schaffe das.
„Ava Parker, richtig?“, reißt mich eine quietschende Stimme aus meinen Gedanken. Verwirrt bringe ich ein Nicken zu Stande. Vor mir steht eine in pink gekleidete Blondine, die genervt auf ihrem Kaugummi herumschmatzt. Ekelhaft. „Gut, mein Name ist Katie Johnson. Herzlich Willkommen an der Nordeast High. Ich bin im Schülerrat und dafür zuständig dir alles zu zeigen, dich mit deinem Stundenplan vertraut zu machen, blablabla.“, ratterte sie ihren Text hinunter, „Allerdings haben die Footballer gleich Training und das will ich auf keinen Fall verpassen, die sind so heiß, sag ich dir, aber du hättest sowieso keine Chance.“, verächtlich wandert ihr Blick über mich. Herausfordernd hebe ich eine Augenbraue, ich lasse mich hier weder fertig machen noch beleidigen. „Naja, also wenn du Interesse hast mitzukommen zeige ich dir danach die Schule, wenn nicht hast du halt Pech gehabt.“ Abwartend gucken ihre blauen Augen mich an, während sie weiterhin auf ihrem Kaugummi herumschmatzt. Alleine werde ich hier nicht zurechtkommen, das Gebäude ist riesig und hier wimmelt es überall von aufgetakelten Mädchen und arrogant dreinblickenden Jungs, ich werde solange vor ihnen fliehen wie es geht. Selbst wenn ich dann den Footballern beim Training zu sehen muss. „Ich komme mit.“ Überrascht wandert ihre rechte Augenbraue nach oben, bevor sie sich mit den Worten „Komm, wir sind spät dran.“ umdreht und auf ihren High Heels zum Ausgang stöckelt, ergeben folge ich ihr. Das wird ja lustig werden.
„Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhh, Katie! Da bist du ja, wir haben dich so vermisst!“, wird meine Begleiterin von drei anderen Mädchen bestürmt, alle blond. Sind hier dann wirklich nur Blondinen? „Sie haben schon mit dem Training angefangen und oh mein Gott, Dean sieht so gut aus! Es wirkt als ob er jeden Tag heißer wird. Sein T-Shirt klebt schon an seinem muskelbepackten Körper, so heiß!“, schnattern sie alle drauf los und beachten mich mit keinem Blick. Immerhin besser als die ganzen abwertenden Blicke der anderen im Schulgebäude. Unbeeindruckt hole ich mein Handy heraus, 3 Anrufe in Abwesenheit, und stecke es sogleich wieder ein. Ich habe keine Lust auf mein altes Leben, auf meine alten Probleme, auf die alten Geschichten. Das hier ist jetzt die Gegenwart, die Vergangenheit zählt nicht mehr. Mein Gott, ich werde Mutter! Und bevor ich das werde, werde ich mich ändern. Ich werde nicht mehr so wie früher sein. Ich lasse meine Augen über den Platz wandern, das ist jetzt mein Leben. Aufgeregt zerren die vier Blondis sich gegenseitig zum Spielfeld und beobachten sabbernd die schwitzenden Jungs, die über das Feld rennen. „Ihr habt ja so Recht, er ist so heiß!“, gurrte Katie da wieder, „Aber Tyler, den würde ich auch nicht von der Bettkante stoßen.“ Kichernd stimmen die anderen ihr zu und verfallen angeregt in ein Gespräch über die jungen Männer, die trainieren. Ich höre nicht zu, das interessiert mich nicht. Ich bin nicht hier um einen Kerl abzuschleppen, die Liebe meines Lebens zu finden oder sonst was. Ich will nur die Schule hinter mich bringen, mehr nicht. Ich komme alleine klar. Leise drehe ich mich um und suche mir wieder einen Weg zum Schulgebäude. Es war die falsche Entscheidung mit hierher zu gehen. Das hier ist nicht meine Welt, nicht mehr.
„John Smith?“, eine Hand hebt sich. „Ian Miller?“, wieder hebt sich eine Hand. Der Lehrer, im Übrigen heißt er Mister Cooper, liest jeden Namen, der auf seiner Liste steht laut vor um die Anwesenheit zu überprüfen. „Ava Parker?“, meine Hand hebt sich. „Dean Black?“, die Tür wird ruckartig aufgerissen. „Ach, da sind sie ja Mister Black. Schön, dass Sie es auch geschafft haben an meinem Kurs teilzunehmen“ Ein schwarzhaariger junger Mann streicht sich grinsend durch das noch feuchte Haar. „Training hat länger gedauert, sorry Mister Cooper.“ „Setzen Sie sich einfach.“ Geschmeidig bewegt er sich auf die Tische zu, steuert direkt auf meinen zu. „Da sitze ich, Schätzchen.“ Blaue Augen treffen auf grüne. „Jetzt anscheinend nicht mehr, Schätzchen.“ Lachend schmeißt er seine Tasche auf den Stuhl neben mir, es ist heiser und ein Schauer durchläuft mich bei dem Klang. „Du gefällst mir. Wieso lerne ich dich erst jetzt kennen? Wo hast du dich vorher versteckt?“ „Vorher war sie am anderen Ende des Kontinents, Mister Black, Ava ist neu. So da wir das jetzt geklärt hätten und Sie jetzt nun alle ruhig sind. Willkommen in meinem Biologiekurs, meine Damen und Herren. Wir werden uns dieses Semester mit dem Bereich Fortpflanzung beschäftigen.“ Die Mehrzahl der Mädchen fängt an zu kichern, die Jungs gucken selbstverliebt umher. Ohja, ihr seid ja so toll. Wie könnte nur irgendjemand jemals nein zu euch sagen, wenn ihr sie in euer Bett einladet. Ein Junge, der vor mir sitzt, dreht sich demonstrativ zur Seite und zwinkert einer Blondine neben ihm anzüglich zu. Sie wird natürlich augenblicklich rot und fängt total mädchenhaft an zu kichern. Oh Gott, wie soll ich das nur überleben?
„Genug gelacht, das Thema ist ernst zu nehmen und ich stehe hier vorne nicht zu Ihrer Unterhaltung. Sie alle sollen hier etwas lernen, denn sie wollen alle einen erfolgreichen Schulabschluss haben, wenn ich mich nicht täusche. Wenn irgendwer hier anderer Meinung ist, kann er gleich durch die Tür gehen und ich möchte ihn den Rest des Semesters nicht wiedersehen.“ Der Lehrer wird mir langsam sympathisch, hoffentlich kann er diesen Kurs wirklich bändigen. „Du bist also Ava?“, raunt mir auf einmal eine tiefe Stimme ins Ohr, „Ein schöner Name für ein schönes Mädchen.“ Gelangweilt drehe ich mich zu meinem Sitznachbar um, Dean Black. „Wie oft hast du den Spruch schon gebracht? Findest du nicht, dass er schon ziemlich langweilig ist?“, flüstere ich zurück, hebe eine Augenbraue hoch. Unsere Gesichter sind ziemlich nah beieinander und ich sehe direkt in seine meeresblauen Augen. Ich wette, schon viele Mädchen sind in ihnen versunken und haben sich unsterblich in ihn verliebt. „Was kann ich dafür, dass alle hübsche Mädchen, so hübsche Namen haben?“, zwinkert er mir frech zu. Schnaubend wende ich mich ab, ich habe kein Bedarf das Gespräch in irgendeiner Weise fortzuführen. „Hat dir das etwa die Sprache verschlagen? Dann habe ich dich wohl falsch eingeschätzt, ich dachte du bist schlagfertig, aber jeder kann sich irren.“ „Ich habe nur keine Lust mich weiter mit dir zu unterhalten, das hat nichts mit meiner Schlagfertigkeit zu tun, Schätzchen.“ Auch wenn ich ihn nicht angucken möchte, so wandert mein Blick doch zur Seite. Ein großes Grinsen hat sich auf sein Gesicht ausgebreitet und enthüllt strahlend weiße Zähne. Sein dunkelblaues T-Shirt mit V-Ausschnitt passt wie angegossen und zeigt seinen guten Körperbau. „Wenn du nicht an einem Gespräch interessiert bist mit mir..“, seine Stimme klingt dabei so überheblich, als ob es total absurd ist, dass jemand NICHT mit ihm reden will, „..wieso starrst du mich dann so an?“ Genervt verdrehe ich die Augen. Es hat keinen Sinn das zu leugnen, aber ihm auf die Nase zu binden, dass er gut aussieht werde ich auch nicht. Denn er weiß es anscheinend selber viel zu gut. „Ich werde dir jetzt bestimmt kein Kompliment machen, so wie du das gerne hättest, Süßer. Ich schätze die Blondine da vorne hat das schon oft genug gemacht.“, nicke ich unauffällig zu einem Mädchen, welches ein paar Reihen vor und links von uns sitzt. Ihre blonden langen Haare fallen glatt hinunter und reichen ihr bis an die Brust, ihr roter lippenstiftverschmierter Mund hat sich zu einem Schmollmund verzogen, wild blinzelnd schaut sie zu uns hinüber und verschlingt Dean mit ihren Blicken. Das ist echt nicht jugendfrei, da bekommt man ja den Eindruck, als ob er hier nackt neben mir sitzen würde. Widerlich. Genauso wenig jugendfrei ist ihr goldenes bauchfreies Glitzertop, das ihre Brüste in ungeahnte Größe pusht, wobei man zudem Angst haben muss, dass sie gleich rausfallen. Ihre braunen Beine stecken in einer engen Hotpants und münden in einem einfachen Paar goldener Ballerina. Ich bin überrascht, dass sie keine High Heels trägt.
„Ach, du meinst Cloe?“ Oh Gott, was für ein Klischee. Cloe, die Zicke, die Schlampe.
„Bist du etwa eifersüchtig? Wie süß.“, schmunzelt er. „Eifersüchtig, bestimmt. Das muss es sein.“, lache ich ihn leise aus. Eifersüchtig auf eine billige Blondine, die einen Hohlkopf anschmachtet und wahrscheinlich alles dafür tun würde mit ihm im Bett zu landen, wenn sie es nicht schon längst waren. Wie absurd. Der Gedanke bringt mich so zum Lachen, dass ich einfach nicht aufhören kann. Ein Wunder, dass Mister Cooper überhaupt nichts davon mitbekommt. Aber er ist so gefangen in seinem Vortrag über weibliche Eizellen, dass er, glaube ich, seine ganze Außenwelt total ausblendet. Seine Augen funkeln und ein Lächeln ziert sein Gesicht, richtig unheimlich. Aber eigentlich ist es ja schön, dass ein Lehrer nach so vielen Jahren noch so Spaß in seinem Beruf hat und so aufgeht. Denn von den Falten und den schon leicht grauen Haaren kann man erahnen, dass er nicht mehr der Jüngste ist. Trotzdem sprüht er gerade nur so von Zufriedenheit.
„Machst du dich etwa gerade über mich lustig?“, holt mich der gutaussehende Typ neben mir aus meinen Gedanken über meinen Biologielehrer. Seine rechte Augenbraue hat er leicht angehoben und sieht mich abwartend an. „Was wäre wenn?“, kichere ich ihm entgegen. Ein schiefes Grinsen entblößt seine Zähne, ruhig fährt er wieder durch seine Haare und verwuschelt sie ein wenig. Sie sind jetzt ganz trocken und ich komme nicht umhin, dass ich auch gerne mal durch seine rabenschwarzen Haare fahren möchte. Oder wenn er mich stürmisch an eine Wand drücken würde, darein zugreifen um seinen Kopf zu meinem zu drängen, damit wir uns leidenschaftlich küssen könnten. Verwirrt schüttle ich meinen Kopf, das bin ich nicht mehr und das werde ich auch nicht mehr sein. Was für ein absurder Gedanke. „Willst du das wirklich wissen, Babe?“, raunt er mir anzüglich zu. „Mister Black, sind Sie gedanklich noch in meinem Unterricht anwesend oder im Bett eines Mädchens?“ Ein perverses Grinsen schleicht sich auf das Gesicht meines Nachbars und er wiederholt die Frage, die er eben mir gestellt hat gegenüber unserem Lehrer: „Wollen Sie das wirklich wissen, Mister Cooper?“ Der Angesprochene seufzt ergeben. „Ich schätze nicht, diese Vorstellung würde ich dann nämlich nie wieder loswerden, so wie ich Sie kenne.“ Ein Lachen erfüllt die Klasse und die Blondine links vorne – Achja, ihr Name war ja Cloe – fängt wie wild an zu kichern: „Das wollen Sie wirklich nicht, Mister Cooper. Aber glauben Sie mir, ich würde es wissen wollen. Er ist bestimmt so gut darin.“ Anzüglich zwinkert Dean Cloe zu, und ich kann es nicht verhindern, dass mir vor Ekel ein Schauer hinunterläuft. „Das wollte ich wirklich nicht wissen, Miss Mason. Denn jetzt habe ich wirklich eine widerliche Vorstellung in meinem Kopf, die mich wahrscheinlich in meinen Albträumen verfolgen wird.“ Jetzt ist es beschlossene Sache, Mister Cooper ist mir wirklich sympathisch. Denn wie er werde ich diese Vorstellung garantiert nicht mehr los und das ist wirklich Horror, ich hoffe wirklich, dass mich das nicht in meinem Schlaf verfolgen wird. Widerwärtig, wirklich. Die Klasse ist immer noch erfüllt von Lachen, deswegen bekommt keiner mit, wie Dean sich nah an mein Ohr hinunter beugt und leise spottet: „Keine Sorge, du bist die einzige für mich.“ Sein warmer Atem streift mein Ohr und eine wohlige Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus, die ich gekonnt ignoriere. Dean fällt sie allerdings auf und er beobachtet mich genau. „Ist dir etwa kalt, Babe?“ Schon wieder diese heisere tiefe Stimme, wieder der heiße Atem an meinem Ohr. Ich wünschte, er würde daran knabbern. Um den Gedanken zu verdrängen, schüttele ich meinen Kopf. „Woher kommt dann die Gänsehaut an deinen Armen, Babe, wenn dir nicht kalt ist?“ Bedächtig streichen seine Hände über meine Gänsehaut, geradezu sanft. Erschrocken aufgrund der Berührung zucke ich zusammen, damit hatte ich nicht gerechnet und hätte ich nicht schon eine Gänsehaut gehabt, hätte ich jetzt garantiert eine bekommen. „Ich meinte: Ja, mir ist kalt.“, streite ich ab. Ein Grinsen breitet sich wieder auf sein Gesicht aus. „Natürlich meinst du das, Babe. Woher sollte es sonst kommen bei 30°?“, spottet er. Hochmütig grinst er mich an. Jaja, du bist ja so toll. „Okay, die Stunde ist für heute beendet. Wir sehen uns dann Mittwoch. Noch einen schönen Tag euch.“, verabschiedet sich auf einmal Herr Cooper bei uns und reißt uns aus unserem Gespräch. Eilig packe ich meine Sachen zusammen, ignoriere den gutaussehenden Jungen neben mir. Langsam stehe ich auf, streiche mir den Rock glatt. Bevor ich allerdings den Raum verlasse, drehe ich mich noch einmal um: „Mir wird schnell kalt, bilde dir nur nichts darauf ein.“ „Nein, natürlich nicht. Wieso sollte ich das tun, Babe?“, grinsend läuft er an mir vorbei, zwinkert mir noch einmal zu. „Ich hoffe wir sehen uns bald wieder, wie gesagt, du gefällst mir, Kleine.“ Kurz schließe ich die Augen, atme einmal tief durch. Damit werde ich fertig. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich an einen heißen Sportler gerate, aber dieses Mal wird es nicht so enden wie das letzte Mal. Dean ist für mich tabu, er interessiert mich nicht.
Nach Biologie folgten zwei Philosophiestunden, wobei ich zu spät kam, weil ich den Raum nicht gefunden habe. Ansonsten war der Kurs ziemlich unspektakulär, außer natürlich die giftigen Blicke meiner Mitschülerinnen, obwohl ich keine Ahnung habe, was ich ihnen getan habe. Aber das kann mir auch egal sein.
Die Pausenklingel beendete den Unterricht bei Miss Matthews, deren Kurs nicht halb so spannend war wie der von Mister Cooper, und erlöste mich zum Glück endlich von diesen Blicken. Was folgte ist die Mittagspause und nun laufe ich gerade dem Schülerstrom zur Cafeteria nach. Ob ich es riskieren sollte mir etwas zu Essen zu kaufen? Abschätzig betrachte ich das Chickensandwich vor mir, ein Versuch ist es wert. Zusammen mit einem Päckchen Orangensaft lasse ich mich ein paar Minuten später an einem runden Tisch nieder. Ich sitze alleine. Aber was habe ich auch erwartet, dass alle freudig auf die Neue zustürmen um sie zu begrüßen und sich mit ihr anzufreunden? Nein, diese Vorstellung ist total fiktiv und lachhaft. Unbekümmert beiße ich in mein Essen, wie gesagt ich bin ja nicht hier um mir Freunde zu machen, rede ich mir ein. Ich will gerade einen Schluck aus dem Saftpäckchen nehmen, als sich vier Blondinen an meinen Tisch drängen. „Da bist du ja Ava, ich habe dich schon gesucht. Wieso bist du beim Training einfach gegangen? Die Footballer waren so heiß! Außerdem sollte ich dir doch noch die Schule zeigen!“, keift mich Katie an. Ihre drei Schoßhündchen nicken zustimmend – Haben sie keine eigene Meinung? Sie haben wahrscheinlich Angst, dass sie in Ungnade fallen und Katie sich über sie lustig macht und sie dann keine best friends for ever and ever and ever and ever and ever sind. Ich muss ein Grinsen unterdrücken. Bevor ich zu Wort kommen kann, redet sie einfach weiter auf mich ein. „Und pack das Sandwich weg, oder willst du etwa fett werden? Woher kommst du überhaupt? Bist du ein Bauer? Und deine Sachen erst, ach Mädchen, was ist nur mit dir los?“, beleidigt sie mich.
„Sei leise.“, unterbreche ich ihre Rede. „Ich bin nicht auf deine Hilfe angewiesen, du kannst gehen. Setz dich irgendwo anders hin, wo es jemanden interessiert was du sagst. Ich lasse mich von dir nämlich nicht beleidigen, und auch nicht von deinen drei Schoßhündchen.“ Ja, das war es wohl mit bedeckt halten und keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Warum muss ich nochmal so eine große Klappe haben und mir dauernd Feinde machen? Innerlich seufzend, schlage ich mir selbst ins Gesicht. Ich bin so blöd, ich kann keine Feinde gebrauchen. Kichernd kommt ein Mädchen näher zu meinem Tisch. Wider Erwarten ist sie blond, Ironie lässt grüßen. „Hey Mädels.“, grüßt sie die anderen vier Blondis. Zu mir gewandt sagt sie freundlich lächelnd: „Ich bin Paris, und du Ava, richtig? Ich habe schon so viel von dir gehört. Wie ich eben auch noch mitbekommen habe, bist du auch noch witzig. Das was du zu Katie gesagt hast.“, kichert sie. „Wie? Das war ein Scherz was du zu mir gesagt hast?“, hakt Katie nach. Ungläubig nicke ich, warum hilft mir Paris? „Und Mädels, habt ihr schon gehört, Dean hat anscheinend was mit Cloe. Es tut mir so leid, Katie!“, mitfühlend umarmt sie das Mädchen, welches total fassungslos drein blickt. „Wwwwwas? Ich dachte, er beachtet mich endlich.“ Ihre Unterlippe zittert gewaltig als sie mit ihrem Gefolge aus der Cafeteria stürmt. Durcheinander starre ich den vier Blondis hinterher bevor mein Blick wieder auf die Person vor mir fällt.
„So, jetzt sind wir endlich allein. Übrigens das mit Dean und Cloe stimmt nicht. Er würde nie etwas mit ihr anfangen. Alleine diese Vorstellung!“, kichert Paris. „Naja, egal. Was für ein Glück, dass ich gerade noch rechtzeitig kam. Du darfst dir die vier nicht zum Feind machen, hörst du? Egal für wie oberflächlich du sie hältst, mache dir so wenig Mädchen wie möglich zum Feind. Glaub mir, sie können echt gemein sein! Du fragst dich jetzt wahrscheinlich warum ich dir geholfen habe, oder?“ Überfordert nicke ich wieder. „Ich bin die beste Freundin von Dean und er hat mir von dir erzählt, ich wollte dich mal kennen lernen und mir ein Bild von dir machen, wollte sehen, ob du wirklich anders als die anderen hier bist.“ Deans beste Freundin? Aber dafür ist sie viel zu ..nett und normal! Und Dean hat gesagt, dass ich anders als die anderen Mädchen hier bin? Warum? Ist das gut oder schlecht? Fragen über Fragen, irgendwie ist das gerade ziemlich viel und verwirrend. Entgegen meinen Gedanken frage ich: „Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?“ „Definitiv anders als die anderen.“, grinst sie mich an. „Gut erkannt, Sherlock. Ich hätte mir Sorgen gemacht, wenn ich genauso wäre wie die hier.“, abwertend zeige ich mit dem Finger auf eine tuschelnde Gruppe Blondinen, die gerade die Footballmannschaft anhimmeln, die in die Cafeteria schreitet. Und wenn ich schreiten sage, dann meine ich schreiten. Sie führen sich auf, als ob sie hier die absoluten Könige wären. Schnaubend wende ich mich von dem Schauspiel ab. Paris durchkreuzt allerdings meinen Plan sie zu ignorieren, denn sie fängt wie wild an zu winken, damit sie uns ja nicht übersehen. Dadurch auf uns aufmerksam geworden schlendert ein Teil von den Jungs auf uns zu, darunter auch Dean. Einer von ihnen beugt sich zu Paris runter und küsst sie zärtlich, als sie den Tisch erreichen. „Ich hab dich vermisst, Dan.“, flüstert sie ihm liebevoll zu. Ich würde darauf tippen, dass das ihr Freund. Aber wer weiß wie das hier so läuft.
„Also Ava, darf ich dir vorstellen. Das sind: Josh, Tyler, David, mein Freund Dan und Dean, aber den kennst du ja schon.“, zwinkert sie mir zu und zeigt nacheinander auf die verschiedenen Jungs. „Ehm hi, ich bin Ava.“, nuschle ich und packe eilig meine Sachen zusammen. Ich muss hier weg, ich hatte mir doch vorgenommen nicht in alte Verhaltensmuster zurück zu fallen. „Du musst jetzt nicht flüchten.“, grinst Dean mich an, „Wir fressen dich schon nicht.“ Er beugt sich näher zu mir herunter: „Außer du bittest mich darum.“ Ruckartig stehe ich auf. Mit den Worten: „Ich muss noch weg. Danke nochmal Paris, vielleicht sieht man sich ja nochmal.“ Verlasse ich fluchtartig die Cafeteria, bloß weg von hier. Hinter mir höre ich Dean noch Paris fragen, was denn vorhin losgewesen sei, aber bei der Antwort bin ich schon hinaus gestürmt.
Wieso muss ich ausgerechnet wieder an Footballer geraten, warum? Wieso kann ich nicht einfach damit abschließen und ganz neu anfangen? Neu, im Sinne von alleine, als Außenseiter, als Nichts, als Luft. Ich will keine Aufmerksamkeit, aber dabei habe ich die Rechnung ohne Dean gemacht, der mir anscheinend gefolgt ist. An meinem Schließfach hat er mich eingeholt. „Du hast einen ganz schönen Schritt drauf, Schätzchen. Machst du Sport?“, fragt er überrascht. Als ob er mein schlimmstes Geheimnis erraten hat, presse ich meine Hände auf meinen Bauch und fange hektisch an meinen Kopf zu schütteln. „Du bist komisch, Babe.“, abwegig guckt er mich an. Ich glaube er ist sich nicht sicher was er über mich denken soll, bin ich mir auch nicht bei ihm, also sind wir quitt. „Danke.“, entgegne ich nur leise. „Hast du Lust heute mit den Jungs, Paris und mir in den Freizeitpark zu gehen?“, fragt er mich ebenso leise. Er sieht auf eine absurde Weise besorgt aus. „Du kennst mich nicht. Warum solltest du mich mitnehmen wollen?“, erinnere ich ihn. Belustigt zuckt er die Schultern. „Babe, dann wird es erst recht Zeit, dass wir uns kennenlernen.“ „Nein, danke. Ich verzichte.“, wehre ich ab. Nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen ist die Divise. Entnervt seufzt er. „Du kommst mit, du hast da kein Mitspracherecht. Ich hol dich nach der Schule Zuhause ab.“ Bevor ich einwenden kann, dass er gar nicht weiß wo ich wohne, ist er umgedreht und geht fröhlich pfeifend davon. Komischer Junge. Aber vielleicht habe ich so Glück und er kann mich nicht abholen und dann kann ich leider nicht mitkommen. Das wäre ja total Schade. Hach, ich liebe Ironie.
Der restliche Tag verging nur mühselig, aber ich schaffte es die teils neugierigen, teils giftigen Blicke der anderen zu ignorieren. Der Unterricht wurde definitiv nicht besser, denn ich hatte noch Mathe und Kunst, in beidem bin ich nicht wirklich begabt. Träge schleppe ich mich 15:30 Uhr endlich nach Hause. Dort angekommen wollte ich mir gerade etwas zu Essen machen, als es klingelt. Verwundert öffne ich die Türe und direkt vor mir steht ein fröhlich grinsender Dean. „Bist du fertig? Schön, dann beeil dich. Wir wollen los!“ „Wie? Was?“ „Ich hab dir doch gesagt, dass wir in den Freizeitpark fahren, Babe. Jetzt hör auf so ein dummes Gesicht zu machen und komm!“, schmunzelnd zieht er mich aus der Wohnung und hinaus zu einem Auto voll mit Jugendlichen. „Ich wollte nicht mitkommen.“, erinnere ich ihn verwirrt. „Ich weiß, aber ich habe dir auch gesagt, dass das nicht deine Entscheidung ist, denn ich nehme dich einfach mit, Babe.“ Stumm schüttele ich den Kopf und bleibe stehen. „Ich komme aber nicht mit, Babe.“ Ich wollte gerade weiter protestieren, als er mich einfach über seine Schulter wirft und zum Auto trägt, wo wir von einer johlenden Bande begrüßt werden. Sind wir hier wieder in der Steinzeit gelandet, wo jeder seine Beute in die Höhle schleppt und sie dort qualvoll umbringt? Hört sich irgendwie ziemlich nach meinem heutigen Tag an, denn überleben werde ich das heute bestimmt nicht. „Ich werde mich rächen, Black.“, verspreche ich Dean düster, der ungeachtet meiner Drohung weiter geht und lässig mit der Schulter zuckt. Ich komme nicht drum herum festzustellen, dass er einen echt klasse Arsch hat, der sich bei jedem Schritt geschmeidig bewegt. Da würde ich schon gerne mal rein beißen. Nein, Ava! Hör auf, das willst du nicht. „Mach das, Babe. Ich freue mich schon darauf. Aber so lange genieße ich die Aussicht, die ich von hier von dir habe.“, grinst er mich übermütig an und schlägt mir mit flacher Hand leicht auf meinen Po. Jetzt ist es beschlossene Sache, ich werde mich sowas von rächen! Als ich endlich im Auto „verstaut“ wurde, klammert sich Paris an mich: „Zum Glück bist du da, jetzt bin ich endlich nicht mehr das einzige Mädchen hier!“ „Ich bin auch nicht freiwillig hier.“, gifte ich sie an. Auch wenn es gemein ist, sie hat ja nichts damit zu tun, aber ich wollte wirklich nicht mit. „Du wirst es aber nicht bereuen, Babe.“, dreht sich Dean vom Beifahrersitz um und zwinkert mir frech zu. Wenn Blicke töten könnten, wäre er schon lange tot. Denn meine jadegrünen Augen blicken ihm finster entgegen und in meinem Kopf gehe ich durch wie ich mich entweder rächen kann oder ihn umbringe ohne, dass jemand Verdacht schöpft, dass ich sein Mörder bin.
Ein raues Lachen erklingt von vorne: „Ich glaube, ich sollte wohl wirklich vor dir flüchten. Du siehst aus als ob du gerade überlegst, wie du mich am schnellsten loswerden und in irgendeinem Hinterhof verscharren kannst.“ Er kann also auch Gedanken lesen, interessant. Aber das Lachen wird ihm noch schnell genug vergehen. Denn wie sagt man so schön: Rache ist süß und sie ist mein! Mein Schweigen versteht er wahrscheinlich richtig, denn er zieht skeptisch eine Augenbraue hoch bevor er sich wieder nach vorne dreht und mit dem Autofahrer – Wenn ich mich nicht irre, hieß er Josh – abklatscht. Langsam setzt sich das Auto in Bewegung und nimmt den Weg zum Freizeitpark auf sich.
„Wie, du bist nicht freiwillig hier, Ava?“, fragt mich flüsternd Paris, die neben mir sitzt. „Ich hatte keine Wahl, dein bester Freund hat mich entführt.“, brumme ich leise. Ich könnte ihn auch anzeigen, weil er mich entführt hat, aber im Ernst, dass würde mir doch keiner glauben. Die würden wahrscheinlich denken, dass ich irgendein unheimlicher Stalker von Dean bin, der ein Date mit ihm hatte oder ihn dauernd stalkt, aber ein Korb von Mister Ich-kriege-sie-alle bekommen hat und sich nun rächen will. Schnaubend vergesse ich die Idee gleich wieder, außerdem wäre sie nämlich auch total übertrieben. Mir wird schon noch was Besseres einfallen.
„Also Leute, ich will unbedingt mit dem „Horror-Trip“ fahren, der soll mega sein!“, lässt ein blonder junger Mann neben Paris verlauten. Ich glaube, dass es sich um Paris‘ Freund handelt. „Gute Idee, aber du kannst dich dann schon darauf einstellen, dass ich mich an dich klammern werde, Schatz.“, kichert Paris vor sich her. Worauf Dan zwinkernd antwortet: „Du weißt doch, das stört mich nie. Ich werde es genießen.“ Hektisch schüttele ich den Kopf. Ich bin schwanger, ich kann sowas nicht fahren. Bildlich sehe ich schon die Schilder vor den Achterbahnen „Nicht mitfahren, wenn man schwanger ist.“ Selbst wenn es kein Wunschkind ist, so werde ich bestimmt nicht das Leben von ihm oder ihr riskieren! Da mache ich nicht mit, nein.
Auf einmal bleibt das Auto abrupt stehen. Meine Augen erfassen einen weiträumigen Parkplatz, der relativ viele freie Plätze hat, aber wer fährt schon mitten in einer (Schule)Woche zu einem Freizeitpark? „Endstation Freizeitpark. Bitte alle Fahrgäste nun aussteigen.“, spottet Josh von vorne und schwingt seine langen braungebrannten Beine aus dem kleinen dunkelblauen Auto. Neben uns parkt noch ein anderes Auto, in dem ich noch zwei andere Jungs erkenne, die mir heute in der Cafeteria vorgestellt wurden. Plötzlich öffnet sich die Autotür neben mir und ein gutaussehender Schwarzhaariger hält mir seine Hand hin. Lange, schmale Finger, braungebrannt, rau. Ich greife zu und lasse mich von Dean aus dem Wagen ziehen. Verwirrt taumle ich gegen ihn, als die Sonne mich blendet. Wieso habe ich nur keine Sonnenbrille eingepackt? Als ob der junge Mann vor mir meine Gedanken gelesen hat, setzt er sich seine schwarze Sonnenbrille ab und drückt sie mir in die Hand. „Du brauchst sie, glaube ich, nötiger als ich, Babe.“ „Danke.“, murmle ich leise zurück. Ich hasse es mich bei anderen zu bedanken. Eine komische Eigenart von mir. Dean schmunzelt bei meinen Worten, ich hatte eigentlich gehofft, dass er sie nicht verstanden hat, weil ich sie so leise gesagt hatte. „Für dich doch immer, du weißt doch, du bist die einzige für mich.“, zieht er mich leise auf. Grüne Augen treffen auf blaue. Jadegrün auf Meeresblau. Ich könnte versinken in ihnen, ertrinken und nie wieder auftauchen. Sanft hebt er eine Hand an, streicht mir eine widerspenstige Strähne aus meinem Gesicht, wirbelt sie um seinen Finger. Wie zu sich selbst flüstert er: „Genauso weich, wie sie aussehen.“ Und seufzt einmal genießerisch, bevor er einmal sanft meine Wange streicht. Ich bin gefangen in dem Moment, kann mich nicht zurückziehen, los reißen. Seine Augen verschlingen mich wie ein unendlicher Ozean, die verschiedensten Gefühle flackern in ihnen, aber eins spricht am meisten hervor: Überraschung. „Ey Leute, nehmt euch später ein Zimmer. Lasst uns endlich rein!“ So schnell wie er gekommen war, verflüchtet sich dieser Moment, Deans Augen reißen sich von meinen los, verschließen sich wieder. Ich glaube, ich hätte das nicht geschafft, aber er hat den Bann, der für einen kleinen Moment zwischen uns war, gebrochen. „Du bist doch nur eifersüchtig, Ty.“, spottet er daraufhin schon wieder mit einem neckischen Grinsen, welches seine strahlend weißen Zähne entblößt. Eifersüchtig, na klar. Auf was soll er denn eifersüchtig sein? Immerhin ist zwischen Dean und mir nichts.
„Leute? Darf ich vorstellen: Der Horror-Trip.“, strahlt uns wenige Minuten später Danny – Ich soll ihn so nennen, hat er mir vorhin noch geflüstert. Warum Paris ihn nicht so nennt weiß ich aber nicht. – an. „Also wer ist dabei und wer ist dabei? Ja oder ja?“ Er ist hibbelig wie ein kleines Kind, bevor es die Geschenke aufmachen kann. Ein kleines Lächeln erscheint auf meinem Gesicht, irgendwie ist das süß. Egal wie alt wir sind, irgendwie bleiben wir tief in uns drinnen doch immer ein Kind. „Danny ist tabu, Babe. Wenn du ihn Paris ausspannst, wird sie dich umbringen und ich werde sie nicht daran hindern.“, wird mir zugeflüstert. Die Stimme erkenne ich sofort, sie ist unverwechselbar. Tief, rau, leicht heiser. Männlich. Dean. Fassungslos schüttele ich leicht meinen Kopf: „Das hatte ich nicht vor, Black.“ „Das ist auch besser so, denn dann hätte ich ihm wehtun müssen.“ Wieso hätte er ihm wehtun müssen? „Leute, jetzt kommt schon. Wer hat Bock mitzufahren?“, unterbricht uns Danny. Kichernd verneine ich. „Tschuldigung, das ist nichts für mich.“ Der Blonde macht einen leichten Schmollmund, der aber gleich wieder verschwindet als sich der Rest meldet – außer Dean. „Einer muss ja auf dich aufpassen, Babe. Nicht dass du noch wegrennst. Viel Spaß euch.“ Leicht nervös lächelt mir Paris zu. „Du schaffst das schon, ich drücke dir die Daumen.“, kichere ich ihr zu. Irgendwie ist sie ja schon nett.
Während die anderen sich einen Weg zu der Gruselachterbahn mit diversen Loopings macht, blicke ich erwartungsvoll zu meinem Aufpasser auf. Er ist ein bisschen mehr als ein Kopf größer als ich, würde ich sagen. Vielleicht so um die 1,85m - 1,90m? Aber ich konnte noch nie gut schätzen, vielleicht stimmt das also auch gar nicht. „Da wir nun allein sind, Babe.“, zwinkert er mir zu, „Wie wäre es wenn ich dir eine Zuckerwatte ausgebe und wir eine Tour durch den „tunnel de l’amour“ machen?“ „Haha, natürlich, Black.“, verspotte ich ihn. Aber keine Sekunde später greift er nach meiner Hand und zieht mich mit den Worten: „Nur damit wir uns nicht verlieren, Babe.“ zu einem knallpinken Stand, der mit vielen schönen Blumen, leuchtenden Lichterketten und vielen verschiedenen bunten Sorten von der klebrig-zuckrigen Masse geschmückt ist. Zuckerwatte. „Blau, grün, pink, rot, lila, gelb, weiß – ein Regenbogen zu deinem Glück!“ steht auf einem Schild darüber geschrieben.
„Hallo, was kann ich für dich tun, Dean?“, lächelt eine etwas dickliche ältere Frau Dean fröhlich an. „Hallo, Martha. Schöner Tag heute, oder?“, begrüßt er sie, „Verkaufst du auch schwarze Zuckerwatte?“ Lachend schüttelt sie den Kopf und wirft ihre braunen Haare umher. Wow, jemand der keine blonden Haare hier hat. Es geschehen also doch noch Wunder, aber woher kennt Dean sie? „Nein, schwarz haben wir nicht.“, kichert sie immer noch. Ihre Wangen schimmern rötlich und verleihen ihr einen jugendlichen Glanz. „Schade, das würde zu der Seele neben mir passen. Aber dann nehmen wir einmal eine rote.“, zwinkert er ihr nochmal zu und fängt meine Faust ab, die ich gerade gegen seinen Arm boxen wollte. Als ob ich eine schwarze Seele hätte. Ungeachtet von uns macht sich Martha strebsam an die Arbeit und zaubert uns eine große leuchtendrote Zuckerwatte. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie muss ich an Cloe denken und dem was sie mir in der Cafeteria gesagt hat: „Pack es weg! Willst du etwa fett werden?“, kichernd schüttele ich meinen Kopf, das ist mir sowas von egal, Cloe.
Aufmerksam wandert der Blick von der Verkäuferin zu mir: „Oh, wie unhöflich. Ich bin Martha.“, lächelt sie mich freundlich an. „Ich bin Ava.“, grüße ich sie zurück und schüttle sanft ihre dargebotene Hand. „Ein schöner Name für ein schönes Mädchen. Was treibt dich dazu mit diesem Schwerenöter“, sie zeigt auf Dean, „unterwegs zu sein?“, kichert sie weiter. Ihr Lachen ist glockenhell. Es wirkt definitiv jünger, als sie aussieht. Ich grinse sie breit an. Den Spruch hat er dann wahrscheinlich von ihr. Auch Dean wirkt als ob er an unsere Biologiestunde denkt, wo er genau das gleiche gesagt hat. „Ich wurde von ihm entführt.“, flüstere ich ihr verschwörerisch zu. „Ach, Mädchen. Mich musst du doch nicht anlügen. Dean ist doch auch ein stattlicher junger Mann. Wenn ich jünger wäre…“, kichert sie weiter. „Martha, du weißt doch. Für dich würde ich jede einzelne verlassen.“, neckt der Schwarzhaarige neben mir seine Bekannte. „Jaja, Dean. Schere dich nur weg und genießt den Tag noch!“, verabschiedet sie sich von uns und wendet sich einem kleinen Mädchen, was sich eine große pinke Zuckerwatte bestellt, zu.
Grinsend drückt Dean mir die rote Zuckerwatte in die Hand. „Bitteschön, Babe.“ „Jetzt weiß ich wenigstens woher du die Sprüche hast.“, schmunzle ich, „Und ich hatte gedacht, dass ich die Einzige für dich bin?“, schmolle ich neckisch, aber ich kann mir das Lachen einfach nicht verkneifen und grinse los. „Ach, Babe. Du bist die einzige für mich, das weißt du doch.“, zwinkert er mir zu und wir beide brechen in Lachen aus. Die Situation ist total absurd. Ich wollte doch gar nichts mehr mit Sportlern zu tun haben. Aber ich könnte mich ja auch einfach mit ihnen anfreunden, dann wäre ich nicht alleine. Freunde sein, bedeutet ja nicht, dass ich mit ihm schlafe. Denn das werde ich nicht. Ok, Freunde sein geht in Ordnung, aber kein Sex und keine Liebe. Keine Gefühle, nur Freundschaft. Ja, damit komme ich klar. Ich bekomme Dean, glaube ich, nämlich nicht mehr los.
Wenige Minuten später haben wir uns dann wieder einbekommen und Dean streicht mir zärtlich die letzte Lachträne vom Gesicht. Unsere Augen finden sich wieder. Seine Augen sind so wunderschön, so fesselnd. Allerdings ist der Moment schnell vorbei, denn ich räuspere mich leise und zerstöre bewusst diesen intimen Moment. Nur Freunde. Ein Handy klingelt leise und bricht das unangenehme Schweigen, was sich zwischen uns ausgebreitet hat. „Ja?“, meldet sich Deans leise Stimme, als er den Anruf annimmt. „Ja, macht nur. Wir laufen noch ein bisschen herum. 19 Uhr am Ausgang? Ok, geht klar. Bis dann, Kumpel“, verabschiedet er sich auch gleich wieder. Fragend gucke ich ihn an. „Wir treffen uns mit den anderen 19 Uhr am Ausgang.“ Ja, das hatte ich auch mitbekommen, aber warum treffen wir uns nicht schon jetzt? „Die anderen wollen jetzt noch andere Achterbahnen fahren, die so ähnlich sind wie der Horror-Trip oder noch schlimmer. Ich habe mir gedacht, dass du da nicht so Lust drauf hast.“ Verwirrt nicke ich. Nimmt er etwa Rücksicht auf mich? Das ist wirklich.. süß und aufmerksam. Aber sowas machen FREUNDE ja.
„Ok, also ab zum „tunnel de l’amour“?“, fragt er mich grinsend. Ohne auf eine Antwort zu warten zieht er mich einfach zum Eingang und frachtet mich in ein rotes Bott, welches mit Efeu umschlungen ist, und setzt sich neben mich. Ich dachte, das vorhin sei ein Witz gewesen. Wollte er wirklich mit mir eine Fahrt durch einen Liebestunnel machen? Aber da legte das kleine Boot bereits ab, es war zu spät um auszusteigen. Ich teile ihm meine Gedanken mit. „Nein, Babe. Das war kein Scherz. Ich habe mir gedacht, dass wir uns jetzt näher kennen lernen können.“ Klar, „kennen lernen“, bestimmt. Er wollte mich also nur rumkriegen. Verärgert gucke ich ihn an, aber er lacht nur leise los. „Ich meine wirklich kennen lernen, wenn ich rummachen meine, dann sage ich das auch, Babe.“, neckt er mich. „Du willst mich also kennen lernen – Was willst du denn von mir wissen, Black?“ „Alles. Ich möchte alles von dir wissen, Ava Parker.“, gesteht er mir. Kurz überlege ich. Was kann ich ihm erzählen? „Mein Name ist Ava Parker, ich bin 17 Jahre alt und neu hier.“, fange ich an und werde abrupt unterbrochen. „17 Jahre? Ha, ich bin älter!“, grinst er mich überlegen an. Lachend schüttle ich den Kopf, wo bin ich hier nur gelandet? Wer ist er? „Ok, du schweigst. Also zeige ich dir mal wie das geht: Also ich bin der gutaussehende Dean Black, 19 Jahre alt. Ich wohne hier schon mein ganzes Leben und besuche derzeit die letzte Klasse, denn ich versuche dieses Jahr meinen Schulabschluss zu machen. Danach möchte ich Medizin studieren.“ Verblüfft wandert mein Blick zu ihm. Medizin? Er ist schlau? Er möchte helfen? Das hätte ich jetzt nicht erwartet. „Guck nicht so, Babe. Oder ist es etwa so abwegig, dass ich ein funktionierendes Gehirn habe und denken kann?“, lacht er mich leise aus, aber ich komme nicht drum herum festzustellen, dass er enttäuscht klingt. „Nein, nein, diese Fähigkeit habe ich dir nicht abgesprochen, Black. Ich war nur überrascht.“, beschwichtige ich ihn. Zaghaft lege ich meine Hand auf seinen Oberschenkel, das Wasser um uns herum war mir nicht geheuer. „Warum möchtest du Medizin studieren?“ Vorsichtig legt er seine Hand über meine, atmet seufzend aus. „Für alles muss es einen Grund geben, richtig? Ich habe einen Medizin zu studieren. Irgendwann werde ich dir erzählen warum, aber nicht heute.“, zaghaft streicht er mit seinen Fingern über meine Hand. „Aber jetzt wieder zu dir. Was willst du nach deinem Schulabschluss machen? Was sind deine Hobbies? Warum hast du mitten im Schuljahr die Schule gewechselt? Und warum zur Hölle bist du nicht blond?“, lacht er. Seine Anspannung löst sich langsam. Sein Grund muss ihm sehr viel bedeuten, faszinierend wie jeder seine Beweggründe hat. „Ich weiß noch nicht, was ich nach der Schule machen möchte. Aber ich habe ja noch etwas Zeit das zu entscheiden. Meine Hobbies? Ich koche gerne, allgemein Musik machen und Freunde treffen. Das war auf meiner alten Schule so, mal gucken, ob es hier bestehen bleibt.“, erzähle ich nervös. Ich will die Vergangenheit loslassen, nicht wie Altlasten an mir herum tragen. „Wie gesagt, für alles gibt es einen Grund, auch dafür. Aber das werde ich dir auch nicht heute erzählen, vielleicht irgendwann mal, vielleicht auch nicht..“, flüstere ich, ziehe mich geschickt aus der Affäre. Er merkt dass das Thema mich unruhig macht, ich mich dabei leicht anspanne. „Und warum bist du nicht blond?“, wiederholt er seine letzte Frage lachend. Spielerisch boxe ich ihn am Arm, anscheinend ist er nicht nur der selbstverliebte Playboy, sondern auch einfühlsam. Lachend verbringen wir die restliche Fahrt zusammen, es ist schön.
„Da seid ihr ja endlich, Leute! Wir dachten, wir müssen schon eine Fahndung rausgeben um euch zu finden“, grinst uns Josh entgegen, der durch seine nassen Haare fährt. Halt, Stopp! Nasse Haare? Warum? Verwirrt gucke ich die fünf klatschnassen Personen vor mir an. Was ist denn bei denen passiert? Dean spricht meine Frage aus, und beobachtet stirnrunzelnd die Gestalten vor uns. „Wir sind die Wasserrutsche mit den Baumstämmen gefahren und Dan hatte Lust unseren Baumstamm danach umzukippen, damit wir alle ins Wasser fallen.“, lacht Paris und gibt ihrem Schatz einen feuchten Schmatzer auf die Wange. Dieser lacht nur. Die anderen drei nassen Jungs sehen allerdings nicht so belustigt aus wie das Pärchen und ich schüttle grinsend meinen Kopf. Was ist das denn für eine Truppe? Bunt zusammen gemixt wirken sie so, als ob sie nicht zusammen passen, aber sie sind ein eingeschworenes Team, das habe ich sofort erkannt. Lachend machen wir uns alle auf den Weg zu den Autos. Apropos, die armen Autos! Sie werden klitschnass werden!
„Steig ein, Babe. Wir lassen dich bei dir Zuhause raus.“, hält mir Dean die Tür auf. Zusammengequetscht mit Paris und Danny werden meine Klamotten und ich nun auch durchnässt und ich kann einfach nicht aufhören zu lachen. Ich hätte zu gerne gesehen wie sie alle ins Wasser gefallen sind. Hell klingt mein Lachen durch das Auto, aufgrund des Geräusches dreht sich Dean zu mir um: „Du hast ein schönes Lachen.“ Meine Wangen fangen an zu brennen, ein roter Schimmer breitet sich aus, meine Augen leuchten anlässlich der Fröhlichkeit. „Du solltest es öfter tun.“ Mein Handyklingeln holt mich zurück in die Wirklichkeit. Ohne auf den Anrufer zu achten, nehme ich den Anruf an: „Ja, Ava hier?“ Dean beobachtet mich aufmerksam. „Hier ist Mike.“ Mike. Mike, der Vater meines Kindes. Der Grund warum ich die Stadt gewechselt habe, der Grund warum ich hier bin. Scheiße.
„Ich kann gerade nicht telefonieren, tschüssi.“ Weggedrückt. Ich habe ihn einfach weggedrückt. Wenn irgendjemand noch einmal sagt, dass man nicht vor seinen Problem weglaufen kann, dann muss ich ihn verbessern. Bis jetzt klappt das ganz gut bei mir. Ich konnte zu dieser Zeit ja noch nicht wissen, was noch alles passieren würde.
Dean und die anderen fahren mich tatsächlich nach Hause und auch wenn Dean mich aufmerksam beobachtet, fragt er mich nicht warum ich auf einmal so still bin. Paris drückt mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Dean steigt mit aus, bringt mich sogar noch zu meiner Wohnungstür. Langsam beugt er sich zu mir runter. Seine weichen Lippen berühren meine Wange. Überrascht sehe ich ihn an, sehe in seine leuchtenden Augen. „Danke, dass ich Sie heute entführen durfte, Miss Parker.“, wispert er rau, verursacht mir einen angenehmen Schauer. „Danke, dass Sie mich entführt haben, Mister Black.“, flüstere ich leise zurück. „Ich glaube, ich bin auf den Geschmack gekommen Sie zu entführen. Wir sehen uns morgen. Schlaf gut.“, verabschiedet er sich von mir, dreht sich um und verschwindet. Ich stehe wie festgefroren an der Stelle, höre den Motor des dunkelblauen Autos‘ vor unserem Haus starten und wegfahren. Die Reifen quietschen. Ich stehe immer noch an der gleichen Stelle, kann mich nicht bewegen. Seine Lippen waren viel weicher als sie aussahen und diese Zärtlichkeit in seinem Blick. Wenn es immer so ist, werde ich mich freiwillig melden, damit er mich entführt, aber nur als Freunde. Denn das sind wir, mehr nicht.
Mike meldet sich nicht noch einmal. Der Anruf im Freizeitpark war alles was kam. Trotzdem beschert mir alleine die Erinnerung daran ein Schauer. Ich bin so jung, so dumm. Nur weil ich umgezogen bin heißt es ja nicht, dass er keinen Kontakt mehr zu mir aufnehmen kann. Wochen vergingen, ich unternehme immer mehr mit Paris, Dean und den anderen. Sie entführen mich, so wie Dean es immer nennt - Ich wurde ein fester Bestandteil ihres Freundeskreises und ich bin froh darüber. Ich habe sie ins Herz geschlossen.
Meine Hände wischen noch einmal über meine Mund rüber, ich stütze mich an dem Waschbecken der Damentoilette der Schule ab. Meine Arme zittern. Seufzend schöpfe ich ein wenig Wasser aus dem Wasserhahn um mir den Mund abzuwischen und diesen ekligen Geschmack aus dem Mund zu bekommen. Zum Glück bin ich alleine. Ich brauche Ruhe. Morgenübelkeit. Seit längerer Zeit schon ein alltäglicher Begleiter meines Lebens. Obwohl ich echt nicht weiß, warum es Morgenübelkeit heißt, immerhin habe ich das den ganzen verdammten scheiß Tag. Aber ich habe es fast geschafft, Morgenübelkeit soll nur im 1. Drittel der Schwangerschaft vorkommen und ich bin in der 12.Woche. Hoffentlich ist es bald zu Ende. Ich kann nicht mehr. Seufzend verlasse ich den Raum und will mich gerade auf den Weg zu meinem Musikkurs machen, als ich gegen jemanden renne. Ich kann gerade noch so das Gleichgewicht behalten, mein Gegenüber schafft dies aber nicht und findet sich auf dem Boden wieder. Lachend steht sie wieder auf und grinst mich an: „Hi, ich bin Dana. Tschuldigung, ich hatte dich nicht gesehen“ „War ja auch meine Schuld, ich bin Ava.“ Aufmerksam mustere ich das Mädchen vor mir: Eine Blondine (Oh Wunder), aber mit roten Strähnchen. Sie trägt ein kurzes Blümchenkleid und an ihrem Arm erstrecken sich lauter Festivalarmbänder. Grinsend strecke ich ihr meine Hand hin und zeige ihr auch meine. „Oh mein Gott, du warst bei dem „Beach Rock“ Festival in Kalifornien? Da wollte ich auch unbedingt hin, aber leider ist es nichts geworden!“ Musternd wandern ihre Augen über mein zu meinen Augen passendes Kleid und meiner Lederjacke, hin zu meinen Festivalarmbändern, die ihre Augen zum Leuchten bringen. „Ich hab dich hier noch nie gesehen. Bist du neu hier?“, fragt sie mich neugierig. Lächelnd nicke ich: „Ja, bin erst seit kurzem hier und muss mich beeilen. Ich habe jetzt irgendwo Musik mit einem gewissen Mister Johnson, aber ich vergesse immer den Weg zu den Musikräumen.“ „Mit dem habe ich jetzt auch! Komm mit, ich weiß wo wir hin müssen!“, freut sie sich und zieht mich durch die Schülermassen hindurch in einen Raum voller Musikinstrumente. Ein Klavier, Gitarren, Flöten, Trompeten, Schlagzeug, Keyboards, Schellen und noch viele weitere Instrumente pummeln sich in dem großen Traum. In der Mitte steht ein Mikrofon an dem gerade Cloe ein mir unbekanntes Lied singt, aber es klingt wirklich gut.
„Setzt euch, Leute. Für alle, die noch nicht das Vergnügen hatten mit mir Unterricht zu haben: ich bin Mister Johnson, der Leiter dieses Musikkurses.“, nickt er zu einem Jungen, der bis jetzt den Musikkurs immer geschwänzt hatte. Ein Wunder, dass er heute anwesend war. „Wir fangen heute mit dem Projekt an, von dem ich das letzte Mal geredet habe. Viel Spaß euch. Bei Fragen, könnt ihr gerne zu mir kommen.“ Dann folgt noch eine Belehrung wie man sich hier drinnen benehmen muss und was unsere genaue Aufgabe ist. Jetzt bilden wir verschiedene Gruppen und starten endlich das Bandprojekt, wo jede Gruppe sich vorbereiten muss um später ein Lied zu performen und dafür eine Note zu bekommen. Ich bilde zusammen mit Dana, Josh und Tyler eine Gruppe. Die beiden Jungs waren nämlich überraschenderweise auch in meinem Musikkurs und wie sich herausstellte auch ziemlich begabt!
Die Stunde verfliegt nur so, es macht wirklich Spaß mit den anderen zu spielen. Ich will gerade aus der Tür hinausstolpern um mir meinen Weg zur Cafeteria zu suchen, als ich von Dean abgefangen werde. „Na, Babe. Wie war deine Musikstunde?“ Fröhlich grinsend drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange, spüre ein angenehmes kleines Kribbeln in mir. „Sehr gut. Josh und Ty sind so gut. Und kennst du schon Dana? Ich habe sie vorhin umgerannt, aber sie ist echt nett.“, kichere ich. „Klingt nach dir. Und muss ich mir etwa Sorgen machen, dass du etwas von Josh oder Ty willst? Junge Dame, Ihr Verhalten ist unbürgerlich.“, neckt er mich. „Haha, ist ja nicht so als ob wir zusammen wären, Black.“, spotte ich zurück. „Nein, dem ist nicht so..“, murmelt er vor sich hin und wendet sich ab, damit wir zusammen in die Cafeteria gehen können. Das bin ich gewohnt. Dean und ich sind in den letzten Wochen oft zusammen gewesen, manchmal benimmt er sich einfach komisch. Widerstandslos folge ich ihm und lasse mich neben ihm an unserem Tisch mit Paris, Ty, Josh und Danny nieder. Dem Essen hier habe ich abgeschworen als ich einmal ein halb rohes Hühnchen bekommen habe, es ist wirklich widerlich. Alleine der Gedanke daran bringt mich wieder zum Würgen.
„Da seid ihr ja endlich! Wir reden gerade übers Wochenende. Wir wollen alle an den Strand. Seid ihr dabei? Natürlich seid ihr dabei! Was frage ich noch?“, schnattert Paris drauf los. Ohoh, Strand ist nicht gut. Langsam fangen meine Hosen an eng zu werden, zu drücken. Aber nicht nur dort habe ich zugenommen, sondern auch an meinem Busen. Er ist voller. Und das ist nicht nur mir aufgefallen, sondern auch Dean. Seine Augen sprühen förmlich vor Begierde, wenn er sie angeguckt und ich kann nicht abstreiten, dass mir das gefällt. Aber wir sind Freunde. Zurück zum Strand-Problem: Dort würden sie erkennen, dass ich ein Bäuchlein habe, dass ich schwanger bin und das kann ich nicht riskieren! Ich bin noch nicht so weit, dass ich ihnen das erzählen kann, dass ich mit ihnen darüber rede. Und wenn ich es doch tun würde…Sie würden mich verurteilen, nie wieder mit mir sprechen. Das würde ich nicht verkraften. Irgendwann wird es rauskommen, irgendwann werden sie es erfahren, aber noch nicht jetzt, diesen Gedanken werde ich jetzt noch nicht zu Ende denken. Ich werde das hier so lange genießen wie ich kann. „Ich weiß noch nicht, ob ich kann. Meine Mutter hat Geburtstag. Sie wird mich dann bestimmt nicht rauslassen.“, versuche ich eine Ausrede zu finden. Meine Augen fixieren den Salat vor mir, den ich mir mitgebracht habe. Ich kann nicht lügen, besonders nicht wenn ich jemanden in die Augen dabei gucke. Ich kann es einfach. „Oh, sicher dass sie dich nicht doch rauslässt? Fragen kostet ja nichts.“, versucht Paris mich nochmal zu überreden. Aber ich schüttle stumm den Kopf. Ich habe meinen ersten Ultraschalltermin am Wochenende. Wenn die anderen an den Strand fahren, werde ich mit meiner Mom in einem Wartezimmer sitzen und das erste Mal dieses kleine Geschöpf sehen, was in mir wächst. Es müsste schon größer als 7 cm sein. Gedankenversunken lächle ich vor mich hin.
„Warum lügst du uns an?“, wispert auf einmal eine tiefe Stimme an meinem Ohr. „Ich lüge nicht, Black.“, streite ich ab. „Oh doch, und wie du das tust. Hast du etwa einen Lover den du alleine treffen möchtest und wir sollen nichts davon erfahren? Ich habe dich enttarnt, Babe.“ Ich schweige, gucke ihn nicht an. „Und ich dachte, dass wenn du einen Lover hast, ich es wäre. Ich bin enttäuscht von dir, wirklich.“ Ich bestrafe ihn mit Schweigen, das geht ihn nichts an. Es wird immer schwerer ihm nicht zu verfallen. Wie einfach wäre es ihn einfach zu küssen, sich einfach fallen zu lassen. Seine Gefühle freien Lauf zu lassen. Nein, Stopp. Ich möchte ihn nicht küssen. Wir sind Freunde, mehr nicht. Freunde. Ich drehe mein Kopf leicht, sehe ihn an. Er beißt sich gedankenverloren auf seine Lippe, wie gerne ich da mal dran knabbern würde. Nein, Stopp. Böse Gedanken.
Es macht ihm zu schaffen, dass ich ihm die Wahrheit nicht sage. Wenn ich eins in der Zeit, die wir bis jetzt zusammen verbracht haben gelernt habe, dann dass er auf Ehrlichkeit besteht. Aber ich kann in dieser Sache nicht ehrlich sein. So leid es mir tut, so viel er mir auch bedeutet, ich kann ihm das nicht sagen. Schweigen ist besser, als es ihm zu sagen. Wenn ich alleine an seine Reaktion denke, die ich dadurch auslösen würde, bekomme ich Panik. Nein, noch nicht. Ich habe noch ein wenig Zeit. „Du und mein Lover? Wovon träumst du nachts eigentlich, Black?“, verspotte ich ihn, ziehe ihn auf, reiße ihn somit aus seinen Überlegungen. „Wenn du schon nachfragst, Babe, ich träume nachts davon..“ „Stopp, hör auf, Mann. Davon kriege ich Albträume.“, unterbricht ihn Ty und schüttelt sich dabei. „Echt widerwärtig. Nehmt euch ein Zimmer, wenn ihr euch gegenseitig aufgeilen wollt.“ Lachend schüttle ich den Kopf: „Kein Interesse.“
„Warum lacht ihr?“, werden wir unterbrochen. Dana steht vor unserem Tisch. Immer noch mit ihren blonden Haaren, den roten Strähnchen, dem Sommerkleid. In der Hand hält sie ein Tablett mit einer Flasche Wasser und einem Apfel. Als sie meinen argwöhnischen Blick, der auf ihrem Tablett liegt, sieht, sagt sie schnell: „Der Rest ist hier nicht genießbar. Ich gehöre nicht zu den Hungernden dahinten.“, zeigt sie auf einen Haufen unter dem ich auch Cloe und Katie erkenne. Im Laufe der Zeit habe ich erfahren, dass sie anscheinend auch Freundinnen sind, passt ja. Die anderen blicken sie skeptisch an, außer Dean: „Setz dich doch, Dana. Ava hat schon von dir erzählt. Also Leute, darf ich vorstellen: Das ist Dana.“ „Hallo Dana!“, erklingt es im Chor und alle fangen an zu lachen. Dana setzte sich zaghaft neben mir und lächelt vorsichtig in die Runde. „Ich bin Paris und das sind Dan, Josh, Tyler, Dean und Ava.“, stellt Paris alle vor und zeigt auf die einzelnen Personen, so wie sie es damals auch bei mir gemacht hat. „Hallo nochmal.“, lacht Dana. Ty beißt gerade in seinen deftigen Hühnerschenkel – Er isst immer noch in der Cafeteria, weiß Gott warum. – als ich es spüre. Langsam steigt in mir wieder eine heftige Übelkeit hoch. Der fettige Geruch des Essens gibt mir den Rest. „Sorry Leute, ich muss los.“, bringe ich noch panisch hervor als ich aus dem Essensaal flüchte um die Toilette zu erreichen. „Hey, aber wir haben doch noch zusammen. Ava, warte!“, höre ich noch Dean hinter mir her rufen, aber ich muss ganz schnell weg, ganz ganz schnell.
Wenige Minuten später finde ich mich auf der Toilette wieder. Aufs Neue einen ekelerregenden Geschmack im Mund, aber ich habe es noch geschafft. Gerade so. Gerade als ich meine Hände waschen möchte, stürmen Katie und ihre drei Schoßhündchen in das Mädchenbad, gefolgt von Cloe. Abwertend schauen sie mich an. In den letzten Wochen sind wir auf Abstand gegangen, ich habe mit niemanden von ihnen ein Wort gesprochen, denn das von Paris hat mir zu denken gegeben. Sie hatte Recht, ich brauche hier keine Feinde. Die bereiten nur Probleme. Deswegen bin ich überrascht, dass sie vor mir stehen bleiben und sich aufbauen. Abwartend ziehe ich eine Augenbraue hoch. Was ist denn jetzt los? Wollen sie vielleicht Schminktipps von mir haben? Oder Ratschläge wie sie sich mit Dean anfreunden können? Oder mit Ty? Oder irgendeinem anderen Jungen? Immerhin kann man nicht übersehen, dass sie jeden einzelnen Jungen im Footballteam anhimmeln. Sie würden alles dafür tun um mit ihnen näheren Kontakt zu haben und am besten natürlich mit ihnen auszugehen und im Bett zu landen. Ob sie auch die Absicht haben mit einem von ihnen zusammen zu kommen steht wohl in den Sternen.
„Ava Parker, richtig?“, fragt mich Katie. Das Szenario kommt mir bekannt vor, allerdings war es das letzte Mal mein erster Tag hier und sie hatte einen Grund mich das zu fragen. Jetzt hat sie den nicht mehr, denn sie weiß ganz genau, dass ich Ava Parker bin und sie hat auch keinen Grund überhaupt ein Gespräch mit mir anzufangen, wie gesagt, wir sind keine Freundinnen. Trotzdem nicke ich, ich will sie nicht verärgern. Im Hinterkopf habe ich immer noch Paris‘ Worte. „Gut, da du nun anscheinend endlich mal alleine bist und nicht umzingelt von Dean oder seiner besten Freundin Paris.“, sie spricht ihren Namen aus wie Abfall, wie ein wertloses Stück Müll. Ich muss mich gerade echt zusammen reißen, dass ich ihr nicht meine Meinung sage. Immer schön an Paris‘ Worte denken, du willst doch keine Probleme. „Wir möchten dir nur eine Botschaft übermitteln.“, falsch lächelnd schmatzt sie auf einem Kaugummi herum. Das hat sich dann wahrscheinlich auch nicht geändert. Es ist immer noch widerlich, ekelerregend. Aber was für eine Botschaft soll sie mir überbringen wollen? Das ist absurd, das alles, die ganze Situation. Was will sie von mir?
Überraschend kräftig drücken mich auf einmal ihre drei Schoßhündchen gegen die weißgeflieste Badwand. Ich spüre die Kälte in meinem Rücken, widersprüchlich zu der Hitze, die draußen herrscht. Fünf Augenpaare starren mich in Grund und Boden, sehen aus als ob sie mich auf der Stelle töten möchten. „Wir sagen dir das einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, nicht viermal. Nur ein einziges Mal und wenn du das nicht ernst nimmst wirst du spüren was es zu bedeuten hat sich gegen uns aufzulehnen.“, zischt Katies Stimme mir ins Ohr. „Du wirst dich von Dean fern halten. Hast du das verstanden, Miststück? Dean gehört mir.“, ein Räuspern unterbricht ihren finsteren Redeschwall. „Dean gehört UNS.“, verbessert sie sich daraufhin. „Du wirst die Finger von ihm lassen. Hast du das verstanden, Miststück?“ , faucht sie noch einmal. Durcheinander und ein klein bisschen verängstigt bringe ich ein Nicken zu Stande. Hiermit ist nicht zu spaßen, so wie die gerade wirken würden sie sonst was tun, wenn ich jetzt irgendetwas anderes sage. Schlimmstenfalls mich zusammen schlagen und ich bin auf der einen Seite nicht lebensmüde, auf der anderen Seite möchte ich das Leben meines Babys nicht aufs Spiel setzen. „Sag es, ich will es hören!“, kreischt sie mich an.“ „Ja, ich.. ja, ich habe es verstanden. Ich werde die Finger von ihm lassen, ich will nichts von ihm. Er gehört.. er gehört euch.“, bringe ich zitternd hervor. Mir wird schwindelig, mein Körper bebt. Irgendwas ist komisch. Mein Körper macht nicht was ich will. Ich werde losgelassen. Eine flache Hand landet in mein Gesicht. „Vergiss unsere Worte nicht, wenn du dich nicht daran hältst, wirst du uns richtig kennen lernen.“, prophezeit mir noch einmal Cloe, bevor die fünf stöckelnd hinausgehen. Meine Wange brennt. Mechanisch mache ich einen Schritt nach vorne, blicke in den verschmierten Spiegel. Angstgeweitete Augen starren mir entgegen, umrandet von dicken Augenringen, die sonst so braune Haut ängstlich blass, eine knallrote linke Wange, bebende Lippen. Ich erkenne mich nicht wieder. Ich bin doch sonst so taff. Ich gehe langsam aus dem Mädchenbad raus. Schüler stürmen an mir vorbei. Lachen, tratschen, lästern. Ich zittere immer noch. Von weit entfernt höre ich jemanden meinen Namen rufen „Ava?“, derjenige hört sich besorgt an. Aber ich kann mich nicht umdrehen, kann nicht reagieren.
Bin gefangen in meinem Körper und dann wird auf einmal alles dunkel.
Die Welt hört auf sich zu drehen.
Schwärze.
„17jähriges Mädchen, weiblich. In der Schule ohnmächtig geworden, niedriger Bluthochdruck, regt sich nicht mehr“, höre ich eine mir fremde Stimme. Ich will gucken wer es ist, versuche meine Augen zu öffnen, aber schaffe es nicht. Alles ist dunkel. Geräte piepen, die Trage auf der ich liege bewegt sich. Ich glaube, ich bin in einem Krankenwagen. Warum? Was ist passiert? Erneuter Versuch die Augen zu öffnen, ich schaffe es nicht. Es ist kalt. Eine warme Hand auf meiner. Schwärze.
Ich werde umhergeschoben, schnell. Mir ist schlecht. Menschen schreien herum. Auf einmal wird eine Tür geschlossen, sie knarzt. Endlich kehrt Ruhe ein. „Das 17jährige Mädchen aus der Nordeast High, einmal durchchecken.“, sagt wieder die Stimme von vorhin. „Ok, und wer ist der junge Mann hier?“ „Mein Name ist Dean Black, ich bin Avas Freund.“ „Sie können bleiben. Dann lasst uns doch mal gucken, woran es liegt.“, sagt eine andere tiefe Stimme. Ich spüre Hände. Ein von Anfang an zum Scheitern verurteilter Versuch meine Augen zu öffnen missglückt. Ich bin zu schwach. Mir ist immer noch schlecht. Ich will hier weg. Ich will alleine seine. Ich spüre wie ich anfange zu zittern, Panik steigt in mir auf. Mein Baby. Was ist mit meinem Baby? Adrenalin nimmt von mir Besitz, Tränen rinnen über meine Wangen, aber ich bin immer noch zu schwach mich zu bewegen. Eine Spritze. Es piekt. Erneute Schwärze.
Geräte piepen, laut, stetig. Eine Hand auf meiner, Finger, die mich sanft streicheln. Leise Worte dringen an mein Ohr. Mühsam öffne ich meine Augen, dieses Mal klappt es. Licht blendet mich, alles ist hell. Die Wände sind weiß, ein beißender Geruch durchflutet meine Sinne. Unverkennbar, ich bin im Krankenhaus. Ich versuche zu sprechen, aber es kommt kein Ton heraus. Meine Kehle ist trocken, zum Räuspern bin ich zu schwach. Mir ist schlecht. Mein Magen rumort, es will hinaus. Aber alles tut weh, kann mich nicht regen. Unter äußerstem Kraftaufwand bringe ich ein Wort hinaus. „Schüssel.“, mehr nicht. Mehr hat es nicht gebraucht. Der schwarzhaarige junge Mann, der bis eben vorsichtig meine Hand gehalten und angestarrt hat, ruckt hoch. Die Schüssel kommt gerade noch rechtzeitig.
„Ava.“ Nur ein Wort verlässt seinen Mund und doch klingt es so unendlich liebevoll und voller Sorge, dass mir erneut Tränen in die Augen schießen und sich einen Weg nach unten bahnen. Ich habe gerade vor seinen Augen.. und er ist noch da, ist nicht weggerannt. Behutsam streichen seine Finger über meine Haare, die er mir eben noch aus dem Gesicht gehalten hat, bis hin zu meinem Gesicht, ziehen es sanft hoch. Seine Finger streichen mir genauso zärtlich die nicht enden wollenden Tränen weg. Seine Augen finden meine, seine ozeanblauen nehmen mich gefangen. „Was machst du nur für Sachen, Ava?“, fragt Dean mich leise. Ein warmes Prickeln durchläuft mich. Ava. Er hat mich Ava genannt. Nicht Schätzchen, nicht Babe, nicht Süße. Nein, Ava. Langsam schüttle ich den Kopf, versuche mich zu räuspern um zu antworten, aber es klappt nicht.
Seufzend steht er auf, lässt meine Hand los. Ich würde alles dafür geben, dass er sie wieder in seine viel zu große Hand nimmt. Zurück kommt er mit einem kleinen Glas Wasser, was er mir behutsam an meine Lippen hält, damit ich etwas trinken kann. Kalt läuft es meiner Kehle hinunter, mildert das Kratzen in meinem Hals. Trotzdem zittern meine Hände noch. Ich bin froh, dass ich es nicht selber halten muss. Ich denke, dass ich das nicht geschafft hätte. Vorsichtig räuspere ich mich: „Ich weiß es nicht, Dean. Ich weiß es nicht.“, und dann fange ich richtig an zu weinen. Mit den Worten „Komm rutsch ein Stück“ legt er sich zu mir ins Krankenhausbett und zieht mich an sich. Mein Kopf bettet er an seiner trainierten Brust, meine Hand ruht daneben. Kräftig und stetig schlägt sein Herz an meinem Ohr, sein Atem hebt in einem durchgehenden Rhythmus seinen Brustkorb an. Er wartet bis ich mich wieder beruhigt habe und mein Körper aufhört vor Schluchzen zu beben.
„Ich glaube, es wird Zeit, dass wir ehrlich zueinander sind. Denkst du nicht, Ava?“ Zaghaft nicke ich. Es wird Zeit alles zu erzählen. Der Moment, den ich so sehr gefürchtet habe, ist gekommen. „Ok, du wirst also meine Fragen ehrlich beantworten?“ Wieder nicke ich. Jetzt wird sich alles ändern. Seufzend fährt er sich durch seine wuscheligen Haare. „Was ist vorhin passiert? Warum bist du wie eine Irre aus der Cafeteria geflüchtet?“ „Mir war schlecht, deswegen bin ich auf die Toilette gerannt. Dort habe ich Cloe, Katie und ihre drei Schoßhündchen gesehen.“ Ich erzähle ihm was alles passiert ist, beschreibe ihm wie es abgelaufen ist, aber ich gucke ihn nicht ins Gesicht. Ich kann das nicht. Je weiter ich rede, desto angespannter wird er. Seine linke Hand hat sich zu einer Faust geballt und es wirkt nicht so, als ob er sie in nächster Zeit entspannen wird. Ich seufze leise, als ich endlich geendet habe. Die nächsten Fragen werden schlimmer, das habe ich im Gefühl. Ein unangenehmes Schweigen breitet sich zwischen uns aus, unruhig bewege ich mich ein bisschen hin und her. „Entspann dich, Babe. Ich werde schon nichts tun.“, versucht er mich zu beruhigen. Wieder Babe, nicht mehr Ava. Babe. Was hat das zu bedeuten? Und warum ist mir das so wichtig? „Ich hatte noch nie etwas mit Cloe oder Katie oder den anderen dummen Blondinen aus unserer Schule, Ava. Ich weiß, dass du denkst, dass ich der absolute Player bin und mit jedem weiblichen Wesen ins Bett gehe, aber so bin ich nicht. Ich mache mir darüber Gedanken. Ehrlich gesagt hatte ich erst mit zwei Mädchen Sex und beide sind meine Freundinnen gewesen, jetzt Exfreundinnen.“, beichtet er leise. Zaghaft nehme ich seine zur Faust geballte Hand in meine, entwirre sie und verflechte die Finger mit meinen. Er atmet hörbar aus. War es so schlimm für ihn mir das zu sagen? Da ist doch überhaupt nichts bei? „Und das ist schlimm weil?“, flüstere ich genauso leise zurück. Ich habe das Gefühl, dass wenn wir in normaler Lautstärke sprechen würden wir alles zerstören würden. Stumm schüttelt er seinen Kopf. „Ich wollte das nur klarstellen, jetzt wo wir ehrlich zueinander sind.“ Ich räuspere mich nochmal leise: „Jetzt bin ich wohl an der Reihe, oder? Jetzt muss ich dir die ganze hässliche Wahrheit, meine ganze hässliche Vergangenheit erzählen, oder?“ Stumm nickt er: „Ava, egal was passiert ist und egal was noch passiert. Ich stehe immer hinter dir und ich werde dich immer unterstützen.“ „Wie kannst du sowas sagen? Du kennst mich doch gar nicht! Du weißt doch gar nicht wie ich war bevor ich hierhergekommen bin! Wie kannst du sowas sagen?“, schreie ich ihn an. Geschockt von meinem Ausbruch greift Dean nach meinem Gesicht, zwingt mich ihn anzugucken. Er kennt mich doch gar nicht. Wieso tut er also so verständnisvoll? Wieso tut er so, als ob er jetzt schon alles weiß? Er ist ahnungslos! Er wird mich hassen!
„Ava, Ava, hör mir zu. Ich weiß, ich kenne dich noch nicht so lange. Trotzdem habe ich dich in mein Herz geschlossen und ich werde dir immer helfen.“ In sein Herz geschlossen? Was soll das heißen? Dass er auch findet, dass wir gute Freunde sind? Oder dass er mich liebt? Wäre das möglich? Was meint er damit? „Bitte sei ehrlich zu mir, Ava. Bitte.“, fleht er mich an. Augen zu und durch. Für Flucht ist es schon zu spät. Ich versuche mein Gesicht aus seinen Händen zu ziehen, aber er lässt mich nicht los. Ich muss ihm bei meiner Geschichte wohl oder übel in die Augen blicken.
„Okay, mein Name ist Ava Parker und ich bin 17 Jahre alt.“, fange ich an und versuche dabei zu lachen, auch wenn mir gar nicht zum Lachen zu Mute war. „Ich bin noch nicht lange hier, aber das weißt du auch schon alles. Bevor ich hierher kam bin ich auf die California Beach High School gegangen und dort war ich .. anders als hier.“ Ich atme einmal tief durch, schließe die Augen, lache spöttisch bei meinen nächsten Worten auf. „Früher war ich eine regelrechte Schlampe, Dean. Ich bin mit jedem ins Bett gegangen, der gut aussah und beliebt war. Ich glaube, ich habe die ganze Footballmannschaft dort durch. Es war nichts Besonderes, jedes Wochenende war ich betrunken, jedes Wochenende hatte ich einen Neuen in meinem Bett oder in seinem, wie auch immer. Es war egal. Ich war eine Schlampe, das wusste die ganze Schule und das wusste auch ich, aber es war mir egal, versteht du? Es war mir egal. Und jetzt liegst du hier unschuldig neben mir in diesem Krankenhausbett und erzählst mir wie wichtig dir Sex ist, und dass du immer hinter mir stehst. Obwohl ich genau das Gegenteil von dir verkörpere, obwohl ich genauso bin wie die Mädchen auf unserer Schule über die wir uns dauernd lustig machen. Ich bin genauso, also erzähl mir nicht, dass du jetzt noch hinter mir stehen würdest, Dean!“, fahre ich ihn an. Zornig öffne ich meine Augen, er soll sehen, dass ich nicht so bin wie er denkt. Aber anstatt Überraschung in seinen Augen zu sehen, sehe ich tiefe Traurigkeit, Verletztheit. „Wieso erzählst du mir das erst jetzt? Hast du wirklich gedacht, dass ich so oberflächlich bin, dass ich dich deshalb wegstoße? Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich in mein Herz geschlossen habe. Wieso vertraust du mir nicht?“, enttäuscht sehen seine Augen mich an. Wenn ich an den Tag denke, wo wir uns das erste Mal gesehen und kennen gelernt haben. Dort war er so anders. Nein, falsch. Er wirkte so anders und jetzt lerne ich seine sensible Seite kennen, sehe, dass ich ihm wirklich was bedeute, was auch immer. Dass er mich unterstützt egal was passiert, egal was ich angestellt habe. Tränen rinnen mir – mal wieder – über meine Wangen, aber dieses Mal wischt er sie nicht weg. Er ist verletzt. Verletzt, weil ich ihn nicht vertraut habe, weil ich ihn verurteilt habe und das nur aufgrund von Vorurteilen, die ich gegen ihn hegte, weil er ein Sportler ist. Und das obwohl ich Vorurteile doch selbst so sehr hasse.
„Aber das ist nicht die Spitze des Eisberges, oder, Ava? Was ist noch mit dir?“, fragt er mich. Man hört seine Traurigkeit raus, aber gleichzeitig auch Sorge. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe ein komisches Gefühl dabei. Warum denkt er, dass das nicht alles war? Ist das nicht schlimm genug? Trotzdem schüttele ich stumm den Kopf, wenn ich schon dabei bin kann ich gleich alle dreckigen Geschichten auspacken, vielleicht ändert er dann seine Meinung und hasst mich doch. Wäre nicht das erste Mal, dass jemand so reagiert.
„Du hast Recht, das war noch nicht alles. Ich war nicht nur eine Schlampe. Nein, ich war auch noch dumm.“, kalt lachend mache ich mich über mich selber lustig. „Bei irgendeiner Party hatte ich dann mal etwas mit Mike, dem Captain der Footballmannschaft. Groß, blond, braungebrannt, muskulös.“ Ich tue ihm weh mit meinen Worten, mit meiner Fassade. Ich sehe es, sehe es in seinen blauen Augen, die sich verdunkeln, vor mir verschließen, aber anders kann ich es ihm nicht sagen. „Was will frau mehr? Allerdings war ich so betrunken, dass ich nicht mehr klar denken konnte, ich habe die wichtigste Regel außer Acht gelassen, sie einfach ignoriert. Oh Gott, ich war so dumm. Ich hatte vergessen zu verhüten. Lustig nicht? Die typische Geschichte: Die hübsche Schlampe, die mit jedem ins Bett steigt und so dumm ist dabei auch noch schwanger zu werden von irgendeinem One Night Stand. Ich hab nicht die Pille genommen, sonst habe ich ja immer mit Kondomen verhütet, aber nein. Einmal habe ich es vergessen, ein einziges Mal. Und jetzt sieh mich an. SIEH MICH AN.“, kreische ich ihn an. Ich habe mich von ihm losgerissen, bin aufgesprungen. Tränen rinnen über mein Gesicht, welches vor Wut verzerrt ist. „Dean, ich bin schwanger! Schwanger von einem Anabolikanehmenden Arschloch! Und sogar der nennt mich Schlampe! Mehr bin ich auch nicht. Ich bin eine traurige kleine Schlampe, die sich ihre Zukunft ruinieren wird. Denn ich werde es nicht abtreiben. Ich werde es lieben, ich brauche ihren Vater dafür nicht und ich brauche auch dich dafür nicht!“
Schweigen breitet sich aus. Seine blauen Augen suchen meine. Ausdruckslos blicken sie mir entgegen. Das war es wohl dann wohl. Ich wusste es, ich wusste, dass das alles verändern wird.
Ein Klopfen unterbricht unser Gespräch, nein eher unser Schweigen. Dean steht langsam aus dem Bett auf, so dass jetzt niemand mehr auf dem Bett liegt. Ein älterer Herr mit einem weißen Kittel, weißen Haaren und einem weißen Bart öffnet die Tür und blickt lächelnd in mein Gesicht. „Ah, Miss Parker, Sie sind erwacht, wie schön. Aber wieso liegen Sie nicht mehr in Ihrem Bett? Husch husch, sie müssen erst einmal wieder zu Kräften kommen bevor sie aufstehen. Als erstes stelle ich mich einmal vor. Mein Name ist Professor Doktor Jakobson. Wie Sie bereits erfahren haben sind Sie vor der Mädchentoilette der Nordeast High ohnmächtig geworden. Sie haben nicht mehr reagiert und ihr Blutdruck war im Keller. Ihr Freund, Dean Black, hat uns angerufen, als sie nach mehreren Versuchen sie aufzuwecken nicht aufgewacht sind. Er war aufrichtig besorgt um Sie. Hach, muss junge Liebe schön sein.“, schmunzelt er. „Wir konnten jetzt allerdings herausfinden warum sie ohnmächtig geworden sind, aber ich schätze Sie wissen es auch. Ihre Ohnmacht kann verschiedene Ursachen haben. Entweder wurde sie verursacht durch den Stress, den sie vorher hatten und Ihrer Panikattacke oder dadurch, dass Sie schwanger sind, aber ich denke letzteres wissen Sie schon. Sie sind beide noch ziemlich jung für ein Babyglück, aber als ich sie vorhin zusammen gesehen habe und die Sorge, die den jungen Mann beherrschte war ich mir sicher, dass es ihr Glück noch vollenden wird. Wenn Sie allerdings den Wunsch haben es abzutreiben muss ich Sie enttäuschen, der Fötus ist schon zu alt dafür. Sein Herz schlägt schon. Wenn Sie möchten können wir später noch einen Ultraschall machen, und wenn wir Glück haben können wir sogar schon das Geschlecht bestimmen.“, zu Dean gewandt sagt er: „Sie können selbstverständlich hierbleiben und mitkommen. Als verliebtes Paar ist das immer ein ganz besonders schönes Erlebnis.“ „Ich habe für Samstag schon einen Termin.“, murmle ich leise vor mich hin. Fröhlich lächelnd nimmt der Arzt es zur Kenntnis, schaut weiterhin zu uns beiden und scheint überhaupt nicht die Spannung zwischen uns zu bemerken. „Sehr schön, sehr schön. Ich freue mich für Sie. Aber noch einmal zu Ihnen, Miss Parker. Haben Sie irgendwelche Schmerzen oder Beschwerden?“ Langsam schüttele ich den Kopf, das ist gerade ein bisschen viel. Erst die Drohung in der Schule, das Gespräch mit Dean und jetzt das. „Gut, trotzdem möchten wir Sie eine Nacht hierbehalten. Nur zur Sicherheit, keine Sorge. Wenn irgendetwas ist, befindet sich neben Ihrem Bett ein Notfallknopf und auch sonst sind die Schwestern immer für sie da.“, verabschiedet sich der Doktor von uns. Wir beide blicken ihm verblüfft hinterher, das war ..komisch.
„Du solltest nun gehen, Dean. Es ist alles gesagt.“, wende ich mich zu Dean um, vermeide den Blick in seine Augen, das kann ich jetzt nicht gebrauchen, dann werde ich auf der Stelle in Tränen ausbrechen. Ich höre seine Schuhe auf dem Boden quietschen, als er in Richtung Tür geht. Die Tür knarzt, als er sie öffnet. Stimmen von draußen klingen herein. Schwestern, die Anweisungen geben. Leises Weinen, aus dem Nebenzimmer. Ärzte, die sich leise miteinander unterhalten und beratschlagen was sie mit den verschiedenen Patienten tun sollen, damit sie wieder genesen. Doch bevor Dean hinausgeht, dreht er sich noch einmal zu mir um. Er sieht aus als ob er noch etwas sagen möchte, sein Mund öffnet sich, aber es gelangt kein Ton hinaus. Er schüttelt einfach seinen Kopf, guckt mich mit diesen traurigen blauen Augen an und geht. Schluchzend breche ich zusammen. „Ich hasse dich, Dean Black! Ich hasse dich! Ich will dich nie wieder sehen!“, schreie ich ihm hinterher, aber er hört es nicht mehr. Die Tür ist zugefallen.
Er ist weg.
Tag der Veröffentlichung: 18.01.2015
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