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VORWORT

  

Wettbewerbsvorgabe für die August-Runde

des Anthologie-Wettbewerbs 2015:

 

„Wähle in einem beliebigen Buch auf Seite 111 einen Satz mit mindestens 5 Wörtern aus und schreibe eine Geschichte, in der dieser Satz vorkommt.“

 

*****

 

Bei diesem Beitrag wurden folgendes Buch und folgender Satz gewählt:

 

 

Ken Wilber - Wege zum Selbst

 

"Aber ach, der Wunsch bleibt sein Eigentum, und er kann nur so tun, als ob er ihn nicht als seinen anerkenne."

Würgender Wunsch

„Als vermögensbildende Maßnahme schlage ich Ihnen einen Immobilienfonds vor; denn, wenn Sie sich bisher schon kein Eigentum leisten konnten, so wird es nun aber höchste Zeit, am Kuchen teilzuhaben.“

 

„Nicht, dass ich nicht gekonnt hätte; ich wollte nicht.“

 

„Mit dem freien Willen ist es so eine Sache, das wissen Sie besser als ich. Ja. Ich schlage also Ihre Eisenbahnaktien ab; die paar Schiffsbeteiligungen können wir im Safe lassen. Und dann steige ich für Sie in den Immobilienmarkt ein, in China, wo ja jetzt bekanntlich die Fortpflanzung freigegeben werden soll.“

 

„Die Fortpflanzung? Gewächse im Glaspalast?“

 

„So was braucht neben einer Ausweitung des Sexappeals auch Wohnungen, Zimmer, Schlafzimmer, geräumige Bäder mit Wannen oder gar Whirlpool. Eine stinknormale Dusche mit entsprechendem Kopf kann ja nur noch den ganz Jungen die Fantasie entzügeln, wie wir aus den Feuchtgebieten wissen.“

 

„Wer im Glashaus sitzt...“

 

Ken wird es allmählich mulmig. Zu feucht hier und heute. Eine peinliche Transpiration setzt ein; beginnend auf den behaarten Armen, überschwemmt sie seine Achselhöhlen und presst das Nass aus allen Poren seines Gesichtes. Sie bringt ihm keine Abkühlung, und als der Luftzug aus dem Ventilator, der mit pünktlicher Gerechtigkeit alle Ecken dieses kleinen und fensterlosen Raumes bedient, die stehende Luft in einen lasziven Flow versetzt, fasst er Mut und steht abrupt auf.

 

Sein Gegenüber hat durchaus nicht vor, ihn so ziehen zu lassen. Er sieht den Fisch doch schon am Haken, und sein gesunder Schlingkomplex setzt ein und bringt eine Art Würgereiz am hinteren Gaumen hervor, wobei gleichzeitig die Speicheldrüsen in Hochproduktion gehen und seinen Mundgeruch wenigstens ein bisschen wegspülen.

 

„Ich bin noch nicht fertig mit meinem Quartals-Beratungsgespräch.“

 

„Ich habe Durst.“

 

„Alicia, ein Glas Schampus.“

Gleichzeitig mit dem Knopf fürs Sekretariat hat der geschniegelte Berater den Sperrknopf für die Tür gedrückt. ‚Bin doch ein kluges Kerlchen!’ schießt ihm in den aufgewühlten Sinn.

 

Ken dämmert die Erkenntnis, dass er hier nicht nüchtern herauskommen wird, und eine gewisse Stimulation seiner Gedanken scheint ihm alles andere als unpassend. In diesem Moment denkt er noch, er habe sein Gegenüber im Griff.

 

Der Berater lässt ihn in diesem Glauben.

 

Der Auftritt der Sekretärin, deren Gesicht dem eines Alligators ähnelt (Ken muss bei diesem Gedanken lächeln), geht professionell über die Bühne; sie stellt ein Glas perlenden Veuve Cliquot vor sein wüstenartiges Gesicht – der Ausdruck der verwüsteten Gedanken, die ihn mit jeder Sekunde mehr heimsuchen – und empfiehlt sich wieder. Die Tür fällt zu und schließt in ihren 16 Querverriegelungen. Hat Ken das gehört?

 

„Nun aber zurück zum Eigentum, zurück zu ihren Wünschen.“

 

Ken fühlt eine heiße Wallung in sich hochsteigen. „Zu meinen Wünschen? Oder zu Ihren?“

 

„Ich wünsche nur das Beste für Sie.“ Der Berater hat Mühe, die Lüge zu kaschieren. Gottseidank klingelt das Smartphone. Der Alligator schickt eine SMS : ‚I love you.’

 

„Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Wünsche.“

 

Der Berater sieht die Beute wegschwimmen, abtauchen.

 

„Wer hat denn heutzutage keine Wünsche, Herr Ken, aber aber, nicht so bescheiden.“

 

„Und nach Eigentum schon gleich gar nicht. Sehen Sie: Ich habe keine Frau, keine Kinder, kein Haus, kein Pferd. Im Gegenteil: ‚Eigentum’ hat für mich eine absolut soziale Komponente, und das egoaufblähende Eigentumsgehabe – das auch Sie hier ausbreiten - ist für mich die erste der letzten Plagen.“

 

Der Berater gerät ins Schlingern. Sein Tagesziel war so nah, die Provision schon greifbar (auch wenn es sich nur um virtuelles Geld handelt), und jetzt das: philosophisches und soziokulturelles Gelaber. Der tödliche Widerwille dagegen war ihm schon in den Kindertagen eingebrannt und hatte sich mit jedem gottverdammten Mal, an dem seine Mutter - ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit einer Leidensmiene - ihn auf solche Zusammenhänge hinwies und kein Entwinden duldete, meterhoch wie Zunder aufgetürmt.

 

Wie ein Blitz schießt die morgenliche Begegnung mit seinem Chef in sein Bewusstsein; er hat mit klaren Worte die Ansage gemacht: Heute muss was gehen, sonst...

 

Es wird was gehen, das ist ihm klar. Entweder muss er den Chef beseitigen – was angesichts der hierarchischen und auch der lokalen Distanz vertikal und horizontal von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist – oder er muss diesen Klienten umbiegen, auf Gedeih und Verderb. Niemand fragt ihn je nach seinen Wünschen, fällt ihm ein. Er findet das ungerecht. Nun setzt er, den Rücken an der Wand, die gesamte Klaviatur aller Fortbildungsmaßnahmen zur Kundenmotivation und Acquirierung ein, die er je besucht hat.

 

Sein Gegenüber ist klug. Aber mit der Zeit versucht Ken doch den plumpen populärpsychologischen Attacken zu entkommen. Der Berater macht die Büchse der Pandora auf.

 

In Ken keimt der unbedingte Wunsch auf, sich zu befreien. Er springt auf und rüttelt an der Tür. Vergebens. Von hinten wird er weiter mit hanebüchenen Argumenten beschossen. Da keimt in ihm ein Wunsch auf, von dessen Existenz er nichts geahnt hatte. Er geht dem Berater an den Kragen. Mit dieser Aktion, die blitzschnell abläuft, in seinem Hirn aber eine Zeitlupensequenz von Bildern aufblendet, die allesamt mit seinen Wünschen und Träumen zu tun haben, bremst er sich selber aus. Und so bleibt dieser letzte und durchaus erstaunliche und unerwartete Wunsch in der Luft hängen.

 

Nun hängt er da, wo vorher nichts war. Er möchte ihn am liebsten ungeschehen machen. Aber ach, der Wunsch bleibt sein Eigentum, und er kann nur so tun, als ob er ihn nicht als seinen anerkenne.

Er kann nicht...

 

Der kundige Leser wird nun ohne Mühe den Weg zur Lösung des Konfliktes finden. Dem nicht so Gebildeten möchte ich ein Wort an die Hand geben: Projektion. Auch wenn er damit wenig wird anfangen können, so kennt er sie aus seinem eigenen Leben, meist aber, ohne sich dessen bewusst zu sein.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.08.2015

Alle Rechte vorbehalten

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