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Der Brief

Lieber Jesus,

 

mein über alles geliebter Sohn, ich schreibe Dir diese Zeilen, weil ich nicht weiß, wie lange wir uns noch vor dem bösartigen König Herodes aus Jerusalem, der mir nach dem Leben trachtet, verstecken können. Denn sollten seine Schergen erfolgreich sein und uns finden und ich unter ihren Händen sterben, so sollst Du später, wenn Du älter bist, erfahren, dass ich Dich immer geliebt habe und dass ich stets und zu jeder Zeit versucht habe, Dich zu schützen.

Aber die Geschichte, die ich Dir zu erzählen habe, lässt mir einfach keine Ruhe, so dass ich sie einfach aufschreiben musste, weil Du sie sonst nie und nimmer glauben würdest. Aber ich schwöre Dir, bei allem was mir heilig ist, dass sie die reine Wahrheit ist.

 

Vor vielen Jahren lernte ich auf einem Volksfest in Galiläa einen gut aussehenden und stattlichen Zimmermann namens Joseph kennen und bereits nach 2 Tänzen waren wir Hals über Kopf verliebt und schworen, uns nie wieder zu trennen. Es war die viel zitierte Liebe aus den ersten Blick.

Da es in Galiläa jedoch kaum noch Aufträge für Joseph gab, Du musst wissen, es gab damals dort mehr als nur einen Zimmermann, zogen wir zusammen nach Nazareth. Dort bauten wir uns eine kleine bescheidene, aber für uns völlig ausreichende, Existenz auf. Joseph hatte gut zu tun und auch ich konnte mich über mangelnde Arbeit nicht beklagen.

 

Doch mit der Zeit schlief unsere Liebe zueinander allmählich ein. Wir sahen uns kaum noch, Joseph, verließ unser Heim bei Sonnenaufgang und kam meistens erst wieder zurück, als es Draußen schon stockdunkel war. Danach war er zu nichts mehr gebrauchen. Ich sehnte mich so sehr danach, seinen Körper auf dem meinigen zu spüren und mit ihm Liebe zu machen. Er sollte seinen Samen in mir pflanzen, auf dass in mir neues Leben erblühe. Aber nichts dergleichen geschah. Er legte sich nach dem Abendbrot ins Bett, drehte sich auf die Seite und würdigte mich keines Blickes.

 

Ich war dermaßen verzweifelt und todunglücklich, dass ich beinahe eine Sünde begangen und meinem Leben ein Ende gesetzt hätte. Das Messer lag schon unter dem Bett bereit.

Doch dann, hatte ich eines Nachts einen Traum, welcher so real war, das ich es bis heute immer noch nicht so richtig glauben kann.

 

Mein ganzer Körper wurde von einer wohligen Hitzewelle umflutet und ich fühlte mich das erste Mal seit Jahren wieder frei und über alle Maßen glücklich. Dann nahm ich plötzlich eine Stimme war, die direkt aus dem Himmel zu kommen schien. Und diese Stimme sagte, dass ich nun ein Kind unter meinem Herzen trüge, welches der Menschheit eines Tages Rettung und Frieden bescheren würde.

Doch noch ehe ich irgendwelche Fragen stellen konnte, waren sowohl die Stimme, als auch das angenehme warme Gefühl wieder verschwunden.

Ich tat dies alles als surrealen Traum ab und erzählte auch Joseph kein Sterbenswort davon. Wir unterhielten uns zu dieser Zeit ohnehin kaum noch.

 

Doch je mehr die Zeit voran schritt, umso weniger konnte ich meine Schwangerschaft verbergen. Joseph stellte mich wütend zur Rede und als ich ihn von meinem Traum erzählte, flippte er völlig aus und nannte mich eine Ehebrecherin und verließ wütend unser Heim.

Fast zwei Wochen war er verschwunden, und als er wiederkam, fielen draußen nicht nur die Blätter von den Bäumen, sondern er hielt auch noch einen Zettel in der Hand.

 

Wir waren schon damals in der glücklichen Lage, Lesen und Schreiben zu können und so wussten wir auch schon ziemlich bald, was auf diesem Zettel stand. Nichts Gutes, so viel kann ich Dir schon mal verraten.

Kaiser Augustus, ein Despot, wie man ihn sich in seinen schlimmsten Albträumen vorstellen kann, befahl der gesamten Welt, an einer Volkszählung teilzunehmen. Jeder Mann sollte mit seinem

Weibe zurück in die Stadt seiner Geburt reisen, um sich dort in eine Zählliste eintragen zu lassen.

 

Nun war Bethlehem nicht gerade ein Katzensprung von Nazareth entfernt und ich bereits hochschwanger, so dass die Niederkunft unmittelbar bevorstand. Aber Kaiser Augustus war unerbittlich und befahl uns, dass wir uns unverzüglich auf die Reise begeben sollten.

Wir waren alles andere als begeistert, doch Joseph gab sich einen Ruck, nahm mich das erste Mal seit langer Zeit wieder in den Arm, gab mir einen Kuss und meinte, dass wir das gemeinsam schon schaffen würden.

 

Mit dem wenigen ersparten Geld, welches wir hatten, konnten wir uns einen halbwegs passablen Esel leisten. Er zwar nicht mehr der Jüngste und erst recht nicht der Schnellste, aber ich konnte wenigstens sitzen und musste in meinem Zustand nicht die ganzen fast 130 Kilometer zu Fuß laufen. Und es war sogar noch etwas Platz für unsere wenigen Habseligkeiten.

 

Dennoch wurde es eine sehr beschwerliche Reise, denn es schneite ununterbrochen und es war bitterlich kalt. Die Nächte verbrachten wir meist in irgendwelchen Ställen, in die wir uns nach Sonnenuntergang schlichen. Immer in Angst, von den Eigentümern entdeckt und verjagt zu werden. Geld für die Übernachtung in einer Herberge hatten wir keines, denn die wenigen Denare, die wir besaßen, gaben wir für das Futter für den Esel aus.

 

Als ich schon glaubte, ich würde die Reise keinen einzigen Tag länger durchhalten, erblickten wir die Stadtmauern von Bethlehem. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie glücklich wir waren, mein lieber Jesus. Glücklich, aber auch völlig erschöpft und am Ende unserer Kräfte.

Von dem gesparten Geld war absolut nichts mehr übrig. Da ich aber spürte, dass ich kurz vor der Niederkunft stand, klopften wir dennoch an die Tür einer Herberge, welche uns von einer sehr mürrischen und schlecht gelaunten Wirtin geöffnet wurde. Sie blickte uns an und wollte uns auf der Stelle verjagen. Auch die Tatsache, dass sich Joseph schützend vor mich stellte und meinte ich in Kürze gebären würde, lies sie nicht milde stimmte und sie warf und buchstäblich die Tür vor der Nase zu.

 

Nun standen wir frierend und halb verhungert mitten in der Kälte und wussten weder ein noch aus. Doch dann öffnete sich ganz leise die Tür der Herberge und kleiner Junge kaum auf Zehenspitzen schleichend heraus. Er nahm mich bei der Hand und winkte auch Joseph zu, dass er ihm folgen solle. Er führte uns in einen Stall, der keine 50 Meter von der Herberge entfernt war und meinte, wenn wir uns ruhig verhalten, könnten wir die Nacht hier verbringen. Dann meinte er, er müsse noch mal kurz los und was besorgen und dass er gleich wieder käme.

Es dauerte keine zehn Minuten, da stand er tatsächlich wieder im Stall, mit einem Korb in seiner linken Hand. Und aus diesem Korb holte er, mit einem Lächeln auf den Lippen, einen Krug Wasser, ein halbes Brot und ein kleines Stück Wurst. Verschmitzt meinte er, dass er das aus der Küche seiner Mutter stibitzt hätte und dass wir es uns schmecken sollen lassen.

 

Wir waren dem kleinen Burschen so dankbar, dass wir ihn Beide in den Arm nahmen und drückten. Ich fragte ihn nach seinem Name und er sagte, dass er Joshua heißen würde. Das war ein sehr schöner Name, wie ich fand und das sagte ich ihm auch, was sein Lächeln im Gesicht nur noch breiter werden lies.

Kaum war Joshua wieder verschwunden und wir hatten gerade unser Abendbrot verzehrt, setzten auch schon meine Wehen ein. Deine Geburt verlief ohne Komplikationen und nahezu schmerzfrei. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, denn nachdem, was ich von anderen Frauen gehört hatte, war ich schon auf das Schlimmste vorbereitet.

 

Als ich in Dein hübsches Gesicht sah, welches einem Engel ebenbürtig war, verliebte ich mich sofort über beide Ohren. Deine zarte kleine Nase, die strahlend blauen Augen und dass strohblonde lockige Haar auf Deinem Haupt, ich konnte mich an Deinem Anblick einfach nicht satt sehen.

 

Joseph hatte in der Zwischenzeit eine Krippe, welche als Futterstelle für die Tiere im Stall diente, gereinigt und mit frischem Stroh auslegt. Ich hatte aus meinem Kopftuch eine Windel geformt und Dir umlegt. Ganz sacht legten wir Dich in die Krippe und sahen dir beim Schlafen zu.

 

Ich spürte bereits in diesem Augenblick, dass Du von einer unbeschreiblichen Aura umgeben warst. Eine Mutter spürt so etwas eben. Joseph, der alte Holzkopf, aber bemerkte absolut gar nichts.

Was ich jedoch ebenfalls nicht bemerkte war, dass über dem Stall ein heller Stern leuchtete, welcher sogar noch in meilenweiter Entfernung zu erkennen gewesen sein soll.

 

Die Erschöpfung der Geburt forderte ihren Tribut und ich sehnte mich danach, mich ebenfalls endlich schlafen zu legen. Aber dazu sollte ich leider nicht kommen.

Denn zunächst kam Joshua wieder um zu sehen, wie es uns geht. Und als er sah, dass ich das Kind schon auf die Welt gebracht hatte, flitze er sofort wieder los und kam mit seiner Mutter im Schlepptau zurück.

 

Und weißt Du was, mein lieber Jesus? Sie war auf einmal wie verwandelt und richtig freundlich zu uns und fragte, ob sie das Kind einmal sehen dürfte. Und als sie dann vor der Krippe stand und dich sah, fiel sie mit Tränen in den Augen auf die Knie und bat uns um Verzeihung. Sie meinte, sie hätte uns gerne ein sauberes Zimmer gegeben, aber durch die Volkszählung sei leider alles belegt. Aber sie würde dafür sorgen, dass es uns an nichts mangeln sollte.

 

Kaum waren Joshua und seien Mutter verschwunden, klopfte er erneut an die Tür und zwei Hirten, ein älterer und jüngerer – vermutlich Vater und Sohn, betraten den Stall. Sie sagten, dass ihnen auf dem Feld ein Engel erschienen wäre, der verkündigt hat, dass sie hier in diesem Stall den neugeborenen Heiland finden würden. Sie knieten ebenfalls vor der Krippe nieder und sprachen ein Dankgebet. Sie ließen uns auch ein warmes Schaffell da, um dich damit zudecken zu können.

 

Auch in den folgenden Tagen ließ der Trubel nicht nach – es war ein reges Kommen und Gehen. Denn es sprach sich in Bethlehem wie ein Lauffeuer herum, dass Du der neue Heiland wärst. Und jeder, wirklich jeder wollte Dich sehen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass Dich doch nun mal bald jeder einzelne Bürger Bethlehems gesehen haben muss.

Doch ich sollte mich erneut irren.

 

Es war sehr spät in der Nacht und wir hatten uns bereits schlafen gelegt, als ganz plötzlich die Tür aufging und drei sehr merkwürdig gekleidete ältere Männer im Stall standen. Mir war sehr mulmig zu Mute, denn mit ihren finsteren Blicken machten sie mir Angst. Doch da begann schon der Ältere unter ihnen zu reden und meinte, wir sollten uns nicht fürchten. Sie wären drei Gelehrte aus dem Morgenland und hätten eine weite Reise hinter sich, zu der sie nur aufgebrochen waren, um Dich zu sehen. Das musst Dir mal vorstellen! Und dann meinten sie noch, dass sie Dir Geschenke mitgebracht hätten. Sie erzählten irgendwas von Weihrauch und Myrrhe oder so ähnlich, jedenfalls irgend welches Zeug, von dem ich zuvor noch nie etwas gehört hatte. Als sie dann aber meinten, sie hätten auch Gold mitgebracht, wachte sogar Joseph aus seinem tiefen Schlaf auf.

 

Wir bedankten und überschwänglich bei diesen drei fremden Männern und sie ließen uns wieder allein, so dass wir endlich wieder zur Ruhe kamen und schlafen konnten.

Als ich am nächsten Morgen sehr spät aufwachte, war Joseph, ich weigere mich immer noch ihn Deinen Vater zu nennen, verschwunden. Und nicht nur er war verschwunden, sondern mit ihm auch das gesamte Gold, was uns die drei Fremden zum Geschenk gemacht hatten. Oh dieser ehrloser Lump. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie wütend und enttäuscht ich gewesen bin. Ich blieb im Stall sitzen und heulte mir die Augen aus. Wenn Du damals nicht da gewesen wärst, mein kleiner Schatz, ich hätte meinem Leben auf der Stelle ein Ende bereitet.

 

Kurze Zeit später tauchten zum Fürchten aussehende Soldaten auf und fragten, ob ich hier irgendwo Gold versteckt hätte. Gold? Fragte ich sie. Warum sollte gerade ich Gold verstecken? Sie meinten, drei üble Gauner, welche sich als Gelehrte aus dem Morgenland ausgaben, hätten ihrem König Herodes einen Beutel voll Gold gestohlen und sie wären ihren Spuren bis zu diesem Stall gefolgt.

 

Jesus, du kannst Dir nicht vorstellen, welch große Angst ich in diesem Augenblick hatte. Aber ich nahm meine ganze Kraft und meinen Mut zusammen und belog die Soldaten, in dem sagte, dass die drei besagten Herren zwar hier gewesen wären, aber außer Weihrauch und so einen merkwürdigen Balsam nichts weiter bei sich gehabt hätten.

Sie durchbohrten mich förmlich mit ihren Blicken um heraus zu finden, ob meine Behauptungen auch wirklich der Wahrheit entsprach. Aber ich blieb standhaft und die Soldaten verließen mürrisch gelaunt den Stall. Vorher gaben sie mir aber noch die Anweisung, mich auf keinen Fall von der Stelle zu rühren, bis dieses unerhörte Verbrechen restlos aufgeklärt wäre.

 

Da ich aber genau wusste, was mich erwarten würde, wenn die Wahrheit ans Licht käme, packte ich noch in der selben Nacht unsere wenigen Habseligkeiten zusammen und verließ mit schnellen Schritten Bethlehem, die Stadt deiner Geburt.

Ich lief jeden Tag, so weit wie ich nur konnte, bis zur Grenze der Erschöpfung. Aber der Blick in Dein hübsches Gesicht gab mir Mut und jeden Morgen die benötigte Kraft, einen weiteren Tag zu überstehen.

Wie lange wir unterwegs waren, kann ich Dir nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor.

 

Und dann stand ich vor dem See Genezareth und wusste in diesem Augenblick, dass ich hier den Rest meines Lebens verbringen möchte. Direkt am See befand sich eine verlassene Hütte, welche ich erst gründlich säubern musste und schließlich mit Dir einzog.

 

Nun sitze ich hier mit Dir direkt vor der Hütte und blicke auf den See, der wie immer wunderschön aussieht. Ich schaue in Deine Augen und weiß, dass uns eine ungewisse Zukunft bevorsteht.

In den letzten Nächten hatte ich unterschiedliche Träume, Gute wie auch Schlechte.

Einmal träumte ich, dass Du der Menschheit Rettung bringst und für sie so etwas wie ein Heiliger sein wirst. Da wusste ich, dass Du wirklich Gottes Sohn bist.

Doch der andere Traum war so furchtbar, dass ich danach noch lange Zeit am ganzen Leib gezittert habe. Ich sah eine schreckliche Zukunft, welche Dir bevorsteht. Denn obwohl Du von so vielen Menschen geliebt sein wirst, sollst Du von einem Dir wichtigen und vertrauten Menschen verraten werden und einen grausamen Tod sterben.

 

Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich diese Zeilen wirklich mit in diesem Brief schreiben solle, aber letztlich bin ich der Überzeugung, dass es das Beste ist, wenn Du weißt, was Dich erwartet.

Sollten Herodes Soldaten uns hier nicht finden, dann wirst Du diesen Brief ohnehin nie zu lesen bekommen. Ich werde ihn zerreißen und verbrennen und Dich beschützen, bis ich meinen letzten Atemzug tun werde.

 

Jesus, wenn Du älter bist, wirst Du das vielleicht alles verstehen. Auch, warum Du ohne Vater aufwachsen musstest und ich mir nie wieder einen Mann gesucht habe. Joseph war ohnehin nicht Dein Vater, und er hat auch nie wirklich verstanden, wie und weshalb ich damals mit Dir schwanger geworden bin. Glaub mir, wir waren ohne ihn besser dran.

 

Mein Sohn, bleib immer stark und sei sanftmütig und friedfertig zu allen Lebewesen, die Dir begegnen werden. Ich weiß, das sagt sich so leicht daher, aber ich bin mir sehr sicher, wenn es einer schaffen wird, dann Du allein. Sei ein Vorbild und Erlöser.

 

 

Deine Dich über alles liebende Mutter

MARIA

 

Impressum

Bildmaterialien: Albert Anker - Die Pfahlbauerin
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2016

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