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Jasmin

Jascha, 35 Jahre, arbeitslos, verändert Schicksale…. 

 

 

 Samstag, 07.02.2015 in der Waldstraße in Maintal Bischofsheim

 

Er stand da, einsam und vergessen. Ich habe vergeblich gewartet, dass er abgeholt wird.

Es ist so viel Privates in solch einem Postwagen. Darf man ihn einfach so stehen lassen?
Ich grüble und grüble. Heute ist ein seltsamer Tag. Februar. Eben noch Sonnenschein und plötzlich fallen Hagelkörner vom Himmel. Ich kann den Wagen nicht so stehen lassen. Das geht doch nicht….

Kurzentschlossen nehme ich ihn. Ich schaue mich um, vergewissere mich, dass er tatsächlich vergessen wurde.  Weit und breit niemand zu sehen.

Ich werde mich um die Angelegenheit kümmern. Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät mir, die nächstgelegene Postfiliale hat bereits geschlossen. Es ist Samstag, 15 Uhr.

Mit dem Wagen in der Hand renne ich die Straße hinunter. Vorbei am Bäcker, vorbei an dem Spielwarengeschäft. Ich renne und renne. Meine Kleidung ist vom Hagel völlig durchweicht. Nach guten zehn Minuten bin ich zu Hause. Ich wohne am Rand eines Sportplatzes dahinter liegt ein Wald.

Ich öffne das Garagentor und bringe den Postwagen in Sicherheit. 

Im Haus ist es kühl. Ich lege einige Holzscheite in den Kamin. Meine Hände zittern von der Kälte und das Streichholz will einfach nicht angehen. Ich nehme ein Feuerzeug und alte Zeitungen. Das Holz brennt. Im Bad entledige ich mich meiner Kleidung. Eine kurze Dusche bringt mir Wärme. 

Ein heißer Kaffee mit Milch und vier Teelöffeln Zucker steht auf dem Couchtisch. Von Oma Isa habe ich noch Weihnachtsplätzchen. Sie stehen auch auf dem Tisch.

Ich hole den Postwagen in mein Wohnzimmer. Mit einem alten Handtuch reibe ich ihn trocken. Ich löse den Gurt und öffne den Deckel. So viele Briefe. Ich hole sie einen nach dem anderen heraus und schaue sie mir genau an. Manche haben einen förmlichen Stempel und einen professionell gestalteten Umschlag. Andere wurden mit krakeliger Schnörkel oder Blockschrift geschrieben.

Ich verschwende keinen Gedanken mehr daran, dass ich den Postwagen zur Post bringen wollte. Die Neugier hat mich gepackt. Ich hole den Messingbrieföffner meines Großvaters aus der Vitrine und öffne den ersten Brief.

Adressiert ist er an Jasmin Zeba, Waldstr. 5 in Maintal Bischofsheim. Sagt mir nichts. Margot Jogast ist der Absender.

Der Briefumschlag ist aus Büttenpapier und die Adresse wurde in altdeutscher Schrift in winzigen Buchstaben aufgetragen. Die Briefmarke zeigt ein Schloss. Der Poststempel ist vom 05. Februar 2015.

 

Ich hole das innenliegende Papier vorsichtig heraus. Ebenfalls Bütte. Der Brief wurde im Januar verfasst. Ich zähle drei Seiten. Handgeschrieben. Zum Glück ist die Schrift im Gegensatz zum Briefumschlag groß. Zunächst tue ich mich etwas schwer das Geschriebene zu entziffern. Ich nehme mir einen Nusstaler, tunke ihn in meinen süßen Kaffee und beiße hinein. Köstlich. Ich widme mich wieder dem Brief.

 

 Januar 2015

Meine liebe Jasmin,

es ist so lange her, dass ich ein Lebenszeichen von dir erhalten habe. Ich hoffe es ist alles in Ordnung bei dir? Hast du meine Briefe vom Oktober und Dezember erhalten? Ich hatte der Weihnachtspost einen 50 € Schein beigefügt. Eingewickelt in Silberfolie. Hoffentlich wurde er nicht geklaut. Es war meine letzte Reserve aus der lila Blumenvase. Du weißt sicher noch, dass ich hier immer die Münzen für dich gesammelt habe. Einmal im Jahr gehe ich zur Post und wechsle sie in Scheine, damit ich dir eine Freude bereiten kann. Ich hoffe, du hast ihn erhalten. Da ich nicht weiß, ob du meinen Brief von Oktober erhalten hast, muss ich davon ausgehen, dass du nicht weißt, dass Kalle verstorben ist. Ich hatte gehofft, dich auf der Beerdigung zu sehen. Ich lege diesem Brief eine Kopie der Todesanzeige bei.

Es war eine traurige Beerdigung. Nur ich und Lieselotte Schuster waren da. Sie hat mich nach dir gefragt. Ich habe gesagt, du seist auf einer wichtigen Geschäftsreise. Der Pfarrer hat eine sehr kurze Rede gehalten. Immer wieder hat er einen falschen Namen genannt. Er hieß Kalle nicht Karl! Das hat mich sehr gekränkt. Die letzten Worte an ihn und immer dieser falsche Name.

Meine Hand tut vom Schreiben weh, aber ich mache weiter. Hast du inzwischen eine Anstellung gefunden? Mein Angebot steht. Falls du hier in Bayern eine Arbeit findest, kannst du in Kalles Zimmer wohnen. Ein Zubrot würde mir auch helfen. Die Witwenrente ist sehr klein. Ich komme kaum über die Runden. Frau Schuster unterstützt mich, wo sie kann. Aber sie hat auch nicht viel.

Ich wollte die 50 €, die ich dir zu Weihnachten geschickt habe als Anzahlung für die Stromrechnung benutzen. Ich habe es sehr kalt in der Wohnung. Mein Rheuma hat sich verschlimmert. Aber ich wollte dir so gerne eine Freude machen. Jetzt weiß ich nicht, ob du sie erhalten hast. Ein kurzer Anruf hätte mich gefreut. Mittlerweile funktioniert die Heizung wieder. Frau Schuster hatte im Lotto gewonnen. 500 €. Sie hat meine offene Rechnung vom Stromanbieter bezahlt. Dabei hat sie ja auch nicht viel.

Jasmin, bitte melde dich. Ich bin dir nicht böse, wenn du meine Briefe erhalten hast und dennoch keine Zeit gefunden hast, sie zu beantworten.

Ich habe dir noch so viel zu erzählen, aber wie du selber siehst, fällt es mir so schwer die Buchstaben zu schreiben.

 

Herzlichst deine Tante Margot aus Bayern.

 

 

Ich weiß nicht, was ich von dem Brief halten soll. Warum antwortet Jasmin nicht auf diese Briefe. Ist sie das Gejammer der alten Frau leid? War sie wirklich auf Geschäftsreise? Allem Anschein nach war sie arbeitslos gewesen. Vielleicht ist sie umgezogen? Ich werde das später überprüfen.

Ob ich ihr den Brief in dieser Form einwerfen soll? Vielleicht sollte ich ihn ein wenig umschreiben? Nicht so anklagend?

 

Ich hole meinen Laptop und beginne:

 

 

Meine liebe Jasmin,

ich wollte mal wieder ein Lebenszeichen von mir geben. Ich habe heute Besuch von Frau Schulz, die mir hin und wieder im Haushalt hilft und auch meine Post erledigt, da ich bedingt durch das Rheuma Probleme mit dem Schreiben habe, verfasst sie die Briefe auf ihrem I-Pad und druckt sie anschließend zu Hause aus. Der Notar hat sich inzwischen wegen des Nachlasses bei mir gemeldet. Er gab tatsächliche eine Lebensversicherung. Ich bekomme demnächst ein schönes Sümmchen ausbezahlt. Gerne möchte ich dir etwas davon geben. Kalle hat auch etwas für dich hinterlegt. Frau Schulz hat es erst jetzt beim Aufräumen gefunden. Er hatte einen Luftumschlag für dich in meiner Kommode versteckt. Fühlt sich hart an. Ich habe ihn nicht geöffnet.

Bei deinem nächsten Besuch werde ich ihn dir aushändigen. Vielleicht klappt es in diesem Sommer? Wenn du möchtest, kannst du in Kalles Zimmer wohnen. Keine Sorge, das Krankenbett ist raus und alles frisch renoviert. War gar nicht teuer, da die Nachbarskinder beim hiesigen Maler arbeiten und immer wieder Gratismalerarbeiten angeboten werden, damit sie üben können. Das Zimmer ist nun weiß lila gestrichen. Auf dem Flohmarkt habe ich einen hübschen Servierwagen erstanden. Bei Aldi gab es ein feines Bett in Metall. Ganz günstig. Es schaut nun wie ein Hotelzimmer aus. Du wirst dich sicher wohl fühlen.

Ich freue mich auf eine baldige Antwort von dir,

Herzlichst deine Tante Margot aus Bayern.

 

 

Zufrieden betrachte ich mein Werk. Ja, nun sollte ihre Neugier geweckt sein. Vielleicht bekommt Margot nun schneller besuch, als ihr lieb ist 

Der Himmel ist nun Wolkenfrei. Das Thermometer zeigt 15 ° an. Ich fädle den Brief in den Umschlag und verklebe ihn geschickt, dass man nicht merkt, dass er schon geöffnet wurde.

Ich ziehe mir einen trockenen Anorak an und begebe mich auf den Weg in die Waldstraße.

Trotz des Nusstalers knurrt mein Bauch. Beim Bäcker kaufe ich mir eine Puddingbrezel und ein Wasser. An der Grundschule scheint ein Fest zu sein, trotz des Wetters. Ein völlig durchnässtes Partyzelt biegt sich unter den Wassermassen. Selbst die hervorblitzende Sonne vermag es nicht zu trocknen. Gleich bin ich da. Ich sehe mich um. In der nächsten Querstraße war ich früher oft gewesen. Mein Kumpel Benjamin hat dort gewohnt. Jetzt lebt er in Dortmund. IT-Leiter. Irgendein hohes Tier.

 

Hier ist es. Waldstr. 5. Der Name Zeba ist durchgestrichen und mit Klinger überschrieben. Das erklärt, wieso Jasmin die Briefe nicht beantwortet hat.

Etwas enttäuscht laufe ich zurück nach Hause.

Wie soll ich Jasmin finden? Das Örtliche ist nicht sehr aufschlussreich. Nach Anmeldung in meinem Facebook Account habe ich sie aber schnell ausfindig gemacht. Von ihrer Privatsphäre scheint sie nichts zu halten. Im Januar ist sie aus Maintal nach Bremen verzogen. Sie arbeitet jetzt als Kellnerin bei einer Fastfoodkette.

Sogar ihre Adresse und ihre Handynummer sind für alle User frei gegeben.

Ich notiere die neue Adresse auf dem Umschlag und bringe den Brief zum Briefkasten.

Schade, ich werde wohl nicht erfahren, ob Margot bald Besuch bekommen wird. Oder doch? Ich grinse erwartungsvoll und laufe zum nächstgelegenen Briefkasten.

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.04.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch den fleißigen Briefeschreibern

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