Wettbewerbsvorgabe für die Februar-Runde
des Anthologie-Wettbewerbs 2016:
„Wähle in einem beliebigen Buch auf Seite 77 einen Satz mit mindestens 5 Wörtern aus und schreibe eine Geschichte, in der dieser Satz vorkommt.“
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Bei diesem Beitrag wurden folgendes Buch und folgender Satz gewählt:
lügt und lügt nicht. Phantastische Geschichten aus Kuba - Rütten & Loening
„Dann, meine Schöne, zeig diesen Menschen, was du kannst, und koche ihnen was.“
Diese kleine nette Kollegin aus der Kantine hat es mir schon lange angetan. Als ich vor einem halben Jahr als Hauselektriker in dem Kurheim anfing, war mir die hübsche dralle Blondine gleich aufgefallen. Sie hat eine charmante, natürliche Freundlichkeit für Jeden, egal, ob Chefarzt, Kurgast oder Zimmermädchen. Wenn sie einen anlächelt, dann strahlen ihre blauen Augen und die Wangen werden von zwei kleinen süßen Grübchen verziert.
Obwohl ich in unserem Handwerkerteam als cool und brummelig gelte, schmelze ich förmlich dahin, wenn die liebliche Corinna zu mir sagt: „Na, Mister Elektron, hast du heute schonwieder keinen Kabelsalat bei uns gefunden?“ Ich werde dann leicht rot und stammele so etwas wie: „Das ist nicht so schlimm, Hauptsache die Spaghetti schmecken nicht nach Verlängerungskabeln.“ Corinna lässt dann ihr glucksendes Lachen hören und erwidert auf ihre neckische Art: „Das ginge ja noch, aber wenn du die Nudeln an die Stehlampe schraubst, wirst du dich wundern, Ronny, dass dir kein Licht aufgeht!“
Es wird jetzt langsam mal Zeit, dass mir ein Licht aufgeht. Ein Licht dass mir zeigt, wie ich den Weg in Corinnas Herz finde. Ich kann kaum noch an etwas anderes denken.
Ich hatte neulich Karten für ein Helene – Fischer - Konzert gekauft und wollte Corinna unter dem fadenscheinigen Grund, dass meine Mutter kurzfristig erkrankt ist, dazu einladen. Zum Glück habe ich rechtzeitig gehört, wie sie sich mit der Lisa von der Rezeption darüber unterhielt, dass sie Schlager doof findet. Das hat mein Herz noch mehr für sie eingenommen. Vielleicht mag sie ja sogar genau wie ich Jazz. Da kenne ich einen schönen Club, in den ich sie mitnehmen könnte.
Heute werde ich sie fragen. Wenn ich es auch kaum abwarten kann, in die Kantine zu gehen, trödele ich unmotiviert herum, damit ich in der Schlange ganz hinten stehe und etwas mehr Zeit habe, mit Corinna zu reden.
„Corinna, meine Schöne, darf ich dich mal etwas fragen?“
„Hey, Ronny, das war schon eine Frage! Aber schieß los.“
„Gehst du bitte mit mir am Samstagabend in den Jazz-Club?“ An dieser Formulierung habe ich tagelang gefeilt und dann ist sie doch so stupide ausgefallen. Das ist mir jetzt total peinlich und ich werde schon wieder rot. Aber meine Corinna wäre nicht meine Corinna, wenn sie die Situation nicht ganz leicht aufzulockern verstünde.
„Ronny, da bin ich aber baff. Das soll doch jetzt nicht etwa ein Flirt werden? Du willst mit mir ausgehen?“
Ich habe mich wieder gefangen und mir kommt eine scheinbar witzige Antwort über die Lippen: „Ja, meine Schöne, ich möchte in dem Club Samstag einen perfekten Auftritt hinlegen. Mit dir an meiner Seite bin ich perfekt gestylt.“
„Na klar, du wirst an meiner Seite besonders schlank und besonders jung aussehen. Die anderen Gäste werden fragen, warum du mit deiner Mutter ausgehst!“
„Aber du siehst doch nicht wie meine Mutter aus!“ Für mich spielt der Altersunterschied überhaupt keine Rolle. Corinna ist eine tolle Frau, die mich so sehr anzieht, wie es mir noch nie passiert ist. Ich ergänze noch schnell; „Die fünf Jahre sieht man uns doch gar nicht an!“
Und da ist das glucksende Lachen wieder und ihre entzückenden Grübchen zeigen sich. Corinna atmet tief durch um aus dem Lachen herauszukommen und weist mich mit hochgezogenen Augenbrauen darauf hin, dass sie fast fünfzig Jahre alt ist und damit ziemlich genau siebzehn Jahre älter sei als ich.
„Ich sehe das überhaupt nicht. Du bist eine wunderschöne Frau, die mich in ihren Bann gezogen hat. Wir sind wir und die Leute interessieren uns doch nicht. Lass es bitte, bitte auf einen Versuch ankommen. Wenn dir der Abend nicht gefällt, dann werde ich dich nie wieder anflirten. Versprochen! Bitte! Bitte!“
„Lass mich nachdenken! Wenn du nachher deinen Kaffee holst, sage ich dir Bescheid.“
Ja, ja, ja! Ich habe sie! Wenn sie nicht direkt NEIN sagt, ist das schon so gut wie ein JA. Beinahe vergesse ich, mein Schnitzel zu bezahlen, so aufgeregt bin ich.
Einen Kaffee brauche ich jetzt wirklich nicht. Mein Herz bummert schon wie verrückt, weil Corinna nicht gleich nein gesagt hat. Ich muss mich zügeln, dass ich nicht sofort losrenne, als ich von der Mittagspause zurückkomme.
„Nanu, Ronny, nur Kuchen, wo hast du denn den Kaffee?“
„Kaffee kann ich jetzt nicht vertragen, ich bin so gespannt auf deine Antwort. Willst du es denn nun mit mir versuchen?“
„Mit DIR versuchen?“ Corinnas Grübchen machen mich förmlich schwach. „Es geht doch um den Jazz Club!“
„Ach, Corinna, meine Schöne, ja, der Jazz Club! Wie heißt denn nun deine zustimmende Antwort!?“
„Okay! Ich wollte schon immer mal gerne dahin.“
Der Abend mit Corinna läuft genauso, wie ich ihn mir erträumt habe. Es gibt ständig etwas zu lachen. Und Corinna weicht mir nicht aus, als ich nach Ray Charles‘ Song for you einen ersten spontanen Kuss auf ihre Wange setze. Das wird von nun an unser Lied sein! Corinna fühlt sich so unheimlich gut an und ihre unkomplizierte Art überrascht mich. Dasselbe sagt sie auch von mir. So fühlt es sich also an, wenn man auf Wolke sieben schwebt, Schmetterlinge im Bauch hat. Man muss es erleben, sonst hält man es für kitschig.
Die Musik hat uns zusammengeführt. Ich bin glücklich, dass sich Corinna mir zugewandt hat. Sie genießt meine Zuwendung und wird von Tag zu Tag attraktiver und begehrenswerter. Wir lassen nicht viel Zeit verstreichen und ziehen zusammen. Um uns herum nehmen wir kaum etwas wahr. Wir haben nur Augen für uns.
So könnte es für immer sein. Wir sind uns im Job nahe und nach Feierabend erledigen wir alles gemeinsam. Egal ob es der Einkauf, die Hausarbeit oder das abendliche Fernsehprogramm ist. In den Jazz Club gehen wir natürlich öfter. Es gibt kaum eine Minute, in der wir nicht zusammen sind, weil wir ohne den anderen nicht sein wollen. Corinna hat mir schon so manchen Trick in der Küche beigebracht, denn sie ist eine hervorragende Köchin. Wenn sie dem Abendessen den letzten Schliff verpasst, bereite ich den Tisch vor. Ich bin stolz, wenn es ihr gefällt, welche Musik ich ausgewählt habe und wie liebevoll ich Kerzen, Blumen und Servietten arrangiere. Beim Essen tauschen wir verliebte Blicke. „Vergiss das Essen nicht“, ermahnt sie mich mit einem Zwinkern ihrer blauen Augen. Corinna weiß genau, dass ich gerade von den Zärtlichkeiten geträumt habe, die uns gleich erwarten.
Wenn mein Leben ein Traum ist, dann ist der Anruf meiner Mutter ein Wink aus der Realität. Wie konnte ich nur ihren Geburtstag vergessen! Ich tue einfach so, als habe ich die Feier fest eingeplant.
„Ronny, ich freue mich schon so auf den Samstag. Alle werden da sein. Sogar Tante Kerstin und Onkel Micha. Darum wäre es lieb von dir, wenn du ihnen dein Kinderzimmer zur Verfügung stellst und selbst zum Schlafen nach Hause fährst. Und die Kaufmanns wollen auch kommen, vielleicht kannst du sie dann abends nach Hause fahren, du weißt, wie gerne Kurt ein Bierchen trinkt. Sontag ist dann wie immer noch die Resteparty. Darauf freue ich mich am meisten. Und stell dir vor, was Papa mir schenkt. Ach nein, das ist noch ein Geheimnis. Ach Junge, ich rede und rede, wie geht es dir eigentlich, wir haben uns ja schon ewig nicht gesehen.“ So kenne ich sie, meine liebe Mutter. Sie redet ohne Punkt und Komma. Allen will sie es recht machen und immer mittendrin sein.
Betont langsam fällt meine Antwort aus: „Mama, ich habe mich verliebt!“
„Oh, mein Junge, das ist ja fantastisch. Erzähle doch mal von ihr!“
„Sie ist ein wundervoller, sanfter Engel. Ich kenne sie von der Arbeit. Wir sind so glücklich. Und wir wohnen schon zusammen.“
Für einen Augenblick ist meine Mutter am anderen Ende der Strippe sprachlos. Schnell besinnt sie sich und geht ganz praktisch zur Tagesordnung über: „ Du musst sie uns unbedingt vorstellen! Bring sie doch gleich zu meinem Geburtstag mit.“
Corinna hört die meine Hälfte des Telefonates mit. Als ich meiner Mutter erzähle, dass ich verliebt bin, versinken unsere Blicke tief ineinander. Als ich zu ihr sage, dass wir dann am Samstag zum Kaffee pünktlich da sein werden, schlägt Corinna die Augen zu, um kurz darauf ängstlich fragend mit hochgezogenen Brauen Halt in meinem Gesicht zu suchen. Ich beende schnell das Gespräch und nehme sie ganz fest in den Arm. Es bedarf keiner Worte, denn ich spüre ganz genau, dass sie befürchtet, von meiner Familie nicht akzeptiert zu werde, weil sie fast so alt wie meine Mutter ist.
„Ich liebe dich so sehr. Das ist doch das wichtigste, was zählt. So wie unsere Kollegen uns beiden nur das Beste wünschen, wird auch meine Familie unsere Beziehung akzeptieren. Wenn sie dich erstmal kennen, mein Schatz, dann werden sie dich in ihr Herz schließen.“ Während ich Corinna diese Sätze in das Ohr flüstere, verdrückt sie eine kleine Träne der Verunsicherung oder der Rührung, die ich zärtlich wegwische.
Ist es wirklich ein Zufall oder hat Corinna nachgeholfen? Ihre Chefin ruft am Samstagmorgen an und bittet sie, die Spätschicht in der Kantine zu übernehmen, weil eine Kollegin erkrankt ist.
„Ronny!“ Meine Mutter strahlt über das ganze Gesicht, ihre Wangen sind wohl vom Sekt schon heftig gerötet und ihre Augen funkeln aufgeregt. Sie umarmt mich stürmisch. „Ich freue mich ja so, dass du hier bist. Oh dankeschön, die Blumen sind ja so hübsch, hat die deine neue Freundin ausgesucht? Da hat sie ja wirklich Geschmack bewiesen. Ja, wo ist sie denn überhaupt? Du solltest sie doch mitbringen. Wir sind total gespannt, sie kennenzulernen.“
„Es tut mir leid.“ Bringe ich fast schuldbewusst stammelnd hervor. „Corinna musste überraschend für eine kranke Kollegin einspringen. Sie lässt dich ganz lieb grüßen und wünscht dir alles Gute.“
Meine Mutter zerrt mich ins Wohnzimmer, wo die ganze Geburtstagsgesellschaft schon mit dem Kaffeetrinken begonnen hat. Ein paar Flaschen von Mutters geliebtem Rotkäppchen-Sekt sind schon geleert, so dass ich davon ausgehe, dass die Stimmung und die Zungen gelockert sind. Und genauso ist es. Ich sitze noch gar nicht richtig, da geht die Inquisition schon los. Ich muss Rede und Antwort stehen, woher ich Corinna kenne, wie sie aussieht, seit wann wir zusammen sind, wo und wie wir wohnen, ob wir Kinder wollen und wie es mit heiraten aussieht.
Als ich erzähle, dass wir uns gerade Gedanken machen, wie wir Corinnas fünfzigsten Geburtstag feiern wollen, herrscht für ein paar Sekunden Totenstille an der Kaffeetafel. Dann bricht Onkel Micha das Schweigen: „ Nun macht euch mal nicht in die Hose! Fünfzig ist das neue dreißig! Schaut mich mal an!“
Ich schaue Micha dankbar an. Jetzt verstehe ich Corinnas Bedenken. Ich lache kurz hysterisch und bemühe mich, meine Stimme jetzt sicher klingen u lassen: „Also, wenn ihr meine Corinna kennenlernen wollt, dass dürft ihr euch nicht so kleinkariert anstellen!“
Meine Mutter, die gute Seele lenkt ein und klingelt mit ihrem Kaffeelöffel an das Sektglas. „Meine Lieben, lasst uns anstoßen und an alle unsere Lieben denken, die heute nicht dabei sein können.“ Onkel Micha stimmt darauf ein albernes Geburtstagslied an. Die Party ist wieder in vollem Gange.
Die Gespräche gehen nicht an Gott und der Welt vorbei. „Wisst ihr noch?“ ist immer wieder die Frage. Und ganz lieb gemeint, nehmen sie mich immer wieder auf die Schippe. Es fallen Begriffe wie Ödipus, Altenpfleger, Adoption, Erbschleicherei, Lehrerin - aber alles mit einem Augenzwinkern. Ich bin zwar kein Psychologe, aber meine Lieben verarbeiten vermutlich den von mir heraufbeschworenen Widerspruch durch das Aussprechen der unpassenden Parallelen.
Als ich spät abends die Kaufmanns nach Hause fahre, flüstert er mir bei der Verabschiedung ins Ohr, dass er früher unsterblich in seine Lehrerin verliebt war. Nicht nur hierbei spüre ich mehr Sympathie, als ich gedacht hatte. Die Geburtstagsgesellschaft hat mein neues Leben vernommen, verstanden und akzeptiert.
Glücklich falle ich zu Corinna ins Bett und bitte sie, mit mir morgen zum Resteessen mitzukommen, sie braucht sich keine Sorgen zu machen, meine Familie hat volles Verständnis für uns und möchte sie sehr gerne kennenlernen.
Der Sonntagmorgen ist von einer wuseligen Geschäftigkeit geprägt, wie wir sie nicht einmal an einem Arbeitstag erleben. Corinna braucht besonders lange im Bad. Ich sitze mit der Sonntagszeitung in der Küche und rede ihr nicht dazwischen. Sie zieht sich dreimal um und trinkt von dem Kaffee, den ich ihr schön süß und heiß und mit viel Milch bereitet habe, nur ein paar Schlucke. Dann sind wir fertig zur Abfahrt.
„Du bist also die Corinna von meinem Ronny!“, ruft uns meine Mutter entgegen, als wir die Treppe noch gar nicht oben angelangt sind. Sie nimmt uns beide überschwänglich in den Arm und ihr „Kommt rein, Kinder!“ kommt herzlich aber irgendwie unwirklich daher.
Im Wohnzimmer sind die ersten Gäste schon zugange. Sie blicken von ihrem geschäftigen Treiben auf und kurzzeitig ist ein augenzwinkerndes Tuscheln zu vernehmen. Diese traditionellen Nachfeiern beginnen immer mit dem Zusammenräumen der Überbleibsel vom Vorabend und natürlich mir einem Schlückchen Rotkäppchen. Schon halten wir Gläser in den Händen. Wir stoßen mit allen an und natürlich ist Corinna der Musterung ausgesetzt. Sie überspielt das Ausgeliefert sein mit einem strahlenden Lachen. Und mich machen diese Grübchen schon wieder ganz schwach.
„Dann, meine Schöne, zeig diesen Menschen, was du kannst, und koche ihnen was.“, flüstere ich immerhin so laut in Corinnas Ohr, dass es alle hören können. Ich fasse sie um die Schultern und schiebe sie sanft in die Küche, damit sie vorerst die musternden Blicke nicht zu ertragen braucht. Dort inspizieren wir zusammen die Reste des gestrigen Abends und Hand in Hand stellen wir ein Brunchbuffet für die spöttische Gesellschaft zusammen.
Corinna wundert sich, warum aus dem Küchenradio Ray Charles‘ Song for you klingt, aber das hatte ich natürlich vorbereitet. Wir tauschen einen zärtlichen Kuss, blicken uns verliebt in die Augen und ich spüre, dass Corinnas Angst vor dem vermeintlichen Unverständnis meiner Familie allmählich schwindet. Wir machen uns an die Arbeit.
„Das Buffet ist eröffnet, schnappt euch die Teller und füllt sie mit den Leckerbissen!“, ruft Corinna der lustigen Gesellschaft zu. Sie steht in der Küche und hat für jeden ein nettes Wort, witzig und charmant, wie ich sie kenne. Und es fühlt sich an, als gehöre sie schon immer zu meiner Familie.
Ich beobachte das Treiben und denke: „Ja, Liebe geht durch den Magen.“
Bildmaterialien: Cover: Pixabay CCO Public Domain - User: WOODPUNCHER
Tag der Veröffentlichung: 08.02.2016
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