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Der Golem aus dem Spa

Was ist bei der Erschaffung eines Golems zu beachten? Gut, dass ich mir das Handbuch zugelegt habe. Aufgestöbert in einem merkwürdigen Antiquariat, das am anderen Tag nicht mehr aufzufinden war. Wie vom Erdboden verschluckt. Als ob die Nachbarhäuser zusammengerückt wären und hätten das Antiquariat zwischen sich zermalmt oder in irgendeine der Jenseits-Welten gedrückt. Für einen Golem braucht man vor allem Buchstabenmystik und natürlich jede Menge Lehm. Ich beschloss, es im örtlichen Spa zu versuchen, die haben da doch eine große Auswahl an Fango-Packungen, Schlammkuren, Schlick ... Da kann man sich ja mal bedienen. Warum ist es überhaupt von Vorteil, einen Golem sein eigen nennen zu können? Hätte Frankenstein solche Bedenken gehabt, wäre die nachfolgende Schauer-Literatur um ein bedeutendes Monster ärmer. Frisch ans Werk. Wird schon gutgehen. Ein Golem kann problemlos Aufträge erledigen, neigt aber dazu, vom korrekten Pfad abzuweichen, sobald man als Meister nachlässig ist. Schwieriger als die Erziehung eines Hundes – eine Herausforderung, der ich mich mehr als gewachsen fühle, dank unzähliger Siege in entsprechenden Videogames. Das muss doch ins Real Life 1:1 übertragbar sein? Ein Golem an meiner Seite hätte den unschätzbaren Vorteil, dass er wie eine Verlängerung meiner Befehlsgewalt ist, wie ein Rückenkratzer.

Wie belebt man Lehm? Laut Genesis, indem man göttlichen Odem demjenigen einbläst. Woher bekommen? Was bei Adam funktionierte, sollte bei einem Golem genauso klappen. Der Mensch, eine Tonfigur? Das gibt zu denken. Ich blättere ein bisschen im Handbuch. Das hört sich alles kinderleicht an; gut, dass hier ein Stangerbad ist – eine Badewanne, die unter Strom steht, 200 bis 600 mA – Hydroelektrik ist immer gut, wenn man Leben in oder aus einer Sache bringen will. Ich setze Lehm & Co. unter Strom. Mit Gleichstrom geht gleich alles viel besser. Ich bin gut darin, mich mit Muntermacher-Sprüchen aufzuputschen, und außerdem tut mir das Stangerbad selber ganz gut. Optimismus ist ja so wichtig, wenn man bedenkenlos in das Gebiet der Mystik hineinstürmt. Ich glaube, anders kommt man da sowieso nicht rein. Die Zweifler, Grübler prallen alle ab an der Mauer der Unlogik, die wie ein Schutzzauber wirkt. Mystik ist die Überwindung der Logik mithilfe des reinen Willens, etwas erreichen zu wollen. Wenn sich der Wille erkühnt, sich gleichberechtigt neben Energie und Materie zu stellen, dann ist alles Denkbare möglich.

Das Handbuch versetzt mich in einen seltsam träumerischen Zustand; vor meinem geistigen Auge paradieren Schriftzeichen; dabei kann ich gar kein Hebräisch. Wenn der Golem was damit anfangen kann. Der Grundsatz der Gematrie: Dass hinter den Buchstaben das Reich der Zahlen beginnt, dass sie der Schlüssel zu den wahren Geheimnissen des Universums sind; man kann damit aufschließen, wenn man aufgeschlossen ist. Dann wollen wir mal. Ich verwende alles, was da so vorhanden ist. Gott war da sicherlich wählerischer; nicht ein Griff ins nächstbeste Moor oder seine Fango-Packung verwendet – oder gar Faulschlamm.

Ich finde, er macht sich ganz gut, hat Menschen-Ähnlichkeit; ich war immer gut im Schneemänner-Bauen; das qualifiziert mich dazu, den Golem aus der Taufe zu heben bzw. aus dem Stangerbad. Zumindest zuckt er heftig. Ein gutes Zeichen. Laut Kapitel 3 des Handbuchs könnte er sogar Laute hervorbringen. Er pupst. Ich hatte eigentlich an seine rhetorischen Fähigkeiten gedacht; aber könnte ja sein, er hat da so einen Morse-Code. Oder sagt man da Morse-Kot?

Ganz wichtig, ihn nicht zu beunruhigen. Die Spa-Mitarbeiterin schreit wie am Spieß, als er taumelnd die Wanne verlassen will.

„Ist mir keiner behilflich?“

Okay, er hat nicht die zünftige Größe des Prager Golems, aber er macht was her.

„Ich bin eine Miniatur-Ausgabe; Du hast am falschen Ende gespart!“

„Du bist so was wie die Beta-Version. Ein Testlauf.“

„Selber Testlauf.“ Er sieht stinkig aus; kaum auf der Welt und schon fühlt er sich verarscht. Willkommen im Leben.

„Mach mal was.“

„Was kann ich denn?“ Er wankt umher, alles, was er anfasst, wird glitschig; als Butler ist er eine Zumutung.

„Wieso glitzer ich so?“

„Das ist Blattgold, das wertet Dich auf; Selbstachtung ist wichtig.“

Er ist bedeckt mit Zaubersprüchen; ich sollte mir auch solche Tattoos stechen lassen. Bei ihm leuchten sie. Cooler Effekt.

„Das zeigt Deine Befindlichkeit an, wenn die Zaubersprüche hektisch blinken, dann ...“

„Bin ich krank? Fehlt mir was? Mein Gott ...“

Ein hypochondrischer Golem, na, das hat mir noch gefehlt.

Er betrachtet sich im Spiegel, will sich eines der Spa-eigenen Saunatücher nehmen.

„Ich bin ja völlig nackt!“

„Frankensteins Monster hat nicht solche Zicken gemacht!“

Er stürmt in die Damen-Umkleide. Zunächst glauben die hier anwesenden Damen an einen Streich von „Versteckte Kamera“, bis ihnen klar wird, dass das ein waschechter Golem ist.

„Ich suche nur was zum Anziehen“, sagt er beschwichtigend und reißt der einen Frau ihren BH herunter. Besser hätte ich das auch nicht machen können. Er hat sich sogar die Hübscheste ausgesucht. Macht er das mit Absicht? Will er mir eine Freude bereiten? Liest er die Gedanken seines Herrn und Meisters?

„Showtime, Mädels!“ Er rockt die Bühne – oder was er dafür hält. Ich mein, es ist sein Einstand, es ist seine Party. Wozu sind wir am ersten Tag unseres Lebens in der Lage? Das ist schon beachtlich. Weshalb lassen wir die Mystik nicht mehr in unser Leben? Sie beschleunigt Prozesse ... Zuweilen überspringt sie auch einige notwendige Stufen. Er stürzt die Treppe herunter.

„Ich glaub, ich hab mir was gebrochen.“

Das eine Bein ist tatsächlich abgebrochen.

„Ich papp das wieder ran.“

„Hört sich nicht nach Fachmann an.“

Er robbt von mir weg.

„Nun lass mich Dir schon helfen.“

Ich murmle die entsprechenden Sprüche und denke mir so „Hey, wäre cool, ich als Arzt in der Notaufnahme flick die alle wieder zusammen.“ Leider sitzt das Bein jetzt verkehrt herum.

„Sieht voll Scheiße aus!“

„Komm noch mal mit ins Stangerbad, da sind umfangreichere Maßnahmen nötig.“

Er schnappt sich mein Handbuch, blättert selber darin. Er blättert wie wild.

„Ist ja fantastisch! Ich habe Optionen. Zusatz-Module. Ich krieg die Krise! Wie geil ist das denn?“

„Du kannst Dich nicht selber beschwören.“ Ich habe keine Ahnung, ob er das kann. Sie werden so schnell erwachsen.

„Ich bin Dein Vater.“ Ich leih ihm meinen Pulli. „Du kannst die Ärmel hochkrempeln.“

„Deswegen bin ich ja wohl hier. Malochen.“ Er tritt mit dem Fuß gegen die Saunatür. Er deformiert sich dabei seinen Fuß.

„Was für eine Scheiß-Qualität! Hätte Gott bei Euch so gepfuscht – Ihr hättet nicht Hunderttausende von Jahren durchgehalten. Läuft das unter Garantie? Komm, lass uns zu diesem Antiquitäten-Geschäft gehen.“

„Du weißt erstaunlich gut Bescheid – liest Du meine Gedanken?“

„Wir sind mystisch verbunden – ich bin Dein Außenteam. Wir sollten noch mehr Golems erschaffen. Diesmal mit mehr Blattgold. Und, könntest Du das einarbeiten?“

„Schau an, Staub erdreistet sich, goldene Worte im Munde zu führen, und will zurück ins Paradies, weil es als unwürdig hinausgejagt wurde. Jetzt, mit Zivilisation, ist es so, als hätten wir eine Goldschicht aufgetragen – fühlen uns nicht mehr wie eine unwürdige Tonfigur, sondern sind Vitrinen-tauglich, ein herrliches Kleinod.“

„Auf welchem Trip bist Du denn? Ihr stammt von Adam ab; meine Verwandtschaft ist seltsam.“ Er betrachtet eine der Fango-Packungen.

„Meine Cousine dritten Grades ist eine Gesichts-Maske.“ Er lässt sich ins Stangerbad gleiten. „Flick mich.“

Er klingt bei ihm eher wie „Fick mich“.

„Du kannst dankbar sein, dass Dich die Zaubersprüche zusammenhalten. Du bist gefeit gegen die Elemente – Du stehst gewissermaßen außerhalb des üblichen Zusammenwirkens des Seins.“

„Die Bruderschaft der Elemente – Wasser, Feuer, Luft und Erde: meine Brüder.“

Er wird ekstatisch. Ich repariere ihn, so gut ich kann, aber er hampelt herum.

„Stell Dir vor, das ist ein OP-Tisch, da kannst Du auch nicht solche Sperenzien machen.“

„Mehr Blattgold!“

„Man schätzt den Staub, ein wenig übergoldet, weit mehr als Gold, ein wenig überstäubt“, zitiere ich Shakespeare. „Du hast den Wert in Dir.“

„Außen ist aber auch schön. Eine Voll-Verpanzerung aus solidem Gold.“

„In Blattgold-Stärke?“

„Genügt – denn ich vertrau Deiner Magie.“

„Das hast Du schön gesagt.“

Er legt sich Gurkenscheiben auf die Augen.

„Ich entspanne jetzt.“

„Hast Du Deinen Einsatzplan gesehen? 168-Stunden-Woche.“

„Bin ich ein Vampir? Ich muss doch auch mal schlafen. Was steht auf dem Speiseplan?“

„Was würde Dir denn schmecken?“

Er verdrückt eine Vase.

„Nicht übel.“

„Das ist Fayence.“

Die Polizei rückt an. Immer wenn es schön wird, muss man aufhören – oder aber man belegt sie mit einem der witzigen Sprüche aus dem Handbuch: Golem-Abwehr-Zauber vom Feinsten. Er hilft mir dabei – er frisst die Dienstwaffen.

„Der Schuss geht nach hinten los“, kommentiere ich, als sich ein Schuss löst und genau aus seinem Po kommt.

„Hab ich extra gemacht“, behauptet er. „Mach’s nach.“

Ich kann nicht mal Schwert schlucken. Er ist mir da weit voraus.

„Der Golem muss mit aufs Revier!“, verkündet der breitschultrige Polizist und will uns den Weg versperren. Plötzlich leuchten Tattoos auf seinem Körper. Seine Bewegungen werden Zombie-haft.“

„Er ist einer der unsren.“ Dreht der Golem jetzt völlig durch? „Ich hab mir immer eine Zombie-Armee gewünscht.“

„Immer? Du bist erst seit gut einer Stunde existent – und hast mehr Blödsinn angestellt als andere in Jahrzehnten.“ Wobei ich mich da mit einrechne – vor Golem war ich ein guter Bürger – jetzt genügt den Gedanken die mentale Bühne nicht mehr, das volle Mystik-Programm.

Wir beschließen, im Antiquariat vorbeizuschauen, Golem will was über seine Ursprünge wissen, und außerdem sieht das Spa ziemlich verdreckt aus.

„Die Polizei-Uniform steht mir gut“, meint Golem, „ich bin nicht RoboCop, ich bin SchlammCop.“

„Hört sich jetzt nicht so cool an, wie Du denkst.“

„Du fängst Dir gleich 'ne Fango-Packung ein.“

Wir schauen noch im Bastelgeschäft vorbei.

„Haben Sie Blattgold?“

Die Verkäuferin kippt nach hinten.

„Ich hätte wetten können, sie kippt zur Seite“, lautet Golems fachmännische Spiel-Analyse. „Na, dann bedienen wir uns halt selbst. Wenn man noch kein Hobby hat – hier könnte man sich ein Dutzend zulegen.“ Er riecht an Farben, wälzt sich in Perlen ...

„Alles bleibt haften, ist das nicht toll?“

Ich muss zugeben, Einkaufen mit Golem ist mal was Anderes, frische Sicht auf die Dinge.

Die Uniform trägt er sehr lässig, sie ist ihm viel zu groß, das Shirt offen, das Holster schlackert irgendwo in Kniehöhe.

„Er ist mein Werk“, schießt es mir in den Sinn, „Eltern haften für ihre Kinder. An dem bleibt ordentlich was haften, wie soll ich da mithalten?“

„Apropos Haft – die Alarmanlage geht schon seit einer Weile – wir sollten die Biege machen.“

„Warte, ich schieß uns den Weg frei.“ Bevor ich ihn stoppen kann, hat er die Schaufensterscheibe von innen zerschossen.

„Wir hätten auch ganz normal durch die Tür gehen können.“

„Du bist langweilig.“

Der Vorwurf trifft mich – und eine Kugel von ihm.

„Pass doch auf! Ballerst wild in der Gegend rum.“

„Willst Du auch mal?“ Er hält mir die Waffe hin.

„Ist nur ein Streifschuss. Wir könnten da drüben zur Apotheke.“

Die Apotheke hat zu.

„Selbstbedienung.“

Diesmal reagiere ich rechtzeitig und werfe mich auf ihn.

„Du zerschießt keine Scheiben mehr.“

„Scheibenkleister.“

Bin ich tatsächlich so ein Spielverderber?

Was, wenn Gott ähnliche Probleme mit uns hatte? Schießwütig; nicht mit dem Baustoff Lehm zufrieden, sondern sich Gold einverleiben wollend. Oder war ein Stangerbad die Ursuppe – Meer und Blitze als Zutaten für das Meisterwerk? Hat Gott bestimmt auch nicht an einem Wellness-Wochenende erledigt; wie man hört, hat er sich dafür eine ganze Woche freigenommen: Erschaffung der Welt inklusive Gekreuch und Gefleuch. Nur das Werk will nicht den Meister loben.

„Das ist Stümperei, da muss nachgebessert werden“, ereifert sich Golem, „nicht einmal eine anständige Rippe habe ich, nur Lehm und Dreck. Da kann ich mir doch schon ausrechnen, wie meine Golem-Eva aussehen wird. Ein Griff ins Klo.“

Sein Missmut vergrößert sich noch, als Passanten mit dem Finger auf ihn deuten.

„Schlammschlacht!“ Er ist nicht mehr zu halten, besudelt, wen er kann.

„Ich suche Ton-Abnehmer. Ich habe einen furchtbaren Ton am Leib.“

Lehmbatzen fliegen umher. Elefanten hätten ihre Freude daran, die lieben Schlammbäder. Ich denke über den Schlamassel nach, den ich angerichtet habe, und komme zum Schluss, dass das ein echt witziger Vormittag war.

Wir finden dann doch noch das Antiquariat; es stellt sich heraus, dass der Laden von Aliens betrieben wird, die andere Planeten gerne mal an ihrem Wissen über Mystik und Universums-Magie teilhaben lassen. Golem ist leider stinkend faul – als WG-Mitbewohner ist er wirklich das Allerletzte – aber als Freund unschlagbar.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.09.2017

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