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Vorwort

 

Wettbewerbsvorgabe für die Februar-Runde

des Anthologie-Wettbewerbs 2016:

 

„Wähle in einem beliebigen Buch auf Seite 77 einen Satz mit mindestens 5 Wörtern aus und schreibe eine Geschichte, in der dieser Satz vorkommt.“

 

*****

 

Bei diesem Beitrag wurden folgendes Buch und folgender Satz gewählt:

 

Marc-Uwe Kling – Das Känguru-Manifest

 

„Einige Sekunden blickt sie ins Leere.“

Mord aus Liebe

Eva Knopf trifft mal wieder zu spät am Tatort ein. Die Kommissarin wird mit einem nett gemeint abfälligen Blick von ihrem Kollegen Frank Opitz begrüßt.

„Matthias Klemm, 34 Jahre. Eine Nachbarin hat ihn gefunden, sie steht draußen.“ Opitz bringt Eva auf den aktuellen Stand der Dinge.

„Das Opfer liegt in der Scheune, scheinbar erschlagen.“  Sie gehen gemeinsam hinein.

In der alten Dorfscheune hängen etliche Laternen an den Balken, deren Kerzen sind halb heruntergebrannt. Ein paar Strohballen sind zusammengeschoben, auf ihnen liegt eine Decke. Es liegen zwei Sektgläser daneben.

Der Tote liegt auf dem Rücken, eine Sektflasche zu seinen Füßen. Sie ist noch geschlossen und weist Blut auf.

„Das sollte wohl ein romantisches Treffen werden“, stellt Eva fest. „Die Kollegen der Spurensicherung sind unterwegs. Für mich sieht es aber schon so aus, als wäre die Sektflasche die Tatwaffe, sonst ist hier nichts zu sehen.“

„Es scheint auch mit der Wunde am Kopf des Opfers übereinzustimmen.“, meint Opitz. „Das soll die Gerichtsmedizin prüfen.“

 

Eva widmet sich der Nachbarin.

„Ich weiß nicht, mit wem er sich hier treffen wollte“, versichert sie. „ Ich dachte er hätte keine Freundin. Matthias wohnt - nein - er wohnte im Nachbarort. Schrecklich ist das.“, sie stockt.

„Heute früh war ich mit meinem Hund spazieren, als er sich von der Leine losriss und zum Scheunentor flitzte. Er hatte ein Radau gemacht, so laut und aufgeregt war er noch nie.“

„Vielen Dank, wir melden uns, wenn wir weitere Fragen haben.“ Eva notiert sich Alles.

Ihr Blick fällt nun auf ein paar Schuhabdrücke, sie sind nicht besonders aber zeigen ein grobes Profil. „Gummistiefel oder Arbeitsschuhe.“ sagt sie zu sich. Die Spur geht durch eine matschige Pfütze. „Derjenige hatte es nicht gerade eilig, die Spuren sind sehr sauber. Die könnten trotzdem vom Täter sein.“

 

„Sieh mal was ich hier habe.“ Der Kommissar hält seiner Kollegin eine leere Bäckereitüte unter die Nase. „Die ist aber nicht erst von gestern. Hat aber vielleicht doch was hiermit zu tun...“

„Du meinst das ist nicht das erste Treffen unseres Opfers mit seinem Date? Zeig mal die Tüte: Bei Kuchen kenn ich mich aus“, Eva schaut sich die Tüte an, „innen ist noch ein Rest Creme – wahrscheinlich eine Füllung. Ist angetrocknet, vielleicht eine Woche alt. Und Aussen hat sich zum Glück die Bäckerei verewigt: Bäcker Schäfer – Kuchen und Gebäck.“

 

Die Bäckerei ist drei Ortschaften weiter. Die Kommissare zeigen dort ein Foto des Opfers und wollen wissen, ob er hier bekannt ist.

„Ja, er kauft bei mir immer zwei Eclairs. Jede Woche kauft er sie.“ Die Verkäuferin scheint mehr zu wissen.

Eva hakt nach.

„Er traf sich mit einer verheirateten Frau. Sie waren auch ein paar Mal hier und tranken Kaffee.“ Sie deutete auf einen Tisch in der Ecke.

„Können Sie mir sagen, wer diese Frau ist?“

„Er nannte sie Julia, aber ich kenne sie nicht näher. Sie wohnt in Neuendorf.“ Einige Sekunden blickt sie ins Leere. „Man bekommt hier so einiges mit. So eine Art Dorf-Klatschzeitung. Die meisten denken, sie können hier über Alles reden, sie denken nicht daran, dass ich auch noch da bin. Sie bemerken mich gar nicht...“

 

Die beiden Kommissare fahren in Neuendorf vor das Haus der Schulzes, ein altes, typisches Haus für diese Gegend. Übrigens nicht gerade weit von der Scheune entfernt. Zunächst gehen beide in das rustikale Vorhaus und sehen sich mit ein paar kurzen geschulten Blicken um. Hier stehen die Schuhe der Familien, so auch Gummistiefel, und Arbeitsschuhe in je zwei Größen. Sie klingeln.

„Julia Schulz?“

„Ja!?“

„Eva Knopf. Kommissariat Neustadt. Das ist mein Kollege Kommissar Frank Opitz. Können wir reinkommen?“

„Sicher, worum geht es?“

Das Haus von Julia ist modern und liebevoll eingerichtet. Durch die offene Wohnzimmertür sieht man ihren Mann auf dem Sofa. Als es sieht wer da ist, kommt er zügig in den Flur und bittet die Beiden weiter rein. „Womit können wir Ihnen helfen?“

„Sagt Ihnen der Name Matthias Klemm etwas?“

Beide schütteln leicht den Kopf, aber jeder Kommissar, der hier nicht erkennt, dass das nicht wahr ist, sollte ernsthaft an einen Berufswechsel denken.

 

Eva zeigt das Foto vom Opfer am Tatort. Julia ist geschockt. Sie bricht zusammen.

Nach einem Glas Wasser fasst sie sich ein Herz und beichtet ihr Verhältnis mit Matthias. Sie versichert aber, dass sie mit seinem Tod nichts zu tun hat.

„Ingo, es tut mir alles so leid. Ich wollte das so nicht...“ Ihr Mann drückt sie fest an sich: „Es ist ja nun vorbei.“ Er scheint nicht weiter überrascht von der Affäre.

„Wo waren Sie gestern zwischen 22 und 23 Uhr?“

„Ich war gestern Abend allein zu Hause, Julia kam erst gegen zwölf nach Hause.“

Eva notiert die Daten. „Gibt es hierzu irgend einen Zeugen?“

„Nein, den gibt es nicht! Bin ich jetzt etwa verdächtig? Würde ich mich nicht um ein Alibi kümmern, wenn ich einen Mord begangen hätte?!?“ Ingo Schulz tut fast beleidigt.

„Was ist mit Ihnen, Frau Schulz?“ Eva sieht skeptisch von ihrem Mann zu ihr rüber, „ Wo waren Sie  gestern Abend?“

„Ich wollte zum Sport fahren, aber ich hatte eine Panne unterwegs. Sie können den Pannendienst fragen, ich hatte wirklich eine Panne! Ich stand ewig auf der Straße und habe lange gewartet. Und bis ich dann endlich nach Hause kam, war es zwölf.“

„Alles klar, wir werden das prüfen, bitte halten Sie sich zu unserer Verfügung.“

 

Opitz lächelt siegessicher, „Ich habe vorhin mit der Geschäftsführerin von TopFit telefoniert. Frau Schulz ist zwar bei diesem Sportclub angemeldet ist, aber sie war mit Sicherheit über ein halbes Jahr nicht mehr da.“

„So richtig glaube ich aber nicht an sie als Mörderin ihres Liebhabers.“ Eva sieht träumerisch aus dem Bürofenster, „sie macht auf mich schon den Eindruck, als würde ihr das extrem Nah gehen. Sie hat ihn geliebt, auch wenn sie vielleicht ihren Mann nicht für ihn verlassen hätte.

Da sind wir noch nicht am Ende...“

Opitz grinst weiter, „die Spurensicherung hat die Schuhabdrücke mit den Schuhen von den Schulzes abgeglichen – und Bingo: Julia Schulz! Ihre Schuhe waren am Tatort!“

„Sicher... die Beiden haben sich doch schon eine Weile dort getroffen, da wird sie ja wohl auch Schuhe angehabt haben. Abgesehen davon waren die Abdrücke ja von niemandem, der sich schnell von einem Tatort entfernen wollte...“ Eva rollt ihre Augen.

„Jaa, aber unten an der Sohle wurde das Blut des Opfers gefunden. Ein Beweis dafür, dass die Abdrücke nach dem Mord entstanden sind.“ Opitz lehnt sich in seinem Stuhl zurück und erwartet sein Lob.

Eva stockt, ihre Menschenkenntnis hatte sie noch nie im Stich gelassen. Soll es nun doch mal soweit gewesen sein - DNA ist schließlich DNA...

 

Am nächsten Tag wühlt Eva sich durch Männersachen. Sie kann noch nicht glauben, dass der Fall schon gelöst sein soll und sucht in der Wohnung des Opfers nacht Beweisen.

Es ist eine typische Junggesellenwohnung. Schlicht, fast schon karg eingerichtet. Ein Zimmer, Küche, Bad. Eva muss also nicht viel Zeit dort verbringen.

Es ist ihr fast egal, ob sie Beweise für oder gegen die Theorie von Opitz findet. Hauptsache sie hat die Beweise selbst gesehen und besser noch: selbst gefunden.

Die Affäre mit einer Frau bestätigt sich hier schnell. Es finden sich sexy Klamotten und Unterwäsche. Die Größe erinnert auch an Julia, aber Eva lässt das abklären.

Im Bücherregal an der Wohnzimmerwand der kleinen Wohnung stöbert Eva durch typische Männerliteratur, auch stehen hier einige Superheldenfiguren, scheinbar aus seiner Kindheit und das Jahrbuch aus seinem Abschlussjahr.

Eva blättert kurz durch – man weiß ja nie.

Die Frisuren waren damals echt der Hammer: Dauerwellen, VoKuHiLas, hochtoupierte Haare, alles was das Herz begehrt! Sie denkt kurz mal an ihre eigenen Haare zu der Zeit und wüsste gern, wie Opitz aussah. Ihm würde sie die schärfste Frisur von allen zutrauen.

Moment mal, dieses Mädchen kommt Eva irgendwie bekannt vor. Sieht irgendwie unscheinbar aus, darunter seht: Manuela Kranz.

War das nicht die Verkäuferin der Bäckerei, die am Anfang befragt wurde? Dass sie das nicht erwähnt hat lässt Eva dann doch stutzen.

Auf die ein oder andere Art freute sich die Kommissarin über ihre Entdeckung.

 

„Frau Kranz, richtig?“ Eva hatte das Jahrbuch bei sich.

„Ja? Hat sich nicht alles aufgeklärt? Diese Julia war es doch, oder?“, auf ihrem Namensschild steht Manuela – Eva hatte sie also richtig wiedererkannt.

Sie bittet sie ins Präsidium.

 

Im Verhörraum der Polizei sitzen Frank Opitz, Eva Knopf und Manuela Kranz, das Gespräch wird aufgezeichnet.

Eva beginnt: „Frau Kranz, zunächst freuten Sie sich regelmäßig ihren alten Schwarm wiederzusehen. Dass er aber scheinbar für eine andere Frau ihren Kuchen kaufte, immer und immer wieder, konnten Sie kaum ertragen. Als sich dann noch Beide hier trafen, war es für Sie wie ein Stich ins Herz.

Sie konnten einfach nicht ertragen, dass Matthias Klemm, ihr alter Mitschüler, ihre Liebe ausschlug und ihnen ständig sein Glück mit einer Anderen unter die Nase rieb.

Sie wollten verhindern, dass er sie je wieder sieht. Wenn er Sie nicht wollte, sollte er auch keine Andere haben. Er sollte sterben.

Julia Schulz wollten Sie auch bestrafen: Sie sollte als Mörderin im Gefängnis landen. Alle sollten sehen, dass sie eine Ehebrecherin war.

Ihr Wissen durch monatelanges Belauschen der Beiden half Ihnen beim Schmieden des Mordplanes.

 

Sie wussten, dass Frau Schulz ihrem Mann erzählte, sie ginge immer abends nach der Arbeit zum Sport in der Stadt, statt dessen fuhr sie aber auf einem kleinen Umweg zum Treffen mit Matthias Klemm. Sie hatten ihren Wagen so manipuliert, dass er mit einer Panne mitten auf dieser verlassenen Landstraße liegenblieb. So hatten Sie in Ruhe die Möglichkeit in die Scheune zu gehen, und Frau Schulz hat ein Alibi, das man nicht so einfach glauben mag. Niemand ausser Herrn Klemm würde sie vermissen, ihr Mann denkt ja, sie würde beim Sport sein. Würde sie sich also bei ihm melden, müsste sie ihm erklären, warum sie gerade dort lang fährt.

Sie wussten nur zu genau, wer wann wo gewesen ist, und wer wem welche Ausrede auftischte.

Um den Verdacht endgültig auf Julia zu lenken, zogen Sie für die gesamte Zeit ihre Schuhe an. Sie haben schöne, ordentliche Abdrücke hinterlassen, dass wir sie auch ja finden und haben die Schuhe danach wieder unbemerkt zurückgebracht.

Wie konnten Sie nur dem Mann, den Sie lieben den Schädel einschlagen?!?“

 

„Als er das erste Mal in die Bäckerei kam, hat er mich nicht wirklich eines Blickes gewürdigt. Er hatte mich nicht mal erkannt.“

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Bildmaterialien: Cover: Pixabay CCO Public Domain - User: WOODPUNCHER
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2016

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