Cover

Der Anfang

Es war ein kalter Tag und die meisten Läden waren schon geschlossen. Kein Wunder, bei diesem Wetter, da machte schon mal der ein oder andere früher Schluss.

Mein Handy klingelte unentwegt. Es war Jona dran, der ständig versuchte, mich anzurufen. Ich nahm das Handy heraus und schaltete ihn weg.

So ein Idiot. Was interessierte es ihn, wenn ich die Probe schwänzte?

Eigentlich sollte ich mich momentan im Theater Luxemburg befinden und dort mit den anderen für das neue Stück proben. Aber was konnte ich dafür, dass es so kalt war? Und wer hatte schon Lust, da auf der unbeheizten Bühne zu proben?

Endlich kam das Café in Sichtweite. Lächelnd betrat ich das golden beleuchtete Haus und Rita lächelte mir hinter dem Tresen herzlich zu.

„Na du? Wieder mal keine Lust, zur Probe zu gehen?“ Ich lachte.

„Und wenn schon.“ Sie schüttelte den Kopf. „Du willst gar nicht wissen, wie oft Horousi mir erzählt, dass er wegen dir noch mal einen Herzinfarkt bekommen wird.“ Horousi war unser Intendant.

Ich wunderte mich jedes Mal aufs Neue, dass mein kleines Cafe im Laufe der Jahre zu einem Treffpunkt unser aller Schauspieler geworden war.

Ich setzte mich schwer seufzend hin und bestellte einen Kaffee. Beiläufig nahm ich die Zeitung und überflog die Schlagzeilen. Alles wie immer; ein paar Politiker, die üblichen Skandale und die Grundschule, die ein paar Räume renovieren lassen wollte. Nie passierte etwas Neues, alles blieb immer gleich. Ich lehnte mich an die mit rotem Leder gepolsterte Bank und betrachtete mein Spiegelbild.

Ein Mann von fünfundzwanzig Jahren blickte mir entgegen, mit strubbeligen hellbraunen Haaren und blauen Augen.

 Ziemlich hübsch, aber was nutzte mir das? Ich beobachtete Rita, die den Kaffee auf den Tisch stellte und sich zu mir setzte. Die Kellnerin war mittlerweile zu einer echten Freundin geworden. Mit ihrem liebevollen Lächeln erinnerte sie mich zwar etwas zu sehr an den Prototyp einer Mutter (versteht mich nicht falsch, Rita ist jung und hübsch, aber sie kann bisweilen etwas nervig werden mit ihrer Überfürsorglichkeit).

 Schwer seufzend schaute sie mich an.

 „Ach Erik, was soll nur aus dir werden.“ Hä, was war denn jetzt los? Misstrauisch schaute ich sie an. War das jetzt wieder darauf bezogen, dass ich immer noch keine Freundin hatte?

„Aus mir muss nichts mehr werden, ich bin ein Schauspieler mit einem festen Gehalt, habe eine Wohnung und bin auch ziemlich selbständig… na ja zumindest oft genug.“ Ich wusste natürlich, dass sie das nicht meinte, aber was sollte die Frage? Ich war ein erwachsener Mann.

 Sie holte tief Luft und da wusste ich, dass sie jetzt etwas loswerden würde, was ihr schon lange auf dem Herzen brannte.

„Das meinte ich nicht, Erik. Du machst seit Monaten ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Man sollte doch ein wenig Spaß im Leben haben. Wieso gehst du nicht zu Partys oder fährst in den Urlaub? Es scheint, als wäre dein ganzer Elan wie weggeblasen!“

Das war es also. Warum musste Rita nur so aufmerksam sein?

„Es ist nichts. Ich langweile mich nur ein wenig. Und weiß nicht wirklich etwas anzufangen mit meiner Zeit. Mach dir nicht so viele Gedanken.“ Ich trank einen großen Schluck von meinem Kaffee und beeilte mich, das Thema zu wechseln.

„Hast du schon gehört? Franz, einer unserer Schauspieler, hat irgendeinen Leberschaden und wurde letzte Woche ins Krankenhaus eingeliefert.“ Rita schlug eine Hand vor den Mund.

„Etwa der, der den König in eurem letzten Stück gespielt hat?“

Ich setzte die Tasse ab. „Yo, genau der.“

Rita sank etwas zusammen. „Dabei hat er immer so fröhlich gewirkt.“

„Ja, etwas zu fröhlich. Schließlich wird der Leberschaden nicht ganz grundlos gewesen sein.“

„Das ist traurig. Hoffentlich erholt er sich wieder.“

Ich schüttelte den Kopf. „Menschen mit einem Alkoholschaden erholen sich letztendlich nie mehr, besonders wenn sie so alt sind.“

Rita stand niedergeschlagen auf und räumte die Tasse ab.

 Dann wurde es vermutlich auch Zeit für mich, wieder aufzubrechen. Vielleicht konnte ich heute einmal früher ins Bett gehen, ich hatte in letzter Zeit zu wenig geschlafen. Ich zog mir meine helle Jacke über und beobachtete Rita, wie sie die Tasse abwusch.  

„Wie lief eigentlich dein letztes Date?“ Sie schenkte mir einen beiläufigen Blick.

„Nett, er hat mich zum Essen ausgeführt und dann sind wir noch ein wenig spazieren gewesen.“

Sie schien allerdings nicht besonders begeistert zu sein.

„Aber nichts Ernstes?“ Sie seufzte, dann schüttelte sie den Kopf.

 „Nein, vermutlich eher nicht.“

„Ach, lass den Kopf nicht hängen. Irgendwann kommt auch dein Märchenprinz.“

Sie lächelte mir zu. „Komm gut nach Hause!“

Ich nickte. „Danke. Bis die Tage.“

Als ich heraustrat, fing es an zu regnen.

Ein Neubeginn

Es war alles vollkommen leer. Ausgeräumt und kahl. Wer hätte gedacht, dass es so schrecklich sein würde, wenn ich nochmals unsere alte Wohnung betrachten würde? Wenn ich mir jetzt die weißen Wände ansah, die vorher voll mit Bildern war.

Dort hinten war der Esstisch, wo meine Eltern, Hannah und ich immer gesessen und etwas zu uns genommen hatten. Die Einbauküche ging nicht mit uns mit, sondern blieb da. Und hier war das wunderschöne weiße Sofa, das noch keinen einzigen Fleck hatte.

Ich konnte mich nicht überwinden in mein altes Schlafzimmer zu gehen. Da waren nur schöne Erinnerungen, die mir nur Tränen in den Augen bereiten würden. Konnte mein Dad nicht erst in ein paar Monaten diesen Job bekommen? Dann wäre ich schon mit der Schule fertig und konnte hier bleiben. Hier in Graz. Bei meinem Zuhause. Bei meinen Freunden

„Jessica! Bist du endlich fertig?“ Meine Mutter stand vor dem Türrahmen unseres alten Wohnzimmers und sah mich fragend an.

„Gleich.“, gab ich zurück und seufzte leise. Hier hatte ich achtzehn Jahre meines Lebens verbracht. Und jetzt kehrten wir dieser Wohnung den Rücken zu. Während meine Schwester Hannah ohne jede Trauer diese Wohnung verlassen hatte, war ich völlig aufgelöst.

„Jetzt komm schon. Hannah hat es auch geschafft.“ Langsam drehte ich mich um und musste an gestern denken. Da wo all meine Freunde eine Abschiedsparty für mich geschmissen hatte. Total unerwartet war ich bei Lisa angekommen. Ich hatte mich zusammengerissen um ihr nicht gleich weinend um den Hals zu fallen. Schon als sie mich begrüßte, merkte ich, dass was war. Und schon schrie jeder ‚Wir werden dich vermissen, Jess.‘ Es war die schönste Party gewesen. Wir hatten gefeiert, getrunken und ich hatte mich schmerzlich von Timo verabschiedet. Auch wenn wir uns liebten, hatten wir uns vor ein paar Tagen getrennt.

Es war das Beste, da ich von Graz nach Luxemburg ziehen würde. Weit, weit weg. Darin waren Timo und ich uns einig. Deswegen hatten wir unsere Beziehung aufgelöst und beschlossen nur Freunde zu sein. Jetzt war ich mir über unsere Trennung nicht mehr so sicher. Und während ich zum Auto ging, um endlich den Wunsch meiner Mutter nachzugehen, grübelte ich darüber nach, wie wir es hätten schaffen können. Eine Fernbeziehung war anstrengend, ja, aber war unsere Liebe nicht stärker?

Und in genau dem Moment wusste ich die Antwort: wie es schien waren wir es nicht. Mit einem lauten Seufzer setzte ich mich neben Hannah, die mich sofort ansah.

„Was ist?“ Ich gab ein Grunzen von mir, dass so viel bedeuten sollte wie ‚Lass mich jetzt in Ruhe‘. Sie verstand und wendete den Blick von mir. Meine Zwillingsschwester konnte manchmal ziemlich nervig und neugierig sein. Wir waren zwar Zwillinge, wir sahen uns auch ähnlich, wenn man von der Haarfarbe absah, doch sie war völlig anders wie ich. Während Hannah kein Typ von Beziehungen war, sie sehr verführerisch sein konnte, ihre Haare dunkelbraun waren und sie immer direkt sagte, was sie dachte,  war ich genau das Gegenteil.

Ich wollte Beziehungen, Romantik. Ich konnte verführerisch sein, aber das war ich selten. Ich behielt vieles bei mir, vor allem wenn ich andere dadurch verletzte und meine Haare waren von einem wunderschönen Honigblond und gingen mir leicht wellig  bis in die Mitte des Rückens. Hannahs und meine Augenfarbe waren von einem strahlenden karibikblau.

Die Fahrt dauerte für mich zu lang, die Hälfte der Fahrt schlief ich still und leise neben Hannah. Kein Wunder, wenn wir schon um sechs Uhr in der Früh losfahren mussten, sodass wir um vier bei unserem neuen Zuhause ankommen würden. Als ich wieder erwachte, waren wir kurz vor unserem neuen Haus. Hannah grinste mich an und fragte sofort:

„Und hast du gut geschlafen, Schlafmützchen?“ Ich streckte mich und nickte.

„Ja, ich fühle mich wie neugeboren.“, antwortete ich kichernd und betrachtete die Aussicht von draußen.

„Das sieht man dir an.“, Hannah musterte mich von oben bis unten, „Und dir sieht man an, dass du geschlafen hast. Deine Frisur ist ja zum Fürchten.“ Sie fuhr mir durch die Haare und versuchte sie zu richten.

„Alles in Ordnung da hinten?“, fragte mein Dad und reichte uns zwei Dosen Cola.

„Ja, außer dass ich kurz vor dem Verdursten bin!“, jammerte Hannah und riss meinem Vater die Cola aus der Hand. „Wolltest du Hänsel und Gretel spielen? Nur, dass du so kaltblütig bist und uns im Auto bei dieser Hitze verdursten lassen wolltest?“, fragte sie.

„Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte es wie bei Hänsel und Gretel tun, Hannah!“ Ich kicherte leise und öffnete die Coladose. „Wirklich witzig, Dad!“, sagte Hannah und verdrehte die Augen. Meine Mutter blieb still vor dem Steuer und konzentrierte sich auf die Straße. Es war schon richtig ungerecht, dass wir nur wegen Daddys neuen Job hierhin gezogen waren. Aber meine Mum war der Ansicht, dass wir ihm diese tolle Chance nicht vermiesen sollten. Also taten wir es nicht.

Hannah war sowieso begeistert darüber gewesen einen ‚Tapetenwechsel‘ zu machen, da sie die Hälfte der Jungs in der Schule nicht mehr sehen kann. Sie konnte eine richtige Diva sein und hatte die Jungs gerne als ihren persönlichen Butler. Sagen wir so: es hatte bisher gut funktioniert. Ich wusste auch, dass ich Daddy die Chance nicht verweigern konnte. Er hatte hier die Aussicht auf einen tollen Staatsanwaltjob.

„So willkommen im bescheidenen Haus der Clarksons.“

Mein Vater stieg lächelnd aus dem Auto und sah sich um. Unser neues Haus. Im Vergleich zu diesem Haus war unsere alte Wohnung nichts. Es war ein schönes hellgelbes Einfamilienhaus mit einem prächtigen Garten. „Nehmt die Koffer.“ Hannah und ich sahen uns mit einer verzogenen Grimasse an und stiegen widerwillig aus und nahmen unsere Koffer.

Hinter uns parkte der kleine Lastwagen mit unseren Möbeln, die noch ganz plausibel aussahen. „Hannah, dein Zimmer ist oben ganz hinten das linke. Und Jessica deines ist das rechte. Keine Sorge, Mädels. Alles ist gleich groß und mit einem kleinen Balkon.“ Wir trugen unsere Koffer hinauf in unser jeweiliges Zimmer.

Schon als ich hineinging wusste ich, dass ich dieses Zimmer streichen würde. Vielleicht in einem schönen hellen Orange? Oder dunkelgrün? Die Möbelpacker kamen mit meinem erst neuen Bett und stellten es neben dem  Fenster ab. Weitere Möbelstücke folgten, bis ich alles da hatte, was ich gehabt hatte. Schnell rannte ich nach unten, nahm einen Karton mit der Aufschrift ‚Jessicas Sachen‘ und lief wieder hinauf, wo ich alles sorgfältig verstaute.

Drei Stunden später – wir alle hatten das Haus ein wenig verschönert – verabschiedete ich mich von meinen Eltern und spazierte ein wenig umher. Ich wollte genau wissen, wo ich mein letztes Schuljahr verbringen würde. Naja, die letzten paar Monate. 

Ich blieb im Park kurz stehen um den See zu bestaunen, ging zur Grundschule, zum Kindergarten und fand dann meine Schule. Ich verzog das Gesicht, als ich diesen grauen Block vor mir sah und hoffte, dass es Innen ein wenig schöner aussah.

Ich kam an ein paar Teenager in meinem Alter vorbei, wo einer nach dem anderen nicht meinem Typ entsprach. Ich konnte auch nicht anders, als jeden mit Timo zu vergleichen. Aber das lag jetzt hinter mir, Timo war passee. Schnee von gestern.

Je mehr ich von hier sah, desto weniger gefiel es mir hier. Wie sollte ich jemals diese Stadt mögen, wenn alles nicht meinen Geschmack betraf. So langsam bekam ich einen Durst und ich suchte mir in diesem kleinen Ort ein Café. Ich hatte Glück, als ich keine 100 Meter von mir entfernt eines entdeckte.

Und genau in diesem Moment fing es an zu regnen und ein Typ – ich schätzte ihn auf die Mitte Zwanzig – kam aus dem Caféhaus hinaus. Ich konnte nicht anders, als stehen zu bleiben und diesen Typ von Adonis anzustarren. Oh Gott, war der heiß!

Impressum

Texte: Die Rechte liegen allein bei mir und Sabrina
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /