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Strick dich ins Glück

Im Grunde sollte ich Merle dankbar sein. Vielleicht vergebe ich ihr. Morgen oder übermorgen. Wenn man glücklich ist, wird das Herz weit und die Gedanken milde. Der Ehrlichkeithalber muss ich zugeben, dass dies alles ohne sie gar nicht passiert wäre ...

 

... „Jule, du musst endlich etwas für dich tun. Nur für dich.“ Merle zwinkert mir zu und meldet uns beide zu einem Wochenend-Workshop „Socken stricken“ an.

„Das ist total angesagt und genau das Richtige für uns. Entspannung pur, nette Leute, tolle Gespräche und das beste … keine Männer!!!“

 

Bereitwillig springe ich kopfüber in ihren Begeisterungsstrudel. Berausche mich an ihrer Lebendigkeit.

„Das hört sich wirklich klasse an, vor allem das mit den Männern“, nicke ich zufrieden.

 

Merle und ich interessieren uns nicht mehr für diese seltsame Spezies. Überhaupt nicht mehr!!!

Meine letzte Beziehung hat mir gezeigt, dass man besser niemandem vertraut und Worte nur Worte sind. Aus diesem Grund habe ich gestern einen Stacheldrahtzaun um mein Herz errichtet. Mir wird keiner mehr zu Nahe kommen. Ob jedoch stricken das Richtige für mich ist, bezweifle ich.

Damals in der Schule war der Handarbeitsunterricht der blanke Horror. Aber Zeiten ändern sich ja bekanntlich. Warum nicht auch meine Fingerfertigkeit mit Nadel und Faden.

Merle lässt mir keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Großzügig schenkt sie mir einen Knäuel Wolle in strahlendem Himmelblau und schon hänge ich in ihrem Schlepptau.

 

Uns erwarten fünf strickende Frauen. Tina, Jutta, Caro, Emmy und nicht zu vergessen Birte, unsere Kursleiterin.

Munteres Geplapper. Eifrig werden die Strickutensilien und entsprechende Anleitungen ausgepackt. Mir fehlen die Worte. Strümpfe, die am Schienbein hochgeschnürt werden, Strümpfe, die man über die Schuhe knöpft und alles in den abenteuerlichsten Mustern und Farben. Ich dachte, das ist ein Anfänger-Workshop. Mein fragender Blick trifft Merle, die mich unschuldig anlächelt, ein pinkfarbenes Wollknäuel auf den Tisch legt und sich drei Stühle von mir entfernt hinsetzt. Ich bin zwar sehr irritiert, schlucke aber meinen Unmut erst einmal tapfer runter.

Alle haben es sich gemütlich gemacht. Die Konzentration liegt mehr bei den Gesprächen als beim Stricken. Nur für mich ist es anders. Ich kann überhaupt nicht zu hören. Schon wieder hat sich die Wolle verknotet. Oh Mann! Entnervt schiele ich in die Runde. Zufriedenes Nadel klappern. Stressabbau pur soll das sein? Warum verspüre ich dann einen Herzschlag zu viel – und dieses Gefühl gleich schreiend von meinem Stuhl aufspringen zu müssen?

 

„Diese Hundertwasserfarben sind wirklich toll.“ Emmy hält ihr buntes Strickteil beifallheischend in die Höhe. Zustimmendes Gemurmel und Kopfgenicke. Ich nicke auch. Es macht mich fassungslos, dass die Farben eines Hundertwasserhauses in einem 50g Fasergemisch-Knäuel wiederzufinden sind und in kürzester Zeit zu einem Paar Strümpfe verarbeitet werden.

 

„Früher musste man sich mit zwei und mehr Knäulen herum plagen.Jetzt macht sich das Muster ganz alleine.“ Emmy schaut mich glücklich an.

 

„Ja, das ist richtig schön.“ Ich lächle sie freundlich an. Was soll ich auch sagen. Für mich ist es schon mit einem einzigen Faden ein Kampf. Meine Hände schwitzen. Die

Wolle reibt zwischen meinen Fingern. Die Haut ist an dieser Stelle völlig verschwunden. Das pure Fleisch schaut raus. Meine Nadeln quietschen und mein Nacken verkrampft sich schmerzhaft. Für mich ist jede Masche ein Gegner. Mein zwei-Zentimeter langes Strickbündchen fühlt sich hart und filzig an. Ich hole erst einmal Luft. Vielleicht sehe ich das viel zu verbissen. Meine Haltung ist sicher falsch. Die Ellbogen müssen höher und wenn ich dann noch bewusst die Oberarme rhythmisch an- und entspanne, könnte ich sogar meinen Muskelaufbau fördern und diesen ätzenden „Winkearmen“ endlich den Garaus machen. Praktisch während des Workshops ein Workout. Eine geniale Idee. Als ich dann noch versuche meine Atmung entsprechend einzubringen steht Birte unvermittelt auf. Ich schaue in ein rundes, sehr genervtes Vollmondgesicht.

 

„Jule, du hältst die Nadeln zu verspannt. Deine Ellenbogen sind viel zu weit oben. Wir stricken und machen keinen Ringkampf.“ Jetzt lächelt sie mich böse an und ich frage mich, was ich ihr getan habe.

Herrisch zerrt sie an meinen Armen herum, rückt grob meinen Kopf zurecht und biegt meine Schultern nach hinten. Mein hilfloser Blick sucht Merle, die nur blöde in ihre Anleitung kichert. Verräterin!!!

 

Ich fühle mich in meine Schulzeit zurückversetzt. Meine Handarbeitslehrerin, Frau Stechapfel, greift nach meinem Strickzeug, zeigt es herum und macht irgendwelche dummen, verletzenden Bemerkungen. Lautstarkes Gelächter und ich suche vergeblich ein Loch, in dem ich verschwinden kann. Diesmal werde ich mich nicht kleinmachen lassen. Ich bin schließlich kein Kind mehr. Aber wie das so ist, fällt mir auf die Schnelle nichts passendes ein. Da geht die Tür auf.

 

„Bin ich hier richtig beim Strick-Workshop?“ Ein Mann!!! Was will der denn? Birte lässt von mir ab und setzt ein strahlendes Begrüßungs-Lächeln auf, was ihr rundes Gesicht noch runder erscheinen lässt. Mit wiegenden Hüften stöckelt sie auf ihn zu. Sechs Augenpaare scannen ihn von Kopf bis Fuß. Ein Typ, wie aus einem Journal.

 

“Hallo, ich bin der Ben.“ Er deutet eine leichte Verbeugung an. Sein blondes lockiges Haar fällt ihm dabei wirr ins Gesicht. Zarte Finger hätten es gerne wieder zurück gestrichen und sechs Herzen fliegen ihm entgegen,

… das meine hat sich am Stacheldrahtzaun blutig gerissen. Tränenverhangen blinzelt es den anderen hinterher.

Ben schaut sich suchend nach einem Platz um und lässt sich mir gegenüber nieder.

 

Ich hätte gute Lust, Merle die Zunge rauszustrecken. Dieser kindliche Impuls, gepaart mit einem wahnsinnigen Glücksgefühl, durchströmt triumphierend meinen Körper. Mit ihr werde ich noch ein Hühnchen rupfen. Später! Im Moment bin ich mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Verstohlen beobachte ich, wie Ben einen halbfertigen Strumpf aus seiner Tasche holt. Der sieht jetzt schon flauschig aus. Ich bin neidisch. Er braucht auch keine Anleitung, denn er strickt sofort los. Unverhohlen starre ich auf sein Tun. Die Maschen hüpfen freiwillig von einer Nadel auf die andere. Was für herrliche Hände, so gepflegt und doch so männlich.

 

…. verlangend streichen sie meiner Halslinie entlang und wandern zielstrebig in den Ausschnitt meiner apricotfarbenen Chiffonbluse ... Ich verschlucke gerade noch den langen Seufzer, der sich verräterisch durch meine Lippen pressen will ...

 

Erschrocken über meine Gedanken und die aufsteigenden Gurgelgeräusche widme ich mich mit roten Wangen wieder meinem Filzteil.

 

„Du bist viel zu verkrampft. Komm, ich helfe dir.“ Ben schenkt mir ein umwerfendes Lächeln und ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Birte ihre Ohren wie riesige Empfangsschalen zu mir herüber neigt. Ja, Birte, höre und staune. Flirten will gelernt sein.

Ich reiche ihm mein Strickzeug, dabei berühre ich ganz zufällig seine Hand. Sekunden zu lang. Ein elektrischer Schlag saust bis in meine Zehen. Verwirrt schaue ich in ein paar herrlich blauer Bergsee-Augen – kühl und verlockend. Und plötzlich ist es kein Spiel mehr. Jedenfalls nicht für mich. Meine Stimme klingt fremd. Irgendwie viel zu rau und ich versuche, meine Verunsicherung wegzuräuspern.

Sag was Tolles, wispert mir mein inneres Ich zu. Aber mein Kopf ist wie leergefegt. Leise stammle ich irgendeinen hirnlosen Quatsch. Was ist das denn? Zum Glück scheint niemand meinen Zustand zu bemerken. Ben lockert geschickt die „verkrampften“ Maschen. Als er mir meinen Strumpf zurück gibt, blinzelt er mir verschwörerisch zu. Mein Herz sucht verzweifelt einen Weg aus dem engen Stacheldraht-Käfig.

 

Birte ist aufgestanden. Ihr schrilles Organ sprengt mein Trommelfell.

 

„Morgen beginnen wir den Workshop mit einem Frühstück. Ich bringe Honig und Marmelade mit und Emmy hat sich bereiterklärt für uns ihren tollen Käsekuchen zu backen.“ Zustimmendes auf den Tischgeklopfe.

 

Das klingt gemütlich und sehr verlockend. Ein Frühstück mit Ben. Aber ich werde lieber zu Hause bleiben ... ohne Wolle, ohne Merle und natürlich auch ohne Birte. Aber am wichtigsten. Ohne Ben! Denn ich habe Angst, dass ich mein Herz nicht so ganz unter Kontrolle habe. Seit Ben den Raum betreten hat, hüpft es verwirrt durch meinen Körper. Ich habe mich entschieden. Gegen Ben und meinen aufgeregten Herzschlag. Zufrieden marschiere ich zur Tür, als er mich mit großen Schritten einholt.

 

„Du kommst doch morgen?“ Er hat sich ein wenig zu mir herunter gebeugt.

 

Sein Blick hat etwas Magisches. Das schillernde Bergseeblau zieht mich in die Tiefe – atemlos tauche ich unter und verliere völlig die Orientierung. Alles in mir gerät völlig durcheinander, als mich Merle grob am Arm packt und hinter sich herzieht.

 

„Keine Männer“, zischt sie mir dabei böse ins Ohr. Das ist ja wohl die Höhe.

 

„Das soll ein Anfängerkurs sein?“, blaffe ich zurück „was ist das für eine linke Tour. Du hast mich zur Witzfigur gemacht! Ich hab erst mal genug von dir. Lass mich einfach in Ruhe, du Verräterin.“ Ich schüttle wütend ihre Finger von meinem Arm und stürme zum Ausgang.

 

***

 

Es ist noch ziemlich früh am Morgen. Trotzdem stehe ich schon vor dem Spiegel. Kokett tänzle ich auf und ab und lächle mir unwiderstehlich mit einem rot geschminkten Schmollmund zu. Das Make-up ist perfekt. Mehr ist nicht heraus zu holen. Gesicht bleibt Gesicht, aber ich bin zufrieden. Der Rest ist auch nicht ohne. Einen Moment fühle ich mich oberflächlich und eitel. Brezelt man sich für einen Strick-Workshop in diesem Maße auf? Verbittert denke ich an Birte und Merle. Und die Antwort lautet eindeutig

„Ja, natürlich!“

Der Ausschnitt ist etwas gewagt, der Rock ziemlich kurz und atemberaubend eng. Doch das beste sind die Schuhe. Sie verlängern meine Beine um gute zwölf Zentimeter. Ich bin begeistert. Das wird sicher der beste Auftritt meines bisherigen Lebens. Natürlich muss ich später aufkreuzen. Mir soll die gesammelte Aufmerksamkeit gehören. Also bleibt mir noch genügend Zeit, mit meinen High Heels einen tadellosen Gang zu üben.

 

Der große Moment. Der Tanz kann beginnen. Ich atme tief durch, pusche mein Selbstbewusstsein in schwindelnde Höhe und drücke die Klinke runter. Mit einem strahlenden Lächeln stolziere ich wie ein Model zu meinem Platz. Ich genieße die verdutzten Blicke. Merle hält in der Kaubewegung inne und starrt mich verblüfft an. Meine Stimme trieft vor Liebenswürdigkeit.

„Hallo Merle. Sieht lecker aus, dein Brötchen.“

Ben schickt mir unverhüllte Bewunderung entgegen. Er ist schon süß. Emmy schiebt mir den Brotkorb vor die Nase:

 

„Du siehst einfach toll aus, Jule!“

 

„Dankeschön, lieb von dir.“ Emmy ist von erfrischender Ehrlichkeit – ich mag sie.

 

Zufrieden schmiere ich ordentlich Marmelade auf mein Brötchen und beiße herzhaft hinein. Das habe ich mir jetzt verdient. Birte wird zur namenlosen Statistin, zu einer unbedeutenden Randerscheinung … denn Ben kann seine Augen nicht von mir lassen. So gesehen ist die Entscheidung richtig gewesen. Das hier ist besser als ein Chillertag auf dem Sofa. Um Längen besser. Wenn ich es richtig anstelle, wird er wie warmes Kerzenwachs in meinen Händen werden und in Gedanken knete und forme ich mir meinen Traummann noch traumhafter.

 

Birte räuspert sich. Sie scheint aus ihrer Starre erwacht zu sein. Geschmeidig steht sie auf und mit ein paar Trippelschritten ist sie bei Ben angelangt. Viel zu vertraut legt sie ihre Hand auf seine Schulter.

 

„Es bleibt doch dabei, Ben?“ Ihre Stimme hat einen zirpenden Klang. Ihre ganze Erscheinung erinnert mich an eine Gottesanbeterin, die nach der Paarung ihrem Partner ohne Gnade den Kopf abbeißt.

Und überhaupt, was soll das denn jetzt? Bei was sollte es bleiben? Habe ich da was verpasst? Mühsam versuche ich meine Verwirrung zu verbergen. Mein Brötchen schmeckt nicht mehr. Aprikosenmarmelade ist sowie so nicht mein Fall. Ich bevorzuge die „roten“ Varianten … und Ben.

So leicht gebe ich nicht auf und räume das Feld. Schon gar nicht für Birte. Gekonnt beuge ich mich nach vorne, seine Augen brennen sich heiß in mein Dekolleté. Ich kann das Knistern förmlich hören. Abrupt richte ich mich auf. Mein Blick sucht eine Antwort in dem kühlen Blau seiner Augen. Aber ich finde nichts, was mich zufriedenstellt oder gar tröstet. Ich bin wütend. Auf Birte und auf Ben. Am meisten jedoch auf mich. Mein Stacheldrahtzaun hat irgendwie versagt. Wie sonst könnte ich diesen rasenden Schmerz in meinem Inneren fühlen. Brennende Eifersucht.

 

Der Stricktag neigt sich dem Ende zu. Noch immer weiß ich nicht, was es mit Birte und Ben auf sich hat. Aber ich würde mir eher die Zunge abbeißen, als danach zu fragen. Mürrisch arbeite ich an dieser dämlichen Socke, während Ben die letzte Nadel aus seinem Strickteil zieht. Prüfend hält er beide Strümpfe in die Höhe. Richtig hübsch sehen sie aus. Sorgfältig legt er sie zusammen und schiebt sie zu mir rüber.

 

„Für dich Jule.“ Seine Stimme hat einen unglaublich weichen Klang, der bis in die hinterste Ecke meiner Herzkammer kriecht. Seine Bergsee-Augen haben einen besonderen Glanz angenommen, so als ob die Sonne darin versinkt. Ich starre fasziniert in dieses schimmernde Blau.

 

„Hallo? Jule? Die sind für dich!“ Langsam begreife ich. Er schenkt mir diese wunderschönen, von seiner Hand gearbeiteten Socken. Für einen Moment vergesse ich alles um mich herum. Für was brauche ich überhaupt einen Stacheldrahtzaun. Ich brauche Ben.

 

„Kommst du Ben?“ Birte scharrt ungeduldig mit den Füßen wie eine rossige Stute. Birte. Birte und Ben. Wie konnte ich das nur vergessen. Besitzergreifend hat sie sich bei ihm eingehakt. Für mich bleibt nur, beiden sprachlos hinterher zu starren.

 

„Er soll nach ihrem verstopften Siphon in der Küche schauen“, flüstert mir Emmy erklärend zu. Ach, nach dem Siphon. Was für eine plumpe Anmache und Ben fällt darauf rein. Was sollte dann die Nummer mit den Strümpfen? Das verstehe ich nicht. Ich bin verletzt. Sehr sogar. Fast unhöflich verabschiede ich mich von den anderen. Ich muss jetzt allein sein.

 

***

 

Zuhause sinke ich auf mein Sofa. Unglücklich halte ich meine Taschentuchbox im Arm. Verliere mich in Selbstvorwürfen. Suhle mich im Selbstmitleid und lasse den Tränen freien Lauf. Alle Welt ist gegen mich ...

 

Merle ist ein Verräter. Und Ben? … ja, was soll ich sagen. Wieder ist es passiert. Ich habe mich verliebt. Hals über Kopf. Ungewollt! Und doch so heftig wie noch nie. Für einen Moment glaubte ich doch tatsächlich, dieses Gefühl auch in seinen Augen gelesen zu haben und hätte schwören können, dass diese Vertrautheit zwischen uns nicht nur ein Wunschgedanke von mir war. Und jetzt das. Birte und Ben. Es nervt unsäglich, dass mein Stacheldrahtzaun kläglich versagt hat.

 

Irgendwann schlafe ich erschöpft ein ...

… bis mich mein Handy mit seinem aufdringlichen „Ring Ring“-Klingelton aus düsteren Träumen schreckt. Verschlafen presse ich das Telefon an mein Ohr.

 

„Schau mal vom Balkon!“ Kommandiert da jemand fordernd in meinen Gehörgang.

Ich bin irritiert.

 

„Wer spricht denn da?“ In meinem Kopf arbeitet es erschreckend zäh.

Aber die Stimme kommt mir so vertraut vor. Mein Herz hat sie sofort erkannt. Es schlägt Alarm, pulst unkontrolliert gegen die Rippen.

 

„Ben, bist du das?“ Unsicher nuschle ich ins Handy.

 

„Jule, schau doch mal vom Balkon … b i t t e.“

 

Schwerfällig schiebe ich mich vom Sofa. Sekunden später beuge ich mich über die Brüstung. Da steht Ben und er winkt mir zu. Aufgeregt hüpft er auf und ab. Das ist ja unglaublich. Für einen Moment zweifle ich an meinem Verstand. Mein Auto hat eine Haube bekommen. Eine gestrickte Haube, die sich über den oberen Teil des Fahrzeugs stülpt. Lustig sieht es aus und ich muss lauthals lachen. Beim Workshop haben wir uns darüber unterhalten, wie Dinge einfach überstrickt werden. Parkuhren, Ampeln, Fahrräder, Blumentöpfe ... ja im Grunde wird alles mögliche rund herum in Wolle verpackt. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas jemals zu Gesicht bekäme. Ich bin beeindruckt. Was für eine Idee.

 

Welche Mühe, welch ein Aufwand – nur für mich. Ben hat mein Auto bestrickt. In zartem Rosa. Ich bin so gar nicht der Rosatyp. Das ist nicht meine Farbe. Sie macht mich fürchterlich blass. Aber Geschmäcker ändern sich ja bekanntlich. Auch meiner. Denn plötzlich ist Rosa die schönste Farbe der Welt und ich mag, was da in tiefroten Buchstaben zu lesen ist ...

 

… JULE, ICH LIEBE DICH

 

Ich steche mir die Finger blutig als ich den Stacheldrahtzaun aus meinem Inneren reiße und mit lautem Aufschrei vom Balkon schleudere. Symbolisch natürlich. Was für ein Schwachsinn, zu glauben, dass er mir von Nutzen hätte sein können. Mein Herz macht ja doch was es will.

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.08.2016

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