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Vorwort

 

Wettbewerbsvorgabe für die Februar-Runde

des Anthologie-Wettbewerbs 2016:

 

„Wähle in einem beliebigen Buch auf Seite 77 einen Satz mit mindestens 5 Wörtern aus und schreibe eine Geschichte, in der dieser Satz vorkommt.“

 

*****

 

Bei diesem Beitrag wurden folgendes Buch und folgender Satz gewählt:

 

Katja Rübsaat - Brüder 1: Wer Wind sät ...

 

„Tja, mein Freund. Vielleicht werden wir einfach alt, oder es ist tatsächlich so, dass dieser Jugend heutzutage nichts mehr heilig ist.“

Ein todsicheres Ding

Die erste Fuhre war abgeladen. Die Mittagssonne stand hoch am Himmel, Schweiß rann mir über das Gesicht, meine Klamotten klebten mir am Körper und das, obwohl ich sowieso nur ein Unterhemd und meine, durch den Kalk grau gewordene, dünne Arbeitshose trug.

Ich hasste diesen Job.

Ich hasste den Vorarbeiter, einen fiesen Typen, der glaubte, sich durch ständiges Herumnörgeln profilieren zu können.

Ich hasste auch meine Kollegen.

Sie machten diesen beschissenen Job schon seit Jahren und glaubten deshalb, das Recht auf ihrer Seite zu haben, wenn sie mich aufzogen und drangsalierten, nur weil ich der Neue war.

Ich hasste sie alle!

Naja, nicht ganz. Miky war eigentlich ein ganz cooler Typ und der einzige, mit dem ich mich so einigermaßen verstand.

 

„Nimm den Finger aus’m Arsch. Blumen Pflücken kannst’e später!“, brüllte mich der Polier an.

Drecksau, dachte ich. Spuckte auf den Boden, wischte mir mit der flachen Hand den Schweiß von der Stirn und hievte mir den nächsten Sack auf die schmerzende Schulter.

Den ganzen Morgen schon hatte ich einen Zementsack nach dem anderem geschleppt.

Den ganzen Morgen schon mir die verfickte Fresse des Poliers anschauen müssen, wie er da rum stand und den starken Kerl mimte. Die Daumen in den Gürtel seiner Hose gehakt und mir ein Kommando nach dem anderem gab.

„Irgendwann schnapp ich dich, du Ratte“, dachte ich bei mir. „Und dann, dann gnade dir Gott!“

 

Schon längst hätte ich ihm den Job vor die Füße geworfen, wenn ich nicht das beschissene Geld gebraucht hätte.

Und Jobs, Jobs waren nur rar gesät, für Typen wie mich.

„Du machst nur Ärger, Leute wie dich brauchen wir hier nicht“, hieß es ein ums andere Mal, wann immer ich irgendwo nach einer Beschäftigung gefragt hatte.

O.K., ich hatte wohl nicht den besten Ruf, musste ich mir eingestehen, aber was konnte ich dafür, dass die Welt nur aus lauter Arschlöchern zu bestehen schien?

Arschlöchern, wie es der Polier eines war, Arschlöchern, die ich nicht anders konnte, als ihnen ordentlich einen aufs Maul zu geben.

Einer musste ihnen ja sagen, wo’s lang ging.

 

„Woll’n wa nachher noch auf’n Bier?“, fragte mich Miky.

Ich hatte ihn gar nicht kommen hören.

„Mhm“, murmelte ich.

„Woll’n wa nun, oder woll’n wa nich?“

„Geht klar, Alter“, seufzte ich unwillig und machte mich mit meinem Zementsack davon, bevor dem Polier das nächste Kompliment einfallen würde, welches er mir an den Kopf werfen könnte.

 

******

 

Der Laden war schon gerammelt voll, als Miky und ich uns an den Tresen drängelten.

Ich hatte nur wenige Bugs in der Tasche, aber ich wusste, Miky war mein Kumpel und er würde es schon auslegen, wenn’s bei mir nicht langen würde.

„Zwei Bier“, brüllte ich dem schmierigem Typen hinter dem Tresen zu und versuchte dabei den Lärm, der uns umgab, zu übertönen. Zur Bekräftigung meiner Bestellung hob ich dabei zwei Finger und streckte sie dem Kerl entgegen.

Der nickte nur und schob uns nach schon kurzer Zeit zwei volle Gläser zu, an denen der Schaum herunterlief.

Ich drückte eines davon Miky in die Hand. Wir prosteten uns zu und begannen, uns den Staub aus der Kehle zu spülen.

Ich lehnte mich mit dem Rücken an den Tresen und schaute mich um.

Niemand, der mir bekannt vorkam. Nur lauter Kerle, die so abgehalftert waren wie ich selbst, und zwischen ihnen einige Schlampen. Auch diese kannte ich nicht, aber ich wusste, dass es Schlampen waren. Keine Frau, die was auf sich hielt, würde sich hierher verirren.

Schlampen, abgehalfterte Fetteln, die von geifernden Typen umringt wurden und es nicht wert waren, einen Gedanken an sie zu verschwenden.

 

Miky war meinen Blicken gefolgt. Er stieß mich in die Seite, grinste mich an und meinte „Na, biste scharf auf eine?“, dabei formte er eine Hand zur Faust und schlug mit der anderen, flachen Handfläche, dagegen. Eine eindeutige Geste.

„Ach, fick dich selbst!“, versuchte ich ihn abzuwehren, drehte mich zum Tresen und bestellte die nächsten zwei.

 

Ein verdammt beschissenes Leben, das ich da schon hinter mich gebracht hatte.

Ich war schon über fünfzig und die meiste Zeit davon hatte ich im Knast gesessen.

Verdammt Scheiße, ich wollte raus aus diesem ganzen Mist. Wollte nicht mehr den Neger für all diese Arschlöcher geben. Ich wollte auch endlich einmal eine Chance haben und wusste, mit über fünfzig hatte ich nicht mehr all zu viel Zeit, noch die Kurve zu kriegen.

 

Miky stieß mich wieder von der Seite an. Missmutig drehte ich mich zu ihm um und schaute in seine grinsende Fresse.

Manchmal ging er mir echt ziemlich auf die Nerven, aber er war nun mal mein Freund, der einzige, den ich hatte.

„Konnte ein Mann miesere Freunde haben?“, fragte ich mich gerade, als er zur Tür deutete, mir auf die noch immer schmerzende Schulter schlug und meinte: „Dein Freund kommt!“

„Scheiße, ja!“, meinte ich und spürte, wie sich ganz allmählich meine eine freie Hand zur Faust ballte. In der anderen hielt ich das noch halb volle Glas Bier und zerdrückte dieses fast vor Wut, als ich sah, wer da gerade die Eingangstür aufgestoßen hatte, um die verräucherte Kaschemme zu betreten.

„Dieser Drecksack!“, schimpfte ich leise, als ich den Vorarbeiter erkannte. „Kann er einem nicht einmal hier seine Ruhe lassen?“

Auch der Polier hatte uns erkannt und steuerte geradewegs auf uns zu. „Scheiße!“, dachte ich, das hatte mir gerade noch gefehlt.

„Na ihr beiden?“, grinste er uns jovial an, als er vor uns stand. „Einen heben?“

Miky nickte ihm zu und ließ ein einschleimendes „N’abend“ verlauten. Alleine dafür hätte ich ihm schon eine reinhauen können.

Ich starrte den Polier nur wortlos an und hoffte, er würde die Drohung in meinem Blick richtig deuten und verschwinden.

Doch der Typ war eindeutig zu dämlich, drängelte sich zwischen uns und bestelle beim Keeper drei Bier.

Das konnte ich gerade gebrauchen, dass ein solches Arschloch mir auch noch einen ausgab.

„Ich verschwinde!“, gab ich deshalb zu verstehen. „Hab genug für heute.“

„Ey, bleib doch noch, wir sind doch gerade erst gekommen“, versuchte mich Miky zum Bleiben zu bewegen.

„Ja, Mensch, bleib doch noch, der Abend ist erst jung, oder wartet vielleicht jemand auf dich?“ Dabei drückte mir der Vorarbeiter ein Glas Bier in die Hand und ließ ein anzügliches Grinsen sehen, bei dem mich eine Reihe gelber Zähne anbleckten.

Widerwillig nahm ich das Glas, hob es an die Lippen und wusste in diesem Moment, dass es ein Fehler war, nicht gegangen zu sein.

„Oder bist’e sauer, weil ich dich manchmal etwas grob anpacke?“, fragte mich der Polier. „Musste nicht, ich hab eigentlich nichts gegen dich, aber wenn ich nicht immer hart durchgreifen würde, würden die Kerle mir bald alle auf der Nase rumtanzen.“

Ohne ihm zu antworten, setzte ich mein Glas an die Lippen und nahm einen ordentlichen Schluck.

Der Typ machte sich einen Spaß daraus, mir auf der Baustelle das Leben zur Hölle zu machen und jetzt wollte er mir Honig ums Maul schmieren? Nicht mit mir!

Wenn er auch nur ahnen würde, was in meinem Kopf vorging, hätte er sich verpisst. Aber er tat es nicht, dumm, wie er war.

Stattdessen schmiss er die nächste Runde und dann noch eine und noch eine.

Naja, dachte ich, auch ’ne Art Rache, ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen, und leerte ein Glas nach dem anderen.

 

In meinen Gedärmen machte sich der Alkohol langsam bemerkbar und ich machte den beiden mit einer Handbewegung klar, dass ich mal verschwinden müsste.

 

Schon auf dem Weg zur Toilette kam mir der Gestank nach Erbrochenem und abgestandener Pisse entgegen.

Ich unterdrückte das Gefühl, selbst gleich kotzen zu müssen und stellte mich an eines der Pinkelbecken.

Gerade war ich damit beschäftigt, dem Tiger die Welt zu zeigen, als sich hinter mir die Tür öffnete.

War ja klar, nicht einmal hier ließ er mir meine Ruhe.

Er stellte sich neben mich und begann mich auch sogleich von der Seite anzuquatschen.

„Du bist kein großer Redner, was?“, fragte er und ohne eine Antwort von mir abzuwarten, die er sowieso nicht bekommen hätte, setzte er fort „Aber das gefällt mir, ich mag Typen, die nicht viel quatschen und auch mal die Fresse halten können.“

Warum zum Teufel hielt er sich dann nicht selbst an diese, von ihm so hochgelobte Tugend, dachte ich mir. Oder wollte er einfach nicht begreifen, dass ich mit einem Arschloch, wie er eines war, nicht reden wollte?

„Ich hab da übrigens ’nen Job für dich“, redete er ungefragt weiter.

 

Ich schaute ihn an und das erste Mal, seitdem mir seine Visage unter die Augen gekommen war, ließ ich so etwas wie Interesse erkennen.

„Was für’n Job?“, wollte ich wissen.

„Glotz nicht so dämlich“, meinte er. „Ich weiß genau, dass du nicht gerade zu den sensiblen Typen gehörst und solche Dinger schon früher mal gedreht hast. Ich würd’s ja alleine machen, ist mir aber zu riskant.“

Für das Wort dämlich hätte ich jedem anderem sofort die Visage alternativ verschönert, ich entschloss mich aber dagegen und wollte erst einmal hören, was er zu sagen hatte.

 

******

 

Es war schon spät in der Nacht, als wir zu dritt die Kneipe verließen.

Der Alkohol hatte uns allen sehr zugesetzt und um nicht umzufallen, hatten wir uns gegenseitig untergehakt. Wer uns hätte sehen können, wäre sicher der Meinung gewesen, wir wären die dicksten Freunde, wie wir da so spät und grölend durch die Häuserzeilen zogen.

 

Ein todsicheres Ding sollte es sein, hatte mir der Polier geschworen. Eigentlich war ich es gewohnt, immer alleine zu arbeiten, aber außer regelmäßig im Bau zu landen, hatten mir meine Jobs nichts eingebracht. So hatte ich mich schließlich bereit erklärt, diesen einen mit ihm gemeinsam zu erledigen.

Ein todsicheres Ding. Ja, das würde es mit Sicherheit werden, schoss es mir durch meine vom Alkohol vernebelten Gedanken.

 

Nein, wir waren keine Freunde geworden. Noch immer drangsalierte mich der Vorarbeiter auf seine gewohnte Weise. Schubste mich herum, gab mir Kommandos und beschwerte sich ohne Unterlass über meine angebliche Lahmarschigkeit.

Aber wenn er recht hatte, würde ich es nur noch drei Tage aushalten müssen und dann, ja vielleicht, würde ich ein neues Leben beginnen.

Weg von hier!

Raus aus meinem verdammten, beschissenem Leben.

Wenn ich Glück hatte, würde mir der Job genug einbringen, um über die nächsten Jahre zu kommen. Alles andere würde sich dann schon zeigen.

 

******

 

Rauchend stand ich an der Straßenecke und wartete. Es war mitten in der Nacht. Fünf Minuten vor zwei, wie der Blick auf meine Armbanduhr mir zeigte.

Um zwei wollte er auftauchen, um mich abzuholen.

Ich hasste Unpünktlichkeit und wusste, es würde Streit geben, wenn er nicht bis spätestens zwei Uhr aufkreuzte.

 

Aus der Dunkelheit tauchten zwei Scheinwerfer auf. Einen kurzen Augenblick trafen mich ihre Lichtkegel und gleich darauf hielt ein Wagen neben mir.

Ich öffnete die Beifahrertür und stieg ein.

Der Polier grinste mich an, schob mir dann zwei Gegenstände zu.

Das eine war eine Sturmhaube, ähnlich wie sie Motorradfahrer trugen, das andere war eine geladene 45er. Ein hübsches Baby, wie ich nach kurzem Blick zufrieden feststellen konnte.

„Kennst’de dich damit aus?“, fragte er, unterließ es aber, auf eine Antwort zu warten, als er in meine Augen schaute. Stattdessen quasselte er weiter: „Was willst’e mit all der Kohle machen? Dich absetzen?“

„Halt einfach deine Fresse!“, forderte ich ihn drohend auf.

„Oh man, du kannst ja doch sprechen!“, tat er überrascht, unterließ es aber, während unserer Weiterfahrt auch nur noch einmal seinen Mund zu öffnen.

 

Etwa eine halbe Stunde später fuhren wir an einer großen, parkähnlichen Anlage vorbei.

„Hier iss’es“, flüsterte der Vorabeiter, als würde er befürchten, wir könnten belauscht werden. Noch einmal drückte er das Gaspedal des Wagens kräftig durch, bog um die nächste Ecke, wo er schließlich das Fahrzeug zum Stehen brachte und den Motor abstellte.

In diesem Teil der Stadt war ich noch nie gewesen. War nicht meine Gegend und die reichen Säcke, die hier lebten, waren nicht ganz mein Kaliber.

„Keine Alarmanlage, bist’e ganz sicher?“, fragte ich ihn.

„Nee, wenn ich’s dir sage, keine Alarmanlage. Die reichen Pinkel hier sind nicht nur reich, sondern auch dämlich, oder geizig. Was weiß ich.“

 

Wir gingen den Weg zurück, den wir gerade mit dem Auto hinter uns gebracht hatten und überkletterten im Schutz der Dunkelheit das hohe, schmiedeeiserne Tor, welches den Park von der Straße trennte.

Schnell und in gebückter Haltung überquerten wir die Rasenfläche und standen schon kurze Zeit später vor der Eingangstür einer riesigen, weißen Villa.

Der Polier holte aus der Innentasche seiner dunklen Jacke ein kleines Etui hervor, fummelte dann einen Augenblick an dem Türschloss herum und schon konnte ich das leise Klicken hören, als sich dieses unter seinen Bemühungen öffnete.

Es ärgerte mich, dass ich insgeheim zugeben musste, dass der Typ wohl doch mehr auf dem Kasten hatte, als ich vorher vermutete.

Fast synchron stülpten wir uns die schwarzen Sturmhauben auf, bevor wir uns, so lautlos wie nur irgend möglich, in das Innere des Hauses schlichen.

 

Es brauchte einen Moment, bis unsere Augen sich an die uns umgebende Dunkelheit gewöhnt hatten.

Wir standen in einer großen Halle. Rechts und links von uns gingen einige Türen ab. Einige einladende Stühle und ein kleiner, kunstvoll geschnitzter Tisch standen linker Hand.

Alles hier stank geradezu nach Geld und ich spürte, wie sich Wut in meinem Bauch breitmachte.

Warum ging es anderen so beschissen gut, während ich mir auf dem Bau den Buckel krumm schuften musste?

Die Welt war ein riesiges Scheißhaus, und während andere darauf thronten, gehörte ich zu denen, die sich auf den Kopf scheißen lassen mussten.

 

Der Polier steuerte geradewegs auf die große Treppe zu, die in das oberste Stockwerk führte.

Dort oben sollten sich die Schlafräume befinden und auch das Arbeitszimmer, in dem sich der, angeblich gut gefüllte, Safe befand, sollte dort sein.

Der Typ, dem das alles hier gehörte, sollte wohl mit Edelsteinen handeln und deshalb würde er immer einen Haufen Bargeld zu Hause haben.

Außer ihm sollte noch seine Frau und die Tochter hier leben.

Das alles hatte mir der Vorarbeiter gesteckt. Ich wusste nicht, woher er das wusste, aber sicher war es nicht auf seinem eigenem Mist gewachsen.

Mir konnte das egal sein, Hauptsache die Kohle gab es tatsächlich und ich konnte mich damit vom Acker machen.

 

Lautlos schlichen wir die Treppe hinauf. Vorsichtshalber hatte ich schon mal meine 45er hervorgeholt, die bis gerade eben noch in meinem Hosenbund gesteckt hatte und dort unangenehm drückte.

Ich folgte dem Polier, der zielstrebig auf eine der geschlossenen Türen zuging, davor stehen blieb und einen Moment lauschend sein Ohr dagegen presste.

Alles schien in Ordnung, denn schon nach kurzer Zeit nickte er mir zu und begann vorsichtig die Klinke herunterzudrücken.

Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit und schließlich stieß er sie vollends auf.

Rechts von ihm befand sich der Lichtschalter, den er umgehend betätigte.

Das Licht flammte auf und durchflutete das ganz in Weiß eingerichtete Schlafzimmer.

 

Fast zeitgleich mit dem Aufflammen des Lichts erwachte in dem großem Doppelbett, das mitten im Raum stand, eine Frau. Verwirrt schaute sie uns an. Noch schien sie nicht ganz zu blicken, dass wir nicht einem ihrer Träume entsprungen waren, sondern tatsächlich und leibhaftig vor ihr standen.

Erst als sich ihre Augen entsetzt weiteten, merkte ich, nun endlich hatte sie begriffen.

Der Polier sprang schnell an das Bett heran, drückte ihr mit der einen Hand seine Knarre gegen den Kopf und hielt ihr gleichzeitig mit der anderen den Mund zu.

Der Typ neben ihr schlummerte noch immer tief und fest und hatte von all dem nichts mitbekommen.

Ich ging an seine Seite des Betts und stieß ihn unsanft mit dem Lauf meiner Waffe aus dem Schlaf.

Sein Entsetzen über unsere Anwesenheit war nicht geringer als das seiner Frau, und auch er, endlich erwacht, starrte mich mit großen Augen begriffsstutzig an.

„Der Safe!“, spie ich ihm flüsternd entgegen. „Wo ist der verdammte Safe?“

Entweder konnte, oder wollte er mich nicht verstehen, und so holte ich aus und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.

Seine Frau schrie entsetzt auf und der Polier gab ihr einen unsanften Stoß, damit sie die Klappe hielt. „Halts Maul, Schlampe!“, schimpfte er dabei ärgerlich.

 

Ich drückte dem Typ den Lauf meiner Knarre gegen die Stirn und entsicherte die Waffe. Jetzt endlich schien er zu begreifen, dass das hier kein Spiel war, denn er deutete mit der rechten Hand in eine Richtung. Ich nahm an, dorthin, wo sich das Arbeitszimmer befinden musste.

Schnell umfasste ich einen seiner Arme, zerrte ihn aus dem Bett und gab ihm zu verstehen, mir vorauszugehen. Dem Polier bedeutete ich dabei, hier zu bleiben, um auf die Alte aufzupassen.

 

Gleich die erste Tür neben dem Schlafzimmer führte ins Arbeitszimmer.

Als der Typ auch hier das Licht anknipste, spürte ich schon wieder diese Wut in mir. Das Zimmer war größer, als meine ganze, beschissene Wohnung.

Überall standen Regale, bis an die Decke mit Büchern angefüllt. Ein riesiger Schreibtisch, aus dunkelbraunem Holz, füllte fast ein Viertel des Zimmers aus und an den Wänden hingen Bilder, von denen ich annahm, dass sie wahrscheinlich ziemlich wertvoll waren, auch wenn ich davon, zugegebenermaßen, keine Ahnung habe.

Hinter dem Schreibtisch, fest in die Wand eingelassen, befand sich ein kleiner Safe. Ich stieß den Typ vor mir her und bedeutete ihm, diesen zu öffnen.

Unwillig ließ er sich vor dem Safe auf die Knie nieder und begann zitternd an dem kleinem Rad zu drehen, um die Zahlenkombination einzugeben.

„Verdammt, geht das auch schneller?“, herrschte ich ihn an.

Fahrig kurbelte er an dem Zahlenschloss herum, solange bis das Klicken mir sagte, die Tür war auf.

„Aufmachen!“, befahl ich ihm.

Langsam öffnete er die stählerne Tür und verschwand mit einer seiner Hände in dem Inneren des Safes.

Ich hatte es mir gleich gedacht, dass er mich reinlegen wollte und kaum hatte ich das kleine schwarze Ding in seiner Hand erkannt, mit dem diese aus dem Safe wieder auftauchte, drückte ich auch schon den Abzug meiner 45er zweimal durch.

„Schwein!“, rief ich dabei aus und beobachtete, wie sein Körper gegen die Wand geschleudert wurde, dann vor dieser langsam zusammensackte und einen breiten, roten Streifen hinterließ.

Ein Blick genügte, um befriedigt zu erkennen, dass das Arschloch tot war.

Aus dem angrenzendem Schlafzimmer hörte ich die Schreie einer Frau. Ich wusste, dass es seine Alte war und kümmerte mich nicht weiter darum. Sollte doch der Polier mit ihr fertig werden.

Ich hatte wichtigeres zu tun und begab mich zu dem Safe.

 

Mein Herz schlug schneller, als ich das viele Geld, fein säuberlich in gleichmäßig hohe Stapel aufgeteilt, vor mir sah.

Ich hatte schon fast nicht daran geglaubt. Zu oft war ich in meinem Leben reingefallen und enttäuscht worden. Aber jetzt, in diesem Augenblick schien mein Leben eine Wende zu nehmen und ich war dem Polier fast dankbar, dass er mir diese Chance verpasst hatte.

Wie viel mochte da wohl vor mir liegen?

Nun, ich hatte keine Zeit zu vergeuden, zählen könnte ich es später immer noch. Aus meiner Jackentasche kramte ich eine Stofftasche hervor, in der ich all die vielen Bündel eiligst verstaute.

Sicher, nichts übersehen zu haben, richtete ich mich auf.

 

„Was machen Sie da?“, hörte ich plötzlich hinter mir eine Stimme.

Ich drehte mich, halb erschrocken, auf dem Absatz um.

Vor mir stand ein junges Mädchen von etwa zwanzig Jahren. Sicher die Tochter, von der der Polier gesprochen hatte.

Die Schüsse mussten sie wohl aus dem Schlaf gerissen haben.

 

Ich fand, dass ihre Frage ziemlich dämlich klang.

Was tat wohl einer, der eine Sturmhaube über den Kopf gezogen und mit erhobener Knarre vor ihr stand, die noch warme Leiche ihres Vaters zu seinen Füßen?

Mir fiel ein, dass sie die Leiche, von dort wo sie stand, nicht sehen konnte. Der Schreibtisch verbarg den Anblick ihres toten Vaters vor ihr.

„Erdbeeren pflücken, was sonst“, antwortete ich zynisch und weil mir nichts Besseres einfiel.

Einen Augenblick standen wir uns schweigend gegenüber.

In ihrem dünnen, weißen Nachthemd, das mehr zeigte als verbarg, sah sie eigentlich ganz niedlich aus. Ganz anders als die Nutten, mit denen ich meine Zeit verbrachte, wenn ich mal Geld in der Tasche hatte und mir was Gutes tun wollte.

Ich richtet die 45er auf sie und gab ihr mit einer hastigen Bewegung zu verstehen, vor mir herzugehen.

Spätestens jetzt musste wohl auch sie begriffen haben, wie bescheuert es gewesen war, einfach hier so aufzutauchen, anstatt sich still und heimlich zu verpissen und die Bullen zu rufen.

Ihr Gesicht zeigte trotzige Empörung und nicht die Spur von Angst, als sie sich in Bewegung setzte.

„Das wird Sie teuer zu stehen kommen“, meinte sie.

Unter der Sturmhaube konnte sie mein Grinsen nicht sehen, als ich ihr den Stoffbeutel unter die Augen hielt und sagte: „Teuer? Tja, teuer schon, aber nicht für mich.“

Ich gab ihr einen Stoß und lenkte sie damit Richtung Schlafzimmer ihrer Eltern.

 

Der Polier hatte es sich in der Zwischenzeit auf dem Rand des Bettes gemütlich gemacht und hielt der Alten immer noch seine Knarre vor das Gesicht. Sichtlich erleichtert begrüßte er mein Eintreffen im Schlafzimmer.

„Und?“, fragte er mich. Ich hob den Beutel, deutete mit meiner Waffe darauf und nickte ihm zu. „Was ist mit dem Kerl?“, wollte er wissen. Ich hob die Hand mit der 45er in Höhe meines Halses und strich mit ihr daran entlang. Ein eindeutiges Zeichen, das keiner weiteren Erklärung bedurfte, fügte aber trotzdem noch hinzu, und mehr als Warnung für die beiden Weiber gedacht :„Er wollte mich reinlegen.“

Die Frau in dem Bett schrie erneut auf, schlug sich die Hände vor das Gesicht und begann zitternd laut zu schluchzen.

Die Tochter aber blieb still und ruhig mitten im Raum stehen und ich war mir nicht ganz im Klaren darüber, war sie einfach so eiskalt oder hatte sie das alles nur noch nicht wirklich begriffen.

 

Ich ging auf sie zu, stieß ihr unsanft meine Knarre zwischen die Rippen und forderte sie auf, sich ebenfalls auf das Bett zu setzten.

Anstatt mir aber zu gehorchen, wirbelte sie herum, hieb mir ihre langen Fingernägel durchs Gesicht und rammte mir im selben Augenblick ihr Knie zwischen die Beine, dann gab sie Fersengeld und rannte davon, hinaus aus dem Zimmer.

Ich sackte, nach Atem ringend zusammen. Der Schmerz zwischen meinen Lenden breitete sich wellenartig in meinem ganzen Körper aus. Nach Luft schnappend und mir die Fäuste auf den Unterleib pressend, brachte ich schließlich doch noch einige Worte hervor. „Los man, hinterher!“, stöhnte ich.

Der Polier, selbst völlig überrascht über den Mut der Kleinen, stürzte endlich auch hinaus aus dem Schlafzimmer. Ich blickte abwechselnd zum Bett, wo die Alte immer noch am Heulen war, und dann wieder Richtung Tür, dorthin wo das Mädchen und der Polier verschwunden waren.

Endlich entschloss ich mich, den beiden zu folgen.

Ich rappelte mich auf, noch einmal tanzten rote Blitze vor meinen Augen, aber meine Wut war stärker, als es Schmerz jemals sein könnte.

 

Die Jagd dauerte nicht sehr lange, denn anstatt durch die Haustür zu verschwinden, hatte sich die Kleine in das unterste Stockwerk geflüchtet, wo sie sich, zwischen Wohnzimmerschrank und Wand, sicher vor uns fühlte.

Gemeinsam zerrten wir sie aus ihrem Versteck hervor und schleiften sie wieder die Treppe hinauf, zurück in das Schlafzimmer, wo ihre Mutter noch immer leise vor sich hinwimmerte.

 

Tja, mein Freund. Vielleicht werden wir einfach alt, oder es ist tatsächlich so, dass dieser Jugend heutzutage nichts mehr heilig ist“, quatschte der Polier mich an, als wir die Kleine zurück zu ihrer Mutter befördert hatten und hieb mir dabei kumpelhaft auf die Schulter, als wären wir schon immer die besten Freunde gewesen.

Ich wusste, er wollte sich nur lustig machen über mich und das machte mich fast noch wütender, als das, was die kleine Hure mir angetan hatte.

Diese stand mitten im Zimmer, schaute erst auf ihre Mutter, die immer noch die Hände vor das Gesicht geschlagen, in ihren Bett saß und leise vor sich hin heulte und irgendwie fast unbeteiligt wirkte, und wandte dann den Blick zurück zu mir und sah mich mit trotzigen Augen und ein wenig triumphierend lächelnd an.

Sie glaubte wohl, auch wenn ihr das Entkommen nicht geglückt war, trotzdem einen kleinen Sieg davon getragen zu haben.

Ich ging die wenigen Schritte, die uns trennten, zu ihr hinüber und starrte ihr in die Augen, die mir unverwandt entgegenblickten.

Dann holte ich aus und schlug ihr mit der Faust mitten ins Gesicht.

Zurücktaumelnd, einen heiseren Schrei ausstoßend, klappte sie vor mir zusammen. Doch anstatt, so wie ihre Mutter, in Tränen auszubrechen, kroch sie auf mich zu, schlang ihre Arme um meine Beine und biss mich mit all ihrer Kraft in die Wade.

Aufschreiend stieß ich sie von mir, riss noch im selben Moment die 45er hoch und drückte den Abzug kräftig durch.

 

Langsam richtete sie sich auf, schaute mir dabei weiterhin in die Augen, in denen ich endlich Angst zu erkennen glaubte. Dann blickte sie an sich herunter, sah, wie ihr eigenes Blut begann, sich langsam auf ihrem Nachthemd auszubreiten. Presste dann ihre Hände auf die Stelle, an der der rote Lebenssaft unablässig hervorquoll.

Noch einmal sah sie mir in die Augen, in denen sich nun auch Entsetzten widerspiegelte, dann brach sie tot vor meinen Füßen zusammen.

„Bist Du völlig verrückt geworden?“, schrie mich der Polier an und versuchte, mir die Waffe zu entreißen, die ich aber mit einer schnellen Bewegung seinem Zugriff entzog.

 

Noch immer auf dem Bett sitzend, hatte die Mutter der Kleinen die Hände vom Gesicht genommen und starrte erst uns, dann ihre tot auf dem Boden liegende Tochter an.

Ihre Lippen begannen zu zittern, dann begannen ihre Schultern seltsam rhythmische Bewegungen auszuüben. Schließlich öffnete sie ihren Mund und presste einen fast tierisch anmutenden, gequälten Schrei hervor, der lang gezogen und gellend das Haus zum Erbeben brachte und in den Ohren wehtat.

Erst als ich das nächste mal den Abzug meiner Waffe betätigte und ihr mitten in den Kopf schoss, wurde es wieder still.

 

Der Polier stand da, hatte die Hände herabsinken lassen und diese baumelten nun an den Seiten seines Körpers herab, wie nicht zu ihm gehörend.

Ungläubig starrte er mich an. Die ganze Szene musste ihm wie einem Albtraum entsprungen vorkommen.

Seine Lippen bewegten sich, doch brachte er keine Laute zwischen diesen hervor. Stattdessen begann ich zu reden „Ich arbeite immer alleine“, sagte ich mit ruhiger stimme und schaute dabei auf die Waffe in meiner Hand. „Auch diesen Job werde ich alleine erledigen.“

Dann hob ich die 45er und drückte das letzte Mal meinen Zeigefinger durch.

 

******

 

Als ich das Haus verließ, war es immer noch stockdunkel.

Ich schaute zum Himmel empor, an dem einige wenige Wolken entlangzogen und ansonsten den Blick auf eine fast sternenklare Nacht freigaben.

Zufrieden atmete ich tief ein und machte mich dann zurück zu dem Wagen, der immer noch in der dunklen Seitenstraße stand.

Den Beutel mit all dem Geld warf ich auf den Rücksitz und klemmte mich selbst hinter das Lenkrad.

Ein guter Tag war das gewesen, dachte ich bei mir. Ein verdammt guter Tag!

Leise begann der Motor zu surren, als ich den Schlüssel im Zündschloss herumgedreht hatte.

Ein guter Tag, schade nur, dass ich Miky nie etwas davon erzählen könnte.

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Bildmaterialien: Cover: Pixabay CCO Public Domain - User: WOODPUNCHER
Tag der Veröffentlichung: 15.02.2016

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