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VORWORT

 

Wettbewerbsvorgabe für die Februar-Runde

des Anthologie-Wettbewerbs 2017:

 

„Wähle in einem beliebigen Buch auf Seite 217 einen Satz mit mindestens 5 Wörtern aus

und schreibe eine Geschichte, in der dieser Satz vorkommt.“

 

 

*****

 

 

Bei diesem Beitrag wurden folgendes Buch und folgender Satz gewählt:

 

Carole Cadwalladr: Handbuch für hoffnungslose Romantiker

 

„Und der Himmel wirkte sogar noch blauer als das Meer.“

Vom Anderssein

Ich esse keine Würmer!

 

Seltsam?

 

Das war reine Erziehungssache. Ich wurde mit Samen, Beeren und Brot großgezogen. Und das durfte auch gerne so bleiben.

 

Schuld daran trug allein meine Mutter. Sie hätte eine Brille aufsetzen sollen, bevor sie mich

in das Nest eines Blutfinks schmuggelte. Vielleicht hatte sie es mit einem Rotkehlchengelege verwechselt, wo nur Insekten, Spinnen, Würmern, Schnecken, Larven und Käfern verfüttert wurden oder es war Absicht.Völlig überlegt. Aus dem Bewusstsein heraus, dass ich nicht lernen sollte zu töten – auch wenn es „nur“ dem Hunger gezollt gewesen wäre. Leider würde ich ihre Beweggründe nie erfahren. Ich würde sie niemals kennenlernen, denn … ich war ein Kuckuckskind.

 

Ausgesetzt in ein fremdes Nest wurde ich in das Leben meiner ahnungslosen Wirtseltern entlassen.Wir hatten nichts gemeinsam. Weder die Größe, noch die Farbe des Gefieders und schon gar nicht den Gesang. Ich wurde vollgestopft mit Samen von Bäumen und Pflanzen, mit Beeren und Brotkrumen. Niemals etwas Lebendiges. Aber ich vermisste nichts.

Im Nest war es von Anfang an ziemlich eng und irgendwann mehr als ungemütlich. Der Platz, den es bot hätte mal gerade für mich ausgereicht aber es beherbergte auch noch meine drei Geschwister. Doch es wäre mir nie in den Sinn gekommen, mich ihrer auf gemeine Weise zu entledigen. Ich und diese niedlichen Federbällchen, die gegen mich gar winzig wirkten, waren schließlich eine Familie. Trotzdem beschlichen mich erste Zweifel ob das alles seine Richtigkeit hatte. Ob mit mir alles in Ordnung war. Vielleicht stellte ich eine gentechnische Mutation dar - ein Monster eben. Und so überschattete dieser fürchterliche Gedanke meine Kindheit und nahm ihr jegliche Sorglosigkeit. Meine Mutter pickte mir oft aufmunternd ins Gefieder, weil sie meine traurigen Augen nicht ertragen konnte.

Nichtsdestotrotz sperrten wir hungrig unsere Schnäbel auf. Gefräßig und unersättlich.Wir wuchsen und wuchsen, klebten dicht an dicht, Feder an Feder, hockten über- und untereinander bis es endlich an der Zeit war, das Heim zu verlassen.

 

 

Wie schwerelos meine drei Schwestern durch die Luft flattern konnten, wie flink sie im Spiel

zwischen den Ästen hin und her sausten. Nichts für mich. Ich war einfach zu groß und zu schwerfällig, um mithalten zu können. Niedergeschlagen hockte ich da und verfolgte das fröhliche Treiben. Guter Nährboden für meine Zweifel obwohl meine Mutter immer wieder versuchte, sie zu zerstreuen. Sie wäre keine Mutter gewesen hätte sie mich nicht gerne glücklich gesehen. Sie wollte mich trösten und meinte, dass jeder einzigartig sei und nur um seiner selbst willen geliebt würde. So wie sie mich von ganzem Herzen liebte, selbst wenn ich bis in den Himmel wüchse.

Ja klar, ich war einzigartig und zwar einzigartig monströs. Egal wie ich es drehte und wendete. Egal was mir erzählt wurde. Ich war nicht wie sie, ich war anders.

 

Bis ich eines Tages meinesgleichen erspähte. Ein Spiegelbild in das ich entgeistert starrte. Mein Schnabel klappte nach unten. Ich war kein Einzelstück. Somit erledigte sich meine Einzigartigkeit. Meine Mutter hatte sich geirrt. Ich war gar kein bis zur Unkenntlichkeit mutierter Gimpel. Nein, ich war einfach ein stinknormaler Kuckuck. Von einer Sekunde auf die andere verlor ich mein Anderssein. Mein Außenseitertum fiel mit einem Schlag von mir ab. Ich konnte es nicht fassen. Die Sonne schien plötzlich wärmer. Ihr rundes Gelb strahlte gelber. Und der Himmel wirkte sogar noch blauer als das Meer.

Begeistert rief ich meinen Namen in die Welt hinaus. Ich musste ihn hören. um diese geniale Wende in meinem Leben überhaupt begreifen zu können.

 

„kuckuck … kuckuck …“ , laut und deutlich plärrte ich ihn durch den Wald. Wieder und wieder. Ich hatte mich gefunden. Endlich.

 

Aber dann holte mich die Vergangenheit ein. Düster stülpte sie sich über mein eben gefundenes Glück, denn ich begriff, dass ich getäuscht worden war. Mein Leben war eine einzige Lüge. Wie sollte ich damit zurechtkommen?

 

Doch bevor ich zusammen mit dieser Erkenntnis in dieses Loch plumpste, das sich direkt vor mir in bitterster Schwärze auftat, bevor sich eine tiefe Depression auf meinen Geist legte, fing mich Edgar auf. Edgar, ein stattlicher Kuckucksmann.

Natürlich war das Auffangen nicht wörtlich zu nehmen. Er rettete auf wundersame Weise meine gequälte Seele, lenkte mein sich wundschlagends Herz wieder in den richtigen Rhythmus.

Er machte sich die Mühe, mich in die kleinen und großen Geheimnisse eines Kuckuckslebens

 

einzuweihen. Ob ich auch ohne ihn zurecht gekommen wäre? Vielleicht hätte ich mich irgendwann auf meine natürlichen Instinkte besonnen. Aber wer brauchte die? Es gab schließlich Edgar. Er war ein Schatz Mein Schatz. Er tat dies natürlich nicht ohne Hintergedanken. Seine zarten Berührungen und seine sanfte Stimme, die er mir bei seinen weitläufigen Erklärungen zuteil werden ließ, taten ihr Übriges. Ich verfiel ihm mit Kiel und Feder, ohne wenn und aber. Er wurde der Mann meiner Träume.

Auch wenn sich mir dieses Kuckucksein ziemlich bizarr eröffnete, versuchte ich ein würdiger Teil dessen zu werden. Was sich aber, trotz ehrlicher Bemühungen, als sehr schwierig erwies.

Verschiedene Sachen stießen mir ziemlich sauer auf. Und mir kamen die ersten Zweifel ob dies wirklich das Leben war, das ich führen wollte, auch wenn ich dazu geboren zu sein schien.

Ich fand es zum Beispiel über alle Maße hinterhältig, anderen die Verantwortung für die eigene Brut aufzubürden und sich nicht mehr darum zu kümmern. Nicht zu sehen, wie sie schlüpfte, wie sie aufwuchs. Niemals Liebe schenken zu können. Einfach Mutter zu sein. Irgendwie traurig. Ich wäre gerne Mutter, aber die Natur hatte es nicht für mich vorgesehen.

Ja, die Zweifel gewannen die Oberhand. Musste ich so sein, nur weil das Umfeld es so verlangte? Weil es seit Anbeginn der Zeit so gewesen zu sein schien? Was für eine nichtssagende Begründung. Es stellte sich mir die allumfassende Frage, was ich wollte und stürzte mich damit in tiefe Bedrängnis. Hörte dieses Gefühl denn nie auf. Diese ständige Unsicherheit, diese ewigen Zweifel an mir und am Leben überhaupt.

Ich hatte mir im nahegelegenen Stadtpark ein paar Kuchenkrümel besorgt und knusperte sie nachdenklich in mich hinein. Edgar starrte angewidert auf meinen Snack.

 

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“, wütend schnappte er sich aus der Luft einen kleinen Falter. Jetzt war es an mir, angeekelt die Augen zu verdrehen. In diesem Punkt harmonierten wir nicht. Gar nicht.

Natürlich meinte ich es ernst. Ich mochte nichts Lebendiges verspeisen – aus tiefster Überzeugung. Hierüber würde es niemals Zweifel geben. Daran änderte auch nicht Edgars entsetzter Blick auf meine Krümel. Seine Beschwörungen, mich an meine Wurzeln zu erinnern, liefen ins Leere. Meine Wurzeln? Meine Eltern hatten sich aus dem Staub gemacht. Sie legten ihre Eier in fremde Nester. Auf solche Wurzeln konnte ich gerne verzichten. Mein Leben sollte anders sein. Ich wollte meine Kinder aufwachsen sehen. Edgar musste das verstehen, wenn das mit uns beiden was Richtiges werden sollte.

Aber er verstand nicht. Er versuchte es nicht einmal.

 

Trotzdem entschieden wir, eine Familie zu gründen. Jeder hoffte, dass sich mit der Zeit alles zum Guten wenden würde. Die Zeit als Verbündeter, die sich dann auf die „richtige“ Seite schlagen würde. In meinem Fall natürlich auf die Meine.

Ich bezog Beobachtungsposten und spionierte verschiedene Singvögel aus, so wie es Edgar mir aufgetragen hatte. Mit Interesse verfolgte ich den Nestbau der Grasmücken und Zaunkönige und eignete mir wertvolles Wissen an. Mit dieser Observation hatte ich sämtliche Zweifel besiegt. Ich wusste nun was zu tun war.

 

Man kann sich vorstellen was für ein Spektakel mein Kuckucksgatte veranstaltete, als ich mich anschickte, ein eigenes Nest zu bauen.

 

„Was tust du da? Bist du jetzt völlig von Sinnen?“, blaffte er mich an und plusterte sich auf dreifache Größe auf.

Wollte Edgar mir Angst machen? Einschüchtern? Und ich schaltete auf Durchzug. Es war mein Ei.

Ich war nicht bereit, ihm ein Mitspracherecht zu gewähren. Sollte er doch selber lernen, Eier zu legen. Trotzdem wollte ich Edgar von der Richtigkeit der Entscheidung überzeugen und malte meine Vision in schillernden Farben. Er musste doch auch den Zauber spüren, wenigstens ein bisschen.

 

„Lass es uns versuchen, bitte“, flehte ich.

 

„Niemals werde ich diesen Quatsch unterstützen, geschweige denn mitmachen“, ereiferte er sich, dabei stolzierte er wie ein Gockel auf dem Ast hin und her und drohte mit zum Himmel erhobenen Flügeln.

 

„Wir werden uns verlieren“, flüsterte ich traurig.

Es gab kein Zurückdenken in alte Muster. Ich kannte meinen Weg und ich hoffte inständig, dass Edgar mit mir kommen würde.

Die Zeit der Kompromisse war vorbei, alle Zweifel gestorben. Ich war was ich war, was ich schon immer gewesen sein wollte. Es ging nicht um einen Kuckuck oder einen Blutfink – es ging einfach um mich. Um den Platz, den ich in meiner Welt ab jetzt einnahm. Diesen Platz um den ich bis auf die letzte Feder kämpfen würde.

Edgar hatte seine Wanderung auf dem Ast eingestellt und starrte still vor sich hin. Mein Herz schlug hart gegen meine Rippen als wolle es der Enge der Brust entkommen. Nach einer kleinen Ewigkeit stakste er auf mich zu und legte mit einem schweren Seufzer beide Flügel um mich.

 

„Du bist mir alles Wert“, hauchte er mir ins Ohr.

Mein Herz hatte mit diesen wunderbaren Worten seine Enge überwunden und bekam den Raum, den es brauchte. Es flog ihm entgegen und nistete sich bedingungslos bei Edgar ein. Vielleicht für immer.

Meine Pflegemutter hatte wohl recht damit gehabt, dass ich etwas ganz besonderes war.

Und besonders war auch mein völlig neues Konzept der Familienplanung über das Edgar noch immer fassungslos den Kopf schüttelte. Er tat mir sogar ein wenig leid. Aber nicht genug, um etwas daran zu ändern.

Ja, ich baute ein Nest. Für uns. Naja, wohl mehr für mich. Edgar schleppte sich noch immer schwerfällig hinter mir und meiner Idee her und ich hoffte, dass er früher oder später doch noch zu einer höheren Einsicht gelangte. Zu meiner Einsicht. In dieser Richtung bewies ich alle Geduld der Welt. Er war der Mann meiner Träume und er würde es immer bleiben.

 

Und dann kam der große Moment. Ich legte zwei Eier in mein von mir allein gebautes Nest. Es geschah in Ruhe und völliger Harmonie von Seele und Körper. Noch nie war ich mir so nahe gewesen. Selbstfindung? Oder meine persönliche Erleuchtung über den wirklichen Sinn des Lebens? Meines Lebens? Edgar staunte. Und er staunte noch immer, als ich ihn zum Brüten aufforderte. Schließlich waren es ja auch seine Kinder. Dieses bahnbrechende Experiment musste gelingen. So hockte Edgar auf dem Gelege und schaute hektisch hin und her, angst von irgend jemand gesehen zu werden. Er fürchtete um seinen Ruf. Doch eingefahrene Gleise zu verlassen forderte eben Opfer.

 

Aber als sich uns eines Tages lange Hälse und aufgerissene Schnäbel entgegen reckten, war alles vergessen. Selbst Edgars Zweifel. Mein Gatte schaute verzaubert auf seine Brut. So hübsch, so klug – so einzigartig. Wir hatten es geschafft.

Jetzt warteten wir auf den Moment, an dem uns irgendein Naturfreak entdeckte und sämtliche Einträge über das Brutverhalten des Kuckucks überarbeitet werden mussten.

Es gab eben nicht immer nur schwarz oder weiß. Das Leben war anders. Neue Wege mussten beschritten werden. Edgar und ich waren Pioniere. Unser Mut wurde belohnt. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

Jetzt sollte nur noch die Ernährungsfrage unser Brut geklärt werden.

 

„Falter oder Brotkrumen?“, fragte ich listig, während ich genüsslich ein kleines Stück Zwieback zerknusperte.

Edgars Blick wirkte plötzlich gehetzt.

Ich fragte mich warum.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Bildmaterialien: Cover: Pixabay CCO Public Domain - User: ArtsyBee
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2017

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