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Universitärer Katzenjammer

Professor Doktor Backe stand mit seinem Fernrohr in der Hand am Fenster seiner Wohnung und schaute hinüber zu dem Haus von Frau Professorin Köpfle. Obwohl die Gardinen das, was in dem Schlafzimmer der Köpfle vorging, verschleierten, war es doch deutlich genug zu sehen, um der Phantasie von Professor Doktor Backe ausreichend Nahrung zu geben. Er war sich ziemlich sicher, dort in dem Haus auf der anderen Seite eine männliche Gestalt zu sehen, welche sich mit eindeutig erotischen Absichten der Frauengestalt näherte, welche Professor Backe als Frau Professorin Köpfle identifizierte.

 

„Die Köpfle ist eine Hure!“, sagte Professor Backe und ließ das Fernrohr sinken. „Und ihre Katze Lenin auch!“

 

Bei der Nennung dieses Namens sprang Stalin, der behaglich in Backes Sessel gelegen und vor sich hin geschnurrt hatte, auf, lief hinüber zu seinem Herrchen und sprang elegant aufs Fensterbrett. Stalin war der Kater von Professor Backe. Diesen Namen hatte er erst vor kurzem bekommen.

Es war nämlich so gewesen, dass Professor Backe die in der philosophischen Fakultät neu angestellte Frau Professorin Köpfle umworben, sie ihn aber schnöde abgewiesen hatte. Es war damals gewesen, auf dem Fakultätsfest, wo auch einige leitende Studenten anwesend gewesen waren. Man hatte die ungelenken Annäherungsversuche des Professor Backe, der in seinem Leben noch nie eine Frau gehabt hatte, beobachtet und, als es ihm nicht glückte, sich über ihn lustig gemacht. Wie konnte er auch glauben, dass eine Frau sich für ihn interessieren würde! Er war von nicht allzu großer Gestalt, mit schon leicht ergrautem Haar, das zumeist wirr und ungepflegt von seinem Kopfe hing, und einem stets gebeugten Rücken – auf Grund des vielen Lesens in gebeugter Haltung – und wusste außerdem von nichts anderem zu reden als von seinem Fach, der Philosophie. Doch auch darin waren seine Themen ziemlich begrenzt, da er sich doch auf den deutschen Philosophen Immanuel Kant spezialisiert hatte, den er für den größten Philosophen aller Zeiten hielt.

 

Auch bei den Studenten war er nicht beliebt, weil es sich herumgesprochen hatte, dass er beim Examen sehr diffizile Fragen stellte, was dazu führte, dass die Durchfallquote jener Studenten, die bei Professor Backe ihr Examen ablegten, bei etwa fünfzig Prozent lag.

 

„Geh nicht zum Backe“, pflegten die älteren Studenten zu den jüngeren zu sagen, „der Backe ist ein Arsch, ein Backenarsch!“

 

Nach jener Abweisung auf dem Fakultätsfest hatte sich Backe, zu Hause angekommen, an seinen Kater gewandt, ihn auf seinen Schoß gesetzt und, während er ihn streichelte, ihm erklärt:

«Geh nicht mehr zu Lenin rüber, Schnurziburz. Die Katze von Frau Köpfle ist ein Betrüger. Von nun an wirst du «Stalin» heissen, nicht mehr Schnurziburz. Und deine Aufgabe ist von nun an, Lenin das Leben zur Hölle zu machen, Stalin. Hast du verstanden, Stalin?»

 

Natürlich hatte Stalin, geborener Schnurziburz, die Botschaft und auch die Namensänderung verstanden und hatte sich umgehend an die Ausführung des Auftrags gemacht. Lenin konnte sich kaum noch irgendwo im Garten oder auf der Straße zeigen, da kam schon Stalin angerannt und jagte ihn in die Büsche oder auf einen Baum und bohrte, wenn er Lenin erreichen konnte, ihm die spitzen Krallen in den Rücken.

 

So kam Lenin oft zerzaust und arg blutend zu der Herrin zurück, der schönen Frau Professorin Köpfle, und suchte bei ihr seelischen Trost und Pflege seiner körperlichen Wunden.

Das Schlimme war, dass einige Wochen nach diesem Vorfall ein weiterer neuer Professor an der Fakultät angestellt wurde, nämlich der Herr Professor Hals. Er war engagiert worden, denn die Fakultätsleitung dachte, man müsse sich ein wenig modernisieren, weil die alteingesessenen Professoren zwar von Platon, Aristoteles und Immanuel Kant eine Ahnung hatten, aber wenig von allem, was chronologisch über 1724, das Todesjahr von Immanuel Kant, hinausreichte.

 

Allerdings war die Fakultätsleitung ein wenig zu weit gegangen, denn man hatte, statt einen Kenner der modernen Philosophie anzustellen, einen Kenner der postmodernen Philosophie angestellt. Herr Professor Hals war also dieser Postmodernist, der von den älteren Kollegen mit äußerstem Misstrauen in Empfang genommen wurde. Er wusste zwar alles über Jean Baudrillard, Michel Foucault und Guattari Deleuze, die neueren, postmodernen Philosophen, wenn er aber zu Immanuel Kant befragt wurde, musste er verstummen. Insofern war nicht besser als die Studenten, die im Examen bei Professor Doktor Backe durchfielen, und wurde aus diesem Grunde auch von ihm gebührend missachtet.

 

Diese Missachtung steigerte sich aber zum Hass, als Professor Backe die Beobachtung zu machen glaubte, dass seine angebetete Frau Professorin Köpfle eine Zuneigung zu dem hemdsärmeligen Postmodernisten empfand. Ja, tatsächlich, erstens erschien er wirklich immer in Hemdsärmeln zu seinen Vorlesungen und zweitens hatte er der Köpfle auf den Fakultätssitzungen zu wiederholten Malen ein Lächeln zugeworfen oder einen mit einem Zwinkern verbundenen Blick, wie Herr Professor Backe scharf beobachtet hatte.

 

«Nein, die Köpfle ist eine Hure», stellte Professor Backe fest, «und Lenin sicher auch.»

Man muss hinzufügen, dass auch den Studenten nicht entgangen war, dass sich zwischen dem neuen Professor Hals und der nicht mehr ganz so neuen Professorin Köpfle etwas anbahnte, und hatten den Spruch geprägt: «Der Hals hat jetzt ein Köpfle bekommen!»

 

Allerdings schienen weder der Hals, noch das Köpfle Interesse zu haben, richtig zusammenzuwachsen, denn weitergehende Gerüchte besagten, dass man sowohl beim Hals, wie bei der Köpfle gute Zensuren bekommen konnte, wenn man zu gewissen Diensten bereit war. Warum sollte der Hals sich ans Köpfle binden, wenn ihm genügend Studentinnen zur Verfügung standen, die mit der Aussicht, ein «A» für die Masteraufgabe zu bekommen, mit ihm ins Bett gingen? Und auch die Köpfle war keine Kostverächterin, sondern liebte es, sich die jungen, schönen Männerkörper in ihr Bett zu holen und sie für gelungenen Sex und vaginale Multiorgasmen mit einem «A» für ihre ausserordentlichen, philosophischen Leistungen zu belohnen, bei einem banalen, einfachen Orgasmus nur mit einem «B» und bei nur klitoralen Orgasmen mit einem «C», also C wie Cunnilingus.

 

Wie es sich gehört, hatte auch der postmoderne Professor Hals seinen Kater mitgebracht, und dieser trug – wie konnte es anders sein – den berühmten Namen «Trotzki». Zufälligerweise hatte Professor Hals ein Haus nicht unweit der Häuser von Professor Backe und Professorin Köpfle bezogen, so dass infolgedessen dramatische Begebenheiten zwischen Stalin, Lenin und Trotzki nicht mehr ausgeschlossen werden konnten. Wer es noch nicht begriffen hat, Lenin war eine Katze, also weiblichen Geschlechts, und wie sie zu diesem männlichen Namen gekommen war, kann nur mit der Männerliebe ihres Frauchens, der Professorin Köpfle, erklärt werden. Klar ist, dass Stalin und Trotzki von nun an um die Rechte in dem Revier stritten und dass Lenin sich zwischen diesen zwei Katern in einer unglücklichen Lage befand. Aber ausgerüstet mit weiblicher Katzenintelligenz wählte sie taktisch richtig und schlug sich auf die Seite von Trotzki, was ja auch einen Parallelismus zu der Beziehung zwischen Herrchen und Frauchen ergab.

 

So war alles in schönster Ordnung, wenn nicht die Rachelust von Professor Backe sein Gemüt überwältigt hätte und er seinen eigenen Prinzipien, über die er so schöne Vorträge hielt, untreu geworden wäre.

 

Hiess es doch bei Immanuel Kant:

«Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“

 

Was auf gut Deutsch heißt, dass man den anderen Menschen nie nur als Mittel benutzen soll, sondern immer zugleich als Zweck. Und genauso soll man auch sich selbst behandeln. Also wenn ein Vater seinen Sohn zum Bierkaufen losschickt, behandelt er ihn als Mittel, eben als ein Mittel, um an Bier zu gelangen. Das wäre nicht gut. Wenn er aber seinem Sohn anschließend ebenfalls ein Glas hinstellt und ihm Bier einschenkt, dann behandelt er ihn zugleich als Zweck, und das wäre gut. Also, seinem Sohn Bier einzuschenken, wäre in diesem Falle gut. Was man sonst darüber denken mag, seinen Sohn zum Alkoholiker zu erziehen, mag dahingestellt bleiben. Der Backenarsch hätte sicher auch hierzu eine passende Antwort gehabt. Wahrscheinlich wäre er mit dem kategorischen Imperativ dahergekommen.

 

Aber hiergegen hätte der Hals sicher einige passende Gegenargumente parat gehabt.

Hätten die beiden Philosophen, der klassische und der postmoderne je gewagt, einander in einer akademischen Diskussion gegenüberzutreten, wäre das sicherlich sehr spannend geworden. Aber so umkreisten sie einander und vermieden es, einander zu nahe zu kommen, aus lauter Angst, sie könnten in einer Diskussion als Verlierer erscheinen. Sie verhielten sich genauso wie ihre Kater Stalin und Trotzki, die sich umkreisten, immer misstrauisch, einer könnte zu nahe kommen und ein Kampf könnte unausweichlich werden. Sobald sich aber eine Gelegenheit bot, nahmen sie den Schwanz zwischen die Beine und liefen weg.

 

Bei dieser Patt-Situation wäre es geblieben, wäre nicht die schöne Rosa aus Luxemburg aufgetaucht. Sie saß plötzlich in dem Kant-Seminar von Professor Backe, mit einem wunderschönen, wohlgeformten und hell leuchtenden Gesicht, strahlend wie eine Heilige und als solche auch von Professor Backe verstanden – oder missverstanden.

 

Klug war sie. In dem Seminar fiel sie von Anfang auf, wegen ihrer tiefgehenden philosophischen Kenntnisse und ihrer geschickten Art der Argumentation. Die Studenten drehten sich nach ihr um und erkannten mit dem sicheren Instinkt ihrer Raubtiernatur, dass diese Frau sexy war, aber auch intelligent und deswegen gefährlich. Sie war nicht auffällig gekleidet, aber doch so, dass ihre weiblichen Reize zur Geltung kamen. Allein diese Art sich zu kleiden, zeugte schon von höherer Intelligenz.

 

Was ihren philosophischen Standpunkt betraf, so machte sie überhaupt keinen Hehl daraus. Sie benannte ihn zwar nicht mit Namen und vermied es, sich irgendeinem -ismus zurechnen zu lassen, aber hätte Backe sich mit postmoderner Philosophie beschäftigt, so hätte er beim Hören ihrer Argumente ausrufen müssen, wie es die Berliner tun:

 

«Nachtigall, ick hör dir trapsen!»

 

Aber er kannte die postmodernen Philosophen nicht und hatte nie von Deleuze gehört, der Wesen, Wahrheit und Subjekt bezweifelte. Nur empfand er, dass diese junge, hübsche Studentin ihm in irgendeiner Weise überlegen war – und, um der Sache auf den Grund zu gehen, lud er sie nach einer seiner Seminarsitzungen ein, in sein Büro zu kommen.

 

Sie kam und setzte sich seinem Schreibtisch gegenüber. Dabei ließ sie es sich nicht entgehen, die Beine übereinanderzuschlagen, wodurch ihr ohnehin kurzer Rock noch höher rutschte. Professor Backe vergaß bei diesem Anblick für einige Sekunden, dass er Professor war, sondern fühlte sich als Mann – nur noch als Mann.

 

«Sie kommen also aus Luxemburg?» , begann er das Gespräch. Rosa erzählte daraufhin bereitwillig von ihren Erlebnissen an der Universität in der Stadt Luxemburg und dass sie dort weggegangen sei, weil sie dort einige sehr ungute Erlebnisse gehabt habe.

 

«Von welcher Art waren denn Ihre unguten Erlebnisse?»

 

«Ach, lassen wir das liegen. Ich will niemanden anschwärzen. Ich will nur soviel sagen, dass ich bedrängt wurde.»

 

Professor Backe horchte auf.

 

«Na, ich hoffe, dass Ihnen so etwas an dieser Universität nicht passieren wird!»

 

Rosa lächelte. Dann sagte sie:

 

«Ich glaube, es sind überall nur Menschen. In den wenigen Tagen, in denen ich hier gewesen bin, habe ich schon einige Gerüchte gehört. Meine Mitstudenten haben mir erzählt, was man tun muss, wenn man gute Zensuren bekommen will.»

 

«Aber ich hoffe doch, dass das nicht wahr ist!», rief Backe in scheinbarer Empörung aus. «Also, mein verehrtes Fräulein, wenn sie je an Beweise kommen sollen, die ein solch unprofessionelles Verhalten seitens unseres Kollegiums belegen, dann geben Sie sie mir. Ich werde dafür sorgen, dass der Fakultätsrat mit äußerster Schärfe dagegen vorgehen wird.»

 

«Sind Sie wirklich daran interessiert, Herr Professor Doktor Backe?» fragte Rosa mit sanfter Stimme.

 

«Durchaus, durchaus. Besonders wenn es um diese beiden Neuen geht, diesen postmodernen Schwätzer und sein Köpfle!»

 

«Aber Sie verstehen, Herr Professor Doktor Backe, dass ich, wenn ich meinen Finger in dieses Wespennest stecke, gestochen werden kann. Was geben Sie mir dafür, dass ich dieses Risiko eingehe?»

 

Professor Backe zögerte eine Weile. Dann sagte er:

 

«Ich sichere Ihnen zu, dass Sie erstens an dieser Fakultät mit guten Zensuren Karriere machen werden und dass Sie zweitens jederzeit mit meiner finanziellen Unterstützung rechnen können. Schaffen Sie mir Beweise dafür, dass Hals und Köpfle einige Studenten gegen gewisse Leistungen sexueller Natur favorisieren und Sie können meiner Unterstützung gewiss sein.»

 

Rosa willigte ein.

 

Die Tage vergingen. Auf der Straße umschlichen sich nach wie vor Stalin, Trotzki und Lenin und keiner wollte so recht die entscheidende Schlacht wagen. Jedoch schien es so, als ob Stalin sein Revier immer mehr ausdehnte und Trotzki und Lenin immer weitere Einschränkungen hinnehmen mussten. Dies führte wiederum dazu, dass die beiden letzteren einander näherkamen, denn die Raubtierlogik sagte den beiden, dass sie nur, wenn sie sich zusammenschlossen, der Übermacht standhalten konnten. Es kam also zur Koalition zwischen diesen beiden, oder in der Sprache der Tiere: zur Kopulation.

 

Eines Abends – es mochte ungefähr eine Woche vergangen sein – klingelte Rosa an der Haustür von Professor Backe. Er war glücklichweise zu Hause und öffnete die Tür.

 

«Kommen Sie herein!» sagte er freundlich.

 

«Sie haben die Beweise dabei?», fragte er, während er Rosa aus der Jacke half. Dann wurde seine Aufmerksamkeit von Rosas Busen beansprucht, der sich nur allzudeutlich unter dem engsitzenden roten Pullover abzeichnete – und er vergaß, wonach er gefragt hatte.

 

«Hier sind sie», sagte Rosa und streckte ihm einen Briefumschlag entgegen.

 

«Wa – was?»

 

«Na, die Namen der Studenten und Studentinnen mit Telefonnummern», antwortete Rosa. «Sie brauchen nur anzurufen und die Betreffenden werden Ihnen alles bestätigen.»

 

«Ja, tatsächlich? Dann haben Sie ja ganze Arbeit geleistet, mein verehrtes Fräulein Rosa!» erwiderte Backe freudestrahlend.

 

«Ja, allerdings, es war nicht so einfach» fügte Rosa hinzu. «Doch jetzt mein Lohn, Herr Professor Doktor Backe!»

 

«Wie, heute schon?»

 

«Ja, heute schon! Oder soll ich den Brief wieder mitnehmen?»

 

«Nein, natürlich nicht. Also, wieviel wollen Sie denn?»

 

«Stecken Sie ein paar Tausender ein und kommen Sie mit mir!», lächelte Rosa verheißungsvoll.

Als sie draußen auf der Strasse nebeneinander hergingen, fragte Backe besorgt:

 

«Wohin gehen wir denn?»

 

«Das werden Sie gleich sehen», antwortete sie, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Dann machte sie halt vor dem Eingang zu einem Nachtclub.

 

«So, jetzt passen Sie mal auf, Herr Professor. Wir gehen da jetzt hinein. Sie setzen sich da an einen Tisch ganz vorne und bestellen sich einen Martini. Ich verschwinde einstweilen, werde aber nach einigen Minuten wieder erscheinen, und zwar vor Ihnen auf der Bühne. Dann, wenn ich fertig bin mit meiner Show, kommen Sie nach vorne und stecken mir Ihre Tausender in das Unterhöschen, und zwar immer schön einen nach dem anderen, so dass die anderen Männer das auch sehen. Verstanden?»

 

«Ja» nickte Backe. Es war viel zu verwirrt, um noch irgendwas zu verstehen. Hier half ihm auch der kategorische Imperativ nicht mehr weiter, wobei das doch das Einzige war, wovon er etwas verstand.

 

Er tat, wie ihm geheißen. Der Nachtclub war in mystisches, rotes Licht getaucht. Es schienen viele Männer dort zu sitzen, obwohl Backe sie wegen des gedämpften Lichts nicht erkennen konnte. Auf der Bühne war eine Stange vom Boden bis zur Decke senkrecht angebracht, und noch während Backe darüber nachdachte, wozu diese Stange gut sein konnte, erschien Fräulein Rosa auf der Bühne, in einer Art von Bekleidung, die den Eindruck von Nacktheit machte, ohne dass sie etwas preisgab. Ja, sie kleidete sich mal wieder klug, die Rosa, diesmal sehr klug.

 

Dann begann sie an der Stange zu tanzen, und Backe, der das in seinem Leben noch nicht gesehen hatte, verschlug es die Sprache. Er sah, nein, er entdeckte den weiblichen Körper, und, zusätzlich angeregt durch die Musik, vergaß er alles, was je seine frühere Existenz ausgemacht hatte.

 

Kaum hatte Rosa ihre Vorstellung beendet, eilte er nach vorne und steckte ihr einen Tausender nach dem anderen unter das Höschen. Das gelang ihm so überzeugend, als ob er nie etwas anderes gemacht hatte. Auf den Fotos, die während dieses Vorgangs heimlich von ihm gemacht wurden, sieht man einen freudig erregten und begeistert lächelnden Professor Backe.

 

Dann begab er sich wieder an seinen Tisch.

 

Wenig später erschien Rosa wieder und setzte sich zu ihm.

 

«Nun, hatten Sie Zeit zum Nachdenken?», fragte sie.

 

«Nein, nachdenken, das konnte ich nicht. Sie haben mich bezaubert, Fräulein Rosa, wirklich bezaubert. Worüber sollte ich denn nachdenken?»

 

«Na, über den Satz von Kant, darüber dass man einen anderen Menschen nicht zum Mittel machen soll.»

 

«Wie kommen Sie denn jetzt darauf?», fragte Backe leicht verwirrt.

 

«Kommen Sie, Herr Professor, ich erkläre Ihnen das auf meinem Zimmer.»

 

Und damit erhob sie sich, nahm den Professor an den Arm und führte ihn durch den Saal hindurch zu einer hinteren Treppe. Sie gingen hinauf, bis sie in der zweiten Etage zu einem kleinen Zimmer gelangten.»

 

«Wohnen Sie hier?», fragte Backe.

 

«Ja, manchmal, wenn ich hier mehrere Abende hintereinander arbeite, übernachte ich hier.»

 

«Arbeit?», sagte Backe und runzelte die Stirn.

 

«Ja, das ist meine Arbeit. So verdiene ich mein Geld. Sonst würde ich mein Studium nicht finanzieren können» antwortete Rosa und begann, Backe die Jacke auszuziehen.

 

Dann knöpfte sie sein Hemd auf.

 

Backe fühlte, wie sein Herz begann, wild zu schlagen.

 

Rosas Hände arbeiteten sich zu dem Gürtel seiner Hose vor und öffneten diesen.

Backe liess es geschehen. Es war ihm jetzt alles egal. Jetzt, jetzt, würde vielleicht das geschehen, wovon er sein Leben lang geträumt hatte.

 

Wenige Sekunden später stand er nackt vor der jungen Studentin. Was er aber nicht bemerkte, waren die Fotos, die eine heimliche Kamera von ihm machte.

 

Auch dann noch, als er mit Rosa im Bett lag und die Freuden einer ersten Liebesnacht erleben durfte.

 

Am nächsten Morgen wachte er auf. Und war erschrocken, als er sich darauf besann, was geschehen war. Rosa war nicht mehr da. Er zog sich rasch an und suchte nach dem Briefumschlag, den Rosa ihm übergeben hatte.

 

Er öffnete ihn und fand darin einen Brief:

 

«Sehr geehrter Herr Kollege,

wir haben nur sehr ungern Ihr Ansinnen zur Kenntnis genommen, uns nachzustellen und uns, mittels der Studentin Rosa aus Luxemburg, die Sie in diesem Fall als Spionin angestellt haben, eines unprofessionellen Verhaltens und der Favorisierung von Studenten und Studentinnen gegen sexuelle Gegenleistungen bezichtigen zu wollen. Wie Sie aber in Bezug auf Ihr Verhalten am gestrigen Abend und in der letzten Nacht feststellen können, sind Sie durchaus nicht fehlerfrei und begehen Handlungen von genau derselben Verwerflichkeit wie die, derer Sie uns bezichtigen wollen und für die Sie nach wie vor keine Beweise haben. Uns liegen aber Beweise zu Ihrem Verhalten vor in Form von Fotos, die von Ihnen gestern abend und letzte Nacht gemacht worden sind und von denen wir Abzüge an Ihre Adresse schicken werden. Herr Kollege, wir sind keine Unmenschen, sondern schlagen Ihnen eine Abmachung vor: Sie lassen uns in Ruhe und wir lassen Sie in Ruhe. Das wird zu beiderseitigem Vorteil sein und wird den notwendigen Frieden in der philosophischen Fakultät wieder herstellen. Und vielleicht sollten Sie mal darüber nachdenken, wie man den kantischen Satz vom Zweck und vom Mittel in Bezug auf seine Mitmenschen zur rechten Anwendung bringt.

Hals und Köpfle»

 

Backe steckte den Brief rasch in seine Jackentasche und verließ die Lokalität über den Hinterausgang.

 

Hinzufügen muss man noch, dass in derselben Nacht, als Herr Professor Backe entjungfert wurde, Lenin und Trotzki ihren Feind Stalin in einen Hinterhalt gelockt und ordentlich verprügelt hatten. Als Backe nach Hause kam, lag sein stolzer Kater in ganz unstolzer Verfassung auf der Matte vor der Tür und jaulte. Backe schloss auf und warf sich auf sein Sofa. Er fühlte sich elend, weder als Professor, noch als Mann, sondern nur noch als Arsch.

 

Diese ganze Erzählung beruht übrigens auf einer wahren Begebenheit, denn der Schreiber dieser Zeilen hat sie wirklich gesehen, also gemeint sind Stalin, Lenin und Trotzki.

 

Und was diese Rosa betrifft, so gibt es viele davon, nicht nur in Luxemburg, sondern in manch anderen Universitätsstädten. Es ist halt ein Jammer, ein wahrer Katzenjammer.

 

Impressum

Bildmaterialien: Pixabay CCO Public Domain - User: falco
Tag der Veröffentlichung: 08.11.2015

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