Nein, eine Katastrophe ist es nicht, und nein, die Welt wird nicht untergehen. Sie wird nicht die geringste Notiz von mir nehmen, geschweige denn von meiner momentanen Verfassung. Warum auch?
Ich gehe hinaus auf den bierdeckelgroßen Balkon, blicke in die Tiefe und bekomme Gänsehaut. Das kreischende Lachen einer Hausbewohnerin unter mir treibt mich wieder in die Wohnung zurück. Lacht sie über mich? Wohl kaum, denn dazu müsste sie mich irgendwann einmal überhaupt zur Kenntnis genommen haben in dieser Anhäufung von übereinander gestapelten Schachtelwohnungen. Niemand wird mich je wieder zur Kenntnis nehmen. Was soll ich nur tun?
Ruhelos marschiere ich in diesem Wohnklo mit Kochnische herum, drei Schritte vor, drei zurück und zermartere mir den Kopf. In einem Anfall aussichtsloser Hoffnung reiße ich den Kühlschrank auf. Vielleicht habe ich doch ein kaltes Bier übersehen? Aber nur ein vertrocknetes Stück Käsekuchen starrt mich vorwurfsvoll an. Ich verzweifle immer mehr. Draußen wird es dunkel, und nichts fällt mir ein, was meine Situation ändern könnte.
Noch immer höre ich das Gegacker der Frau. Es dringt in jede Gehirnwindung. Ich werde noch verrückt! Muss mich konzentrieren, verdammt! Konzentrieren! Gacker, gacker. Wie kann man nur so penetrant fröhlich sein? In meiner Verzweiflung kratze ich die Reste von Kerzenwachs von der Kommode, knete sie weich und stopfe sie mir in die Ohren. Gacker, gacker, gacker … Mit Mordgedanken in mir wage ich wieder den Schritt auf den Balkon. Der Blick in den Himmel auf den gerade aufgehenden Mond stimmt mich etwas friedlicher. Was kann die Frau da unten denn für meine verzweifelte Stimmung? Ihr Lachen klingt doch eigentlich ganz nett. Aber falscher Zeitpunkt. Ich pule das blöde Wachs aus meinen Ohren und werfe es in die Tiefe. Vielleicht sollte ich mich hinterherwerfen? Schwachsinn. Zurück in die Wohnung, Balkontüre zu. Plötzlich herrscht Stille. Hätte mir auch gleich einfallen können! Aber jetzt belästigt mich wieder dieser säuerliche Geruch, der aus den Wänden zu dringen scheint.
Mein Problem ist eigentlich lächerlich. Nur eine Randerscheinung in meinem Leben. Ich sollte hinausgehen, unter die Leute, heraus aus diesem Kasten, ade du blöder Block! Geh raus ins Leben, du Versager, anstatt dich hier zu verkriechen!
Die Selbstvorwürfe führen zu nichts, verstärken nur das Durcheinander der Gedanken, die durch meinen Kopf wirbeln, wie beim Tanz der Hexen in der Walpurgisnacht.
Im Schein des Mondes grinst mich drohend das Blatt Papier auf dem zugemüllten Couchtisch an. Es ist zu dunkel um die Worte lesen zu können, aber ich kenne sie auswendig. Sie sind der Grund meiner Verzweiflung. Meines Zorns. Zorn auf Zora, die Verfasserin. Aber sie kann doch wirklich nichts dafür, sie hat es doch nur gut gemeint. Es sind zehn zusammenhanglose, einfache, unschuldige Wörter. Was können sie dafür, dass ich so deprimiert bin, dass ich mit ihnen nichts anfangen kann, dass ich nicht in der Lage bin, sie zu einer guten Geschichte zu verbinden? Nichts. Ich lasse es sein. Hat keinen Zweck.
Vielleicht verfasse ich lieber etwas über die Befindlichkeit eines Schreiberlings im Zustand einer Schreibblockade. Könnte sein, dass mich wenigstens meine Kolleginnen und Kollegen verstehen, oder?
Noch ein Warnhinweis, liebe Autoren: Solltet Ihr jemals eine Schreibblockade haben, dann lasst Euch nicht auf gutgemeinte Angebote von Freunden ein, wenn Ihr sie nicht vorher penibel überprüft habt.
"Du musst einfach mal weg von zuhause und von der Familie", hat mir mein alter Spezi Fred geraten. "Du kannst für ein paar Tage das Studentenappartement meines Sohnes haben, der ist gerade in Amerika. Da hast du Ruhe und wirst nicht abgelenkt!"
Tja. Und wie bekomme ich jetzt meine Depression weg?
Es gibt nur den einen Weg: raus hier, schnell nach Hause, Block ade! Vielleicht heißt es dann auch: Blockade ade! Hoffentlich …
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2016
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