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Leseprobe

 

 

Nora Harp

 

Sehnsucht auf Bestellung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Urheberrechtlich geschütztes Material

Kapitel 1

 

Carla stand am Tresen, wie jeden Tag. So früh verirrte sich kein Gast in das hoch gelegene Restaurant, also blieb ihr genug Zeit, das aufregende Schauspiel vor dem riesigen Fenster zu beobachten. Obwohl von Schauspiel kaum die Rede sein konnte, noch nicht. Hinter der Scheibe blieb alles milchig weiß, als hätte Nebel, dick wie Erbsensuppe, den Berg samt der Seilbahn einfach verschluckt.

Carla wartete geduldig, bis die Schatten in dem feuchtkalten Weiß sich zu Umrissen kristallisierten. Die ersten Baumwipfel erhoben sich über die milchige Suppe, die Hauswand rechts von ihr befreite sich aus der Unsichtbarkeit. Wie ein kuscheliger Teppich lag die dichte Wolkendecke zu Carlas Füßen. So einsam sie sich hier oben früh am Morgen oft fühlte, so sehr genoss sie das atemberaubende Erwachen des neuen Tages.

Leider erwachte nicht nur der Tag, sondern auch der Hunger der ersten Gäste. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie in der Wirtschaft kaum noch treten konnte vor lauter Rucksäcken und Kinderwagen. Wehmütig wandte sich die junge Kellnerin vom Fenster ab und überprüfte ein letztes Mal, ob der Gastraum vorbereitet war, damit er dem Ansturm standhalten konnte. Die Deckchen lagen ordentlich auf den soliden Eichentischen, die Bestuhlung war fachgerecht um die Tische herum angeordnet, kleine Salz- und Pfefferstreuer zierten die Tische und leisteten winzigen Vasen mit Kunstblumen Gesellschaft. Alles war so, wie es sein sollte. Daran konnte weder ihre Chefin Elli etwas auszusetzen haben, noch ihr unausstehlicher Kollege, der, wie nicht anders zu erwarten, ohnehin erst um zehn auftauchen würde, wenn alle Vorbereitungen längst abgeschlossen waren.

In diesem Punkt irrte Carla. Ihr Kollege Marco kam nicht um zehn, sondern erst gegen fünfzehn Uhr, als der mörderische Mittagsansturm abzuebben begann.

Am Abend, als Elli endlich das Lokal abschloss und Carla anerkennend auf die Schulter klopfte, taten ihr dermaßen die Füße weh, dass sie einfach am Stammtisch sitzen blieb, und dort am liebsten sofort eingeschlafen wäre. Elli schob ihr einen Teller zu. Der Duft von hausgemachtem Wildgulasch stieg Carla in die Nase. Die Aussicht auf die Spezialität des Hauses, samt handgemachter Spätzle, weckte ihre Lebensgeister. Heißhungrig fiel sie über den Salat her, der hier auf dem Schauinsland so fest zu jedem Essen gehörte wie das Besteck.

»Marco wohnt von jetzt an auch hier oben, Carla«, erklärte Elli ohne Vorwarnung. Carla wäre beinahe an einem Stück Wildschwein erstickt, so sehr verschluckte sie sich vor Schreck.

Marco, der gerade seine Abrechnung machte, bekam es zum Glück nicht mit. »Weißt du, Kleines, der Arme ist heute zu spät gekommen, weil er sich gestern Nacht in der Stadt in irgendeiner Kneipe so betrunken hat, dass er nicht mehr heimfinden konnte.« Elli schielte kurz nach links und rechts, dann beugte sie sich über den Tisch, um näher bei Carla zu sein, und flüsterte: »Es ist wegen einer Frau. Marco will mir nicht sagen, wer sie ist, aber sie hat ihm wohl ganz schön zugesetzt.«

Carla staunte Elli mit großen Augen an. Elli war eine Seele von Mensch. Manchmal war das ein Segen, zum Beispiel für Carla, aber manchmal war es auch ein Fluch. Sie empfand doch tatsächlich Mitleid für diesen schmierigen Volltrottel. Carla wusste genau, um welche Frau es sich handelte: Um sie! Nur war Marco nicht in sie verliebt. Weil sie zusammen arbeiteten, hielt er sie für leichte Beute. Carla hatte Marcos plumpe Avancen schon mehr als einmal abgeschmettert.

Einmal hatte sie ihm sogar in die Weichteile treten müssen, weil er einfach nicht begriff, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte. Und jetzt heulte er sich darüber auch noch bei Elli aus. Nein, Marco hatte kein Mitleid verdient, sondern eine ordentliche Tracht Prügel. Stattdessen wohnte er jetzt bei ihr nebenan. Carla ließ die Gabel sinken. Sie hatte keinen Hunger mehr. Sie schaffte es nicht mal, sauer auf Elli zu werden, so erschöpft fühlte sie sich. Langsam schob sie ihren Stuhl zurück, stand auf und nahm ihr Gedeck vom Tisch, um es in die Küche zu tragen.

»Elli, ich glaube, ich gehe heute früh schlafen«, erklärte sie. »Ich bin echt alle. Ich nehme noch ein Fußbad und gehe dann ins Bett.«

 

Auf dem Weg in ihr Zimmer machte sie sich Gedanken, ob sie richtig gehandelt hatte.

Wenn ich Elli alles erzähle, dachte Carla, dann wirft sie Marco raus. Das wollte sie nun auch wieder nicht. Marco mochte ein kompletter Idiot sein, aber das galt in Bezug auf Frauen für fast alle Männer. Was, wenn der nächste noch aufdringlicher wurde, und sich nicht so leicht einschüchtern ließ? Das Saisongeschäft war kein Zuckerschlecken. Vielleicht gehörte Marcos unverbesserliche Ignoranz zu den Eigenschaften, die ihn für diesen Job qualifizierten.

 

»Bist du bekloppt?«, raunzte Carlas Freundin Alicia sie am Telefon an. »Du wohnst jetzt auch noch neben diesem Perversling?«

»Hey, immer langsam, ja?«, forderte Carla. »Glaubst du, ich rufe dich mitten in der Nacht an, um mich von dir beleidigen zu lassen?«

Für einen Moment war in der Leitung nur Schweigen zu hören. Dann antwortete Alicia mit fester Stimme: »Klar denke ich das. Du bist nicht blöde. Du weißt, dass du das verdient hast.«

Carla seufzte und ließ sich in die weichen Kissen auf ihrem Bett fallen.»Hast ja Recht. Aber was soll ich machen? Wenn ich ihn verpetze, dann wirft Elli ihn raus.«

»Soll sie! Verdient hat er es.«

»Du hast gut Reden. Und mit wem soll ich dann arbeiten? Alleine schaffe ich das nicht. Hier ist so dermaßen die Hölle los, das kannst du dir gar nicht vorstellen.«

»Blödsinn! Jemanden zu finden ist Ellis Job. Und die macht ihn nicht erst seit gestern, die findet schon wen.«

»Ach ja?«, konterte Carla gereizt. »Und wann, bitte? Noch ein solcher Tag alleine und ich geh‘ am Stock.«

»Hab dich nicht so!«, wies Alicia sie erneut zurecht. »Wie lange bist du noch da oben? Eine Woche? Das wirst du auch noch schaffen. Und dann bist du wieder im guten, alten, langweiligen Berlin und vertickst Brötchen bei uns an der Ecke. Endlich!«

»Ach ja?«, feixte Carla. Alicias Stimme zu hören tat immer gut. Sie konnte förmlich spüren, wie ihre Laune von Sekunde zu Sekunde besser wurde. »Vermisst du mich soooooo sehr?«

»Na, und ob! Mit wem soll ich denn bitte morgens meinen Kaffee trinken, bevor ich ins Büro muss? Mit dem Alten vielleicht?«

Bei dieser Vorstellung musste Carla lachen. Der Alte war ihr Boss. So alt war er gar nicht, er hieß nur so. Rouven Altman. Tatsächlich war Rouven erst um die Dreißig und ein begeisterter Jungunternehmer. Allerdings ein lausiger Gesprächspartner, weil er alles, was nicht schnell genug auf den Bäumen war, mit seinen neuesten Geschäftsideen zutextete. Damit schlug er Alicia regelmäßig in die Flucht.

»Mir fehlen unsere Gespräche auch«, gestand Carla. »Aber eine Woche hier oben alleine kann ganz schön lang sein. Hier geht es nicht zu wie bei uns, hier

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Nora Harp
Bildmaterialien: Regine Schwartz
Cover: Regine Schwartz, Bildquelle: Shutterstock.com #2098608415
Korrektorat: M.D. Schoppenhorst
Satz: Regine Schwartz
Tag der Veröffentlichung: 15.09.2019
ISBN: 978-3-7487-1554-2

Alle Rechte vorbehalten

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