Wettbewerbsvorgabe für die August-Runde
des Anthologie-Wettbewerbs 2015:
„Wähle in einem beliebigen Buch auf Seite 111 einen Satz mit mindestens 5 Wörtern aus und schreibe eine Geschichte, in der dieser Satz vorkommt.“
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Bei diesem Beitrag wurden folgendes Buch und folgender Satz gewählt:
Bernd Ulbrich – Der unsichtbare Kreis
„Ein begeisterter Aufschrei antwortete dem Vorschlag.“
Mondgott – was für ein erhabener Name, dabei war der Vollblut-Wallach so ein Schmusekätzchen, weshalb er auch nur Mondi genannt wurde.
Wie schon so viele Male vorher fieberte Mondi dem Rennen entgegen, er ließ sich gerne vor den Sulky spannen und wie schon so viele Male vorher kam er als erster durchs Ziel, weil ein Pferd nun mal im Galopp schneller ist, als im Trab. Warum alle anderen Sulkys in der langsameren Gangart gezogen wurden, ging in den Pferdeschädel nicht hinein. Und wie schon so viele Male vorher wurde Mondi also disqualifiziert.
Was passiert in einer Leistungsgesellschaft, wenn Jemand nicht in das Schema passt? Wird das Schema in Frage gestellt? Nein, Jemand wird verbannt. Das kann für einen Jemand sehr ungünstig sein, besonders, wenn er ein Pferd ist. Ungünstig bedeutet im günstigsten Fall, das so ein Pferd zurück in den Stall kommt, in dem es gezüchtet wurde, um dort dem Fortbestand der Art zu dienen. Aber was bedeutet es für einen Wallach? Findet sich niemand, der ihn aufnimmt, dann endet sein Leben auf den Tellern einer Ponnybar oder geht auf einer Koppel in Frankreich mit ständigem Aderlass zum Wohle der Pharmaindustrie weiter.
"Mensch Fritzi, was willst du denn hier? Ich brauche heute keinen Stallknecht. Weißt du gar nicht, dass Mondi nicht mehr hier ist? Der geht auf Transport." Mondis Stallmeister Werner verdrückte sich eine Träne, auch er mochte den schmusigen Wallach, der sich so sehr für seine Stall einsetzte, dass er immer als erster durchs Ziel kam und dann wegen Galoppierens disqualifiziert wurde. Sein filigraner Kopf mit der mondsichelförmigen Blesse, den er so oft an Werners Schulter gelegt hatte, wird ihm fehlen. Und auch die aufgeweckte Fritzi, die nach der Schule nichts eiligeres zu tun hatte, in den Stall auf dem Rennbahngelände zu radeln, egal ob es stürmt, schneit oder die Sonne brennt, um Werner bei der Stallarbeit zu helfen, wird nun auch nicht mehr kommen, wenn ihr geliebter Mondi nicht mehr da ist.
"Ach, Werner, du alter Pferdeschlächter!" die dreizehnjährige Fritzi erschrak, als sie den Spitznamen laut aussprach, der ihr sonst so leicht über die Lippen kam. Das ungleiche Paar saß auf einen Strohballen am Stall und keiner wusste so recht, was er sagen sollte. Dann brach Fritzi in Tränen aus und der raubeinige Werner war ganz hilflos wie es Männer meist in solchen Situationen sind. "Mir wird doch der Mondi auch fehlen. Aber so ist nun mal das Geschäft. Wir können uns kein Pferd leisten, wenn es so unzuverlässig ist." Fritzi antwortete nicht, sie schluchzte nur noch lauter. "Nur gut, dass wir nicht damit angefangen hatten ihn einzureiten, sonst würden wir uns noch vorwerfen, ihn durcheinander gebracht zu haben." Auch das konnte Fritzi nicht trösten. Sie hatte sich schon auf die Zeit nach der Rennsaison gefreut. Dann wollte Werner mit ihr den Mondi rittig machen. Sie hatten schon einen kleinen Versuch gestartet. Mondi war damals mit Fritzi durchgegangen. Es war nur eine Sache von einem Sekundenbruchteil und Fritzi wäre mit dem Kopf gegen die Stalltür geknallt, als Mondi mit ihr im Sattel in den Stall stürmte. Sie wollte lieber gleich loslegen, keine Zeit verlieren, ließ sich aber überzeugen, zu warten. Und nun das!
Lange saßen sie noch so da, Werner grübelnd und Fritzi schluchzend.
"Du, Fritzi?"
"Ja?"
"Hattest du nicht so ein tolles Zeugnis zum Halbjahr?"
"Ja. aber was hat das jetzt mit Mondi zu tun?"
"Wollte dein Vater nicht dafür den Reitunterricht für dich fördern?"
"Ja", schluchzte Fritzi. "Das ist ja nun nicht mehr nötig."
"Und wenn doch? Die Reitstunden bekommst du von mir kostenlos und dein Vater kann von dem gesparten Geld Mondi von dem Pferdehändler zurückkaufen. "
Fritzi schüttelte ungläubig den Kopf.
"Das bisschen Futter fällt schon hier ab und die Box ist sowieso frei. Das merkt kein Mensch, wenn wir Mondi da einstellen. Na, was sagst du nun?"
Fritzi brauchte noch einen Augenblick um zu verstehen, was Werner da grade gesagt hatte. Dann sprang sie auf. Ein begeisterter Aufschrei antwortete dem Vorschlag. Die Traber auf dem nebenliegenden Auslauf stoben auseinander.
"Ja, Papa? Papa,ja?" Fritzis Papa wußte sofort, dass sie ein ernstes Problem hatte, das er für sie lösen sollte.
"Was is denn, meine Kleene?" Sonst protestiert sie, wenn er sie so nannte, aber diesmal schaute sie ihren Papa nur bittend an.
"Stell dir vor, mein Mondi soll auf Transport gehen."
"Nach Frankreich? Als Serumpferd?"
"Ja, Papa!" Da waren sie wieder, die dicken Tränen. "Und das bedeutet außerdem, dass ich ihn nicht reiten kann."
"Meine Kleene, das ist wirklich nicht schön. Aber dieses furchtbare Schicksal, dass so ein Serumpferd erleidet, ist der eigentliche Skandal. Erst wird es krank gemacht und dann dieses ständige Blut abnehmen...." Fritzis Papa war schon immer ein engagierter Tierfreund. In seiner Jugend ging er sogar mal so weit, dass er Laborratten gestohlen hatte und sie im Keller der Schule gesund pflegen wollte. Damals kam die Polizei ihm auf die Schliche und er musste als Strafe gemeinnützige Arbeit leisten. Jetzt dachte er daran, auch Mondi in einer Robin Hood-Aktion zu befreien. Er sah sich schon bei Nacht und Nebel alle Pferde aus dem Eisenbahnwagon befreien und stolz seiner Tochter Mondis Zügel in die Hand geben. Da holte Fritzis herzzerreißendes Schluchzen ihn wieder in die Realität zurück. "Wir müssen etwas unternehmen!"
"Du bist der beste Papa der Welt!"
........
"Hallo Werner! Wie geht es dir, du alter Pferdeschlächter? Heute kommt Papa her und will zusehen, was wir für Fortschritte gemacht haben." Fritzi führt Mondi vor den Stall auf den Sattelplatz, um auch noch das letzte Staubkörnchen aus seinem Fell zu striegeln. Sie sattelt ihn routiniert und geht mit ihm ein paar Runden auf das Dressurviereck zum aufwärmen. Werner gibt wie ein alter preußischer Rittmeister die Befehle.
"Durch die ganze Baaahn.......wechseln.
Aaaaus der Ecke....kehrt.
Auf den Zirkelllll....geritten."
Fritzi ist aufgeregt, macht aber ihre Sache richtig gut. Werner ist stolz. Er erfreut sich an dem Anblick von Reiter und Pferd. Nach einer halben Stunde steht Mondi richtig gut am Zügel, er hat leichten Schaum entwickelt. Fritzi kann ihn mit kleinsten Hilfen leiten.
Fritzis Papa kommt mit einem Sack voller Mohrrüben angeschleppt und stellt ihn am Stall ab. Mondi bekommt natürlich sofort ein kleines Stückchen, erkennt Fritzis Papa schon gut und hatte es nicht anders erwartet. Werner weist ihm einen Platz am Dressurviereck an und dann beginnt die Vorführung.
Es klappt perfekt. Fritzi und Mondi legen sich richtig ins Zeug. Sie führen alle Gangarten und sämtliche Figuren für ein Tournier der Klasse M vor. Mondi läuft wie ein Gott, schließlich ist sein richtiger Name Mondgott.
"Na, Papa, ist er nicht toll? Willst du ihn auch mal reiten?"
"Für mich ist das zu einfach, meine Kleene. Mich musst du schon auf den Parcours lassen." Natürlich ist das die pure Angabe. Er hat noch nicht oft auf einem Pferd gesessen und würde nie und nimmer springen.
"Na gut, dann reite ich schon mal rüber und zeige Mondi die Hindernisse."
Fritzi hat schon öfter mit Mondi springen trainiert. Jedes mal zwei Runden auf dem Parcours das waren genau zehn Sprünge. Und er hat immer die beiden Runden fehlerfrei und mit Freude absolviert.
Und so ist es auch heute. Bis auf den letzten Sprung. Mondi muß wohl der Sack mit den Mohrrüben in den Sinn gekommen sein. Er verweigert und macht abrupt kehrt in Richtung Stall. Aber da hat er die Rechnung ohne Fritzi gemacht. Sie reitet ihn energisch vorwärts, geht das Hindernis noch einmal an. Wieder verweigert Mondi. Das nagt an Fritzis Ehre. Werner will eingreifen, sie solle erst noch ein paar Volten Reiten, damit sich Reiter und Pferd besinnen können. Aber Fritzi erinnert sich an den oft zitierten Spruch: 'Wirf dein Herz über das Hindernis und dein Pferd springt hinterher.' Mondi setzt mit einem beherzten Sprung über die letzte Stange. Noch bevor sich Fritzi richtig freuen kann, schlägt Mondi einen scharfen Haken, denn sein Stalltrieb ist jetzt so stark, dass ihn nichts aufhält.
Hätten sie nur die Stalltür geschlossen. Mondi stürmt direkt in den Stall, in seine Box, aber die Tür ist nicht hoch genug für Reiter und Pferd. Fritzi knallt gegen den Türrahmen. von der Wucht des Aufpralles wird sie aus dem Sattel geschleudert und bleibt leblos liegen.
........
Werner steht mit Fritzis Papa an dem frisch aufgestellten Stein. Sie legen keine Blumen ab, sondern einen Strauß Hafer mit einem Bild von Fritzis geliebtem Mondi.
"Kleene, ich verspreche dir, dass Mondi nicht leiden muss."
Tag der Veröffentlichung: 14.08.2015
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